Der Krieg in Sudan, der am 15. April 2023 zwischen den Sudanesischen Streitkräften (SAF) und den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) ausgebrochen ist, hat die größte humanitäre Krise der Welt ausgelöst. Zivilist:innen werden von den kriegführenden Parteien direkt angegriffen. Die Gewaltakteure zerstören zivile Infrastruktur und blockieren humanitäre Hilfe – dies ist Teil ihrer Kriegsstrategie. Einige gehen überdies gezielt gegen Angehörige einzelner Identitätsgruppen vor, auch auf ethnischer Basis. Gleichzeitig nehmen die Konfliktparteien für sich in Anspruch, die Zivilbevölkerung zu schützen. Internationale Bemühungen, die Zivilbevölkerung als solche oder besonders vulnerable Gruppen wirklich zu schützen, blieben bisher ohne durchschlagenden Erfolg. Rufe nach einer militärischen Intervention haben in der aktuellen Weltlage wenig Aussicht auf Erfolg. Tatsächlich verdienen die Bemühungen engagierter sudanesischer Bürger:innen, sich und andere um sich herum zu schützen, mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung. Schutzanstrengungen können dazu beitragen, das Leid der Zivilbevölkerung zu mindern, auch wenn ein Ende des Krieges außer Reichweite bleibt.
Am Sonntag, dem 13. April 2025, nahmen die RSF das Vertriebenenlager Zam-Zam in Nord-Darfur ein. Bis dahin war es das größte Lager für Binnenvertriebene in Sudan, mit mindestens einer halben Million Menschen. Einige von ihnen lebten dort seit über zwanzig Jahren, seit der Zeit, als sie vor den Vorgängern der RSF geflohen waren. In der Folge der Einnahme durch die RSF verließen laut den Vereinten Nationen (UN) in nur zwei Tagen rund 400.000 Menschen fluchtartig das Lager, und mehr als 400 Zivilist:innen wurden in dem Lager oder in der Nähe getötet. Ein Überlebender berichtete der Nachrichtenagentur Reuters, dass die RSF 14 Menschen aus der Nähe getötet hätten, die sich zum Schutz in eine Moschee gerettet zu haben glaubten. Mohammed, ein anderer Überlebender, äußerte in einem Online-Pressegespräch, die RSF hätten die Bewohner als »Sklaven« bezeichnet. Er erzählte, bewaffnete junge Menschen aus dem Camp hätten den RSF so lange noch Widerstand geleistet, bis ihre Munition alle war. »Ohne sie wären deutlich mehr Menschen getötet worden«, meinte er.
Umgekehrt sprachen die RSF auf ihrem offiziellen Telegram-Kanal davon, dass sie die Menschen in Zam-Zam vor den »Söldnern« in der »Militärbasis« gerettet hätten. Abdelrahim Hamdan Dagalo, stellvertretender Führer der RSF, war selbst vor Ort und habe die »Sicherung« des Lagers angeordnet, so die RSF. Ihr Führer Mohammed Hamdan Dagalo, Abdelrahims Bruder, verkündete zwei Tage nach der Einnahme des Lagers in einer Rede die Bildung einer Regierung für »Frieden und Einheit«. Diese Regierung solle allen Sudanes:innen dienen, besonders denen, die »sich jemals vergessen, an den Rand gedrängt oder ausgeschlossen gefühlt« hätten, sagte RSF-Führer Dagalo, der auch Hemedti genannt wird.
Bei der Sudan-Konferenz in London am 15. April 2025, dem gleichen Tag, an dem Hemedti besagte Rede hielt, konnten sich die anwesenden Staaten und internationalen Organisationen nicht auf eine gemeinsame Abschlusserklärung einigen. Ägypten und Saudi-Arabien, beide Unterstützer der SAF, und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Unterstützer der RSF, konnten eine Einigung blockieren. Weniger als ein Sechstel der benötigten internationalen Hilfe für Sudan und die Nachbarstaaten wurde bei der Konferenz zugesagt.
Der Schutz der sudanesischen Zivilbevölkerung ist längst politisiert worden. Alle Konfliktparteien nehmen für sich in Anspruch, nicht nur im Interesse der Zivilbevölkerung zu kämpfen, sondern spezifische Maßnahmen zu ergreifen, um sie vor Gewalt zu schützen. Dieser Anspruch steht im krassen Gegensatz zu ihrem tatsächlichen Verhalten.
