Die unilateralen Sanktionen der Vereinigten Staaten beeinträchtigen natürliche und juristische Personen überall auf der Welt. Bei dem Versuch, in der EU ansässige Unternehmen vor den nachteiligen Wirkungen dieser Sanktionen zu schützen, haben sich außenpolitische Entscheidungsträger in Europa hilflos gezeigt. Um diesem Ziel zumindest mittelfristig näher zu kommen, sollten sich die Europäer nicht allein auf das Streben nach mehr strategischer Autonomie verlassen, sondern vorhandene Einflusskanäle besser nutzen. Eine Möglichkeit bestünde darin, europäische Unternehmen diplomatisch und finanziell dabei zu unterstützen, vor US-Gerichten die Administration beim Vollzug nationaler Gesetze außerhalb der eigenen Landesgrenzen einzuschränken.
Seit Gründung der Republik weitet die US-Regierung ihre Autorität jenseits der eigenen Landesgrenzen aus, um wirtschafts-, außen- und sicherheitspolitische Ziele zu verfolgen. Die extraterritoriale Anwendung von US-Recht auf natürliche und juristische Personen, Vermögen und Handlungen außerhalb des eigenen Territoriums wird durch drei Faktoren begünstigt: Erstens durch eine weltanschauliche Verpflichtung auf ein naturgegebenes Recht, die sich in einem Bekenntnis zur Unantastbarkeit unveräußerlicher Rechte ausdrückt, die auch über die eigenen Grenzen hinaus für gültig gehalten werden. Zweitens durch eine Rechtskultur, die von der Erfahrung einer steten territorialen Ausdehnung und Vorherrschaft geprägt ist – anfangs als ehemalige Siedlergesellschaft und später als Besatzungsmacht nach dem Zweiten Weltkrieg. Und drittens durch eine unabhängige Justiz, die über einen großen Ermessensspielraum verfügt, den geografischen Geltungsbereich von US-Recht und dessen Vollzug durch Verwaltungsbehörden zu interpretieren.
Die extraterritoriale US-Jurisdiktion resultiert aus Gesetzen des Kongresses (Regelungshoheit), Verordnungen der Verwaltung (Vollzugshoheit) sowie der Rechtsprechung heimischer Gerichte (Rechtsprechungshoheit). Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts betraf extraterritoriale US-Jurisdiktion vorwiegend Schadensersatzforderungen und Piraterie. Seit dem frühen 20. Jahrhundert erfolgte eine schrittweise Ausweitung auf die Umwelt- und auf die Wirtschaftspolitik, insbesondere im Kartell‑, Banken-, Konkurs‑, Aktien-, Steuer- und Arbeitsrecht. Seit den 1970er-Jahren hat sich die extraterritoriale Reichweite der US-Jurisdiktion erheblich vergrößert, weil die US-Außen- und Sicherheitspolitik viele verschiedene Ziele verfolgt. Dieser ausgreifende Geltungsanspruch missachtet die Souveränität anderer Nationen und führte in der Vergangenheit wiederholt zu Konflikten sowohl mit Herausforderern als auch mit Verbündeten. Der gegenwärtige Konflikt in Bezug auf den Iran hat eine schwere Krise im transatlantischen Verhältnis verursacht.
US-Recht geht vor EU-Recht
Mit dem am 8. Mai 2018 angekündigten Ausstieg aus dem Gemeinsamen umfassenden Aktionsplan (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA) erfüllte Präsident Donald J. Trump ein zentrales Wahlversprechen. Der JCPOA wurde von mehreren Regierungen mit dem Iran ausgehandelt und vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der Resolution 2231 (2015) angenommen. Gemäß ihren eingegangenen Verpflichtungen erklärte sich die iranische Regierung bereit, ihr Atomprogramm zu begrenzen und es einer engmaschigen internationalen Kontrolle zu unterziehen, um im Gegenzug eine Lockerung der internationalen Sanktionen zu erwirken. Aufgrund seines beschränkten Umfangs und seiner begrenzten Laufzeit verweigerte eine überparteiliche Mehrheit im Kongress dem JCPOA von Beginn an jegliche Unterstützung. Dem Ausstieg durch die Trump-Administration folgte eine sogenannte Strategie des maximalen Drucks. Wie Außenminister Michael R. Pompeo im Mai 2018 erklärte, soll die iranische Führung gezwungen werden, sich zwölf weitreichenden Forderungen zu fügen. Neben einer umfassenden Beschränkung des Atomprogramms sollen sich die iranische Regional- und Innenpolitik grundlegend wandeln, so Pompeo.
