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Kasachstans autoritäre Partizipationspolitik

SWP-Studie 2019/S 20, 23.08.2019, 34 Seiten

doi:10.18449/2019S20

Forschungsgebiete

Dr. Sebastian Schiek ist Politikwissenschaftler. Bis Juli 2019 war er Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien der SWP.

 In Kasachstan fordern Teile einer neuartigen Protestbewegung die Demo­kratisierung des Landes. Dazu ist die Regierung nicht bereit. Be­antwortet hat sie die Proteste vielmehr mit einer Kombination aus Repres­sion und Dialogangeboten.

 Die Regierung Kasachstans setzt damit auf eine Fortsetzung ihrer autori­tären Partizipationspolitik. Deren Ziel ist es, gesellschaftliche Partizipa­tion an politischen Prozessen und öffentlichen Diskursen zu steuern, sie für eigene Zwecke zu nutzen und so die autoritäre Herrschaft zu sichern.

 Von der EU wird die administrierte Partizipation in Kasachstan gefördert. Dies ist ein ambivalentes Unterfangen. Einerseits kann diese Form der Partizipation den Dialog zwischen Regime und Bevölkerung verbessern und dazu beitragen, reale Probleme zu lösen. Andererseits stärkt sie den Autoritarismus.

 Trotz dieser Ambivalenz ist eine Förderung weiterhin sinnvoll. Allerdings sollten nur solche Formate unterstützt werden, die kollektive – und nicht individuelle – Partizipation vorsehen.

 Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten Menschenrechtsverletzungen in Kasachstan auch künftig kritisieren und den Dialog mit dessen Regierung über institutionelle Reformen fortsetzen.

Problemstellung und Empfehlungen

Im März 2019 ist Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew von seinem Amt zurückgetreten. Doch Nasarbajew, seine Familie und ein enger Kreis der Elite behalten die Zügel der Macht weiter in der Hand. Im Juni fanden fingierte Wahlen statt, mit denen Kassym-Schomart Tokajew, ein loyaler Gefolgs­mann Nasarbajews ohne eigene politische Basis, ins Präsidentenamt gehievt wurde.

Diese Vorgänge haben einmal mehr die grund­legenden Merkmale der Autokratie in Kasachstan aufgezeigt. Ein demokratisches Wahlrecht wurde der Bevölkerung, wie schon bei früheren Urnengängen, auch dieses Mal versagt. Verwehrt wurde ihr ebenso das Recht, am öffentlichen Diskurs teilzunehmen. Neu ist jedoch, dass sich in Kasachstan eine Protestbewegung gebildet hat, die das Wahl- und Mitspracherecht offen einfordert. Der Staat reagierte harsch und ließ Tausende Demonstranten vorübergehend festsetzen. Damit hat er klargemacht, dass er derzeit nicht bereit ist, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit sowie freie Meinungsäußerung zuzugestehen, geschweige denn demokratische Mitbestimmung.

Weil die Proteste nicht zum Erliegen kommen und Teile der Bewegung versuchen, sich zivilgesellschaftlich zu organisieren, hat das Regime – bei Fortführung repressiver Maßnahmen – einen Dialogprozess angekündigt. Eine konkrete Maßnahme des Regimes bestand bislang darin, einen »Nationalen Rat für ge­sellschaftliches Vertrauen« zu gründen, dessen Bedeu­tung aber noch unklar ist. Ein weiteres, in­offizielles Manöver war die Schaffung einer sogenannten »Allianz demokratischer Organisationen«, die dem Regime loyal gegenübersteht.

Beide Schritte können als Bestandteil einer autoritären Partizipationspolitik gelten, wie sie das Regime bereits seit 2015 in stärkerem Maße verfolgt. Ziel dabei ist, die Partizipation der Gesellschaft an politi­schen Prozessen und öffentlichen Diskursen zu steuern, zu kontrollieren und für eigene Zwecke zu nutzen. Damit reagiert das Regime auf seine schon länger schwelenden Legitimationsprobleme, zu denen nun die akute Legitimationskrise infolge der manipu­lierten Wahlen noch hinzukommt.

Wenn das Regime nicht immer repressiver werden oder seine Macht über Identitätspolitik sichern will, steht es vor der Herausforderung, in unruhigeren Zeiten sowohl die wirtschaftliche Leistungskraft des Landes zu steigern als auch Protestbewegungen ein­zudämmen. Aus diesem Grund versucht Kasachstans Führung, das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft durch die im Kern autoritäre Partizipations­politik zu verbessern.

Untersuchungen zu dieser Strategie gibt es bislang keine. Zu klären gilt, inwiefern das Regime mit der autoritären Partizipationspolitik seine Ziele erreichen konnte und die Regimestabilität zugenommen hat. Die Frage ist für Deutschland und die EU relevant, weil Brüssel wie auch andere externe Akteu­re und Organisationen bestimmte Elemente dieser Politik unterstützen. Kasachstan ist zudem nicht nur ein Energieversorger der EU, sondern bis­lang ihr wichtigs­ter Partner in der Region. Am 17. Juni 2019 hat die EU ihre neue Zentralasienstrategie be­schlos­sen, mit der sie Resilienz und Wohlstand in der Region fördern möchte. Chinas »Neue Seiden­straße«-Initiative und der EU-Russland-Konflikt haben Kasach­stans Bedeutung für die EU noch ver­stärkt, weil das Land zu allen involvierten Akteuren intensive Beziehungen pflegt.

Es zeigt sich, dass die Strategie der autoritären Par­tizipationspolitik derzeit nur teilweise aufgeht. Mit »mehr Partizipation« versucht das Regime, sich natio­nal und international zu legitimieren. Anerkennung bekommt es dabei von einigen internationalen Orga­nisationen, die die neuen Formate loben und unter­stützen. Menschenrechtsaktivisten und zu­letzt auch das EU-Parlament haben sich jedoch anders positioniert und die Menschenrechtsverletzungen in Kasach­stan verurteilt. Das Regime versucht zudem, die neue Partizipation als Ersatz für autoritarismusbedingt schwache Institu­tionen (Parlament, Justiz, Medien) zu nutzen. Es zielt darauf, sich die Bevölkerung zum »Kollegen« bei der Behebung staatlicher Strukturprobleme zu machen, die eine Gefahr für die Regimestabilität darstellen. Partizipation zur Kon­trol­le staatlichen Handelns funktioniert aber nur punk­tuell und schei­tert wei­testgehend daran, die Korruption in den Lokalverwaltungen zu bekämpfen. Dage­gen bewirken Elemente elektronischen Regierens (E‑Government) und die Überwachung der sozialen Medien, dass sich das Wis­sen des Regimes über die Bevölkerung stark erhöht. Der Staat reagiert so viel­fach auf Missstände, die an­sonsten unbeantwortet blieben.

Mit seiner Reaktion auf die aktuellen Proteste hat das Regime deutlich gemacht, dass es an einer autori­tären Partizipationspolitik festhält, die auf weitestgehende Steuerung und Kontrolle zielt und kaum Auto­nomie zulässt. Zeigen muss sich noch, inwiefern die Protestbewegung trotz staatlicher Marginalisierungsversuche eine dauerhafte Macht gewinnen wird, mit der sie in einen Aushandlungsprozess über die Regeln gesellschaftlicher Partizipation – das heißt deren Orte, Teilnehmer und Themen – eintreten kann. Die EU ist zwar der wichtigste Handelspartner Kasach­stans, kann ihren Einfluss jedoch allenfalls bei be­stimmten Politikentscheidungen des Landes geltend machen. Keineswegs ist Brüssel in der Lage, auf grundlegende innenpolitische Dynamiken einzuwirken. Insofern bleibt als Bezugsrahmen für das außen­politische Engagement der EU, dass das Regime nach wirtschaftlicher Modernisierung strebt, am Autoritarismus aber festhält.

Aus Sicht Deutschlands und der EU ist die Partizipationspolitik daher ambivalent. Auf der einen Seite stehen Vorteile. Der neue Kurs erhöht die Stabilität des Regimes, da Probleme durch den Austausch zwi­schen Staat und Gesellschaft schneller gelöst werden können. Bedenklich ist diese Politik, weil sie zu Las­ten von Menschenrechten geht und zu mehr Über­wachung führt. Anders als zuweilen behauptet, läuft sie nicht auf Demokratisierung hinaus, sondern soll vielmehr die autoritäre Herrschaft langfristig sichern. Vor allem aber wird es über Partizipationspolitik nicht gelingen, die großen Strukturprobleme des Lan­des zu lösen und Hindernisse für wirtschaftliche Diversifizierung zu beseitigen.

Weil unter den Bedingungen des Autoritarismus mehr Partizipation besser ist als weniger, sollte die EU auch weiterhin eine partizipationsfördernde Koopera­tion mit Kasachstan betreiben. Förderungswürdig sind aber vor allem solche Formate, die es ermöglichen, einen innergesellschaftlichen Austausch zu pflegen, Interessen kollektiv wahrzunehmen und ein Stück weit Autonomie vom Staat zu erlangen. Auto­kratien tendieren dazu, kollektive Partizipationsformate in individuelle umzuleiten. Auch wenn dies in Kasachstan derzeit nur ansatzweise erkennbar ist, sollten auf Vereinzelung angelegte Kanäle (z.B. E-Participation) gerade nicht unterstützt werden, weil sie eine Emanzipation der Gesellschaft langfristig unterbinden. Wichtig ist, dass der Ausbau adminis­trierter Partizipation nicht als Demokratisierung verstanden und bezeichnet wird. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten nicht aufhören, Repression und Menschenrechtsverletzungen in Kasachstan offen anzusprechen.

Autoritäre Partizipations­politik – eine Einordnung

Repräsentation durch demokratische Wahlen gibt es in Kasachstan nicht. Aber auch wenn das Land eine Autokratie ist, muss das Regime seine Beziehungen zur Gesellschaft organisieren. Als autoritäre Partizipationspolitik wird hier die Strategie des Regimes be­zeichnet, die Teilhabe der Gesellschaft an politischen Prozessen und im öffentlichen Diskurs zu steuern, zu kontrollieren und für die eigenen Zwecke zu nutzen. Die Idee ist nicht neu, wird aber seit 2015 forciert. Mit dem Vorschlag des neuen Präsidenten Tokajew, einen nationalen Dialog zu schaffen, gewinnt das Thema nun an Aktualität.

Getrieben wird die autoritäre Partizipationspolitik durch die für Autokratien typische Angst vor Macht­verlust und Regimewechsel.1 Die gegenwärtige Legitimationskrise des Regimes speist sich aus zwei Quellen, die in den folgenden Abschnitten näher beleuchtet werden: erstens die Wirtschaftskrise ab 2014, derentwegen es dem Regime schwer fällt, sich über seine ökonomische Leistungskraft zu legitimieren, zweitens die Übergabe des Präsidentenamtes von Nasarbajew an Tokajew mittels fingierter Wahlen. Was die Legitimationskrise verstärkt, ist die Verbreitung sozialer Medien in Kasachstan, von denen das Diskursmonopol des Regimes zunehmend heraus­gefordert wird.

Wirtschaftskrise 2014–2017

Kasachstan gehörte lange Zeit zu den Autokratien, die sich primär durch wirtschaftliche Leistungskraft legitimierten.2 Das Regime unter Präsident Nasarbajew stützte seine Performanz vor allem auf die Ein­nahmen aus dem Ölexport sowie auf Reformen, die makroökonomische Stabilität gewährleisteten und eine ökonomische Teilhabe der Bevölkerung ermög­lichten.3 Damit verbesserte die Regierung zahlreiche Indikatoren menschlicher Entwicklung; seit 2006 wird Kasachstan gemäß Weltbank-Klassifikation unter den Staaten der Welt im oberen Segment der mittle­ren Einkommensgruppe (upper-middle income coun­try) verortet. Performanz-Autokratien wie Kasach­stan versuchen, kostspielige Repression auf Krisenzeiten zu beschränken. Letztlich aber unterliegen sie dem Performanz-Dilemma. Einerseits sind sie statis­tisch betrachtet stabiler als solche Systeme, die primär auf Unterdrückung setzen.4 Andererseits stehen Performanz-Autokratien vor dem Problem, dass sie von der Leistungserbringung und damit vielfach auch von externen Faktoren abhängig sind.5

Genau diese Schwierigkeit offenbarte sich in Kasachstan während der Ölpreiskrise 2014–2016. Zwar hat sich die wirtschaftliche Lage des Landes mittlerweile entspannt, da die Ölpreise wieder gestie­gen sind. Doch ist es der Regierung nur noch bedingt gelungen, das Narrativ des andauernden ökonomischen Fortschritts aufrechtzuerhalten. In der Bevöl­kerung blieb die Unzufriedenheit groß, und lange Zeit hingenommene Widersprüche des autoritären Systems werden vermehrt wahrgenommen und kritisiert. Die Krise führte dem Regime deutlich vor Augen, wie gefährlich wirtschaftliche Abschwünge sind. In dieser Phase verstärkten sich latente Kon­flikte, neue entstanden, alternative Narrative und Akteure erhielten Auftrieb. Die kasachischen Natio­nalisten wurden damals als aufstrebende Bewegung wahrgenommen und sowohl befriedet als auch re­pressiv verfolgt.6 Sorgen bereitete dem Regime zudem das Thema islamistische Radikalisierung. So wurden Universitäten aufgefordert, auf eine Exmatrikulation zu verzichten, wenn Studenten sich die Studien­gebühren nicht mehr leisten können. Damit wollte man verhindern, dass Betroffene aus persönlicher Verzweiflung für religiösen Extremismus empfänglich werden.7 Der in Europa residierende Exilpolitiker Muchtar Abljasow sorgte für zusätzliche Unruhe beim Regime. Er griff dessen Diskurshegemonie an, indem er über die sozialen Medien oppositionelle Stellungnahmen verbreitete.

Die erste große Protestwelle aber, die in der Hochphase der Wirtschaftskrise einsetzte, stellte alles Bisherige in den Schatten. Ausgelöst wurde sie im Frühjahr 2016 durch einen auf Facebook veröffentlichten Aufruf, gegen das Bodenreformgesetz zu protestieren, das sich damals in der parlamentarischen Überarbeitung befand. Mit der Reform wollte die Regierung neue Einnahmequellen erschließen, was angesichts der ökonomischen Schwierigkeiten des Landes dringend nötig war. Implizit richtete sich die Gesetzesnovelle auch an chinesische Investoren, denen es ermöglicht werden sollte, Agrarflächen für Zeiträume zwischen 30 und 50 Jahren zu pachten. Aktivisten gelang es, die Bevölkerung mit der Parole zu mobilisieren, das Gesetz bringe den Ausverkauf kasachischen Bodens an chinesische Investoren. Man spielte hier bewusst mit der hohen kulturellen Bedeu­tung, den Grund und Boden bei den Kasachen haben, ebenso mit weitverbreiteten Ressentiments gegen China. Die Proteste beschränkten sich zunächst auf Westkasachstan, erreichten dann aber auch die Hauptstadt Astana und die Metropole Almaty. Im Umfeld dieser Aktivitäten entstanden zudem Resolu­tionen, die über den ursprünglichen Protestgrund hinausgingen. Sie erweiterten die Agenda etwa um russlandkritische, vereinzelt auch regimekritische Punkte.

Die Reaktion des Regimes zeigte dessen Nervosität. Mit einer Doppelstrategie aus Entgegenkommen und Repression brachte es die Protestwelle zum Erliegen. Präsident Nasarbajew suspendierte das Gesetz (ohne es endgültig zurückzuziehen). Die Regierung infor­mierte die Bevölkerung über diesen Schritt, indem sie noch am selben Tag eine SMS an alle Mobiltelefone in Kasachstan sendete.8 In einer offensichtlich hastig verfassten, weil inhaltlich widersprüchlichen Rede warnte Nasarbajew die Menschen vor »Farbrevolutionen«, vor dem Einfluss Russlands und Verhältnissen wie in der Ukraine. Anders als bei den Demonstrationen in Westkasachstan ging die Regierung gegen die Proteste in Astana und Almaty repressiv vor. Die Initiatoren aus Westkasachstan sowie andere aus Sicht der Regierung involvierte Akteure wurden schließlich zu hohen Haftstrafen verurteilt.9

Akute Legitimationskrise: Wechsel im Präsidentenamt

Die fingierte Wahl eines neuen Präsidenten im Juni 2019 hat die existierenden Legitimationsprobleme des Regimes noch verstärkt. Folge war, dass eine neuarti­ge Protestbewegung entstand. Im März hatte der damals 78-jährige Nasarbajew überraschend seinen Rücktritt angekündigt. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits seit 28 Jahren an der Macht. Auf Vorschlag Nasarbajews und wie von der Verfassung vorgesehen, übernahm der Senatssprecher, der frühere Innen- und Außenminister Tokajew, kommissarisch das Präsidentenamt. Im Juni wurde Tokajew dann in vorgezogenen Wahlen zum neuen Präsidenten Kasachstans gewählt. Die OSZE klassifizierte die Ab­stimmung, wie alle früheren Wahlen des Landes seit 1995, als nicht frei und nicht fair.10

Ohnehin handelt es sich nicht um einen echten Machtwechsel. Tokajew selbst besitzt keinen innen­politischen Einfluss. Die Kontrolle behalten Nasarbajew, seine Familie und einige Vertraute. Nicht nur, dass Nasarbajew die Titel »Erster Präsident Kasach­stans« sowie »Führer der Nation« (Elbasy) führt und lebenslange strafrechtliche Immunität genießt. Vor allem bleibt er Leiter des nationalen Sicherheitsrates, der den Geheimdienst kontrolliert. An dessen Spitze steht ein langjähriger Vertrauter des Ex-Präsidenten. Über den Sicherheitsrat kann sich Nasarbajew weiter­hin in alle Politikbereiche einmischen. Seine Tochter Dariga Nasarbajewa wurde zur Vorsitzenden des Senats, der zweiten Parlamentskammer, ernannt. Da­mit würde sie zur Präsidentin aufsteigen, sollte der jetzige Amtsinhaber ausfallen oder zurücktreten. Nasarbajews Schwiegersohn Timur Kulibajew wieder­um kontrolliert die wichtigsten Staatsunternehmen und leitet die Wirtschaftskammer Atameken.

