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Der Schutz der Zivilbevölkerung in Sudan

Auch ohne Waffenstillstand gibt es Ansatzpunkte, die massive Gewalt gegen die Zivilbevölkerung einzudämmen

SWP-Aktuell 2025/A 31, 01.07.2025, 8 Seiten

doi:10.18449/2025A31

Forschungsgebiete

Der Krieg in Sudan, der am 15. April 2023 zwischen den Sudanesischen Streitkräften (SAF) und den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) ausgebrochen ist, hat die größte humanitäre Krise der Welt ausgelöst. Zivilist:innen werden von den krieg­führenden Parteien direkt angegriffen. Die Gewaltakteure zerstören zivile Infrastruktur und blockieren humanitäre Hilfe – dies ist Teil ihrer Kriegsstrategie. Einige gehen überdies gezielt gegen Angehörige einzelner Identitätsgruppen vor, auch auf ethni­scher Basis. Gleichzeitig nehmen die Konfliktparteien für sich in Anspruch, die Zivil­bevölkerung zu schützen. Internationale Bemühungen, die Zivilbevölkerung als solche oder besonders vulnerable Gruppen wirklich zu schützen, blieben bisher ohne durchschlagenden Erfolg. Rufe nach einer militärischen Intervention haben in der aktuellen Weltlage wenig Aussicht auf Erfolg. Tatsächlich verdienen die Bemühungen engagierter sudanesischer Bürger:innen, sich und andere um sich herum zu schützen, mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung. Schutzanstrengungen können dazu bei­tragen, das Leid der Zivilbevölkerung zu mindern, auch wenn ein Ende des Krieges außer Reichweite bleibt.

Am Sonntag, dem 13. April 2025, nahmen die RSF das Vertriebenenlager Zam-Zam in Nord-Darfur ein. Bis dahin war es das größte Lager für Binnenvertriebene in Sudan, mit mindestens einer halben Million Menschen. Einige von ihnen lebten dort seit über zwan­zig Jahren, seit der Zeit, als sie vor den Vorgängern der RSF geflohen waren. In der Folge der Einnahme durch die RSF ver­ließen laut den Ver­einten Nationen (UN) in nur zwei Tagen rund 400.000 Menschen fluchtartig das Lager, und mehr als 400 Zivilist:innen wurden in dem Lager oder in der Nähe getötet. Ein Überlebender berich­tete der Nachrichtenagentur Reuters, dass die RSF 14 Menschen aus der Nähe getötet hätten, die sich zum Schutz in eine Moschee gerettet zu haben glaubten. Mohammed, ein anderer Über­lebender, äußerte in einem Online-Pressegespräch, die RSF hätten die Bewohner als »Sklaven« be­zeich­net. Er er­zählte, bewaff­nete junge Men­schen aus dem Camp hätten den RSF so lange noch Wider­stand geleistet, bis ihre Muni­tion alle war. »Ohne sie wären deutlich mehr Menschen getötet worden«, meinte er.

Umgekehrt sprachen die RSF auf ihrem offiziellen Telegram-Kanal davon, dass sie die Menschen in Zam-Zam vor den »Söld­nern« in der »Militärbasis« gerettet hätten. Abdelrahim Hamdan Dagalo, stellvertreten­der Führer der RSF, war selbst vor Ort und habe die »Sicherung« des Lagers angeordnet, so die RSF. Ihr Führer Mohammed Hamdan Dagalo, Abdelrahims Bruder, ver­kündete zwei Tage nach der Einnahme des Lagers in einer Rede die Bildung einer Regie­rung für »Frie­den und Einheit«. Diese Regierung solle allen Sudanes:innen die­nen, besonders denen, die »sich jemals ver­gessen, an den Rand gedrängt oder aus­geschlossen gefühlt« hätten, sagte RSF-Führer Dagalo, der auch Hemedti genannt wird.

Bei der Sudan-Konferenz in London am 15. April 2025, dem gleichen Tag, an dem Hemedti besagte Rede hielt, konnten sich die anwesenden Staaten und internationalen Organisationen nicht auf eine gemeinsame Ab­schluss­erklärung einigen. Ägypten und Saudi-Arabien, beide Unterstützer der SAF, und die Vereinigten Ara­bischen Emi­rate (VAE), Unterstützer der RSF, konnten eine Einigung blockieren. Weniger als ein Sechstel der benötigten internationalen Hilfe für Sudan und die Nachbarstaaten wurde bei der Konferenz zugesagt.

