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Nicaragua: eine Wahlfarce im Zeichen der Familiendynastie

Kurz gesagt, 05.11.2021 Forschungsgebiete

Am Sonntag wählt Nicaragua ein neues Parlament und einen Präsidenten. Angesichts der Verhaftungen mehrerer Präsidentschaftskandidaten der Opposition, zivilgesellschaftlicher Akteure und kritischer Journalisten sind die Wahlen aber nur noch eine Farce, meint Günther Maihold.

Das Regime von Nicaraguas Präsident Daniel Ortega und seiner Ehefrau sowie Vizepräsidentin Rosario Murillo versucht, sich für weitere vier Jahre die Macht zu sichern. Ziel ist es, den eigenen Familienclan an den Schalthebeln der wirtschaftlichen und politischen Macht zu halten. Die für den 7. November angesetzten Wahlen sollen dem Regime den Anschein von Legitimität verleihen. Dabei bewegt es sich seit Jahren in eine autoritäre Richtung. Im Vorfeld des Urnengangs wurden die Gewaltenteilung ausgehöhlt und die demokratischen Institutionen gleichgeschaltet. Manche sprechen offen von einer Diktatur.

Ständige Schikanen gegen die Opposition sind bereits seit den regimekritischen Protesten im Jahr 2018 an der Tagesordnung: Seither werden Vertreter der Kirchen und Unternehmerverbände mit strafrechtlichen Ermittlungsverfahren überzogen und verhaftet. Derzeit befinden sich mehr als 160 prodemokratische Akteure im Gefängnis oder im Hausarrest, darunter fünf Präsidentschaftskandidaten der Opposition sowie weitere Politikerinnen und Politiker. Zahlreiche Menschenrechtsaktivisten haben sich ins Exil begeben. Die unabhängige Presse, insbesondere die oppositionelle Zeitung »La Prensa«, wird durch die Reduzierung von Papierlieferungen in ihrer Verbreitung massiv eingeschränkt. In diesem Klima von freien Wahlen zu sprechen, ist reiner Hohn.

Der Widerstand der Opposition scheint mittlerweile gebrochen. Nach der Verfolgung ihrer Sprecher ist ihr der innere Zusammenhalt verloren gegangen. Nach jüngsten Umfragen ist von einer sehr geringen Wahlbeteiligung auszugehen – ein letztes Mittel, mit dem die Bevölkerung ihrem Protest Ausdruck verleihen kann. Das Land scheint erneut unter eine Familienherrschaft zu geraten, wie einst unter dem Somoza-Clan, dem Ortegas Sandinisten 1979 ein Ende bereiteten.

Vom revolutionären Nimbus ist Daniel Ortega nichts geblieben. Der einstige Widerstandskämpfer hat sich zum autoritären Herrscher gewandelt, der das Land politisch und wirtschaftlich dominiert – und für eigene Zwecke ausnutzt. In erstarrten Formen revolutionärer Symbolik, esoterisch-religiöser Aufladung und repressiver Kontrolle hat er einen Wahlkampf inszeniert, dessen Ergebnis bereits feststeht. Die noch im Rennen befindlichen Parteien spielen keine Rolle mehr.

Schwache regionale Reaktionen

Die Protagonisten des Regimes vertrauen darauf, dem Druck der internationalen Gemeinschaft und den gegen sie verhängten Sanktionen mit Hilfe ihrer Partner in Venezuela und Kuba ausweichen zu können. Auch das Drehbuch für den Umgang mit den Oppositionellen in Nicaragua könnte in Caracas geschrieben worden sein, so nah ist die nicaraguanische Realität an den Methoden, die Präsident Nicolás Maduro – ein Verbündeter Ortegas – seit Jahren in Venezuela praktiziert.

Auf internationaler Ebene gelingt es nicht, eine einheitliche Position einzunehmen: Zwar forderten am 20. Oktober 26 Mitglieder der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in einer gemeinsamen Resolution, das Ortega-Murillo-Regime müsse zu einer sofortigen Lösung der soziopolitischen Krise beitragen und alle politischen Gefangenen freilassen. Allerdings enthielten sich auch sieben Mitgliedsländer der Stimme, darunter die Nachbarländer Guatemala und Honduras. Nicaragua ist in der Region Zentralamerika nicht isoliert.

