Zwischen den USA und der Europäischen Union (EU) könnte sich ein vollumfassender Handelskrieg entwickeln. Vor drei Monaten erhob US-Präsident Donald Trump am »Liberation Day« hohe Einfuhrzölle gegen fast alle Länder, auch die EU. Dann setzte er sie kurzfristig aus, um mit über 90 betroffenen Handelspartnern zu verhandeln. Anfang Juli, als sie hätten in Kraft treten sollen, hat Trump die Zölle gegen die EU und andere Staaten erneut um einen Monat verschoben. In einem Brief an die EU hat Trump höhere Zölle von 30 Prozent ab 1. August angedroht. Dieses Hin und Her zeigt, dass sich die Mitgliedstaaten auf eine Eskalation des Konflikts vorbereiten müssen – diese könnte weit über die Zölle hinausgehen und sogar die Sicherheit der EU gefährden.
Am »Liberation Day«, dem 2. April 2025, erließ US-Präsident Donald Trump sehr hohe neue Einfuhrzölle. Er führte einen Basiszollsatz von 10 Prozent auf alle Warenimporte aus über 180 Ländern ein, wobei nur sehr wenige Länder ausgenommen wurden, darunter Russland. Überdies verkündete er »reziproke Zollsätze« für die Europäische Union und 56 weitere Länder, die in der Handelsstatistik bei Waren einen Überschuss gegenüber den USA verzeichnen. Für Waren aus der EU verhängte er einen Einfuhrzoll in Höhe von 20 Prozent, anderen Ländern drohte er gar Zölle von bis zu 50 Prozent an. Zwischen den USA und China eskalierte in den darauffolgenden Tagen der Zollstreit: Beide Regierungen steigerten ihre Zölle täglich; dies hätte einen fortgesetzten Warenhandel faktisch unmöglich gemacht. Am 9. April setzte Trump die eine Woche zuvor erlassenen »reziproken Zölle« für einen Verhandlungszeitraum von drei Monaten aus. Währenddessen ist der Basiszoll von 10 Prozent bereits in Kraft getreten.
Nur mit drei Handelspartnern hat die Trump-Regierung vor Ablauf der Verhandlungsfrist am 9. Juli »Deals« abgeschlossen, mit China, dem Vereinigten Königreich (VK) und Vietnam. Die Einigung mit China sieht bisher nur vor, die Zolleskalation von Anfang April zu stoppen und bis Mitte August über eine mögliche neue Vereinbarung zu Zöllen, Exportkontrollen und anderen Fragen zu verhandeln. Das VK und Vietnam hingegen haben jeweils eine gemeinsame Erklärung mit der US-Regierung unterschrieben. In dem Abkommen vom Mai einigten sich die Briten mit den USA auf die Beibehaltung eines Zollsatzes von 10 Prozent, verbunden mit einer Vorzugsbehandlung für Autos und Flugzeugtriebwerke, die für Großbritanniens Volkswirtschaft von zentraler Bedeutung sind. Vietnam akzeptierte einen generellen US-Einfuhrzoll von 20 Prozent, nachdem Trump 46 Prozent angedroht hatte. Mit der EU gibt es bislang keine Übereinkunft, wenngleich die Europäische Kommission gehofft hatte, dass eine solche noch vor dem 9. Juli erreicht würde. Stattdessen legte Trump noch einmal mit Drohungen nach. Kommt es in den nächsten Wochen nicht zu einer Einigung, könnten die hohen Zölle ab 1. August tatsächlich in Kraft treten.
Zölle ohne Ende
Trump greift in seiner Zollpolitik nicht nur auf traditionelle, sondern auch auf unorthodoxe Instrumente zurück. In die letztere Kategorie fallen die Zölle, die Trump mit »nationalen Notständen« begründet, die er selbst ausgerufen hat auf Basis des International Emergency Economic Powers Act (IEEPA). Diese »Notstände« bilden die rechtliche Grundlage für die »reziproken Zölle«, die ab 1. August in Kraft treten sollen. Es ist umstritten, ob das Gesetz derart umfassende Exekutivmaßnahmen ohne Zustimmung des Kongresses erlaubt. Zwei föderale Gerichtshöfe hatten die IEEPA-basierten Zölle Anfang Juni verboten; ein Berufungsgericht hat jedoch Tage später das Urteil aufgehoben. Derzeit ist unklar, ob sich in letzter Instanz der Supreme Court gegen Trumps Zölle positionieren wird.
