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Die unterschätzten Risiken in der US‑Ökonomie

Trumps Zollpolitik ist fragwürdig, aber Handlungsbedarf besteht

SWP-Aktuell 2025/A 23, 15.05.2025, 8 Seiten

doi:10.18449/2025A23

Forschungsgebiete

Am 2. April 2025 verkündete Donald Trump beispiellose Zollerhöhungen, mit denen die USA eine folgenreiche Kehrtwende in ihrer Handelspolitik vollziehen. Auf der ganzen Welt wurde der Präsident dafür kritisiert. Übersehen wird oft, dass die ameri­kanische Wirtschaft vor großen Herausforderungen steht. Nicht nur, dass die Staats­verschuldung immens ist und weiter wächst. Der US-Dollar ist überbewertet, die ver­arbeitende Industrie wird immer schwächer, und im Ausland nimmt das Land seit Jahrzehnten hohe Kredite auf. Damit ist das amerikanische Wirtschaftsmodell nicht nachhaltig. Trump hat die prekäre Lage erkannt und versucht, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Die EU sollte gerade jetzt den Dialog mit Washington suchen. Sie müsste Schritte einleiten, um die europäischen Leistungsbilanzüberschüsse abzubauen und die Unterbewertung des Euro zu reduzieren.

Präsident Trump hat die massive Erhöhung der amerikanischen Außenzölle, die An­fang April verkündet wurde, inzwischen zwar wieder verschoben. Dennoch bleibt zu fragen, was seine Kursentscheidung für die amerikanische Wirtschaft und die Handelspartner der USA bedeutet. Für die Länder der Europäischen Union sind fünf Aspekte von zentraler Bedeutung. Erstens: Wie sta­bil ist die Position des US-Dollar als Reser­vewährung? Zweitens: Welche Folgen hat der überbewertete Dollar für die amerikanische Industrie und deren Fähigkeit, eigene Rüstungsgüter herzustellen? Drittens: Wie gefährlich ist die amerikanische Staats­verschuldung? Viertens: Inwiefern haben die EU und die Volksrepublik China zur heutigen Lage beigetragen? Und fünftens: Was könnten die Länder der Europäischen Union tun, um den USA eine Brücke zu bauen und den Konflikt zu entschärfen?

Die zweischneidige Rolle des US‑Dollar als Weltreservewährung

Für Stephen Miran, der den beim US-Präsi­denten angesiedelten Beirat der Wirtschaftsberater leitet, beginnen die Probleme der amerikanischen Außenwirtschaft mit der anhaltenden Überbewertung des Dollar. Einerseits ist der Dollar die Währung der Vereinigten Staaten, und sein Wechselkurs wirkt sich auf die Wettbewerbsfähigkeit sowohl inländischer Produzenten als auch ausländischer Konkurrenten aus. Andererseits fungiert der Dollar als globale Reserve­währung. Es gibt eine hohe ausländische Nachfrage nach Dollar, etwa in Form von US-Staatsanleihen – was verhindert, dass er abwertet und die Währungen der Han­delspartner aufwerten. Wäre der Dollar nicht Reservewährung, so Miran, würden Volkswirtschaften wie China und Deutschland ihre Überschüsse aus dem bilateralen Handel mit den USA in die eigene Landeswährung Yuan oder Euro wechseln, diese würden gegenüber dem Dollar aufwerten, und die Veränderung der Wechselkurse würde einen Ausgleich der amerikanischen Handelsbilanz ermöglichen.

Die hohe Nachfrage nach Dollar führt zu einem Problem, das auch als Triffin-Dilem­ma bekannt ist. Das Ausland baut gegenüber den USA immer höhere Forderungen auf, aber gerade diese wachsende Verschuldung führt zu einem Vertrauensverlust der ausländischen Anleger. Nehmen die Schul­den der USA im Ausland anhaltend zu, droht daher über kurz oder lang eine Welt­finanzkrise, möglicherweise gar der Zusam­menbruch des gesamten Systems. Laut Prä­sidentenberater Miran profitierten von der Politik des starken Dollar vor allem wohl­habende Amerikaner, deren Auslandsinvestitionen günstiger wurden. Negativ betrof­fen seien die verarbeitende Industrie der USA und die dort Beschäftigten.

