Direkt zum Seiteninhalt springen

Rohstoffpartner Chile: Mehr als nur ein Lieferant

Wie die EU strategische Partnerschaften stärken und geopolitische Spielräume nutzen sollte

SWP-Aktuell 2025/A 21, 07.05.2025, 8 Seiten

doi:10.18449/2025A21

Forschungsgebiete

Im Sommer 2023 schloss die EU eine strategische Rohstoffpartnerschaft mit Chile. Während sich die EU dadurch besseren Zugang zu kritischen Rohstoffen wie Lithium und Kupfer verspricht, strebt Chile eine stärkere Diversifizierung seines Rohstoff­sektors und eine höhere lokale Wertschöpfung an. Trotz Fortschritten auf wissenschaftlich-technischer Ebene bleibt jedoch die industrielle Kooperation mit der EU bislang hinter den Erwartungen zurück. Um das Potential der Partnerschaft auszuschöpfen, sollte die EU ihre bestehenden Initiativen mit Chile gezielter aufeinander abstimmen und Synergien zwischen Rohstoffen, erneuerbaren Energien und Wasserstoff besser nutzen. Dafür bedarf es auch wirksamerer Anreize für Investitionen europäischer Unternehmen. Gerade angesichts der neuen US-Handelspolitik muss die EU ihr partnerschaftliches Versprechen mit konkretem Handeln untermauern, um sich als verlässlicher Partner zu beweisen.

Unter der Ata­cama-Wüste im Norden Chiles lagern zwei der begehrtesten Rohstoffe unserer Zeit: Kupfer und Lithium. Seit dem 19. Jahrhun­dert wird das »rote Gold« in Chile indus­tri­ell abgebaut. Heute ist das Land mit rund 25 Prozent der globalen Kupferproduktion der weltgrößte Produzent. Da Kupfer essen­tiell für den Energie-, den Mobi­litäts- und den Elek­troniksektor ist, dürfte die Nachfrage in den kommenden Jahrzehnten erheblich steigen.

Auch Lithium – das »weiße Gold« – gewinnt in Zeiten von Dekarbonisierung und Digitalisierung rasant an Bedeutung. Als Schlüsselrohstoff der Zwillingstrans­for­mation muss seine Produktion in den nächsten Jahren um das Vier- bis Sieben­fache gegenüber 2020 wachsen.

Im sogenannten Lithiumdreieck, welches neben Chile auch Bolivien und Argentinien umfasst, lagert etwa die Hälfte der welt­weiten Lithiumvorkommen. Nach Australien ist Chile der zweitgrößte Lithiumproduzent der Welt. Allein auf die zwei in Chile tätigen Produzenten Albemarle (USA) und SQM (Chile) entfallen fast 40 Prozent des welt­weiten Lithiumabbaus.

Anders als in Australien wird das Lithium in Chile nicht aus Hartgestein gewonnen, sondern lagert in riesigen Salzseen (Salaren). Für den Abbau wird die Sole an die Oberfläche gepumpt und in Evaporationsbecken geleitet. Die Sonneneinstrahlung lässt die Sole verdunsten, wodurch sich die darin gelösten Lithiumsalze sowie weitere Elemente anreichern. Dieser natürliche Pro­zess ist nicht nur kosten­günstiger, sondern auch weit weniger energie- und CO₂-inten­siv als der Abbau aus Hartgestein.

Doch der Lithiumabbau steht auch in der Kritik, besonders wegen des Wasser­verbrauchs in einer der trocken­sten Regio­nen der Welt. Dabei muss zwi­schen dem Abbau­prozess selbst und den möglichen langfristigen Auswirkungen auf die Region unter­schieden werden. Für die Gewinnung des Lithiums wird eine Sole aus der Erde gepumpt, deren Salzgehalt mehr als acht­mal so hoch ist wie der von Meer­wasser und die weder für den menschlichen Gebrauch noch für die Landwirtschaft nutz­bar ist. Während des Verdunstungsprozesses wird zudem nur ein Bruchteil des Frisch­­wassers – etwa 6 Prozent – für die An­rei­cherung des Lithiums verwendet. Der Rest entfällt auf die Produktion ande­rer Minera­le sowie für die sanitären und betrieblichen Bedarfe in der Mine.