Unabhängig davon, wie der Streit über die Befugnisse des Präsidenten ausgeht, drohen ab Herbst dieses Jahres noch weitere umfassende Zölle: Denn um sogenannte sektorale Zölle zu erlassen, kann die US-Regierung auf ein anderes Gesetz zurückgreifen, das zu den traditionellen Handelsinstrumenten zählt und bisher noch nie durch den Kongress oder Gerichte in Frage gestellt wurde, den Trade Expansion Act. Schon bei seinem Amtsantritt im Januar wies Trump sein Kabinett an, Zölle auf einzelne Produktgruppen auf den Weg zu bringen.
Wie bei früheren Zollentscheidungen zu Aluminium, Stahl, Autos und Autoteilen könnte Trump nun auf Basis von Abschnitt 232 des Trade Expansion Act aufgrund einer »Bedrohung der nationalen Sicherheit« weitere Zölle auf Pharmaprodukte, Luftfahrtgüter, Halbleiter und kritische Rohstoffe erheben. Nach Abschluss der regulären Prüfverfahren, bei denen auch der US-Kongress und Stakeholder, die von den Zöllen betroffen wären, mit einbezogen werden müssen, könnten diese schon im Oktober bekannt gegeben werden. Die bei den Verfahren üblichen öffentlichen Anhörungen fanden nämlich bereits statt, und Trump ist befugt, sobald der Wirtschaftsminister seinen Bericht zu den Verfahren vorgelegt hat, alleine über neue Zölle und andere Maßnahmen zu entscheiden. Dafür hat der US-Präsident eine Frist von 90 Tagen, sodass die Zölle Ende Oktober oder spätestes im April 2026 verhängt werden könnten.
Darüber hinaus könnte die Trump-Regierung auf Grundlage von Abschnitt 301 des Trade Expansion Act weitere Zölle wegen mutmaßlich unfairer Handelspraktiken gegen einzelne Handelspartner erlassen, auch gegen die EU-Staaten. Kommt sie etwa zu dem Schluss, dass die Digitalsteuern einzelner EU-Mitgliedstaaten als »unfaire Handelspraktik« gegenüber US-Unternehmen zu bewerten sind, drohen der EU weitere Zölle, die Trump nach Belieben anheben und ohne zeitliche Begrenzung verhängen kann. Bisher hat Trump – ebenso wie Joe Biden – diese früher noch als »Nuklearoption« eingestufte Maßnahme gegenüber China eingesetzt, nicht aber gegenüber engen Verbündeten.
Mehr als nur ein Schlachtplan
Bislang ist es der EU gelungen, geschlossen auf die Zollandrohungen und die tatsächlichen Maßnahmen Trumps zu reagieren. Ihre Strategie ist auf wirtschaftliche und politische Schadensbegrenzung ausgerichtet. Sie sollte weiterhin mehrere Szenarien in den Blick nehmen, die auch Folgendes berücksichtigen: dass sich im Hintergrund des Zollstreits ein Konflikt über die zukünftige Lastenverteilung der Verteidigung im Rahmen der Nato abspielt und dass Trump offenbar bereit ist, seine geoökonomischen Interessen über völkerrechtliche Normen zu stellen. Um den Druck auf einzelne Staaten zu erhöhen und die EU zu spalten, nutzt Trump in den Verhandlungen über Zölle gleichermaßen sicherheitspolitische Hebel. Drei Szenarien skizzieren mögliche Entwicklungen.
Szenario 1: Früher »Deal«
Im Szenario »Früher ›Deal‹« führen die Gespräche in der bis zum 1. August verlängerten Frist zu einer losen Handelsvereinbarung, vergleichbar mit dem Abkommen zwischen den USA und dem VK. Die Europäische Kommission setzt erstens ihre bereits beschlossenen Gegenzölle auf ein Handelsvolumen von 21,5 Milliarden Euro aus, die als Antwort auf die von Trump eingeführten Stahl- und Aluminiumzölle gedacht waren. Zweitens sieht sie davon ab, weitere Gegenzölle auf ein Handelsvolumen von 95 Milliarden Euro zu erheben, die sie Anfang Mai als Entgegnung auf die von Trump verhängten Zölle auf Autos und Autoteile angedroht hat. Brüssel zeigt guten Willen und legt keine Beschwerde bei der Welthandelsorganisation (WTO) gegen die von Trump eingeführten Stahl- und Aluminiumzölle noch gegen die Autozölle ein.
