In ihrer 2025 neu erstellten Bedrohungseinschätzung (Serious and Organized Crime Threat Assessment, SOCTA) konstatiert die europäische Polizeibehörde Europol einen deutlichen Wandel der Bedrohungslage durch organisierte Kriminalität. Gegenüber dem Vorgängerbericht von 2021 stellt Europol sogar eine veränderte DNA der organisierten Kriminalität fest. Diese hat sich besonders im Zuge der Covid-19-Pandemie verstärkt auf digitale Kanäle verlagert, wo kriminelle Dienstleistungen einfach und mit niedrigen Zugangsschranken angeboten werden. Transnational organisierte kriminelle Lieferketten verbinden Deutschland und Europa inzwischen fest mit anderen Weltregionen. Das zeigt sich an der aktuellen Kokainschwemme und der wachsenden Konkurrenz auf europäischen Märkten. Auch benutzen gerade autoritär regierte Staaten organisierte Kriminalität zunehmend als geopolitisches Vehikel, etwa um Sabotageakte zu verüben, Spionage zu verschleiern oder Sanktionen zu umgehen. Davon sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) und ihre direkte Nachbarschaft besonders betroffen. Neben engerer internationaler Zusammenarbeit bedarf es besserer Abstimmung von Instrumenten des Innen- und Außenhandelns.
Lange galt organisierte Kriminalität als eine Art notwendiges Übel der Globalisierung, der Freizügigkeit von Personen und des Freihandels. Die Auswirkungen organisierter Kriminalität auf die innere Sicherheit Deutschlands und in Europa wurden zumindest als beherrschbar eingeschätzt und als nachrangig gegenüber Gefahren durch Terrorismus und Extremismus. Dies hat sich verändert. Der globale Index für organisierte Kriminalität zeigt, dass keine Weltregion eine relativ stärkere Zunahme des organisierten Verbrechens zwischen 2021 und 2023 erfahren hat als Europa. Treiber waren vor allem Finanz- und Cyberkriminalität sowie die Zunahme der Drogenökonomie und des Menschenschmuggels. Häufig stehen besonders gut sichtbare Phänomene im Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung wie spektakuläre Diebstähle, Sicherstellungen großer Mengen an Drogen oder brutale Gewaltakte. Faktisch entzieht sich jedoch organisierte Kriminalität in weiten Teilen dem öffentlichen Blick. Einschätzungen zum tatsächlichen Umfang illegaler Geschäfte und zum genauen modus operandi krimineller Gruppierungen bleiben daher lückenhaft. Auf der Basis bekannter Fälle und verfügbarer Analysen lassen sich jedoch drei Entwicklungen identifizieren, auf die deutsche und europäische Politik ihr Augenmerk richten sollten.
Covid-19-Pandemie als Innovationsmotor
Die Disruption globaler Lieferketten während der Covid-19-Pandemie führte kurzfristig auch zur Unterbrechung zahlreicher illegaler Handelsströme und mitunter zur Verknappung illegaler Güter. Sie war also nicht generell ein »Paradies für Gangster«, erhöhte aber verschiedene Risiken. Zudem stellte sie sich in der Nachbetrachtung als Innovationsmotor für organisierte Kriminalität heraus. Kriminelle Netzwerke passten sich schnell den neuen Rahmenbedingungen an. Ähnlich der Situation im legalen Wirtschaftsleben nutzten sie verstärkt digitale Kommunikationstechnik, richteten ihre Netzwerkstrukturen neu aus und entwickelten eine kriminelle Dienstleistungsstruktur – inzwischen unter dem Begriff crime as a service etabliert.
