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Sorgfaltspflichten im Rohstoffhandel

Händler und Börsen als Nadelöhre für Nachhaltigkeit in metallischen Lieferketten

SWP-Aktuell 2023/A 29, 27.04.2023, 8 Seiten

doi:10.18449/2023A29

Forschungsgebiete

Die Bundesregierung hat sich im Eckpunktepapier »Wege zu einer nachhaltigen und resilienten Rohstoffversorgung« das Ziel gesetzt, Standards für die verantwortungsvolle Beschaffung von Metallen zu etablieren. Deutsche Firmen beziehen Metalle oft­mals über Händler, Börsen und außerbörsliche Handelsplätze. Diese sind überwiegend außerhalb der Europäischen Union (EU) angesiedelt, und zwar in Ländern, deren Regulierung für die Umsetzung unternehmerischer Sorgfaltspflichten schwä­cher ist als in der EU. Rohstoffhändler und Börsen spielen eine zentrale Rolle für die sichere Versorgung mit Metallen und die Durchsetzung lieferkettenübergreifen­der Stan­dards. Daher sollte die Bundesregierung den Rohstoffhandel bei der Umsetzung des Eck­punktepapiers verstärkt in den Blick nehmen. Durch ein starkes EU-Lieferketten­gesetz, das auch den Finanzsektor einschließt, kann Deutschland darüber hinaus indirekt Einfluss auf Rohstoffhändler, Börsen und außerbörsliche Handelsplätze für Metalle ausüben.

Der Zugang zu metallischen Rohstoffen ist für die europäische und die deutsche Indu­strie von zentraler Bedeutung – besonders vor dem Hintergrund eines verschärften Wettbewerbs um Metalle für die grüne und die digitale Trans­formation. Rohstoffhändler, Metallbörsen und außerbörsliche Han­delsplätze für Metalle spielen eine wichtige Rolle für die Rohstoffbeschaffung und fungieren als Bindeglieder in komplexen metallischen Lieferketten. Händler kaufen, vermischen und verkaufen Erze, Konzentrate und Sekundärmaterial unterschiedlicher Her­kunft und betreiben zum Teil eigene Minen und Raffinerien. Damit agieren Händ­ler auf mehreren Stufen und an etlichen geographischen Orten metallischer Liefer­ketten und verknüpfen die Akteure entlang dieser Ketten. Metallbörsen und außer­börsliche Handelsplätze dienen als Markt­plätze, die von Produzenten, Ver­arbeitern und Ab­nehmern von Metallen für den physischen Handel und den Handel mit Derivaten genutzt werden, und sind außer­ordentlich wichtig für die Risikoabsicherung und die Preis­findung.

Als Bindeglieder können Rohstoffhändler, Börsen und außerbörsliche Handelsplätze großen Einfluss auf die Stan­dard­setzung in metallischen Lieferketten neh­men, indem sie von Metallproduzenten die Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards verlangen sowie menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten konse­quent in ihrer eigenen Lieferkette erfüllen. Ferner können sie Informationen zur Her­kunft von Metallen, Produktionsbedingungen und Risiken in der Lieferkette an ihre Käufer weitergeben. Das ist eine unerläss­liche Voraussetzung für große deutsche Unternehmen, die Metalle über Händler und Börsen bezie­hen. Seit Inkrafttreten des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichten­gesetzes müssen diese Firmen sicherstellen, dass ihre direkten Zulieferer keine Men­schenrechte verletzen und sich an gewisse Um­weltstandards halten.

Drehscheiben des Rohstoffhandels

Der globale Handel mit Metallen wird von Akteuren organisiert, deren Firmensitze außerhalb der EU liegen. In Europa spielen die Schweiz und Großbritannien (London) eine herausragende Rolle. Die Schweiz be­heimatet zahlreiche bedeutende transnatio­nale phy­sische Rohstoffhändler, die über­wiegend Transithandel betreiben. Das heißt, Schweizer Unternehmen organisieren den physischen Handel mit Metallen zwischen Drittstaaten, aber diese Güter werden nicht in die Schweiz ein- oder aus ihr ausgeführt und erscheinen daher nicht in der offiziel­len Zollstatistik des Landes. Im Jahr 2021 waren acht der zehn umsatzstärksten Fir­men des Landes Rohstoffhändler, darunter Glencore und Trafigura als wichtige Player im physischen Handel mit Metallen. Laut Schätzungen der Schweizer Behörden wer­den 60% des Welthandels mit Metallen durch Schweizer Händler abge­wickelt. Sin­gapur und Shanghai als zweit- und London als drittwichtigstes Handelszentrum liegen mit Marktanteilen von 20% und 10% weit hinter der Schweiz. Metalle gelangen also vor allem über Akteure aus der Schweiz und Großbritannien in den EU-Markt.