Die EU akzeptiert im Rahmen der frühen Einigung einen generellen US-Einfuhrzoll von 10 Prozent auf die meisten Waren aus der EU, erhält aber feste Quoten für die zollbefreite Einfuhr bestimmter Güter (tariff rate quota, TRQ) zugestanden, etwa für die Einfuhr bestimmter Stahl- und Aluminiumprodukte. Die Zölle auf die meisten Stahl- und Aluminiumprodukte bleiben jedoch bei 25 Prozent. Die US-Regierung stellt in Aussicht, dass sie die seit Anfang April geltenden Autozölle in Höhe von 25 Prozent auf 10 Prozent absenken könnte, sofern die EU zu Zugeständnissen bei der Regulierung von Digitalunternehmen bereit ist. Die schon seit Jahrzehnten bestehenden US-Zölle auf Kleintransporter in Höhe von 25 Prozent bleiben in Kraft. Außerdem vereinbart die Kommission mit der Regierung Trump erneut Zielmarken für den gesteigerten Import von verflüssigtem Erdgas (LNG) sowie von Agrarprodukten aus den USA.
Brüssel nimmt sich am Abkommen zwischen den USA und dem VK ein Beispiel und bietet Trump an, sich in Fragen wirtschaftlicher Sicherheit gegenüber China eng abzustimmen. Die Kommission erläutert, man sei im Begriff, das EU-weite Investitions-Screening zu verschärfen, und gehe mithilfe des Antisubventionsinstruments entschieden gegen chinesische Massenexporte aus subventionierter Überproduktion vor. Des Weiteren bereite man sich darauf vor, das Instrument gegen Zwangsmaßnahmen (Anti-Coercion Instrument, ACI) gegenüber China anzuwenden, um sich gegen wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen wie zum Beispiel ein erneutes Embargo seltener Erden zu wehren.
Um die Finanzmärkte zu beruhigen und um einer Annäherung der EU an China auf dem EU-Gipfel Ende Juli entgegenzuwirken, stimmt Trump der Vereinbarung zu. Beide Seiten erklären, dass sie über noch offene Streitfragen, etwa die Regulierung von Digitalunternehmen, weiter verhandeln wollen.
Für die EU bleibt ein nicht geringes Risiko, dass ein schneller »Deal« mit Trump ihr nur eine Atempause verschafft. Im Herbst drohen weitere Zölle, und es besteht die Gefahr, dass Brüssel zu früh schon zu viele Zugeständnisse macht – ohne dass die EU dadurch dauerhaft von US-Zöllen verschont bliebe. Ein grundsätzlicher Einwand gegen solche Zugeständnisse ist die mangelnde Vereinbarkeit einer bilateralen Zollverabredung mit WTO-Regeln. Lässt sich die EU darauf ein, legitimiert sie implizit die Abkehr der USA vom Meistbegünstigungsprinzip (Most Favoured Nation, MFN).
Aus zwei Gründen könnte die EU dennoch einer frühen Einigung zustimmen: Erstens drängen gerade die wirtschaftlich starken Exportländer in der EU darauf, höhere Ausfälle durch eine Zolleskalation mit Trump zu vermeiden. Zweitens könnte sich eine Mehrheit der EU-Staaten dagegen aussprechen, mit Trump einen Konflikt an »zwei Fronten« – Handel und Sicherheit – zu führen. Ein umfassender, finanziell und politisch kostenintensiver Handelskrieg steht im Widerspruch dazu, dass die EU sich schnell in die Lage bringen will, sicherheitspolitische Grundsatzentscheidungen zu treffen und eigenständige militärische Fähigkeiten zu finanzieren. Ein »wirtschaftspolitischer Waffenstillstand« könnte den Mitgliedstaaten Zeit verschaffen und ihnen unmittelbar die hohen Kosten einer Zolleskalation ersparen.
Szenario 2: Im Fegefeuer
Das Szenario »Fegefeuer« beschreibt ein mehr oder weniger qualvolles Verhandeln ohne erkennbaren Kompromiss. Trump ist mit den Angeboten der EU unzufrieden und setzt am 1. August »reziproke Zölle« in Höhe von 50 Prozent in Kraft.
