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Handels-Krieg und ‑Frieden

Drei Szenarien und welche Handlungsmöglichkeiten die EU und die Bundesregierung in den Verhandlungen mit US-Präsident Trump haben

SWP-Aktuell 2025/A 34, 14.07.2025, 8 Seiten

doi:10.18449/2025A34

Forschungsgebiete

Zwischen den USA und der Europäischen Union (EU) könnte sich ein vollumfassender Handelskrieg ent­wickeln. Vor drei Monaten erhob US-Präsident Donald Trump am »Liberation Day« hohe Einfuhrzölle gegen fast alle Länder, auch die EU. Dann setzte er sie kurzfristig aus, um mit über 90 betroffenen Handelspartnern zu verhandeln. Anfang Juli, als sie hätten in Kraft treten sollen, hat Trump die Zölle gegen die EU und andere Staaten erneut um einen Monat ver­schoben. In einem Brief an die EU hat Trump höhere Zölle von 30 Prozent ab 1. August angedroht. Dieses Hin und Her zeigt, dass sich die Mitgliedstaaten auf eine Eskalation des Konflikts vorbereiten müssen – diese könnte weit über die Zölle hinausgehen und sogar die Sicherheit der EU gefährden.

Am »Liberation Day«, dem 2. April 2025, erließ US-Präsident Donald Trump sehr hohe neue Einfuhrzölle. Er führte einen Basiszollsatz von 10 Prozent auf alle Waren­importe aus über 180 Ländern ein, wobei nur sehr wenige Länder ausgenommen wurden, darunter Russland. Überdies verkündete er »reziproke Zollsätze« für die Europäische Union und 56 weitere Län­der, die in der Handelsstatistik bei Waren einen Überschuss gegenüber den USA ver­zeichnen. Für Waren aus der EU ver­hängte er einen Einfuhrzoll in Höhe von 20 Pro­zent, anderen Ländern drohte er gar Zölle von bis zu 50 Prozent an. Zwischen den USA und China eskalierte in den darauf­folgenden Tagen der Zollstreit: Beide Regie­rungen steigerten ihre Zölle täglich; dies hätte einen fortgesetzten Warenhandel faktisch unmöglich gemacht. Am 9. April setzte Trump die eine Woche zuvor erlasse­nen »reziproken Zölle« für einen Verhandlungszeitraum von drei Monaten aus. Wäh­renddessen ist der Basiszoll von 10 Pro­zent bereits in Kraft getreten.

Nur mit drei Handelspartnern hat die Trump-Regierung vor Ablauf der Verhandlungsfrist am 9. Juli »Deals« abgeschlossen, mit China, dem Vereinigten Königreich (VK) und Vietnam. Die Einigung mit China sieht bisher nur vor, die Zolleskalation von An­fang April zu stoppen und bis Mitte August über eine mögliche neue Vereinbarung zu Zöllen, Exportkontrollen und ande­ren Fragen zu verhandeln. Das VK und Vietnam hingegen haben jeweils eine gemein­same Erklärung mit der US-Regie­rung unterschrie­ben. In dem Abkommen vom Mai einigten sich die Briten mit den USA auf die Bei­behaltung eines Zollsatzes von 10 Pro­zent, verbunden mit einer Vorzugsbehandlung für Autos und Flugzeugtriebwerke, die für Großbritanniens Volks­wirtschaft von zen­traler Bedeutung sind. Vietnam akzep­tierte einen generellen US-Einfuhrzoll von 20 Pro­zent, nachdem Trump 46 Prozent angedroht hatte. Mit der EU gibt es bislang keine Übereinkunft, wenngleich die Euro­päische Kommission gehofft hatte, dass eine solche noch vor dem 9. Juli erreicht würde. Statt­dessen legte Trump noch ein­mal mit Dro­hungen nach. Kommt es in den nächsten Wochen nicht zu einer Einigung, könnten die hohen Zölle ab 1. August tat­sächlich in Kraft treten.