Zivilpersonen als Ziel
Gewalt gegen die Zivilbevölkerung ist kein bloßes Nebenprodukt der Kriegsführung in Sudan, sie ist integraler Teil des Vorgehens der kriegführenden Parteien und ihrer jeweiligen Verbündeten. Sowohl die Vereinten Nationen als auch nationale und internationale Nichtregierungsorganisationen (NGOs) haben zahlreiche detaillierte Berichte zur Menschenrechtslage in Sudan vorgelegt. Gleichzeitig bedeuten die Schwierigkeiten des Zugangs zu bestimmten Regionen und der teilweise stark eingeschränkte Internet- und Telefonverkehr, dass viele Vorfälle wahrscheinlich nicht in der Berichterstattung auftauchen. Daher gibt es auch keine genauen Zahlen, wie viele Menschen bereits in dem Krieg gestorben sind. Mittlerweile ist aber von einer sechsstelligen Zahl direkter und indirekter Opfer auszugehen.
Gefahr für die Zivilbevölkerung besteht zuallererst aufgrund der Art des militärischen Vorgehens: Beim Einsatz von Artillerie, Fassbomben oder anderen Explosivwaffen in Städten differenzieren die Kriegsparteien nicht ausreichend zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten. Die RSF beschießen Krankenhäuser mit Artillerie sowie Kraftwerke und andere zivile Infrastruktur mit Drohnen; die Armee beschießt Schulen, Märkte und Wohngebiete. Beide Parteien verhaften, foltern oder töten humanitäres Personal, Freiwillige und Menschenrechtsverteidiger, denen sie eine Kooperation mit der jeweils anderen Seite vorwerfen. Zu diesen Ergebnissen kommt die vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzte Untersuchungskommission zu Sudan.
Die RSF gehen plündernd und brandschatzend in Orten, die sie erobern, vor. Statt ausreichender Bezahlung erhalten ihre Truppen die Lizenz zum Plündern. Zudem setzen die RSF flächendeckend sexuelle Gewalt ein, zerstören landwirtschaftliche Geräte und rauben Warenhäuser aus, was die Nahrungsmittelversorgung extrem gefährdet. Im Lager Zam-Zam töteten RSF-Einheiten vor der Einnahme das letzte verbliebene medizinische Personal, das der NGO Refugees International angehörte.
Bei Angriffen der RSF im Juni und November 2023 sollen laut einem UN-Expertengremium 10.000 bis 15.000 Menschen allein in El Geneina, der Landeshauptstadt West-Darfurs, getötet worden sein. In der Folge dieser Angriffe floh ein Großteil der Gemeinschaft der Masalit über die Grenze nach Tschad – ihre Vertreibung war offensichtlich ein Ziel der RSF. Das US State Department stufte das Vorgehen der RSF formell als Völkermord ein.
Die Kriegsparteien profitieren auch von massiver externer Unterstützung, und zwar von militärischer, logistischer, finanzieller und politischer. Die RSF werden primär von den VAE unterstützt, wobei Tschad, Südsudan, Uganda, Kenia und die somalische Region Puntland ihren jeweiligen Beitrag leisten. Die SAF arbeiten vor allem mit Ägypten, Russland, der Türkei, Eritrea und Iran zusammen.
Die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung geht indes nicht nur von den RSF und den SAF aus. Hatte der Krieg als Krieg zwischen diesen Militäreinheiten begonnen, hat er sich mittlerweile auf Teile der Gesellschaft ausgebreitet. Beide Seiten verwenden ethnisch konnotierte Rhetorik zur Mobilisierung und Rekrutierung. Einheiten werden auf tribaler Basis angeworben; sie sehen den Kampf teilweise als Gelegenheit, ihre jeweils eigenen Ziele gegenüber verfeindeten Gruppen umzusetzen.
Geschehnisse im Bundesstaat Al-Jazeera veranschaulichen die Komplexität der Gewalt: Die RSF kontrollierten den zentralsudanesischen Bundesstaat, in den sich viele Menschen auch aus Khartum geflüchtet hatten, etwa zwischen Dezember 2023 und Januar 2025. Eine wesentliche Rolle spielte dabei eine Miliz, die Sudan Shield Forces unter der Führung von Abu Aqla Kikel, einem ehemaligen SAF-Offizier. Unter seiner Führung eroberten die RSF die Hauptstadt des Bundesstaates, Wad Madani. Im Oktober 2024 lief Kikel jedoch wieder zur Armee über und sicherte ihr die Rückeroberung des Bundesstaates wenige Monate später.