Erst Ende Oktober unterzeichnete der umstrittene honduranische Präsident Juan Orlando Hernández in Managua ein Grenzabkommen. El Salvadors Präsident Nayib Bukele zeigt gleichermaßen stark autoritäre Züge, so dass auch von dieser Seite kein Druck auf Nicaragua erfolgt. Ebenso wenig ist von Mexiko zu erwarten: Dessen Präsident López Obrador verfolgt eine Politik der Nichteinmischung. Sein Land enthielt sich bei der Resolution zur Lage in Nicaragua ebenfalls der Stimme. Zwar riefen Mexiko und Argentinien ihre Botschafter zur Berichterstattung zurück, weitergehende Maßnahmen blieben aber aus. So werden Menschenrechtsverletzungen und die anstehende Wahlfarce in Nicaragua in Kauf genommen.

Nur Costa Rica hat einen klaren Kurs gegen die autokratische Entwicklung in Nicaragua eingeschlagen. Es ist Zielland vieler Personen, die dort Zuflucht vor Verfolgung suchen und sich im Exil weiter gegen die Repression in der Heimat einsetzen. In den vergangenen beiden Jahren haben mehr als 100.000 Menschen Nicaragua verlassen, monatlich bitten gegenwärtig mehr als 5.000 Nicaraguaner um Aufnahme in Costa Rica. Damit kommt dieses Aufnahmeland an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit und hat bei internationalen Organisationen wie UNHCR um mehr Unterstützung bei der Betreuung der Geflüchteten gebeten. Hier sollte auch die internationale Hilfe ansetzen.

Wie weiter nach der Wahlfarce?

Nach den Wahlen am 7. November und seinem »Wahlerfolg« wird das Ortega-Murillo-Regime erneut versuchen, sich international als legitim darzustellen. Vor diesem Hintergrund muss die internationale Gemeinschaft die Wahlfarce umgehend verurteilen. Das bisher von den USA, Kanada und der EU betriebene Sanktionsmodell, das die Reisefreiheit und den Zugang zu Auslandsguthaben führender Mitglieder des Ortega-Murillo-Regimes einschränkt, kann zwar noch weiter ausgedehnt werden, nähert sich aber bereits seinen Grenzen. Es bedarf eines umfassenderen Instruments, um stärkeren Druck auf das Regime auszuüben. So prüft Washington gegenwärtig eine Suspendierung Nicaraguas vom zentralamerikanischen Freihandelsabkommen (CAFTA). Am Mittwoch verabschiedete das US-Repräsentantenhaus eine Gesetzesinitiative (Ley Renacer), die Sanktionen gegen die für unfaire Wahlen verantwortlichen Nicaraguaner vorsieht. Die EU sollte handelspolitische Maßnahmen ergreifen und die Demokratieklausel im Assoziierungsabkommen mit der Region auslösen. Nicaragua wäre dann vom Abkommen zwischen der EU und Zentralamerika suspendiert, bis es rechtsstaatliche Verhältnisse wiederherstellt. Darüber hinaus sollte die internationale Gemeinschaft der Opposition international zu mehr Präsenz verhelfen, nicht nur den führenden Intellektuellen des Landes wie dem Schriftsteller und ehemaligen Vizepräsidenten Sergio Ramírez, der Autorin Gioconda Belli oder dem Publizisten Carlos Fernando Chamorro, sondern auch anderen Stimmen aus dem Oppositionslager.

Nicaragua ist kein Einzelfall. Auch in den Nachbarländern werden der Rechtsstaat ausgehöhlt und demokratische Verfahren zersetzt. Die anstehenden Wahlen in Nicaragua könnten diese autokratischen Dynamiken in Zentralamerika befeuern. Dem muss die internationale Gemeinschaft entgegenwirken.