Ganz wesentlich für die Bewertung der heutigen Lage ist die Frage nach dem Rang­verhältnis zwischen Handels- und Kapitalverkehr. Die konventionelle Lesart der US-Außenwirtschaft ist simpel: Die Amerikaner konsumieren zu viel und sparen zu wenig. Miran dreht den Spieß allerdings um: »Amerika verzeichnet nicht deshalb hohe Leistungsbilanzdefizite, weil es zu viel importiert, sondern es importiert zu viel, weil es US-Schatzpapiere exportieren muss, um Währungsreserven bereitzustellen und das globale Wachstum zu fördern.«

Miran übernimmt damit eine nach wie vor wenig verbreitete Deutung der Zah­lungsbilanz, die vor über 100 Jahren von dem österreichischen Ökonomen Eugen Böhm-Bawerk favorisiert wurde. In heutiger Diktion sagte er: »Die Kapitalbilanz befiehlt, die Handelsbilanz gehorcht.«

Der Ökonom Wolfgang Stützel hat sich in den 1970er Jahren ebenfalls ausführlich mit dem Rangverhältnis von Güter- und Kapitalströmen beschäftigt. Er stellte fest, dass Entstehung und Höhe von Leistungs­bilanzsalden wesentlich von der Finanzierungsseite her determiniert sind. Kapital­zuflüsse können die Handelsbilanz bestim­men. Fraglos gibt es ein Spannungsverhält­nis zwischen Maßnahmen zur Dämpfung des Waren- oder Kapitalzuflusses und dem Status des Dollar als Weltreservewährung. Dieser Status hat Vor- und Nachteile. Ein Vorteil ist, sich ohne Wechselkursrisiko in eigener statt in fremder Währung verschulden zu können.

Ein politischer Nutzen ergibt sich aus der Rolle des Dollar, weil Amerikas Regierung die eigene Währung als finanzpolitische Waffe nutzen und Länder mit einer miss­liebigen Politik sanktionieren kann. So ist Washington in der Lage, Vermögen zu be­schlagnahmen und Finanztransaktionen zu untersagen.

Präsident Trump betonte, er schätze die Rolle des Dollar als Reservewährung und werde Länder bestrafen, welche diesen zu umgehen versuchten. Dabei drohte er mit Zöllen in Höhe von 100 Prozent. Aber diese Drohungen sind nicht plausibel. Erstens werden Staaten wie China, aber auch Russ­land bereits mit umfangreichen US-Sanktio­nen überzogen. Zweitens ist es kaum mög­lich, den Dollar einerseits zu schwächen und andererseits als wichtigste Reserve­währung zu erhalten. Politische Maßnahmen zu seiner Schwächung werden von den Finanzmärkten unvermeidlich als Risi­ko interpretiert, dass es zu weiteren staat­lichen Eingriffen kommt. Wer den Dollar einmal abwertet, mag dies in Zukunft wie­der tun.

Die Trump-Administration hat sich aller­dings entschieden. Sie setzt auf eine Schwä­chung des Dollar und nimmt in Kauf, dass seine Bedeutung sinkt. Die Strategie funk­tioniert: Die US-Währung notierte An­fang Februar 2025 noch bei 1,02 pro Euro und fiel bis Ende April 2025 auf 1,14 pro Euro. Trump ist die Stärkung der amerikanischen Industrie wichtiger, als die Funk­tion des Dollar als Reservewährung im bis­herigen Umfang zu wahren.

Überbewerteter Dollar: Die Folgen für die US-Rüstungsindustrie

Der von Trump beklagte Niedergang der amerikanischen Industrie, den er dem über­bewerteten Dollar anlastet, lässt sich nicht zuletzt an der Beschäftigung messen. Arbei­teten 1980 in den USA noch etwa 20 Pro­zent aller Beschäftigten in der verarbeitenden Industrie, ist dieser Wert bis heute auf etwa 8 Prozent gefallen. In absoluten Zah­len wies dieser Sektor im Januar 1980 noch 19,3 Millionen Beschäftigte auf, während es im März 2025 nur noch 12,7 Millionen waren. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl aller Beschäftigten nach Angaben des U. S. Bureau of Labor Statistics von 90,8 auf 159,4 Millionen Personen.