Bewaffnete Konflikte hatten Al-Jazeera in der Vergangenheit nicht berührt. Dort befand sich die wichtigste Kornkammer des Landes. In früheren Jahrzehnten waren Saisonarbeiter aus anderen Teilen des Landes und aus dem heutigen Südsudan dorthin gekommen. Sie ließen sich dort nieder und waren als »Kanabi« bekannt. Viele von ihnen wohnten in Lagern außerhalb von Dörfern der einheimischen Bevölkerung. Der Staat hatte diese Lager nicht mit öffentlichen Leistungen wie Schulen und Gesundheitszentren ausgestattet, die es in den etablierten Dörfern gab. Die RSF wussten die sich daraus ergebenden latenten Spannungen zu nutzen, indem sie die Sprache der Entrechteten verwendeten. Allerdings kamen viele Kanabi aus »afrikanisch« gelesenen Volksgruppen aus dem Westen des Landes und wurden weder von den RSF noch von den Shield Forces gleichbehandelt, wie eine Frauenrechtlerin aus Al-Jazeera schilderte. Die RSF griffen Dörfer an, denen sie eine Nähe zu Kikel unterstellten, nachdem er wieder zur Armee gewechselt hatte. Umgekehrt griffen Shield Forces die Kanabi an, nachdem sie Wad Madani Anfang 2025 für die Armee zurückerobert hatten.
Zwar kehren viele Vertriebene mittlerweile zurück nach Al-Jazeera, aber das Verhältnis zu anderen Volksgruppen und das Vertrauen, dass der Staat das Volk beschützt, sind stark beschädigt. So ist die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung auch eine Folge der Praxis, Gewalt an Milizen auszulagern, und eines ausbeuterischen Staates, wie ihn Sudan seit Jahrzehnten kennt.
Rufe nach internationalem Schutz
Auf internationaler Ebene wird die massive Gewalt gegen die Zivilbevölkerung in Sudan immer wieder thematisiert. Sowohl der UN-Sicherheitsrat als auch der Friedens- und Sicherheitsrat der Afrikanischen Union (AU) nahmen das Thema 2024 auf, konnten sich aber nicht zu effektiven Maßnahmen durchringen. Im Juni 2024 rief der UN-Sicherheitsrat alle Kriegsparteien in einer Resolution dazu auf, die Zivilbevölkerung zu schützen, und forderte die RSF auf, ihre Belagerung von El-Fasher, der Hauptstadt Nord-Darfurs, zu beenden. Ende Oktober 2024 legte UN-Generalsekretär António Guterres einen Bericht zum Schutz von Zivilpersonen in Sudan vor, der jedoch kaum Maßnahmen enthielt, die der UN-Sicherheitsrat selbst ergreifen konnte. Ein Resolutionsentwurf Großbritanniens und Sierra Leones scheiterte im November 2024 am Veto Russlands; er hätte den Generalsekretär beauftragt, zusammen mit den Kriegsparteien einen Mechanismus zur Umsetzung ihrer bisherigen Selbstverpflichtungen zu erarbeiten.
Bereits am 11. Mai 2023, also kurz nach Kriegsbeginn, hatten sich die SAF und die RSF nach Vermittlung der USA und Saudi-Arabiens auf die Erklärung von Dschidda zum Schutz der Zivilbevölkerung geeinigt. Sie listet detailliert existierende Verpflichtungen auf, die sich aus dem humanitären Völkerrecht und den internationalen Menschenrechten ergeben. Diese Erklärung bleibt eines der wenigen gemeinsamen Referenzdokumente zum Schutz der Zivilbevölkerung in Sudan. Allerdings enthält sie keinen Mechanismus, um die Einhaltung dieser Verpflichtungen zu beobachten, Vorfälle zu überprüfen und Verstöße zu ahnden. Die USA übten 2024 erheblichen Druck auf die Kriegsparteien aus und sanktionierten zunehmend hochrangige Führungsmitglieder, bis hin zu RSF-Führer Dagalo und SAF-Führer Abdelfattah al-Burhan. Ihr Druck scheint die RSF-Angriffe auf El-Fasher zeitweise reduziert zu haben.