Das Manöver um das Präsidentenamt zeigt, dass es dem Land an einer verlässlichen Nachfolgeregelung fehlt. Ein Rücktritt mit einer echten Abgabe von Macht ist in informell-personalistischen Autokratien wie Kasachstan kaum möglich. Weil es an formalen Institutionen mangelt, würde das entstehende Macht­vakuum eine freie Konkurrenz um das Präsidentenamt und eine Auseinandersetzung zwischen einfluss­reichen Gruppen bewirken. Zum Gegenstand des Machtkampfs würde dann auch die ökonomische und politische Macht Nasarbajews und seiner Familie. Letztere müssten befürchten, ihr Wirtschaftsimpe­rium und sogar ihre persönliche Freiheit zu verlieren. Wie die Machttransition weiter verlaufen soll, ist nicht bekannt. Dariga Nasarbajewa könnte versuchen, ins Präsidentenamt vorzurücken, doch ange­sichts der gegenwärtigen Legitimationskrise des Regimes erscheint dies unwahrscheinlich.

Der Personalwechsel hat eine Protestbewegung ausgelöst, zu deren neuartigen Aspekten es gehört, dass sie von jungen, urbanen Akteuren mitgetragen wird. Während die Proteste früherer Jahre, vor allem die von 2016, eher Aufmärschen glichen, setzen die medienaffinen Demonstranten heute auf kreative Aktionsformen, die auch international Resonanz fin­den. Die Proteste wenden sich gegen Wahlfälschung, gegen den neuen Präsidenten Tokajew und gegen das autokratische System insgesamt; gefordert wird zu­dem die Freilassung politischer Gefangener. Der Staat reagierte bislang mit Repression, wiederholt wurden teils mehrere Tausend Demonstranten kurzfristig festgesetzt.11

Zum jetzigen Zeitpunkt ist noch nicht abzusehen, inwiefern die Protestbewegung sich verstetigen und dauerhafte Organisationsstrukturen ausbilden wird, mittels derer sie gesellschaftlich mobilisieren könnte. Erst dann würde sie über eine Machtquelle verfügen, die sich in Aushandlungsprozesse mit dem Staat ein­bringen ließe. Ein großes Hindernis für die Bewegung liegt darin, dass der autoritäre Staat eine breite Pa­lette an Techniken besitzt, um Proteste zu margina­lisieren. Zudem fehlen der Bewegung integrierende Führungspersönlichkeiten. Auch der im Ausland lebende Ex-Minister Muchtar Abljasow, der über soziale Medien in den Diskurs eingreift und dem Re­gime schon länger als Staatsfeind gilt, dürfte diese Rolle nicht ausfüllen können.

Legitimitätskrise und politischer Handlungsdruck

Die Ursachen der Legitimitätskrise sind dauerhafter Natur. Die Regierung kann sich nicht mehr auf eine stabile Finanzierung ihrer Herrschaft durch den Öl­verkauf verlassen. Zwar sind der Ölpreis und damit die staatlichen Einnahmen seit 2016 wieder gestiegen, und die Haushaltseinkommen des Landes haben 2018 erstmals wieder angezogen. Doch bleibt der Ölpreis volatil. In Zukunft droht zudem eine massive Entwertung fossiler Rohstoffe durch die globale Ener­giewende.12 So plant die EU – die Hauptabnehmerin kasachischen Öls –, bis 2050 ihre Öl- und Gasimporte um 70 Prozent zu verringern.13 Den weitgehenden Forderungen der Demonstranten nach Demokratisierung kann das Regime kaum entgegenkommen. Aus seiner Sicht sind kleinere Zugeständnisse möglich; doch dürfte es ihm gefährlich erscheinen, das Diskurs­monopol aufzuweichen, etwa durch eine Liberalisie­rung des Demonstrationsrechts. Wie sich abzeichnet, wird das Regime den Diskursraum der Straße vertei­digen, die Überwachung des Internets noch ausweiten und versuchen, die Protestakteure auf administrierte Kanäle staatlicher Partizipation umzulenken. Außer­dem dürfte es sich bemühen, seine wirtschaftliche Leitungskraft zu erhöhen. Autokratien unter Hand­lungsdruck versuchen, sich an neue Umstände anzu­passen. Oftmals setzen sie darauf, den Autoritarismus zu reformieren, um ihn zu erhalten.

Die autoritäre Partizipationspolitik lässt sich in dieses Muster einordnen. Sie hat das Ziel, sowohl den Machterhalt des Regimes zu sichern – also vor allem Proteste zu verhindern –, als auch die Voraussetzungen für wirtschaftliches Wachstum zu verbessern.14 Autoritäres »Upgrading« löst aber den in Kasachstan wie in anderen Autokratien zutage tretenden Wider­spruch nicht auf, dass Wirtschaftsreformen und Machterhalt in Spannung zueinander stehen. Der Erfolg von Wirtschaftsreformen hängt auch von den politischen Institutionen ab.15 Politische Reformen, wie eine Stärkung der Justiz, sind aber oft nicht mög­lich, weil sie den Machterhalt des Regimes gefährden. Sie werden daher erst gar nicht angegangen oder schlagen fehl. Aber selbst Wirtschaftsreformen sind gefährlich, weil sie im Kontext eines informellen Sys­tems, das nicht klar zwischen Politik und Wirtschaft sowie zwischen privaten und öffentlichen Interessen trennt, potentiell auch immer politische Machtverhältnisse beeinflussen.16

Formen und Funktionen politischer Partizipation in Autokratien

Die Antwort der politischen Führung auf den Hand­lungsdruck infolge der Wirtschaftskrise ab 2014 bestand nicht in umfassenden Strukturreformen, etwa bei der Justiz, oder in einer konsequenten Kor­ruptionsbekämpfung. Die bislang von der Politik abhängige Justiz zu stärken, also unabhängig zu machen, verspräche eine Förderung des Geschäftsklimas. Eine unabhängige Justiz wäre aber auch eine Gefahr für die politische Elite selbst, die sich nicht von Gerichten kontrollieren lassen will. Korruptionsbekämpfung würde ebenfalls für ein positiveres Geschäftsklima sorgen und damit die Voraussetzungen für Wirtschaftswachstum stark verbessern. Sie würde jedoch ebenso die Interessen der Elite und gleichzeitig die Stabilität des gesamten Systems ge­fährden, weil Korruption wichtige »Ordnungsfunk­tionen« erfüllt.17

Die Antwort des Regimes liegt vielmehr in der autoritären Partizipationspolitik. Partizipation wird hier verstanden als Teilhabe der Bevölkerung am politischen Diskurs und an politischen Prozessen.18 Eine Teilhabe am Diskurs ist in Kasachstan nicht selbstverständlich, weil es hier bislang keine starke, organisierte Zivilgesellschaft gibt und die traditionellen Medien, allen voran das Fernsehen, staatlich kon­trolliert werden. Wegen der restriktiven Politik steht der Gesellschaft das Instrument des Straßenprotests zur kollektiven Meinungsäußerung nur sehr ein­geschränkt zur Verfügung. Demonstrationen sind genehmigungspflichtig und werden nur selten und dann unter Auflagen erlaubt.19

Tabelle 1 Modi und Arenen der Partizipation in Kasachstan

Partizipationsmodus

Partizipations-Arenen

staatlich und quasi-staatlich organisiert

unabhängig vom Staat / zivilgesellschaftlich

(siehe Kapitel »Von Staats wegen: Administrierte Partizipation«, S. 12ff)

(siehe Kapitel »Kontrollieren und nutzbar machen: Öffentlichkeit und soziale Medien«, S. 21ff)

individuell

1. administrierte individuelle Partizipation
Eingaben
E-Participation

2. individuelle politische Partizipation
z.B. Blogger

kollektiv

3. administrierte kollektive Partizipation
E-Deliberation
Gesellschaftliche Räte

4. zivilgesellschaftliche Partizipation
Protest
Internet-Protest
(keine zivilgesellschaftlichen Vereine oder Gewerkschaften in Kasachstan)

Basiert auf der Systematik von Jayasuriya/Rodan, »Beyond Hybrid Regimes« [wie Fn. 20], S. 782.

Eine ungeordnete und unkontrollierte Teilnahme der Bevölkerung an politischen Debatten ist für autoritäre Regime gefährlich, weil sie dadurch ihre Diskurshegemonie verlieren können. Deshalb ver­sucht das kasachische Regime zu bestimmen, wer partizipiert, wie das geschieht und welche Themen dabei verhandelt werden. Prinzipiell lässt sich politi­sche Partizipation unterscheiden nach ihrem Ort (in staatlich kontrollierten oder autonomen Arenen) und ihrem Modus (individuell oder kollektiv).20 Das Regime versucht die Art der Teilhabe zu steuern, indem es Partizipation von autonomen zu adminis­trierten Foren lenkt, indem es Letztere ausbaut und die Möglichkeiten autonomer Partizipation weiter einschränkt. In den folgenden beiden Kapiteln wer­den die neuen, administrierten Formen der Partizi­pation und die verbleibenden autonomen Formen anhand von Funktionen untersucht, die das Regime im Hinblick auf Machtsicherung und Wachstums­politik abdecken will.

Zunächst einmal erfüllt Partizipation die Funktion einer »Schaufensterpolitik«. So wird etwa innenpolitisch der eigenen Bevölkerung der Eindruck vermittelt, sie werde gehört, oder ausländischen Investoren ein positives Narrativ zur Entwicklung des Landes an die Hand gegeben. Die Rolle von Partizipation geht darüber aber noch hinaus. Sie zielt auch darauf, eine Substitution für fehlende gesellschaftliche Institutionen zu ermöglichen. Zum Beispiel soll sie dazu bei­tragen, den Staat zu kontrollieren, weil das Parlament dies nicht kann, oder Kenntnisse des Regimes über die Gesellschaft verbessern, weil es an unabhängigen Instanzen fehlt, die das leisten könnten.21 Es geht dabei also um den Umgang mit Strukturproblemen des politischen Systems in Kasachstan, deren Ursa­chen im autokratischen System selbst liegen. Dazu gehören fehlende Ventile für gesellschaftlichen Frust, die schwache Steuerbarkeit staatlichen Handelns, ein hohes Maß von Korruption und der Mangel an Wissen über Präferenzen der Bevölkerung.

Von Staats wegen: Administrierte Partizipation

Als Antwort auf die fortgesetzten Proteste hat das Regime einen »Nationalen Rat für gesellschaftliches Vertrauen« geschaffen. Er soll einen Dialog zwischen Staat und Gesellschaft organisieren. Inzwischen wur­den von staatlicher Seite die Mitglieder des Gremiums benannt.22 Darunter sind auch frühere Regimekritiker, wie der Ökonom Olzhas Dshandosov.23 Kritiker beanstanden allerdings, der Rat werde von regimetreuen Mitgliedern dominiert.24 Ein weiterer, infor­meller Schritt des Regimes war die Gründung einer landesweiten »Koalition demokratischer Kräfte«.25 Dabei dürfte es sich um den Versuch handeln, mit einer gesteuerten Aktion die Aufmerksamkeit von den Protestorganisatoren abzulenken.

Noch hat der Rat seine Arbeit nicht aufgenommen. Zwei Gründe sprechen aber gegen die Erwartung, dass das Regime dem Gremium oder der mit ihm inter­agierenden Gesellschaft echte Autonomie in der Aus- und Verhandlung von Verfahrensweisen und Themen zugestehen wird. Das ist erstens der intransparente Prozess, durch den die Mitglieder bestimmt wurden. Zweitens befindet sich das Regime noch im Konflikt um die Diskurshoheit auf der Straße, und es zeigt sich gewillt, seinen Monopolanspruch auch weiterhin repressiv gegen die Demonstranten durchzusetzen.

Insofern fügen sich der Rat und die pseudo-zivil­gesellschaftliche »Koalition demokratischer Kräfte« in die autoritäre Partizipationspolitik des Regimes. Bei der administrierten Partizipation handelt es sich um eine kontrollierte Öffnung des politischen Systems in dem Sinne, dass neue Kanäle für die Kommunikation zwischen Staat und Bürgern geschaffen werden. Kon­trolliert ist dieser Vorgang insofern, als er vom Staat hierarchisch initiiert wird, der Staat also darüber bestimmt, wer teilnehmen darf, was die Inhalte sind und wo die Grenzen liegen.

In Kasachstan ließen sich bis 2019 vier Formate einer administrierten Partizipation identifizieren, die im Folgenden untersucht werden: (1) die Gesellschaftlichen Räte, (2) E-Government und E-Participation (elektronisches Regieren und elektronische Partizipation), (3) »gewollte Beschwerden« und (4) öffentliche Anhörungen mit Partizipationsmöglichkeiten.

Gesellschaftliche Räte

Die Gesellschaftlichen Räte bilden eine Form der administrierten Partizipation, weil sie vom Staat ge­schaffen und streng kontrolliert werden. Im Mai 2015 wurde angekündigt, solche Räte bei nationalen und lokalen Behörden zu gründen. Dies geschah im Rah­men des Programms »Plan der Nation – 100 konkrete Schritte«, das im Kontext der Ölpreis- und Wirtschafts­krise verabschiedet wurde. Seither entstanden zahl­reiche Räte; bis Ende 2017 waren es bereits 229, da­von 16 auf nationaler und 213 auf regionaler Ebene.26

Die Gesellschaftlichen Räte sind dem Staat gegenüber nicht autonom – ihre Mitglieder werden von Behörden ernannt.

An den gesetzlichen Vorgaben sollte man die Gesellschaftlichen Räte nicht messen, denn ihnen werden höchst anspruchsvolle Funktionen zugewiesen. Erstens sollen sie die Interessen der Bevölkerung gegenüber den staatlichen Organen vertreten, sowohl bei der Aushandlung als auch bei der Annahme von Entscheidungen auf nationaler und regionaler Ebene. Zweitens ist es ihre Aufgabe, die Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Staat weiterzuentwickeln. Drittens sollen die Räte die Exekutive kontrollieren und für deren Transparenz sorgen.27 Demnach hätten sie nicht nur klar definierte Funktionen zu erfüllen, an denen andere, mit mehr Ressourcen ausgestattete Institutionen in Kasachstan bislang gescheitert sind. Sie sollen darüber hinaus auch eine politisch-strategische Tätigkeit ausüben. Angesichts des autoritären Systems und der hohen Bedeutung von Informalität in Kasachstan erscheinen Aufgaben von einer solchen Bandbreite von vornherein als unrealistisch.

Die Gesellschaftlichen Räte verfügen über keine echte Autonomie gegenüber dem Staat. So werden die Mitglieder eines Rates von der jeweiligen Behörde, für die er zuständig ist, ernannt. Zudem bestimmt die Behörde den Aktivitätsradius des Gremiums, legt die Tagesordnung der Sitzungen fest und übernimmt deren Leitung. Staatlich gesetzte Grenzen dürfen nicht übertreten werden. Das zeigte eine Auseinandersetzung um den Gesellschaftlichen Rat beim Pen­sionsfonds, die der Staat zu seinen Gunsten entschied. In diesen Rat waren unter anderem drei Mitglieder berufen worden, die bereits publizistischen Einfluss besaßen. Dahinter dürfte die Strategie gesteckt haben, Vertrauen bei der Bevölkerung zu erzeugen, sich aber ebenso einen kritischen Blick auf das Pensionssystem zu verschaffen – wohlgemerkt im Dienste der Re­gimestabilität. Der Konflikt entstand, als die prominenten Mitglieder öffentlichkeitswirksam forderten, dass der Rat sich nicht nur wie vorgesehen mit dem Sparfonds beschäftigt, sondern auch mit dem Renten­system insgesamt. Die Kritiker nutzten dabei ihre starke Präsenz in den sozialen Medien, allen voran Facebook. Dort gründeten sie eine Online-Gruppe, um mit den Bürgern zu kommunizieren. Auf Grundlage der dortigen Diskussionen sandte einer der dreien, Dosym Satpajew, eine offizielle Anfrage an den Vor­sitzenden der kasachischen Nationalbank. Darin äußerte er Bedenken zur Anlagepolitik des Nationalfonds, der sein Geld in zahlreiche marode Banken gesteckt habe.28 Damit ging Satpajew über den von staatlicher Seite vorgegebenen Aktionsradius hinaus. Nach einem Streit mit der Verwaltung des Pensionsfonds traten die drei Ratsmitglieder schließlich zurück.29 Von offizieller Seite wurde das Narrativ ver­breitet, die Ausgetretenen hätten eine Minderheitsmeinung vertreten, während die Mehrheit der Rats­angehörigen ihre Arbeit fortsetze. Letzteres ge­schah dann nur noch zu den vorgegebenen Bedingungen und ohne die Öffentlichkeit, die dem Rat bis dahin zugekommen war.30

Abgesehen von diesem Sonderfall verhalten sich die Gesellschaftlichen Räte kooperativ. Dabei lassen sie sich in formalistische und aktive Räte unterteilen. Lediglich formalistisch ist beispielsweise der Gesellschaftliche Rat beim Arbeitsministerium.31 Er hat neun Mitglieder, davon entstammen drei dem Minis­terium selbst: die Ministerin, der Staatssekretär und ein Spitzenbeamter. Ansonsten setzt sich der Rat aus Vertretern der Wirtschaft und der Gesellschaft zusam­men. Sie wurden im Rahmen eines öffentlichen Bewerbungsverfahrens durch das Ministerium ausgewählt. Die Kandidaten mussten erklären, dass sie in der Lage seien, die anfallenden Kosten für eine Teilnahme an den Sitzungen selbst zu tragen. Aktuell gehören zu den Mitgliedern der Vertreter eines Berg­bauverbandes, eine Gewerkschaftsvertreterin sowie der Mitarbeiter einer ausländischen Nichtregierungsorganisation.32 Die im Rat vertretene Gewerkschaft ist allerdings nicht unabhängig, sondern wird staatlich kontrolliert.33 Die Bergbaubranche wiederum hat star­kes Interesse an der arbeitgeberfreundlichen Politik des Ministeriums, insbesondere beim Ge­werkschafts- und Streikrecht. Das Ministerium legt die Tagesordnung für den Rat fest und moderiert die Sit­zungen. Ein eigenes Vorschlagsrecht oder ein freie Diskussion steht den Mitgliedern nicht zu Gebote.