Um diese Maximalforderungen zu erreichen, kommen vorrangig unilaterale US-Sanktionen zum Einsatz. So hat die Trump-Administration eine große Anzahl unilateraler US-Sanktionen konsequent vollzogen, die, als »nicht atombezogen« deklariert, auch neben dem JCPOA bestanden. Das US-Finanz- und das Außenministerium listeten in 19 Runden insgesamt 168 natürliche und juristische Personen für eine Beteiligung am Raketenprogramm und wegen angeprangerter Menschenrechtsverletzungen.
Am 6. August 2018 hat Präsident Trump mit der Exekutivverordnung 13846 jene US-Sanktionen wieder eingeführt, die als »atombezogen« unter den Bedingungen des JCPOA seit Januar 2016 ausgesetzt waren. Diese maßgeblich vom Kongress gegen den Willen der Obama-Administration erlassenen Maßnahmen hatten die iranische Wirtschaft zwischen Mitte 2010 und Ende 2013 weitgehend lahmgelegt. Die erste Tranche wurde unmittelbar wirksam und enthielt eine begrenzte Anzahl von Verboten. Die zweite trat am 5. November 2018 in Kraft und beinhaltete zahlreiche Maßnahmen, die gemeinsam darauf abzielten, die Einnahmen der iranischen Regierung aus dem Ölexport auszutrocknen. Ab Anfang Mai 2019 verweigert das US-Außenministerium zudem den verbliebenen vier Importeuren iranischen Erdöls Ausnahmegenehmigungen, dieses per Finanztransaktion zu erwerben.
Schon vor den von der Regierung Trump gesetzten Fristen und vor jeglichen Vollzugsmaßnahmen zogen sich große europäische und asiatische Unternehmen aus dem ansonsten für sie lukrativen iranischen Markt zurück. Dieser erzwungene Rückzug aus dem Iran-Geschäft und die sich dadurch weiter verschlechternde Wirtschaftslage bewogen die iranische Führung Anfang Mai dazu, ihre Verpflichtungen aus dem JCPOA teilweise aufzukündigen. Um den drohenden Zusammenbruch des Atomabkommens abzuwenden, müssten europäische Entscheidungsträger heimische Unternehmen wirksam vor US-Sanktionen schützen. Dafür fehlt es jedoch derzeit an geeigneten Instrumenten.
Hilflose Europäer
Als Reaktion auf Präsident Trumps Entscheidung, die US-Beteiligung am JCPOA zu beenden, gelobten europäische Entscheidungsträger öffentlich, an dem Atomabkommen mit dem Iran festzuhalten. Um in der EU ansässige Unternehmen vor der Bedrohung durch die wieder eingeführten unilateralen US-Sanktionen zu schützen, unternahmen die Regierungen von Frankreich, Deutschland und dem Vereinigten Königreich (E3) gemeinsam mit der Europäischen Union (EU) bislang vier Schritte.
Zum einen hat der Europäische Rat die Verordnung (EG) Nr. 2271/96 aktualisiert. Diese untersagt es in der EU ansässigen Einzelpersonen und Unternehmen, die im Anhang aufgeführten unilateralen US-Sanktionen zu befolgen, wobei gleichzeitig die Geltendmachung von Schadensersatz vor europäischen Gerichten ermöglicht wird. Zweitens haben der Europäische Rat und das Europaparlament das Mandat der Europäischen Investitionsbank (EIB) für die Darlehenstätigkeit in Drittländern erweitert, um die Kreditvergabe für private Investitionen im Iran zu erleichtern. Drittens kündigte die Europäische Kommission eine Reihe vertrauensbildender Maßnahmen an, darunter ein Hilfspaket im Wert von 50 Millionen Euro für die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem iranischen Privatsektor. Viertens arbeiten die Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und die Regierungen Frankreichs und Deutschlands gemeinsam an einem Zahlungsmechanismus, der vom US-Dollar unabhängig ist. Dazu ist eine Zweckgesellschaft (Instrument in Support of Trade Exchanges, INSTEX) gegründet worden, die in Frankreich registriert ist, von dem ehemaligen führenden Mitarbeiter der Commerzbank, Per Fischer, geleitet und durch drei Ministerialbeamte aus den Außenministerien der E3-Staaten kontrolliert wird. Sie soll den europäisch-iranischen Handel von humanitären, landwirtschaftlichen und medizinischen Gütern und Dienstleistungen ohne Dollartransaktion möglich machen.