Die Europäische Union (EU) setzt sich für eine Vereinbarung zwischen den Kriegsparteien zum Schutz ziviler Infrastruktur ein. Diese soll explizit als Einstieg für weitere Gespräche dienen. Angesichts der massiven Angriffe auf Märkte, Krankenhäuser und Kraftwerke ist es bisher aber zu keiner Einigung gekommen.
Internationale Aufmerksamkeit erfuhr die Idee einer militärischen bzw. zivil-militärischen Mission zum Schutz der Zivilbevölkerung. Die US-Administration unter Joe Biden befeuerte die Diskussion über eine Mission afrikanischer Staaten bzw. der Afrikanischen Union – allein der Vorschlag stieß bei diesen auf wenig Widerhall. Vertreter der Intergovernmental Authority on Development (IGAD) sprachen von einer Einsatztruppe von bis zu 4.500 Soldaten, um die Umsetzung der Erklärung von Dschidda zu überwachen. Die UN-Untersuchungskommission zu Sudan forderte eine Schutzmission, ebenso die damalige zivile sudanesische Koalition Taqaddum, deren Vorsitzender Abdallah Hamdok zudem eine Flugverbotszone sowie Sicherheitszonen verlangte, die nach und nach aufwachsen sollten.
Diese Forderungen trafen jedoch auf die strikte Ablehnung der Konfliktparteien. Darüber hinaus kamen praktische Probleme kaum zur Sprache, etwa wie die Aufstellung einer hohen Zahl von Truppen gelingen könnte, um die wichtigsten Kampfgebiete abzusichern, und wie eine solche Mission finanziert werden könnte. Bereits bei der gemeinsamen Mission von UN und AU in Darfur (UNAMID), die Ende 2020 abgezogen wurde, behinderten die Sicherheitskräfte aktive Schutzmaßnahmen der Mission. Ohne Zustimmung der Konfliktparteien und ohne Waffenstillstand würde eine neue militärische Mission in Sudan bedeuten, in den Krieg einzutreten. Dazu scheint bislang niemand bereit zu sein.
Lokale Schutzmaßnahmen
Sudanesische Akteure bringen sich auf lokaler Ebene ein, um Bevölkerungsteile zu schützen. Gerade zu Anfang des Krieges gab es eine ganze Reihe von erfolgreichen Bemühungen um lokale Waffenstillstände, nicht zuletzt mit dem Hinweis, dass der entscheidende Kampf im Zentrum stattfinde und nicht in einer Provinzhauptstadt entschieden würde.
Am bekanntesten – und langanhaltendsten – waren die Anstrengungen des Elders and Mediation Committees in El-Fasher, der Hauptstadt des Bundesstaates Nord-Darfur. Hochrangige und engagierte Bürger:innen der Stadt ergriffen bereits am dritten Tag des Krieges gemeinsam die Initiative, sich zumindest um die ordnungsgemäße und zügige Beerdigung der Leichen zu kümmern. Sie einigten sich schnell mit den lokalen Vertretern von SAF und RSF auf einen Waffenstillstand sowie auf den Einsatz von Polizeikräften zwischen ihren jeweiligen Gebieten in der Stadt. Das Komitee überwachte den Waffenstillstand, klärte die Bewegung der Angehörigen der Truppen und etwaige Störfälle. Dazu konnte es auf einer langen Tradition kollektiver Konfliktbearbeitung aufbauen, ferner auf seinen Beziehungen und seinem Sozialkapital gegenüber den lokalen Kommandeuren und der Bevölkerung. Der Gouverneur von Nord-Darfur unterstützte die Initiative. Einige Monate später integrierte das Komitee auch Vertreter bewaffneter Gruppen aus Darfur, deren Führer zwar Regierungspositionen innehatten (in einer Regierung, die von den SAF kontrolliert wurde), aber sich zu dem Zeitpunkt militärisch noch neutral verhielten.
Ähnliche Bemühungen gab es auch in anderen Städten, beispielsweise in Ed-Daen, der Hauptstadt Ost-Darfurs, wo sich insbesondere Händler für Frieden einsetzten, um den Zugang zum Markt zu behalten, oder in An-Nuhud in West-Kordofan. Das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) Sudan hat zu diesen lokalen Friedensbemühungen eine Studie in Auftrag gegeben, die dem Autor vorliegt und demnächst veröffentlicht werden soll.