Der Schutz der sudanesischen Zivilbevölke­rung ist längst politisiert worden. Alle Kon­fliktparteien nehmen für sich in An­spruch, nicht nur im Interesse der Zivilbevöl­kerung zu kämpfen, sondern spezifische Maß­nah­men zu er­greifen, um sie vor Gewalt zu schüt­zen. Dieser Anspruch steht im krassen Gegensatz zu ihrem tatsächlichen Verhalten.

Zivilpersonen als Ziel

Gewalt gegen die Zivilbevölkerung ist kein bloßes Nebenprodukt der Kriegsführung in Sudan, sie ist integraler Teil des Vorgehens der kriegführenden Parteien und ihrer je­wei­ligen Verbündeten. Sowohl die Verein­ten Nationen als auch nationale und inter­nationale Nichtregierungsorganisationen (NGOs) haben zahlreiche detaillierte Berichte zur Menschenrechtslage in Sudan vorgelegt. Gleichzeitig bedeuten die Schwierigkeiten des Zugangs zu bestimmten Regionen und der teilweise stark eingeschränkte Internet- und Telefon­verkehr, dass viele Vorfälle wahrscheinlich nicht in der Bericht­erstat­tung auftauchen. Daher gibt es auch keine ge­nauen Zahlen, wie viele Menschen bereits in dem Krieg gestor­ben sind. Mitt­ler­weile ist aber von einer sechs­stelligen Zahl direk­ter und indirek­ter Opfer aus­zugehen.

Gefahr für die Zivilbevölkerung besteht zuallererst aufgrund der Art des militärischen Vor­gehens: Beim Einsatz von Artille­rie, Fassbomben oder anderen Explosiv­waffen in Städten differenzieren die Kriegs­parteien nicht ausreichend zwischen Kom­battanten und Nichtkombattanten. Die RSF beschießen Krankenhäuser mit Artillerie sowie Kraft­werke und andere zivile Infra­struktur mit Drohnen; die Armee beschießt Schulen, Märkte und Wohngebiete. Beide Parteien verhaften, foltern oder töten huma­nitäres Personal, Freiwillige und Menschenrechtsverteidiger, denen sie eine Koopera­tion mit der jeweils anderen Seite vorwerfen. Zu diesen Ergebnissen kommt die vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzte Unter­suchungs­kommission zu Sudan.

Die RSF gehen plündernd und brandschatzend in Orten, die sie erobern, vor. Statt ausreichender Bezahlung erhalten ihre Truppen die Lizenz zum Plündern. Zudem setzen die RSF flächendeckend sexu­elle Gewalt ein, zerstören landwirtschaft­liche Geräte und rauben Warenhäuser aus, was die Nahrungsmittelversorgung extrem gefähr­det. Im Lager Zam-Zam töteten RSF-Einhei­ten vor der Einnahme das letzte ver­bliebene medizinische Personal, das der NGO Refugees International angehörte.

Bei Angriffen der RSF im Juni und Novem­ber 2023 sollen laut einem UN-Experten­gremium 10.000 bis 15.000 Menschen allein in El Geneina, der Landeshauptstadt West-Darfurs, getötet worden sein. In der Folge dieser Angriffe floh ein Großteil der Gemeinschaft der Masalit über die Grenze nach Tschad – ihre Vertreibung war offen­sichtlich ein Ziel der RSF. Das US State Department stufte das Vor­gehen der RSF formell als Völkermord ein.

Die Kriegsparteien profitieren auch von massiver externer Unter­stützung, und zwar von militärischer, logistischer, finan­zieller und politischer. Die RSF werden primär von den VAE unter­stützt, wobei Tschad, Süd­sudan, Uganda, Kenia und die somalische Region Puntland ihren jeweiligen Beitrag leisten. Die SAF arbeiten vor allem mit Ägypten, Russ­land, der Türkei, Eritrea und Iran zusammen.

Die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung geht indes nicht nur von den RSF und den SAF aus. Hatte der Krieg als Krieg zwischen diesen Militäreinheiten begonnen, hat er sich mittlerweile auf Teile der Gesellschaft ausgebreitet. Beide Seiten verwenden eth­nisch konnotierte Rhetorik zur Mobilisierung und Rekrutierung. Einheiten werden auf tribaler Basis angeworben; sie sehen den Kampf teilweise als Gelegenheit, ihre jeweils eigenen Ziele gegenüber verfeindeten Gruppen umzusetzen.