Zölle ohne Ende

Trump greift in seiner Zollpolitik nicht nur auf traditionelle, sondern auch auf un­orthodoxe Instrumente zurück. In die letz­tere Kategorie fallen die Zölle, die Trump mit »nationalen Notständen« begründet, die er selbst ausgerufen hat auf Basis des Inter­national Emergency Economic Powers Act (IEEPA). Diese »Notstände« bilden die recht­liche Grundlage für die »reziproken Zölle«, die ab 1. August in Kraft treten sollen. Es ist umstritten, ob das Gesetz derart umfassende Exekutivmaßnahmen ohne Zustimmung des Kongresses erlaubt. Zwei föderale Gerichts­höfe hatten die IEEPA-basierten Zölle Anfang Juni verboten; ein Berufungsgericht hat jedoch Tage später das Urteil aufgehoben. Derzeit ist unklar, ob sich in letzter Instanz der Supreme Court gegen Trumps Zölle positionieren wird.

Unabhängig davon, wie der Streit über die Befugnisse des Präsidenten ausgeht, drohen ab Herbst dieses Jahres noch weitere umfassende Zölle: Denn um sogenannte sektorale Zölle zu erlassen, kann die US-Regierung auf ein anderes Gesetz zurückgreifen, das zu den traditionellen Handelsinstrumenten zählt und bisher noch nie durch den Kongress oder Gerichte in Frage gestellt wurde, den Trade Expansion Act. Schon bei seinem Amtsantritt im Januar wies Trump sein Kabinett an, Zölle auf einzelne Produktgruppen auf den Weg zu bringen.

Wie bei früheren Zollentscheidungen zu Aluminium, Stahl, Autos und Autoteilen könnte Trump nun auf Basis von Abschnitt 232 des Trade Expansion Act aufgrund einer »Bedrohung der nationalen Sicherheit« weitere Zölle auf Pharmaprodukte, Luft­fahrt­güter, Halbleiter und kritische Roh­stoffe erheben. Nach Abschluss der regulären Prüf­verfahren, bei denen auch der US-Kon­gress und Stakeholder, die von den Zöllen betroffen wären, mit einbezogen werden müssen, könnten diese schon im Oktober be­kannt gegeben werden. Die bei den Ver­fahren üblichen öffentlichen Anhörungen fanden nämlich bereits statt, und Trump ist befugt, sobald der Wirtschaftsminister seinen Bericht zu den Verfahren vorgelegt hat, alleine über neue Zölle und andere Maßnahmen zu entscheiden. Dafür hat der US-Präsident eine Frist von 90 Tagen, sodass die Zölle Ende Oktober oder spätestes im April 2026 verhängt werden könnten.

Darüber hinaus könnte die Trump-Regie­rung auf Grundlage von Abschnitt 301 des Trade Expansion Act weitere Zölle wegen mutmaßlich unfairer Handelspraktiken gegen einzelne Handelspartner erlassen, auch gegen die EU-Staaten. Kommt sie etwa zu dem Schluss, dass die Digitalsteuern ein­zelner EU-Mitglied­staaten als »unfaire Han­delspraktik« gegenüber US-Unter­nehmen zu bewerten sind, drohen der EU weitere Zölle, die Trump nach Belieben anheben und ohne zeitliche Begrenzung verhängen kann. Bisher hat Trump – ebenso wie Joe Biden – diese früher noch als »Nuklear­option« eingestufte Maßnahme gegenüber China eingesetzt, nicht aber gegenüber engen Verbündeten.

Mehr als nur ein Schlachtplan

Bislang ist es der EU gelungen, geschlossen auf die Zollandrohungen und die tatsäch­lichen Maßnahmen Trumps zu reagieren. Ihre Strategie ist auf wirtschaftliche und politische Schadensbegrenzung ausgerichtet. Sie sollte weiterhin mehrere Szenarien in den Blick nehmen, die auch Folgendes berücksichtigen: dass sich im Hintergrund des Zoll­streits ein Konflikt über die zukünf­tige Lastenverteilung der Verteidigung im Rahmen der Nato abspielt und dass Trump offenbar bereit ist, seine geoökonomischen Interessen über völkerrechtliche Normen zu stellen. Um den Druck auf einzelne Staa­ten zu erhöhen und die EU zu spalten, nutzt Trump in den Verhandlungen über Zölle gleichermaßen sicherheitspolitische Hebel. Drei Szenarien skizzieren mögliche Entwicklungen.