Eine zentrale Lehre dieser aufschlussreichen Studie ist, dass in Sudan Schutz- und Friedensbemühungen auf lokaler Ebene stets von den gesellschaftlichen Strukturen vor Ort ausgingen. Oft waren dies traditionelle Autoritäten und religiöse Führer, die teilweise mit Rechtsanwälten, Händlern oder jungen Aktivisten zusammenarbeiteten. Humanitäre Verhandlungen konnten oft als Einfallstor für weitere Gespräche dienen: Aus Verhandlungen über medizinischen Zugang oder die Bestattung von Kriegsopfern entwickelte sich ein Dialog mit den Konfliktparteien, der die Situation der Zivilbevölkerung insgesamt verbesserte. Dies zeige, so die Studie, wie wichtig der Friedensaspekt im dreifachen Nexus von humanitärer Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedenskonsolidierung sei. Von wesentlicher Bedeutung sei außerdem gewesen, dass die lokalen Friedensbemühungen alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen vor Ort berührten und einschlossen, solange dies deren Unparteilichkeit nicht gefährdete.
Gleichwohl wiesen alle untersuchten Initiativen auch erhebliche Schwächen auf, wie sie aus anderen Kontexten ebenfalls bekannt sind (siehe unten). Eine weitere Erkenntnis aus der Studie ist, dass Gebiete, die eine längere Erfahrung mit bewaffneten Konflikten hatten, oft besser auf Verhandlungen mit marodierenden Banden und Milizen eingestellt waren als die Bevölkerung in Landesteilen, die jahrzehntelang von Kämpfen verschont geblieben waren.
Dennoch ist Schutz nicht mit Friedensmaßnahmen gleichzusetzen. Auch ohne Waffenstillstand ergreifen Menschen für sich und die Engsten um sich herum Maßnahmen, um sich zu schützen. Die wichtigste ist Flucht. In Sudan ereignet sich die derzeit größte Vertreibungskrise der Welt. Innerhalb des Landes (oder in andere Länder) fliehen Menschen nicht nur vor den unmittelbaren Kriegshandlungen, sondern auch wegen der Gefahr von Übergriffen durch die bewaffneten Akteure sowie vor Hunger und weil die Nahrungsmittelproduktion und die Grundversorgung zusammengebrochen sind.
Die Bevölkerungsbewegungen sind nicht zuletzt von strategischer Bedeutung für die Konfliktparteien: Wenn eine Kriegspartei eine Gegend erobert und in der Folge hält, macht es für ihre Legitimität einen großen Unterschied, ob die Zivilbevölkerung flieht, bleibt oder sogar zurückkehrt. Immer wieder hatten Zivilpersonen auf den Schutz der Armee gehofft, die sich dann jedoch vor den RSF zurückzog.
Selbst zu den Waffen greifen
Einige Menschen in Sudan wollen nicht weglaufen, sondern sich der Gefahr für sich und ihre Gemeinschaften entgegenstellen. Sie treten der Armee, den RSF oder einer der zahlreichen Milizen, bewaffneten Gruppen und Selbstverteidigungseinheiten bei. Natürlich dient die flächendeckende Rekrutierung den jeweiligen strategischen Zielen der kriegführenden Parteien. Oft bestehen wenig andere Verdienstmöglichkeiten für junge Männer, insbesondere in Gebieten, in denen die Wirtschaft massiv beschädigt ist. Zudem gibt es Berichte von Zwangsrekrutierungen und dem Einsatz Minderjähriger. Für einige spielt aber auch die Motivation, sich und andere zu schützen, eine Rolle.
Laut einem durchgesickerten internen Bericht der Sudanesischen Islamischen Bewegung sollen allein im ersten Kriegsjahr über 650.000 Menschen »mobilisiert« und mehr als 2200 Trainingslager eingerichtet worden sein. Diese Zahlen beziehen sich auf die Gebiete unter der Kontrolle der Armee.
