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Israels widersprüchliche Gasexportpolitik

Das Werben für eine transkontinentale Pipeline steht dem erklärten Ziel regionaler Kooperation entgegen

SWP-Aktuell 2019/A 58, 30.10.2019, 4 Seiten

doi:10.18449/2019A58

Forschungsgebiete

Um seine Gasvorkommen zu vermarkten, setzt Israel bislang auf Exporte nach Ägyp­ten und Jordanien. Durch regionale Vernetzung im Energiebereich, etwa im Rahmen des Anfang 2019 gegründeten Eastern Mediterranean Gas Forums (EMGF), verspricht sich die israelische Regierung bessere politische Beziehungen mit der Region. Gleich­zeitig hofft Israel auf den Bau der EastMed-Pipeline. Sie würde einen direkten Export­link nach Europa schaffen, damit aber die Energiekooperation mit den arabischen Nach­barn unterminieren. Die Europäische Union (EU) sollte die regionale Energie­koopera­tion befördern, da diese die Zusammenarbeit auf anderen Gebieten begünstigen könnte. Ent­sprechend sollte die EU den Bau der EastMed-Pipeline nicht unterstützen.

Laut Schätzungen verfügt Israel über 800 Mil­liarden (Mrd.) bis 1 Billion Kubik­meter (m³) Erdgas. Sein Eigenverbrauch liegt bei circa 10 Milliarden m³ jährlich; 2017 ent­sprach das einem Anteil von circa 35 % des ge­sam­ten Energie­verbrauchs. Bisher ist die Er­schlie­ßung der Gas­vorkommen zum Ex­port des Gasüberschusses jedoch nicht weit vor­an­geschritten. Dies ist die Folge der über­hasteten israelischen Energiepolitik, die ein Resultat der Energiekrise 2011–2013 ist.

Damals kamen zwei Entwicklungen zu­sammen: Erstens zwangen anhaltende An­schläge auf Pipelines auf der Sinai-Halbinsel den wichtigsten Gaslieferanten Ägypten, im Sommer 2011 seine Gaslieferungen an Israel auszusetzen. Zweitens erschöpfte sich das einzige entwickelte israelische Gasfeld, Yam Tethys, Anfang 2012. Infolge­dessen hat die israelische Regierung alle Lizenzen für die Gasfelder Tamar, Leviathan, Karish und Tanin ohne Ausschreibung an das amerikanisch-israelische Konsortium Noble Energy / Delek Drilling vergeben, das die Gasvorkommen entdeckt hatte. Eine schnelle Vergabe sollte die Erschließung beschleunigen. Außerdem hat das israelische Staatsunternehmen Israel Elec­tric Corpor­ation (IEC) dem Kon­sor­tium einen bis 2021 stabilen Abnahmepreis zuge­sichert, der über dem Marktpreis liegt. Die Monopolstellung von Noble / Delek hat durch fehlenden Konkurrenzdruck aller­dings nicht zur Er­schließung neuer Gas­felder geführt; überdies verstieß sie gegen israelisches Kartellrecht. Klagen folgten, Interventionen des Kartell­amts zwangen Noble / Delek zum Verkauf von Anteilen an den Gasfeldern – die Erschlie­ßung der Gasfelder verzögerte sich weiter.

Umstrittene Exportstrategie

In der nachfolgenden Debatte mahnten Kritiker aus dem Energieministerium und dem Israeli Institute for Economic Plan­ning, nationale Gas­reserven seien für Israels strategische Autonomie und den eigenen Energiebedarf unab­ding­bar. Regie­rung, Außen­ministerium und Natio­naler Sicher­heitsrat halten bis heute an der Export­absicht fest; sie beauftragten den über­ministeriellen »Tzemach«-Aus­schuss mit der Ausarbeitung einer Regie­rungspolitik. Gemäß dem 2012 vor­gelegten Bericht könnten bis zu 50 % des Gas­vorkommens exportiert werden. 2018 hat der »Adiri«-Ausschuss in einer Fünf-Jahres-Evaluierung diese Ein­schätzung rela­tiviert: Ab 2030 sei in Israel mit einem Energiemangel zu rechnen, da die Gas­vorkommen durch stei­genden Ver­brauch (Pro­gnose für 2040: 35 Mrd. m³ jähr­lich) und die Um­stel­lung der Strom­erzeu­gung von Kohle auf Gas zur Neige gehen würden.