Dennoch bestehen Bedenken wegen mög­licher lang­fristiger Folgen der Soleextrak­tion für das Ökosystem der Region. Einige Studi­en weisen darauf hin, dass die Sole­extrak­tion negative Auswirkungen auf den Grundwasserspiegel sowie Vegetation und Biodiversität haben könnte. Ein ein­deutiger kausaler Zusammenhang zwischen dem Abbau und den beobachteten Verände­run­gen konnte bislang nicht zweifelsfrei nach­gewiesen werden. Doch Umweltorganisatio­nen und betroffene Ge­meinden warnen da­vor, den Lithiumabbau auszuweiten, bevor aus­rei­chend Kenntnis über die Langzeit­folgen des Abbaus besteht. Auch schüren inzwischen bekanntgeworde­ne Verstöße privater und staatlicher Berg­baukonzerne gegen staat­liche Umweltauflagen das Miss­trauen der Bevölkerung, was die Einhaltung von Nach­haltig­keits­standards angeht.

Politische und wirtschaftliche Umbrüche prägen den Rohstoff­sektor

Dieses Misstrauen fügt sich in eine brei­tere Unzufriedenheit mit den politischen und wirtschaftlichen Strukturen des Landes ein, die besonders während des Estallido Social (sozialen Aufruhrs) im Jahr 2019 ihren Höhe­punkt fand. Diese Pro­teste richteten sich gegen ein Wirtschaftsmodell, das zwar Wachstum gene­rierte, aber soziale Ungleich­­heiten ver­festigte und Umweltkosten ex­ternalisiert. Kritisiert wird auch, dass der Wohl­stand aus der Ausbeutung von Res­sourcen wie Kupfer und Lithi­um vor allem großen Unternehmen und Eliten zugutekomme, während die breite Bevölkerung kaum etwas da­von habe. Ein besonders umstrittenes Beispiel ist das chile­nische Unternehmen SQM, dessen lang­jähriger Chef Julio Ponce Lerou, ehemaliger Schwie­gersohn von Diktator Augusto Pinochet, erheblich von der Privatisierung staatlicher Betriebe in den 1980er Jahren profitierte. Diese Verflechtung politischer Macht mit wirtschaftlichen Interessen symbolisiert für viele die fortbestehende Ungleichheit und Korruption im Land.

Gleichzeitig ist der Bergbausektor eine starke Säule der chilenischen Wirtschaft und hat das Wachstum des Landes über die Jahrzehnte maßgeblich geprägt. Mit der Ver­staatlichung (»Chilenisierung«) der Kup­ferminen in den 1970er Jahren entstand der Staats­konzern CODELCO, der zu den größ­ten Kupferproduzenten der Welt zählt. Heute trägt der Bergbausektor rund 12 Pro­zent zum Bruttoinlandsprodukt bei, wäh­rend die Beschäftigungsquote im Sektor stetig steigt. Anders als im Kupfersektor sind am Lithiumabbau bislang nur Privat­unternehmen beteiligt. Angesichts der wachsenden Nach­frage nach Lithium for­dern einige der linken Parteien innerhalb der Regierungskoalition von Präsident Gabriel Boric, die Produktion von Lithium ähnlich wie im Kupfersektor größerer staat­licher Kontrolle zu unterwerfen, um soziale Investitionen zu finanzieren und die wirt­schaftliche Entwicklung des Landes anzu­kurbeln. Vor allem die konservativen Par­teien und die Industrie warnen jedoch vor den wirtschaftlichen Risiken einer Ver­staat­lichung. Mit der 2023 vorgestellten Natio­nalen Lithiumstrategie versucht die chileni­sche Regierung einen Mittelweg zu finden. In erster Linie mit Public-Private Partner­ships (PPP) will sie die Forde­rungen nach sozialer Gerechtigkeit mit der Notwendigkeit wirtschaftlicher Stabilität und inter­nationaler Wettbewerbsfähigkeit in Ein­klang bringen. Mit der Strategie verfolgt die Regierung drei Hauptziele: Erstens will sie Chiles Salare in strategische, privatwirtschaftliche und geschützte Salare aufteilen. Strategische Salare, in denen über 90 Pro­zent der chilenischen Lithiumvorkommen lagern, dürfen nur mit staatlicher Mehrheitsbeteiligung erschlossen werden. Min­destens 30 Prozent der Salare müssen bis 2030 als Schutzgebiete ausgewiesen wer­den, in denen kein Lithiumabbau erlaubt ist. Für die rest­lichen Salare sollen spezielle Betriebskonzessionen für private chilenische oder aus­ländische Abbaufirmen ver­geben werden. Zweitens ist geplant, die lokale Wertschöpfung, besonders ent­lang der Lithium-Ionen-Batterie-Lieferkette (LIB), zu fördern. Drittens sollen ein Forschungsinstitut für Lithium und Salare eingerichtet sowie umweltfreundliche und effizientere Abbaumethoden gefördert werden.

