Im Sommer 2023 schloss die EU eine strategische Rohstoffpartnerschaft mit Chile. Während sich die EU dadurch besseren Zugang zu kritischen Rohstoffen wie Lithium und Kupfer verspricht, strebt Chile eine stärkere Diversifizierung seines Rohstoffsektors und eine höhere lokale Wertschöpfung an. Trotz Fortschritten auf wissenschaftlich-technischer Ebene bleibt jedoch die industrielle Kooperation mit der EU bislang hinter den Erwartungen zurück. Um das Potential der Partnerschaft auszuschöpfen, sollte die EU ihre bestehenden Initiativen mit Chile gezielter aufeinander abstimmen und Synergien zwischen Rohstoffen, erneuerbaren Energien und Wasserstoff besser nutzen. Dafür bedarf es auch wirksamerer Anreize für Investitionen europäischer Unternehmen. Gerade angesichts der neuen US-Handelspolitik muss die EU ihr partnerschaftliches Versprechen mit konkretem Handeln untermauern, um sich als verlässlicher Partner zu beweisen.
Unter der Atacama-Wüste im Norden Chiles lagern zwei der begehrtesten Rohstoffe unserer Zeit: Kupfer und Lithium. Seit dem 19. Jahrhundert wird das »rote Gold« in Chile industriell abgebaut. Heute ist das Land mit rund 25 Prozent der globalen Kupferproduktion der weltgrößte Produzent. Da Kupfer essentiell für den Energie-, den Mobilitäts- und den Elektroniksektor ist, dürfte die Nachfrage in den kommenden Jahrzehnten erheblich steigen.
Auch Lithium – das »weiße Gold« – gewinnt in Zeiten von Dekarbonisierung und Digitalisierung rasant an Bedeutung. Als Schlüsselrohstoff der Zwillingstransformation muss seine Produktion in den nächsten Jahren um das Vier- bis Siebenfache gegenüber 2020 wachsen.
Im sogenannten Lithiumdreieck, welches neben Chile auch Bolivien und Argentinien umfasst, lagert etwa die Hälfte der weltweiten Lithiumvorkommen. Nach Australien ist Chile der zweitgrößte Lithiumproduzent der Welt. Allein auf die zwei in Chile tätigen Produzenten Albemarle (USA) und SQM (Chile) entfallen fast 40 Prozent des weltweiten Lithiumabbaus.
Anders als in Australien wird das Lithium in Chile nicht aus Hartgestein gewonnen, sondern lagert in riesigen Salzseen (Salaren). Für den Abbau wird die Sole an die Oberfläche gepumpt und in Evaporationsbecken geleitet. Die Sonneneinstrahlung lässt die Sole verdunsten, wodurch sich die darin gelösten Lithiumsalze sowie weitere Elemente anreichern. Dieser natürliche Prozess ist nicht nur kostengünstiger, sondern auch weit weniger energie- und CO₂-intensiv als der Abbau aus Hartgestein.
Doch der Lithiumabbau steht auch in der Kritik, besonders wegen des Wasserverbrauchs in einer der trockensten Regionen der Welt. Dabei muss zwischen dem Abbauprozess selbst und den möglichen langfristigen Auswirkungen auf die Region unterschieden werden. Für die Gewinnung des Lithiums wird eine Sole aus der Erde gepumpt, deren Salzgehalt mehr als achtmal so hoch ist wie der von Meerwasser und die weder für den menschlichen Gebrauch noch für die Landwirtschaft nutzbar ist. Während des Verdunstungsprozesses wird zudem nur ein Bruchteil des Frischwassers – etwa 6 Prozent – für die Anreicherung des Lithiums verwendet. Der Rest entfällt auf die Produktion anderer Minerale sowie für die sanitären und betrieblichen Bedarfe in der Mine.