Alle vier Schritte reichen jedoch nicht aus, um in der EU niedergelassene Unternehmen vor unilateralen US-Sanktionen wirksam zu schützen. Während sich die EIB schlicht weigert, am Iran-Geschäft teilzunehmen, verpufft das wirtschaftliche Hilfspaket. Gleiches gilt für die Verordnung (EG) Nr. 2271/96, die sich bereits zuvor als wirkungslos erwiesen hat, weil die angedrohten Geldstrafen sehr niedrig sind im Vergleich zu den viel größeren Verlusten, die aus der Nichtbefolgung von unilateralen US-Sanktionen erwachsen könnten. Die Verordnung gestattet es in der EU ansässigen Unternehmen, ihre eigenen Geschäftsentscheidungen so zu fällen, dass sie gewisse Transaktionen meiden, die zufälligerweise von bestimmten unilateralen US-Sanktionen betroffen sind. Und von europäischen Gerichten zugesprochene Schadensersatzansprüche wären in den Vereinigten Staaten ohnehin nicht vollstreckbar. Aufgrund der absehbaren Probleme, INSTEX in der breiteren europäischen Wirtschaft zu verankern, wird der Mechanismus wohl darauf begrenzt sein, den Handel mit Agrarprodukten, Arzneimitteln und anderen medizinischen Erzeugnissen zu erleichtern. Obwohl die US-Gesetzgebung ihn explizit erlaubt, wird er vom vorauseilenden Gehorsam vonseiten der Banken massiv erschwert.
Die EU/E3 müsste den heimischen Unternehmen die Sorge nehmen, von der extraterritorialen Reichweite der US-Gesetze beeinträchtigt zu werden. Nur dann kann es ihr gelingen, angesichts der aktiven Sabotage durch die Trump-Administration den JCPOA als eine der wichtigsten Errungenschaften europäischer Diplomatie zu bewahren. Vorherige US-Regierungen rückten von ihren Ansprüchen ab, weil sie befürchteten, ihre europäischen Verbündeten zu verprellen. Die Trump-Administration zeigt hingegen keinerlei Bereitschaft, den transatlantischen Rechtskonflikt auf ähnliche Weise zu entspannen. Diese kompromisslose Haltung könnte sich bald zu einem für die europäische und deutsche Wirtschaft gravierenden Problem auswachsen: Der Kongress arbeitet derzeit mit Hochdruck daran, die unilateralen US-Sanktionen gegen Russland zu verschärfen. Selbst wenn also die europäische Abhängigkeit von US-Gütern, Technologien und (Finanz-)Dienstleistungen zukünftig reduziert werden könnte, böte dies nur wenig Schutz gegen extraterritoriale US-Sanktionen, da sich diese zunehmend gegen natürliche und juristische Personen, Vermögen und Handlungen – auch ohne Anknüpfungspunkte zur US-Jurisdiktion – richten.
Gesetzliche Grundlagen
Die wichtigsten gesetzlichen Grundlagen für unilaterale US-Sanktionen im Bereich der Außen- und nationalen Sicherheitspolitik sind einerseits der auf Kriegszeiten beschränkte Trading with the Enemy Act (TWEA) von 1917, andererseits der International Emergency Economic Powers Act (IEEPA) von 1977. Nach vorheriger Ausrufung eines nationalen Notstands gemäß dem National Emergencies Act von 1976 werden weitreichende Befugnisse aktiviert, die der Kongress mit dem IEEPA auf den Präsidenten übertragen hat. Dazu zählt das Verbot nicht genehmigter Importe und Exporte von Gütern, Technologien und (Finanz-)Dienstleistungen, einschließlich des weiteren Exports aus Drittländern. Zudem ermöglicht der IEEPA dem Präsidenten, unter US-Jurisdiktion fallende Vermögenswerte einzufrieren.
Neben dem TWEA und dem IEEPA gibt es weitere Gesetze, unter denen unilaterale Sanktionen verhängt werden können. Die wichtigsten sind der Atomic Energy Act (AEA) von 1954, der Arms Export Control Act (AECA) von 1976 und der Export Controls Act (ECA) von 2018, die dem Präsidenten die Kompetenz verleihen, fast alle nicht genehmigten Exporte von kerntechnischen Einrichtungen und Materialien (AEA), von militärischen Gütern und Software (AECA) sowie von Gütern, Technologien und Dienstleistungen mit zivil-militärischem Verwendungszweck (ECA) zu verbieten, einschließlich des weiteren Exports aus Drittländern.