Geschehnisse im Bundesstaat Al-Jazeera veranschaulichen die Komplexität der Gewalt: Die RSF kontrollierten den zentral­sudanesischen Bundesstaat, in den sich viele Menschen auch aus Khartum geflüch­tet hatten, etwa zwischen Dezember 2023 und Januar 2025. Eine wesentliche Rolle spielte dabei eine Miliz, die Sudan Shield Forces unter der Führung von Abu Aqla Kikel, einem ehemaligen SAF-Offizier. Unter seiner Führung eroberten die RSF die Haupt­stadt des Bundesstaates, Wad Madani. Im Okto­ber 2024 lief Kikel jedoch wieder zur Armee über und sicherte ihr die Rück­erobe­rung des Bundesstaates wenige Monate später.

Bewaffnete Konflikte hatten Al-Jazeera in der Vergangenheit nicht berührt. Dort be­fand sich die wichtigste Kornkammer des Landes. In früheren Jahrzehnten waren Saison­arbeiter aus anderen Teilen des Landes und aus dem heutigen Südsudan dorthin ge­kom­men. Sie ließen sich dort nieder und waren als »Kanabi« bekannt. Viele von ihnen wohn­ten in Lagern außer­halb von Dörfern der ein­heimischen Bevöl­kerung. Der Staat hatte diese Lager nicht mit öffent­lichen Leis­tun­gen wie Schulen und Gesund­heitszentren ausgestattet, die es in den etablierten Dörfern gab. Die RSF wussten die sich dar­aus ergebenden laten­ten Span­nungen zu nutzen, indem sie die Sprache der Entrechteten verwendeten. Allerdings kamen viele Kanabi aus »afrika­nisch« ge­lesenen Volks­gruppen aus dem Westen des Landes und wurden weder von den RSF noch von den Shield Forces gleich­behandelt, wie eine Frauenrechtlerin aus Al-Jazeera schilderte. Die RSF griffen Dörfer an, denen sie eine Nähe zu Kikel unterstellten, nach­dem er wieder zur Armee gewech­selt hatte. Umge­kehrt griffen Shield Forces die Kanabi an, nachdem sie Wad Madani Anfang 2025 für die Armee zurückerobert hatten.

Zwar kehren viele Vertriebene mittlerweile zurück nach Al-Jazeera, aber das Ver­hältnis zu anderen Volksgruppen und das Vertrauen, dass der Staat das Volk beschützt, sind stark beschädigt. So ist die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung auch eine Folge der Praxis, Gewalt an Milizen auszulagern, und eines ausbeuterischen Staates, wie ihn Sudan seit Jahrzehnten kennt.

Rufe nach internationalem Schutz

Auf internationaler Ebene wird die massive Gewalt gegen die Zivilbevölkerung in Sudan immer wieder thematisiert. Sowohl der UN-Sicherheitsrat als auch der Friedens- und Sicherheitsrat der Afrikanischen Union (AU) nahmen das Thema 2024 auf, konnten sich aber nicht zu effek­tiven Maßnahmen durch­ringen. Im Juni 2024 rief der UN-Sicher­heits­rat alle Kriegs­parteien in einer Resolution dazu auf, die Zivilbevölkerung zu schützen, und forderte die RSF auf, ihre Belagerung von El-Fasher, der Hauptstadt Nord-Darfurs, zu beenden. Ende Oktober 2024 legte UN-Generalsekretär António Guterres einen Bericht zum Schutz von Zivi­lpersonen in Sudan vor, der jedoch kaum Maßnahmen enthielt, die der UN-Sicher­heitsrat selbst ergreifen konnte. Ein Resolutionsentwurf Großbritanniens und Sierra Leones schei­terte im November 2024 am Veto Russlands; er hätte den Generalsekretär beauf­tragt, zusammen mit den Kriegsparteien einen Mechanismus zur Umsetzung ihrer bishe­ri­gen Selbstverpflichtungen zu erar­beiten.

Bereits am 11. Mai 2023, also kurz nach Kriegsbeginn, hatten sich die SAF und die RSF nach Vermittlung der USA und Saudi-Arabiens auf die Erklärung von Dschidda zum Schutz der Zivilbevölkerung geeinigt. Sie listet detailliert existierende Verpflichtungen auf, die sich aus dem humanitären Völkerrecht und den internationalen Menschenrechten ergeben. Diese Erklärung bleibt eines der wenigen gemeinsamen Referenzdokumente zum Schutz der Zivil­bevölkerung in Sudan. Allerdings enthält sie keinen Mechanismus, um die Einhaltung dieser Verpflichtungen zu beobachten, Vor­fälle zu über­prüfen und Verstöße zu ahn­den. Die USA übten 2024 erheb­lichen Druck auf die Kriegsparteien aus und sank­tionierten zunehmend hoch­rangige Füh­rungsmitglieder, bis hin zu RSF-Führer Dagalo und SAF-Führer Abdelfattah al-Burhan. Ihr Druck scheint die RSF-Angriffe auf El-Fasher zeitweise reduziert zu haben.