Dennoch bestehen Bedenken wegen möglicher langfristiger Folgen der Soleextraktion für das Ökosystem der Region. Einige Studien weisen darauf hin, dass die Soleextraktion negative Auswirkungen auf den Grundwasserspiegel sowie Vegetation und Biodiversität haben könnte. Ein eindeutiger kausaler Zusammenhang zwischen dem Abbau und den beobachteten Veränderungen konnte bislang nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden. Doch Umweltorganisationen und betroffene Gemeinden warnen davor, den Lithiumabbau auszuweiten, bevor ausreichend Kenntnis über die Langzeitfolgen des Abbaus besteht. Auch schüren inzwischen bekanntgewordene Verstöße privater und staatlicher Bergbaukonzerne gegen staatliche Umweltauflagen das Misstrauen der Bevölkerung, was die Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards angeht.
Politische und wirtschaftliche Umbrüche prägen den Rohstoffsektor
Dieses Misstrauen fügt sich in eine breitere Unzufriedenheit mit den politischen und wirtschaftlichen Strukturen des Landes ein, die besonders während des Estallido Social (sozialen Aufruhrs) im Jahr 2019 ihren Höhepunkt fand. Diese Proteste richteten sich gegen ein Wirtschaftsmodell, das zwar Wachstum generierte, aber soziale Ungleichheiten verfestigte und Umweltkosten externalisiert. Kritisiert wird auch, dass der Wohlstand aus der Ausbeutung von Ressourcen wie Kupfer und Lithium vor allem großen Unternehmen und Eliten zugutekomme, während die breite Bevölkerung kaum etwas davon habe. Ein besonders umstrittenes Beispiel ist das chilenische Unternehmen SQM, dessen langjähriger Chef Julio Ponce Lerou, ehemaliger Schwiegersohn von Diktator Augusto Pinochet, erheblich von der Privatisierung staatlicher Betriebe in den 1980er Jahren profitierte. Diese Verflechtung politischer Macht mit wirtschaftlichen Interessen symbolisiert für viele die fortbestehende Ungleichheit und Korruption im Land.
Gleichzeitig ist der Bergbausektor eine starke Säule der chilenischen Wirtschaft und hat das Wachstum des Landes über die Jahrzehnte maßgeblich geprägt. Mit der Verstaatlichung (»Chilenisierung«) der Kupferminen in den 1970er Jahren entstand der Staatskonzern CODELCO, der zu den größten Kupferproduzenten der Welt zählt. Heute trägt der Bergbausektor rund 12 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei, während die Beschäftigungsquote im Sektor stetig steigt. Anders als im Kupfersektor sind am Lithiumabbau bislang nur Privatunternehmen beteiligt. Angesichts der wachsenden Nachfrage nach Lithium fordern einige der linken Parteien innerhalb der Regierungskoalition von Präsident Gabriel Boric, die Produktion von Lithium ähnlich wie im Kupfersektor größerer staatlicher Kontrolle zu unterwerfen, um soziale Investitionen zu finanzieren und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes anzukurbeln. Vor allem die konservativen Parteien und die Industrie warnen jedoch vor den wirtschaftlichen Risiken einer Verstaatlichung. Mit der 2023 vorgestellten Nationalen Lithiumstrategie versucht die chilenische Regierung einen Mittelweg zu finden. In erster Linie mit Public-Private Partnerships (PPP) will sie die Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit mit der Notwendigkeit wirtschaftlicher Stabilität und internationaler Wettbewerbsfähigkeit in Einklang bringen. Mit der Strategie verfolgt die Regierung drei Hauptziele: Erstens will sie Chiles Salare in strategische, privatwirtschaftliche und geschützte Salare aufteilen. Strategische Salare, in denen über 90 Prozent der chilenischen Lithiumvorkommen lagern, dürfen nur mit staatlicher Mehrheitsbeteiligung erschlossen werden. Mindestens 30 Prozent der Salare müssen bis 2030 als Schutzgebiete ausgewiesen werden, in denen kein Lithiumabbau erlaubt ist. Für die restlichen Salare sollen spezielle Betriebskonzessionen für private chilenische oder ausländische Abbaufirmen vergeben werden. Zweitens ist geplant, die lokale Wertschöpfung, besonders entlang der Lithium-Ionen-Batterie-Lieferkette (LIB), zu fördern. Drittens sollen ein Forschungsinstitut für Lithium und Salare eingerichtet sowie umweltfreundliche und effizientere Abbaumethoden gefördert werden.