In Industrie und Zivilgesellschaft stößt die Nationale Lithiumstrategie auf gemisch­te Reaktionen. Während der Ausbau lokaler Wertschöpfung breite Unterstützung findet, erntet die neue Rolle des Staatsunternehmens CODELCO aufgrund seiner Umwelt­bilanz im Kupferbergbau Kritik in Teilen der Zivil­gesellschaft. Die Industrie befürchtet vor allem, dass Chile durch zu hohe Anforderungen und langwierige Genehmigungsverfahren seine dominierende Rolle im Lithiumsektor verspielt. Einst war Chile führend in der weltweiten Lithiumproduktion. Mittlerweile ist sein Anteil an der glo­balen Förderung durch den starken Ausbau in Australien und China erheblich gesun­ken. Auch die geplante Ausweitung der Lithium­förderung in Argentinien, Europa und Nordamerika setzt das Land zunehmend unter Druck. Besonders im Nachbarland Argentinien treibt die Regierung unter Präsident Javier Milei den Ausbau des Berg­bausektors mit Nachdruck voran. Dazu setzt sie auf attraktive Anreizsysteme für Großinvestitionen und geringere Abgaben für Bergbauunternehmen als in Chile. Die Regierung stellt keine Bedingungen an Unternehmen zur Förderung der lokalen Wertschöpfung entlang der Lieferkette.

Mehr Reichtum vom Rohstoffreichtum

Doch weder die Regierung noch die Bevöl­kerung Chiles wollen ein extraktivistisches Modell fortführen, bei dem Rohstoffe nur abgebaut und dann zur weiteren Ver­arbei­tung exportiert werden. Stattdessen soll die Lithium- und Kupferproduktion den Aus­gangspunkt für mehr lokale Wertschöpfung und wirtschaftliche Diversifizierung bilden, unter anderem durch Verknüpfungen mit vor- und nach­gelagerten Sektoren.

Verknüpfungen mit vorgelagerten Lieferketten

Seit Ende der 1990er Jahre fördert die chile­nische Entwicklungsbehörde CORFO die Ver­knüpfung des Rohstoffsektors mit vorgelager­ten Lieferketten. Anstatt auf lokale Be­schaffungsvorgaben zu setzen, nutzt Chile steuerliche Anreize und Subventionen, um den Technologietransfer sowie die Ausbildung in der Zuliefererindustrie zu unter­stützen. So haben sich lokale Zulieferunter­nehmen entwickelt, die spezialisierte Tech­nologien und Dienstleistungen für die einzigartigen Abbaubedingungen des Lan­des anbieten und sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil verschaffen konnten.

Auch investiert der chilenische Staat vermehrt in Forschung und Entwicklung, besonders im Bereich der effizienteren Produktion von Lithium, der Wieder­verwendung von LIB sowie deren Fremdverwendung als Energiespeicher.

Verknüpfungen mit nachgelagerten Lieferketten

Im Bereich nachgelagerte Lieferketten will Chile künftig intensiver auf die industrielle Verarbeitung seiner Rohstoffe setzen. Im Kupfersektor ist der Anteil an weiterver­arbeiteten Produkten in den letzten Jahren merklich gesunken. Wurde Anfang der 2000er Jahre noch ein Großteil des abge­bauten Kupfers zu Kathoden ver­arbeitet, macht Kupferkonzentrat heute mehr als die Hälfte der Ex­porte aus. Bis 2030 wird dieser Anteil auf maximal 70 Pro­zent stei­gen. Dieser Wandel ist auf mehrere Fakto­ren zurückzuführen: Zum einen fehlt es an aus­reichenden Veredelungskapazitäten. Ver­schärft wird dieser Mangel, weil veralte­te Schmel­zen geschlos­sen werden mussten, da sie die Umwelt­auflagen nicht mehr erfül­len kön­nen. Zum anderen ist die Aus­fuhr von Kupfer­konzentrat rentabler geworden, da die Herstellung von Kupfer­kathoden mit hohen Investitions- und Betriebs­kosten ver­bunden ist. Vor allem die massive Erweiterung der Verarbeitungs­kapazitäten in China hatte eine Marktübersättigung zur Folge, was die Abgaben von Bergbauunternehmen an Schmelzen und Raffinerien drückt. Zu­gleich wächst die Nachfrage nach Kupferkonzentrat, nicht nur aus China, sondern auch aus anderen Ländern, die ihre Weiter­verarbeitungskapa­zitäten in der Kupfer­lieferkette ausbauen.