Die Europäische Union (EU) setzt sich für eine Vereinbarung zwischen den Kriegs­parteien zum Schutz ziviler Infrastruktur ein. Diese soll explizit als Einstieg für weitere Gespräche dienen. Angesichts der massiven Angriffe auf Märkte, Krankenhäuser und Kraftwerke ist es bisher aber zu keiner Eini­gung gekommen.

Internationale Aufmerksamkeit erfuhr die Idee einer militärischen bzw. zivil-mili­tä­ri­schen Mission zum Schutz der Zivil­bevöl­ke­rung. Die US-Administration unter Joe Biden befeuerte die Diskussion über eine Mission afrikanischer Staaten bzw. der Afrikanischen Union – allein der Vor­schlag stieß bei diesen auf wenig Widerhall. Ver­treter der Intergovernmental Authority on Devel­opment (IGAD) sprachen von einer Ein­satz­truppe von bis zu 4.500 Soldaten, um die Umsetzung der Erklärung von Dschidda zu über­wachen. Die UN-Unter­suchungs­kom­mission zu Sudan forderte eine Schutz­mis­sion, ebenso die damalige zivile sudane­si­sche Koalition Taqaddum, deren Vorsitzen­der Abdallah Hamdok zudem eine Flug­ver­bots­zone sowie Sicherheitszonen ver­langte, die nach und nach aufwachsen sollten.

Diese Forderungen trafen jedoch auf die strikte Ablehnung der Konfliktparteien. Darüber hinaus kamen prak­tische Prob­leme kaum zur Sprache, etwa wie die Auf­stellung einer hohen Zahl von Truppen ge­lingen könnte, um die wichtigsten Kampf­gebiete abzusichern, und wie eine solche Mission finanziert werden könnte. Bereits bei der gemeinsamen Mission von UN und AU in Darfur (UNAMID), die Ende 2020 abgezogen wurde, behinderten die Sicher­heitskräfte aktive Schutzmaßnahmen der Mission. Ohne Zustimmung der Konflikt­parteien und ohne Waffenstillstand würde eine neue militärische Mission in Sudan bedeuten, in den Krieg einzutreten. Dazu scheint bislang niemand bereit zu sein.

Lokale Schutzmaßnahmen

Sudanesische Akteure bringen sich auf loka­ler Ebene ein, um Bevölkerungsteile zu schüt­zen. Gerade zu Anfang des Krieges gab es eine ganze Reihe von erfolgreichen Bemü­hungen um lokale Waffenstillstände, nicht zuletzt mit dem Hinweis, dass der entscheidende Kampf im Zentrum statt­finde und nicht in einer Provinzhauptstadt entschieden würde.

Am bekanntesten – und langanhaltends­ten – waren die Anstrengungen des Elders and Mediation Committees in El-Fasher, der Hauptstadt des Bundesstaates Nord-Darfur. Hoch­rangige und engagierte Bürger:innen der Stadt ergriffen bereits am dritten Tag des Krieges gemeinsam die Initiative, sich zumindest um die ordnungs­gemäße und zügige Beerdigung der Leichen zu kümmern. Sie einigten sich schnell mit den loka­len Ver­tretern von SAF und RSF auf einen Waffen­stillstand sowie auf den Ein­satz von Polizei­kräften zwischen ihren jeweiligen Gebieten in der Stadt. Das Komitee über­wachte den Waffenstillstand, klärte die Bewegung der Angehörigen der Truppen und etwaige Stör­fälle. Dazu konnte es auf einer langen Tra­di­tion kollektiver Konfliktbearbeitung auf­bauen, ferner auf seinen Beziehungen und seinem Sozialkapital gegenüber den lokalen Kommandeuren und der Bevölkerung. Der Gouverneur von Nord-Darfur unterstützte die Initiative. Einige Monate später inte­grierte das Komi­tee auch Ver­treter bewaff­neter Gruppen aus Darfur, deren Führer zwar Regierungspositionen innehatten (in einer Regierung, die von den SAF kontrolliert wurde), aber sich zu dem Zeitpunkt militärisch noch neutral verhielten.