Die zunehmende Dezentralisierung von Netzwerken des organisierten Verbrechens erwies sich im Verlaufe der Pandemie nicht nur als Strategie des Überlebens, sondern auch des Wachstums. Auf dem Markt werden mit steigender Tendenz kriminelle Dienstleistungen angeboten. Dazu zählen die Beschaffung großer Mengen von Drogen oder Waffen, deren Lagerung und Transport, deren Ausschleusung aus Häfen, das Bestechen von Mitabeiter:innen aus Behörden und kritischer Infrastruktur oder Gewaltakte wie Auftragsmorde. So muss etwa ein kriminelles Netzwerk in Deutschland keine eigene Präsenz mehr in Südamerika aufbauen, um Kokain in Europa zu beziehen und handeln zu können. Dieser Effekt hatte eine Art »Demokratisierung« der Kriminalität zur Folge, weg von oligopolistischen Strukturen, hin zu einem offenen Markt illegaler Güter und Dienstleistungen. Gekennzeichnet ist er durch stark gesunkene Zugangsschranken und mehr Partizipationsmöglichkeiten.
Kryptierte digitale Kommunikationskanäle haben maßgeblich dazu beigetragen, dass transnationale Lieferketten ohne physischen Kontakt organisiert werden können. Die Entschlüsselung der Plattformen EncroChat im Jahr 2020 und Sky ECC im Jahr 2021 durch europäische Ermittlungsbehörden offenbarte, wie zentral neue Technologie für organisierte Kriminalität ist. Ihre Nutzung erschwert die Strafverfolgung weiter. Kriminelle Wertschöpfung aus dem »Home Office« heraus ist weitaus schwieriger zu verfolgen als physisch sichtbare Transaktionen. Eine massive Verschiebung etwa von Drogenmärkten auf Online-Marktplätze ist längst Realität in Europa. Online-basierte Betrugsmaschen sind im Alltag eines Großteils der europäischen Bevölkerung angekommen. Geldwäsche hat sich zusehends auf Kryptowährungen verlagert, wo klassische Kontrollmechanismen kaum mehr greifen.
Während der vergangenen Jahre haben sich Dezentralisierung, Dienstleistungsstrukturen und Digitalisierung organisierter Kriminalität auf verschiedenen illegalen Märkten in Deutschland und Europa verbreitet. Hierzu gehören etwa der quasi-industrialisierte Menschenschmuggel, im Bereich Umweltkriminalität boomende Online-Märkte für illegale Flora- und Faunaprodukte oder der enorme Anstieg organisierten Betrugs zulasten von Firmen und Privatpersonen.
Besonders offensichtlich aber sind diese Trends in der transnationalen Drogenökonomie und ihren bisweilen geografisch sehr lang gestreckten Wertschöpfungsketten. Ihre Produktionszentren sind stark zentralisiert, während die globale Streuung der Nachfrage von wenigen Ausnahmen abgesehen wächst. Das globale Angebot von Kokain stammt aus einer Handvoll lateinamerikanischer Länder, das von Heroin aus wenigen süd- und südostasiatischen sowie südamerikanischen Ländern. Auf dem Staatsgebiet der Niederlande und Belgiens konzentriert sich ein großer Teil der globalen Produktion von MDMA (Ecstasy) und Amphetamin. In Marokko wird die größte Menge Cannabisharz weltweit hergestellt. Konnten früher nur wenige global agierende kriminelle Gruppierungen eine Vor-Ort-Präsenz in den Angebotszentren aufbauen, ermöglichen nun dezentrale, lokal agierende Dienstleister den Zugang zum Markt, ohne dass eine physische Präsenz etwa in Kolumbien, Marokko oder den Niederlanden notwendig wäre. Diese Rolle als Dienstleister übernehmen vorwiegend kriminelle Netzwerke aus dem westlichen Balkan und Italien, aber auch solche aus Nigeria oder den Niederlanden. Besonders deutlich werden diese neue kriminellen Dienstleistungsstrukturen am Beispiel des globalen Kokainmarktes.