Der Niedergang der amerikanischen Industrie hat auch geopolitische Auswirkungen. Zugespitzt formuliert muss eine Hegemonialmacht in der Lage sein, Stahl und Waffen selbst herzustellen. Nicht ver­gessen werden darf in diesem Zusammenhang, wie unvorbereitet die USA in den Zweiten Weltkrieg stolperten. Im Jahr 1939 verfügte die deutsche Luftwaffe über 8.000 Flugzeuge, von denen die meisten neueren Datums waren. Die USA hatten gerade ein­mal 1.700 Flugzeuge, die meisten davon veraltet. Bei Panzern war das Bild ähnlich: 2.000 neuen deutschen Panzern standen 325 US-Panzer gegenüber, von denen einige noch aus dem Ersten Weltkrieg stammten. Mit dem Kriegseintritt 1941 bauten die Amerikaner eine nie dagewesene Rüstungs­produktion auf. Die beispiellose Expansion der Kapazitäten führte dazu, dass die USA 1944 in der Lage waren, jeden Tag 170 Flug­zeuge und unzählige andere Rüstungsgüter herzustellen.

Für die amerikanische Außenpolitik, keineswegs nur jene von Trump, gilt es, die Fehler der 1930er Jahre auch industriepolitisch zu vermeiden. Während seiner ersten Amtszeit betonte Trump 2018 in einer Rede, die er anlässlich der Wiederöffnung eines stillgelegten Stahlwerks hielt, die Pro­duktion von Stahl sei eine Frage der natio­nalen Sicherheit. Mit seiner Zollpolitik versucht Trump, nennenswerte Industriekapazitäten in die USA zurückzuholen. Ob und in welchem Umfang das gelingen wird, ist allerdings schwer abzuschätzen.

Amerikas gefährlich hohe Staatsverschuldung

Oft wird bei der Bewertung der amerika­nischen Wirtschaftspolitik übersehen, in welch desolater Verfassung die amerikanischen Staatsfinanzen sind. Die Regierung Biden hatte sich auch über die Corona-Pandemie hinaus ausgabefreudig gezeigt. Im letzten Fiskaljahr, das am 30. September 2024 endete, gab sie 1.800 Milliarden US-Dollar mehr aus, als der amerikanische Staat an Steuern einnahm. Das Staatsdefizit belief sich in jenem Fiskaljahr auf 6,4 Pro­zent der Wirtschaftsleistung.

Die USA haben sich ohne Not in eine schwierige Lage manövriert. Das Defizit im letzten Fiskaljahr war laut dem Haushaltsbüro des Kongresses nahezu doppelt so hoch wie im Mittel der vergangenen 50 Jahre. Der weltgrößte Anleiheverwalter Pimco zeigte sich schon Ende 2024 zurückhaltend beim Kauf weiterer US-Staatsanleihen, weil sich Zweifel an der Tragfähigkeit der Schulden entwickelt hätten. Seit der Finanzkrise 2008 hat sich die amerikanische Staatsverschuldung von 9,3 auf knapp 36 Billionen US-Dollar nahezu vervierfacht. Die Folgen sind gravierend: Erstmals in der Geschichte des Landes gibt Washington heute mehr Geld für den Zinsdienst als für die Verteidigung aus. Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Die Schuldenlast steigt unaufhörlich weiter.

Der Moment, in dem die Finanzmärkte einen Staat zwingen, seine Fiskalpolitik zu korrigieren, ist schwer zu prognostizieren. Projektionen der Universität Pennsylvania von 2023 veranschlagen den Zeitraum, der den USA noch bleibt, um ihre Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen, auf maximal 20 Jahre. Danach könnten weder Steuer­erhöhungen noch Ausgabenkürzungen den Bankrott des Staates verhindern. Folgt man dieser Einschätzung, ist es fraglos unabdingbar, das Defizit rasch zu verringern. Die Regierung Trump versucht dies durch die Erhöhung von Zöllen und die Reduzierung von Staatsausgaben, Letzteres etwa durch die Arbeit des Department of Govern­ment Efficiency (DOGE). Zudem will der Präsident die Kosten zur Verringerung des staatlichen Defizits teilweise dem Ausland aufbürden. Ob dies angemessen ist oder nicht: Schätzungen zufolge würden, falls die angekündigten Zollerhöhungen umge­setzt werden, in den kommenden zehn Jahren jährlich Zolleinnahmen zwischen 420 und 520 Milliarden US-Dollar anfallen, die sich verwenden ließen, um das staat­liche Defizit zu reduzieren.

