Direkt zum Seiteninhalt springen

Vor dem Machtwechsel. Zur Nachfolgeregelung in Saudi-Arabien

In Saudi-Arabien scheint der Nachfolger für König Abdallah und seinen Kronprinzen Salman festzustehen. Eine grundsätzliche Erneuerung der Thronfolgeregelung aber bleibt aus. So könnte die Führungsschwäche in dem Land zunehmend zum Problem werden, meint Guido Steinberg.

Kurz gesagt, 11.02.2013 Forschungsgebiete

In Saudi-Arabien scheint der Nachfolger für König Abdallah und seinen Kronprinzen Salman festzustehen. Eine grundsätzliche Erneuerung der Thronfolgeregelung aber bleibt aus. So könnte die Führungsschwäche in dem Land zunehmend zum Problem werden, meint Guido Steinberg.

Es war eine in den westlichen Medien kaum beachtete Nachricht, die Anfang Februar in Saudi-Arabien großes Aufsehen erregte: König Abdallah hatte seinen Halbbruder Prinz Muqrin b. Abdalaziz Al Saud zum zweiten stellvertretenden Ministerpräsidenten ernannt. Die Entscheidung schien auf den ersten Blick wenig spektakulär, doch beendete sie in dem Land die seit Monaten kursierenden Spekulationen, wer nach dem Tod des 90-jährigen Abdallah und des 77-jährigen Kronprinzen Salman König von Saudi-Arabien werden solle. Es wird aller Voraussicht nach Muqrin sein, denn der Posten des zweiten stellvertretenden Ministerpräsidenten wurde auch in der Vergangenheit schon an den künftigen Kronprinzen vergeben.

Muqrin, geboren 1943, war bisher lediglich als Chef des Auslandsgeheimdienstes General Intelligence Directorate zwischen 2005 und 2012 bekannt geworden und gilt als enger Verbündeter von König Abdallah. Er wurde lange Zeit nicht als Kandidat für eine mögliche Thronfolge angesehen, da er der jüngste Sohn des Staatsgründers Ibn Saud ist und mit seinen 70 Jahren jünger als wichtige Vertreter der Enkelgeneration, die sich ebenfalls Hoffnungen auf die Krone machen. Es schien vielmehr lange als wahrscheinlich, dass einer der Vertreter der "Sudairis", einer mächtigen Faktion von Vollbrüdern und deren Söhnen, das Rennen machen würde. Mit dem Tod der wichtigsten Vertreter dieser Gruppe, des Königs Fahd 2005, des Verteidigungsministers Sultan 2011 und des Innenministers Naif 2012 haben sie jedoch stark an Boden verloren. Muqrin ist erst seit kurzer Zeit als möglicher, wenn auch sehr unwahrscheinlicher Kandidat gehandelt worden, der vor allem von seinen engen Beziehungen zum König profitierte, in der Herrscherfamilie insgesamt jedoch als Leichtgewicht galt.

Die Kernfrage der saudi-arabischen Thronfolge bleibt ungelöst

Mit der Designation Muqrins ist jedoch die Kernfrage der saudi-arabischen Thronfolge immer noch nicht geregelt, nämlich welcher Enkel die Generation der Söhne des Staatsgründers auf dem Thron ablösen wird. Seit 1953 folgt jeweils der älteste befähigte und willige Sohn Ibn Sauds auf seinen verstorbenen Bruder. Dies führte seit den 1990er Jahren dazu, dass die Spitzenposten der saudischen Politik von immer älteren und hinfälligeren Greisen besetzt wurden und 2011 und 2012 innerhalb weniger Monate zwei Kronprinzen starben. Zwar hat König Abdallah schon 2007 eine Nachfolgekommission (arab. Hai’at al-Bay’a) einrichten lassen, die im Falle von Tod, Krankheit oder Unzurechnungsfähigkeit des Königs und des Kronprinzen deren Nachfolge regeln soll. Doch ist unklar, ob diese Kommission in der politischen Praxis überhaupt eine Rolle spielt. Viele Saudis äußerten sich in den letzten Monaten besorgt, da sich König Abdallah immer wieder in medizinische Behandlung begeben muss und auch der Kronprinz Gerüchten zufolge schwere gesundheitliche Probleme hat. Mit der Ernennung Muqrins scheint die Thronfolge wieder für etwas längere Zeit geregelt zu sein, doch ist die schwierige Frage, wer auf ihn folgen soll, bisher nicht gelöst.