Die Europäische Kommission setzt alles daran, vor dem 1. August einen »Deal« mit Trump abzuschließen, indem sie kleinere Zugeständnisse bei Zöllen macht, höhere LNG- und Agrarimporte aus den USA zusagt sowie ein allgemein gehaltenes Versprechen abgibt, die Regulierung von Plattformunternehmen in der EU zu lockern. Kurz bevor eine Einigung erzielt wird, fordern die US-Verhandler jedoch einen weiteren Abbau der Digitalgesetzgebung, die aus Sicht der Trump-Regierung die freie Meinungsäußerung unterdrücke und allein dazu diene, US-Unternehmen zu schaden. So verlangt die US-Regierung ein Ende der EU-Auflagen zur Content-Moderation, da diese Regeln ihrer Meinung nach eine nichttarifäre Handelsbarriere zum Nachteil von US-Digitalunternehmen geschaffen hätten.
Als Reaktion darauf erlässt die Europäische Kommission in Absprache mit den Regierungschefs der Mitgliedstaaten vorerst nur die aufgrund der US-amerikanischen Stahl- und Aluminiumzölle bereits beschlossenen Gegenzölle: Um Druck auf Trump aufzubauen, kündigt sie einen 25-Prozent-Zoll auf Waren im Wert von 21,5 Milliarden Euro ab 1. August an. Sie sieht aber davon ab, eine Beschwerde bei der WTO einzureichen. Die zuletzt intensiv geführten Verhandlungen mit der US-Regierung setzt sie über den Monat Juli fort.
Während der Stop-and-go-Verhandlungen nutzt Trump mehrere politische Provokationen, um die bisher einheitlich agierenden EU-Staaten zu spalten: Nach Übernahme der Ratspräsidentschaft arbeitet die dänische Regierung mit anderen EU-Mitgliedern im Juli an einem Vorschlag für einen »besseren ›Deal‹ mit Trump«, anstatt auf Trumps Forderungen einzugehen. Trump und andere Mitglieder seiner Regierung kündigen daraufhin ein weiteres Mal an, Grönland aus Gründen der eigenen nationalen Sicherheit stärker wirtschaftlich an die USA anzubinden. Spekulationen über eine von Trump geplante, mutmaßlich völkerrechtswidrige territoriale Ausdehnung der USA auf dänisches Gebiet kehren zurück. Die dänische Regierung hat alle Hände voll damit zu tun, an die Solidarität der anderen EU- und Nato-Mitgliedstaaten zu appellieren für den Fall, dass Trump ernst macht. Handelsfragen treten in den Hintergrund.
Zudem spricht sich Trump gegen eine Verschärfung der US-Sanktionen gegenüber Russland aus und hält erneut Waffenlieferungen an die Ukraine zurück. Polen, Deutschland und die baltischen Staaten befürchten, der US-Präsident könnte als Nächstes neue Pläne öffentlich machen, in Deutschland stationierte US-Truppen abzuziehen. Sie fürchten das Signal einer »offenen Flanke« an den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Daher fordern sie die Europäische Kommission dazu auf, Trump schnell ein neues, attraktiveres Verhandlungsangebot im Handelsstreit zu unterbreiten. Eine Gruppe von Staaten, die härtere Handelsmaßnahmen befürworten, angeführt von Frankreich, mahnt hingegen zu mehr europäischer Souveränität.
Bei einem ad hoc einberufenen Ratstreffen fordern einige EU-Mitglieder von der Kommission, den Einsatz des ACI gegenüber den USA zu prüfen. Mit Trumps jüngsten Erklärungen zu Zöllen sei das Kriterium einer »Androhung wirtschaftlichen Zwangs« mehr als erfüllt. Trump reagiert auf Social Media ungehalten auf die Gespräche der EU-Staaten über einen Einsatz des ACI. Nach hitzigen Debatten unter den EU-Ländern kommt es zur Abstimmung: Die Vetos mehrerer Mitgliedstaaten verhindern, dass eine für die Initiierung des ACI notwendige qualifizierte Mehrheit (mindestens 15 von 27 Mitgliedstaaten, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren) erreicht wird. Trump kündigt daraufhin an, die volle Bandbreite an Zollmaßnahmen – sektorale und länderspezifische Zölle – gegen die EU einzusetzen.