Kokainschwemme und kriminelle Konkurrenz in Europa
Seit 2016 und dem Friedensschluss mit der FARC-Guerilla in Kolumbien sind der Kokaanbau und die Kokainproduktion in Kolumbien und seinen Nachbarländern enorm gestiegen. Zwar haben die Sicherstellungen von Kokain in Europa während der vergangenen zehn Jahre kontinuierlich zugenommen, doch blieb die Reinheit bei stabilen Preisen hoch. Das deutet auf ein Überangebot hin. Derzeit sinken die Großhandelspreise in einigen westeuropäischen Ländern sogar deutlich. Parallel dazu stieg dort die Nachfrage, teils getrieben von einer Crack-Epidemie, die seit der Covid-19-Pandemie beträchtlich an Dynamik gewonnen hat. Zu den europäischen Ländern mit den größten Zuwächsen im Kokainkonsum gehört neben Frankreich und Großbritannien auch Deutschland. Kokain ist der illegale Drogenmarkt mit den weltweit höchsten Gewinnspannen. So entstanden durch den Kokainboom der letzten Jahre bislang ungekannte Gewinnmargen für das organisierte Verbrechen. Trotz der sich verschärfenden Konkurrenz auf dem Markt sorgt das wegen des hohen Verfolgungsdrucks erhebliche Risiko der Marktteilnehmenden für stabil hohe Preise. Kurz gesagt verfügen kriminelle Netzwerke im Kokainhandel über nie dagewesene Liquidität.
Dieser Boom zog viele Wettbewerber an, die sich dank neuer Dienstleister und digitaler Kommunikationsmechanismen einen Marktzugang verschaffen konnten. Neben den ernsten Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit haben sich dadurch neue Sicherheitsherausforderungen für Europa ergeben: Die gesunkenen Zugangsbarrieren haben mitunter starke Konkurrenz auf dem europäischen Kokainmarkt hervorgebracht, die sich auch in Gewalt manifestiert. Vor allem in Belgien, Frankreich, Schweden, Spanien und den Niederlanden sind Tendenzen massiver Gewalt zu verzeichnen. Sie beschränken sich zwar nicht auf den Kokainmarkt, treten dort aber häufiger auf. In Frankreich wird bereits von einem »weißen Tsunami« gesprochen, den der Staat mit hohem Ressourcenaufwand bekämpft. In den Niederlanden hat die Regierung den Kampf gegen »Kriminalität, die die Gesellschaft unterminiert« ausgerufen.
Die Destabilisierung von Gemeinwesen durch Gewalt, wachsende Korruption bei Behörden und Infiltration des legalen Wirtschaftslebens galten in Europa lange als ein Problem des Globalen Südens. Derzeit verändert sich diese Wahrnehmung. Die europäische Sicherheitsstrategie von 2025 identifiziert organisierte Kriminalität als eine der zentralen Bedrohungen europäischer Sicherheit: Demnach »breiten sich mächtige Netze der organisierten Kriminalität in Europa aus, werden online gefördert und wirken sich auf unsere Wirtschaft und Gesellschaft aus«.
Verstärkt haben sich in manchen Ursprungs- und Transitregionen auch die Unterwanderung staatlicher Strukturen und die Infiltration legaler ökonomischer Infrastruktur durch die Verbreitung krimineller Akteure und Netzwerke. Ein besonders eklatantes Beispiel für diese Dynamik ist die Eskalation krimineller Gewalt und Korruption in Ecuador.
Auch Europol stellt in seinem Serious and Organized Crime Threat Assessment (SOCTA) 2025 fest, dass die neue DNA des organisierten Verbrechens weitaus destabilisierender wirkt als in der Vergangenheit. Die mangelnde Resilienz von Staaten vis-a-vis professionell agierenden kriminellen Netzwerken ist ein entscheidender Faktor für die Herausbildung globaler illegaler Wertschöpfungsketten. Europa ist nicht nur in diese Ketten eingebunden, sondern als wichtiger and rasant wachsender Zielmarkt für Drogen wie Kokain inzwischen direkt mit den fatalen Folgen der Transformation organisierter Kriminalität konfrontiert. Zudem bilden sich nicht einfach nur transnationale Bezüge in den Lieferketten ab, sondern eine Geopolitik des Illegalen. Verstärkt wird sie dadurch, dass staatliche Akteure Strukturen organisierter Kriminalität gezielt instrumentalisieren.