Im Lithiumsektor soll neben der Ausweitung der Abbaukapazitäten auch die indus­trielle Verarbeitung im Land gefördert wer­den. Die beiden derzeitigen Abbaufirmen Albemarle und SQM bereiten Lithium schon heute zu Karbonat auf, SQM auch zu Hydroxid, nachdem die chilenische Regie­rung den Export unverarbeiteten Lithiums verboten hatte. Doch die Regierung will noch weiter gehen. Im Rahmen von Vor­zugsvereinbarungen (preferential pricing agreements) bekom­men bestimmte Käufer das in Chile abgebaute Lithium zu reduzier­ten Preisen und verpflichten sich im Gegen­zug, in die lokale Wertschöpfung zu inves­tieren. Der Gedanke dabei ist, den Wert des Rohstoffs selbst zu verringern, um den Wert entlang der Lieferkette zu erhöhen, zum Beispiel durch den Bau einer Fabrik zur Kathodenherstellung. Kathoden bilden einen zentralen Bestandteil einer LIB; ihre Produktion ist technisch komplex und weltweit auf nur wenige Hersteller kon­­zen­triert. China produziert rund 90 Pro­zent des Kathodenaktivmaterials, gefolgt von Süd­korea (9%) und Japan (3%). Die Her­stellung von Lithium-Ionen-Kathoden ist ein essen­tieller Baustein der Strategie der chilenischen Regierung zur Ausweitung lokaler Wertschöpfung im Land. Deshalb waren die Erwartungen groß, als die chi­nesischen Firmen Yongqing Technology Co und BYD eine der Ausschreibungen zu preisreduziertem Lithium gewannen und ihrerseits versprachen, in Chile eine Katho­denfabrik zu bauen. Doch schon im Mai 2024 kündigte BYD an, den Bau der Fabrik zu verschieben. Zu groß sei der Preisabfall von Lithium seither, zu schwierig auch das rechtlich-bürokratische Umfeld in Chile. Auch zwei vorherige Abkommen haben bislang keine nennenswerten Invest­ments ins Land gebracht. Ein viertes Ab­kom­men wird derzeit noch verhandelt.

Für die Ansiedlung weiterer Produktions­schritte der Batterielieferkette in Chile spricht zwar, dass das Land große und hoch­wertige Vorkommen an Lithium hat und bereits die technischen Kapazitäten zur industriellen Weiterverarbeitung seines Roh­stoffs besitzt. Zwischen der Her­stellung hochwertiger Batterierohstoffe und der Pro­duktion von Kathodenaktivmaterial oder Batteriezellen liegt allerdings eine entschei­dende technische Lücke. Auch suggeriert der Name Lithium-Ionen-Batterie, dass es sich dabei hauptsächlich um Lithi­um han­delt. Tatsächlich aber macht das Lithium in der Batterie nur rund 10 Pro­zent der gesamten Rohstoffe aus. Daneben wird etwa Kobalt oder Nickel benötigt, das der­zeit importiert werden müsste.

Ein weiterer Faktor für die Ansiedlung der Batterielieferkette ist die geo­graphische Lage und Nähe zum Abnehmer­­markt. Weder in Chile noch bei seinen Nach­barn gibt es der­zeit einen großen Absatzmarkt für Elektro­autos; eine eigene Auto­mobilindustrie hat Chile nicht. Dies ist ein entscheidender Unterschied zu Ländern wie Mexiko oder Brasilien, in denen sich einige der für LIB benötigten Roh­stoffe ebenso finden wie eine gut aus­gebaute Automobilindustrie und eine geo­graphische Nähe zu großen Absatzmärkten. Großes Synergie­potential hätte eine engere regionale Ver­zahnung entlang der LIB-Lieferkette, etwa zwischen Chile, Argen­tinien und Brasilien. Bislang fehlen aber sowohl ein tragfähiges Handels­netzwerk als auch politische Initia­tiven zur vertieften Zusam­menarbeit – nicht zuletzt wegen Differenzen zwischen den Regierungen der Region.