Die Kommission führt die Verhandlungen mit Trump fort. Anstelle des ACI will sie ab 1. September die noch ausstehenden Gegenzölle auf aus den USA importierte Waren im Wert von 95 Milliarden Euro in Kraft setzen. Diese Zölle hat sie schon im Mai als Reaktion auf Trumps Autozölle ins Spiel gebracht. An der Einheit der EU-Länder im Zollstreit mit Trump sind inzwischen allerdings erhebliche Zweifel entstanden. Für die EU steigen die wirtschaftlichen Kosten der bereits erlassenen Zölle, sie »hangelt« sich im Zollstreit mit dem amerikanischen Präsidenten weiter »durch«. Der Handlungsdruck reicht jedoch nicht aus, um bereits angestoßene Initiativen der Europäischen Kommission umzusetzen, die zu mehr außenpolitischer Souveränität beitragen sollen – etwa ReArm Europe, die Kapitalmarktunion, die Stärkung der globalen Rolle des Euro, Global Gateway sowie Handelsabkommen mit anderen Staaten.
Szenario 3: Handels- und Wirtschaftskrieg
Im Szenario »Handels- und Wirtschaftskrieg« eskaliert der Zollstreit zwischen den USA und der EU über die Sommermonate vollends. Einen generellen Einfuhrzoll der USA von 10 Prozent hätte die EU in Kauf genommen, nicht aber ihre Digitalgesetze abzuschaffen und überdies den für 2026 geplanten CBAM – den Grenzausgleichsmechanismus für CO2-intensiv produzierte Güter aus Drittstaaten – gegenüber den USA auszusetzen. Der Präsident des Europäischen Rates erklärt, mit den USA werde Europa nur auf Augenhöhe verhandeln »oder gar nicht«. Trump entscheidet sich dafür, an der EU ein Exempel für alle weiteren Staaten zu statuieren. Sie sollen sehen, wie hart der US-Präsident sogar enge Verbündete abstraft, wenn sie seine Forderungen nicht akzeptieren: Er erhöht den »reziproken« Einfuhrzoll gegenüber der EU auf 75 Prozent.
Trumps Anfeindungen und Drohungen überschreiten aus Sicht der EU-Länder mehrere »rote Linien« in der Außen- und Sicherheitspolitik. Mehrere Mitglieder der US-Regierung prangern an, die EU würde mit Regeln zur Content-Moderation auf Social-Media-Plattformen das Recht »konservativer« Parteien auf freie Meinungsäußerung unterdrücken. Die EU habe in gemeinsamen Gesprächen keinerlei Bereitschaft gezeigt, ihre »diskriminierenden« Gesetze wie gefordert abzuschaffen. Der US-Präsident erklärt, das Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA) und das Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) der EU seien nur dazu erlassen worden, US-Unternehmen »über den Tisch zu ziehen«. Er verlangt die »Abschaffung der Gesetze«.
Trump behauptet zudem, die EU verhindere »Frieden in der Ukraine«. Er blockiert das Vorhaben des Kongresses, die Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu verschärfen. Statt mit der EU vereinbart er ein Treffen mit Putin. Um dem russischen Präsidenten entgegenzukommen, stoppt Trump weitere wichtige militärische Unterstützung für die Ukraine.
Der Druck auf die europäischen Nato-Mitglieder steigt, eine Strategie zu entwickeln, wie sie die Ukraine ohne die USA weiter unterstützen können. Zeitgleich zu einem Treffen der Regierungschefs von Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Polen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gibt die US-Regierung Pläne für einen signifikanten Truppenabzug bis Jahresende aus Europa bekannt.
Wenig später spricht Trump von Plänen für eine »wunderschöne Wirtschaftszone« mit Grönland. Chinas Aktivitäten um die Insel bedrohten die nationale Sicherheit der USA. Die EU sei zu schwach, um die Sicherheit Grönlands zu garantieren, daher müssten die USA die Kontrolle über das Gebiet übernehmen. Da Grönland zu Dänemark gehört, interpretiert die EU diese Ankündigung als einen völkerrechtswidrigen Akt. Damit liegt aus Sicht der Europäischen Kommission ausreichende Evidenz vor, um das Instrument gegen Zwangsmaßnahmen gegen die Vereinigten Staaten einzusetzen. Wie aus Anhang 1 der EU-Verordnung 2023/2675 hervorgeht, ließe der ACI-Prozess eine ganze Bandbreite von Gegenmaßnahmen zu: Diese beschränken sich nicht auf Zölle, sondern könnten ebenso digitale Dienstleistungen und die Nutzung von Rechten des geistigen Eigentums in der EU betreffen.