Aktive Räte hingegen sind in der Öffentlichkeit präsent und greifen gesellschaftliche Diskurse auf. Ein Beispiel dafür ist der Rat bei der Stadtverwaltung von Almaty. Er ist mit 37 Mitgliedern, von denen 31 sogenannte Vertreter der Gesellschaft sind, ver­gleichs­weise groß. Allerdings sind viele der gesellschaft­lichen Vertreter letztlich Mitarbeiter staatlicher oder quasi-staatlicher Organisationen, womit sie unter Kontrolle des Staates stehen. So ist eines der öffentlich aktivsten und oft provokativ auftretenden Mit­glieder bei einem staatlichen Forschungsinstitut be­schäftigt. Dessen ungeachtet zeichnet sich der Rat durch zweierlei aus. Erstens reagiert er schnell auf dynamische Entwicklungen im Internet und in der Gesellschaft. So griff er den großen Unmut in der Bevölkerung auf, nachdem ein populärer Eisschnellläufer von einem Kleinkriminellen getötet worden war. Eine sich spontan formierende Bewegung, die auf Facebook für eine Polizeireform warb, band er in seine Arbeit ein.34 Zweitens gibt es Überschneidungen zwischen dem Rat und erlaubten Formen des Aktivis­mus. Zu den Mitgliedern des Gremiums gehört der Vorsitzende der Vereinigung »VeloKazakhstan«. Sie engagiert sich gegen Verkehrsverstöße von Auto­fah­rern zu Lasten von Radfahrern und dokumentiert entsprechende Vorfälle auf Videos in den sozialen Medien.35

Es fehlt an verlässlichen Informationen darüber, wie viele der Räte rein formalistisch operieren wie im Fall des Arbeitsministeriums oder aber eine aktivere Rolle einnehmen wie in Almaty. Eine Studie des staat­lichen Kasachstanischen Instituts für Strategische Studien (KISI) geht davon aus, dass 48 Prozent der Räte ineffizient sind.36 Allerdings ist diese Angabe vergleichsweise wohlwollend. Realistischer ist die Ein­schätzung eines aktiven Mitglieds des Rates Almaty. Demnach soll es nur sieben weitere Räte geben, die ein ähnliches Engagement an den Tag legen: sechs Räte auf Ebene der Bezirke sowie der Rat des Außen­ministeriums.37

Welche Faktoren begünstigen aktive Räte? Ob Mit­glieder ernannt werden, die über die notwendigen Kompetenzen und sozialen Netzwerke verfügen, ent­scheiden letztlich die staatlichen Behörden.38 Dabei lassen sich zu der Frage, welche Personalauswahl getroffen wird, einige hypothetische Korrelationen formulieren:

  • Eine Rolle könnte spielen, wofür die jeweilige Behörde politisch verantwortlich ist. Das Arbeitsministerium etwa ist mit heiklen Themen betraut. Kasachstan hat immer wieder Arbeitskonflikte er­lebt, einschließlich der blutigen Niederschlagung eines Streiks im Jahre 2011. Den ohnehin schon schwachen Gewerkschaften wurde anschließend jedwede Macht entzogen.39 Nach Logik des Regimes wäre es kontraproduktiv, entsprechenden Themen über den Rat mehr Sichtbarkeit zu verschaffen.

  • Eine mögliche Korrelation gibt es auch in genera­tioneller Hinsicht. An der Spitze der Behörden mit aktiveren Räten stehen oft junge Politiker, von denen viele im Ausland studiert haben.

  • Dass der Rat in Almaty sich besonders hervortut, dürfte mit den gesellschaftlichen Eigenheiten der Stadt zu tun haben. Hier ist Kasachstans Kulturszene ansässig. Sie ist autonomer vom Staat als alle anderen Milieus und bietet ein soziokulturelles Umfeld, in dem sich einige aktivistische Bewegungen gebildet haben. Gleichzeitig ist das Steueraufkommen in Almaty das regional größte des Landes, und es basiert auf privatem Unternehmertum. Die Bevölkerung ist hier also wirtschaftlich besonders rege – was Anlass sein kann, ihr einen aktiveren Rat gegenüberzusetzen.40

Die Gesellschaftlichen Räte drohen zum Organ partikularer Inter­essenvertretung ihrer Mitglieder zu werden.

Wie effektiv die Räte sind, war bald schon Gegenstand einer öffentlichen Debatte. Das ist etwas Beson­deres, weil vor 2019 in Kasachstan nicht offen über die institutionelle Ausgestaltung von Politik diskutiert wurde. Organisiert durch das Ministerium für Religion und Zivilgesellschaft, fand im November 2017 ein Kongress der Gesellschaftlichen Räte statt, auf dem eine Resolution mit Forderungen zur Verbes­serung der Gremien verabschiedet wurde.41 Die Kritik von offizieller und offiziöser Seite lautete vor allem, dass die Räte überfordert seien. Die Gründe dafür lägen in überzogenen gesetzlichen Vorgaben und einer ungenügenden Implementierung des Modells, vor allem wegen zu geringer Finanzierung und feh­lender Infrastruktur. Unklar bleibt zugleich, wen die Räte eigentlich vertreten, denn weder sind sie ein repräsentatives Abbild der Gesellschaft, noch stehen ihnen standardisierte Methoden zur Verfügung, um mit der Gesellschaft in Kontakt zu treten bzw. deren Interessen zu ermitteln. Die Räte drohen so zu einem Organ der bloßen partikularen Interessenvertretung ihrer Mitglieder zu werden.42

Schaufensterpolitik lässt sich als ein Kalkül hinter den Räten identifizieren. Zumindest formal kann die Regierung für sich reklamieren, zahlreiche solcher Gremien geschaffen zu haben – dies erlaubt es, sym­bolische oder materielle Unterstützung von externen Akteuren zu beanspruchen. Die OECD, die zu einem großen Anteil durch EU-Mitgliedstaaten finanziert wird, betrachtet Gesellschaftliche Räte als ein Ele­ment effektiven und offenen Regierens. Im Rahmen von Initiativen wie »Open Government« bewirbt sie Räte wie die in Kasachstan geschaffenen als positives Beispiel für andere Länder.43 Auch die OSZE begrüßte das Vorgehen Kasachstans.44 Unterstützung ihrer Schaufensterpolitik findet die Regierung des Landes ebenso bei Organisationen wie UNDP (dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen). Während des Kongresses der Gesellschaftlichen Räte forderte der stellvertretende Leiter des UNDP-Büros in Kasach­stan zwar Verbesserungen wie eine stärkere Autonomie und mehr Transparenz bei der Auswahl von Mitgliedern. Insgesamt aber betonte er die Errungenschaften der Gremien – sie seien »ein funktionierendes Werkzeug für Transparenz und für die Bericht­erstattung über die Transparenz staatlicher Behörden, für die Einbeziehung von Bürgern in staatliche Akti­vitäten auf allen Ebenen und für eine Verringerung des Korruptionsrisikos«.45

Eine Substitutionsfunktion kommt den gesellschaftlichen Räten in der Theorie zu. Sie sollen die Arbeit der Exekutive kontrollieren, weil anderen Institutionen dies nicht gelingt. Präsident Nasarbajew warf sogar dem kasachischen Parlament explizit vor, bei der Kontrolle der Behörden zu versagen – natür­lich ohne dabei zu erwähnen, dass dies einem System geschuldet ist, das er selbst mitgestaltet hat.46 Ange­sichts fehlender Macht und Autonomie der Räte ist die angedachte Kontrolle staatlichen Handelns aber zum Scheitern verurteilt. Punktuelle Erfolge können sie hingegen dort erreichen, wo es darum geht, gesell­schaftlichen Protest aufzugreifen. Sie bilden damit eine Art Ventil für die Bevölkerung und können zu­dem das Wissen des Regimes über gesellschaftliches Befinden verbessern. In beiden Fällen handelt es sich um Substitute, weil eine Teilhabe an repräsentativen Institutionen fehlt und die streng kontrollierten Medien des Landes und das machtlose Parlament die Interessen der Bevölkerung und die gesellschaftliche Stimmung nicht abbilden können.

Elektronisches Regieren und elektro­nisches Partizipieren

Die Einführung elektronischen Regierens und das darauf aufbauende Konzept elektronischer Partizipation gehen auf das Jahr 2004 zurück. Damals kün­digte Präsident Nasarbajew die Einführung von E‑Government an.47 Bei dessen Entwicklung hat Kasachstan große Fortschritte gemacht. Vom United Nations Department of Economic and Social Affairs (UN DESA) – der zuständigen UN-Behörde – wird Kasachstan auf diesem Gebiet als eines der wenigen Nicht-OECD-Länder in der höchsten Kategorie der »very high performer« eingestuft.48 Umsetzung und Funktionslogik elektronischer Partizipation unterscheiden sich dabei in Kasachstan stark von elektronischem Regieren.

Das internationale Modell von E-Governance, dem auch Kasachstan folgt, baut auf drei Säulen auf.49 Grundlegende Voraussetzung ist der Ausbau der tech­nischen Infrastruktur, die dem Staat und der Bevölke­rung den Zugang zum Internet ermöglicht. Dazu gehören unter anderem sowohl schnelle Breitband­anschlüsse als auch die Versorgung mit mobilem Internet. Zweite Voraussetzung ist ausreichende Bil­dung, die die Bevölkerung zur Nutzung des elektro­nischen Regierens befähigt. Drittens geht es um die Einrichtung eines nationalen Serviceportals, auf dem Bürger staatliche Leistungen elektronisch in An­spruch nehmen bzw. beantragen können.50

In allen drei Bereichen steht Kasachstan heute gut da. Insbesondere die beiden ersten Regierungs­programme auf diesem Gebiet – Infrastruktur­entwicklung (2005–2007) und Ausbau elektronischer Dienstleistungen (2008–2010) – haben das Land weit vorangebracht. Der Internetzugang konnte enorm verbessert werden. Während 2005 nach offi­ziellen Zählungen lediglich 1,4 Prozent aller Bürger über einen Netzzugang verfügten, sind es heute be­reits 75 Prozent. Ermöglicht wurde dies, neben dem Aufkommen des Smartphones, vor allem durch den technischen Ausbau des mobilen Internets. So haben mit Stand 2018 zwar nur 13,8 Prozent der Bürger Zugang zu Breitbandanschlüssen; die Quote der Ver­sorgung mit mobilen Anschlüssen liegt aber bei über 140 Prozent und gilt auch im ländlichen Raum als gut. Mittlerweile können die Bürger online auch zahlreiche staatliche Leistungen in Anspruch neh­men. Auf dem nationalen E-Governance-Portal (egov.kz) werden Hunderte interaktive Dienstleistungen für Bürger, Wirtschaftsunternehmen und Behör­den angeboten. Mittlerweile gibt es mehr als 2000 staatliche Informationsdienste für Wirtschaft und Bevölkerung.51

Das ebenfalls von UN DESA entwickelte Konzept der elektronischen Partizipation (E-Participation) baut auf dem E-Governance-Modell auf. Es umfasst drei Säulen: elektronische Information, Konsultation und Partizipation. UN DESA legt dabei ein enges Verständ­nis von elektronischer Partizipation zugrunde. Der Begriff bezeichnet hier tatsächlich die Beteiligung an Entscheidungen. Diese Art der Partizipation gibt es in Kasachstan weder elektronisch noch analog. Trotz­dem konnte das Land seine Werte beim E-Participa­tion-Ranking (EPART) in den vergangenen Jahren enorm steigern, indem es die ersten beiden Säulen des EPART-Index ausbaute: E‑Information und E‑Con­sultation. Bei E-Information geht es um die Bereitstellung von Informationen, die für die gesellschaftliche Meinungsbildung und Teilhabe notwendig sind. E‑Consultation wiederum stellt eine Vorstufe von Par­tizipation dar. Sie ermöglicht es Bürgern, dem Staat ihre Meinung kundzutun, was in politischen Prozes­sen berücksichtigt werden kann und – der Theorie nach – Entscheidungen verbessern soll. Eine Mit­entscheidung entsteht so aber nicht. Während Kasach­stan im Index von UN DESA 2003 noch auf einen Wert von 0,1 kam, lag die Einstufung des Lan­des 2018 bei 0,8 (wobei 1,0 den Höchstwert darstellt).52

Um Schaufensterpolitik handelt es sich vor allem bei E-Participation. Bei E‑Governance lassen sich darüber hinausgehende substitutive Ziele identifizieren.53 Hinter den Fortschritten bei elektronischer Partizipation sind vor allem strategische Maßnahmen zur Verbesserung des EPART-Rankings erkennbar.54 Seine Einstufung auf dem Index kann ein Land etwa schon dadurch verbessern, dass es »Social Media Buttons« in den Internetauftritt der Regierung inte­griert. In den Bereichen E‑Information und E‑Consul­tation hat Kasachstan die formalen Voraussetzungen mit aufwendig gestalteten Internetseiten geschaffen. Auf dem Portal »Offene Daten« werden in Dutzenden Unterpunkten Informationen zur Verfügung gestellt. Eine weitere Seite mit dem Titel »Offenes Budget« bietet Daten über den Staatshaushalt. Die Seite »Offe­ner Dialog« ermöglicht die Kontaktaufnahme mit nationalen Ministerien und lokalen Behörden sowie eine Teilnahme an Umfragen und Debatten. Nach offiziellen Angaben gab es seit Eröffnung der Dialog-Seite 235 212 Eingaben; davon wurden mehr als zwei Drittel auf der Internetseite veröffentlicht und mehr als die Hälfte beantwortet (Stand August 2018). Ge­mäß dem Konzept von E-Participation sollen diese Maßnahmen die Voraussetzungen für Partizipation schaffen.

Solche Internetseiten ändern aber nichts an dem größeren Problem, das ein »echtes« Mitentscheiden im Sinne von E‑Participation behindern würde – dieses Problem ist der prinzipiell informelle und deswegen hochgradig intransparente Staat. Die neu geschaffenen Möglichkeiten der Konsultation könn­ten zwar theoretisch das Antwortverhalten des Staates gegenüber der Bevölkerung verbessern. Es gibt aber derzeit keine Belege dafür, dass Seiten wie »e-dialog« für eine substantielle Kommunikation zwischen Staat und Bevölkerung zum Einsatz kamen. Ebenfalls nicht bekannt ist, dass solche Debatten in die Regierungsarbeit eingeflossen wären. Im Internet finden Diskus­sionen nicht auf den vom Staat vorgegebenen Seiten statt, sondern vor allem in sozialen Medien wie Face­book oder VKontakte.

Die guten Ergebnisse, die Kasachstan bei dem Ranking erzielt, liefern das narrative Material für vorteilhafte Selbstrepräsentationen. Zugute kommen der Regierung dabei die Eigenheiten des E-Govern­ment-Konzepts der UN. In deren Berichten wird Poli­tik weniger als Herrschafts- denn als »Governance«-Verhältnis verstanden. Das dem anglo-amerikani­schen Denken entstammende Governance-Paradigma betrachtet »gute« Politik vor allem als Frage erfolgreichen Managements, nicht aber als Widerstreit und Konflikt von unterschiedlichen Interessen.55 Zudem wird in den Berichten nicht zwischen Demokratien und Autokratien unterschieden, ebenso wenig erfolgt eine Einordnung von E-Governance in den jeweiligen politischen Kontext. Die Förderung und Weiterentwicklung von E‑Governance wird in den UN-Reporten aufgewertet, indem man sie mit anderen positiv konnotierten Projekten (VN‑Ziele für nachhaltige Entwicklung) oder förderungsrelevanten Konzepten verknüpft (zum Beispiel steht der Egov-Report 2018 unter dem Motto »nachhaltige und resiliente Gesell­schaften«). Die OECD fördert E‑Governance und E‑Participation auch in Kasachstan, wobei in den Konzepten der Organisation beide als Elemente der Demokratisierung gelten.56

Kasachstan nutzt seinen Fortschritt bei E‑Gover­nance aktiv, um positive Erzählungen zu generieren. So stellt der Internetauftritt der kasachischen UN-Vertretung das politische System des Landes als Demokratie dar; verwiesen wird dabei unter anderem auf die Einführung elektronischen Regierens und den Fortschritt bei der Verfügbarkeit öffentlicher Dienst­leistungen für die Bürger.57 Die von UN-Behörden oder Kasachstan selbst entworfenen Interpretationen sind nicht per se falsch. Entscheidend an dieser Stelle ist, dass die Beziehungen zwischen Staat und Bevöl­kerung weitaus vielfältiger und facettenreicher sind, als solche Darstellungen vermitteln. Diese beschränken sich auf bestimmte politische Faktoren und klammern andere aus. Positive Aspekte wie profes­sionelles Regieren und sogar Partizipation werden betont, während normativ problematische Gesichtspunkte wie die Verfolgung von Journalisten und Oppositionellen in den Hintergrund treten. Ob ein solches Bild funktioniert, hängt immer auch davon ab, ob externe Akteure dabei mitspielen, sei es aus Eigeninteresse oder Unwissenheit.

Die Substitutionsfunktion ist vor allem im E‑Gover­nance-Bereich deutlich. Als Ziele werden explizit ge­nannt, die Korruption zu bekämpfen und Leistungen der öffentlichen Verwaltung zu verbessern. E‑Gover­nance schafft tatsächlich die Voraussetzungen dafür, dass Verwaltungsvorgänge auf lokaler Ebene vom Zentrum stärker kontrolliert werden können. Im Unterschied zu rein papierbasierten Verwaltungs­abläufen lassen sich bei E‑Governance Auftrag, Be­arbeitung und Ergebnis genau erfassen. Für Beamte gibt es so weniger Möglichkeiten, sogenannte admi­nistrative Barrieren einzubauen, mit denen die Zah­lung von Schmiergeld angeregt werden soll. Zudem verringern sich die Kontakte zwischen Bürgern und Beamten, die auf Verwaltungsebene in der Regel Vor­aussetzung für Bestechung sind und entsprechende Mechanismen bieten.

Kasachstan nutzt E-Governance, um positive Erzählungen zu schaffen – bei den UN präsentiert sich das Land als Demokratie.