Ähnliche Bemühungen gab es auch in anderen Städten, beispielsweise in Ed-Daen, der Hauptstadt Ost-Darfurs, wo sich ins­besondere Händler für Frieden einsetzten, um den Zugang zum Markt zu behalten, oder in An-Nuhud in West-Kordofan. Das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) Sudan hat zu diesen lokalen Friedensbemühungen eine Studie in Auftrag gegeben, die dem Autor vorliegt und dem­nächst veröffentlicht werden soll.

Eine zentrale Lehre dieser aufschluss­reichen Studie ist, dass in Sudan Schutz- und Friedensbemühungen auf loka­ler Ebene stets von den gesellschaftlichen Strukturen vor Ort ausgingen. Oft waren dies traditionelle Autoritäten und religiöse Führer, die teil­weise mit Rechtsanwälten, Händlern oder jungen Aktivisten zusammenarbeiteten. Humanitäre Verhandlungen konnten oft als Einfallstor für weitere Gespräche dienen: Aus Verhandlungen über medizi­nischen Zugang oder die Bestat­tung von Kriegs­opfern entwickelte sich ein Dialog mit den Konfliktparteien, der die Situation der Zivilbevölkerung insgesamt verbesserte. Dies zeige, so die Studie, wie wichtig der Friedensaspekt im dreifachen Nexus von humanitärer Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedens­konsolidierung sei. Von wesentlicher Bedeutung sei außerdem gewesen, dass die lokalen Friedensbemühungen alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen vor Ort berührten und ein­schlos­sen, solange dies deren Unparteilichkeit nicht gefährdete.

Gleichwohl wiesen alle untersuchten Initiativen auch erheb­liche Schwächen auf, wie sie aus anderen Kon­texten ebenfalls bekannt sind (siehe unten). Eine weitere Erkenntnis aus der Studie ist, dass Gebiete, die eine längere Erfahrung mit bewaffneten Konflikten hatten, oft besser auf Verhandlungen mit marodierenden Banden und Milizen eingestellt waren als die Bevölkerung in Landesteilen, die jahr­zehntelang von Kämpfen verschont geblie­ben waren.

Dennoch ist Schutz nicht mit Friedensmaßnahmen gleichzusetzen. Auch ohne Waffenstillstand ergreifen Menschen für sich und die Engsten um sich herum Maß­nahmen, um sich zu schützen. Die wich­tigste ist Flucht. In Sudan ereignet sich die derzeit größte Ver­treibungskrise der Welt. Innerhalb des Landes (oder in andere Län­der) fliehen Menschen nicht nur vor den un­mittel­baren Kriegshandlungen, sondern auch wegen der Gefahr von Über­griffen durch die bewaffneten Akteure sowie vor Hunger und weil die Nahrungsmittel­produktion und die Grund­versorgung zusammengebrochen sind.

Die Bevölkerungsbewegungen sind nicht zuletzt von strategischer Bedeutung für die Kon­fliktparteien: Wenn eine Kriegspartei eine Gegend erobert und in der Folge hält, macht es für ihre Legitimität einen großen Unterschied, ob die Zivilbevölkerung flieht, bleibt oder sogar zurückkehrt. Immer wie­der hatten Zivilpersonen auf den Schutz der Armee gehofft, die sich dann jedoch vor den RSF zurückzog.

Selbst zu den Waffen greifen

Einige Menschen in Sudan wollen nicht weglaufen, sondern sich der Gefahr für sich und ihre Gemeinschaften entgegenstellen. Sie treten der Armee, den RSF oder einer der zahl­reichen Milizen, bewaffneten Grup­pen und Selbstverteidigungseinheiten bei. Natürlich dient die flächendeckende Rekru­tierung den jeweiligen strategischen Zielen der kriegführenden Parteien. Oft bestehen wenig andere Verdienstmöglichkeiten für junge Männer, insbesondere in Gebieten, in denen die Wirt­schaft massiv beschädigt ist. Zudem gibt es Berichte von Zwangsrekrutierungen und dem Einsatz Minderjähriger. Für einige spielt aber auch die Motivation, sich und andere zu schützen, eine Rolle.

Laut einem durchgesickerten internen Bericht der Sudanesischen Islamischen Bewegung sollen allein im ersten Kriegsjahr über 650.000 Menschen »mobilisiert« und mehr als 2200 Trainingslager eingerichtet worden sein. Diese Zahlen beziehen sich auf die Gebiete unter der Kontrolle der Armee.

