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Die europäische Friedens- und Sicherheitspolitik in Afrika: Auf dem Weg in die falsche Richtung?

Megatrends Spotlight 26, 18.07.2023

Mit der Europäischen Friedensfazilität (EPF) legt die EU einen Fokus auf den Aufbau militärischer Kapazitäten. Stattdessen sollte sie sich stärker auf Prävention und Friedenskonsolidierung konzentrieren, argumentiert Julian Bergmann (IDOS) in diesem Megatrends Afrika Spotlight.

Mit der Europäischen Friedensfazilität (European Peace Facility, EPF) legt die Europäische Union (EU) seit 2021 mehr Gewicht auf militärische Unterstützung von Drittländern. Im Rahmen dieser, hat die EU hat eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, um die Ukraine gegen die russische Aggression zu unterstützen. Gleichzeitig fördert sie mit dem Instrument aber auch afrikanische Länder und regionaler Organisationen. Die jüngste Entscheidung, nigrischen Streitkräften tödliche Ausrüstung zu liefern, zeigt: die EU verstärkt ihre Bemühungen um den Aufbau militärischer Kapazitäten in Partnerländern. Dies ist ein Schlüsselelement ihres Engagements für Frieden und Sicherheit in Afrika. Doch ein solch einseitiger Fokus auf den Aufbau militärischer Kapazitäten birgt auch die Gefahren. Wenn er nicht in eine umfassende politische Strategie eingebettet ist, besteht das Risiko, dass er nicht zu einem nachhaltigen Frieden in fragilen und konfliktbetroffenen Ländern beitragen wird.

Um dies zu vermeiden, sind drei Elemente erforderlich: (1) eine klare Strategie für die Aktivitäten der EU zur Krisenprävention und Friedenskonsolidierung in Afrika, (2) die Verstärkung der Kontroll- und Monitoring-Mechanismen der EPF, um den Missbrauch der gelieferten Ausrüstung zu verhindern, sowie (3) ein neuer Impuls für die Zusammenarbeit zwischen der AU und der EU im Bereich Frieden und Sicherheit.

Militärhilfe für Niger

Am 8. Juni 2023 verabschiedete der Rat der EU eine Maßnahme im Rahmen der EPF zur Unterstützung der nigrischen Streitkräfte in Höhe von 4,7 Millionen. Euro. Sie ergänzt zwei frühere EPF-Maßnahmenpakete für das Land im Gesamtwert von 65 Millionen Euro, die im Juli 2022 und im März 2023 angenommen worden waren.

Eines ist besonders an der jüngsten EPF-Maßnahme: zum ersten Mal nutzt die EU die EPF, um einem afrikanischen Partnerland tödliche Ausrüstung – d.h. Waffen und Munition – zu liefern. Welche Art der Ausrüstung konkret geliefert wird, wird normalerweise nicht bekannt gegeben. Medienberichten zufolge, handelt es sich in diesem Fall um Luft-Boden-Raketen für den Einsatz durch Hubschrauber.

Das größere Bild: Zunehmende Versicherheitlichung des EU-Engagements in Afrika

Die EPF wurde als außerbudgetäres Instrument geschaffen, um die Bereitstellung militärischer Ausrüstung zu ermöglichen. Das ist bei Instrumenten, die aus dem EU-Haushalt finanziert werden, nicht möglich. Es bestehe keine Notwendigkeit, EPF-Mittel für Maßnahmen in Afrika zu reservieren, erklärte ein EU-Beamter dem Autor vor der Schaffung der EPF. Angesichts des starken Profils der EU als Sicherheitsakteurin in Afrika würde ohnehin der Großteil der EPF-Mittel würde an afrikanische Partner gehen.

Russlands erneuter Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 stellte diese Prämisse auf den Kopf. 83 Prozent der bisher bereitgestellten EPF-Mittel in Höhe von 6,8 Milliarden Euro sind derzeit für die Ukraine bestimmt. Das besagen Zahlen vom Europäischen Auswärtigen Dienst aus Juni 2023.  Der Anteil der für Afrika bereitgestellten Mittel (sowohl nationale als auch regionale Maßnahmen) beläuft sich auf etwa 14 Prozent.

Die Ausweitung der Unterstützung für den Niger steht im Einklang mit einem längerfristigen Trend im EU-Engagement für Frieden und Sicherheit in Afrika. Dieser beinhaltet eine stärkere Konzentration auf den Aufbau militärischer Kapazitäten als ein Schlüsselinstrument des EU-Engagements. Es ist kein Zufall, dass bis 2022 alle militärischen Ausbildungsmissionen der EU in afrikanischen Partnerländern durchgeführt wurden: Somalia (seit 2010), Mali (seit 2013), die Zentralafrikanische Republik (seit 2016) und Mosambik (seit 2021) – lange bevor die EU-Militärausbildungsmission für die Ukraine (EUMAM) im Oktober 2022 eingerichtet wurde.