Standardisierung und Nachvollziehbarkeit können die Servicequalität der Verwaltung steigern, damit die Bedingungen für die Wirtschaft verbessern und die Legitimität des Staates gegenüber der Bevölkerung erhöhen. Der Einführung von E‑Governance voraus ging die Katalogisierung aller staatlichen Dienstleistungen in einem beim Wirtschaftsministerium ge­führten Verzeichnis (Reestr gosuslug). Ende der 2000er Jahre wurde damit begonnen, Bürgerzentren zu gründen, die es ermöglichen, die meisten Dienst­leistungen der verschiedenen Ministerien an einem Ort in Anspruch zu nehmen. Bereits über diese Stel­len konnte der korruptionsanfällige Kontakt zwi­schen Bürgern und ministeriellen Sachbearbeitern deutlich verringert werden. Zudem wurden klare Fristen für die Erbringung von Servicedienstleistungen definiert und zentralisierte Kontrollmechanismen geschaffen. Selbst bei Kritikern des Regimes stoßen die Bürgerzentren auf positive Resonanz; sie trugen dazu bei, die Verwaltungskultur an der Schnittstelle zur Bevölkerung ein Stück weit zu verändern.58 Ge­messen an den Erfahrungen in anderen Ländern dürfte es Kasachstan, anknüpfend an die bisherigen Reformen, auch mit E‑Governance gelingen, die Verwaltung zu verbessern.

Eine weitere Funktion besteht darin, Wissen über die Bevölkerung zu generieren. Dies kann staatliche Planung verbessern, aber auch die autoritäre Kon­trol­le der Gesellschaft verstärken. Staatliche Dienstleistungen lassen sich teilweise nur noch über E‑Gover­nance in Anspruch nehmen. Wer keinen eigenen Zu­gang hat, kann sich in Servicezentren helfen las­sen, die an öffentlichen Orten wie etwa in Postfilialen ein­gerichtet wurden. Durch E‑Governance fallen flächen­deckend zahlreiche Daten aus allen Bereichen des Lebens an. Ein Platz in einem öffentlichen Kindergarten beispielsweise ist nur noch über einen elektronischen Antrag zu erhalten, ebenso ein Studienplatz an einer Universität des Landes.

Hinzu kommt schließlich, dass elektronische Parti­zipation potentiell zur Individualisierung von Teil­habe führt – dann nämlich, wenn die Bevölkerung bei der Partizipation langfristig stärker elektronische als andere Mittel nutzt. E‑Participation erfolgt immer individuell – der Bürger tritt dabei nicht im Kollek­tiv, sondern alleine in Kontakt mit dem Staat.59

Beschwert Euch!

Eine weitere Innovation stellen Versuche dar, die Bürger zu Beschwerden über Gesetzesverstöße in bestimmten Bereichen des öffentlichen Lebens zu animieren. Eine der jüngeren Maßnahmen geht dabei auf das bereits erwähnte 100-Schritte-Programm zurück, das während der Ölpreiskrise verabschiedet wurde. Das Programm bekräftigte das Ziel, einen professionellen Staatsapparat zu schaffen. Im Zuge dessen wurden für Dienstfahrzeuge Aufkleber mit Beschwerdehinweis eingeführt. Vorgeschlagen hatte das Projekt ein Medienzentrum, das im Zusammenhang mit dem 100-Schritte-Programm entstanden war und »gesellschaftliche Kräfte« gegen Korruption mobi­lisieren soll. Die Aufkleber markieren ein Fahrzeug als dienstlich. Bürger werden aufgerufen, Meldung zu erstatten, wenn sie bemerken, dass der betreffende Wagen für private Zwecke genutzt wird. Für die Be­schwerde reicht eine Whatsapp-Nachricht an eine zentrale Mobilnummer. Den Hintergrund bilden staatlichen Medien zufolge Erkenntnisse darüber, dass Dienstfahrzeuge häufig privat genutzt werden. Das Projekt startete in einer Oblasthauptstadt und wurde später auf Almaty und Astana ausgeweitet.60 Ein zusätzlicher Anreiz wurde dadurch geschaffen, dass jeder, dessen Beschwerde sich als stichhaltig erweist, ein bestimmtes Guthaben auf sein Telefon­konto bekommt.

Während das Projekt anfangs einige Aufmerk­samkeit bei den Medien erfuhr, gab es später keine Berichterstattung mehr dazu. Eine Stadtverwaltung meldete Regelverstöße durch Beamte nach Einführung der Aufkleber.61 Bekannt ist nur ein einziges Verfahren in diesem Zusammenhang, wobei offen bleibt, ob es überhaupt auf die Beschwerde eines Bürgers zurückging.62

Die Einrichtung von Bürgerzentren der Justiz­behörden ist ein ähnlich gelagerter Fall wie der Auf­kleber, wenn auch von vergleichsweise größerem Umfang. Ein entsprechender Prototyp findet sich in der Hauptstadt Astana; weitere solcher Stellen sollen in anderen Städten eröffnet werden. Das moderne, architektonisch transparent wirkende Servicezentrum in Astana ist im Stile moderner Bürgerämter mit zen­tralen Empfangsschaltern eingerichtet; die Sachbearbeiter sitzen in gläsernen Büros. Dabei kommt das Hauptstadt-Zentrum mit einigen zusätzlichen »Dienst­leistungen« daher. So bietet es bei Streitig­keiten zwi­schen Bürgern einen Mediationsservice an, für den eigene Räume zur Verfügung stehen. Neben Justiz­beamten sind auch Rechtsanwälte anwesend. Initiiert wurde das Projekt nach den Protesten im Frühjahr 2016. Es stellt den Versuch dar, die Zugäng­lichkeit staatlicher Stellen zu verbessern und die Arti­kulation von Beschwerden in die staatliche Arena zu holen.

Korruption ist in Kasachstan tief verwurzelt. Es fehlen systemische Anreize, um den Missstand zu bekämpfen.

Diese neuen Formen, Bürger stärker in die Kontrolle der Bürokratie einzubeziehen, bilden auch eine Art administrierter Partizipation, ja gewollten Protests. Doch Problemlöser und Substitut für schwache Insti­tutionen sind solche Mechanismen nur theoretisch. Korruption ist in Kasachstan tief verwurzelt, der Staat kann sich hier nur bedingt selbst kontrollieren, und es fehlen die systemischen Anreize, um den Missstand zu bekämpfen. Proteste von Bürgern könnten an sich helfen, doch in der Realität funktioniert dies nicht. Vor allem im Bereich der Korruptionsbekämpfung betreibt das Regime eher Schaufensterpolitik. Die Aufkleber auf Dienstwagen suggerieren, der Staat kümmere sich um zentrale gesellschaftliche Probleme wie Korruption. Die Bürgerzentren vermitteln den Eindruck, der Staat sei für seine Bürger zugänglich und nehme Beschwerden ernst. Tatsächlich aber liegt der Fokus auf Nebenschauplätzen, wie dem Missbrauch von Dienstwagen, was vom systemischen Charakter von Korruption auf allen Ebenen des Staa­tes ablenkt. Korruption ist fest verankert im Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft. Die Ursachen des Problems liegen im Design politischer Institutionen, in der rentierstaatlichen Herrschaftsfinanzierung und der daraus resultierenden Wirtschaftsstruktur, die Korruption begünstigt und Reformen verhindert. Auch hier spielt hinein, dass externe Kontrollorgane wie Parlament, Justiz und Medien gegenüber der Exekutive keine Kontrollfunktion ausüben. So berich­ten die Medien des Landes nur dann über Korruption, wenn das vom Staat gewollt wird, und oft geht es dabei um Machtkämpfe und nicht um Korruptionsbekämpfung.63 Journalisten, die das Thema außerhalb erlaubter Fälle aufgreifen, sind akut gefährdet. Auch Bürger können sich letztlich nicht darauf ver­lassen, geschützt zu werden, wenn sie Korruptions­fälle anzeigen, weil sie an die potentiell schutzgebenden Akteure nicht herantreten können. In vielerlei Hinsicht profitiert auch die Bevölkerung von der Korruption, wobei Verwaltungsprozeduren teilweise so arrangiert werden, dass sie zur Zahlung von Schmiergeld anregen.

Öffentliche Anhörungen

Eine weitere Neuerung sind Anhörungen zu politischen Einzelprojekten. Besonders aktiv zeigt sich hier abermals die Stadt Almaty. Der damalige Bürger­meister Bauryzhan Baybek startete unmittelbar nach seinem Amtsantritt 2015 die Überarbeitung des städtischen Entwicklungsplans. Hierzu führte er ein Beteiligungsverfahren durch, in dem Bürger der Stadt die Möglich­keit hatten, die Pläne zu kommentieren. Nach Aus­sagen von Experten sollen die Stadtplaner für die Ideen von Teilnehmern empfänglich gewesen sein und diese teilweise in ihre Konzepte integriert haben.64

Darauf aufbauend engagieren sich in diesem Bereich neuerdings auch externe Akteure. So unter­stützt der British Council, finanziert durch die Euro­päische Union, das Projekt »WeAlmaty« der Stadt­behörde (Akimat) von Almaty. Dabei geht es um die Stadtentwicklung unter dem Motto der Smart City (»Smart City: effective decisions, participation of stakeholders and engagement of citizens«). Für das Projekt veranschlagte die EU 430 000 Euro. Neben öffentlichen Veranstaltungen gibt es eine Internet­seite, auf der Bürger informelle Treffen organisieren können.65 Übergeordnetes Ziel ist es, die Bürger für ein Engagement beim Thema Stadtentwicklung zu gewinnen.66

Kontrollieren und nutzbar machen: Öffentlichkeit und soziale Medien

Bei der Kontrolle des öffentlichen Raumes und des öffentlichen Diskurses verfolgt Kasachstan im Unter­schied zu manch anderen Autokratien eine besonders restriktive Politik. Demonstrationen und Versammlungen sind prinzipiell genehmigungspflichtig, und Demonstrationen mit politischem Charakter werden nicht erlaubt.67 Bis 2016 wurde dieses Verbot kaum herausgefordert. Auch im Bereich der Medien sucht das Regime den Diskurs umfassend zu kontrollieren. Die kasachischen Fernsehkanäle werden vollständig überwacht. Gegen Ende der 2000er Jahre verschwanden die letzten oppositionellen Zeitungen aus der Öffentlichkeit; verbleibende Oppositionsblätter stan­den stets im Verdacht, Instrumente des Regimes zu sein. Regimekritische Journalisten waren und sind massiver Repression ausgesetzt.

Das Aufkommen sozialer Medien hat den öffent­lichen Diskursraum zunächst stark verändert. Seit einigen Jahren gibt es in Kasachstan einen flächen­deckenden Zugang zum Internet, auch in entlegeneren Gebieten. Wie groß das Mobilisierungspotential sozialer Medien ist, wurde erstmals während des »Arabischen Frühlings« im Jahr 2011 deutlich. Seither bemühen sich autoritäre Regime wie das kasachische, die Kontrolle über den diskursiven Raum des Inter­nets zurückzugewinnen und ihn gleichzeitig für eigene Zwecke zu nutzen.

Eine Besonderheit des kasachischen Internets besteht darin, dass hier ausländische Serviceprovider wie Facebook, Instagram und VKontakte sowie Nach­richtendienste wie Whatsapp und Telegram dominieren. Facebook ist deswegen besonders relevant, weil es vor allem in den urbanen Zentren mit vergleichsweise aktiver Bevölkerung und zudem von staatlichen Behörden genutzt wird. Es gibt 2,5 Millionen regis­trierte Facebook-User in Kasachstan.68 Ausgefeilte Zensurmechanismen auf den Seiten solcher ausländischer Provider sind nicht möglich.69 Allerdings kann das Regime den Zugriff auf die Provider temporär vollständig blockieren. Neuerdings gibt es auch die Technik des »targeted filtering«, bei der bestimmte Unterseiten gesperrt werden. Entsprechende Vorfälle in Kasachstan sind bislang allerdings nur durch Berichte von Internetnutzern bekannt.

Zuständig für die Regulierung des Telekommunikationsmarktes ist das Ministerium für Information und Kommunikation. Für Sicherheitsbelange ist der dem Präsidenten unterstellte Sicherheitsrat verantwortlich. Dort angesiedelt ist der Staatliche Technische Dienst, der die internationalen Verbindungen Kasachstans zum Internet kontrolliert. Der Sicherheitsrat stellt Listen der Webseiten zusammen, die blockiert werden sollen.70 Beobachter berichten, dass Blockaden auch kurzfristig und begrenzt geschaltet werden, zum Beispiel während bestimmter Ereignisse. In der Regel wird die Sperre durch eine extreme Verlangsamung des Zugriffs erreicht. Die Regierung hat wiederholt bestritten, dass sie Internetseiten blockiert.71

In vielen Fällen geht das Regime mit dem natio­nalen Strafrecht gegen kasachische Nutzer sozialer Medien vor. Nur wenn es die Identität des Nutzers nicht kennt oder sich dieser im Ausland befindet, muss sich das Regime an den ausländischen Online Service Provider wenden. Ein New Yorker Gericht hat unlängst eine Klage Kasachstans gegen Facebook auf Herausgabe von Nutzerdaten abgewiesen.72

Bislang werden die sozialen Medien im kasachischen Internet noch nicht automatisiert überwacht. Die Regierung investiert derzeit aber 5 Millionen US-Dollar in die Entwicklung eines automatischen Moni­toringsystems.73 Die Kommunikation über Mes­senger wie Telegram und Whatsapp ist schwieriger zu über­wachen. Aber auch hier wird viel über größere Grup­pen oder Kanäle kommuniziert, die öffentlich oder halböffentlich sind. Und schließlich hat auch Kasach­stan die Möglichkeit, durch sogenanntes »lega­les Hacking« an den Endgeräten von Internetnutzern mitzulauschen.

Ob eine Seite oder ein Dienst ganz abgeschaltet wird, ist aus Sicht des Regimes eine Kosten-Nutzen-Frage. So wird die russische Bloggerseite Lifejournal in Kasachstan blockiert, weil das ohne größere Auf­merksamkeit der Weltöffentlichkeit möglich ist. Eine dauerhafte Blockade von Portalen wie Facebook oder Instagram dagegen würde dem Regime, das nach internationaler Anerkennung strebt, eine negative Publicity bescheren, die auch zu innenpolitischer Politisierung führen könnte.74 Insofern muss das Regime »weichere« Techniken finden, um seine Diskurshegemonie aufrechtzuerhalten.

Längerfristig könnten moderne Überwachungstechnologien, wie sie unter anderem in China ent­wickelt werden, eine stärkere Rolle spielen. So erprobt die Polizei in der Hauptstadt Astana derzeit die Einführung einer flächendeckenden automatisierten Gesichtserkennung der Videoüberwachung.75 Fraglich ist jedoch, inwiefern sich in Kasachstan um­fassende Überwachungsinstrumente chinesischer Her­kunft wie Social Scoring nutzen ließen. In der Volks­republik scheinen diese neuen Technologien auf ein Maß an Zustimmung bei der Bevölkerung zu sto­ßen, ohne das sie vermutlich nicht einsetzbar wären. Der­zeit kann bezweifelt werden, dass Ähnliches von der Bevölkerung Kasachstans akzeptiert würde.

Rote Linien ziehen

Eine prinzipielle Sperrung sozialer Medien ist aus Sicht des Regimes kontraproduktiv. Vielmehr bietet ihm Offenheit auch Vorteile, weil sie wichtig ist für gesellschaftliche Dynamik.76 Allerdings zieht das Regime rote Linien, um Diskussionen zu unterbinden, die nach eigener Wahrnehmung seine Stabilität bedrohen könnten. In solchen Fällen werden Äuße­rungen sanktioniert.

Ermöglicht wird das durch eine restriktive Mediengesetzgebung. Nach einer – international kritisierten – Überarbeitung des kasachischen Mediengesetzes sind Äußerungen in den sozialen Medien solchen von Zeitungen und anderen journalistischen Produkten gleichgesetzt. Deshalb gilt auch für Nutzer sozialer Medien, dass sie ohne Zustimmung der Betroffenen nicht über private Themen berichten dürfen. Diese Vorgabe zielte ursprünglich vor allem darauf, Politi­ker vor investigativem Journalismus zu schützen, betrifft nun aber Nutzer von Internetmedien gleicher­maßen. Dabei wurde die Bandbreite der Themen stark ausgeweitet, die als privat eingestuft werden und die Journalisten wie auch Internet-User nur noch mit Zustimmung der betroffenen Person aufgreifen dürfen.77 Um Nutzer sozialer Medien zu verfolgen, greift das Regime häufig auch auf den Straftatbestand des Anstachelns zu Hass und sozialen Unruhen zurück.

Zwei Aktivisten aus Westkasachstan lösten per Facebook die bis dahin größten politischen Proteste seit Unabhängigkeit des Landes aus.

Die vom Regime gesetzten roten Linien, also die Grenzen des tolerierten Diskurses, sind aber unscharf. Kritik an der Regierung, dem System allgemein oder der Arbeit von Ministerien ist möglich; das Gleiche gilt für generelle Beschwerden über Korruption. Auf die Jahresansprache von Präsident Nasarbajew im Oktober 2018 reagierte der Publizist Dosym Satpajew mit einem vielfach geteilten Facebook-Eintrag, in dem er den Inhalt der Rede, aber auch das autoritäre System fundamental kritisierte: »Das Volk braucht keine Ansprachen, sondern konkrete Resultate, die es einfordern kann, unter anderem durch faire und kompetitive Wahlen.«78

Grenzen setzt das Regime, wenn konkrete hochrangige Politiker attackiert oder der Korruption be­schuldigt werden. Hier gibt es zahlreiche Beispiele, dass Internetseiten geblockt wurden – etwa solche, auf denen der Rücktritt von Präsident Nasarbajew oder dem damaligen Ministerpräsidenten Karim Massimov gefordert wurde oder Listen mit angeblich korrupten Richtern auftauchten.79

Besonders drastisch reagiert der Staat, wenn Mobilisierungspotential vermutet oder sichtbar wird. Die Demonstrationen im Frühjahr 2016 wurden von zwei Aktivisten aus Westkasachstan mit einem Facebook-Post losgetreten. Daraus entwickelten sich die bis dahin größten politischen Proteste seit der Unabhängigkeit des Lan­des. Beide Initiatoren wurden zu fünf Jahren Haft verurteilt – wegen Aufrufs zu unerlaubten Demonstrationen, Anstachelns zu Hass und sozia­ler Unruhe sowie Verbreitung von Falschinformationen.80 In seiner Dimension sticht dieser Fall hervor, auch weil er internationale Aufmerksamkeit erfuhr. Doch ist er nicht der einzige seiner Art. Verschie­dent­lich wurden Aufrufe zu nicht genehmigten Demons­trationen, von denen kaum Mobilisierungspotential zu erwarten gewesen wäre, von der Polizei frühzei­tig gestoppt.81 In dieses Bild passt, dass Tausen­de Demonstranten nach den Präsidentenwahlen 2019 festgenommen wurden.