Horizontale Verknüpfungen

Neben Verknüpfungen zu vor- und nach­gelagerten Lieferketten bietet der Rohstoff­sektor in Chile auch Anknüpfungspunkte bei der Energie- und Wasserversorgung. Auf den Bergbau entfällt rund ein Drittel des Stromverbrauchs im Land. Der geplante Aus­bau bei der Kupfer- und Lithium­produktion wird mit einem signifikanten Anstieg des Strombedarfs einhergehen. Gleichzeitig hat sich Chile ehrgeizige Ziele bei der Energiewende gesetzt. Bis 2030 sollen 70 Prozent des Strommixes aus erneuer­baren Quellen kommen; bereits 2022 lag der Anteil bei über 50 Prozent. Die hohe Verfüg­barkeit erneuerbarer Energiequellen könnte indes bewirken, dass Chiles Produktion grünen Wasserstoffs eher klein bleibt. Deshalb hat die Regierung eine Strategie für den Aufbau des Was­serstoffsektors ent­wickelt. Im Gegen­satz zum Rohstoffsektor ist der Ein­griff des Staates hier jedoch eher moderat. Zurzeit befinden sich in Chile mehrere Wasserstoff­projekte in der Entwicklungsphase, aber bis zur kommerziellen Herstellung grünen Wasserstoffs wird es noch Jahre dauern. Die Versorgung mit erneuerbarem Strom und grünem Wasserstoff ist ein wich­tiger Bau­stein für die Dekarbonisierung des chile­ni­schen Bergbausektors, denn allein die Kupferproduktion ist für rund 7 Prozent der Emissionen des Landes verantwortlich. Doch Chiles Stromsektor krankt an einem zu langsamen Ausbau von Übertragungsnetzen und Batteriespeichern. Die Folge sind häufige Einschnitte in die erneuerbare Energieversorgung, von denen auch der Bergbausektor betroffen ist.

Derweil stellt die Wasserversorgung vor allem die Industrie im Norden vor Herausforderungen. Die begrenzte Verfügbarkeit von Süßwasser und zunehmende Umweltauflagen zwingen Bergbauunternehmen, alternative Lösungen zu finden. Eine dieser Technologien ist die Meerwasserentsalzung, die inzwischen einen wachsenden Anteil der Wasserversorgung im Bergbau aus­macht. Allerdings ist dieser Prozess sehr energieintensiv, was wiederum die Nach­frage nach erneuerbaren Energien in der Branche steigert.

Chiles Rohstoffsektor im Spannungsfeld globaler Partnerschaften

Für den Ausbau seines Rohstoffsektors ist Chile auf Investitionen ausländischer Firmen angewiesen. China ist inzwischen nicht nur Chiles größter Handelspartner (gefolgt von den USA und der EU), sondern auch der größte Abnehmer chilenischer Rohstoffe und ein wichtiger Akteur im chilenischen Bergbausektor. Chinesische Firmen kaufen Anteile an chilenischen Stromversorgern, Stromtrassen sowie Solar- und Windkraftanlagen. 2018 erwarb die chinesische Tianqi Lithium Corporation einen Anteil von 24 Prozent an SQM, also einem der beiden derzeit einzigen Lithiumabbauunternehmen in Chile. Neben den bereits erwähnten Ausschreibungen über Investitionen in nachgelagerten Lieferketten haben sich mehrere chinesische Firmen als Kandidaten für ein PPP mit CODELCO zum Abbau von Lithium in Chiles strategischen Salaren beworben.

