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Das Afrikabild in den deutschen Medien: Durch die eigene Brille gesehen

Blog Joint Futures 29, 28.11.2023

Die deutsche Berichterstattung über den Kontinent beleuchtet oft entweder Chancen oder Krisen. Politische und soziale Entwicklungen sind aber vielschichtig und müssten differenziert betrachtet werden, fordert die Journalistin Bettina Rühl.

 

Seit einigen Jahren habe ich meine Suchmaschine so eingestellt, dass sie mir jeden Tag anzeigt, was in deutschen Medien über Afrika berichtet wird. Für Länder, die mich besonders interessieren, habe ich zusätzliche Suchaufträge eingerichtet. Die gute Nachricht: Jeden Tag finden sich in lokalen, regionalen und überregionalen Medien mehrere Berichte mit mehr oder weniger Afrikabezug.

Diese Einträge sind zwar keine Grundlage für eine empirische Aussage, aber sie vermitteln einen groben Eindruck davon, was über Afrika geschrieben und gesendet wird. Auf diese Weise erfuhr ich, dass die britische Königin Camilla unlängst in Kenia ein verwaistes Elefantenbaby mit der Flasche fütterte. Ich lese, wenn wieder einmal afrikanische Athlet*innen einen Marathonrekord gebrochen haben. Ich bekomme mit, wenn es in einer deutschen Kleinstadt einen Spendenlauf „für Afrika“ gibt oder ein deutscher Verein ein Hilfsprojekt auf den Weg gebracht und eingeweiht hat. Und es geht nicht an mir vorbei, welche*r Deutsche gerade mit Fahrrad/Motorrad/ Auto quer durch unseren südlichen Nachbarkontinent reist. Natürlich werde ich auch – dann meist in etlichen Medien zugleich – über katastrophale Dürren, Überschwemmungen, Massaker, Konflikte, Hungersnöte informiert. Selbstverständlich gibt es aber auch ausführliche Reportagen oder Hintergrundberichte darüber, unter welchen oft unmenschlichen Umständen die Rohstoffe für unsere Energiewende abgebaut werden. Warum die Menschen in Niger den Militärs zujubeln, die einen gewählten Präsidenten weggeputscht haben. Oder wie es Kenia gelingt, 90 Prozent seiner Energie aus nachhaltigen Quellen zu beziehen.

Licht und Schatten der Berichterstattung

Weil die Palette der Themen, der Ausführlichkeit und der Qualität aller Berichte so breit ist, finde ich Aussagen über „die Medien“ grundsätzlich unbefriedigend. Zum Glück haben wir in Deutschland immer noch eine ziemlich vielfältige Medienlandschaft, obwohl sich diese Vielfalt durch etliche Fusionen in den vergangenen Jahren deutlich (und besorgniserregend) reduziert hat. Auch wenn es sich also nicht so einfach sagen lässt, wie „die Medien“ über Afrika berichten, so gibt es doch Tendenzen, und um die soll es im Folgenden gehen.

Früher war ein häufiger Vorwurf an „die Afrikaberichterstattung“, sie zeichne das Bild eines tribalistischen und dunklen Kontinents, der grundsätzlich „anders“ sei als Europa. Mit diesem Vorwurf beschäftigte sich Johanna Mack 2019 in ihrem Beitrag für das Portal des European Journalism Observatory „Wie westliche Journalisten über Afrika berichten“. Mack forschte am Heinrich-Bost Institut für Internationalen Journalismus und bezog sich vor allem auf eine Untersuchung aus dem Jahr 2018 von Toussaint Nothias, der an der New York University Journalismus und globale Kommunikation lehrt. Macks und Nothias‘ Ergebnis zufolge lasse sich das Vorurteil nicht bestätigen, wonach Afrika durch Hinweise auf Tribalismus und „Dunkelheit“ als grundsätzlich „anders“ dargestellt werde. Berechtigt seien dagegen die Kritikpunkte, dass Berichte Afrika überwiegend wenig differenziert und als homogene Einheit darstellten. Dies komme in Beiträgen über Asien oder Lateinamerika deutlich seltener vor. Interessant ist ein weiteres Ergebnis von Nothias‘ Analyse: Zitate afrikanischer Stimmen würden deutlich seltener mit Verben beschrieben, die sie als rational darstellten, als westliche Gesprächspartner*innen. Während letztere beispielsweise „erklären“ oder „ankündigen“, würden für afrikanische Stimmen oft Verben benutzt wie „behaupten“ oder „sich beschweren“.