Besonders repressiv geht der Staat gegen Akteure vor, bei denen er Verbindungen zum Exilpolitiker Muchtar Abljasow sieht oder zu sehen vorgibt. So kritisierte ein Mann aus Westkasachstan über einen offenen Kanal des Messengers Telegram den in sei­nem Bezirk neu ernannten, aus dem Südosten des Landes stammenden Polizeichef. Der Internetnutzer beschuldigte Präsident Nasarbajew, den Posten einem Vertrauten aus seinem »Clan« gegeben zu haben, um die lokale Bevölkerung zu unterdrücken. Die Nach­richt versandte der Mann über einen Chatraum, der nach offiziellen Angaben mit Abljasow in Verbindung gebracht wurde. Daraufhin wurde er wegen An­stachelns zu Hass gegen ethnische Gruppen zu vier Jahren Gefängnis verurteilt.82

Die Gesellschaft diskutiert, der Staat reagiert

Innerhalb der vom Regime gesetzten Grenzen bieten soziale Medien wie Facebook und Instagram in Kasachstan durchaus Räume der Diskussion. Dies kann einen Handlungsdruck auf das Regime erzeu­gen, den es ansonsten nicht gäbe. Daraus entstehen unterschiedliche Formen der Interaktion zwischen Staat und Gesellschaft. Ob und wie der Staat auf Aktivitäten in den sozialen Medien reagiert, hängt sowohl vom jeweiligen Thema als auch vom Ausmaß der entstandenen Empörung ab. Im Internet skanda­lisierte Sachverhalte kann die Zentralregierung leicht entdecken, ohne dass dafür Zwischeninstanzen wie lokale Printmedien oder Berichte aus den örtlichen Verwaltungen notwendig sind. Ist der Protest in den sozialen Medien aus Sicht des Regimes erwünscht, können die betroffenen Behörden oder Personen zur Stellungnahme oder zum Handeln aufgefordert wer­den, worüber dann auch offizielle Medien berichten.83 Mobilisierung und Vernetzung über das Inter­net können die kollektive Vertretung partikularer Interessen erleichtern.84

Kritik an konkretem moralischen Fehlverhalten ist erlaubt, sofern die roten Linien nicht überschritten werden (was etwa dann der Fall wäre, würden Perso­nen namentlich der Korruption beschuldigt). Beispiel­haft dafür ist der »Regenschirmskandal«, der sich 2015 an der 9.-Mai-Feier zum Gedenken an den sow­jetischen Sieg im Zweiten Weltkrieg in der Stadt Atyrau entzündete. Dabei stand der regionale Gouver­neur auf der Bühne unter einem Schirm im Trockenen, während direkt neben ihm ein Kriegsveteran ungeschützt dem Regen ausgesetzt war. Ein Foto der Szene wurde online tausendfach geteilt.85 Die Empö­rung über den Vorfall gewann eine solche Dyna­mik, dass der Gouverneur sich öffentlich er­klären musste.86

Die Skandalisierung staatlicher Inaktivität ist ein weiteres Motiv von Onlineprotesten. Während es in Kasachstan eine strukturell bedingte Untätigkeit des Staates gibt, kann er auch schnell reagieren, wenn sich ein Problem punktuell beheben lässt und der entsprechende Druck groß genug geworden ist. So ließ beispielsweise erst konzertierter Protest auf Instagram die zuständigen Behörden handeln, nach­dem Dörfer von einer Schlammlawine zerstört wor­den waren.87 Im Fall einer Gruppenvergewaltigung wiederum reagierten die lokalen Polizeibehörden zunächst nicht auf die Anzeige des Opfers. Dessen Familie prangerte dies auf Youtube und anderen Online-Kanälen an, was von herkömmlichen Medien aufgegriffen wurde. Die Täter wurden in der Folge verhaftet, und gegen die Polizisten leitete man ein Ermittlungsverfahren ein.88

Wenn Skandale strukturelle Probleme offenbaren, wird es für das Regime komplizierter. Gesellschaft­liche Entrüstung und Trauer waren groß, nachdem ein beliebter kasachischer Eisläufer im Jahre 2018 von einem Autodieb in Almaty getötet worden war. Auf Facebook bildete sich eine Initiative, die die Auf­merksamkeit und Emotionalisierung nutzte, um auf Missstände bei der Polizei hinzuweisen.89 Der Polizei­chef wurde entlassen, und der Innenminister reagier­te zustimmend auf die Proteste. Er gestand ein, dass es zahlreiche ungelöste Probleme bei der Polizei gebe, und versprach strukturelle Veränderungen. In die Debatte mischte sich sogar Nasarbajew ein, der damit drohte, die Angehörigen der Polizei nach dem Vorbild des früheren georgischen Präsidenten Saakaschwili kollektiv zu entlassen – ein Szenario, das von der Polizei selbst zurückgewiesen wurde.90 Offen bleibt, wie weit das Regime mit der Reform der Sicherheitsbehörden wirklich gehen möchte und gehen kann.

Politische Diskussionen und die Antwortbereitschaft des Staates haben in Kasachstan ihre Grenzen. Das liegt entweder an den erwähnten roten Linien, die vom Staat gezogen bzw. aufrechterhalten wer­den.91 Oder es hat damit zu tun, dass die Forderungen und Anliegen der Bevölkerung nicht mit den staat­lichen Interessen übereinstimmen. Entsprechende Proteste schaffen es dann auch nicht in die offiziellen Medien.92

Der Protest in sozialen Medien reicht in Kasachstan wohl nicht so weit, um strukturelle Reformen anzustoßen.

Diskussionen in den sozialen Medien bilden somit eine wichtige Quelle von Informationen zur Stimmung in der Bevölkerung und zu bestimmten Formen staatlichen Fehlverhaltens. In vielen Fällen, wie bei »ungefährlichen« moralischen Themen, haben sie auch eine Ventilfunktion, die dazu dient, Frust zu entladen. Damit sind soziale Medien ein Substitut für schwache formale Institutionen. Sie ermöglichen zudem eine punktuelle Kontrolle staatlichen Han­delns und erhöhen die Antwortbereitschaft des Staa­tes – führen aber ebenso zu schnellerer Repression. Unwahrscheinlich ist, dass in Kasachstan der über soziale Medien ausgeübte Protest so weit reicht, dass dadurch strukturelle Reformen angestoßen werden.

Diskurshegemonie sichern – online und offline

Jenseits von Grenzziehungen in den sozialen Medien sucht das Regime den Diskurs im Internet auch aktiv zu gestalten. Berichten zufolge hat es Blogger gleich­sam für sich eingekauft, um bestimmte Themen zu platzieren oder umzudeuten. Einen der ersten be­kannten Fälle gab es im Zusammenhang mit der Tra­gödie von Zhanaozen im Dezember 2011.93 Dort starben mindestens 15 streikende Ölarbeiter durch Polizeikugeln.94 Nachdem es Bloggern zunächst ver­wehrt worden war, in die Region zu reisen, lud die Regierung später eine Reihe von ihnen dazu ein, sich ein Bild vor Ort zu machen. Als Ergebnis veröffentlichten die Blogger eine Darstellung der Ereignisse, die stark mit der offiziellen Version des Regimes kor­respondierte. Der Versuch der Regierung, ihr Narrativ in den sozialen Medien zu verbreiten, blieb aber nicht unwidersprochen. Im Internet regte sich Protest, und die Autoren des Berichts wurden in den sozialen Medien als »Blutblogger« bezeichnet. Eine Delegation kritischer Blogger reiste später ebenfalls in die Re­gion, erstellte einen Alternativbericht und forderte den Rücktritt des örtlichen Gouverneurs.95

Ein weiterer Fall stammt aus Almaty. Nach Protesten gegen die Abwertung der nationalen Währung, die teilweise von Bloggern initiiert worden waren, lud der damalige Bürgermeister der Stadt einen Teil der Internet-Autoren zu einem Abendessen ein. Dies wur­de als Versuch gedeutet, die Blogger untereinander zu spalten. Etwas später machte sich im Vorfeld der Präsidentenwahlen 2015 eine »Allianz der Blogger Kasachstans« mit regierungsfreundlichen Statements einen Namen.96

Das »Einkaufen« von Bloggern erinnert stark an den früheren Umgang des Regimes mit den wenigen ernsthaften Kritikern, die seit der Unabhängigkeit Kasachstans auf den Plan getreten sind. Sie wurden entweder mit Zwang und Belohnung in das Regime kooptiert oder aber marginalisiert.97 Der Unterschied zu den Bloggern liegt darin, dass einige von ihnen trotz des bestehenden Drucks an ihrer bisherigen Linie festhalten.

Darüber hinaus nutzt das Regime die sozialen Medien auch selbst zur Verbreitung von Informationen. Zahlreiche Städte haben ihre Präsenz auf Face­book ausgebaut. Als besonders entwickelt gelten Auftritte und Kommunikationspraxis der Bürgermeister von Astana und Almaty. Anders als bei E‑Govern­ment und Seiten wie »e-dialog« stellen die Behörden damit aber auch immer zentrale Orte zur Verfügung, die Diskussionen der Bürger untereinander ermög­lichen.98

Nach der Protestwelle 2016 hat das Regime seine Informationspolitik außerhalb des Internets ebenfalls intensiviert. Aus Sicht des Regimes kamen die Protes­te auch aufgrund einer Falschinformation im Inter­net zustande, wonach ein neues Gesetz den Verkauf von Boden an ausländische Investoren vorsehe. Eine schnellere Gegenkampagne hätte die Proteste aus die­ser Perspektive verhindern können (was offenbleibt). Deswegen wurde noch im selben Jahr das Ministe­rium für Information und Kommunikation gegründet, das unter anderem die Kommunikationspolitik der alteingesessenen Ministerien und anderer Behör­den verbessern soll.99 Eine der sichtbarsten Aktivitäten sind Werbeplakate im öffentlichen Raum, mit denen die Regierung für ihre Erfolge wirbt.100

Ein weiteres Ziel des neuen Ministeriums besteht darin, das nationale staatliche Fernsehen wieder attraktiver zu machen, um damit – als Gegengewicht zum Internet – stärkeren Einfluss auf den öffentlichen Diskurs nehmen zu können. Dafür wurde unter anderem Erlan Karim an die Spitze des kasachischen Senders Qazaqstan versetzt. Er war früher ein Kritiker des Regimes und des politischen Systems, ließ sich aber kooptieren und hatte zuletzt hochrangige Posten im Staat inne.101

Kollektiver Protest in der Grauzone

Manche Protestaktivitäten mit politischem oder par­tiell mobilisierendem Charakter werden geduldet, obwohl sie offensichtlich gegen wirtschaftliche oder politische Interessen des Staates oder staat­licher Akteure verstoßen. Ein Feld, auf dem es fort­gesetzte Konflikte zwischen gesellschaftlichen Asso­ziationen und dem Staat gibt, ist der Umweltschutz. Dies betrifft etwa die Luftqualität in Almaty. Weil eine Gruppe von Aktivisten die offiziellen Messungen nicht für akkurat hielt, startete sie ein eigenes Sys­tem, um die Schadstoffbelastung zu überprüfen. Die Stadtverwaltung ging zunächst dagegen vor, konnte die Umsetzung der Initiative letztlich aber nicht ver­hindern. Auf Grundlage der neuen Ergebnisse reichte ein Umweltaktivist gegen die Stadt eine offizielle Beschwerde ein, die er auf seiner Facebook-Seite öffentlichkeitswirksam publik machte. Er berief sich dabei auf die Verfassung und das Umweltschutz­gesetz Kasachstans.102

Ein anhaltender Konflikt noch größeren Ausmaßes dreht sich um ein Bauprojekt in den Bergen von Almaty. Im dortigen Nationalpark Ili-Alatau soll ein Luxusresort entstehen. Dazu müsste stark in ein bis­lang unberührtes Naturschutzgebiet eingegriffen werden, nebst dem Bau einer Straße. Offensichtlich handelt es sich um ein Vorhaben für betuchte Stadt­bewohner, hinter dem auch Oligarchen vermutet werden.

Während der letzten Jahre hat sich im Kontrast dazu vor allem in der urbanen Mittelschicht Almatys ein naturaffines Milieu entwickelt, in dem Sportarten wie Bergwandern populär geworden sind. Teils aus diesem Milieu heraus entstand eine Protestbewegung gegen den Bau der Hotelanlage. Die Aktivisten waren mitunter starker Repression ausgesetzt, ihr Protest wurde aber nicht zum Erliegen gebracht. Durch Öffentlichkeitsarbeit und Mobilisierung ist es der Be­wegung bislang gelungen, den Bau des Resorts zu verhindern. Aufgegeben haben Stadt und Investoren aber nicht. Die im Rahmen der Stadtplanung erprobten Anhörungen werden nun auch für dieses Bauprojekt durchgeführt, unter Beteiligung der Aktivisten.103

Interessant ist der Fall deshalb, weil der Staat sich hier auf einen Aushandlungsprozess mit gesellschaftlichen Kräften eingelassen und deren Druck zeitweilig sogar nachgegeben hat – obwohl starke ökonomische Interessen mit dem Bauprojekt verbunden sind. Der Bewegung dürfte bislang zugutegekommen sein, dass ihr Mobilisierungspotential wegen des Themenzuschnitts eben doch nur begrenzt ist. Gleichzeitig verdeutlicht der Fall, dass die Angst des Regimes vor Mobilisierung oder Konflikteskalation auch eine Machtressource für gesellschaftliche Bewegungen darstellt, die sie vor staatlichen Übergriffen schützt.

Autoritäre Partizipations­politik und Regimestabilität

Derzeit befindet sich Kasachstan in einer Phase des zugespitzten Konflikts zwischen Regime und Gesell­schaft; dabei spielt Repression eine größere Rolle. Kurzfristige Stabilität versucht das Regime herzustellen, indem es einen »illiberalen Frieden« durchsetzt. Dazu will es die Kontrolle auf drei Ebenen behaupten: im öffentlichen Raum, im öffentlichen Diskurs und in der Wirtschaft.104 Im letzteren Fall sind die An­strengungen besonders effektiv. Die kasachische Wirtschaft ist formell wie informell durch den Staat bzw. staatliche Akteure monopolisiert und weist zudem einen großen öffentlichen Sektor auf. Dies ermöglicht es, bei Arbeitnehmern eine hohe Fügsam­keit zu erreichen. Allerdings wird – erstmals in der Geschichte des unabhängigen Kasachstan – der Kontrollanspruch des Regimes im öffentlichen Raum und im öffentlichen Diskurs durch eine Protestbewegung anhaltend herausgefordert.

Die langfristige Stabilität autoritärer Regime ergibt sich aus dem Zusammenspiel einer Vielzahl unterschiedlicher Faktoren. In einem System wie dem Kasachstans kann Regimestabilität nicht primär durch autoritäre Repression (»Friedhofsruhe«) erzeugt wer­den. Vielmehr benötigt das Regime die Zustimmung der Bevölkerung sowie deren Bereitschaft, Ziele staat­lichen Handelns zu unterstützen. Die Aufrechterhaltung staatlicher und wirtschaftlicher Performanz ist in Kasachstan zwar keine hinreichende, aber eine notwendige Voraussetzung für diese Zustimmung.

Die neue autoritäre Partizipationspolitik stellt den Versuch des Regimes dar, die Bedingungen für wirt­schaftliche Performanz zu verbessern und Protesten vorzubeugen105 – bei gleichzeitiger Vermeidung tiefergehender Strukturreformen. Diese Politik um­fasst drei Elemente. Erstens versucht die Regierung, Partizipation in neugeschaffene Arenen umzuleiten, die vom Staat vollständig kontrolliert werden. Weil das vor allem in den sozialen Medien nicht vollständig gelingt, arbeitet das Regime zweitens daran, die Kontrolle des Diskurses zu verfeinern.

Drittens versucht das Regime, sich die administrier­te und partiell autonome Partizipation im Hinblick auf Machterhalt (Protestvermeidung) und Wirtschafts­wachstum nutzbar zu machen. Zwei grundlegende Funktionen von Partizipation lassen sich dabei iden­tifizieren. Sie ist erstens Schaufensterpolitik, wenn damit vor allem positiv konnotierte Narrative für verschiedene Zielgruppen erzeugt werden sol­len. Die zweite Funktion ist die Abmilderung von Struk­tur­problemen, wozu Schwierigkeiten bei der Steuerung staatlichen Handelns zählen, ebenso der Wissensmangel so­wie das Fehlen von Ventilen für Ärger und Wut in der Bevölkerung. Tabelle 2 schematisiert, wie Partizi­pation für Wirtschaftswachstum und Macht­politik nutzbar gemacht werden soll.

Bei der Partizipation zur Abmilderung von Strukturproblemen handelt es sich um ein Substitut. Die Strukturprobleme werden von der Regierung nicht nur als solche explizit angesprochen, sondern auch auf die Schwäche politischer und gesellschaftlicher Institutionen zurückgeführt. Verschwiegen wird dabei freilich, dass die Schwäche dieser Institutionen kein Naturgesetz ist, sondern ein Produkt des Auto­ritarismus.