Diese unklare Politik nach der Energiekrise 2011–2013 verwirrte ausländische Investoren und hielt sie vom israelischen Markt fern. So trat 2014 die australische Firma Wood­side unerwartet vom Anteilskauf am Gas­feld Leviathan zurück und mit Edison ver­abschiedete sich im August 2018 ein bereits aktives Energieversorgungs­unternehmen vom israelischen Markt. In zwei Ausschreibungsrunden für Förder­lizenzen haben nur das griechische Unter­nehmen Energean und ein indisches Kon­sortium Konzessionen erworben. Energean erläu­terte, wie lange die Entwicklung der Felder Karish und Tanin dauere, hänge nicht nur von der Nach­frage am israelischen Markt ab, sondern vor allem von Export­perspektiven. Die israeli­sche Regie­rung betrachtet den Ausbau von Export­mög­lich­keiten darum als Mittel für die wirt­schaft­liche Erschließung ihrer Gasvorkommen.

Ausbau regionaler Kooperation

Naheliegende Abnehmer für israelisches Erdgas sind Jordanien und Ägypten, doch die Marktsituation in der Region ändert sich schnell: Während Ägypten in der Ver­gangenheit auf Gasimporte angewiesen war, kann es seit Anfang 2019 durch hei­mische Erdgasförderung seinen Eigenbedarf decken. Allerdings hat die ägyp­tische Regie­rung viel in Gasver­arbeitung und Ver­flüssigungs­anlagen investiert; die Kosten würden sich nur durch hohe Exporte amortisieren – wozu das Land weiterhin Gas importieren müsste. Ein derartiger Erdgashandel könnte Ägypten zur Drehscheibe für den Export von Flüssig­gas machen. Auch das hohe Bevölkerungswachstum lässt erwarten, dass Ägypten in Zukunft erneut Erdgas importieren muss.

Nachdem es seit 2011 zwischen der IEC und der Regierung in Kairo Streit um die Gaslieferungen gegeben hatte, haben sich beide Länder 2018 geeinigt: Israel soll 10 Jahre lang circa 7 Milliarden m³ Erd­gas jähr­lich nach Ägypten exportieren.

Für den Gasexport verfügt Israel über eine Pipeline bei Sodom, die seit 2017 ge­ringe Mengen Gas nach Jordanien pumpt, und die seit 2011 brachliegende Arisch-Aschkelon-Pipeline, an der Noble / Delek Ende 2018 für 518 Millionen US-Dollar 39 % der Anteile erworben hat. Expertenberichten zufolge kann die Exportverbindung bei Aschkelon über das nationale Pipeline­system aber nur mit 2 bis 3 Milliar­den m³ pro Jahr beliefert werden. Des Weiteren muss die Transportrichtung der Pipeline umgekehrt werden, was aufwendig ist und israe­lische Gaslieferungen nach wie vor verzögert. Gegen israelische Exporte spricht auch, dass das ägyp­tische Pipelinenetz auf der Sinai-Halbinsel bereits in Gegenrichtung mit Exporten nach Jordanien belegt ist. Ein Export­stopp ist unwahrscheinlich, weil Kairo beabsichtigt, 2019 die Hälfte des jor­da­­nischen Gas­bedarfs zu stellen. Wenn Israel die – zur Erschließung der eigenen Gas­felder not­wendige – Kooperation mit den Nach­bar­ländern verstetigen oder aus­bauen möchte, muss es in jedem Fall zeit­nah in zusätzliche Infrastruktur investieren.

Auch der Bau einer dritten Export-Pipeline, die bereits Ende 2019 fertiggestellt werden und jähr­lich 3 Milliarden m³ Gas nach Jordanien exportieren soll, verläuft nicht unproblematisch. Da viele Jordanier die Kooperation mit Israel für Verrat an den Palästinensern halten, gibt es in der Bevöl­kerung Widerstand. Jorda­nische Parlamentarier drohen, den Import­vertrag auf­zu­kündigen, oder rufen zur Sabotage der Pipeline auf.