In Industrie und Zivilgesellschaft stößt die Nationale Lithiumstrategie auf gemischte Reaktionen. Während der Ausbau lokaler Wertschöpfung breite Unterstützung findet, erntet die neue Rolle des Staatsunternehmens CODELCO aufgrund seiner Umweltbilanz im Kupferbergbau Kritik in Teilen der Zivilgesellschaft. Die Industrie befürchtet vor allem, dass Chile durch zu hohe Anforderungen und langwierige Genehmigungsverfahren seine dominierende Rolle im Lithiumsektor verspielt. Einst war Chile führend in der weltweiten Lithiumproduktion. Mittlerweile ist sein Anteil an der globalen Förderung durch den starken Ausbau in Australien und China erheblich gesunken. Auch die geplante Ausweitung der Lithiumförderung in Argentinien, Europa und Nordamerika setzt das Land zunehmend unter Druck. Besonders im Nachbarland Argentinien treibt die Regierung unter Präsident Javier Milei den Ausbau des Bergbausektors mit Nachdruck voran. Dazu setzt sie auf attraktive Anreizsysteme für Großinvestitionen und geringere Abgaben für Bergbauunternehmen als in Chile. Die Regierung stellt keine Bedingungen an Unternehmen zur Förderung der lokalen Wertschöpfung entlang der Lieferkette.
Mehr Reichtum vom Rohstoffreichtum
Doch weder die Regierung noch die Bevölkerung Chiles wollen ein extraktivistisches Modell fortführen, bei dem Rohstoffe nur abgebaut und dann zur weiteren Verarbeitung exportiert werden. Stattdessen soll die Lithium- und Kupferproduktion den Ausgangspunkt für mehr lokale Wertschöpfung und wirtschaftliche Diversifizierung bilden, unter anderem durch Verknüpfungen mit vor- und nachgelagerten Sektoren.
Verknüpfungen mit vorgelagerten Lieferketten
Seit Ende der 1990er Jahre fördert die chilenische Entwicklungsbehörde CORFO die Verknüpfung des Rohstoffsektors mit vorgelagerten Lieferketten. Anstatt auf lokale Beschaffungsvorgaben zu setzen, nutzt Chile steuerliche Anreize und Subventionen, um den Technologietransfer sowie die Ausbildung in der Zuliefererindustrie zu unterstützen. So haben sich lokale Zulieferunternehmen entwickelt, die spezialisierte Technologien und Dienstleistungen für die einzigartigen Abbaubedingungen des Landes anbieten und sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil verschaffen konnten.
Auch investiert der chilenische Staat vermehrt in Forschung und Entwicklung, besonders im Bereich der effizienteren Produktion von Lithium, der Wiederverwendung von LIB sowie deren Fremdverwendung als Energiespeicher.
Verknüpfungen mit nachgelagerten Lieferketten
Im Bereich nachgelagerte Lieferketten will Chile künftig intensiver auf die industrielle Verarbeitung seiner Rohstoffe setzen. Im Kupfersektor ist der Anteil an weiterverarbeiteten Produkten in den letzten Jahren merklich gesunken. Wurde Anfang der 2000er Jahre noch ein Großteil des abgebauten Kupfers zu Kathoden verarbeitet, macht Kupferkonzentrat heute mehr als die Hälfte der Exporte aus. Bis 2030 wird dieser Anteil auf maximal 70 Prozent steigen. Dieser Wandel ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen: Zum einen fehlt es an ausreichenden Veredelungskapazitäten. Verschärft wird dieser Mangel, weil veraltete Schmelzen geschlossen werden mussten, da sie die Umweltauflagen nicht mehr erfüllen können. Zum anderen ist die Ausfuhr von Kupferkonzentrat rentabler geworden, da die Herstellung von Kupferkathoden mit hohen Investitions- und Betriebskosten verbunden ist. Vor allem die massive Erweiterung der Verarbeitungskapazitäten in China hatte eine Marktübersättigung zur Folge, was die Abgaben von Bergbauunternehmen an Schmelzen und Raffinerien drückt. Zugleich wächst die Nachfrage nach Kupferkonzentrat, nicht nur aus China, sondern auch aus anderen Ländern, die ihre Weiterverarbeitungskapazitäten in der Kupferlieferkette ausbauen.