Bei einem Ratstreffen Ende Juli diskutieren die EU-Staaten über einen Entzug von Banklizenzen und von Visa für US-Staatsangehörige. Der Rat beschließt den Einsatz des ACI mit der notwendigen qualifizierten Mehrheit. Die Kommission unterrichtet die US-Regierung über die Entscheidung und bietet Gespräche an. Gleichzeitig beginnt sie einen Konsultationsprozess mit Stakeholdern – vor allem Unternehmen aus den Mitgliedstaaten, die durch die Maßnahmen der EU und mögliche US-Gegenmaßnahmen stark beeinträchtigt werden könnten.
Um die EU unter Druck zu setzen, droht Trump mit Finanzsanktionen auf Basis des IEEPA gegen die Kommissionspräsidentin, den Ratspräsidenten und weitere EU-Spitzenbeamte. Trump kündigt außerdem einen LNG-Lieferstopp an und lässt Exportkontrollen für Software US-amerikanischer Hersteller auf den Weg bringen. Längst ist aus dem Handelsstreit ein vollumfassender Wirtschaftskonflikt und eine diplomatische Krise geworden.
Erhöhte Alarmbereitschaft
Wie der Handelskonflikt der EU mit Trump ausgeht, ist offen. Die drei skizzierten Szenarien schließen sich nicht gegenseitig aus. Möglich wäre sowohl ein »Abrutschen« von einem Szenario ins andere – also vom Fegefeuer in einen Wirtschaftskrieg – als auch ein abrupter Wechsel – etwa vom Szenario einer frühen Einigung zum Wirtschaftskrieg. Trumps sprunghafte Entscheidungen erschweren es, sich auf den weiteren Verlauf des Konflikts einzustellen und »sichere« Wege zu einer Lösung zu finden.
Eine große Schwierigkeit besteht darin, dass die Ziele von Trumps Zollpolitik unklar sind. Sollte sein einziges Ziel lauten, aus Überzeugung Einfuhrzölle zu erheben, um Handelsdefizite auszugleichen, könnte die EU eventuell einen Zollkrieg verhindern, indem sie ihre Importe aus den USA steigert und US-Unternehmen noch besseren Zugang zum Binnenmarkt ermöglicht. Sie könnte ihre Zölle noch weiter senken und bestimmte nichttarifäre Handelshemmnisse abbauen, die US-Unternehmen seit vielen Jahren belasten. Schließlich gäbe es noch die Option, mehr LNG und / oder mehr bzw. teurere militärische Güter aus den USA zu importieren. Ob aber der Ausgleich von Handelsbilanzen das einzige oder das entscheidende Ziel der Regierung Trump ist, bleibt für ihre Handelspartner unersichtlich – geht es auch um die Ausbesserung der Staatskasse, den Schutz eigener Industrien oder um alles ein bisschen?
Die EU und Deutschland als wirtschaftlich stärkstes Mitgliedsland und politisches Schwergewicht müssen für den Fall vorbereitet sein, dass im Zollstreit mit der US-Regierung keine Einigung erzielt wird. Das heißt vor allem, sie müssen sich überlegen, wann und wo es Einflussmöglichkeiten gibt. Denn selbst wenn eine friedliche Einigung auf einen frühen »Deal« gelingen sollte, muss immer mitbedacht werden, dass Trump das Ergebnis wieder in Frage stellen könnte. Für die Auseinandersetzung mit Trump zeichnen sich mehrere Bedingungen ab, die zwar nicht positiv, aber relativ vorhersehbar sind. Damit liefern sie Anhaltspunkte, um eigene Politikansätze zu entwickeln:
1. Die USA werden ihre Zölle auf hohem Niveau belassen. Die US-Wirtschaftspolitik wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auf absehbare Zeit protektionistisch bleiben, entspricht dies doch den politischen Präferenzen beider Parteien, der Republikaner und der Demokraten. Die bereits eingeführten Zölle, die Exportkontrollen sowie weitere wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen, die sich alle schon heute negativ auf den freien Handel auswirken, dürften noch nicht die letzten Maßnahmen gewesen sein. Im US-Kongress gewinnen Gesetzesvorhaben, die noch härtere Wirtschaftsmaßnahmen gegenüber China fordern, an Zustimmung. Unumstößlich scheint inzwischen, dass sich die USA vom Meistbegünstigungsprinzip der WTO verabschieden und eine neue Wirtschaftsordnung anstreben, in der sie selbst als Zentrum des Welthandelssystems anderen Staaten »von Fall zu Fall« bevorzugten Zugang zum US-Markt erlauben.