Um die regionale Gaskooperation dennoch voranzubringen, ist Israel Anfang 2019 als Gründungsmitglied dem EMGF beigetreten. Ihm gehören außerdem Ägypten, Jordanien, Zypern, Griechenland, Italien und die Palästinensische Autonomie­behörde an. Das Forum soll durch Abstim­mung der Energie­politiken der Mitglieds­länder einen gemein­samen Gasmarkt im Ostmittel­meerraum schaffen. Derzeit ist das EMGF ein lockerer Zusammenschluss und dient lediglich der Kommunikation. Trotz­dem ist es ein viel­versprechendes Format: Es soll erstens Erwartungen und Ziele der Gas­importeure und ‑exporteure der Region in Einklang bringen, zweitens Ver­sorgungs­sicherheit garantieren, drittens Inter­depen­denz fördern, indem Preise ab­gesprochen und Infrastruktur zusammen­geführt wird. Vor allem Israel hofft, dass es durch die Zusammen­arbeit im EMGF sein Verhältnis zu Jordanien und Ägypten verbessern kann: von der aktuellen Sicherheits­kooperation über den Ausbau der Wirtschafts­bezie­hungen hin zu einer Norma­lisierung und Ver­tiefung der politischen Beziehungen.

Die EastMed-Pipeline

Jedoch setzt Israel nicht nur auf Exporte in die Region, sondern auch auf den geplanten Bau einer Pipeline nach Europa. Eine solche transkontinentale Pipeline unterstützen ebenso Zypern, Griechen­land und Italien. 2015 haben sie die EU-Kommission auf­gefor­dert, das sogenannte EastMed-Pro­jekt als Project of Common Interest (PCI) zu defi­nieren (Nr. 7.3.1) und es in den Ten-Year Network Development Plan auf­zunehmen (Project Code: TRA-N-330), der die Energie-Infrastruktur in der EU ver­netzen will. Das Pipelineprojekt fügt sich damit ein in den Rahmen des Southern Gas Corridors, den das Europäische Parla­ment (EP) und der Rat der Europäischen Union in der Verordnung 347/2013 beschlossen haben. Ende 2015 hat die EU-Kommission mit Unterstützung durch den Kommissar für Klimapolitik und Energie, Miguel Arias Cañete, diese Ver­ordnung angepasst, indem sie das Pipe­line­projekt der zweiten PCI-Liste hinzugefügt hat. Rat und EP haben der Liste zugestimmt, zwei Monate später trat sie in Kraft.

Der Bau der EastMed würde 4 bis 5 Jahre dauern und circa 7 Milliarden Euro kosten, wobei die EU die Hälfte der Kosten tragen müsste. Träger der anderen Hälfte und Bau­herr wäre IGI Poseidon, eine Tochter der griechischen DEPA und der italienischen Edison. IGI Poseidon hat 2016 eine Machbar­keitsstudie durchgeführt, die mit 2 Millio­nen Euro über das Programm Con­necting Europe Facility finanziert wurde. 2022 sollen die Ent­wicklungsphase und die Planung des Front-End-Engi­neer­ings ab­geschlossen sein. Dann hängt die end­gültige Umsetzung von der EU-Kommission ab: Sie entscheidet über die Mittelfreigabe.

Die Anbindung an die EU böte Israel einen sicheren Absatzmarkt und einen Aus­weg aus der energiepolitischen Isolation des Nahen Ostens. Damit wäre die EastMed-Pipeline eine Alternative zu Reformen des eigenen Energiemarktes und zum kost­spieligen Ausbau der Infrastruktur mit den teils widerwilligen Nachbarn Ägypten und Jordanien. Doch obwohl die Machbarkeitsstudie den Bau der längsten Pipeline der Welt für realistisch hält, sprechen nicht nur die hohen Kosten und die Sicherheits­lage im Ostmittelmeerraum gegen sie.

Trade-off zwischen regionaler und transkontinentaler Kooperation?

Für Israel ist der Bau der Gasverbindung nach Europa vor allem aus sicherheits­politischen Erwägungen attraktiv. Laut dem israelischen Energieminister Juval Steinitz würde der direkte Gashandel mit der EU den arabischen Staaten die Möglichkeit nehmen, Israel politisch unter Druck zu setzen. Umgekehrt würde dieses Vor­haben aber jegliche regionale Kooperation im Energiebereich unterminieren. Der ex­klusive Zugang zum EU-Gasmarkt, den Israel, Zypern und Griechenland mit dem EastMed-Projekt bekämen, würde die ara­bischen Länder des EMGF marginalisieren und dadurch die Organisation lahmlegen. Wirtschaftliche und politische Poten­tiale eines gemeinsamen Gasmarktes im öst­lichen Mittelmeerraum, wie ihn das EMGF anstrebt, blieben ungenutzt.