Doch die wirtschaftliche Abhängigkeit von China wird zunehmend auch kritisch gesehen, gerade in Zeiten geopolitischer Spannungen. Chile hat deshalb ein Inter­esse daran, sein Investment- und Han­dels­portfolio zu diversifizieren, etwa durch intensivere industrielle Zusammenarbeit mit den USA und der EU. Ein bedeutender Schritt in diese Richtung war die Modernisierung des seit 2003 bestehenden Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Chile, das um eigene Kapitel zu Rohstoffen, Energie und Nachhaltigkeit erweitert wurde. Zudem vertiefte Chile seine Bezie­hungen zur EU durch eine strategische Partnerschaft für kritische Rohstoffe. Das 2023 unterzeichnete Memorandum of Under­standing (MoU) soll der engeren Zu­sam­menarbeit in Rohstoffverarbeitung, Forschung und Nachhaltigkeit dienen. Es umfasst den Aufbau einer wettbewerbs­fähigen, nachhaltigen Rohstoffindustrie, die Förde­rung von Halbfertig- und End­produkten, gemeinsame Forschungs- und Innovationsprojekte sowie Maßnahmen zur Harmonisierung von Umweltstandards. Vorgesehen ist auch die Umsetzung gemeinsamer Infrastruktur- und Rohstoffprojekte, etwa in Form von Joint Ventures. Im November 2024 einigten sich die beiden Seiten auf eine Roadmap, in der konkrete Pro­jekte in den Bereichen Forschung, Nach­haltigkeit, Governance und Fachkräfte­ausbildung definiert wurden.

Bei der wissenschaftlichen und technischen Kooperation herrscht reger Austausch zwischen Chile und der EU. Ge­meinsame Forschungsprojekte fördern Innovationen in nachhaltigem Bergbau, Kreislaufwirtschaft und umweltfreund­lichen Verarbeitungstechnologien. Pro­gramme wie Horizon Europe unterstützen den Wissenstransfer und die Entwicklung neuer Technologien zur Effizienzsteigerung und Emissions­reduktion. Zudem gibt es Partnerschaften zwischen europäischen und chilenischen Universitäten sowie For­schungszentren, die Fachkräfteausbildung und Kompetenz­entwicklung vorantreiben.

Bei der industriellen Kooperation und der Förderung lokaler Wertschöpfung bleibt das europäische Engagement jedoch bislang hinter den Erwartungen zurück – was sich auch bei anderen Rohstoffpartnerschaften der EU beobachten lässt. Trotz lang­jähriger Handelsbeziehungen und Chiles Reputation als stabiler politischer und regu­latorischer Partner halten sich europäische Unternehmen mit Investitionen in den chilenischen Rohstoffsektor zurück. Haupt­gründe sind die Unsicherheit über neue Vorschriften im Lithiumsektor und die Umsetzung der Nationalen Lithium­strategie sowie die hohe Dynamik des Batteriemarktes: Sollte Lithium-Ionen-Technologie künftig von anderen Batterietypen abgelöst werden, wären Investitionen mit beträcht­lichen Risiken verbunden. Zudem beklagen kleine und mittelständische Unter­nehmen, sie hätten Schwierigkeiten, sich gegen eta­blierte Akteu­re im chilenischen Bergbau zu behaupten, da die chile­nische Regierung bei öffent­lich-privaten Partnerschaften (PPP) tendenziell größere, erfahre­ne Unternehmen bevorzuge.

In diesem Zusammenhang wird oft argu­mentiert, Europa verfüge nur über begrenz­te Berg­baukompetenz und wenige global agierende Bergbauunternehmen. Gerade für den Lithiumsektor greift dieses Argu­ment aber nur bedingt: Anders als der tra­ditionelle Hartgesteinsbergbau ist der Ab­bau von Lithium aus Sole ein rein chemischer Prozess – ein Bereich, in dem Europa mit seiner leistungsfähigen Chemie­branche gut aufgestellt ist. Zudem forschen euro­päische Unternehmen selbst intensiv an der Lithiumgewinnung mittels Direkter Lithium­extraktion (DLE), was Anknüpfungs­punkte für eine tiefere Zusammenarbeit bieten könnte. Ein vielversprechendes Bei­spiel für eine Dreieckskooperation hätte der Einstieg des Chemiekonzerns BASF in ein chilenisches Lithiumprojekt mit dem kana­dischen Unternehmen Wealth Minerals sein können. Während Wealth Minerals den Abbau übernehmen sollte, wollte BASF in eine Kathodenfabrik investieren – ein Modell, das Synergien schaffen und damit für alle Betei­ligten Vorteile hätte bringen können. Doch BASF verwarf das Projekt noch vor seinem Start. Eine offi­zielle Be­gründung nannte das Unternehmen nicht. Vermutet wird, dass auch hier der Preis- und Nachfrageabfall bei Lithium ein ent­scheidender Faktor war.