Bewaffnete Gruppen aus Darfur haben sich zeitweise für den Schutz von humanitären Lieferungen, Fluchtbewegungen und Teilen der Zivilbevölkerung eingesetzt. Als diese bewaffneten Gruppen jedoch zunehmend unter Beschuss durch die RSF kamen, beendeten sie ihre Unparteilichkeit und erklärten im November 2023 ihre militärische Unterstützung der Armee. Im Januar 2025 gründeten die Sudan Liberation Army (SLA-AW) unter Abdel Wahid al-Nur und die Gathering of Sudan Liberation Forces (GSLF) unter Tahir Hajar eine sogenannte »neutral protection force«, die ebenfalls Lieferungen ziviler Güter schützen sollte, aber ihrerseits unter Beschuss der RSF geriet. Zudem stellte die Allianz der GSLF mit den RSF ab Februar 2025 die Unparteilichkeit dieser Schutztruppe in Frage.
Humanitärer Schutz
Schutz ist eine Kernaufgabe der humanitären Hilfe. Gleichwohl ist unter humanitären Akteuren umstritten, welche Maßnahmen genau zu humanitärem Schutz gehören. Die allgemein akzeptierte Definition von humanitärem Schutz, wie sie das Inter-Agency Standing Committee (IASC) festgelegt hat, ist auf Anhieb nicht leicht zu fassen. Ihre Kernaussage lautet, dass humanitäre Akteure mindestens in der eigenen Nothilfe-Arbeit sicherstellen sollen, vulnerable Gruppen zu schützen und den zivilen Status der Bevölkerung zu achten.
Auf lokaler Ebene üben in Sudan Netzwerke gegenseitiger Hilfe, die Emergency Response Rooms (ERRs), auch Schutzfunktionen aus. Bekannt sind die ERRs, von denen es Hunderte im ganzen Land gibt, vor allem für ihre Suppenküchen, mit denen sie die Nahrungsversorgung von Nachbarschaften vornehmlich in Gebieten gewährleisten, die für internationale Akteure kaum zugänglich sind. Die ERRs basieren auf dem sudanesischen Konzept Nafeer, einer traditionellen Praxis der gegenseitigen Unterstützung in der Gemeinschaft. Die regelmäßigen gemeinsamen Aktivitäten von Menschen unterschiedlicher Herkunft tragen zum sozialen Zusammenhalt bei und trotzen damit ein Stück weit der Polarisierung durch den Krieg.
Die ERRs gehen jedoch noch weiter. In Khartum unterhalten sie beispielsweise sichere Räume für Frauen und für Kinder, zudem bieten sie psychosoziale Unterstützung für die vielen traumatisierten Menschen an. Schließlich unterstützen die Schutzkomitees der ERRs Betroffene dabei, sich aus stark gefährdeten Gebieten in andere Landesteile zu bewegen. Dazu führen sie eigene Risikoeinschätzungen durch, um die Evakuierung besonders gefährdeter Personen zu priorisieren. Außerdem bringen sie ständig in Erfahrung, welche Routen gerade sicher und zugänglich sind. Eigener Aussage zufolge haben die ERRs seit Kriegsbeginn rund 200.000 Menschen allein aus der Hauptstadtregion bei der Umsiedlung geholfen.
Mittlerweile gibt es in Sudan eine landesweite Struktur für die Koordinierung von gegenseitiger humanitärer Hilfe, den Localization Coordination Council. An ihm beteiligen sich ERRs aus 13 (von insgesamt 18) Bundesstaaten, neun nationale NGOs sowie, als Beobachter, sechs internationale NGOs. Der Council half zum Beispiel Freiwilligen in Al-Jazeera, nach der Einnahme des Bundesstaates durch die RSF ERRs einzurichten und Menschen zu evakuieren.
Internationale Hilfsorganisationen, NGOs sowie diejenigen der UN, unterstützen die ERRs und können auch durch eigene Maßnahmen den Schutz vulnerabler Gruppen in Sudan verbessern. Die Präsenz internationaler Organisationen in der Fläche kann grundsätzlich dazu beitragen, eine diskriminierungsfreie Verteilung und Organisation von Hilfe sicherzustellen. Allerdings erlauben die Behörden in Port Sudan den Vereinten Nationen bisher nicht, dauerhafte Standorte in den von den RSF beherrschten Gebieten im Westen zu unterhalten, weshalb internationale Hilfsorganisationen nur zeitweise in diese Gebiete kommen. Erschwert wird ihre Arbeit durch die sehr hohen bürokratischen, logistischen, finanziellen und Sicherheitsherausforderungen. Es kann Wochen dauern, bis LKWs von der tschadischen Grenze oder von Port Sudan in Teilen Darfurs ankommen. Der erste UN-Konvoi aus Port Sudan nach El-Fasher seit einem Jahr wurde im Juni 2025 bei Al-Koma bombardiert, fünf humanitäre Helfer starben.