Staatliche Instrumentalisierung und politisch-kriminelle Verbindungen
Seit jeher haben Staaten kriminelle Gruppierungen für ihre Zwecke genutzt, nicht nur bei der Unterdrückung interner Opposition, auch außenpolitisch. Im Kalten Krieg etwa wurden Waffen von Staaten über kriminelle Netzwerke an verbündete Konfliktparteien geschmuggelt. Ab den 1990er Jahren stand besonders das Problem des »state capture« im Blickpunkt. Kriminelle Gruppierungen übernahmen in einigen Ländern staatliche Institutionen oder infiltrierten sie, oft im Zuge politischer Übergangsphasen wie zum Beispiel auf dem Westbalkan. Auf der anderen Seite machten sich Regierungen, Militärs und weitere Offizielle immer wieder illegale Geschäftsstrukturen zu eigen. Handelte es sich dabei nicht um Einzelfälle, sondern um systematische staatlich-kriminelle Verbindungen, wurde auch von »Mafiastaaten« gesprochen, etwa in Russland und im postsowjetischen Raum. Diese recht plakative Bezeichnung verweist im Grunde auf die extreme Ausformung eines weiter verbreiteten Phänomens: der Verschränkung von politischer und krimineller Sphäre, wie sie im Falle italienischer Mafiagruppen seit langem bekannt ist. Besondere Aufmerksamkeit ziehen diese vorwiegend dann auf sich, wenn staatliche Strukturen durch die Verflechtung mit organisierter Kriminalität erodieren und Instabilität und Gewalt auftreten, so in Nord-Mali um 2012. Solche Auswirkungen in der erweiterten südlichen und östlichen Nachbarschaft standen für die EU lange im Vordergrund, wobei oft der Bezug zum Terrorismus betont wurde.
Mittlerweile hat sich die Lage für Deutschland und Europa weiter gewandelt, denn das geopolitische Umfeld ist heute ein anderes. Verschiedene Aspekte machen kriminelle Akteure vor allem für autoritär regierte Staaten interessant. Dort fehlen weitgehend innere Kontrollmechanismen und Transparenzregeln, die staatliches Handeln binden oder beschränken. So haben in Russland Cyberkriminelle nicht nur einen sicheren Hafen, um ihre Attacken – vornehmlich im europäischen und US-amerikanischen Ausland – durchzuführen, sondern der Staat und seine Geheimdienste setzen kriminelle Akteure gezielt ein.
Für diese Art von Instrumentalisierung, auch als »Geokriminalität» bezeichnet, gibt es in erster Linie zwei Gründe. Zum einen wollen die betreffenden Staaten den Ursprung bestimmter Aktivitäten wie Spionage und Sabotage im Ausland verschleiern. Zum anderen kompensieren einige Staaten damit schwindende Kapazitäten. So verfuhr beispielsweise Russland, als nach Februar 2022 eine große Zahl an diplomatischem Personal – bekannte oder vermutete Mitarbeitende von Geheimdiensten – aus westlichen Staaten ausgewiesen wurden. Kriminelle Akteure werden auch genutzt, um Sanktionen zu umgehen oder deren Auswirkungen zu kompensieren. Für Russland geht es dabei neben der Finanzierung destabilisierender Aktivitäten im Ausland vorrangig darum, sanktionierte Güter einzuführen. Dabei spielen Unternehmen und Händler des Graumarktes sowie kriminelle Gruppierungen eine wichtige Rolle – auch bei Geldtransfer oder Geldwäsche. Das syrische Assad-Regime profitierte von der enormen Ausweitung der Produktion und des Handels mit Captagon. Vor allem in Reaktion auf die Folgen der US-Sanktionen wurde die Armee in die grenzüberschreitenden Netzwerke des Handels mit der Droge integriert. Das Regime nutzte dies offenbar auch als Verhandlungschip gegenüber betroffenen arabischen Staaten.