Im Lithiumsektor soll neben der Ausweitung der Abbaukapazitäten auch die industrielle Verarbeitung im Land gefördert werden. Die beiden derzeitigen Abbaufirmen Albemarle und SQM bereiten Lithium schon heute zu Karbonat auf, SQM auch zu Hydroxid, nachdem die chilenische Regierung den Export unverarbeiteten Lithiums verboten hatte. Doch die Regierung will noch weiter gehen. Im Rahmen von Vorzugsvereinbarungen (preferential pricing agreements) bekommen bestimmte Käufer das in Chile abgebaute Lithium zu reduzierten Preisen und verpflichten sich im Gegenzug, in die lokale Wertschöpfung zu investieren. Der Gedanke dabei ist, den Wert des Rohstoffs selbst zu verringern, um den Wert entlang der Lieferkette zu erhöhen, zum Beispiel durch den Bau einer Fabrik zur Kathodenherstellung. Kathoden bilden einen zentralen Bestandteil einer LIB; ihre Produktion ist technisch komplex und weltweit auf nur wenige Hersteller konzentriert. China produziert rund 90 Prozent des Kathodenaktivmaterials, gefolgt von Südkorea (9%) und Japan (3%). Die Herstellung von Lithium-Ionen-Kathoden ist ein essentieller Baustein der Strategie der chilenischen Regierung zur Ausweitung lokaler Wertschöpfung im Land. Deshalb waren die Erwartungen groß, als die chinesischen Firmen Yongqing Technology Co und BYD eine der Ausschreibungen zu preisreduziertem Lithium gewannen und ihrerseits versprachen, in Chile eine Kathodenfabrik zu bauen. Doch schon im Mai 2024 kündigte BYD an, den Bau der Fabrik zu verschieben. Zu groß sei der Preisabfall von Lithium seither, zu schwierig auch das rechtlich-bürokratische Umfeld in Chile. Auch zwei vorherige Abkommen haben bislang keine nennenswerten Investments ins Land gebracht. Ein viertes Abkommen wird derzeit noch verhandelt.
Für die Ansiedlung weiterer Produktionsschritte der Batterielieferkette in Chile spricht zwar, dass das Land große und hochwertige Vorkommen an Lithium hat und bereits die technischen Kapazitäten zur industriellen Weiterverarbeitung seines Rohstoffs besitzt. Zwischen der Herstellung hochwertiger Batterierohstoffe und der Produktion von Kathodenaktivmaterial oder Batteriezellen liegt allerdings eine entscheidende technische Lücke. Auch suggeriert der Name Lithium-Ionen-Batterie, dass es sich dabei hauptsächlich um Lithium handelt. Tatsächlich aber macht das Lithium in der Batterie nur rund 10 Prozent der gesamten Rohstoffe aus. Daneben wird etwa Kobalt oder Nickel benötigt, das derzeit importiert werden müsste.
Ein weiterer Faktor für die Ansiedlung der Batterielieferkette ist die geographische Lage und Nähe zum Abnehmermarkt. Weder in Chile noch bei seinen Nachbarn gibt es derzeit einen großen Absatzmarkt für Elektroautos; eine eigene Automobilindustrie hat Chile nicht. Dies ist ein entscheidender Unterschied zu Ländern wie Mexiko oder Brasilien, in denen sich einige der für LIB benötigten Rohstoffe ebenso finden wie eine gut ausgebaute Automobilindustrie und eine geographische Nähe zu großen Absatzmärkten. Großes Synergiepotential hätte eine engere regionale Verzahnung entlang der LIB-Lieferkette, etwa zwischen Chile, Argentinien und Brasilien. Bislang fehlen aber sowohl ein tragfähiges Handelsnetzwerk als auch politische Initiativen zur vertieften Zusammenarbeit – nicht zuletzt wegen Differenzen zwischen den Regierungen der Region.