Szenario 1: Früher »Deal«

Im Szenario »Früher ›Deal‹« führen die Ge­spräche in der bis zum 1. August ver­länger­ten Frist zu einer losen Handelsverein­ba­rung, vergleichbar mit dem Abkommen zwischen den USA und dem VK. Die Euro­päische Kommis­sion setzt erstens ihre bereits beschlossenen Gegenzölle auf ein Handelsvolumen von 21,5 Milliarden Euro aus, die als Antwort auf die von Trump eingeführten Stahl- und Aluminium­zölle gedacht waren. Zweitens sieht sie davon ab, weitere Gegenzölle auf ein Handelsvolumen von 95 Milliarden Euro zu erheben, die sie Anfang Mai als Entgegnung auf die von Trump verhängten Zölle auf Autos und Autoteile angedroht hat. Brüssel zeigt guten Willen und legt keine Beschwerde bei der Welthandelsorganisation (WTO) gegen die von Trump eingeführten Stahl- und Alumi­nium­zölle noch gegen die Autozölle ein.

Die EU akzeptiert im Rahmen der frühen Einigung einen generellen US-Einfuhrzoll von 10 Prozent auf die meisten Waren aus der EU, erhält aber feste Quoten für die zollbefreite Einfuhr bestimmter Güter (tariff rate quota, TRQ) zugestanden, etwa für die Einfuhr bestimmter Stahl- und Alu­minium­produkte. Die Zölle auf die meisten Stahl- und Aluminiumprodukte bleiben jedoch bei 25 Prozent. Die US-Regie­rung stellt in Aussicht, dass sie die seit Anfang April geltenden Autozölle in Höhe von 25 Pro­zent auf 10 Prozent absenken könnte, sofern die EU zu Zugeständnissen bei der Regulie­rung von Digitalunternehmen bereit ist. Die schon seit Jahrzehnten bestehenden US-Zölle auf Kleintransporter in Höhe von 25 Prozent bleiben in Kraft. Außerdem vereinbart die Kommission mit der Regie­rung Trump erneut Zielmarken für den gesteigerten Import von verflüssigtem Erdgas (LNG) sowie von Agrarprodukten aus den USA.

Brüssel nimmt sich am Abkommen zwischen den USA und dem VK ein Beispiel und bietet Trump an, sich in Fragen wirt­schaftlicher Sicherheit gegenüber China eng abzustimmen. Die Kommission erläu­tert, man sei im Begriff, das EU-weite Inves­titions-Screening zu verschärfen, und gehe mithilfe des Anti­subventionsinstruments entschieden gegen chinesische Massen­exporte aus subventionierter Überproduk­tion vor. Des Weiteren bereite man sich darauf vor, das Instru­ment gegen Zwangsmaßnahmen (Anti-Coercion Instrument, ACI) gegenüber China anzu­wenden, um sich gegen wirtschaftliche Zwangs­maßnah­men wie zum Bei­spiel ein erneutes Em­bargo seltener Erden zu wehren.

Um die Finanzmärkte zu beruhigen und um einer Annäherung der EU an China auf dem EU-Gipfel Ende Juli entgegenzuwirken, stimmt Trump der Vereinbarung zu. Beide Seiten erklären, dass sie über noch offene Streitfragen, etwa die Regulierung von Digi­tal­unternehmen, weiter verhandeln wollen.

Für die EU bleibt ein nicht geringes Risiko, dass ein schneller »Deal« mit Trump ihr nur eine Atempause verschafft. Im Herbst drohen weitere Zölle, und es besteht die Gefahr, dass Brüssel zu früh schon zu viele Zugeständnisse macht – ohne dass die EU dadurch dauerhaft von US-Zöllen verschont bliebe. Ein grundsätzlicher Ein­wand gegen solche Zugeständnisse ist die mangelnde Vereinbarkeit einer bilate­ralen Zollverabredung mit WTO-Regeln. Lässt sich die EU darauf ein, legiti­miert sie im­pli­zit die Abkehr der USA vom Meist­begüns­ti­gungsprinzip (Most Favoured Nation, MFN).

Aus zwei Gründen könnte die EU dennoch einer frühen Einigung zustimmen: Erstens drängen gerade die wirtschaftlich starken Exportländer in der EU darauf, höhere Ausfälle durch eine Zolleskalation mit Trump zu vermeiden. Zweitens könnte sich eine Mehrheit der EU-Staaten dagegen aussprechen, mit Trump einen Konflikt an »zwei Fronten« – Handel und Sicherheit – zu führen. Ein umfassender, finanziell und politisch kostenintensiver Handelskrieg steht im Widerspruch dazu, dass die EU sich schnell in die Lage bringen will, sicher­heitspolitische Grundsatzentscheidungen zu treffen und eigenständige militärische Fähigkeiten zu finanzieren. Ein »wirtschafts­politischer Waffenstillstand« könnte den Mitgliedstaaten Zeit verschaffen und ihnen unmittelbar die hohen Kosten einer Zoll­eskalation ersparen.