2. Die Gewaltenteilung hält den Präsidenten nicht davon ab, »unorthodoxe« wirtschaftliche Zwangsinstrumente einzusetzen. Weder der Kongress noch die Gerichte konnten Trump bisher daran hindern, für die Einführung der als willkürlich erscheinenden »reziproken Zölle« auf das Notstandsgesetz IEEPA zurückzugreifen. Am Ende könnte der Supreme Court mit seiner konservativen Mehrheit auf der Seite des US-Präsidenten stehen. Auch aus der Riege der Vorstände der größten US-Unternehmen wagt es bisher keine Führungsfigur, in dieser Frage in einen offenen Konflikt mit Trump zu treten.
3. Die EU kann sich nicht allein auf die Finanzmärkte verlassen. Erfahrene Verhandler haben der EU in den letzten Monaten dazu geraten, Trumps Zollentscheidungen abzuwarten und nicht vorauseilend zu viele Zugeständnisse zu machen. Besser sei es, darauf zu setzen, dass scharfe Marktreaktionen ihn von zu hohen Zöllen abbrächten. Tatsächlich waren es in erster Linie die – anonymen – Finanzmarktakteure, deren Verkäufe von US-Staatsanleihen und US-Dollar den Präsidenten Anfang April dazu bewogen, von extremen Zollforderungen Abstand zu nehmen. Ihre Reaktion drückte Zweifel an der langfristigen Kreditwürdigkeit und Stärke der US-Wirtschaft aus. Ob aber Marktreaktionen den US-Präsidenten davon abhalten werden, einen Zollkrieg mit der ganzen Welt anzuzetteln, bleibt offen. Weiter abzuwarten und keine effektiven Gegenmaßnahmen vorzubereiten, wäre eine riskante Strategie.
4. Die Kosten eines Zollkriegs mit Trump sind in der EU ungleich verteilt und drohen die EU zu spalten. Die direkten wirtschaftlichen Kosten der US-Zölle sind in der EU ungleich verteilt, da ihre Mitgliedstaaten unterschiedlich stark vom Export abhängig sind. Industrie- und exportstarke Mitgliedsländer mit hohem Absatz in den USA wie Deutschland, Irland und Italien sind in besonderem Maße betroffen. Ließen sie sich dazu hinreißen, jeweils bilaterale Absprachen mit Trump zu treffen, würde die Macht des Binnenmarktes reduziert und die Zukunft der EU stünde auf dem Spiel.
5. Trump wird nicht aufhören, Wirtschafts- mit Sicherheitspolitik zu verbinden, um die EU zu spalten. Über die Anwendung verschiedener Handelsinstrumente hinaus ist auch eine weitere politische Eskalation vorstellbar. Die USA könnten sicherheitspolitische Hebel – etwa ihre Unterstützung der Nato oder den nuklearen Schutzschirm – nutzen, um ihre wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen. Problematisch für die EU ist dabei, dass die einzelnen Mitgliedstaaten die militärische Bedrohung durch Russland und andere Akteure sehr unterschiedlich wahrnehmen. Während Staaten an der Ostflanke einen potenziellen Rückzug der USA aus Europa als existenzielle Bedrohung empfinden, bewerten andere die sicherheitspolitischen Implikationen als weniger dramatisch. Diese Heterogenität der Prioritäten in der EU schwächt die europäische Reaktionsfähigkeit auf Trumps Drohungen zusätzlich.