Horizontale Verknüpfungen
Neben Verknüpfungen zu vor- und nachgelagerten Lieferketten bietet der Rohstoffsektor in Chile auch Anknüpfungspunkte bei der Energie- und Wasserversorgung. Auf den Bergbau entfällt rund ein Drittel des Stromverbrauchs im Land. Der geplante Ausbau bei der Kupfer- und Lithiumproduktion wird mit einem signifikanten Anstieg des Strombedarfs einhergehen. Gleichzeitig hat sich Chile ehrgeizige Ziele bei der Energiewende gesetzt. Bis 2030 sollen 70 Prozent des Strommixes aus erneuerbaren Quellen kommen; bereits 2022 lag der Anteil bei über 50 Prozent. Die hohe Verfügbarkeit erneuerbarer Energiequellen könnte indes bewirken, dass Chiles Produktion grünen Wasserstoffs eher klein bleibt. Deshalb hat die Regierung eine Strategie für den Aufbau des Wasserstoffsektors entwickelt. Im Gegensatz zum Rohstoffsektor ist der Eingriff des Staates hier jedoch eher moderat. Zurzeit befinden sich in Chile mehrere Wasserstoffprojekte in der Entwicklungsphase, aber bis zur kommerziellen Herstellung grünen Wasserstoffs wird es noch Jahre dauern. Die Versorgung mit erneuerbarem Strom und grünem Wasserstoff ist ein wichtiger Baustein für die Dekarbonisierung des chilenischen Bergbausektors, denn allein die Kupferproduktion ist für rund 7 Prozent der Emissionen des Landes verantwortlich. Doch Chiles Stromsektor krankt an einem zu langsamen Ausbau von Übertragungsnetzen und Batteriespeichern. Die Folge sind häufige Einschnitte in die erneuerbare Energieversorgung, von denen auch der Bergbausektor betroffen ist.
Derweil stellt die Wasserversorgung vor allem die Industrie im Norden vor Herausforderungen. Die begrenzte Verfügbarkeit von Süßwasser und zunehmende Umweltauflagen zwingen Bergbauunternehmen, alternative Lösungen zu finden. Eine dieser Technologien ist die Meerwasserentsalzung, die inzwischen einen wachsenden Anteil der Wasserversorgung im Bergbau ausmacht. Allerdings ist dieser Prozess sehr energieintensiv, was wiederum die Nachfrage nach erneuerbaren Energien in der Branche steigert.
Chiles Rohstoffsektor im Spannungsfeld globaler Partnerschaften
Für den Ausbau seines Rohstoffsektors ist Chile auf Investitionen ausländischer Firmen angewiesen. China ist inzwischen nicht nur Chiles größter Handelspartner (gefolgt von den USA und der EU), sondern auch der größte Abnehmer chilenischer Rohstoffe und ein wichtiger Akteur im chilenischen Bergbausektor. Chinesische Firmen kaufen Anteile an chilenischen Stromversorgern, Stromtrassen sowie Solar- und Windkraftanlagen. 2018 erwarb die chinesische Tianqi Lithium Corporation einen Anteil von 24 Prozent an SQM, also einem der beiden derzeit einzigen Lithiumabbauunternehmen in Chile. Neben den bereits erwähnten Ausschreibungen über Investitionen in nachgelagerten Lieferketten haben sich mehrere chinesische Firmen als Kandidaten für ein PPP mit CODELCO zum Abbau von Lithium in Chiles strategischen Salaren beworben.
Doch die wirtschaftliche Abhängigkeit von China wird zunehmend auch kritisch gesehen, gerade in Zeiten geopolitischer Spannungen. Chile hat deshalb ein Interesse daran, sein Investment- und Handelsportfolio zu diversifizieren, etwa durch intensivere industrielle Zusammenarbeit mit den USA und der EU. Ein bedeutender Schritt in diese Richtung war die Modernisierung des seit 2003 bestehenden Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Chile, das um eigene Kapitel zu Rohstoffen, Energie und Nachhaltigkeit erweitert wurde. Zudem vertiefte Chile seine Beziehungen zur EU durch eine strategische Partnerschaft für kritische Rohstoffe. Das 2023 unterzeichnete Memorandum of Understanding (MoU) soll der engeren Zusammenarbeit in Rohstoffverarbeitung, Forschung und Nachhaltigkeit dienen. Es umfasst den Aufbau einer wettbewerbsfähigen, nachhaltigen Rohstoffindustrie, die Förderung von Halbfertig- und Endprodukten, gemeinsame Forschungs- und Innovationsprojekte sowie Maßnahmen zur Harmonisierung von Umweltstandards. Vorgesehen ist auch die Umsetzung gemeinsamer Infrastruktur- und Rohstoffprojekte, etwa in Form von Joint Ventures. Im November 2024 einigten sich die beiden Seiten auf eine Roadmap, in der konkrete Projekte in den Bereichen Forschung, Nachhaltigkeit, Governance und Fachkräfteausbildung definiert wurden.