Szenario 2: Im Fegefeuer

Das Szenario »Fegefeuer« beschreibt ein mehr oder weniger qualvolles Verhandeln ohne erkennbaren Kompromiss. Trump ist mit den Angeboten der EU unzufrieden und setzt am 1. August »reziproke Zölle« in Höhe von 50 Prozent in Kraft.

Die Europäische Kommission setzt alles daran, vor dem 1. August einen »Deal« mit Trump abzuschließen, indem sie kleinere Zugeständnisse bei Zöllen macht, höhere LNG- und Agrar­importe aus den USA zusagt sowie ein allgemein gehaltenes Versprechen abgibt, die Regulierung von Plattform­unternehmen in der EU zu lockern. Kurz bevor eine Einigung erzielt wird, fordern die US-Ver­handler jedoch einen weiteren Abbau der Digitalgesetz­gebung, die aus Sicht der Trump-Regierung die freie Meinungs­äußerung unterdrücke und allein dazu diene, US-Unternehmen zu schaden. So verlangt die US-Regierung ein Ende der EU-Auf­lagen zur Content-Moderation, da diese Regeln ihrer Meinung nach eine nicht­tarifäre Handelsbarriere zum Nachteil von US-Digital­unter­nehmen geschaffen hätten.

Als Reaktion darauf erlässt die Europäische Kommission in Absprache mit den Regierungschefs der Mitgliedstaaten vorerst nur die aufgrund der US-amerikanischen Stahl- und Aluminiumzölle bereits be­schlos­senen Gegenzölle: Um Druck auf Trump aufzubauen, kündigt sie einen 25-Prozent-Zoll auf Waren im Wert von 21,5 Milliar­den Euro ab 1. August an. Sie sieht aber davon ab, eine Beschwerde bei der WTO einzureichen. Die zuletzt intensiv geführten Verhandlungen mit der US-Regierung setzt sie über den Monat Juli fort.

Während der Stop-and-go-Verhand­lun­gen nutzt Trump mehrere politische Provo­ka­tionen, um die bisher einheitlich agie­ren­den EU-Staaten zu spalten: Nach Über­nahme der Ratspräsidentschaft arbeitet die dänische Regierung mit anderen EU-Mit­gliedern im Juli an einem Vorschlag für einen »besseren ›Deal‹ mit Trump«, anstatt auf Trumps Forderungen einzugehen. Trump und andere Mitglieder seiner Regie­rung kündigen daraufhin ein weiteres Mal an, Grönland aus Gründen der eigenen natio­na­len Sicherheit stärker wirtschaftlich an die USA anzubinden. Spekulationen über eine von Trump geplante, mutmaßlich völkerrechtswidrige territoriale Ausdehnung der USA auf dänisches Gebiet kehren zurück. Die dänische Regierung hat alle Hände voll damit zu tun, an die Solidarität der anderen EU­- und Nato-Mitgliedstaaten zu appellieren für den Fall, dass Trump ernst macht. Handelsfragen treten in den Hintergrund.

Zudem spricht sich Trump gegen eine Verschärfung der US-Sanktionen gegenüber Russland aus und hält erneut Waffenlieferungen an die Ukraine zurück. Polen, Deutschland und die baltischen Staaten befürchten, der US-Präsident könnte als Nächstes neue Pläne öffentlich machen, in Deutschland stationierte US-Truppen ab­zuziehen. Sie fürchten das Signal einer »offenen Flanke« an den russischen Präsi­den­ten Wladimir Putin. Daher fordern sie die Europäische Kommission dazu auf, Trump schnell ein neues, attraktiveres Verhandlungsangebot im Handelsstreit zu unterbreiten. Eine Gruppe von Staaten, die härtere Handelsmaßnahmen befürworten, angeführt von Frankreich, mahnt hingegen zu mehr europäischer Souveränität.

