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Warum Deutschland den Kernwaffenverbotsvertrag nicht unterstützen sollte

Kurz gesagt, 22.01.2021 Forschungsgebiete

Deutschland und seine Verbündeten verweigern sich dem UN-Kernwaffenverbotsvertrag, der heute in Kraft tritt. Aus gutem Grund: Er untergräbt ihre Kerninteressen. Daher sollte Deutschland auch nicht als Vermittler zwischen Gegnern und Befürwortern auftreten, wie einige fordern, meint Jonas Schneider.

Am heutigen Freitag tritt der UN-Kernwaffenverbotsvertrag in Kraft. Seine Verfechter – an der Spitze Mexiko, Österreich, Südafrika, Irland und die Organisation ICAN (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons) – jubeln: Damit seien Kernwaffen endlich illegal, ein Meilenstein auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt sei erreicht. Erwartungsgemäß werden nun Forderungen laut, die Bundesregierung solle ihre Ablehnung des Vertrages überdenken und beitreten oder zumindest eine Mittlerrolle zwischen den Gegnern und Befürwortern einnehmen. Denn: Was kann an einem Verbot von Atomwaffen schon falsch sein? Doch an diesem Vertrag ist leider Vieles falsch. Berlin sollte daher weder den Vertrag unterschreiben noch vermitteln, denn es ergibt strategisch keinen Sinn und wäre für Deutschland und seine Verbündeten sogar riskant. Drei nüchterne Realitäten sprechen gegen einen Kurswechsel.

Der Vertrag wird sich nicht durchsetzen

Erstens: Die Ächtung von Kernwaffen wird sich auch mit dem Inkrafttreten des Verbotsvertrags international nicht durchsetzen. Denn der Vertrag verbietet die gesamte Praxis atomarer Abschreckung. Zielscheibe des Abkommens sind also nicht nur die Kernwaffenstaaten, sondern ebenso alle Mitglieder von Allianzen, die für ihre Sicherheit auf nukleare Abschreckung setzen. Letzteres betrifft neben der NATO die US-Allianzen mit Japan, Südkorea und Australien. Wenig überraschend lehnen diese insgesamt 39 Staaten den Vertrag geschlossen ab. Damit hat er keine Chance, jemals Teil des Völkergewohnheitsrechts zu werden.

Die 39 Länder wollen weiterhin auf nukleare Abschreckung setzen, weil sie sich von anderen Kernwaffenstaaten bedroht fühlen, etwa die NATO-Staaten von Russland oder die US-Alliierten in Asien von China. Nichtsdestotrotz wissen diese Staaten um die nuklearen Risiken und Probleme. Aus ihrer Sicht ist atomare Abschreckung aber ein notwendiges Übel zur Kriegsvermeidung in ihren Regionen. Die undifferenzierte Position des Verbotsvertrags, nach der Kernwaffen immer verwerflich sind, geht damit an den Bedürfnissen dieser Staaten vorbei.

Auch deshalb zeigen sich die Atomächte und ihre Alliierten bisher unbeeindruckt, dass bereits 51 Staaten dem Verbotsvertrag beigetreten sind. Dies sind größtenteils Kleinstaaten aus dem Globalen Süden, die kaum Druck auf die Länder des Westens, Russland und die Atommächte Asiens ausüben können. Denn: Zum einen wirkt »Peer Pressure« – der Druck auf Staaten in vergleichbarer Lage und mit ähnlichen Interessen – eben nur unter Peers. Zum anderen verfügen sie nicht über materielle Druckmittel, etwa große wirtschaftliche Macht, die es bräuchte, um Beitritte zum neuen Vertrag zu erzwingen. Auch ihre Hoffnung, die Atomrüstung durch ein »Naming and Shaming« der beteiligten Unternehmen finanziell auszutrocknen, ist unrealistisch. Es werden sich immer Investoren für diesen lukrativen Markt finden. Zudem würde bei Liquiditätsengpässen in allen Nuklearmächten zweifellos der Staat einspringen.