Bei der wissenschaftlichen und technischen Kooperation herrscht reger Austausch zwischen Chile und der EU. Gemeinsame Forschungsprojekte fördern Innovationen in nachhaltigem Bergbau, Kreislaufwirtschaft und umweltfreundlichen Verarbeitungstechnologien. Programme wie Horizon Europe unterstützen den Wissenstransfer und die Entwicklung neuer Technologien zur Effizienzsteigerung und Emissionsreduktion. Zudem gibt es Partnerschaften zwischen europäischen und chilenischen Universitäten sowie Forschungszentren, die Fachkräfteausbildung und Kompetenzentwicklung vorantreiben.
Bei der industriellen Kooperation und der Förderung lokaler Wertschöpfung bleibt das europäische Engagement jedoch bislang hinter den Erwartungen zurück – was sich auch bei anderen Rohstoffpartnerschaften der EU beobachten lässt. Trotz langjähriger Handelsbeziehungen und Chiles Reputation als stabiler politischer und regulatorischer Partner halten sich europäische Unternehmen mit Investitionen in den chilenischen Rohstoffsektor zurück. Hauptgründe sind die Unsicherheit über neue Vorschriften im Lithiumsektor und die Umsetzung der Nationalen Lithiumstrategie sowie die hohe Dynamik des Batteriemarktes: Sollte Lithium-Ionen-Technologie künftig von anderen Batterietypen abgelöst werden, wären Investitionen mit beträchtlichen Risiken verbunden. Zudem beklagen kleine und mittelständische Unternehmen, sie hätten Schwierigkeiten, sich gegen etablierte Akteure im chilenischen Bergbau zu behaupten, da die chilenische Regierung bei öffentlich-privaten Partnerschaften (PPP) tendenziell größere, erfahrene Unternehmen bevorzuge.
In diesem Zusammenhang wird oft argumentiert, Europa verfüge nur über begrenzte Bergbaukompetenz und wenige global agierende Bergbauunternehmen. Gerade für den Lithiumsektor greift dieses Argument aber nur bedingt: Anders als der traditionelle Hartgesteinsbergbau ist der Abbau von Lithium aus Sole ein rein chemischer Prozess – ein Bereich, in dem Europa mit seiner leistungsfähigen Chemiebranche gut aufgestellt ist. Zudem forschen europäische Unternehmen selbst intensiv an der Lithiumgewinnung mittels Direkter Lithiumextraktion (DLE), was Anknüpfungspunkte für eine tiefere Zusammenarbeit bieten könnte. Ein vielversprechendes Beispiel für eine Dreieckskooperation hätte der Einstieg des Chemiekonzerns BASF in ein chilenisches Lithiumprojekt mit dem kanadischen Unternehmen Wealth Minerals sein können. Während Wealth Minerals den Abbau übernehmen sollte, wollte BASF in eine Kathodenfabrik investieren – ein Modell, das Synergien schaffen und damit für alle Beteiligten Vorteile hätte bringen können. Doch BASF verwarf das Projekt noch vor seinem Start. Eine offizielle Begründung nannte das Unternehmen nicht. Vermutet wird, dass auch hier der Preis- und Nachfrageabfall bei Lithium ein entscheidender Faktor war.
Am Beispiel der Rohstoffpartnerschaft mit Chile offenbart sich die Schwierigkeit, politische Ziele zur Diversifizierung mit der Investitionsbereitschaft der Privatwirtschaft zu verbinden. Da die Umsetzung des MoU maßgeblich in der Hand privater Akteure liegt, hat die EU hier nur begrenzten Einfluss. Umso wichtiger ist es, gezielt Instrumente zu entwickeln, die Investitionen europäischer Unternehmen im Partnerland fördern. Dabei sollte die EU vor allem drei Aspekte besonders beachten.