Bei einem ad hoc einberufenen Ratstreffen fordern einige EU-Mitglieder von der Kommission, den Einsatz des ACI gegenüber den USA zu prüfen. Mit Trumps jüngs­ten Erklärungen zu Zöllen sei das Kriterium einer »Androhung wirtschaftlichen Zwangs« mehr als erfüllt. Trump reagiert auf Social Media ungehalten auf die Gespräche der EU-Staaten über einen Einsatz des ACI. Nach hitzigen Debatten unter den EU-Län­dern kommt es zur Abstimmung: Die Vetos mehrerer Mitgliedstaaten verhindern, dass eine für die Initiierung des ACI not­wendige qua­lifizierte Mehrheit (mindestens 15 von 27 Mitglied­staaten, die mindestens 65 Pro­zent der EU-Bevölkerung repräsentieren) erreicht wird. Trump kündigt daraufhin an, die volle Band­breite an Zoll­maßnahmen – sektorale und länderspezifische Zölle – gegen die EU einzusetzen.

Die Kommission führt die Verhandlungen mit Trump fort. Anstelle des ACI will sie ab 1. September die noch ausstehenden Gegenzölle auf aus den USA importierte Waren im Wert von 95 Mil­liarden Euro in Kraft setzen. Diese Zölle hat sie schon im Mai als Reaktion auf Trumps Autozölle ins Spiel gebracht. An der Einheit der EU-Län­der im Zollstreit mit Trump sind inzwischen allerdings erhebliche Zweifel ent­stan­den. Für die EU steigen die wirtschaftlichen Kosten der bereits erlassenen Zölle, sie »hangelt« sich im Zollstreit mit dem ame­ri­kanischen Prä­sidenten weiter »durch«. Der Handlungsdruck reicht jedoch nicht aus, um bereits angestoßene Initiativen der Euro­päischen Kommission umzusetzen, die zu mehr außenpolitischer Souveränität beitragen sollen – etwa ReArm Europe, die Kapitalmarkt­union, die Stärkung der globa­len Rolle des Euro, Global Gateway sowie Handelsabkommen mit anderen Staaten.

Szenario 3: Handels- und Wirtschaftskrieg

Im Szenario »Handels- und Wirtschaftskrieg« eskaliert der Zollstreit zwischen den USA und der EU über die Sommermonate vollends. Einen generellen Ein­fuhrzoll der USA von 10 Prozent hätte die EU in Kauf genommen, nicht aber ihre Digital­gesetze abzuschaffen und überdies den für 2026 geplanten CBAM – den Grenz­ausgleichs­mechanismus für CO2-intensiv produzierte Güter aus Drittstaaten – gegen­über den USA auszusetzen. Der Präsident des Euro­päischen Rates erklärt, mit den USA werde Europa nur auf Augenhöhe verhandeln »oder gar nicht«. Trump ent­scheidet sich dafür, an der EU ein Exempel für alle weiteren Staaten zu statuieren. Sie sollen sehen, wie hart der US-Präsident sogar enge Verbündete abstraft, wenn sie seine Forde­rungen nicht akzeptieren: Er erhöht den »reziproken« Einfuhrzoll gegen­über der EU auf 75 Prozent.

Trumps Anfeindungen und Drohungen überschreiten aus Sicht der EU-Länder mehrere »rote Linien« in der Außen- und Sicherheitspolitik. Mehrere Mitglieder der US-Regierung prangern an, die EU würde mit Regeln zur Content-Moderation auf Social-Media-Plattformen das Recht »kon­servativer« Parteien auf freie Meinungs­äußerung unterdrücken. Die EU habe in gemeinsamen Gesprächen keinerlei Bereit­schaft gezeigt, ihre »diskriminierenden« Gesetze wie gefordert abzuschaffen. Der US-Präsident erklärt, das Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA) und das Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) der EU seien nur dazu erlassen worden, US-Unternehmen »über den Tisch zu ziehen«. Er verlangt die »Abschaffung der Gesetze«.

Trump behauptet zudem, die EU ver­hindere »Frieden in der Ukraine«. Er blo­ckiert das Vorhaben des Kongresses, die Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu verschärfen. Statt mit der EU vereinbart er ein Treffen mit Putin. Um dem russischen Präsidenten entgegenzukommen, stoppt Trump weitere wichtige militärische Unter­stützung für die Ukraine.

Der Druck auf die europäischen Nato-Mitglieder steigt, eine Strategie zu entwickeln, wie sie die Ukraine ohne die USA weiter unterstützen können. Zeitgleich zu einem Treffen der Regierungschefs von Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Polen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gibt die US-Regie­rung Pläne für einen signifikanten Truppen­abzug bis Jahresende aus Europa bekannt.