Ibn Saud hatte mehr als 40 Söhne, und auch diese haben zahlreiche Nachkommen, von denen in den letzten Jahren immer mehr wichtige Positionen eingenommen haben. Zu ihnen gehört der neue Innenminister Muhammad b. Naif (geboren 1959), der dieses Amt 2012 von seinem verstorbenen Vater übernahm und damit zu einem der wichtigsten Politiker des Königreiches wurde. Auch der Kommandeur der Nationalgarde und Sohn des Königs Mitab b. Abdallah (geboren 1953) und der stellvertretende Verteidigungsminister Khalid b. Sultan (geboren 1949) werden von Beobachtern immer wieder als Kandidaten für die Thronfolge genannt. Mit der Ernennung Muqrins dürften die Chancen der Söhne des ehemaligen Königs Faisal, die verschiedentlich als Kompromisskandidaten genannt wurden, hingegen gänzlich geschwunden sein: Viele der Enkel sind bereits zu alt oder zu krank, um noch ernsthaft Ansprüche auf den Thron erheben zu können.

Da der Entscheidungsfindungsprozess in der saudi-arabischen politischen Elite vollkommen intransparent ist, ist auch unbekannt, inwieweit es überhaupt Vorbereitungen gibt, den Machtwechsel in die nächste Generation zu regeln. Zwar sind sich führende Prinzen des Problems des ungeregelten Übergangs in die nächste Generation bewusst, was zur Einrichtung der Nachfolgekommission führte. Dennoch sind Konflikte über die Thronfolge in der saudi-arabischen Geschichte zahlreich. Es gibt Anlass zur Sorge, dass die Konkurrenz zwischen einzelnen Flügeln der stetig wachsenden Herrscherfamilie zunimmt und Konflikte unter den Prätendenten der Enkelgeneration in den letzten Jahren immer offener zutage treten.

Angesichts drängender Probleme braucht Saudi-Arabien eine fähige Führung

Obwohl die Ernennung Muqrins ebenso wie einige andere Personalentscheidungen von 2012 eine deutliche Verjüngung der politischen Elite bewirken und damit in die richtige Richtung gehen, ist es nicht ausgemacht, ob die saudi-arabische Führung den innen- und außenpolitischen Aufgaben der nächsten Jahre gewachsen sein wird. Denn der sehr langsame Prozess der Entscheidungsfindung in Riad hat nicht nur mit dem hohen Alter der Beteiligten, sondern auch mit der ständigen Suche nach einem Konsens unter den führenden Prinzen zu tun. Außerdem scheint Muqrin vor allem ein Kompromisskandidat zu sein, der die schwierige Entscheidung, welcher Enkel Ibn Sauds als erster den Thron besteigen darf, schon wieder auf die Zukunft vertagt. Dies ist vor dem Hintergrund der zahlreichen Krisen in der Region problematisch. Unter jungen Schiiten im Osten des Landes herrscht latente Unruhe, die sich immer wieder in gewaltsamen Ausschreitungen entlädt. Im benachbarten Bahrain gelingt es dem verbündeten Herrscherhaus der Familie Khalifa nicht, die mittlerweile endemischen Unruhen in schiitischen Gegenden zu beenden. Ein Übergreifen auf Saudi-Arabien ist nicht ausgeschlossen. Gleichzeitig schickt sich der große regionalpolitische Rivale Iran an, sich nuklear zu bewaffnen. Um all diese Probleme anzugehen, benötigt Saudi-Arabien eine einige, fähige und entschlossene Führung. Auch nach der Designation Muqrins steht der Nachweis aus, dass die politische Elite des Landes in der Lage ist, sich in diesem Sinne zu erneuern.

Der Text ist auch auf Zeit.de erschienen.