London gilt als zentrale Drehscheibe für den börslichen und außerbörslichen Han­del mit Metallen. Dort angesiedelt sind die London Metals Exchange (LME) als weltweit wich­tigste Börse für Industriemetalle sowie der London Bullion Market (LBMA) und der Lon­don Platinum and Palladium Market (LPPM) als außerbörsliche Handelsplätze für Gold, Silber, Platin und Palladium. Neben der LME zählen das Chicago Board of Trade, die New York Mercantile Exchange sowie die Shanghai Futures Exchange zu den glo­bal bedeutendsten Metallbörsen.

Als Bindeglieder zwischen Produzenten und Abnehmern von Metallen erfüllen Händler und Börsen entscheidende Funktio­nen in metallischen Lieferketten.

Rohstoffhändler: einflussreiche »Allrounder«

Rohstoffhändler tragen wesentlich dazu bei, physische Materialflüsse in metal­li­schen Lieferketten über Ländergrenzen hinweg am Laufen zu halten. Dabei über­nehmen Händler auch spezifische Risiken, unter anderem Wechselkurs- und Preis­risiken. Physische Rohstoffhändler sichern solche Risiken in der Regel über Derivate ab, die an Rohstoffbörsen gehandelt wer­den. Ihre meist kapitalintensiven Geschäfte finanzieren sie durch Unternehmens­kredite, Erfüllungsgarantien oder Akkreditive von Banken. Bei Letzteren übernimmt die Bank des Importeurs ein abstraktes Zah­lungsversprechen gegenüber dem Exporteur.

Neben dem physischen Kauf und Verkauf von Metallen bieten größere Rohstoffhändler eine Reihe von Dienstleistungen für Pro­duzenten und Abnehmer von Metallen an. Dabei handelt es sich zum einen um admin­i­strative Tätigkeiten wie Inspek­tion, Qualitätskontrolle oder Zahlungsdurchführung. Zum anderen organisieren Rohstoffhändler die Logistik des physischen Metallhandels, beson­ders den Transport von Metallen von der Mine oder Raffinerie zum Hafen oder Flug­hafen sowie Ver­schiffung und Distribution. Hierfür unter­halten große Rohstoffhändler Verladeterminals an Häfen, betreiben zum Teil eigene Flotten oder beteiligen sich an lokalen Speditions- und Kraftstoffunterneh­men, um unabhängig von Logistikfirmen agieren zu können und zusätzliche Einnah­men zu generieren.

Auch die Lagerhaltung ist ein elementarer Geschäftsbereich von Händlern. In Lager­häusern werden für den Verkauf erforder­liche Mengen von Metallen angesammelt und Metallerze und ‑konzentrate unterschied­licher Reinheitsgrade und Herkunft für den Weiterverkauf an Raffinerien ge­mischt (blending). Auf diese Weise wird die Rückverfolgbarkeit der Erze fast unmöglich.

Eine weitere essentielle Funktion von Roh­stoffhändlern ist die Bereitstellung von Finanz­mitteln für Bergbauunternehmen, zum Bei­spiel durch die Vergabe von Direkt­krediten oder Vorfinanzierungsdarlehen. Damit sichern sich Händ­ler lang­fristig den Zugang zu Roh­stoffen.

Große Rohstoffhändler haben ihre Akti­vitäten sukzessive auf den Abbau und die Weiterverarbeitung von Metallen in Schmelz­hütten und Raffinerien ausgeweitet. Glen­core beispielsweise betreibt Kupferminen und Schmelzhütten bzw. Raffinerien in der Demokratischen Republik Kongo, Austra­lien und Südamerika. Derart ver­tikal inte­grierte Händler haben ausgezeichnete Voraussetzungen, um Materialflüsse und Risi­ken in den Lieferketten transparent zu machen und Standards entlang metal­li­scher Lieferketten durchzusetzen.