Schaufensterpolitik

Partizipation als Schaufensterpolitik zielt vor allem auf ein äußeres Erscheinungsbild ab. Dabei wird »Material« für Narrative generiert, die das Regime auf unterschiedlichen Ebenen legitimieren sollen. Alle die im zweiten Kapitel analysierten Foren und Instru­mente administrierter Partizipation weisen Elemente von Schaufensterpolitik auf. Diese ist nicht exklusiv, das heißt Partizipation kann auch weitere Funktionen erfüllen.106

Tabelle 2 Partizipation als Instrument für Wirtschaftswachstum und Machtpolitik

Verfolgte Ziele

Funktionen von Partizipation

Wirtschaftswachstum

Machtpolitik
(Proteste verhindern)

A. Schaufensterpolitik

Imageverbesserung gegenüber aus­ländischen Staaten, internationalen Organisationen und Investoren

Bevölkerung das Gefühl vermitteln, gehört zu werden und mitentscheiden zu können; Eindruck schaffen: »Regierung kümmert sich um Pro­bleme«

B. Partizipation als Substitut bei Strukturproblemen

1. Ventilfunktion

Bevölkerung kann Frust direkt ablassen.

2. Kontrolle staatlichen Handelns durch Partizipation

Verbesserung des Wirtschaftsklimas durch professionelles Regieren, effektivere Umsetzung von Programmen

mehr Legitimität durch professio­nelles Regieren

3. Wissen, Informationen durch Teilnahme

bessere Kenntnis von Präferenzen in Gesellschaft und Wirtschaft, infor­mierte Entscheidungen

bessere Kenntnis über Missstände und Unmut in der Bevölkerung, schnellere Reaktion, mehr Kontrolle

Schaufensterpolitik muss immer eine Vielzahl alternativer Narrative vermitteln. Um längerfristig beurteilen zu können, wie erfolgreich das ist, muss nach Zielgruppen unterschieden werden. Ein wich­ti­ger Adressat sind externe Akteure, die normative Erwartungen an die institutionellen Strukturen und die Regierungsführung in Kasachstan haben. Aus Sicht des Regimes können Formen administrierter Partizipation von Menschenrechtsverletzungen und Einschränkungen der Zivilgesellschaft ablenken, die Interaktion mit internationalen Organisationen er­leichtern und so Kanäle für finanzielle und technokratische Unterstützung offen halten. Administrierte Partizipation kann auch ein Argument für auslän­dische Investoren sein, etwa wenn diese einer kriti­schen Öffentlichkeit zuhause positive Erzählungen über Reformen in den Zielländern bieten müssen. Die kasachische Regierung nutzt die neuen Partizipations­formen vor allem im Zusammenhang mit spezialisierten internationalen Organisationen, in deren Politik­konzepten Partizipation eine wichtige Rolle spielt. Die Zusammenarbeit der EU mit der Stadt Almaty im Bereich der Partizipation zeigt, dass diese Strategie teilweise aufgeht. Weitere kooperierende Akteure sind die OSZE, die OECD sowie UN-Behörden wie UN DESA.

Auch die eigene Bevölkerung kann Zielgruppe von Schaufensterpolitik sein. Aus Sicht der Regierung lässt sich möglicher Kritik zuvorkommen, wenn auf »mehr Partizipation« verwiesen werden kann. Aller­dings muss das Vorgehen besonders glaubhaft sein, damit bei der Bevölkerung das Gefühl entsteht, ge­hört zu werden und eine Mitsprachemöglichkeit zu haben. Schließlich sind auch die Regierungsmitarbeiter eine Zielgruppe der Schaufensterpolitik. Diplomaten erhalten durch die neuen Partizipationsformen das narrative Material, um ein positives Bild ihres Landes zu zeichnen und Vorwürfe über mangelnde Demokratie oder Nichteinhaltung von Menschen­rechten zu kontern.107

Schaufensterpolitik kann große Bedeutung für die Stabilität eines Regimes entwickeln, weil sie Druck von ihm nimmt. Ob dieser Ansatz gelingt und das Regime sich so legitimieren kann, hängt vor allem vom Betrachter ab. Im internationalen Diskurs ist unter anderem entscheidend, ob die EU und die EU-Mitgliedstaaten offizielle Narrative eines Landes über­nehmen oder auch die Schattenseiten von Partizipa­tionspolitik, nämlich Menschenrechtsverletzungen und »shrinking spaces«, ansprechen.

Strukturproblem 1: Ventil für gesellschaftlichen Unmut

Es ist den Eigenarten des Autoritarismus geschuldet, dass es ihm an Ventilen mangelt, mittels derer Un­zufriedenheit in der Bevölkerung abgemildert werden kann. Die Gefahr besteht, dass sich Unmut im Klei­nen so lange anstaut, bis er sich durch ein bestimmtes Ereignis, das für sich nicht bedeutsam sein muss, schlagartig entlädt.

Viele der erwähnten Partizipationsformen – etwa die Möglichkeit, sich per Kurzvideo bei Ministern zu beschweren – sollen eine solche Ventilfunktion bieten. Aus dieser Perspektive geht es gar nicht um eine Antwort auf die entsprechende Beschwerde, geschweige denn darum, dass sich der Minister das Video selbst ansieht. Es genügt schon, dass der Bürger an die Funktionalität des Formats glaubt. Dieses bildet ein Substitut für fehlende Kanäle und Mechanismen, die es ansonsten erlauben, Frust und Empö­rung abzulassen. In freien Gesellschaften bieten Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit den Bürgern ein Ventil, um sich spontan oder auch organisiert in politischen Fragen zu artikulieren. Zudem steht der Weg einer Klage gegen staatliche Behörden offen. Ob die administrierte Partizipation als Ventil funktioniert, hängt davon ab, inwiefern sie in Zukunft genutzt und für glaubwürdig erachtet wird.

Strukturproblem 2: Staatliche Steuerung

Die interne Steuerung staatlichen Handelns ist in Kasachstan mit großen Schwierigkeiten behaftet. Ent­sprechende Mängel sind mit dafür verantwortlich, dass politische Programme nur unzureichend umge­setzt werden. Dieses Problem wird von der Regierung selbst anerkannt und auch in Berichten internationaler Organisation wie der OECD thematisiert.108

Die Ursachen sind in Struktureigenheiten des Autoritarismus zu finden. Autokratien sind ausgeprägt hierarchische Systeme, die besonders stark dem Informations- und dem Motivationsproblem ausgesetzt sind.109 Diese beiden Probleme entstehen da­durch, dass politische Programme in den Zentren entworfen werden, wo oft das Wissen darüber fehlt, wie die Implementierung der Programme auf lokaler Ebene funktioniert. Gleichzeitig ist es schwierig, die Mitarbeiter lokaler Behörden zur Umsetzung zentral getroffener Entscheidungen zu motivieren. Die Regie­rung kann sich nur bedingt selbst kontrollieren,110 während es an externer Kontrolle fehlt. Um die auto­ritäre Herrschaft zu sichern, hat das Regime alle potentiellen Kontrollinstanzen zurechtgestutzt. Medien, Bürger, Justiz und Parlament sind nicht in der Lage, eine entsprechende Funktion auszuüben. Nasarbajew selbst hat sich einmal beschwert, dass das Parlament seiner Kontrollaufgabe nicht nachkomme.111 Die bekannteste Beschreibung dieses Problems, das alle postsowjetischen Autokratien betrifft, stammt vom russischen Präsidenten Wladimir Putin. Er sprach von einem »Zusammenbruch mitten im Sys­tem der Verwaltung«, der bewirke, dass Kontrolle nur noch über eine »Steuerung von Hand« (ruchnoe upravlenie) möglich sei.112

Korruption ist in diesem Zusammenhang besonders ambivalent. Sie ist ein elementarer Baustein der Regimestabilität, sie gefährdet aber gleichzeitig wirt­schaftliche Performanz, verhindert Strukturreformen und könnte auch in Kasachstan zu einem Mobilisierungsfaktor werden – ähnlich wie jüngst in Russ­land.113 Die Regierung bekämpft zwar keine »high corruption«, versucht aber, die kleine »petty corrup­tion« einzudämmen. Auch dabei muss sie sich mit dem Informations- und Motivationsproblem ausein­andersetzen.

Partizipationspolitik erhöht zwar die Regimestabilität, kann aber die Wirtschaftsprobleme des Landes langfristig nicht lösen.

Kann Partizipation ihre Substitutionsfunktion erfüllen, und lässt sich so staatliches Handeln kon­trollieren und dessen Steuerung verbessern? Als effek­tiv erweist sich der Einsatz digitaler Überwachung, wenn es darum geht, Korruption auf lokaler Ebene abzumildern. Das zeigt bereits die Einführung von Bürgerzentren, die dazu beigetragen haben, die Kor­ruption zu verringern.114 Dieser Befund spricht dafür, dass auch die Einführung von E‑Governance die Korruptionsbekämpfung im lokalen Raum effektiver machen kann, soweit das politisch gewollt ist.

Darüber hinaus führt Partizipation in Bereichen, in denen dies vom Regime erlaubt wird, punktuell zur Korrektur politischen Handelns. Dass gesellschaftliche Empörung innerhalb und außerhalb der sozialen Medien auch strukturelle Reformen anstoßen kann, ist aber unwahrscheinlich. Strukturprobleme werden insofern durch Partizipationspolitik nur abgemildert. Das erhöht die Regimestabilität, kann aber die gene­rellen Probleme der wirtschaftlichen Entwicklung langfristig nicht lösen.

Strukturproblem 3: Wissen

Ein drittes Problem besteht darin, dass es dem Regime an Wissen über die Präferenzen von Bevölkerung wie Wirtschaft mangelt und keine Kanäle be­stehen, über die sich gesellschaftliche Beschwerden effektiv ein­bringen ließen. Die Ursachen dafür liegen ebenfalls im Autoritarismus, denn ihm fehlen aus demokratischen Systemen bekannte »Voice«-Institu­tionen. Dazu zählen politische Wahlen oder das Parlament als Transmitter. Auch die Medien fungieren in Kasach­stan nur sehr eingeschränkt als Reso­nanzkörper für gesellschaftliche Befindlichkeiten. Die Justiz, ein­geschnürt in das Korsett des autoritären Staates, ent­fällt ebenfalls weitestgehend als Zugangspunkt für entsprechende Beschwerden. Das hat weit­reichende Folgen für Wirtschaftswachstum und Machtkonsolidierung. Die Entwicklungsökonomie geht davon aus, dass eine gute Kommunikation zwi­schen Staat und Bevölkerung bzw. Wirtschaft wichtig ist für eine erfolgreiche Wachstumspolitik. Der Erfolg der asiati­schen »Tigerstaaten« wird unter anderem mit deren besonders ausgeprägter Fähigkeit er­klärt, die Prä­ferenzen der eigenen Bevölkerung, ins­besondere privatwirtschaftlicher Akteure, zu erken­nen und sie in die Entwicklungspolitik einzubeziehen.115 Ent­wicklungsexperten vertreten die Ansicht, dass diese Fähigkeit unter den Bedingungen des postindustriellen Zeitalters noch wichtiger geworden ist.116

Aus der Perspektive autoritärer Machtkonsolidierung ist das geringe Wissen über die Stimmung in der Bevölkerung besonders gefährlich. Dabei besteht große Angst vor Anti-Regime-Protesten. Im kollekti­ven Bewusstsein autokratischer Eliten verankert ist der überraschende Zusammenbruch der Sowjetunion 1991. Aber auch die Proteste in Kasachstan 2016 trafen das Regime unerwartet. Schon seit langem be­auftragt die Regierung deshalb soziologische Mei­nungsforschungsinstitute damit, der Bevölkerung auf den Zahn zu fühlen. Der tatsächliche Erkenntniswert solcher Umfragen ist aber schon allein aufgrund der formel­len Erhebungsmethode – telefonische Befra­gung und vorgefertigter Fragenkatalog – beschränkt.

Der Nutzen der neuen, administrierten Partizipationsformate ist nicht genau zu bestimmen. Diskus­sionen in den Gesellschaftlichen Räten können der Regierung gegebenenfalls helfen, bestimmte Diskurse schneller aufzugreifen und darauf zu reagieren – sofern es die Räte schaffen, Themen von außen auf­zunehmen. Darüber hinaus dürfte die Effektivität der administrierten Partizipation aber gering sein. Ganz anders sieht es mit den sozialen Medien aus. Durch das Internet fallen viele Daten an, die sich das Regime nur erschließen muss. Wie beschrieben, arbeitet die Regierung Kasachstans derzeit an einer automatisierten Überwachung der sozialen Medien. Besonders viele Daten entstehen durch die zunehmende Inte­gration aller Interaktionen zwischen Verwaltung und Bürger im Rahmen von E‑Government. Wissen ist Macht – das gilt auch für die hier beschriebene Par­tizipationspolitik, die bei der Konzeption wirt­schafts­politischer Maßnahmen hilfreich ist, aber ebenso dem Machterhalt des Regimes dient.

Ausblick

Die vom kasachischen Regime betriebene Schau­fensterpolitik funktioniert bislang nur bedingt; zur Lösung von Strukturproblemen des Landes konnte insbesondere die staatlich administrierte Partizipation bloß begrenzt beitragen. Dennoch hält das Regime weiter an der Mischung aus Repression und Partizipationsangeboten fest, vor allem mit dem Ziel, Proteste einzuhegen.

Erstmals erfährt das Regime – und mit ihm auch Kasachstans autoritäre Partizipationspolitik – aktiven Widerstand. Auf der Straße wenden sich Men­schen unter ande­rem gegen das restriktive Demons­trations- und Ver­sammlungsrecht, und trotz staatli­cher Re­pression halten die Proteste an. Gerade dieser jetzt offen aus­getragene Konflikt könnte dazu führen, dass die bislang streng kontrollierte Partizipation auch Züge eines Dialogs und Aushandlungsprozesses an­nimmt. Voraussetzung dafür wäre jedoch, dass es der Protest­bewegung gelingt, sich zu verstetigen und ein Nar­rativ zu entwickeln, das von Teilen der Bevöl­kerung als echte Alternative im öffentlichen Diskurs wahr­genommen wird. Dann wäre es am wahrscheinlichsten, dass das Regime von seinem Anspruch ab­rückt, allein über Ort, Teilnehmer und Themenspektrum – also das »Wo«, »Wer« und »Was« – gesellschaft­licher Diskurspartizipation zu entscheiden.

Die EU-Politik gegenüber Kasachstan (und den wei­teren Ländern Zentralasiens) hat sich seit den 1990er Jahren verändert. Die erste Phase nach der Unabhängigkeit war geprägt durch die Erwartung, die Länder der ehemaligen Sowjetunion würden sich demokratisieren. In der 2007 veröffentlichten EU-Zentralasien­strategie stand auf der Liste der Kooperationsziele noch Demokratisierung an erster Stelle. Im selben Jahr aber verabschiedete sich die EU von jeglicher demokratiebezogenen Konditionalisierung ihrer Außenpolitik gegenüber Zentralasien, was einen neuen Abschnitt einläutete. Die heutige dritte Phase ist vor allem durch den geopolitischen Wandel geprägt. Mittlerweile sind die normative Strahlkraft der EU und das Sendungsbewusstsein europäischer Außenpolitik geschwunden. Gleichzeitig haben die Staaten Zentralasiens neues Selbstbewusstsein entwickelt; von ihnen wahrgenommene Einfluss­versuche von außen weisen sie nicht mehr verdeckt, sondern offen zurück.

Mit diesen Entwicklungen einher geht ein realis­tischerer Blick europäischer Außenpolitik auf ihre Einflussmöglichkeiten und auf die Erfolgsaussichten schneller oder extern induzierter Demokratisierung. Abgesehen von allgemeinen Erklärungen kann sich die EU nicht unmittelbar für Demokratisierung in Kasachstan einsetzen.

Wo aber liegt dann der normative Anteil der EU-Außenpolitik angesichts eigener Schwächen und eines »smarten« Autoritarismus beim Adressaten? Das Interesse der EU besteht darin, dass die Stabilität Kasachstans durch eine inklusive wirtschaftliche Ent­wicklung gewährleistet wird, bei der gesellschaftliche Räume für eine spätere Demokratisierung offen gehalten werden. Sollte das Regime weiter darauf setzen, gesellschaftliche Zustimmung durch ökonomische und staatliche Leistungskraft zu gewinnen, kann die EU unmittelbar an dessen Interessen an­knüpfen, um ihre eigenen Normen zu fördern. Das Regime benötigt Stabilität für wirtschaftlichen Erfolg, muss dafür langfristig planen und ein neues Wachs­tumsmodell entwickeln. Dabei ist es bisher an struk­turellen Problemen seines politischen Systems gescheitert. Folgende Ansatzpunkte ergeben sich daraus:

1. Strukturprobleme lassen sich besonders wirksam durch jene Partizipationsformate abmildern, die eine kollektive Teilhabe ermöglichen und bei denen der Gesellschaft zumindest ein Stück weit Autonomie und Selbstorganisation zugestanden werden. Das gilt in Ansätzen für einige der gesellschaftlichen Räte, vor allem aber für kollektive selbstorganisierte Diskus­sionen in den sozialen Medien. Diese Formate ermög­lichen am ehesten produktiven Konflikt und damit die vom Regime selbst gewünschte Substitutionsfunktion. Sie liegen aber auch im Interesse der EU, weil sie einer Individualisierung und Depolitisierung der Gesellschaft entgegenwirken und damit Räume für kollektives Handeln im Hinblick auf eine spätere Demokratisierung offen halten. Beispielhaft dafür ist das bereits durch die EU geförderte Stadtentwicklungsforum in Almaty.

2. Als besonders effektive Problemlöser erweisen sich aus Sicht des Regimes digitale Technologien – E‑Governance und E-Participation, ebenso die sozialen Medien. Hier liegt aber auch die größte Gefahr, dass Überwachungstechnik immer weiter verfeinert und kollektives Handeln der Gesellschaft unterminiert wird. Es ist zwar prinzipiell sinnvoll, den Ausbau von E‑Governance in Kasachstan zu unterstützen, wie dies EU und spezialisierte Organisationen auch tun. Stär­ker problematisiert werden sollten aber die Risiken, die damit einhergehen. Alle auf Individualisierung und Depolitisierung ausgerichteten Partizipationsformate müssen als kritisch gelten, weil sie langfristig die Grundlagen für Demokratisierung und gesellschaftliche Emanzipation beschädigen.