Die sicherheitspolitische Zusammenarbeit der EU mit Afrika heute: Geopolitische Interessen im Vordergrund?

Auf dem 6. AU-EU-Gipfel in Brüssel im Februar 2022 einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf eine erneuerte und verstärkte Zusammenarbeit für Frieden und Sicherheit in Afrika. In der Gipfelerklärung wurden lang bestehende Verpflichtungen bekräftigt, wie die Unterstützung der Afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur (APSA) zur Förderung "afrikanischer Lösungen für afrikanische Probleme" und das Plädoyer für einen integrierten Ansatz, der den gesamten Konfliktzyklus berücksichtigt. Was in den Medienberichten über den Gipfel mehr Beachtung fand, war die starke Betonung der militärische Zusammenarbeit „durch die Unterstützung einer angemessenen Ausbildung, des Aufbaus von Kapazitäten und der Ausrüstung". Diese Priorität spiegelt sich auch im Strategischen Kompass der EU für 2022 wider, in dem zu Sicherheits- und Verteidigungsdialogen und Partnerschaften mit einzelnen afrikanischen Ländern aufgerufen wird.

Die politischen Entscheidungsträger*innen der EU gestalten die EPF im Einklang mit dieser allgemeinen strategischen Ausrichtung der Union. Wie Analysten kürzlich feststellten, wird die EPF – ursprünglich vor allem ein Instrument zur Konfliktverhütung und Friedenskonsolidierung - nun als Instrument zur Verteidigung geopolitischer Interessen der EU verstanden. Dies bedeutet natürlich nicht, dass die EU die Konfliktprävention und Friedenskonsolidierung als Element ihres Engagements für Frieden und Sicherheit in Afrika völlig aufgegeben hat. Auch soll damit nicht behauptet werden, dass der Aufbau militärischer Kapazitäten bei der Unterstützung von Friedens- und Sicherheitsbemühungen auf dem afrikanischen Kontinent keinen Wert hat. Wenn die EU jedoch einen Ansatz verfolgt, der sich übermäßig auf militärische Mittel fokussiert, und die EPF nur als Instrument zur Stärkung der eigenen Positionierung als geopolitische Akteurin einsetzt, dient sie möglicherweise nicht ihrem langfristigen Ziel: nachhaltigen Frieden und Sicherheit in Afrika zu unterstützen.

Aus Sicht der afrikanischen Partnerländer ist es ein legitim, mehr EU-Unterstützung für die Stärkung ihrer nationalen Streitkräfte zu verlangen, auch durch Waffenlieferungen. Offenkundig besteht eine Nachfrage an einer verstärkten Unterstützung für den Aufbau militärischer Kapazitäten, einschließlich der Bereitstellung von Ausrüstung. Die begrenzten Erfolge des langjährigen Kapazitätsaufbaus in Somalia oder Mali im Hinblick auf die Erreichung des Ziels eines nachhaltigen Friedens sollten jedoch auch davor warnen, die "Friedensdividende" dieser Maßnahmen zu überschätzen. Jüngste Evaluierungen und Analysen haben gezeigt, dass trotz der Erfolge im Bereich der taktischen Ausbildung und des Kapazitätsaufbaus, die beabsichtigten positiven Auswirkungen früherer militärischer Ausbildungsmissionen der EU auf die Stabilisierung der Sicherheitslage und die Förderung einer verantwortungsvollen Staatsführung häufig nicht eingetreten sind. Obwohl begleitende EPF-Hilfsmaßnahmen die Effektivität von GSVP-Trainingsmissionen erhöhen können, kompensieren sie nicht das Fehlen einer breiteren strategischen und politischen Einbettung dieser Missionen.

Neuausrichtung auf Prävention und regionale Zusammenarbeit

Um das Engagement der EU im Bereich Frieden und Sicherheit in Afrika wieder stärker auszubalancieren, muss die Union drei Punkte angehen: (1) Stärkung ihres strategischen Profils bei der Konfliktprävention und Friedenskonsolidierung, (2) Stärkung der Kontroll- und Monitoring-Mechanismen für die Unterstützungsmaßnahmen der EPF und (3) neue Impulse für die Zusammenarbeit mit regionalen Akteuren, vor allem mit der Afrikanischen Union (AU).