Zwei weitere häufige Vorwürfe hätten viele Forscher*innen bestätigt, so Mack: Medien berichteten zu wenig und zu negativ über Afrika. Allerdings gilt zu bedenken, dass Nachrichten grundsätzlich dazu neigen, sich auf negative Ereignisse zu fokussieren. In den vergangenen Jahren zeigt sich ein gewisser Bewusstseinswandel, wie Nothias beschreibt, und ich ihn auch selbst empfinde: Es gibt weiterhin eine große Anzahl von „Doomsday“- Berichten über Afrika, aber auch extrem positive Darstellungen. So ist – häufig im Zusammenhang mit den Besuchen von deutschen Wirtschaftsdelegationen – gerne die Rede vom „Chancenkontinent“, der Investoren viel Potenzial, große Energiereserven und ein Reservoir an möglichen Facharbeitskräften biete. Das Problem: In den einen Berichten fehlt oft das Licht, in den anderen der Schatten. Was geschrieben oder gesendet wird, folgt unserem westlichen Narrativ und schaut ausschließlich durch unsere Brille auf den Kontinent. Es geht beispielsweise darum, wie sich Migrant*innen abwehren oder zurückschicken lassen. Wie sich Fachkräfte anlocken, Energie und Rohstoffe gewinnen lassen. Konsequenterweise kommen in den sogenannten Afrika-Berichten vor allem westliche Stimmen zu Wort: deutsche Militärs, Politiker*innen, Mitarbeitende deutscher Hilfsorganisationen oder politischer Stiftungen.

Bilder und Narrative aus der Ferne ganz nah

Der Medienwissenschaftler Lutz Mükke hat das am Beispiel der Berichterstattung über den Sahel in einer Studie für die Otto-Brenner-Stiftung untersucht, die im April dieses Jahres erschien: „Mediale Routinen und Ignoranz? Die Sahel-Einsätze der Bundeswehr im öffentlichen Diskurs“. Dazu wertete Mükke Beiträge aus, die zwischen Anfang April und Anfang Juli 2021 bei Zeit Online, tagesschau.de, bild.de und FAZ.NET erschienen waren. Sein Fazit ist aufschlussreich für die Tendenz in der gesamten Berichterstattung über den Kontinent. Die Beiträge im Untersuchungszeitraum seien stark nachrichtlich und von Agenturen geprägt. Keiner der Korrespondent*innenberichte sei in einem der Sahelstaaten entstanden, sondern in Büros tausende von Kilometern entfernt, unter anderem in Berlin, Paris und Kapstadt.

Aus der Ferne ist es natürlich leichter, mit Deutschen zu sprechen. In vielen Berichten erscheinen Afrikaner*innen nicht als handelnde Akteure, sie bekommen keine Gelegenheit, ihre Situation als Analyst*innen zu erklären. Stattdessen sind sie Objekte von Naturgewalten, Terrorgruppen und anderen Widernissen. Wenn sie Glück haben, helfen ihnen „weiße Retter“. Ein solches Narrativ wird den Menschen und Realitäten des Kontinents nicht gerecht, es ist aber auch für uns in Europa von Nachteil. Denn das, was wir durch die Mainstream-Berichterstattung erfahren, ermöglicht uns kaum, die Entwicklungen vor Ort zu begreifen. Das hat sich in den vergangenen Monaten immer wieder gezeigt, nicht zuletzt anlässlich von neun Militärputschen seit 2020, darunter zwei Coups in Mali und einer in Niger. Beide Länder galten bis dahin als Säulen der deutschen Sahelpolitik. Aus den Medienberichten konnte die deutsche Öffentlichkeit wenig ziehen, um sich die Umbrüche zu erklären – die immerhin den überstürzten Abzug der Bundeswehr zur Folge hatten und eine Neujustierung der deutschen Sahel-Politik erzwangen.

Warum die Bevölkerung in Bamako, Niamey oder Ouagadougou plötzlich Putschisten bejubelt, russische Fahnen schwenkt und französische verbrennt, warum afrikanische Länder in der UN-Vollversammlung nicht mehr unbedingt mit „dem Westen“ stimmen, bleibt nach der Lektüre der meisten Medienbeiträge unverständlich. Agenturberichte, die tausende von Kilometern entfernt entstehen, helfen wenig dabei, solche Umbrüche zu erklären. Die Krücke, auf russische Troll-Fabriken und die Verblendung afrikanischer Gesellschaften zu verweisen, geht an einem Großteil der Gründe vorbei. Dabei wäre es in der gar nicht mehr so neuen multipolaren Weltordnung wichtiger denn je, dass Europa und Deutschland die Perspektiven anderer Weltregionen begreifen. Also auch die Perspektiven der afrikanischen Akteur*innen. Die Verhältnisse in den Ländern sind so komplex wie bei uns in Europa. Deshalb werden wir uns dauerhaft nicht ausreichend orientieren können, wenn wir nur auf die Frage starren, ob „der Westen“ nun in Afrika und anderswo von Russland ausgebootet wird, ob China europäischen Firmen alle Aufträge wegschnappt und ähnliche Fragen.