Hochrangige humanitäre Diplomatie der UN konnte im August 2024 erreichen, dass der Grenzübergang zu Tschad in Adré wieder geöffnet wurde und seitdem offen geblieben ist. Die bürokratischen Hindernisse der Humanitarian Aid Commission (HAC) auf der Seite der SAF und der Sudan Agency for Relief and Humanitarian Operations (SARHO) auf der Seite der RSF behindern die Arbeit der internationalen Hilfsorganisationen indes massiv. Am Boden verdienen bewaffnete Milizen durch zahlreiche Checkpoints an jedem Fahrzeug.
Dort, wo die Hilfsorganisationen bereits seit längerem aktiv sind, können sie lokale Schutznetzwerke unterstützen, von denen viele vor dem Krieg aufgebaut worden sind. So gab es in allen Bundesstaaten Darfurs Schutzkomitees, die sowohl zivile als auch lokale Sicherheitsbehörden mit Vertretern der Zivilbevölkerung zusammenbrachten. Allerdings nahmen bereits damals die Sicherheitskräfte nicht immer an Treffen teil oder zeigten kein Interesse an Absprachen. Einige Netzwerke zum Schutz von Frauen oder zur Klärung regelmäßiger Spannungen zwischen Bauern und Hirten sind lokal verankert und weiterhin funktionsfähig.
Schließlich ist der Zugang zu Telekommunikationsdienstleistungen wichtig, damit Menschen sich informieren und sich austauschen können, um eigene Entscheidungen zu ihrem Schutz zu treffen. In den Gebieten, die von den RSF kontrolliert werden, ist kein Handynetz verfügbar, weil die Behörden in Port Sudan den sudanesischen Mobilfunkunternehmen verboten haben, dort zu operieren. Stattdessen nutzen Menschen geschmuggelte Starlink-Terminals, wobei der Zugang zu ihnen teuer ist und in der Regel von den RSF bzw. ihnen nahestehenden Personen kontrolliert wird. Der Zusammenbruch der Stromversorgung, die mangelnde Verfügbarkeit von Bargeld und die hohen Lebenserhaltungskosten erschweren den Mobilfunk überall in Sudan, ganz abgesehen von den durch den Krieg verursachten Schäden an der Telekommunikationsinfrastruktur, nicht zuletzt im Raum Khartum.
Risiken von und Erfahrungen mit Schutzmaßnahmen
Im Hintergrund vieler politischer Forderungen zum Schutz der Zivilbevölkerung steht oft die Idee von Schutzzonen, die wahlweise geschützt oder beobachtet werden: von einer internationalen Mission (zivil oder auch militärisch), durch Absprachen mit den Konfliktparteien, die Präsenz humanitärer Akteure oder durch Fernbeobachtung mit Satelliten und anderen Methoden. In diesen Zonen, so ein Vorschlag, sollten humanitäre Partner Hilfe anbieten und lokale Verwaltungen die Grundversorgung sichern.
Die Erfahrung mit lokalen Waffenstillständen wie in El-Fasher zeigt die enormen Schwierigkeiten eines solchen Ansatzes. Alle lokalen Waffenstillstände sind früher oder später zusammengebrochen. Selbst wenn es Abmachungen mit den lokalen Kommandeuren der Konfliktparteien gab, drangen die jeweiligen Führungen auf nationaler Ebene auf militärische Operationen. Umgekehrt erschwert die mangelnde Befehlskontrolle der Konfliktparteien lokale Absprachen. Während durch solche Absprachen die Gewalt in einer Region nachlassen kann, erlaubt dies den Konfliktparteien, ihre Offensiven anderswo zu intensivieren. Als etwa die RSF in den Bundesstaat Sennar vordrangen, nahm die Gewalt in dem vorher besetzten Bundesstaat Al-Jazeera ab, weil die Truppen mit der Offensive in Sennar beschäftigt waren.