Die Unterlassungen der EU und Chinas

Wohlfeil ist die Empörung, mit der man in Brüssel und europäischen Hauptstädten auf die Maßnahmen der Regierung Trump rea­giert. Dabei wäre es angemessen, die eigene Handels- und Finanzpolitik genauer zu be­trachten und nach dortigen Versäumnissen zu fragen.

Die USA haben 60 Jahre lang mit 2,5 Pro­zent einen sehr niedrigen Zoll auf die Ein­fuhr von Personenwagen und einen relativ hohen Zoll von 25 Prozent auf leichte Last­wagen (»pick-up trucks«) erhoben. Die EU wiederum berechnet für Pkw einen Zoll von 10 Prozent und für leichte Lastwagen von 22 Prozent. Fraglos war vor Trumps Zoll­erhöhungen das Schutzniveau in der EU deutlich höher als jenes in den USA. Ein in der Slowakei hergestellter Porsche-Gelände­wagen wurde so bis April 2025 bei der Ein­fuhr in die USA mit lediglich 2,5 Prozent Zoll belegt. Die einzelnen Bundesstaaten erheben zudem unterschiedliche Verkaufssteuern, die zwischen null Prozent in Alas­ka, Oregon und Montana und 7,5 Prozent in Kansas liegen. Für einen im amerikanischen Spartanburg gefertigten BMW-Gelän­dewagen dagegen wird beim Import in die EU ein Zoll von 10 Prozent fällig, zudem die je nach Mitgliedsland schwankende Ein­fuhrumsatzsteuer.

Die EU-Kommission, die gegenwärtig die Vorzüge des Freihandels betont, hat am 10‑prozentigen Einfuhrzoll für Personenwagen trotz anhaltender Kritik aus den USA festgehalten. Ein Grund dafür dürfte sein, dass drei Viertel der Zolleinnahmen unmit­telbar der Kommission zufließen – als eine ihrer wenigen direkten Einnahmequellen. Im Jahr 2023 betrug das Gesamtvolumen der von der EU erhobenen Zölle 28,2 Milliar­den Euro, wovon 21,2 Milliarden Euro an die Kommission gingen.

Ebenso wenig waren die Länder der EU bislang bereit, den Agrarhandel zu libera­lisieren. Unabhängig von der Frage, welche Mitgliedstaaten genau sich der Öffnung dieses Marktes entgegenstellen, bleibt aus Sicht der USA oder auch anderer landwirtschaftlicher Exporteure wie Australien ein klares Bild: Die Europäische Union ver­weigert fairen Wettbewerb im Agrarhandel und setzt auf Abschottung.

Das Ergebnis der partiell protektionis­tischen Politik der EU ist eindeutig – auf ihrer Seite wachsen die Handelsbilanzüberschüsse. War 2011 im Warenhandel noch ein Fehlbetrag von 41,6 Milliarden Euro zu verzeichnen, so gab es 2020 einen Überschuss von 216,7 Milliarden Euro. Der Han­delsbilanzsaldo der EU drehte während der Pandemie zwar ins Negative, ist aber seit 2023 wieder positiv. 2024 verzeichneten die EU-Länder einen Rekordüberschuss von 383,1 Milliarden Euro in der Handelsbilanz und von 486,8 Milliarden Euro in der Leis­tungsbilanz (die die Dienstleistungsbilanz mit einschließt).

China und die Länder der EU erwirt­schafteten 2024 die größten Überschüsse der Welt. Der Handelsbilanzüberschuss der Volksrepublik stieg in dem Jahr auf 992 Milliarden US-Dollar. Chinas Anteil an der Weltwirtschaftsleistung beträgt zwar nur etwa 18 Prozent, und der Anteil des priva­ten Verbrauchs liegt lediglich bei rund 15 Prozent. Aber das Land stellt ein Drittel der weltweit erzeugten Industrieprodukte her, mehr als die USA, Japan, Deutschland und Südkorea zusammen. Chinas Exporten in die USA im Wert von 525 Milliarden US-Dollar stehen Importe aus den USA von nur 164 Milliarden US-Dollar gegenüber.