Wenig später spricht Trump von Plänen für eine »wunderschöne Wirtschaftszone« mit Grönland. Chinas Aktivitäten um die Insel bedrohten die nationale Sicherheit der USA. Die EU sei zu schwach, um die Sicher­heit Grönlands zu garantieren, daher müss­ten die USA die Kontrolle über das Gebiet übernehmen. Da Grönland zu Dänemark gehört, interpretiert die EU diese Ankündigung als einen völkerrechtswidrigen Akt. Damit liegt aus Sicht der Europäischen Kommission ausreichende Evidenz vor, um das Instrument gegen Zwangsmaßnahmen gegen die Vereinigten Staaten einzusetzen. Wie aus Anhang 1 der EU-Verordnung 2023/2675 hervorgeht, ließe der ACI-Prozess eine ganze Bandbreite von Gegenmaßnahmen zu: Diese beschränken sich nicht auf Zölle, sondern könnten ebenso digitale Dienstleistungen und die Nutzung von Rech­ten des geistigen Eigen­tums in der EU betreffen.

Bei einem Ratstreffen Ende Juli diskutieren die EU-Staaten über einen Entzug von Banklizenzen und von Visa für US-Staats­angehörige. Der Rat beschließt den Einsatz des ACI mit der notwendigen qualifizierten Mehr­heit. Die Kommission unterrichtet die US-Regierung über die Entscheidung und bietet Gespräche an. Gleichzeitig beginnt sie einen Konsultationsprozess mit Stake­holdern – vor allem Unternehmen aus den Mitgliedstaaten, die durch die Maßnahmen der EU und mögliche US-Gegen­maßnah­men stark beeinträchtigt werden könnten.

Um die EU unter Druck zu setzen, droht Trump mit Finanzsanktionen auf Basis des IEEPA gegen die Kommissionspräsidentin, den Ratspräsidenten und weitere EU-Spit­zen­beamte. Trump kündigt außerdem einen LNG-Lieferstopp an und lässt Export­kontrollen für Software US-amerikanischer Hersteller auf den Weg bringen. Längst ist aus dem Handelsstreit ein vollumfassender Wirtschaftskonflikt und eine diplomatische Krise geworden.

Erhöhte Alarmbereitschaft

Wie der Handelskonflikt der EU mit Trump ausgeht, ist offen. Die drei skizzierten Sze­narien schließen sich nicht gegenseitig aus. Möglich wäre sowohl ein »Abrutschen« von einem Szena­rio ins andere – also vom Fegefeuer in einen Wirtschaftskrieg – als auch ein ab­rupter Wechsel – etwa vom Szenario einer frü­hen Einigung zum Wirt­schafts­krieg. Trumps sprunghafte Entscheidungen erschweren es, sich auf den weite­ren Verlauf des Konflikts einzustellen und »sichere« Wege zu einer Lösung zu finden.

Eine große Schwie­rig­keit besteht darin, dass die Ziele von Trumps Zoll­politik un­klar sind. Sollte sein einziges Ziel lauten, aus Überzeugung Ein­fuhr­zölle zu erheben, um Handelsdefizite auszugleichen, könnte die EU eventuell einen Zoll­krieg verhin­dern, indem sie ihre Importe aus den USA steigert und US-Unternehmen noch besse­ren Zugang zum Binnenmarkt ermöglicht. Sie könnte ihre Zölle noch weiter senken und bestimmte nichttarifäre Handelshemmnisse abbauen, die US-Unternehmen seit vielen Jahren belasten. Schließlich gäbe es noch die Option, mehr LNG und / oder mehr bzw. teurere mili­tärische Güter aus den USA zu importieren. Ob aber der Aus­gleich von Handelsbilanzen das einzige oder das ent­scheidende Ziel der Regierung Trump ist, bleibt für ihre Handelspartner unersichtlich – geht es auch um die Aus­besserung der Staatskasse, den Schutz eige­ner Indus­trien oder um alles ein bisschen?