Börsen setzen Preise und Standards

Anders als beim physischen Handel wird an Metallbörsen hauptsächlich mit Wertpapieren und Derivaten gehandelt. Zwar bietet die LME auch die Möglichkeit des physi­schen Handels und lizenziert dafür weltweit Lager­häuser. Faktisch werden an der LME jedoch weniger als 1% der Kon­trakte durch die physische Auslieferung von Metallen an eines der Lagerhäuser erfüllt. Beim Handel mit Platin und Palla­dium über den LPPM hingegen überwiegt der physische Handel.

Metallbörsen und außerbörsliche Handelsplätze fungieren als Marktplätze für Käufer und Verkäufer von Metallen. Genutzt werden sie von Metallproduzenten (Minen, Schmelzhütten und Raffinerien), industriellen Weiter­verarbeitern und Rohstoffhändlern. Aber auch Banken, Finanzfonds oder institutionelle Anleger handeln an Metall­börsen. Diese Akteure bedienen sich der Börsen, um Risiken abzusichern (hedging) und zum Teil auch, um zu spekulieren.

Des Weiteren sind Metall­börsen wichtig für die Preisbildung. Die täglich ermittelten Handelspreise der LME gelten als internatio­nal anerkannte Refe­renzpreise für Metalle. Auch Direktverträge zwischen Rohstoffhändlern und Abnehmern von Metallen orientieren sich in der Regel an den Preisen der LME, des LBMA für Gold und Silber und des LPPM für Platin und Palladium.

Darüber hinaus besteht eine wesentliche Funktion von Metallbörsen und außer­börslichen Handels­plätzen in der Regulierung und Stan­dard­setzung. Börsen definieren Mindestanforderungen für die gehandelten Metalle, etwa zu Form und Qualität bzw. Reinheitsgrad. Seit einigen Jahren etablieren Metallbörsen und außerbörsliche Han­delsplätze auch Anforderungen an Produ­zenten in Bezug auf die verantwortungs­volle Beschaffung und die Offenlegung von Informationen zur Her­kunft von Metal­len. Damit reagierten sie auf erhöh­ten öffent­lichen Druck. Beispielsweise wies die Nicht­regierungsorganisation Global Witness 2017 die LME darauf hin, dass an dieser Börse gehandeltes Kobalt eines registrierten chinesischen Produzenten unter Einsatz von Kinderarbeit in der Demokratischen Republik Kongo abgebaut wurde. Daraufhin änderte die LME ihr Regelwerk und schuf so die Voraussetzung dafür, Produzenten aufgrund unethischer Geschäfts­praktiken die Registrierung an der Börse zu entziehen.

Risikoreiche Lieferketten

Das Beispiel LME verdeutlicht, dass Unter­nehmen, die sich am Rohstoffhandel betei­ligen, in risikoreichen Lieferketten agieren. Nicht nur existieren erhebliche menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken in der vorgelagerten Lieferkette von Börsen und Rohstoffhändlern. Letztere sind zudem handelsspezifischen Risiken aus­gesetzt.

Hohe Risiken bei Abbau, Verarbei­tung und Transport von Metallen

In einer Umfrage unter Schweizer Rohstoff­händlern 2017 wurden die Einhaltung von Arbeitsschutzstandards, die Achtung der Rechte indigener Gemeinschaften, der Ein­satz von Sicherheitskräften an Minen und Raffinerien sowie die Um­sied­lung lokaler Gemeinden als größte Risikofaktoren in der vorgelagerten Liefer­kette genannt. Aber auch teils gewalt­same Konflikte in Abbau­regionen, etwa um Landnutzung, bergen Risikopotential. Mögliche negative Umwelt­folgen des Bergbaus und der Weiterverarbeitung in Schmelzhütten und Raffinerien sind unter anderem Luftverschmutzung, saure Grubenwässer, Verunreinigung von Boden und Wasser mit Schwermetallen, mangelnde Rehabilitierung still­gelegter Minen sowie der generell hohe CO2-Fuß­abdruck des Sektors. Darüber hin­aus exi­stieren bisher weni­ger beachtete menschenrechts­- und umweltbezo­gene Risiken im Zusammenhang mit Transport und Lage­rung von Metallen, beispielsweise Zwangsarbeit in der Schifffahrt.