3. Auf dem Weg der wirtschaftlichen Diversifizierung verändert sich auch das Verhältnis von Staat und Gesellschaft, weil private Initiativen gestärkt werden und der Staat sich vom Rentier- zum Steuer­staat entwickelt. Einen Automatismus in Richtung von Rechtsstaatlichkeit oder Demokratisierung gibt es zwar nicht. Doch eine Wirtschaftskooperation, die junge, innovative Unternehmer fördert, kann für die ökonomische Entwicklung sinnvoll sein und überdies zu gesellschaftlicher Emanzipation beitragen.

4. Die EU sollte weiterhin mit Kasachstan zusammenarbeiten, was institutionelle Reformen betrifft, die für die wirtschaftliche Entwicklung notwendig sind. Es ist immer schwierig, grundlegende politische Institutionen – Justiz, Parlament, Medien – zu ver­ändern. In Kasachstan bilden solche Prozesse zudem eine Gefahr für die Systemstabilität, weshalb von tiefgreifenden Reformen derzeit Abstand gehalten wird. Die Partizipationspolitik zeigt zweierlei: Das Regime in Kasachstan ist sich der strukturellen Systemschwächen bewusst, gleichzeitig können diese durch gesellschaftliche Teilhabe höchstens abgemildert, nicht aber überwunden werden. Um die Wirt­schaft des Landes erfolgreich zu erneuern, wird das Regime daher längerfristig nicht um institutionelle Reformen herumkommen. Dies läuft nicht zwangsläufig auf Demokratisierung hinaus. Eine Stärkung von Parlament und Justiz sowie ein höheres Maß an De­zentralisierung liegen aber durchaus im Bereich des Möglichen. Entsprechende Prozesse kann die EU mit ihrer Expertise unterstützen.

Abkürzungen

ADB

Asian Development Bank

EBRD

European Bank for Reconstruction and Develop­ment

EU

Europäische Union

KISI

Kasachstanisches Institut für Strategische Studien

KNB

Komitee für nationale Sicherheit Kasachstans

MIK

Ministerium für Information und Kommuni­kation

NGO

Non-Governmental Organization

OECD

Organisation for Economic Co-operation and Development

OSZE

Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

UN

United Nations

UN DESA

United Nations Department of Economic and Social Affairs

UNDP

United Nations Development Programme

Endnoten

1

 Regimewechsel bedeutet hier den Machtverlust zugunsten eines neuen Regimes. Im postsowjetischen Raum haben Regimewechsel nicht immer zu Demokratisierung geführt, sondern mitunter zur Reproduktion des Autoritarismus mit neuen Akteurskonstellationen. Vgl. allgemein hierzu: Henry E. Hale, »Regime Cycles: Democracy, Autocracy, and Revolution in Post-Soviet Eurasia«, in: World Politics, 58 (2005) 1, S. 133–165.

2

 Zusätzlich legitimiert das Regime seine Herrschaft unter anderem durch die Kontrolle des öffentlichen Diskurses. Narrative, die das Regime rechtfertigen, werden dabei ge­fördert, delegitimierende Narrative unterdrückt. Mariya Y. Omelicheva, »Authoritarian Legitimation: Assessing Discourses of Legitimacy in Kazakhstan and Uzbekistan«, in: Central Asian Survey, 35 (2016) 4, S. 481–500. Freedom House stuft Kasachstan als »nicht frei« ein, siehe Freedom House, »Freedom in the World 2018: Kazakhstan Profile«, <https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/kazakhstan>. Beim World Press Freedom Index der Organisation »Reporter ohne Grenzen« schneidet Kasach­stan mit Platz 158 von 180 denkbar schlecht ab, siehe Repor­ters Without Borders, »2019 World Press Freedom Index«, <https://rsf.org/en/ranking> (eingesehen am 20.11.2018).

3

 Sebastian Schiek, Widersprüchliche Staatsbildung. Kasachstans konservative Modernisierung, Baden-Baden 2014.

4

 Johannes Gerschewski, »The Three Pillars of Stability. Legitimation, Repression, and Co-optation in Autocratic Regimes«, in: Democratization, 20 (2013) 1, S. 21.

5

 Samuel P. Huntingon, The Third Wave. Democratization in the Late Twentieth Century, Oklahoma 1993, S. 46.

6

 Marlene Laruelle, »Which Future for National-Patriots? The Landscape of Kazakh Nationalism«, in: dies. (Hg.), Kazakhstan in the Making. Legitimacy, Symbols, and Social Changes, Lanham 2016, S. 155–180.

7

 Interview des Autors mit einem leitenden Angestellten einer Bildungseinrichtung, Almaty, September 2017.

8

 Radio Azattyk, »V Kazahstane rassylajut SMS o moratorii na popravki k zemel’nomu kodeksu« [In Kasachstan wird eine SMS über das Moratorium zu den Änderungen im Bodengesetz verschickt], Radio Azattyk, 6.5.2016, <https://rus.azattyq.org/a/27718987.html> (eingesehen am 20.11.2018).

9

 Aigerim Toleukhanova, »Kazakhstan: Land Protest Trial Ends With 5-Year Jail Sentences«, Eurasianet, 28.11.2016, <https://eurasianet.org/kazakhstan-land-protest-trial-ends-5-year-jail-sentences> (eingesehen am 20.11.2018).

10

 »OSCE: Kazakhstan’s Presidential Election Marred by Irregularities«, EFE, 10.6.2019, <https://www.efe.com/efe/ english/world/osce-kazakhstan-s-presidential-election-marred-by-irregularities/50000262-3997076> (Zugriff am 10.7.2019).

11

 UN Human Rights Office, UN Human Rights Office Calls On Kazakhstan to Respect Freedoms of Peaceful Assembly, Expression and Right to Political Participation, 12.6.2019, <https://www. ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=
24691&LangID=E
> (eingesehen am 18.7.2018).

12

 European Bank for Reconstruction and Development (EBRD), The Fiscal Implications for Kazakhstan of Worldwide Transition to a Greener Global Economy, 2018, <https://www.ebrd. com/news/publications/special-reports/the-fiscal-implications-for-kazakhstan-of-worldwide-transition-to-a-greener-global-economy.html> (eingesehen am 2.12.2018).

13

 European Commission, »The Commission Calls for a Climate Neutral Europe by 2050«, 2018, <http://europa.eu/ rapid/press-release_IP-18-6543_en.htm> (eingesehen am 2.12.2018).

14

 Dabei geht es vordergründig um objektive Zwänge. Im Prinzip steht dahinter aber ebenso eine Ideologie, da auf einen Wachstumsabfall auch mit einer anderen Verteilung von Einnahmen reagiert werden könnte.

15

 Asian Development Bank (ADB), Asia’s Economic Transformation. Where to, How, and How Fast?, Mandaluyong City 2013.

16

 Schiek, Widersprüchliche Staatsbildung [wie Fn. 3].

17

 Dazu gehören die Erzeugung von Loyalität sowie die über Korruption ausgeübte Kontrolle.

18

 Grundlegend zur Bedeutung von Diskurspartizipation in Autokratien: David Lewis, »Civil Society and the Authoritarian State. Cooperation, Contestation and Discourse«, in: Journal of Civil Society, 9 (2013) 3, S. 325–340.

19

 International Bureau for Human Rights Kazakhstan, Protest Survey 2017, Astana.

20

 Kanishka Jayasuriya/Garry Rodan, »Beyond Hybrid Regimes. More Participation, Less Contestation in Southeast Asia«, in: Democratization, 14 (2007) 5, S. 773–794 (782).

21

 Nikolay Petrov/Maria Lipman/Henry E. Hale, »Three Dilemmas of Hybrid Regime Governance. Russia from Putin to Putin«, in: Post-Soviet Affairs, 30 (2013) 1, S. 1–26. Mangelnde Kontrolle und geringes Wissen bedeuten aber keine prinzipielle Handlungsunfähigkeit des Staates, vgl. beispielhaft zu Lernprozessen im Bereich der Agrarpolitik: Martin Petrick/Dauren Oshakbayev/Regina Taitukova/Nodir Djani­bekov, »The Return of the Regulator: Kazakhstan’s Cotton Sector Reforms since Independence«, in: Central Asian Survey, 36 (2017) 4, S. 430–452.

22

 Danijar Moldabekov, »Tokaev utverdil sostav nacsoveta obshhestvennogo doverija« [Tokajew genehmigt die Mitgliederliste des Nationalen Rats für gesellschaftliches Vertrauen], Vlast, 17.7.2019, <https://vlast.kz/novosti/34394-tokaev-utverdil-sostav-nacsoveta-obsestvennogo-doveria.html> (eingesehen am 18.7.2019).

23

 Er engagierte sich Anfang der 2000er Jahre in der »Demokratischen Wahl Kasachstan« (DWK), mit der sich damals einige Minister vorwagten, die dafür aber abgestraft wurden. Zur DWK vgl. Andrea Schmitz, Elitenwandel und politische Dynamik in Kasachstan, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, September 2003 (SWP-Studie 39/2003), <https://www.swp-berlin.org/publikation/elitenwandel-und-politische-dynamik-in-kasachstan> (eingesehen am 18.7.2019).

24

Almaz Kumenov, »Kazakhstan: Consensus-building Council Already Generates Grumbling«, Eurasianet, 18.7.2019, <https://eurasianet.org/kazakhstan-consensus-building-council-already-generates-grumbling> (eingesehen am 18.7.2019).

25

 »Obshhenacional’naja koalicija demokraticheskih sil vystupila s obrashheniem k kazahstancam« [Landesweite Koalition demokratischer Kräfte wandte sich mit einer Erklä­rung an die Kasachstaner], Kazahstanskaja Pravda, 13.6.2019, <https://www.kazpravda.kz/news/obshchestvo/obshchenatsionalnaya-koalitsiya-demokraticheskih-sil-vistupila-s-obrashcheniem-k-kazahstantsam> (eingesehen am 18.7.2019).

26

 »About 230 Public Councils Are Created in Kazakhstan«, Bnews, 13.11.2017, <https://bnews.kz/en/news/about_230_ public_councils_are_created_in_kazakhstan> (eingesehen am 17.9.2018).

27

 Prezident Respubliki Kazahstan, Zakon Respubliki Kazahstan ot 2 nojabrja 2015 goda No 383-V «Ob obshhestvennyh sovetah» (s izmenenijami i dopolnenijami po sostojaniju na 04.05.2018 g.) [Gesetz der Republik Kasachstan vom 2.11.2015 »Über Gesellschaftliche Räte«], Artikel 3.

28

 Eintrag auf der Facebook-Seite von Dosym Satpajew vom 17.4.2017, <https://www.facebook.com/dosyms/posts/ 1329681697120233> (eingesehen am 2.12.2018).

29

 »Dosym Satpayev o ENPF: My staralis’ ehtot ›chernyj jashhik‹ sdelat’ prozrachnym« [Dosym Satpajew über den ENPF: Wir versuchen, die Black Box transparent zu machen], Bnews.kz, 25.4.2017, <https://bnews.kz/ru/analysis/reviews/ dosim_satpaev_o_enpf_mi_staralis_etot_chernii_yashchik_ sdelat_prozrachnim> (eingesehen am 2.12.2018).

30

 Nurbek Tusivhan, »ENPF: sovet prodolzhit svoju rabotu posle vyhoda Dosyma Satpaeva« [ENPF: Der Rat setzt seine Arbeit nach dem Ausscheiden von Dosym Satpajew fort], Radio Azattyk, 26.4.2017, <https://rus.azattyq.org/a/28452665. html> (eingesehen am 2.12.2018).

31

 Interview mit einem Mitglied des Rates, Almaty, September 2017.

32

 Vgl. die Angaben auf der Seite des Ministeriums für Arbeit, <http://www.enbek.gov.kz/ru/node/344309> (einge­sehen am 20.11.2018).

33

 Vgl. zur Situation der Gewerkschaften in Kasachstan: Mihra Rittmann, »We Are Not the Enemy«. Violations of Workers’ Rights in Kazakhstan, New York: Human Rights Watch, 2016.

34

 Vgl. den Abschnitt »Die Gesellschaft diskutiert, der Staat reagiert«, S. 23.

35

 Videos auf der Facebook-Seite der Vereinigung: <https://www.facebook.com/groups/VeloKazakhstan/> (eingesehen am 20.8.2019).

36

 KISI, Obshhestvennye Sovety v Kazahstane: Osnovnye trendy razvitija [Gesellschaftliche Räte in Kasachstan: Grundlegende Entwicklungstrends], Astana 2017, <http://www.kisi.kz/uploads/33/files/4IKv9NEx.pdf> (ein­gesehen am 2.12.2018).

37

 So das Ratsmitglied Marat Schibutow, zitiert in Anton Morozov, »Kazahstan stroit svoju model’ grazhdanskogo obshhestva: rabotajut li obshhestvennye sovety« [Kasachstan baut sein Modell der Zivilgesellschaft: Funktionieren die Gesellschaftlichen Räte?], in: Evraziya Ekspert, 5.12.2017, <http://eurasia.expert/kazakhstan-stroit-svoyu-model-grazhdanskogo-obshchestva-rabotayut-li-obshchestvennye-sovety/> (eingesehen am 2.12.2018).

38

 Vgl. auch Colin Knox/Saltanat Janenova, »Public Councils in Kazakhstan: A Case of Emergent Participative Democracy?«, in: Central Asian Survey, 37 (2018) 2, S. 305–321.

39

 Rittmann, »We Are Not the Enemy« [wie Fn. 33].

40

 Jurij Masanov, »Bjudzhet 2018–2020: na chto budet tratit’ gosudarstvo i skol’ko deneg voz’mut iz Nacfonda« [Budget 2018–2020: Wofür der Staat Geld ausgibt und wie viel er aus dem Nationalfonds entnimmt], 2017, <https://informburo.kz/stati/byudzhet-2018-2020-na-chto-budet-tratit-gosudarstvo-i-skolko-deneg-vozmut-iz-nacfonda.html> (eingesehen am 2.12.2018).

41

 Grazhdanskij Al’jans Kazahstana, rezoljucija I Respublikanskogo Mazhilisa obshhestvennyh sovetov ot 13.11.2017 [Resolution I des Republikanischen Parlaments der gesellschaftlichen Räte vom 13.11.2017], <http://kazkenes.kz/news/default/ view?id=81> (eingesehen am 2.12.2018).

42

 Das wird auch von offizieller Seite eingestanden, vgl. zum Beispiel Valerij Vishnichenko, »Obshhestvennye sovety: novyj format vzaimodejstvija vlasti i obshhestva« [Gesellschaftliche Räte: Neues Format des Zusammenwirkens von Staat und Gesellschaft], in: Liter, 8.11.2017, <https://liter.kz/ ru/articles/show/39048-obshestvennye_sovety_novyi_format_ vzaimodeistviya_vlasti_i_obshestva> (eingesehen am 2.12.2018).

43

 OECD, Towards an Open Government in Kazakhstan, 2017, <https://www.oecd.org/gov/towards-an-open-government-in-kazakhstan-9789264279384-en.htm> (eingesehen am 19.9.2018).

44

 »OSCE Promotes Role of Public Councils in Kazakhstan«, 2016, <https://www.osce.org/astana/254211> (eingesehen am 19.9.2018).

45

 Civil Society Development Association (ARGO), »The First Republican Majilis of Public Councils Started Its Work in Kazakhstan«, 2017, <http://argonet.org/en/the-first-republican-majilis-of-public-councils-started-its-work-in-kazakhstan/> (eingesehen am 19.9.2018).

46

 Danijar Ashimbaev, »Doverie naroda – jeto tot resurs, iz kotorogo prezident cherpaet sily« [Das Vertrauen des Volkes ist die Quelle, aus der der Präsident Macht erhält], Central Asia Monitor, 17.4.2015, <https://camonitor.kz/16087-daniyar-ashimbaev-doverie-naroda-eto-tot-resurs-iz-kotorogo-prezident-cherpaet-sily.html> (eingesehen am 2.12.2018).

47

 »Address of the President of the Republic of Kazakhstan, Nursultan Nazarbayev, to the People of Kazakhstan. March 19, 2004«, <http://www.akorda.kz/en/addresses/addresses_ of_president/address-of-the-president-of-the-republic-of-kazakhstan-nursultan-nazarbayev-to-the-people-of-kazakhstan-march-19-2004_1342861179> (eingesehen am 24.7.2018).

48

 UN DESA, United Nations E-Government Survey 2018. Gearing E-Government to Support Transformation towards Sustainable and Resilient Societies, New York 2018, S. 115.

49

 Zur globalen Ausbreitung elektronischen Regierens vgl. auch Marianne Kneuer/Sebastian Harnisch, »Diffusion of E‑Government and EParticipation in Democracies and Autocracies«, in: Global Policy, 7 (2016) 4, S. 548–556.

50

 UN DESA, United Nations E-Government Survey 2016. E‑Government in Support of Sustainable Development, New York 2016, S. 133ff.

51

 Vgl. die Angaben auf dem Portal <egov.kz> (eingesehen am 30.11.2018). Die beiden Nachfolgeprogramme zielen dar­über hinausgehend auf die Schaffung einer Informations­gesellschaft sowie die Digitalisierung von Wirtschaft und Staat. Sie sehen staatliche Investitionen in Höhe von umgerechnet über 300 Millionen Euro in den Jahren 2018–2021 vor. Pravitel’stva RK, Gosudarstvennaja programma »Cifrovoj Kazahstan« [Staatliches Programm »Digitales Kasachstan«], Astana, <https://primeminister.kz/ru/page/view/gosudarst vennaya_programma_digital_kazahstan> (eingesehen am 2.12.2018).

52

 UN DESA, United Nations E-Government Survey 2018 [wie Fn. 48], S. 246.

53

 Dieses Argument findet sich ähnlich auch bei Seraphine F. Maerz, »The Electronic Face of Authoritarianism: E-Govern­ment as a Tool for Gaining Legitimacy in Competitive and Non-Competitive Regimes«, in: Government Information Quarterly, 33 (2016) 4, S. 727–735.

54

 Dass der EPART-Index überhaupt diese Möglichkeit bietet, wurde bereits in der Vergangenheit kritisiert: Åke Grönlund, »Connecting eGovernment to Real Government. The Failure of the UN eParticipation Index«, in: Marijn Janssen u.a. (Hg.), Electronic Government, Berlin/Heidelberg 2011, S. 26–37.