Angesichts der schwachen Binnennachfrage in China ist eine Steigerung der Güter­ausfuhr die einzige verbleibende Option, um die Wirtschaft des Landes anzukurbeln. Die Volksrepublik trifft dabei allerdings auf wachsende politische Widerstände. Ein Bei­spiel hierfür sind Stahlexporte. China pro­duziert so viel Stahl wie der gesamte Rest der Welt. Seit 2023 verkaufen die chinesischen Stahlerzeuger ihre Produkte im Aus­land zu Kampfpreisen. Die Folge ist, dass die rund 250 Stahlproduzenten der Volks­republik kaum Gewinne erwirtschaften. Im August 2024 erzielten nur zwei von ihnen Profit.

Für die Volkswirtschaften anderer Länder haben die billigen chinesischen Stahl­exporte allerdings gravierende Folgen. Die eigenen Unternehmen geraten unter Druck. Deshalb verhängte Indien im September 2024 einen Importzoll von 30 Prozent auf Einfuhren chinesischen Stahls. Auch Bra­silien, Mexiko, Thailand und die Türkei haben Strafzölle auf chinesische Stahl­importe eingeführt. Vietnam, der wichtigste Importeur chinesischen Stahls, hat ein Anti-Dumping-Verfahren in die Wege ge­leitet.

Für die übrige Welt bedeuten die hohen chinesischen Überschüsse, dass sie Handels­bilanzdefizite in Kauf nehmen und sich ver­schulden müssen, um die Importe zu be­zahlen. Saldenmechanisch resultieren die Handelsbilanzüberschüsse einer Volkswirtschaft in Defiziten anderer Volkswirtschaften. Für die Zahlungsbilanz bedeutet dies, dass Defiziten in der Bilanz der laufenden Posten, der Leistungsbilanz, Kapitalimporte gegenüberstehen. Angesichts der beiden Effekte der hohen chinesischen Exporte – Industrien in den importierenden Volkswirtschaften geraten unter Druck, und die chinesischen Überschüsse müssen mit steigenden Krediten finanziert werden – erscheint die Erwartung plausibel, dass sich andere Staaten, keinesfalls nur die USA, ähnlich wie im Stahlsektor dadurch zu schützen versuchen, dass sie die Zölle auf chinesische Importe erhöhen.

Die Volkswirtschaften von EU und China erzielten 2024 einen addierten Überschuss im Warenhandel von über 1.420 Milliarden US-Dollar. Der Rest der Welt muss gegenüber EU und China eine entsprechende Ver­schuldungsposition aufbauen. Deutschland erwirtschaftet schon seit zwei Jahrzehnten hohe Überschüsse im Außenhandel und ist dafür häufig kritisiert worden, etwa im Jahr 2010 von Christine Lagarde, der damaligen französischen Finanzministerin und heuti­gen Präsidentin der Europäischen Zentral­bank (EZB). Lagarde sagte seinerzeit, die deutschen Handelsüberschüsse seien für die anderen Länder der Eurozone untragbar. Sie konstatierte, Überschuss- und Defizitländer hätten eine gemeinsame Verantwortung, die Ungleichgewichte zu korrigieren.

»Modell Deutschland« als fragwürdiges Vorbild der EU

Heute hat es allerdings den Anschein, als ob Deutschland als Blaupause für die ge­samte EU fungierte. Zugespitzt formuliert: Die Länder der EU haben ebenso wie China das vielkritisierte Modell Deutschland über­nommen und sind zu gigantischen Waren- und Kapitalexportmaschinen geworden. Die Folgen der enormen Überschüsse für den Rest der Welt werden in Brüssel und Peking geflissentlich übersehen. Auch die EZB kritisiert die Überschüsse der europäischen Volkswirtschaften nicht und blendet zudem aus, welche Konsequenzen ihre Zinspolitik für Länder jenseits der EU hat.

Seit 2015 bewegen sich Euro und Dollar in einem engen Band von der Parität bis maximal 1,23 US-Dollar pro Euro. Aber warum wertet der Euro nicht auf? Dies würde amerikanische Exporte verbilligen, Exporte aus der EU verteuern und es er­leichtern, ein außenwirtschaftliches Gleich­gewicht zu erzielen.