Die EU und Deutschland als wirtschaftlich stärkstes Mitgliedsland und politisches Schwergewicht müssen für den Fall vorbe­rei­tet sein, dass im Zollstreit mit der US-Regierung keine Einigung erzielt wird. Das heißt vor allem, sie müssen sich über­legen, wann und wo es Einflussmöglich­keiten gibt. Denn selbst wenn eine fried­liche Eini­gung auf einen frühen »Deal« gelingen sollte, muss immer mitbedacht werden, dass Trump das Ergebnis wieder in Frage stellen könnte. Für die Auseinandersetzung mit Trump zeichnen sich mehrere Bedingungen ab, die zwar nicht positiv, aber relativ vor­herseh­bar sind. Damit lie­fern sie Anhaltspunkte, um eigene Politik­ansätze zu ent­wickeln:

1. Die USA werden ihre Zölle auf hohem Niveau belassen. Die US-Wirtschaftspolitik wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auf absehbare Zeit protektionistisch bleiben, entspricht dies doch den politischen Präferenzen bei­der Parteien, der Republikaner und der Demokraten. Die bereits eingeführten Zölle, die Exportkontrollen sowie weitere wirt­schaft­liche Zwangsmaßnahmen, die sich alle schon heute negativ auf den freien Handel auswirken, dürften noch nicht die letzten Maßnahmen gewesen sein. Im US-Kongress gewinnen Gesetzesvorhaben, die noch härtere Wirtschaftsmaßnahmen gegen­über China fordern, an Zustimmung. Unumstößlich scheint inzwischen, dass sich die USA vom Meistbegünstigungsprinzip der WTO verabschieden und eine neue Wirtschaftsordnung anstreben, in der sie selbst als Zentrum des Welthandelssystems anderen Staaten »von Fall zu Fall« bevorzugten Zugang zum US-Markt erlauben.

2. Die Gewaltenteilung hält den Präsidenten nicht davon ab, »unorthodoxe« wirtschaftliche Zwangsinstrumente einzusetzen. Weder der Kongress noch die Gerichte konnten Trump bisher daran hindern, für die Einführung der als willkürlich erscheinenden »reziproken Zölle« auf das Notstandsgesetz IEEPA zurückzugreifen. Am Ende könnte der Supreme Court mit seiner konservativen Mehrheit auf der Seite des US-Präsidenten stehen. Auch aus der Riege der Vorstände der größten US-Unternehmen wagt es bis­her keine Führungsfigur, in dieser Frage in einen offenen Konflikt mit Trump zu treten.

3. Die EU kann sich nicht allein auf die Finanz­märkte verlassen. Erfahrene Verhandler haben der EU in den letzten Monaten dazu geraten, Trumps Zollentscheidungen abzu­warten und nicht vorauseilend zu viele Zugeständnisse zu machen. Besser sei es, darauf zu setzen, dass scharfe Marktreaktio­nen ihn von zu hohen Zöllen abbrächten. Tatsächlich waren es in erster Linie die – anonymen – Finanzmarktakteure, deren Verkäufe von US-Staatsanleihen und US-Dollar den Präsidenten Anfang April dazu bewogen, von extremen Zollforderungen Abstand zu nehmen. Ihre Reaktion drückte Zweifel an der langfristigen Kreditwürdigkeit und Stärke der US-Wirtschaft aus. Ob aber Marktreaktionen den US-Präsidenten davon abhalten werden, einen Zollkrieg mit der ganzen Welt anzuzetteln, bleibt offen. Weiter abzuwarten und keine effektiven Gegenmaßnahmen vorzubereiten, wäre eine riskante Strategie.

4. Die Kosten eines Zollkriegs mit Trump sind in der EU ungleich verteilt und drohen die EU zu spalten. Die direkten wirtschaftlichen Kosten der US-Zölle sind in der EU ungleich ver­teilt, da ihre Mitgliedstaaten unterschied­lich stark vom Export abhängig sind. Indus­trie- und exportstarke Mitgliedsländer mit hohem Absatz in den USA wie Deutschland, Irland und Italien sind in besonderem Maße betroffen. Ließen sie sich dazu hin­reißen, jeweils bilaterale Absprachen mit Trump zu treffen, würde die Macht des Binnenmarktes reduziert und die Zukunft der EU stünde auf dem Spiel.

5. Trump wird nicht aufhören, Wirtschafts- mit Sicherheitspolitik zu verbinden, um die EU zu spalten. Über die Anwendung verschiedener Handelsinstrumente hin­aus ist auch eine weitere politische Eskala­tion vorstellbar. Die USA könnten sicherheitspolitische Hebel – etwa ihre Unterstützung der Nato oder den nuklearen Schutzschirm – nut­zen, um ihre wirtschaftlichen Interessen durch­zu­set­zen. Problematisch für die EU ist dabei, dass die einzelnen Mitgliedstaaten die militärische Bedrohung durch Russland und andere Akteure sehr unterschiedlich wahrnehmen. Während Staaten an der Ostflanke einen potenziellen Rück­zug der USA aus Europa als existenzielle Bedrohung empfinden, bewerten andere die sicherheits­politischen Implikationen als weniger dramatisch. Diese Heterogenität der Priori­täten in der EU schwächt die europäische Reaktionsfähig­keit auf Trumps Drohungen zusätzlich.