Metallbörsen und außerbörsliche Handelsplätze sind zwar nicht selbst in den physischen Handel mit Rohstoffen invol­viert. Gleichwohl entsteht für sie ein Risiko, wenn akkreditierte Metallproduzenten Menschen- und Umweltrechte verletzen. Das nämlich untergräbt das Vertrauen in die Börse als effektive Regulierungsinstanz.

Handelsspezifische Risiken

Neben den Risiken in der vorgelagerten Lieferkette existieren auch solche, die direkt in den Geschäftsbereich von Roh­stoff­händ­lern fallen. Ein besonderes Risiko bildet die Finanzierung von gewalt­samen Kon­flikten, repres­siven Regimen und Terrorismus durch den Handel mit Metallen illegaler Herkunft oder durch Geschäfts­beziehungen mit poli­tisch exponierten oder kriminellen Perso­nen. Eine aktuelle Re­cherche des Nachrichtensenders Al Jazeera beispielsweise deckte im März 2023 auf, wie unter Mitwirkung hochrangiger Regierungsmitglieder jeden Monat Gold im Wert von mehreren Milliar­den US-Dol­lar aus Simbabwe nach Dubai geschmug­gelt wird und so internationale Sanktionen gegen das Land umgangen wer­den. Bestrebungen, den Schmuggel von Metallen aus Konfliktgebieten oder repres­siven Staaten einzudämmen, zielen oft auf die Formalisierung des handwerklichen Berg­baus ab. Dagegen fehlt bisher ein systematisches Vorgehen gegen kriminelle Netz­werke auf internationaler Ebene.

Allen voran Edelmetalle wie Gold oder Platin werden aufgrund ihres hohen Werts und der Möglichkeit des Transports in kleinen Mengen mit kriminellen Aktivitäten assoziiert. Die Vereinigten Arabischen Emirate sind eine Drehscheibe für den Han­del mit illegalem Gold aus Afrika – begün­stigt durch laxe Zoll- und Einfuhrkontrollen. In den Emiraten wird das Gold in Raffinerien verarbeitet und gelangt dann weiter in die Schweiz, nach Indien oder China und so über Umwege in den EU-Markt.

Der Handel mit sogenannten Konfliktmineralen – also mit Zinn, Tantal, Wolf­ram und Gold (3TG), das in Konflikt- und Hochrisikogebieten abgebaut wurde – hat wegen des hohen Risikos der Konflikt­finanzierung viel Aufmerksamkeit erhalten und ist stärker reguliert als der Handel mit anderen Metallen. 2010 verabschiedete die US-Regierung den Dodd Frank Act. Dieser verpflichtet an der US-Börse notierte Unter­nehmen dazu, offenzulegen, ob ihre Pro­dukte Konfliktminerale enthalten, die aus der Demokratischen Republik Kongo oder Nachbarstaaten stammen. Außerdem müs­sen die Unternehmen nachweisen, dass beim Abbau von 3TG-Minerale in ihren Produkten keine gewaltsamen Konflikte finanziert werden. Die EU etablierte mit der Verabschiedung der Konfliktmineralien­verordnung im Jahr 2017 ebenfalls ver­bind­liche Sorgfalts- und Prüfpflichten für EU-Impor­teure von 3TG-Mineralen aus be­stimmten Konflikt- und Hochrisikogebieten. Rohstoffhändler in der Schweiz und in Groß­britannien, über die 3TG-Minerale oft den EU-Markt erreichen, sind von der Regulierung jedoch nicht direkt betroffen. Aller­dings orientieren sie sich in der Regel am Leitfaden der Organisation für wirtschaft­liche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für die Erfüllung der Sorg­faltspflicht zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten für Minerale aus Kon­flikt- und Hochrisikogebieten. Dieser Leit­faden gilt innerhalb des Sektors als etablier­ter Standard, aber die Umsetzung ist für Unternehmen nicht verbindlich.