Finanzielle Anreize für Rohstoffpartner schaffen
Die EU verfolgt in ihrer Rohstoffstrategie einen zweigleisigen Ansatz: Zum einen setzt sie auf strategische Partnerschaften, zum anderen auf den Ausbau eigener Kapazitäten entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Die im Critical Raw Materials Act definierten Ziele für 2030 erfordern eine deutliche Steigerung des Abbaus, der Weiterverarbeitung und des Recyclings von Rohstoffen in der EU. Das Interesse der Industrie am Aufbau neuer Rohstoffprojekte innerhalb der EU zeigt sich nicht zuletzt an den kürzlich von der Kommission ausgewählten 47 strategischen Projekten, von denen fast die Hälfte die Lithiumförderung betrifft. Ob in einer zweiten Auswahlrunde auch Projekte in Partnerländern wie Chile berücksichtigt werden, bleibt abzuwarten. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie attraktiv Investitionen in den chilenischen Lithiumabbau oder die Kupferverarbeitung für europäische Unternehmen sind, solange der Fokus auf dem heimischen Ausbau liegt. Zwar argumentiert die EU, der wachsende Bedarf mache langfristig sowohl europäische als auch externe Rohstoffquellen notwendig. Doch entscheidend wird sein, ob europäische Akteure bis dahin erfolgreich in globale Rohstofflieferketten integriert sind oder ob sie erneut in Abhängigkeiten geraten, sei es von China, sei es von neuen Akteuren wie Saudi-Arabien, Indien oder Südkorea, die sich ebenfalls Zugang zu Chiles Rohstoffen sichern wollen. Denn eine geographische Diversifizierung bedeutet nicht automatisch eine Zuliefererdiversifizierung, wenn die EU am Ende Rohstoffe oder Kathoden aus Chile importiert, die aus chinesisch kontrollierten Schmelzen oder Kathodenfabriken stammen.
Damit Rohstoffpartnerschaften deshalb tatsächlich zur Diversifizierung beitragen, müssen stärkere Anreize für europäische Unternehmen geschaffen werden, in Partnerländern zu investieren. Der Mehrwert für diese Länder bleibt begrenzt, wenn der Anreiz lediglich darin besteht, sich für strategische Projekte bewerben zu können. Zwar soll damit der Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten erleichtert werden, doch bestehen für Projekte in Europa weitaus mehr Fördermöglichkeiten durch die EU.
Die EU muss hier nachsteuern, indem sie sowohl kurzfristig wirkungsvollere Fiskalimpulse gibt als auch die langfristigen Vorteile einer Partnerschaft mit Chile klarer herausstellt. Das Finanzinstrument, das für erneuerbare Wasserstoffprojekte in Chile entwickelt wurde, könnte auf den Rohstoffsektor übertragen werden, indem zinsgünstige Kredite von der EU mit Zuschüssen kombiniert werden, die gezielt nachhaltige und emissionsarme Rohstoffprojekte in Partnerländern fördern. Dies würde europäische Unternehmen ermutigen, in umweltfreundliche Rohstoffgewinnung und -verarbeitung zu investieren und zugleich Partnerländern helfen, ihre Rohstoffindustrie umweltfreundlicher zu gestalten. Langfristig würde dies sowohl europäischen als auch chilenischen Akteuren große Vorteile verschaffen. Sollten CO2-Abgabenmechanismen wie der europäische Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) zukünftig auch Batterierohstoffe wie Lithium umfassen, könnte die Produktion in Chile genauso kosteneffizient, je nach Verarbeitungsmethode sogar günstiger sein als in China.