Verantwortlich für diese anhaltende Unterbewertung des Euro ist auch die EZB. Sie misst dem Wechselkurs keine Bedeutung bei, sorgt mit ihrer Zinspolitik aber gleichwohl dafür, dass die Nachfrage nach Euro niedrig und jene nach Dollar hoch bleibt. Im April 2024 etwa lag der Leitzins der EZB (»fixed interest rate«) mit 4,5 Pro­zent schon deutlich unter dem vergleich­baren Satz der amerikanischen Notenbank (»federal funds rate«), der sich auf 5,33 Pro­zent belief. Im März 2025 ist der Abstand noch deutlich gewachsen: Der Zinssatz in den USA lag bei 4,33 Prozent, in der Euro­zone bei 2,65 Prozent.

Kapital bleibt angesichts dieses Zinsgefäl­les in den USA, was eine anhaltende Über­bewertung des Dollar mit sich bringt. Dies wird auch deutlich, betrachtet man die Zinssätze für zehnjährige Staatsanleihen. Anders als vielfach behauptet sind die Zin­sen in den USA keineswegs niedrig. Am 4. April 2025 lag die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen bei 4,21 Prozent, wäh­rend deutsche Staatsanleihen mit gleicher Laufzeit nur 2,68 Prozent erbrachten. Selbst die Rendite griechischer Staatsanleihen lag mit 3,46 Prozent deutlich unter den Werten für amerikanische Papiere.

Die EZB trägt eine wesentliche Mitverantwortung für die hohen Leistungsbilanzüberschüsse der europäischen Volkswirtschaften. Sie müsste bereit sein, den Außen­wert des Euro in ihrer Zinspolitik zu be­rücksichtigen. Radikal wäre eine Synchro­nisierung der europäischen und der ameri­kanischen Geldpolitik, was de facto auf eine Währungsunion hinausliefe. Die EZB würde in diesem Modell die Politik der amerikanischen Notenbank einfach kopie­ren und auf eine eigene Geldpolitik verzich­ten. Die binnenwirtschaftliche Lage bliebe unberücksichtigt. Der Wechselkurs von Dollar und Euro wäre vermutlich relativ stabil, und die Unterbewertung des Euro wäre Geschichte.

Kritiker werden argumentieren, dass ein solcher Ansatz zu extrem und für Europa unvorteilhaft wäre. Aber das von 1944 bis 1973 geltende System von Bretton Woods war ähnlich restriktiv. Dennoch blieben damals die Wechselkurse über Jahrzehnte stabil und der grenzüberschreitende Kapi­talverkehr beschränkt.

Das brutal erscheinende Vorgehen des heutigen US-Präsidenten ist auch eine Folge der Selbstgefälligkeit Europas, das seit lan­gem darauf verzichtet, die Folgen seiner Geldpolitik jenseits der engen Beobachtung des Inflationsziels zu bedenken. Entsprechend wenig Hoffnung setzte US-Präsiden­tenberater Miran im November 2024 auf die Kooperationsbereitschaft der anderen Seite: Es gebe keinen Anlass zu erwarten, dass die Europäer (und die Chinesen) bereit seien, Maßnahmen zur Aufwertung ihrer Wäh­rung zu ergreifen.

Gab und gibt es Alternativen zu hohen Zöllen? Eine Möglichkeit ist, die Steuern in den USA zu erhöhen und damit den Staats­haushalt zu sanieren. In der Theorie ist die­ser Weg gangbar, doch zeigen die Erfahrungen europäischer Länder, insbesondere Frankreichs und Italiens, wie schwer es ist, politisch akzeptable Sanierungswege zu finden. Die Besteuerung des Warenimports ist, trotz erheblicher Nachteile für die ame­rikanische Bevölkerung, möglicherweise der politisch einfachere Weg.

Eine weitere Option wäre die Besteuerung des Kapitalimports. Um die Geldströme in die USA zu dämpfen und den Wert des Dollar zu senken, könnte die Regierung Trump eine Kapitalimportsteuer verwenden. Unmittelbar nach Ende der Goldbindung des Dollar im Jahr 1972 schlug der Ökonom James Tobin vor, auf grenzüberschreitenden Kapitalverkehr eine geringe Steuer in Höhe von 0,1 bis 1,0 Prozent zu erheben. Tobin wollte damit aber nicht die Aufwertung des Dollar unterbinden, son­dern die kurzfristige Devisenspekulation.