Bewaffnete Gruppen aus Darfur haben sich zeitweise für den Schutz von humanitären Lieferungen, Fluchtbewegungen und Teilen der Zivilbevölkerung eingesetzt. Als diese bewaffneten Gruppen jedoch zuneh­mend unter Beschuss durch die RSF kamen, beendeten sie ihre Unparteilichkeit und erklärten im November 2023 ihre militärische Unterstützung der Armee. Im Januar 2025 gründeten die Sudan Liberation Army (SLA-AW) unter Abdel Wahid al-Nur und die Gathering of Sudan Liberation Forces (GSLF) unter Tahir Hajar eine soge­nannte »neutral protection force«, die ebenfalls Lieferungen ziviler Güter schüt­zen sollte, aber ihrerseits unter Beschuss der RSF geriet. Zudem stellte die Allianz der GSLF mit den RSF ab Februar 2025 die Un­partei­lichkeit dieser Schutztruppe in Frage.

Humanitärer Schutz

Schutz ist eine Kernaufgabe der humanitären Hilfe. Gleichwohl ist unter humanitären Akteuren umstritten, welche Maßnahmen genau zu humanitärem Schutz gehö­ren. Die allgemein akzeptierte Definition von humanitärem Schutz, wie sie das Inter-Agency Standing Committee (IASC) fest­gelegt hat, ist auf Anhieb nicht leicht zu fassen. Ihre Kernaussage lautet, dass huma­nitäre Akteure mindestens in der eigenen Nothilfe-Arbeit sicherstellen sollen, vulne­rable Gruppen zu schützen und den zivilen Status der Bevölkerung zu achten.

Auf lokaler Ebene üben in Sudan Netzwerke ge­genseitiger Hilfe, die Emergency Response Rooms (ERRs), auch Schutzfunk­tio­nen aus. Bekannt sind die ERRs, von denen es Hun­derte im ganzen Land gibt, vor allem für ihre Suppenküchen, mit denen sie die Nahrungs­versorgung von Nachbarschaften vornehmlich in Gebieten gewährleisten, die für internationale Ak­teure kaum zugänglich sind. Die ERRs basieren auf dem suda­nesi­schen Konzept Nafeer, einer traditionellen Praxis der gegen­seitigen Unterstützung in der Gemeinschaft. Die regelmäßigen gemeinsamen Aktivitäten von Menschen unterschied­licher Herkunft tragen zum sozialen Zu­sam­menhalt bei und trotzen damit ein Stück weit der Polarisierung durch den Krieg.

Die ERRs gehen jedoch noch weiter. In Khartum unterhalten sie beispielsweise sichere Räume für Frauen und für Kinder, zudem bieten sie psychosoziale Unterstützung für die vielen traumatisierten Men­schen an. Schließlich unterstützen die Schutz­komitees der ERRs Betroffene dabei, sich aus stark gefährdeten Gebieten in andere Landesteile zu bewegen. Dazu füh­ren sie eigene Risikoeinschätzungen durch, um die Evakuierung besonders gefähr­deter Personen zu priorisieren. Außerdem bringen sie ständig in Erfahrung, welche Routen gerade sicher und zugänglich sind. Eigener Aussage zufolge haben die ERRs seit Kriegs­beginn rund 200.000 Menschen allein aus der Hauptstadtregion bei der Umsiedlung geholfen.

Mittlerweile gibt es in Sudan eine landes­weite Struktur für die Koordinierung von gegenseitiger humanitärer Hilfe, den Localization Coordination Council. An ihm beteiligen sich ERRs aus 13 (von insgesamt 18) Bundesstaaten, neun natio­nale NGOs sowie, als Beobachter, sechs inter­nationale NGOs. Der Council half zum Beispiel Frei­willigen in Al-Jazeera, nach der Einnahme des Bundes­staates durch die RSF ERRs einzurichten und Menschen zu evakuieren.

Internationale Hilfsorganisationen, NGOs sowie diejenigen der UN, unterstützen die ERRs und kön­nen auch durch eigene Maß­nahmen den Schutz vulnerabler Gruppen in Sudan verbessern. Die Präsenz internatio­naler Organisationen in der Fläche kann grundsätzlich dazu beitragen, eine dis­kri­mi­nierungsfreie Verteilung und Organi­sa­tion von Hilfe sicher­zustellen. Allerdings er­lauben die Behörden in Port Sudan den Ver­einten Nationen bisher nicht, dauerhafte Standorte in den von den RSF beherrschten Gebieten im Westen zu unter­halten, wes­halb internationale Hilfs­orga­ni­sationen nur zeit­weise in diese Gebiete kommen. Erschwert wird ihre Arbeit durch die sehr hohen büro­kratischen, logistischen, finan­ziellen und Sicherheitsherausforderungen. Es kann Wochen dauern, bis LKWs von der tscha­di­schen Grenze oder von Port Sudan in Teilen Darfurs ankommen. Der erste UN-Konvoi aus Port Sudan nach El-Fasher seit einem Jahr wurde im Juni 2025 bei Al-Koma bom­bardiert, fünf humanitäre Helfer starben.