In erster Linie sollte die EU ihren "robusten" Ansatz durch eine klare Strategie für Konfliktprävention und Friedensförderung ergänzen. In Brüssel mag es ein Allgemeinplatz sein, dass ein politischer Ansatz mit dem Aufbau militärischer Kapazitäten einhergehen sollte, um nachhaltigen Frieden und Sicherheit zu fördern. Die Aktivitäten der EU zur Konfliktprävention und Friedenskonsolidierung sind jedoch nach wie vor weitgehend ad-hoc und fragmentiert. Das gemeinsame Konfliktanalyse-Screening-Verfahren für 68 fragile und von Konflikten betroffene Staaten, das mit der Schaffung des Instruments für Nachbarschaft, Entwicklung und internationale Zusammenarbeit (NDICI-Global Europe) eingeführt wurde, ist ein wichtiger erster Schritt zur Stärkung von Kohärenz und Wirksamkeit der EU-Aktivitäten. Durch die Durchführung einer systematischen Konflikt- und Risikoanalyse für ein Land oder eine Region schafft die EU eine evidenzbasierte Grundlage für einen strategischen Ansatz zur Konfliktprävention und Friedenskonsolidierung. Es besteht ein großes Potenzial für eine verstärkte Rolle der EU, die afrikanische Initiativen durch bestimmte Maßnahmen zur Konfliktprävention und Friedenskonsolidierung ergänzt und unterstützt. Die jüngsten Erfahrungen bei der Umsetzung des Nexus von humanitärer Hilfe, Entwicklung und Frieden haben dies in sechs Pilotländern gezeigt, darunter Nigeria, Sudan und Uganda.

Um wirksam zu sein, braucht die EU eine Strategie, die eine kohärente Theory of Change für Konfliktprävention und friedensfördernde Maßnahmen liefert. Nicht zuletzt trägt die Stärkung dieser Dimension des friedens- und sicherheitspolitischen Engagements der EU in Afrika zu ihrer geopolitischen Positionierung bei. Sie sollte nicht als Gegensatz zu dieser Vision gesehen werden. Die Bundesregierung könnte sich auf der EU-Ebene für eine solche Strategie einsetzen. Dies würde sich gut in das Konzept der "integrierten Sicherheit" einfügen, das der kürzlich veröffentlichten Nationalen Sicherheitsstrategie zugrunde liegt.

Zweitens: Um zu verhindern, dass die EPF zu einem Instrument zur Erleichterung von Rüstungsexporten wird, sollten die EPF-Maßnahmen in erster Linie zur Unterstützung afrikanischer Länder mit EU-Militärtrainingsmissionen vor Ort eingesetzt werden. Dies würde sicherstellen, dass die Bemühungen um den Aufbau militärischer Kapazitäten in umfassendere politische Bemühungen zur Förderung demokratischer Regierungsführung eingebettet sind. Wird den EU-Missionen eine starke Rolle bei der Überwachung der Umsetzung der EPF-Maßnahmen zugewiesen, ist es ihnen möglich, Kontrollmechanismen stärker zu beaufsichtigen, die Transparenz zu gewährleisten und den Missbrauch der bereitgestellten militärischen Ausrüstung zu verhindern.

Die Verknüpfung von EPF-Maßnahmen mit der Entsendung von GSVP-Missionen ist weder eine Garantie für eine positive Auswirkung auf die Sicherheitslage, noch bedeutet sie automatisch, dass das Gastland eine solche Aufsichtsfunktion für die Mission zulässt. Ein Beispiel hierfür sind die jüngsten Erfahrungen mit den malischen Behörden. Nichtsdestotrotz ist es sinnvoller, einen präventiven Ansatz zu verfolgen und geeignete Szenarien für den Einsatz der EPF zu überdenken, als einen bedarfsorientierten Ansatz zu verfolgen, der mit dem aktuellen geopolitischen Narrativ der EU übereinstimmt. Letzteres ist angesichts der hohen Risiken, die mit der Lieferung von Waffen und Munition an fragile und konfliktbetroffene Länder verbunden sind, nicht sinnvoll.

Drittens braucht es neue Impulse für die AU-EU-Partnerschaft für Frieden und Sicherheit. Durch die EPF hat die EU ihren Schwerpunkt auf bilaterale Partnerschaften mit einzelnen afrikanischen Ländern verlagert. Die AU ist im Vergleich zur früheren Afrikanischen Friedensfazilität nur minimal an der Entscheidungsfindung der EPF beteiligt. Analysten zufolge, könnte die Gewährung eines formellen Beobachterstatus für die AU in der EPF ein guter Ausgangspunkt sein. Eine weitere Idee wäre die Stärkung der direkten Zusammenarbeit bei der Konfliktprävention und Friedensvermittlung. In den vergangenen Jahren hat die AU in zahlreichen Konflikten vermittelt und ihre personellen Kapazitäten und ihr Fachwissen im Bereich der Friedensmediation und der Mediationsunterstützung schrittweise ausgebaut. Eine engere Zusammenarbeit bei der Friedensmediation würde es den beiden Partnern ermöglichen, voneinander zu lernen – ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer echten Partnerschaft auf Augenhöhe.

PD Dr. habil. Julian Bergmann ist Senior Researcher am German Institute of Development and Sustainability (IDOS). Er hat zahlreiche wissenschaftliche Beiträge zur EU-Außen- und Entwicklungspolitik sowie zur Afrika-EU-Kooperation im Bereich Frieden und Sicherheit veröffentlicht.