Dabei müsste die Entscheidung Israels zwischen regionalem und europäischem Absatzmarkt kein Nullsummenspiel sein: Durch lang­fristige Integration in den regionalen Gas­markt ließe sich auch der europäische Markt bedienen, wenn das Erdgas der Region zu den Verflüssigungs­anlagen in Ägypten transportiert würde. Dies wäre kostengünstiger als der Pipelinebau und würde die Gaslieferanten Zypern und Israel zu weit­reichender Ko­opera­tion mit dem Energieumschlagplatz Ägypten anspornen.

Die wirtschaftliche Kooperation hätte einen wichtigen Neben­effekt: Die sich entwickelnde Interdependenz wäre nicht ohne Weiteres umzukehren und könnte eine Ausweitung der Beziehungen in der Region bewirken. Ins­besondere das EMGF könnte zur Lösung energiepolitischer und zwischenstaatlicher Konflikte beitragen, wie der Aufteilung des Aphrodite-Gasfeldes zwischen Israel und Zypern. Die Dynamik des entstehenden Gasmarktes im Ost­mittelmeer­raum hat bereits dazu geführt, dass zum Beispiel der Libanon, selbst kein EMGF-Mitglied, unter Zugzwang ist, mit dem Erz­feind Israel den Verlauf seiner See­grenzen zu ver­handeln. Auch die Mitgliedschaft der Paläs­tinensischen Autonomie­behörde im EMGF könnte eine neue Kon­stellation im Nahost­konflikt bedeuten. Israel ist mit den Paläs­ti­nensern in Gesprächen über die Förderung des Gas­vorkommens vor der Küste Gazas.

Schlussfolgerungen

Die EU sollte Israels widersprüchlicher Gas­exportpolitik eine klare Position entgegensetzen: Regionale Energiekooperation im öst­lichen Mittelmeer muss Vorrang haben vor einem teuren transkontinen­talen Pipeline­projekt. Der wirt­schaft­liche Nutzen des Projekts ist ohnehin zweifel­haft, weil poten­tielle Liefermengen aus dem Ost­mittel­meer­raum (anfangs 10 Mrd. m³ jähr­lich) im Verhältnis zum euro­päischen Gesamtbedarf unbedeutend sind. Ihr Ziel der Diver­sifizie­rung von Gasimporten aus Dritt­ländern könnte die EU auch ohne Pipeline­bau reali­sieren. So verweist eine Studie der Generaldirektion Externe Politik­bereiche der Union von 2017 auf Ägyptens Schlüsselfunktion am Gasmarkt des Ost­mittelmeer­raums. Sie empfiehlt, auf vorhan­dene ägyp­ti­sche Infra­struktur zu setzen, um den euro­päischen Markt flexibel zu versorgen. Investi­tionen in zusätzliche Infrastruktur seien nur bei funktionierender regionaler Koope­ration sinnvoll. Hinzu kommt das erklärte Inter­esse der EU an zwischenstaatlicher Zu­sammen­arbeit in der Region; sie unter­stützt sie bereits in der Euro­mediterra­nen Partner­schaft, im Barcelona-Pro­zess (heute: Union für den Mit­tel­meerraum) und in der Euro­päi­schen Nachbarschaftspolitik.

Folglich wäre es ziel­führend, wenn die EU den Anspruch des EMGF bestärkt, den Energiemarkt des Ostmittelmeerraums zu einen und zu koordinieren. Dem un­gewis­sen wirtschaftlichen Nutzen des Pipelinebaus steht also der erhebliche poli­tische Nutzen regionaler Kooperation gegen­über. Da auch für Israel die Integra­tion in die Region durch Koope­ration am Gas­markt politische Vorteile böte, sollte die EU das EastMed-Pipeline­projekt nicht weiter fördern. Entsprechende Handlungs­optionen wären: eine Debatte im EP, ein Tages­ordnungs­punkt im Rat, die Streichung von der PCI-Liste durch die EU-Kommission bei der nächsten Vor­lage 2021.

Stefan Wolfrum ist Forschungsassistent im Projekt »Israel in einem konfliktreichen regionalen und globalen Umfeld: Innere Entwicklungen, Sicherheitspolitik und Außenbeziehungen«. Das Projekt ist in der SWP-Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika angesiedelt und wird vom Auswärtigen Amt gefördert.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2019

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