Hochrangige humanitäre Diplomatie der UN konnte im August 2024 errei­chen, dass der Grenzübergang zu Tschad in Adré wieder geöffnet wurde und seitdem offen geblieben ist. Die bürokratischen Hindernisse der Humanitarian Aid Commission (HAC) auf der Seite der SAF und der Sudan Agency for Relief and Humanitarian Opera­tions (SARHO) auf der Seite der RSF behin­dern die Arbeit der internationalen Hilfs­organisationen indes massiv. Am Boden verdie­nen bewaffnete Milizen durch zahl­reiche Checkpoints an jedem Fahrzeug.

Dort, wo die Hilfsorganisationen bereits seit längerem aktiv sind, können sie lokale Schutznetzwerke unterstützen, von denen viele vor dem Krieg aufgebaut worden sind. So gab es in allen Bundesstaaten Darfurs Schutz­komitees, die sowohl zivile als auch lokale Sicherheitsbehörden mit Vertretern der Zivilbevölkerung zusammenbrachten. Aller­dings nahmen bereits damals die Sicher­heitskräfte nicht immer an Treffen teil oder zeig­ten kein Interesse an Absprachen. Einige Netz­werke zum Schutz von Frauen oder zur Klä­rung regelmäßiger Spannungen zwischen Bauern und Hirten sind lokal verankert und weiterhin funktions­fähig.

Schließlich ist der Zugang zu Telekommunikationsdienstleistungen wichtig, damit Menschen sich informieren und sich austauschen können, um eigene Entscheidungen zu ihrem Schutz zu treffen. In den Gebieten, die von den RSF kontrolliert werden, ist kein Handynetz verfügbar, weil die Behörden in Port Sudan den sudanesischen Mobilfunkunternehmen verboten haben, dort zu operieren. Statt­dessen nutzen Menschen geschmuggelte Starlink-Terminals, wobei der Zugang zu ihnen teuer ist und in der Regel von den RSF bzw. ihnen nahestehenden Personen kontrolliert wird. Der Zusammenbruch der Stromversorgung, die mangelnde Verfügbarkeit von Bargeld und die hohen Lebenserhaltungskosten erschweren den Mobilfunk überall in Sudan, ganz abgesehen von den durch den Krieg verursachten Schäden an der Telekommunikationsinfrastruktur, nicht zuletzt im Raum Khartum.

Risiken von und Erfahrungen mit Schutzmaßnahmen

Im Hintergrund vieler politischer Forderun­gen zum Schutz der Zivilbevölkerung steht oft die Idee von Schutzzonen, die wahl­weise geschützt oder beobachtet werden: von einer internationalen Mission (zivil oder auch mili­tärisch), durch Abspra­chen mit den Konfliktparteien, die Präsenz humanitärer Akteure oder durch Fernbeob­achtung mit Satel­liten und anderen Metho­den. In diesen Zonen, so ein Vorschlag, sollten huma­ni­täre Partner Hilfe anbieten und lokale Ver­wal­tungen die Grundversorgung sichern.

Die Erfahrung mit lokalen Waffenstillständen wie in El-Fasher zeigt die enormen Schwierigkeiten eines solchen Ansatzes. Alle lokalen Waffenstillstände sind früher oder später zusammengebrochen. Selbst wenn es Ab­machungen mit den lokalen Kommandeuren der Konfliktparteien gab, drangen die jeweiligen Führungen auf natio­naler Ebene auf militärische Operationen. Umgekehrt erschwert die mangelnde Befehlskontrolle der Konfliktparteien lokale Absprachen. Während durch solche Abspra­chen die Gewalt in einer Region nachlassen kann, erlaubt dies den Konfliktparteien, ihre Offensiven anderswo zu intensivieren. Als etwa die RSF in den Bundesstaat Sennar vordrangen, nahm die Gewalt in dem vor­her besetzten Bundesstaat Al-Jazeera ab, weil die Truppen mit der Offen­sive in Sennar beschäftigt waren.