Anders als von Tobin empfohlen, ging Brasilien am Ende der globalen Finanzkrise 2007/2008 vor. Im Oktober 2009 wurde eine Steuer in Höhe von 2 Prozent auf ausländi­sche Investitionen in brasilianische fest­verzinsliche Wertpapiere sowie Aktien ein­geführt. Die Steuersätze wurden später in zwei Schritten auf 6 Prozent erhöht, aber im Januar 2011 wieder auf 2 Prozent ge­senkt und 2012 schrittweise abgeschafft.

Ziel der Maßnahme war, die Aufwertung der brasilianischen Währung Real zu ver­hindern. Der damalige Finanzminister des Landes betonte, dass weder Kapitalexporte noch ausländische Direktinvestitionen be­steuert würden. Einer Untersuchung des Internationalen Währungsfonds zufolge hatten die Zuflussbeschränkungen einen nennenswerten dämpfenden Effekt auf den Wechselkurs des Real.

Die Kontrolle der Kapitaleinfuhr muss aber nicht unbedingt durch Steuern erfol­gen. Chile, das Anfang der 1990er Jahre mit hohen Geldzuflüssen zu kämpfen hatte, wandte eine allgemeine Bardepot-Pflicht (»universal reserve requirement«) an. 20 Pro­zent des Kapitalimports mussten für ein Jahr unverzinst bei der Notenbank hinter­legt werden. Der Satz wurde später auf 30 Prozent erhöht und im Jahr 1998 auf null Prozent gesenkt.

Freihandelsabkommen mit den USA und Aufwertung des Euro

Für die USA steht in den kommenden Jah­ren also viel auf dem Spiel. Die Solvenz des amerikanischen Staates ist ebenso gefährdet wie seine verarbeitende Industrie. Sofern man diese Einschätzung teilt, war es un­verantwortlich, den Leistungsbilanzdefiziten und der ausufernden Staatsverschuldung der USA bislang nicht entschlossener entgegengetreten zu sein. Washington hat insbesondere unter Präsident Biden wenig getan, um die nicht nachhaltige US-Finanz­politik zu korrigieren. Die Methode der Regierung Trump ist ungewöhnlich, aber ohne Zweifel hätte es neue und vermutlich noch größere Risiken mit sich gebracht, die bisherige Außenwirtschafts- und Finanz­­politik einfach fortzusetzen.

Die heutige Situation ist ohne die missglückte Außenwirtschaftspolitik der EU nicht zu verstehen. Immer wieder sprachen hochrangige europäische Politiker mit der US-Regierung über Handelsliberalisierungen, insbesondere eine Senkung der Zölle auf Importe aus Amerika – doch geschehen ist nichts. Noch 2019 boten die Euro­päer den USA ein bilaterales Zollsenkungsprogramm für Industrieprodukte an, aber Washington wollte ebenso über den Agrar­handel sprechen. Am Widerstand Frankreichs scheiterte auch diese Initiative.

Geboten wäre in der gegenwärtigen Lage ein transatlantisches Freihandelsabkommen, auch wenn es dafür auf beiden Seiten fraglos weitreichender Zugeständnisse be­dürfte. Die EU-Kommission müsste ihre bisherige Politik einer umfassenden Regu­lierung der internationalen Wirtschafts­beziehungen aufgeben. In einem solchen Abkommen wäre kein Platz für den Klima­zoll CBAM, die Lieferkettenrichtlinie CSDDD und die Entwaldungsrichtlinie der Kommission. Ziel der Verhandlungen sollte eine Übereinkunft sein, die den Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks mög­lichst wenige Bedingungen auferlegt und damit dem Privatsektor neuen Spielraum für Dynamik gibt. Für die EU wäre ein radi­kal einfaches Abkommen eine Chance, die in den letzten Jahren selbst geschaffene Regulierungsfalle zu überwinden und die Rolle des Staates in den Wirtschaftsbeziehungen drastisch zu reduzieren.

Ein wesentlicher Vorteil eines transatlantischen Freihandelsabkommens wäre die Rückkehr zu einem geordneten Modus, um handelspolitische Konflikte zu bearbeiten. Weil das Schlichtungsverfahren der Welt­handelsorganisation WTO gelähmt ist, gibt es derzeit keine Möglichkeit, handelspolitische Maßnahmen juristisch überprüfen zu lassen. Ein Freihandelsabkommen könnte diese Lücke schließen. Offen bleibt selbst­verständlich, ob die Regierung Trump auch Entscheidungen akzeptieren würde, die aus Sicht der USA ungünstig wären.