Der Handel mit Metallen, die nicht in die Gruppe der Konfliktminerale fallen, ist weit­aus weniger reguliert. Doch auch hier exi­stieren Risiken. Durch Geschäfte mit Ak­teu­ren, die am illegalen Handel von Metallen partizipieren, geraten phy­sische Rohstoffhändler zum Teil indirekt mit Geldwäsche, Korruption oder Steuerhinterziehung in Kontakt. Es kommt aber auch vor, dass Roh­stoffhändler direkt in kriminelle Aktivitäten verwickelt sind. So dokumentiert ein Bericht des Anti-Corrup­tion Resource Centre von 2017 eine Reihe von Fällen, in denen Händler politische Entscheidungsträger in Förderländern bestochen haben, um günstig Zugang zu Mineralen zu erhal­ten.

Die hohe Komplexität und geringe Rück­verfolgbarkeit in metallischen Lieferketten ist eine Herausforderung für die Umsetzung umfassender Sorgfaltspflichten für Akteure des Rohstoffhandels. Diese haben sich dem Thema Nachhaltigkeit in den letzten Jahren intensiver gewidmet, hinken ande­ren Akteuren in metallischen Lieferketten indes deutlich hinterher.

Mangelnde Umsetzung von Sorgfaltspflichten

Als zentrale Bindeglieder in metalli­schen Liefer­ketten spielen Rohstoffhändler, Metall­börsen und außerbörsliche Handelsplätze eine maßgebliche Rolle für die Um- und Durchsetzung von Nachhaltigkeitsstandards. Aktuell jedoch schöpfen sie ihre Mög­lichkeiten im Bereich Standardsetzung aus unterschiedlichen Gründen nicht aus.

Schwache Regulierung in Handelszentren

Ein Hauptdefizit bildet die schwache Regulierung in Handelszentren für Metalle. Für den EU-Markt sind die Schweiz und Großbritannien besonders relevant. Die Schweiz ist Mit­glied der OECD und der Ex­tractive Industries Transparency Initiative (EITI), einer internationalen Ini­tiative von Staaten, Unternehmen und Nichtregierungs­organisationen, die sich für Good Governance und Transparenz im Rohstoffsektor einsetzt. Außerdem hat das Land einen Leitfaden für die Umsetzung der Leitprinzipien der Vereinten Nationen im Rohstoffhandelssektor initiiert. Im Januar 2021 wurde das schwei­zerische Obligationenrecht (Aktienrecht) geändert. Es sieht nun vor, dass Roh­stoffunternehmen Beträge ab 100.000 Schweizer Franken (rund 102.000 Euro), die sie an öffentliche Ver­waltungen weltweit zahlen, offenlegen müssen. Die gesetz­lichen Anforderungen an Unternehmen bleiben insgesamt aber gering. Ende 2020 scheiterte die Konzernverantwortungs­initiative, die eine Art schweizerisches Lieferkettensorgfaltspflich­tengesetz errei­chen wollte. Ein derartiges Gesetz existiert auch in Großbritannien nicht, doch die LME fällt unter den 2015 verabschiedeten Modern Slavery Act. Dieser verpflichtet Unternehmen mit einem Umsatz von über 36 Millionen Pfund, offenzulegen, wie sie gegen Menschenhandel und Zwangsarbeit in ihren Lieferketten vor­gehen.

Schleppende Umsetzung freiwilliger Standards

Aufgrund der schwachen Regulierung in wichtigen Handelszentren basiert die Um- und Durchsetzung von Nachhaltigkeitsstandards durch Akteure im Rohstoffhandel überwiegend auf Freiwilligkeit.

Die großen marktführenden Rohstoffhändler bemühen sich zunehmend darum, ESG-Standards (Environmental, Social, Gov­ernance) in ihrer Geschäftspraxis zu eta­blie­ren. Das ist sowohl gestiegenen Erwar­tun­gen seitens der Kundinnen und Kunden als auch teils massivem Druck durch Nicht­regierungsorganisationen geschuldet. Eine aktuelle Auswertung von Maßnahmen 25 großer Rohstoffhändler zur Umsetzung unter­nehmerischer Sorg­faltspflichten und zur Offenlegung von Informationen zeigt jedoch, dass diese Händler Risiken in den Bereichen Verletzung von Menschenrechten, illegale Finanzströme und Umweltschäden in ihren Lieferketten nicht aktiv bekämpfen. Eta­blierte Systeme zur Umset­zung von Sorg­faltspflichten seien schwach, gingen oft nicht über eine Risikoanalyse hinaus, und es gebe wenig Anzeichen für Fortschritte.