Die Konzentration der Zivilbevölkerung in Schutzzonen als mutmaßlich sicheren Orten, an denen sie vielleicht auch besseren Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, kann überdies der Strategie der Konfliktparteien nutzen: sei es, Bevölkerungsteile zu ver­trei­ben, sei es, diese unter die eigene Kon­trolle zu bringen und damit die eigene Legiti­mi­tät zu erhöhen. Wenn es dann doch zu An­griffen kommt, wie in Wad Madani im De­zember 2023, in das Hunderttausende aus Khartum geflo­hen waren, oder in El-Fasher im Mai 2024, sind Vertriebene beson­ders gefährdet, weil sie kaum noch eigene Res­sourcen oder nur wenig Verbin­dungen vor Ort haben. Schutz­zonen expli­zit auszu­rufen, sollte daher mit einer um­fassenden lokalen Konfliktanalyse einhergehen.

Ansatzpunkte für internationale Akteure

Alle Bemühungen für den Schutz der Zivil­bevölkerung in Sudan können nur hilfs­weise wirken, solange der Krieg an­dauert. Gleichwohl gibt es durchaus Möglichkeiten, zivile Schutzmaßnahmen von außen zu stärken, ohne dass ein Waffenstillstand besteht. Angesichts der fragmentierten Kon­fliktakteure und der polarisierten Gesellschaft könnte ein Waffenstillstand sogar zu einer eigenen Welle von Massenverbrechen führen, wenn er nicht von solchen vor­beugenden Maßnahmen begleitet wird.

Sudanesische Akteure haben selbst Unter­stützungsbedarf identifiziert. Weiter­bil­dung und Trainings für lokale Mediator:in­nen zählen ebenso dazu wie die finanzielle Unterstützung von ERRs. Das UNDP könnte bereits vorhandene regionale Mediationsnetzwerke ausbauen und eine natio­nale Koordinationsplattform schaffen, wie die von UNDP Sudan in Auftrag gegebene Studie empfiehlt. Zentral ist internationale Unterstützung beim Aufbau lokaler Beob­achtungs- und Verifikationsmechanismen zu etwaigen lokalen Vereinbarungen, auch in Form digitaler Plattformen. Die ERRs mit ihren lokalen Netzwerken verfügen über bedeutsame Erfahrungen und bieten sich als Koopera­tionspartner an.

Sudanesische Medienplattformen brauchen Unterstützung und können dabei helfen, Desinforma­tion und diskriminierende Sprache zu be­kämpfen. UN-Mitglied­staaten können dar­über hinaus sowohl nationale Menschen­rechtsorganisationen als auch weiterhin die UN-Untersuchungs­kommission zu Sudan unterstützen.

Nichtstaatliche Organisationen leisten ebenfalls einen wichtigen Beitrag und benö­tigen internationale Unterstützung. Geneva Call organisiert Fortbildungen und Work­shops mit bewaffneten Akteuren in Sudan. Nonviolent Peaceforce hat bis heute ein Team in Sudan, das die dortige Zivilbevölkerung dabei unterstützt, mit den Kriegsparteien zu Themen des täglichen Über­lebens zu verhandeln, sowie bei der Früh­warnung vor erneuten Angriffen und mög­licher Vertrei­bung hilft.

Die Bundesregierung sollte sich mit Nachdruck gegenüber den Konfliktparteien dafür einsetzen, dass internationale Hilfs­organisationen einen dauerhaften Zugang erhalten und perma­nent im ganzen Land präsent sein können, das heißt auch in von den RSF kontrollierten Gebieten. Außerdem sollte humanitäre Hilfe stärker dezentralisiert werden.

Besonders brutale Angriffe auf die Zivil­bevölkerung wie die Über­nahme des Ver­trie­benenlagers Zam-Zam durch die RSF oder die Bombardierung von Märkten durch die SAF sollte die Bundes­regierung öffentlich und explizit anprangern. Die EU sollte wei­tere Sanktionen sowohl gegen die suda­ne­sischen Verantwortlichen dieser Menschen­rechtsverletzungen als auch gegen ihre inter­nationalen Unterstützer verhängen. Berichte über ausländische Söldner, die über europäische Flughäfen wie Paris und Madrid einreisen, und emi­ratische Unter­nehmen, die diese Söld­ner zusammen mit Waffen – auch aus euro­päischer Produk­tion – über Libyen nach Sudan bringen, belegen den Handlungs­bedarf.

Trotz der verfahrenen Lage in dem Konflikt gibt es somit zahlreiche Ansatzpunkte für Deutschland und seine euro­päischen Part­ner, zum Schutz der Zivil­bevölkerung in Sudan beizutragen.

Dr. Gerrit Kurtz ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten. Er dankt allen Gesprächspartner:innen in Nairobi, Kampala und online (auch in Sudan) sowie Wibke Hansen und Judith Vorrath für hilfreiche Kommentare.

SWP

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