Am Beispiel der Rohstoffpartnerschaft mit Chile offenbart sich die Schwierigkeit, politische Ziele zur Diversifizierung mit der Investitionsbereitschaft der Privatwirtschaft zu verbinden. Da die Umsetzung des MoU maßgeblich in der Hand privater Akteure liegt, hat die EU hier nur begrenzten Ein­fluss. Umso wichtiger ist es, gezielt Instru­mente zu entwickeln, die Investitionen europäischer Unternehmen im Partnerland fördern. Dabei sollte die EU vor allem drei Aspekte besonders beachten.

Finanzielle Anreize für Rohstoffpartner schaffen

Die EU verfolgt in ihrer Rohstoffstrategie einen zweigleisigen Ansatz: Zum einen setzt sie auf strategische Partnerschaften, zum anderen auf den Ausbau eigener Kapa­zitäten entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Die im Critical Raw Materials Act definierten Ziele für 2030 erfordern eine deutliche Steigerung des Abbaus, der Wei­ter­verarbeitung und des Recyclings von Rohstoffen in der EU. Das Interesse der Indus­trie am Aufbau neuer Rohstoffprojekte innerhalb der EU zeigt sich nicht zuletzt an den kürzlich von der Kommission aus­gewählten 47 strategischen Projekten, von denen fast die Hälfte die Lithiumförderung betrifft. Ob in einer zweiten Auswahlrunde auch Projekte in Partnerländern wie Chile berücksichtigt werden, bleibt abzuwarten. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie attrak­tiv Investi­tionen in den chilenischen Lithium­abbau oder die Kupferverarbeitung für europäische Unternehmen sind, solange der Fokus auf dem heimischen Ausbau liegt. Zwar argumentiert die EU, der wach­sende Bedarf mache langfristig sowohl euro­päische als auch externe Rohstoffquellen notwendig. Doch entscheidend wird sein, ob europäische Akteure bis dahin erfolgreich in globa­le Rohstofflieferketten integriert sind oder ob sie erneut in Abhän­gigkeiten geraten, sei es von China, sei es von neuen Akteuren wie Saudi-Arabien, Indien oder Südkorea, die sich ebenfalls Zugang zu Chi­les Roh­stoffen sichern wollen. Denn eine geographische Diversifizierung bedeutet nicht auto­matisch eine Zuliefererdiversifizierung, wenn die EU am Ende Rohstoffe oder Kathoden aus Chile importiert, die aus chinesisch kontrollierten Schmelzen oder Kathodenfabriken stammen.

Damit Rohstoffpartnerschaften deshalb tatsächlich zur Diversifizierung beitragen, müssen stärkere Anreize für europäische Unternehmen geschaffen werden, in Part­nerländern zu investieren. Der Mehrwert für diese Länder bleibt begrenzt, wenn der Anreiz lediglich darin besteht, sich für strategische Projekte bewerben zu können. Zwar soll damit der Zugang zu Finanzierungs­möglichkeiten erleichtert werden, doch bestehen für Projekte in Europa weit­aus mehr Fördermöglichkeiten durch die EU.

Die EU muss hier nachsteuern, indem sie sowohl kurzfristig wirkungsvollere Fiskal­impulse gibt als auch die langfristigen Vor­teile einer Partnerschaft mit Chile klarer heraus­stellt. Das Finanzinstrument, das für er­neuerbare Wasserstoffprojekte in Chile entwickelt wurde, könnte auf den Rohstoff­sektor übertragen werden, indem zins­günstige Kredite von der EU mit Zuschüssen kombiniert werden, die gezielt nachhaltige und emissionsarme Rohstoffprojekte in Partnerländern fördern. Dies würde euro­päische Unternehmen ermutigen, in umweltfreundliche Rohstoffgewinnung und -verarbeitung zu investieren und zugleich Partnerländern helfen, ihre Roh­stoffindustrie umweltfreundlicher zu gestalten. Langfristig würde dies sowohl europäischen als auch chilenischen Akteu­ren große Vorteile verschaffen. Sollten CO2-Abgabenmechanismen wie der euro­päische Carbon Border Adjustment Mecha­nism (CBAM) zukünftig auch Batterie­rohstoffe wie Lithium umfassen, könnte die Produk­tion in Chile genauso kosteneffizient, je nach Verarbeitungsmethode sogar günsti­ger sein als in China.