In Londons börslichem und außerbörs­lichem Metallhandel ist die Umsetzung von Leitlinien im Bereich nachhaltige Be­schaf­fung bisher für den Handel mit Edelmetallen am LBMA (seit 2012 für Gold und 2018 für Silber) und am LPPM (seit 2020) ver­pflichtend. Diese Leitlinien sehen vor, dass akkreditierte Raffinerien von unabhän­gigen Auditoren geprüft werden. Die LME ver­öffentlichte erst 2019 eine Strategie für die nachhaltige Beschaffung metalli­scher Rohstoffe, die sich am OECD-Leit­faden für Minerale aus Konflikt- und Hochrisiko­gebieten orientiert. Ab Ende 2023 müssen alle Marktteilnehmer sich nach dieser Strate­gie richten. Tun sie es nicht, können sie vom Handel ausgeschlossen wer­den. Zudem wurde 2021 der LMEpassport ein­geführt, mit dem Produzen­ten auf frei­williger Basis Informationen über die Nach­haltigkeit ihrer Produkte zur Verfügung stellen können. Die Maßnahmen der LME gelten als wichtiger Schritt, ernten aber auch Kritik: Unter anderem würden Umwelt­risiken nicht ausreichend berücksichtigt und Informationen zu Verstößen und Beschwerdeverfahren nicht veröffentlicht.

Intransparenz erschwert Nachverfolgbarkeit

Besonders problematisch ist die geringe Bereit­schaft von Rohstoffhändlern und Börsen, grundlegende Informationen über ihre Zulieferer oder die Herkunft von Metallen offenzulegen. Das macht die Rückverfolgbarkeit­ nahezu unmöglich. So ver­öffentlicht die LME beispielsweise nicht, aus welchen Ländern die Metalle in ihren Lagerhäusern kommen. Rohstoffhändler stellen teilweise Informationen zu Raffi­ne­rien zur Verfügung, geben jedoch häufig nicht an, aus welchen Minen die Metalle stammen. Das wäre aber wichtig, da Händ­ler oftmals Erze und Konzentrate aus unter­schiedlichen Minen vermischen und sich die Abbaubedingungen innerhalb eines Landes je nach Mine stark unterscheiden können. Darüber hinaus mangelt es an Transparenz zu den externalisierten Kosten und Umweltauswirkungen des Roh­stoff­handels. Angaben zu Anzahl, Umfang und Empfängern von Vorfinanzierungskrediten von Rohstoffhändlern sind ebenfalls nicht immer vorhanden.

Die Händler begründen ihre Informa­tionspolitik meist mit der Notwendigkeit, Geschäftsgeheimnisse zu wahren. Große Handelshäuser sind in der Regel keine bör­sennotierten Unternehmen – das Schwei­zer Unternehmen Glencore ist hier eine Ausnahme – und deswegen nicht den An­forderungen von Börsen bezüglich Trans­parenz und ESG unterworfen. Für deutsche Unternehmen, die Metalle von Schweizer Händlern oder über Handelsplätze in Lon­don beziehen, besteht ein Risiko in deren mangelnder Bereitschaft, Informationen zu Herkunft und Produktionsbedingungen von Metallen zu liefern.

Dezentralität des Rohstoffhandels

Letztlich erschwert auch die dezentrale Struk­tur des Rohstoffhandels die systema­tische Umset­zung von Nachhaltigkeitsstandards. Zwar existieren einige zentrale Han­delsplätze und eine überschaubare Zahl großer Han­delshäuser im Metallbereich. Doch die meisten Händler in Europa sind spezialisierte Klein- oder Kleinstunternehmen. Eine Erhebung zum Schweizer Roh­stoffhandelssektor aus dem Jahr 2017 ergab, dass 42% der Händler weniger als zehn und 48% zwischen elf und 300 Per­sonen beschäftigen. Was die Um­setzung von Standards und die Offenlegung von Informationen betrifft, stehen diese Händ­ler weit weniger im Blickpunkt der Öffent­lichkeit.