Lokale Wertschöpfung entlang der ganzen Kette verstehen
Der Diskurs über lokale Wertschöpfung, besonders im Fall von Lithium, konzentriert sich häufig auf die industrielle Rohstoffverarbeitung bis hin zur Produktion von Batteriezellen und kompletten Batteriesystemen. Allerdings hängt die wirtschaftliche und technologische Sinnhaftigkeit des Aufbaus einer nachgelagerten (Batterie-)Lieferkette maßgeblich von den standortspezifischen Gegebenheiten eines Landes ab, wie das Beispiel Chiles verdeutlicht. Die Möglichkeiten der lokalen Wertschöpfung im Rohstoffsektor müssen deshalb breiter gedacht werden. Der Ausbau von Kapazitäten in effizienter und umweltfreundlicher Rohstoffgewinnung und -verarbeitung bietet Chile die Chance, sich angesichts des wachsenden Interesses an der Rohstoffförderung in anderen Ländern als international gefragter Technologiestandort und Partner für nachhaltige Bergbauprojekte zu positionieren. Durch Programme zum Technologietransfer, zur Forschungskooperation und zur Fachkräfteentwicklung kann die EU gezielt den Aufbau chilenischer Zulieferindustrien unterstützen, etwa bei Maschinenbau, Automatisierung oder Recyclingtechnologien. Auf diese Weise kann die EU sowohl lokale Wertschöpfung stärken als auch europäische Unternehmen in strategische Lieferketten einbinden.
Dafür muss die EU im Sinne der horizontalen Verknüpfung von Sektoren ihre unterschiedlichen Partnerschaften besser integrieren, um mehr Synergien zu schaffen. Im Falle Chiles bedeutet das eine engere Verzahnung des Rohstoff-, des Energie- und des Wasserstoffsektors. Damit diese Partnerschaften ihr volles Potential entfalten können, müssen sie kohärent aufeinander abgestimmt sein und als strategisch verzahntes Gesamtpaket wirken statt in Form isolierter Einzelinitiativen.
Geopolitische Dynamiken nutzen
Bei der Umsetzung ihrer Rohstoffpartnerschaften muss die EU aktuelle geopolitische Entwicklungen stärker mit einbeziehen. Chiles Interesse an einer engeren Partnerschaft mit der EU zielt auch darauf ab, der dominierenden Rolle Chinas in Chiles Industrie und Handelsbeziehungen entgegenzuwirken. Gleichzeitig positioniert sich Chile in Rohstofffragen bewusst neutral und wird sich langfristig an denjenigen Akteuren orientieren, die konkrete, verlässliche und für das Land vorteilhafte Angebote machen. Das bedeutet: Um die Partnerschaft mit Chile zu stärken und eigene wirtschafts- und sicherheitspolitische Interessen durchzusetzen, muss die EU selbst aktiver investieren und geopolitische Handlungsspielräume strategischer nutzen. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund der Industrie- und Handelspolitik der neuen US-Regierung. Durch das Freihandelsabkommen mit den USA hätten sich chilenische Rohstoffexporte unter dem Inflation Reduction Act (IRA) für Subventionen für Elektroautos und Batterien qualifiziert. Doch die Trump-Administration hat die Steuergutschriften bereits auf den Prüfstand gestellt. Angesichts möglicher Zölle auf Kupfer und des Fokus der US-Industriepolitik auf nationalen Verarbeitungskapazitäten steht Chile nun vor einer doppelten Herausforderung: Es sucht den Weg aus der wachsenden Abhängigkeit von China und muss sich zugleich auf ein zunehmend unsicheres Verhältnis zu den USA einstellen.
Die EU kann diese geopolitische Verschiebung nutzen, um sich als verlässlicher, langfristig orientierter Partner zu positionieren. Dazu reicht es nicht, sich rhetorisch durch einen partnerschaftlichen Ansatz abzugrenzen. Die EU muss diesen Anspruch durch substantielle Angebote in den Bereichen industrielle Entwicklung und nachhaltige Technologiekooperation unterfüttern, bevor China die entstehende Lücke weiter für sich nutzt. Nur so kann sie sich als glaubwürdige Alternative beweisen und ihre erklärte politische Absicht, eine Rohstoffpartnerschaft auf Augenhöhe zu gestalten, auch in die Tat umsetzen.
Inga Carry ist Wissenschaftlerin im Projekt »Forschungsnetzwerk Nachhaltige Globale Lieferketten«, finanziert vom Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ).
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