Handlungsempfehlungen
Die Bundesregierung sollte in der EU weiter Initiativen ergreifen, um als verbindender Akteur zwischen ökonomischer Stärke und sicherheitspolitischer Verantwortung zu wirken. Dies erfordert nicht nur finanzielle Beiträge, sondern auch politische Führung bei der Priorisierung und Koordination gemeinsamer europäischer Projekte. In der EU sollten folgende Maßnahmen so schnell wie möglich angegangen werden:
-
Minilaterales Koordinationsformat etablieren: Aufbau eines strategischen Abstimmungsmechanismus zwischen den wirtschaftlich stärksten Mitgliedstaaten (unter anderem Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande) und den sicherheitspolitisch am meisten gefährdeten Staaten, den »Frontline States« (Polen, die baltischen Länder, Finnland). Ziel wäre eine abgestimmte Prioritätensetzung sowie die Vermeidung von Blockadehaltungen.
-
Politisch flankierten Kompensationsmechanismus für Unternehmen einrichten: Um wirtschaftliche Härten abzufedern und Akzeptanz zu sichern, sollte ein EU-weiter Ausgleichsmechanismus geschaffen werden, der gezielt Unternehmen in betroffenen Sektoren unterstützt – insbesondere Unternehmen, die im Kontext sicherheitsrelevanter Transformation tätig sind, zum Beispiel von ReArm Europe, der Energieversorgung oder der Halbleiterproduktion.
-
Fortführung und Fokussierung der Investitionsprogramme für ReArm Europe: Die Modernisierung und Standardisierung europäischer Streitkräfte sollte durch gezielte Investitionen und gemeinsame Beschaffungsprojekte vorangetrieben werden.
-
Fortsetzung und Verstärkung europäischer Investitionsprogramme: Strategische Investitionen in kritische Infrastruktur, Technologieförderung und Handelsdiversifizierung sollten beschleunigt und stärker geostrategisch ausgerichtet werden, etwa in Form einer Erweiterung von Global Gateway oder als Stärkung des EU-Handels mit Drittstaaten.
Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg könnten sich Amerikaner und Europäer nicht nur als wirtschaftliche Wettbewerber, sondern als Gegner mit unvereinbaren geopolitischen Vorstellungen gegenüberstehen. Die in den Szenarien »Fegefeuer« und »Handels- und Wirtschaftskrieg« skizzierten Eskalationsschritte betreffen Bereiche, die weit über Zölle hinausgehen. Nicht zuletzt aus innenpolitischen Gründen – um von Problemen in den USA abzulenken – könnte ein Zollkrieg mit der EU Trump nutzen. Ist der Konflikt erst offen ausgebrochen, wird es schwer sein, den US-Präsidenten vom Einsatz weiterer Hebel abzubringen, etwa einer Eskalation in der Grönland-Frage, einem Rückzug aus der Nato, der Aufgabe von Sicherheitsgarantien. Dabei ist stets zu bedenken: Drohungen zurückzunehmen, ist für Trump immer auch mit einem innenpolitischen Gesichtsverlust verbunden.
Die EU sollte daher, solange es geht, im Zollstreit offene Konfrontationen mit der US-Regierung vermeiden. In Erwartung einer Lage, wie sie im Szenario »Handels- und Wirtschaftskrieg« umrissen wird, sollten die Regierungen der Mitgliedstaaten in den nächsten Wochen für sich definieren, wo für sie die Grenzen der Provokation durch die Trump-Regierung liegen. Kommt es zu einem Bruch des Völkerrechts und wird die territoriale Souveränität eines Mitgliedstaats übergangen, sollte die EU nicht davor zurückschrecken, ihr schärfstes »wirtschaftliches Schwert«, das ACI, einzusetzen.
Dr. Laura von Daniels ist Leiterin der Forschungsgruppe Amerika.
Dieses Werk ist lizenziert unter CC BY 4.0
Das Aktuell gibt die Auffassung der Autorin wieder.
SWP-Aktuells werden intern einem Begutachtungsverfahren, einem Faktencheck und einem Lektorat unterzogen. Weitere Informationen zur Qualitätssicherung der SWP finden Sie auf der SWP-Website unter https://www. swp-berlin.org/ueber-uns/ qualitaetssicherung/
SWP
Stiftung Wissenschaft und Politik
Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit
Ludwigkirchplatz 3–4
10719 Berlin
Telefon +49 30 880 07-0
Fax +49 30 880 07-100
www.swp-berlin.org
swp@swp-berlin.org
ISSN (Print) 1611-6364
ISSN (Online) 2747-5018
DOI: 10.18449/2025A34