Auch in Abbauländern ist eine Vielzahl von Akteuren am Handel mit Metallen be­teiligt. Es gibt große internationale Handels­­konzerne wie Trafi­gura. Aber auch manche Bergbau­unternehmen haben eigene Han­delsabteilungen. Hinzu kommen zahlreiche kleinere lokale Händ­ler, besonders in Lieferketten von Metallen, die durch hand­werklichen Klein­bergbau gewonnen wer­den. Oftmals sind zwischen Metallproduzenten und ‑ab­nehmern mehrere Händler zwischengeschal­tet. Wie mächtig Rohstoffhändler in Lieferketten sind, variiert dabei je nach Metall. Der Rohstoffhandel ist daher auf Akteursebene schwer zu erfassen.

Optionen für die deutsche Politik

Als bedeutende Handelsplätze besitzen die Schweiz und Großbritannien einen hohen Stellenwert für die Versorgung mit Metal­len und die Durchsetzung von Standards in metallischen Lieferketten. Die Geschäfts­bereiche von Rohstoffhändlern sowie deren vorgelagerte Lieferketten sind stark risiko­behaftet und erfordern die Umsetzung umfassender unternehmerischer Sorgfaltspflichten. Bisher unzureichend im Bereich Rohstoffhandel sind indes die Regulierung sowie die Um­setzung frei­williger Nach­haltigkeitsstandards. Daraus erwächst ein Risi­ko für deutsche und europäische Unter­neh­men, die Metalle über Metallbörsen oder Rohstoffhändler beziehen. Mit dem Liefer­kettensorgfaltspflichtengesetz sowie dem Eckpunktepapier »Wege zu einer nach­haltigen und resilienten Rohstoffversorgung« möchte Deutschland hohe Stan­dards für eine verantwortungsvolle Be­schaffung von Metallen etablieren. Zu diesem Zweck sollte die Bundesregierung den Rohstoffhandel in begleitenden Maßnahmen zur Umsetzung des Liefer­kettengesetzes und des Eckpunktepapiers genauer in den Blick nehmen und sich auch auf internationaler Ebene für mehr Regulierung des Rohstoffhandels ein­setzen.

Starkes EU-Lieferkettengesetz

Die wichtigsten Zentren für den Handel mit Metallen liegen außerhalb der EU, so­dass diese keinen direkten Einfluss nehmen kann. Ein starkes Lieferkettengesetz auf euro­päischer Ebene, das auch den gesamten Finanzsektor einschließt, würde es Abneh­mern von Metallen innerhalb der EU ermög­lichen, verstärkt Druck auf Börsen und Händler auszuüben, über die sie Metalle beziehen. Für die Finanzierung des kapital­intensiven physischen Rohstoffhandels spielt der Finanzsektor eine gewichtige Rolle. Daher würde sich die Verpflichtung für Finanzakteure, menschenrechtliche und um­weltbezogene Sorgfaltspflichten zu erfüllen, auch auf den Rohstoffhandel auswirken. Der Rat der EU möchte den Finanzsektor aus dem Anwendungs­bereich der EU-Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen ausnehmen. Das Europäische Parlament und die Europäische Kommission hingegen sprachen sich zuletzt dafür aus, ihn einzubeziehen. Um für maximale Wirkung des europäischen Lieferkettengesetzes zu sorgen, sollte sich die Bundesregierung im Vorfeld und wäh­rend der anstehenden Trilog-Verhandlun­gen auf EU-Ebene dafür stark machen, dass der Finanzsektor dem Anwendungsbereich des Gesetzes unterworfen wird.