Handlungsempfehlungen

Die Bundesregierung sollte in der EU weiter Initiativen ergreifen, um als verbindender Akteur zwischen ökonomischer Stärke und sicherheitspolitischer Verantwortung zu wirken. Dies erfordert nicht nur finanzielle Beiträge, sondern auch politische Führung bei der Priorisierung und Koordination gemeinsamer europäischer Projekte. In der EU sollten folgende Maßnahmen so schnell wie möglich angegangen werden:

  • Minilaterales Koordinationsformat etablieren: Aufbau eines strategischen Abstimmungsmechanismus zwischen den wirtschaftlich stärksten Mitglied­staaten (unter anderem Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande) und den sicherheits­politisch am meisten gefährdeten Staaten, den »Frontline States« (Polen, die baltischen Länder, Finnland). Ziel wäre eine abgestimmte Prioritätensetzung sowie die Vermeidung von Blockadehaltungen.

  • Politisch flankierten Kompensations­mechanismus für Unternehmen einrichten: Um wirtschaftliche Härten abzu­federn und Akzeptanz zu sichern, sollte ein EU-weiter Ausgleichsmechanismus geschaffen werden, der gezielt Unternehmen in betroffenen Sektoren unterstützt – ins­besondere Unternehmen, die im Kontext sicherheitsrelevanter Transformation tätig sind, zum Beispiel von ReArm Europe, der Energie­versorgung oder der Halbleiterproduktion.

  • Fortführung und Fokussierung der Inves­titionsprogramme für ReArm Europe: Die Modernisierung und Standardisierung europäischer Streitkräfte sollte durch gezielte Investitionen und gemein­same Beschaffungsprojekte voran­getrie­ben werden.

  • Fortsetzung und Verstärkung europäischer Investitionsprogramme: Strategische Investitionen in kritische Infrastruktur, Technologieförderung und Handelsdiversifizierung sollten beschleu­nigt und stärker geostrategisch ausgerichtet werden, etwa in Form einer Er­wei­terung von Global Gateway oder als Stär­kung des EU-Handels mit Drittstaaten.

Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg könnten sich Ame­rikaner und Europäer nicht nur als wirt­schaftliche Wettbewerber, sondern als Geg­ner mit unvereinbaren geopolitischen Vorstellungen gegenüber­stehen. Die in den Szenarien »Fegefeuer« und »Handels- und Wirtschaftskrieg« skiz­zierten Eskalationsschritte betreffen Be­reiche, die weit über Zölle hinausgehen. Nicht zuletzt aus innen­politischen Grün­den – um von Problemen in den USA abzulenken – könnte ein Zoll­krieg mit der EU Trump nutzen. Ist der Konflikt erst offen ausgebrochen, wird es schwer sein, den US-Präsiden­ten vom Einsatz weiterer Hebel abzubringen, etwa einer Eskalation in der Grönland-Frage, einem Rückzug aus der Nato, der Auf­gabe von Sicherheits­garantien. Dabei ist stets zu bedenken: Drohungen zurückzunehmen, ist für Trump immer auch mit einem innen­politischen Gesichtsverlust verbunden.

Die EU sollte daher, solange es geht, im Zollstreit offene Konfrontationen mit der US-Regierung vermeiden. In Erwartung einer Lage, wie sie im Szenario »Handels- und Wirtschaftskrieg« umrissen wird, soll­ten die Regierungen der Mitgliedstaaten in den nächsten Wochen für sich definieren, wo für sie die Grenzen der Provokation durch die Trump-Regierung liegen. Kommt es zu einem Bruch des Völkerrechts und wird die terri­toriale Souveränität eines Mitgliedstaats übergangen, sollte die EU nicht davor zurückschrecken, ihr schärfstes »wirtschaftliches Schwert«, das ACI, einzu­setzen.

Dr. Laura von Daniels ist Leiterin der Forschungsgruppe Amerika.

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