Mehr Zuhören, Verstehen, Vermitteln

Wenn wir verstehen wollen – und es wäre gut, wenn wir das täten – warum „der Westen“ heute in so vielen afrikanischen Ländern von vielen Menschen so negativ gesehen wird, dann sollten wir diesen Menschen zuhören. Oder praktikabler gesagt: Korrespondent*innen vor Ort haben, die ihnen zuhören können. Die mit ausreichend Mitteln ausgestattet sind, um ihre Schreibtische verlassen zu können, und ausreichend Sendeminuten oder Zeilen zur Verfügung gestellt bekommen, um von dem zu berichten, was sie gehört haben. Dass die Berichterstattung ist wie sie ist, hat viel mit geringen Ressourcen und schrumpfenden Budgets zu tun. Das betrifft nicht nur die Berichterstattung über den afrikanischen Kontinent, sondern aus dem Ausland insgesamt. Vor-Ort-Reportagen sind teuer, die Kosten sind meiner Erfahrung nach in den vergangenen Jahren noch deutlich gestiegen. Akkreditierungen – also die journalistische Arbeitserlaubnis – kosten meist mehrere hundert US-Dollar, wenn sie nach oft langem Warten überhaupt erteilt werden. Hinzu kommen Flug- und andere Reisekosten, die Honorare für Dolmetscher*innen und Fixer: Kolleg*innen aus den jeweiligen Regionen, ohne deren Mitarbeit wir häufig nicht weiterkommen. Je schwieriger die Sicherheitslage ist, je komplexer die politische (und militärische) Situation vor Ort, desto mehr sind wir auf ihre Unterstützung, ihre Expertise und ihren Rat angewiesen.

Welches Afrikabild die deutschen und internationalen Medien vermitteln, hat nicht zuletzt damit zu tun, wie nah wir Reporter*innen diesem Kontinent kommen können. Bei der Finanzierung von Recherchereisen kommen selbst die größeren Verlage und Redaktionen an ihre finanziellen Grenzen. Um eine Berichterstattung über den afrikanischen Kontinent zu ermöglichen, die so lebensnah, vielfältig und hintergründig ist, wie es den dortigen Entwicklungen angemessen ist, und wie es die neue Weltordnung meinem Verständnis nach erfordert, brauchen wir mehr direkte Anschauung – also auch deutlich mehr Geld im System.

Dafür muss die Finanzierung der Auslandsberichterstattung auf eine neue Grundlage gestellt, sie muss durch öffentliche Mittel gefördert werden. Denn Recherchen vor Ort und qualitativ hochwertige Berichte lassen sich der Öffentlichkeit kaum kommerziell erfolgreich bereitstellen. Auch die Redaktionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stoßen an die Grenzen der Finanzierbarkeit, die Rundfunkgebühren lassen sich nicht beliebig erhöhen. Ganz richtig hat Marc Engelhardt in seiner Studie für die Otto-Brenner Stiftung „Das Verblassen der Welt. Auslandsberichterstattung in der Krise“ von 2022 festgestellt, dass Informationen aus dem Ausland in einer globalisierten, multipolaren Welt als ein öffentliches Gut verstanden werden sollten, weil sie für das Funktionieren von Demokratie entscheidend sind: Politiker*innen und Bürger*innen müssen sich ein möglichst realitätsnahes Bild von der Welt machen, um die richtigen politischen Entscheidungen treffen und bei demokratischen Wahlen für Parteien stimmen zu können, die ihre Haltung auch in außenpolitischen Fragen vertreten. Denn ob Klimawandel, Rechtspopulismus oder Sicherheitspolitik: Was in der Welt geschieht, hat unmittelbare Auswirkungen auf das Leben in Deutschland. Dass die Bedeutung des afrikanischen Kontinents auch für Deutschland rapide wächst, belegt die Tatsache, dass die deutsche politische Elite immer häufiger in afrikanischen Ländern zu Gast ist.

 

Die Verantwortung für die in den Beiträgen und Interviews vorgetragenen Inhalte, Meinungen und Quellen liegt bei den jeweiligen Autor*innen.

Journalistin Bettina Rühl arbeitet seit mehr als drei Jahrzehnten schwerpunktmäßig zu Entwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent. Seit 2011 ist sie Mitglied des Korrespondent*innennetzwerks weltreporter.net, in dem sie sich von 2017 bis 2021 als Vorsitzende engagierte. Für ihre Berichterstattung über Afrika wurde sie 2020 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.