Politischer Dialog zu Standards

Ergänzend zur verbindlichen Gesetzgebung kann die Bundesregierung den politischen Dialog zu Standards mit wichtigen Handels­zentren für Metalle aus­bauen, zum Beispiel mit der Schweiz, Großbritannien oder China. Als Rahmen dafür böten sich inter­nationale Organisationen an, bei­spielsweise das Intergovernmental Forum on Mining, Minerals, Metals and Sustainable Development (IGF) oder die G20. Zwar ist die Schweiz nicht Mitglied der G20, nimmt aber regelmäßig an den Vorbereitungs­treffen der Gruppe teil. Vor allem der Aus­tausch mit China sollte trotz geo­politischer Span­nungen aufrechterhalten werden, etwa im Rahmen der OECD oder des deutsch-chinesischen Zentrums für nach­haltige Entwicklung, das 2017 auf Initiative des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und des chinesischen Handelsministeriums eingerichtet wurde. Auch in Form verstärkter Unterstützung für die EITI und den UN Global Com­pact kann die Bundesregierung sich für mehr Transparenz im Rohstoff­handel ein­setzen und den politischen Dia­log zur Umsetzung von Nachhaltigkeitsstandards in diesem Bereich fördern.

Garantien für Ungebundene Finanzkredite

Die Bundesregierung plant, die Vergabe von Garantien für Ungebundene Finanzkredite (UFK) an Rohstoffhändler auszubauen, um Versorgungssicherheit bei Metallen zu ge­währleisten. So erhielt Trafigura im Okto­ber 2022 einen Kredit über 800 Millionen US-Dollar für Metalllieferungen im Umfang von bis zu 500.000 Tonnen an deutsche Fir­men. Weil es im Rohstoffhandel an Trans­parenz fehlt und Sorgfaltspflichten nur un­zulänglich erfüllt werden, geht die Bundes­regierung mit solchen Garantien erhebliche Risiken ein. Sie kann diese mini­mieren, indem sie die Prüfung von Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsaspekten (USM) im Vor­feld der Kreditvergabe ausweitet und durch regelmäßige USM-Prüfungen während der Projektlaufzeit ergänzt. Bei der Vergabe von UFK-Garantien sollten Transparenz und Nachhaltigkeit ausschlaggebende Kriterien sein. Die Standards für die USM-Prüfung sollten dabei über die Performance Stan­dards der International Finance Corpora­tion hinausgehen, die in der Entwicklungsfinanzierung der am weitesten verbreitete Maßstab sind. Eine Alternative zu den UFK-Garantien für Kre­ditgeber von Händlern wären Garantien für die Absiche­rung langfristiger Abnahmeverträge mit Berg­bauunternehmen. Dies würde die USM-Prüfung vereinfachen, da Betreiber von Minen und Raffinerien mehr Informationen zur Herkunft von Metallen bereitstellen.

Multi-Stakeholder-Initiativen

Trotz ihrer herausragenden Bedeutung für die Umsetzung von Standards sind Rohstoff­händler sowie Vertreter von Metall­börsen und außerbörslichen Handels­plätzen nur unzureichend in bestehenden Multi-Stake­holder-Initiativen vertreten. Das gilt auch für Akteure des Finanzsektors. Diese Initia­tiven können jedoch ein wirksames Instru­ment sein, um die Standardsetzung und den Austausch zu Risiken zwischen Akteu­ren entlang von Rohstofflieferketten voran­zubringen. In nationalen Branchendialogen und in der European Partnership for Re­sponsible Minerals (EPRM) auf europäischer Ebene sollten sich daher das Bundesmini­sterium für Arbeit und Soziales und das BMZ für eine stärkere Einbindung von Ak­teuren des Rohstoffhandels und des Finanz­sektors einsetzen.

Zivilgesellschaft und Forschung

Menschenrechtsverletzungen und negative Umweltauswirkungen in den Lieferketten von Rohstoffhändlern und Börsen wurden meist erst durch Recherchen und Veröffentlichungen von Nichtregierungsorganisationen und Forschungseinrichtungen bekannt. Diese leisten mangels öffentlicher Daten aktuell einen substantiellen Beitrag dazu, internationale Handelsströme und Risiken des Rohstoffhandels bes­ser zu erfassen. Die Bundesregierung kann deshalb die Trans­parenz in metallischen Lieferketten auch dadurch erhöhen, dass sie Nichtregierungsorganisationen und Forschungsprojekte fördert, die zum Roh­stoff­handel arbeiten.

Dr. Christina Saulich ist Wissenschaftlerin im Projekt »Transnationale Governance-Ansätze für nachhaltige Rohstofflieferketten im Andenraum und im südlichen Afrika«. Das Projekt wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2023

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