Zivilgesellschaft machtlos in nuklearen Autokratien

Die zweite unbequeme Wahrheit ist eine geopolitische: Der zivilgesellschaftliche Druck gegen Atomwaffen durch Organisationen wie ICAN wirkt nur in liberalen Gesellschaften wie den westlichen. Denn nur diese lassen kontroverse Debatten überhaupt zu. In den autokratischen Kernwaffenstaaten Russland, China und Nordkorea findet keine offene Auseinandersetzung über Atomwaffen statt; ICAN spielt hier keine Rolle. Würden aber die Demokratien auf nukleare Abschreckung verzichten, während die Autokratien ihre Kernwaffen behielten, gerieten Erstere massiv unter Druck: Sie würden verletzlicher, erpressbarer und würden an Sicherheit verlieren.

Moskau und Peking haben diese ungleiche Verwundbarkeit registriert und ihren Widerstand gegen den Vertrag gemäßigt: Sie treten nicht bei, zeigen aber Verständnis. Beide erkennen wohl das Potential des Verbotsvertrags, Streit in die NATO und die US-Allianzen in Asien zu tragen. Die zivilgesellschaftlichen Akteure hinter dem Verbotsvertrag wischen diese Risiken beiseite – aber westliche Entscheidungsträger sollten sich diese nonchalante Sicht auf den geopolitischen Kontext ihres Handelns nicht erlauben.

Deutschland kann nicht neutral vermitteln

Die dritte Realität ist: Ein deutscher Beitritt zum Verbotsvertrag würde dessen außen- und sicherheitspolitische Kerninteressen beschädigen. Denn nukleare Abschreckung spielt nach wie vor eine zentrale Rolle für Europas Verteidigung, Deutschlands Sicherheit und die europäische politische Ordnung. Wer fordert, Berlin solle beim Verbotsvertrag zumindest als »Brückenbauer« zwischen den Lagern agieren, überschätzt die Erfolgsaussichten einer solchen Vermittlung. Während der Aushandlung des Vertrags haben dessen Verfechter Kompromissvorschläge, etwa von Schweden, brüsk abgelehnt. Dass sich die Vertragsparteien jetzt, berauscht vom Inkrafttreten, konzessionsbereiter zeigen, ist illusorisch. Zudem ist Deutschland letztlich nicht neutral: Seine Interessen liegen eindeutig im Lager derer, die den Vertrag ablehnen. Ein Versuch Berlins, als »ehrlicher Makler« zu vermitteln, wäre daher vor allem eins: unehrlich.

Da Berlin nicht alle Seiten zufriedenstellen kann, muss es priorisieren. Natürlich ist es nützlich, dass Deutschland im Globalen Süden geschätzt wird. Maßgeblicher aber sind die europäischen, atlantischen und übrigen westlichen Partner, die den Verbotsvertrag allesamt ablehnen. Aus diesem Konsens auszuscheren, um eine aussichtslose Vermittlerrolle einzunehmen, würde das deutsche Verhältnis zu entscheidenden Partnern schwer belasten: zu Frankreich, den USA, den übrigen NATO-Staaten und den Demokratien im Indopazifik. Berlin sollte dieses Fundament der deutschen Außenpolitik stärken, nicht durch Alleingänge schwächen.

So hart es klingt: Deutschland sollte dem Kernwaffenverbotsvertrag weder beitreten noch als Vermittler agieren. Das heißt nicht, auf Abrüstung zu verzichten – doch dafür gibt es effektivere und weniger riskante Wege. Ein Beitritt zum Verbotsvertrag würde Deutschlands Kerninteressen untergraben und seine wichtigsten Partner vor den Kopf stoßen. Dieser Preis ist hoch – und für einen aussichtslosen Vertrag viel zu hoch.