55

 Zur Kritik am Governance-Paradigma vgl. Claus Offe, »Governance – ›Empty Signifier‹ oder sozialwissenschaft­liches Forschungsprogramm?«, in: Gunnar Folke Schuppert u.a. (Hg.), Governance in einer sich wandelnden Welt, Wiesbaden 2008, S. 61–76.

56

 OECD, Towards an Open Government in Kazakhstan [wie Fn. 43], S. 13.

57

 Vgl. die Angaben auf der Website der Botschaft Kasach­stans bei der UN, <https://www.kazakhembus.com> (einge­sehen am 30.11.2018).

58

 Informburo, »Soobshhat’ o faktah korrupcii gotovy bol’she 70% oproshennyh astanchan« [70 Prozent der be­frag­ten Bürger Astanas sind bereit, Fakten über Korruption an­zuzeigen], 2018, <https://informburo.kz/novosti/soobshchat-o-faktah-korrupcii-gotovy-bolshe-70-oproshennyh-astanchan.html> (eingesehen am 2.12.2018).

59

 So lassen sich etwa in Bürgerämtern Videoboxen nut­zen, um Kontakt mit Ministerien aufzunehmen. Ein großer mit Kamera ausgestatteter Bildschirm suggeriert dabei, man könne eine Videobotschaft direkt an einen Minister schicken. Unabhängig davon, ob das wirklich funktioniert – entscheidend ist, dass der Bürger die Kabine allein betritt und dem Staat gleichsam vereinzelt gegenübersteht.

60

 »Na sluzhebnye mashiny gosorganov v Almaty nachali kleit’ opoznavatel’nye stikery« [Behördliche Dienstwagen in Almaty werden ab sofort mit Aufklebern gekennzeichnet], Zakon.kz, 6.10.2017, <https://www.zakon.kz/4881883-na-sluzhebnye-mashiny-gosorganov-v.html> (eingesehen am 2.12.2018).

61

 Anton Serginenko, »Posle akcii naklejki so sluzhebnyh avto ischezli, a avto gos. sluzhashhih obnaruzhilos’ v zone otdyha« [Nachdem die Aufkleber-Aktion bei Dienstwagen zum Erliegen gekommen war, wurde ein Auto in einer Ur­laubsanlage entdeckt], 19.10.2017, <http://www.gorodpavlo dar.kz/News_56240_4.html> (eingesehen am 2.12.2018).

62

 »Nakazannyj zamakima Ust’-Kamenogorska pristupil k obshhestvennym rabotam« [Der verurteilte Vizegouverneur von Ust-Kamenorgorsk ist zum Sozialdienst angetreten], Tengrinews, 5.11.2017, <https://tengrinews.kz/kazakhstan_ news/nakazannyiy-zamakima-ust-kamenogorska-pristupil-330258/> (eingesehen am 2.12.2018).

63

 Vitalij Volkov, »›Publichnye figury‹ prikrojut ›nepublich­nyh‹« [»Öffentliche Personen« werden »nichtöffentlich«], in: Novaya Gazeta Kazahstan, 19.9.2018, <https://novgaz.com/ index.php/2-news/2150> (eingesehen am 2.12.2018).

64

 Interview mit Umweltaktivistin, Almaty, Oktober 2017.

65

Vgl. die Informationen auf der Seite <https://urbanforum. kz/wealmaty_smartcity_2018> (eingesehen am 20.11.2018).

66

 Vgl. die Informationen auf der Seite <https://almaty-urban-re-hub.timepad.ru/events/> (eingesehen am 20.11.2018).

67

 Damit unterscheidet sich Kasachstan beispielsweise von China, wo Demonstrationen vom Regime als Stimmungs­indikatoren genutzt werden.

68

 Vgl. die Angaben auf <https://www.internetworldstats. com/asia.htm#kz> (eingesehen am 20.11.2018).

69

 Ethan Zuckerman, »Intermediary Censorship«, in: Ronald Deibert u.a. (Hg.), Access Controlled: The Shaping of Power, Rights, and Rule in Cyberspace, Cambridge 2010, S. 71–86.

70

 Ronald Deibert, »Kazakhstan«, in: Deibert u.a. (Hg.), Access Controlled [wie Fn. 69], S. 183–190; »V KNB peredali sluzhbu, upravljajushhuju setjami telekommunikacij v Kazahstane« [In den KNB wurde der Dienst eingegliedert, der Kasachstans Telekommunikationsnetze verwaltet], Tengrinews, 3.8.2017, <https://tengrinews.kz/kazakhstan_news/knb-peredali-slujbu-upravlyayuschuyu-setyami-323502/> (ein­gesehen am 26.9.2018).

71

 Freedom House, »Freedom on the Net 2018: Kazakhstan«, <https://freedomhouse.org/report/freedom-net/2018/ kazakhstan> (eingesehen am 2.12.2018).

72

 Casey Michel, »US Judge Rejects Kazakhstan’s Facebook Demands«, in: The Diplomat, 8.3.2016, <https://thediplomat. com/2016/03/us-judge-rejects-kazakhstans-facebook-demands/> (eingesehen am 2.12.2018).

73

 Pavel Atojanc, »MIK RK dali 1,7 milliarda tenge na moni­toring SMI« [Das MIK stellt Mittel in Höhe von 1,7 Milliarden Tenge für die Überwachung der Massenmedien bereit], Ten­grinews, 13.1.2018, <https://tengrinews.kz/kazakh stan_news/ mik-rk-dali-17-milliarda-tenge-na-monitoring-smi-335112/> (eingesehen am 27.9.2018). Zugleich wird im öffentlichen Raum ein Ausbau der Videoüberwachung erprobt – in der Hauptstadt Astana testet man derzeit eine flächendeckende automatisierte Gesichtserkennung. Akimat Astany, Polozhenie [Regelung], Astana 2018, <http://astana.gov.kz/ru/news/news/ 13081> (eingesehen am 26.9.2018).

74

 Wie schnell es zu einer solchen Politisierung kommen kann, hat die Sperrung des Messengers Telegram in Russland gezeigt, Andrey Pertsev, Russia’s Ban on Telegram Has Politicized the Workspace Overnight, Moskau: Carnegie Moscow Center, 2018, <https://carnegie.ru/commentary/76150> (eingesehen am 26.9.2018).

75

 Astany, Polozhenie [wie Fn. 73].

76

 Grundlegend dazu: Christian Goebel, »Das Innovationsdilemma und die Konsolidierung autokratischer Regime«, in: Autokratien in Vergleich (Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 47/2012), S. 132–156.

77

 Volkov, »›Publichnye figury‹ prikrojut ›nepublichnyh‹« [wie Fn. 63].

78

 Vgl. den Eintrag von Dosym Satpajew auf seiner Facebook-Seite: <https://www.facebook.com/dosyms/posts/ 1932964393458624> (eingesehen am 20.11.2018).

79

 Freedom House, »Freedom on the Net 2018« [wie Fn. 71].

80

 Aigerim Toleukhanova, »Kazakhstan: Land Protest Trial Ends With 5-Year Jail Sentences«, Eurasianet, 28.11.2016, <https://eurasianet.org/kazakhstan-land-protest-trial-ends-5-year-jail-sentences> (eingesehen am 2.12.2018).

81

 International Bureau for Human Rights Kazakhstan, Report, Almaty 2017.

82

 Joanna Lillis, »Kazakhstan: Political Facebook Posts Land Man with 4-Year Jail Term«, Eurasianet, 1.12.2018, <https://eurasianet.org/kazakhstan-political-facebook-posts-land-man-with-4-year-jail-term> (eingesehen am 2.12.2018).

83

 Vgl. zur staatlichen Steuerung öffentlicher Empörung am Beispiel Russlands: Florian Toepfl, »Managing Public Outrage. Power, Scandal, and New Media in Contemporary Russia«, in: New Media & Society, 13 (2011) 8, S. 1301–1319.

84

 So konnten etwa Einzelhändler mit einer Beschwerde beim Bürgermeister von Almaty verhindern, dass Zeitungskioske durch eine Gesetzesänderung vollständig verboten wurden – was die Existenzgrundlage der Einzelhändler zerstört hätte. Interview mit der ehemaligen Mitarbeiterin einer lokalen NGO, Almaty, September 2017.

85

 Dazu trug auch die zugespitzte Bildsprache bei, denn hinter der Bühne war an einer Wand der Satz zu lesen: »Vergesst unsere Helden nicht.«

86

 »Skandal v socsetjah: foto, gde pod dozhdem moknet veteran obletelo ves’ Kaznet« [Skandal in den sozialen Medien: Das Foto eines Veterans, der im Regen nass wird, kursiert im gesamten Kaznet], Zakon.kz, 8.5.2015, <https://www.zakon.kz/4709913-skandal-v-socsetjakh-foto-gde-pod.html> (eingesehen am 2.12.2018).

87

 Interview mit der Leiterin einer lokalen NGO, Almaty, September 2017.

88

 Farangis Najibullah/Dmitriy Belyakov, »Kazakh Family Breaks Rape Silence to Publicly Demand Justice«, Radio Free Europe/Radio Liberty, 5.9.2016, <https://www.rferl.org/a/ kazakhstan-gang-rape-family-breaks-silence-demands-justice/27968155.html> (eingesehen am 26.9.2018). Mittlerweile ist aus diesem Fall eine ganze Bewegung entstanden, die – geführt vom damaligen Opfer – Kampagnen gegen eine Kultur des Schweigens organisiert. Abdujalil Abdurasulov, »Speaking Up about Rape in a Conservative Country«, BBC, 18.3.2018, <https://www.bbc.com/news/world-asia-43247005> (eingesehen am 26.9.2018).

89

 Unter anderem warf die Initiative der Polizei vor, nichts zur Eindämmung von Kriminalität getan zu haben und Verbrechensopfer nicht hinreichend zu unterstützen, Almaz Kumenov, »After High-Profile Murder, Kazakhstan’s Police Seek Makeover«, Eurasianet, 14.8.2018, <https://eurasianet. org/after-high-profile-murder-kazakhstans-police-seek-makeover> (eingesehen am 26.9.2018). Ein Mitglied des Gesellschaftlichen Rates veröffentlichte die Kommunikation zwischen der Bewegung und dem Parlament auf Facebook: <https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=1881793805261033&id=100002912954870> (eingesehen am 20.11.2018).

90

 Arina Gorbunova, »Reformy policii ›po-gruzinski‹ v Kazahstane ne budet« [Eine Reform der Polizei im Stil Georgiens wird es in Kasachstan nicht geben], Forbes.kz, 14.10.2018, <https://forbes.kz/process/reformyi_politsii_
po-gruzinski_v_kazahstane_ne_budet/
> (eingesehen am 2.12.2018).

91

 Dies führt auch zu Selbstzensur.

92

 Ein deutliches Beispiel ist der Fall Anna D., die auf­deckte, dass die örtlichen Bürgerämter, die sogenannten CONs, Einwohnerdaten an Privatinstitutionen weitergeben, etwa an Banken. Frau D. veröffentlichte dazu Material und Video­aufnahmen auf ihrer Facebook-Seite, was zu großer Entrüstung unter Internetnutzern führte. Ihr Beitrag wurde 25 000 Mal geteilt und über 3000 Mal kommentiert. Laut D. ist die Angelegenheit aber weiter ungeklärt. Es gab zwar eine Stel­lungnahme des lokalen Bürgeramtes, der Fall fand aber keinen Widerhall in den offiziellen Medien. Vgl. den Eintrag auf der Facebook-Seite von Anna D., <https://www.facebook. com/pravo.anna/posts/1562155337212278?comment_id=
343315646433936
> (eingesehen am 2.12.2018).

93

 Luca Anceschi, »The Persistance of Media Control under Consolidated Authoritarianism. Containing Kazakhstan’s Digital Media«, in: Demokratizatsiya, 23 (2015) 3, S. 277–295 (291).

94

 David Lewis, »Blogging Zhanaozen. Hegemonic Discourse and Authoritarian Resilience in Kazakhstan«, in: Central Asian Survey, 35 (2016) 3, S. 421–438.

95

 Ebd.

96

 Anceschi, »The Persistance of Media Control« [wie Fn. 93], S. 291.

97

 Sebastian Schiek/Stephan Hensell, »Seeing Like a Presi­dent: The Dilemma of Inclusion in Kazakhstan«, in: Susan Stewart/Margarete Klein/Andrea Schmitz/Hans-Henning-Schröder (Hg.), Presidents, Oligarchs and Bureaucrats. Forms of Rule in the Post-Soviet Space, Burlington/Farnham 2012, S. 203–232.

98

 Marat Shibutov, »Jevoljucija Facebook v Kazahstane: ot zhalobnoj knigi do politicheskogo rychaga?« [Die Evolution von Facebook in Kasachstan: Vom Beschwerdebuch zum politischen Hebel], Regnum, 31.7.2017, <https://regnum.ru/ news/2305397.html> (eingesehen am 2.12.2018).

99

 Vjacheslav Polovinko/Svetlana Glushkova, »Ministerstvo informacii ili ›ministerstvo pravdy‹?« [Ministerium für Infor­mation oder Ministerium für Wahrheit?], Radio Azattyk, 6.5.2016, <https://rus.azattyq.org/a/ministerstvo-informacii-i-kommunikacij-kazakhstan-dauren-abaev/27719688.html> (eingesehen am 2.12.2018).

100

 Beobachtung des Autors in Astana, Oktober 2017.

101

 »Erlan Karin vozglavil RTRK Kazahstan« [Erlan Karin wird Leiter des Fernsehsenders RTRK Kazahstan], Tengrinews, 9.2.2017, <https://tengrinews.kz/kazakhstan_news/erlan-karin-vozglavil-rtrk-kazahstan-311851/> (eingesehen am 2.12.2018).

102

 Serikzhan Mauletbaj, »Aktivisty govorjat o kriticheskom zagrjaznenii vozduha v Almaty. ›Kazgidromet‹ oprovergaet« [Aktivisten berichten über kritische Luftverschmutzung in Almaty. Die Kazgidromet-Behörde wehrt sich], Informburo, 20.11.2018, <https://informburo.kz/novosti/ kazgidromet-oproverg-vysokoe-zagryaznenie-vozduha-v-almaty.html> (eingesehen am 20.11.2018).

103

 Vadim Borejko, »Bumazhnaja vojna za Kok-Zhajljau. Jekologi i zastrojshhiki rubjatsja na Nebesnom pastbishhe« [Papierkrieg um Kok-Zhajljau. Ökologen und Bauherren streiten sich über himmlisches Grasland], Ferghananews, 15.11.2018, <https://www.fergananews.com/articles/10288> (eingesehen am 20.11.2018).

104

 David Lewis/John Heathershaw/Nick Megoran, »Illiberal Peace? Authoritarian Modes of Conflict Management«, in: Cooperation and Conflict, 53 (2018) 4, S. 486–506.

105

 Egal wie Proteste beginnen, gerade in autoritären Systemen drohen sie sich stets zu verselbständigen und gegen das Regime zu richten.

106

 Bildlich gesprochen finden sich die Ausstellungsstücke aus dem Schaufenster also teilweise auch in den Regalen des Ladens als »echte« Produkte wieder.

107

 So die Wahrnehmung des Autors während des Gesprächs mit einem kasachischen Diplomaten, 2018.

108

 So zum Beispiel der Bericht OECD, Kazakhstan. Territo­rial Review 2017, Paris 2017, <http://www.oecd.org/gov/oecd-territorial-reviews-kazakhstan-9789264269439-en.htm> (ein­gesehen am 2.12.2018). Solche OECD-Berichte sind in der Regel mit den Regierungen der betreffenden Länder abgestimmt.

109

 Zur hierarchischen Steuerung vgl. Fritz W. Scharpf, Interaktionsformen. Akteurzentrierter Institutionalismus in der Politikforschung, Opladen 2000, S. 281–300. Das Problem hierarchischer Steuerung wird auch auf Seminaren der »Prä­sidentenpartei« Nur Otan gelehrt, Beobachtung des Autors auf Facebook, vgl. den Videomitschnitt unter <https://www. facebook.com/sayasat/videos/10155241217787998/> (ein­gesehen am 20.11.2018).

110

 Dass sich die Exekutive nicht selbst kontrollieren kann, hat bereits Max Weber eindrücklich am Beispiel des Deutschen Reiches vor 1918 dargelegt. Max Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland. Zur politischen Kritik des Beamtentums und Parteiwesens, München/Leipzig 1918.

111

 Ashimbaev, »Doverie naroda – jeto tot resurs, iz koto­rogo prezident cherpaet sily« [wie Fn. 46].

112

 Petrov/Lipman/Hale, »Three Dilemmas of Hybrid Regime Governance« [wie Fn. 21].

113

 Zumindest suggerieren das die Proteste vor allem junger Menschen gegen Korruption in Russland, siehe dazu Sabine Fischer, Anti-Korruptions-Proteste in Russland. Gesellschaft und Staat vor den Präsidentschaftswahlen 2018, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Juli 2017 (SWP-Aktuell 50/2017). Zur Korruption in Kasachstan: Schiek, Widersprüchliche Staatsbildung [wie Fn. 3].

114

 Saltanat Janenova/Pan Suk Kim, »Innovating Public Service Delivery in Transitional Countries. The Case of One Stop Shops in Kazakhstan«, in: International Journal of Public Administration, 39 (2016) 4, S. 323–333.

115

 Das Verhältnis zwischen Regime und Unternehmern steht nicht im Hauptfokus dieser Untersuchung, da Letztere ohnehin stark im Umkreis politischer Machtgruppen agie­ren. Für die Interaktion zwischen Regime und Unternehmern bestehen zusätzliche Arenen und Kanäle, vgl. dazu Martin Brusis, »Staat und Wirtschaftsakteure in postsowjetischen elektoralen Autokratien«, in: Steffen Kailitz/Patrick Köllner (Hg.), Autokratien im Vergleich (PVS Sonderheft 47), S. 303–328.

116

 Peter Evans, »Theorie und Praxis des Entwicklungsstaats im 21. Jahrhundert«, in: Hans-Jürgen Burchardt/Stefan Peters (Hg.), Der Staat in globaler Perspektive. Zur Renaissance der Entwicklungsstaaten, Frankfurt a.M. 2015, S. 99–124.

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