Das zweite Element einer neuen Strategie zur Regelung der europäisch-amerika­nischen Wirtschaftsbeziehungen wäre die Aufwertung des Euro. Washingtons Kritik an der Unterbewertung des Euro, aber auch des chinesischen Yuan trifft zu. Die euro­päische Währungspolitik spiegelt bislang den vielzitierten Ausspruch von John Con­nally, dem einstigen Finanzminister von US-Präsident Richard Nixon: »It is our cur­rency, but your problem.« Die Unterbewertung des Euro trägt zu den geschilderten Kapitalausfuhren in Rekordhöhe bei und könnte durch Maßnahmen der Zinspolitik beeinflusst werden. Ein radikaler Ansatz bestünde darin, die europäische an die amerikanische Zinspolitik anzugleichen. Oder die EZB könnte darauf setzen, den Dollar-Euro-Wechselkurs in einer definierten Bandbreite zu halten. Möglich wären überdies Steuern auf Kapitalexporte.

Die Alternative zu den beiden hier skiz­zierten Ansätzen ist, weiter auf die Geduld der heutigen wie künftiger US-Regierungen zu hoffen und keine Neuordnung der trans­atlantischen Wirtschaftsbeziehungen anzu­streben. Ein Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zu China, der gegenwärtig als Reak­tion auf Trumps Politik ins Spiel gebracht wird, erscheint angesichts der strukturellen Probleme der Volksrepublik aus ökonomischer Perspektive wenig durchdacht. Zudem dürfte es kaum klug sein, ausgerechnet mit dem geopolitischen Rivalen der Vereinigten Staaten vertieft kooperieren zu wollen. Jen­seits der gemeinsamen Kritik an Trumps Handelspolitik verbindet die EU wenig mit der autoritären, kommunistischen Volks­republik. Zudem wendet Peking bislang die gleiche merkantilistische Handelspolitik an wie die EU-Länder. Es ist nicht erkennbar, welche Synergien sich aus einer enge­ren wirtschaftlichen oder gar politischen Zu­sammenarbeit mit China ergeben könn­ten.

Trumps Zollerhöhungen haben rund um den Globus für Schockmomente und Pro­test gesorgt. Ungeachtet der Art und Weise, wie die Maßnahmen verkündet wurden, sollte sich das Augenmerk jetzt nicht auf Vergeltung richten. Vielmehr gilt zu fragen, welche strukturellen Probleme in den inter­nationalen Wirtschaftsbeziehungen einer Lösung harren. In der Europäischen Union wird seit Jahren von Politikern aus Volks­wirtschaften mit Leistungsbilanzdefiziten betont, dass Überschuss- und Defizitländer gemeinsam für den Abbau der Ungleich­gewichte verantwortlich seien. Geschehen ist nichts – im Gegenteil: Die Leistungs­bilanzüberschüsse der europäischen Volks­wirtschaften sind 2024 auf ein Rekord­niveau gestiegen.

Im Idealfall würden sich alle wichtigen Akteure an einen Verhandlungstisch setzen und ein neues Bretton-Woods-Regime ent­wickeln. Anders als jenes müsste das neue System auch Instrumente enthalten, um Volkswirtschaften zu sanktionieren, die anhaltende Leistungsbilanzüberschüsse er­zielen. Auf der epochalen Konferenz von Bretton Woods im Jahr 1944 hatte der Lei­ter der britischen Delegation, John Maynard Keynes, genau dies vorgeschlagen.

Allerdings erscheint es in einer Phase geopolitischer Rivalität wenig plausibel, eine große internationale Wirtschaftskonferenz zu erwarten. So lange es keine multi­lateralen Regeln für den Umgang mit gro­ßen Leistungsbilanzüberschüssen gibt, wird das Risiko hoch bleiben, dass es unilateral zu vermeintlich erratischen Maßnahmen kommt. Gegen Überschussländer ist im heutigen Regime der internationalen Wirt­schaftsbeziehungen kein multilaterales Kraut gewachsen.

Prof. Dr. Heribert Dieter ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Globale Fragen, apl. Professor an der Universität Potsdam und Gastprofessor am National Institute of Advanced Studies, Bengaluru, Indien.

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