Die Konzentration der Zivilbevölkerung in Schutzzonen als mutmaßlich sicheren Orten, an denen sie vielleicht auch besseren Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, kann überdies der Strategie der Konfliktparteien nutzen: sei es, Bevölkerungsteile zu vertreiben, sei es, diese unter die eigene Kontrolle zu bringen und damit die eigene Legitimität zu erhöhen. Wenn es dann doch zu Angriffen kommt, wie in Wad Madani im Dezember 2023, in das Hunderttausende aus Khartum geflohen waren, oder in El-Fasher im Mai 2024, sind Vertriebene besonders gefährdet, weil sie kaum noch eigene Ressourcen oder nur wenig Verbindungen vor Ort haben. Schutzzonen explizit auszurufen, sollte daher mit einer umfassenden lokalen Konfliktanalyse einhergehen.
Ansatzpunkte für internationale Akteure
Alle Bemühungen für den Schutz der Zivilbevölkerung in Sudan können nur hilfsweise wirken, solange der Krieg andauert. Gleichwohl gibt es durchaus Möglichkeiten, zivile Schutzmaßnahmen von außen zu stärken, ohne dass ein Waffenstillstand besteht. Angesichts der fragmentierten Konfliktakteure und der polarisierten Gesellschaft könnte ein Waffenstillstand sogar zu einer eigenen Welle von Massenverbrechen führen, wenn er nicht von solchen vorbeugenden Maßnahmen begleitet wird.
Sudanesische Akteure haben selbst Unterstützungsbedarf identifiziert. Weiterbildung und Trainings für lokale Mediator:innen zählen ebenso dazu wie die finanzielle Unterstützung von ERRs. Das UNDP könnte bereits vorhandene regionale Mediationsnetzwerke ausbauen und eine nationale Koordinationsplattform schaffen, wie die von UNDP Sudan in Auftrag gegebene Studie empfiehlt. Zentral ist internationale Unterstützung beim Aufbau lokaler Beobachtungs- und Verifikationsmechanismen zu etwaigen lokalen Vereinbarungen, auch in Form digitaler Plattformen. Die ERRs mit ihren lokalen Netzwerken verfügen über bedeutsame Erfahrungen und bieten sich als Kooperationspartner an.
Sudanesische Medienplattformen brauchen Unterstützung und können dabei helfen, Desinformation und diskriminierende Sprache zu bekämpfen. UN-Mitgliedstaaten können darüber hinaus sowohl nationale Menschenrechtsorganisationen als auch weiterhin die UN-Untersuchungskommission zu Sudan unterstützen.
Nichtstaatliche Organisationen leisten ebenfalls einen wichtigen Beitrag und benötigen internationale Unterstützung. Geneva Call organisiert Fortbildungen und Workshops mit bewaffneten Akteuren in Sudan. Nonviolent Peaceforce hat bis heute ein Team in Sudan, das die dortige Zivilbevölkerung dabei unterstützt, mit den Kriegsparteien zu Themen des täglichen Überlebens zu verhandeln, sowie bei der Frühwarnung vor erneuten Angriffen und möglicher Vertreibung hilft.
Die Bundesregierung sollte sich mit Nachdruck gegenüber den Konfliktparteien dafür einsetzen, dass internationale Hilfsorganisationen einen dauerhaften Zugang erhalten und permanent im ganzen Land präsent sein können, das heißt auch in von den RSF kontrollierten Gebieten. Außerdem sollte humanitäre Hilfe stärker dezentralisiert werden.
Besonders brutale Angriffe auf die Zivilbevölkerung wie die Übernahme des Vertriebenenlagers Zam-Zam durch die RSF oder die Bombardierung von Märkten durch die SAF sollte die Bundesregierung öffentlich und explizit anprangern. Die EU sollte weitere Sanktionen sowohl gegen die sudanesischen Verantwortlichen dieser Menschenrechtsverletzungen als auch gegen ihre internationalen Unterstützer verhängen. Berichte über ausländische Söldner, die über europäische Flughäfen wie Paris und Madrid einreisen, und emiratische Unternehmen, die diese Söldner zusammen mit Waffen – auch aus europäischer Produktion – über Libyen nach Sudan bringen, belegen den Handlungsbedarf.
Trotz der verfahrenen Lage in dem Konflikt gibt es somit zahlreiche Ansatzpunkte für Deutschland und seine europäischen Partner, zum Schutz der Zivilbevölkerung in Sudan beizutragen.
Dr. Gerrit Kurtz ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten. Er dankt allen Gesprächspartner:innen in Nairobi, Kampala und online (auch in Sudan) sowie Wibke Hansen und Judith Vorrath für hilfreiche Kommentare.
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DOI: 10.18449/2025A31