Lokale Wertschöpfung entlang der ganzen Kette verstehen

Der Diskurs über lokale Wertschöpfung, besonders im Fall von Lithium, kon­zen­triert sich häufig auf die industrielle Rohstoffverarbeitung bis hin zur Produk­tion von Batteriezellen und kompletten Batteriesystemen. Allerdings hängt die wirtschaftliche und technologische Sinn­haftigkeit des Aufbaus einer nachgelagerten (Batterie-)Lieferkette maßgeblich von den standortspezifischen Gegebenheiten eines Landes ab, wie das Beispiel Chiles verdeutlicht. Die Möglichkeiten der lokalen Wert­schöpfung im Rohstoffsektor müssen des­halb breiter gedacht werden. Der Ausbau von Kapazitäten in effizienter und umwelt­freundlicher Rohstoffgewinnung und -ver­arbeitung bietet Chile die Chance, sich angesichts des wachsenden Interesses an der Rohstoffförderung in anderen Ländern als international gefragter Technologiestandort und Partner für nachhaltige Berg­bauprojekte zu positionieren. Durch Pro­gramme zum Technologietransfer, zur Forschungskooperation und zur Fachkräfte­entwicklung kann die EU gezielt den Auf­bau chilenischer Zulieferindustrien unter­stützen, etwa bei Maschinenbau, Automatisierung oder Recyclingtechnologien. Auf diese Weise kann die EU sowohl lokale Wertschöpfung stärken als auch europäische Unternehmen in strategische Liefer­ketten ein­binden.

Dafür muss die EU im Sinne der hori­zontalen Verknüpfung von Sektoren ihre unter­schiedlichen Partnerschaften besser integrieren, um mehr Synergien zu schaf­fen. Im Falle Chiles bedeutet das eine enge­re Verzahnung des Rohstoff-, des Energie- und des Wasserstoffsektors. Damit diese Part­nerschaften ihr volles Potential ent­falten können, müssen sie kohärent auf­einander abgestimmt sein und als strategisch ver­zahn­tes Gesamtpaket wirken statt in Form isolierter Einzelinitiativen.

Geopolitische Dynamiken nutzen

Bei der Umsetzung ihrer Rohstoffpartnerschaften muss die EU aktuelle geopolitische Entwicklungen stärker mit einbeziehen. Chiles Interesse an einer engeren Partnerschaft mit der EU zielt auch darauf ab, der dominierenden Rolle Chinas in Chiles Indus­trie und Handelsbeziehungen ent­gegenzuwirken. Gleichzeitig positioniert sich Chile in Rohstofffragen bewusst neutral und wird sich langfristig an den­jenigen Akteuren orientieren, die konkrete, ver­lässliche und für das Land vorteilhafte Angebote machen. Das bedeutet: Um die Partnerschaft mit Chile zu stärken und eigene wirtschafts- und sicherheitspolitische Interessen durchzusetzen, muss die EU selbst aktiver investieren und geopoli­tische Handlungsspielräume strategischer nutzen. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund der Industrie- und Handels­politik der neuen US-Regierung. Durch das Freihandelsabkommen mit den USA hätten sich chilenische Rohstoffexporte unter dem Inflation Reduction Act (IRA) für Subventionen für Elektroautos und Batterien qualifiziert. Doch die Trump-Administration hat die Steuergutschriften bereits auf den Prüfstand gestellt. Angesichts mög­licher Zölle auf Kupfer und des Fokus der US-Industriepolitik auf nationalen Ver­arbei­tungskapazitäten steht Chile nun vor einer doppelten Herausforderung: Es sucht den Weg aus der wachsenden Abhängigkeit von China und muss sich zugleich auf ein zunehmend unsicheres Verhältnis zu den USA einstellen.

Die EU kann diese geopolitische Verschiebung nutzen, um sich als verlässlicher, langfristig orientierter Partner zu positionieren. Dazu reicht es nicht, sich rhetorisch durch einen partnerschaftlichen Ansatz abzugrenzen. Die EU muss diesen Anspruch durch substantielle Angebote in den Berei­chen industrielle Entwicklung und nach­haltige Technologiekooperation unter­füttern, bevor China die entstehende Lücke weiter für sich nutzt. Nur so kann sie sich als glaubwürdige Alternative beweisen und ihre erklärte politische Absicht, eine Roh­stoffpartnerschaft auf Augenhöhe zu gestal­ten, auch in die Tat umsetzen.

Inga Carry ist Wissenschaftlerin im Projekt »Forschungsnetzwerk Nachhaltige Globale Lieferketten«, finanziert vom Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ).

SWP

Stiftung Wissenschaft und Politik

ISSN (Print) 1611-6364

ISSN (Online) 2747-5018