Auch Iran und Nordkorea haben infolge der gegen sie verhängten Sanktionen Praktiken entwickelt, um Zugang zu Finanzmitteln und Märkten zu gewährleisten. Doch die Bezüge zu kriminellen Akteuren gehen darüber hinaus. So dienen nordkoreanische Cyberoperationen durch Hackergruppen, die der Geheimdienstorganisation »Reconnaissance General Bureau« unterstellt sind, neben der Generierung von Einkommen auch der Spionage. Hier geht es allerdings nicht einfach um staatlich-kriminelle Verbindungen. Vielmehr fördert und organisiert der Staat selbst die illegalen Cyberoperationen, so dass auch von einem nation-state crime syndicate gesprochen wird. Iran dagegen nutzt unter anderem bestehende kriminelle Gruppen, darunter solche in Irland, Schweden und den Niederlanden, für Angriffe auf Personen und Institutionen in Europa.
Solch eine Rekrutierung krimineller Akteure ist manchmal nicht nur eine naheliegende, sondern auch kostengünstige Lösung. Die eingangs beschriebene Entwicklung zu crime as a service vereinfacht dies weiter, zumal einige Netzwerke bestimmte Dienstleistungen speziell für diese Nachfrage anbieten – etwa zu Spionagezwecken.
Für die EU ist dies im Innern wie in der direkten Nachbarschaft eine außergewöhnliche Herausforderung. In einigen Mitgliedstaaten nimmt die Resilienz ab, besonders wo Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unter Druck geraten. Zudem ist nicht klar, wie die künftige Kooperation mit der US-Administration aussehen wird, die viele angestammte internationale Formate, aber auch Unabhängigkeit und Akzeptanz der eigenen Justiz in Frage stellt. Letztlich werden sowohl internationale Zusammenarbeit über Europa hinaus als auch neue Ansatzpunkte notwendig sein.
Gefahr erkannt, aber nicht gebannt
Die Europäische Sicherheitsstrategie und das SOCTA 2025 zeigen, dass auf europäischer Ebene die neue Dimension und Gefahr der organisierten Kriminalität durchaus erkannt worden ist. Kommissionspräsidentin von der Leyen hat angekündigt, das Europol-Mandat zu reformieren und auszubauen sowie den Personalbestand der europäischen Polizeibehörde zu verdoppeln.
Auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung wird mehrfach auf das Thema eingegangen: Angekündigt wird die lange geforderte Beweislastumkehr bei der Vermögenseinziehung sowie die entschiedene Bekämpfung der Geldwäsche, Finanzkriminalität, Umweltkriminalität und hybrider Bedrohungen. Die Ansatzpunkte sind allerdings überwiegend altbekannt, und es bleiben Leerstellen beim Umgang mit transnationalen Bedrohungen, die sich den gängigen Mitteln der Strafverfolgung entziehen oder dieser allenfalls eine Behandlung von Symptomen erlauben.
Die EU-Kommission hat zwar einen Prozess angestoßen, die EU-Regeln zur Bekämpfung organisierter Kriminalität zu novellieren. Doch der zu reformierende Rahmenbeschluss des Rates datiert von 2008 und gilt weithin als veraltet und wenig wirksam.
Wichtig bleiben eine Aufstockung von Ressourcen und eine Angleichung von Rechtsvorschriften unter den Mitgliedstaaten sowie eine verbesserte Kooperation innerhalb und mit der EU. Denn die Problemwahrnehmung zwischen den EU-Mitgliedstaaten ist bisweilen ebenso unterschiedlich wie die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Bekämpfung krimineller Netzwerke. Aufgrund der veränderten Risiken werden die genannten Maßnahmen allein aber nicht reichen.
Erstens bedarf es besserer internationaler Zusammenarbeit. Dies gilt etwa für die oben erwähnte anhaltende Kokainschwemme und damit die exorbitanten Finanzzuflüsse an das organisierte Verbrechen und an kriminelle Dienstleister, die besonders im Kokainhandel Verbreitung gefunden haben. Da die US-Regierung im Februar 2025 einige kriminelle Gruppierungen als »ausländische terroristische Vereinigungen« eingestuft hat, dürfte künftig eine Zusammenarbeit mit US-Behörden schon aus rechtlichen Gründen schwieriger werden. Umso wichtiger ist es, organisierte Kriminalität in den Außenbeziehungen sowie beim Auf- oder Ausbau internationaler Partnerschaften stärker einzubeziehen. Von deutscher Seite sollte konkret der unter der Vorgängerregierung begonnene Ausbau des Verbindungsbeamtennetzes an deutschen Auslandsvertretungen konsequent fortgeführt werden. Er sollte sich am Lagebild der organisierten Kriminalität orientieren, das im Wandel begriffen ist.
Dem Thema sollte auch im politischen Dialog mit besonders betroffenenLändern Vorrang eingeräumt werden. Zudem sollten dort Defizite identifiziert werden, gerade wo organisierte Kriminalität nicht nur aufgrund schwacher Kapazitäten floriert. Im Umgang mit der politischen Instrumentalisierung organisierter Kriminalität setzt die EU in jüngster Zeit auch auf Instrumente des Außenhandelns. Ein Beispiel ist die 2023 eingerichtete Partnerschaftsmission in Moldau. Sie soll die Resilienz des dortigen Sicherheitssektors gegen hybride Bedrohungen und Desinformation wie Einflussnahme aus dem Ausland steigern, die auch, aber nicht nur über das Vehikel organisierte Kriminalität erfolgt. Solche Erfahrungen gilt es zu nutzen, gerade wenn es um die Vernetzung mit anderen Ansätzen geht.
Zweitens sollten wirksame Antworten auf transnationale organisierte Kriminalität als Querschnittsaufgabe verstanden werden. Denn die Aufklärung von Gruppierungen, die etwa bei Spionage und Sabotage in Europa relevant sind, ist nicht nur eine polizeiliche, sondern auch eine nachrichtendienstliche Aufgabe. Der Kampf gegen geopolitisch instrumentalisierte Kriminalität bedarf einer engeren Verzahnung der entsprechenden Instrumente und auf nationaler Ebene der Ressorts. Bei der Überwachung von Sanktionen etwa kommen zu den Polizeien und Nachrichtendiensten weitere Behörden hinzu, wie in Deutschland das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle.
Zudem beschränken sich notwendige Ansatzpunkte nicht auf repressive Mittel. Verschiedene von Drogenhandel und Gewalt besonders betroffene Länder auch innerhalb der EU greifen wieder vermehrt auf »harte« Maßnahmen zurück, die schon in der Vergangenheit wenig erfolgreich waren, wie zuletzt härtere Strafen für minderjährige Gewalttäter in Schweden.
Drittens können europäische Staaten Ursprungs- und Transitländer in vielerlei Hinsicht dabei unterstützen, ihre Resilienz gegen kriminelle Akteure und Handelsströme zu erhöhen. Hierzu ist jedoch eine verbesserte Evidenzgrundlage vonnöten. Europol etwa hat sein Netzwerk von Liaison-Beamten aus Partnerländern außerhalb Europas in großem Stil ausgebaut und bündelt dieses Personal an seinem Hauptsitz in Den Haag. Trotzdem bestehen in der EU gravierende operative Mängel und Wissenslücken bezüglich krimineller Netzwerke und Märkte jenseits von Europa. Diese Defizite beeinträchtigen direkt die Sicherheit in der EU.
Seit längerem gibt es Bemühungen, die Bekämpfung der Problematik über die europäischen Außengrenzen hinaus vorzuverlagern, etwa über das Global Illicit Flows Programme der EU. Dabei spielen auch entwicklungspolitische und zivilgesellschaftliche Ansätze eine relevante Rolle. Notwendig ist allerdings eine bessere Abstimmung von Innen- und Außenhandeln und der entsprechenden Instrumente, die auf einem umfassenden und ressortübergreifenden Sicherheitsverständnis beruht. Ein möglicher Ort dafür in Deutschland wäre der neu einzurichtende Nationale Sicherheitsrat.
Daniel Brombacher ist Gastwissenschaftler in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten. Dr. Judith Vorrath ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.
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DOI: 10.18449/2025A37