Alle vorgenannten Gesetze enthalten sogenannte Primärsanktionen, die sich ausschließlich gegen Personen, Vermögen und Handlungen richten, die »der Gerichtsbarkeit der Vereinigten Staaten unterliegen«. Während die konkrete Reichweite der einzelnen Gesetze variiert, gibt es doch Ähnlichkeiten in der Terminologie. Der Begriff »US-Personen« bezieht sich in der Regel auf Individuen mit dauerhaftem Wohnsitz in den Vereinigten Staaten, aber auch auf Staatsangehörige überall in der Welt. Der Begriff »juristische Person« umfasst sowohl gemeinnützige Organisationen als auch Unternehmen, die nach US-Recht gegründet wurden, einschließlich ihrer Zweigstellen im Ausland. Und der Begriff »Vermögen« gilt gewöhnlich für alle Güter, Technologien und (Finanz-)Dienstleistungen, die aus den USA exportiert oder aus Drittländern weiterexportiert werden.
Seit den frühen 1990er-Jahren haben parteiübergreifende Mehrheiten im Kongress eine zunehmende Anzahl an Gesetzen beschlossen, die sogenannte Sekundärsanktionen enthalten. Diese zumeist gegen den Widerstand der Exekutive verabschiedeten Gesetze richten sich gegen bestimmte Aktivitäten ausländischer Personen wie Investitionen in spezifische Sektoren der iranischen bzw. russischen Wirtschaft oder wie Geschäfte mit Personen, die auf der schwarzen Liste des US-Finanzministeriums stehen. Rechtlich kann gegen US-Sekundärsanktionen nicht verstoßen werden, weil die auslösenden Aktivitäten unter den einschlägigen Gesetzen nicht illegal, sondern lediglich sanktionsbewehrt sind. Bei der Umsetzung von Sekundärsanktionen hat der Präsident durch die vorher notwendige Feststellung eines Verstoßes beträchtlichen Spielraum. In einem solchen Fall wird es US-Personen untersagt, bestimmte Geschäftsaktivitäten auszuüben, die sodann einen teilweisen oder vollständigen Ausschluss aus der 14-Billionen-Dollar-Wirtschaft bedeuten würden. So kann beispielsweise der Finanzminister anordnen, dass US-Banken ihre Korrespondenz- oder Durchleitungskonten von bestimmten ausländischen Banken mit strengen Auflagen versehen oder gar schließen müssen, um deren Zugang zu Dollartransaktionen zu kappen – das »Wall-Street-Äquivalent der Todesstrafe«. Darüber hinaus ermächtigte der Kongress das Finanzministerium 2012, unter US-Jurisdiktion befindliche Vermögenswerte jener ausländischen Personen zu sperren, die mit bestimmten iranischen Personen, die auf schwarzen Listen stehen, Geschäfte tätigen.
Extraterritorialer Vollzug
Mit dem extraterritorialen Vollzug unilateraler US-Sanktionen sind unterschiedliche Behörden beauftragt. Dazu zählen unter anderem die zum Energieministerium gehörende Nuclear Regulatory Commission für Bestimmungen des AEA, das im Handelsministerium angesiedelte Bureau of Industry and Security für Bestimmungen des ECA und das Directorate of Defense Trade Controls des Außenministeriums für Bestimmungen des AECA.
Das Office of Foreign Assets Control (OFAC) des Finanzministeriums vollzieht neben dem IEEPA eine kleine Zahl weiterer Gesetze. Überdies verwaltet es die berüchtigte Specially Designated Nationals (SDN) and Blocked Persons List, auf der derzeit über 15 000 natürliche und juristische Personen geführt werden. Diese Listung hat die Sperrung ihres unter US-Jurisdiktion stehenden Vermögens zur Folge. Zudem ist es natürlichen und juristischen US-Personen untersagt, mit diesen sogenannten SDNs in Geschäftsbeziehungen zu treten.
Alle SDNs wurden unter mindestens einem der über 30 länder- oder themenbezogenen Sanktionsprogramme geführt, die sich gegen staatliche und nicht staatliche Akteure richten. Die meisten dieser Programme gründen sich auf Exekutivverordnungen, die unter dem IEEPA angeordnet wurden; einige gehen auf Gesetze zurück, die der Kongress verabschiedet hat. Eine Listung wird entweder status- oder aktivitätsbasiert begründet. Letztere Begründung umfasst eine große Spannbreite an Handlungen, die unter verschiedenen Gesetzen strafbar sind: wie etwa die materielle Unterstützung des internationalen Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und ihrer Trägersysteme, Menschenrechtsverletzungen sowie transnationale Kriminalität, insbesondere Drogenhandel und Cyberangriffe.
Die vom OFAC unter dem IEEPA erlassenen Vorschriften enthalten in der Regel keine anwendbaren Schwellenwerte für die Feststellung von Verstößen. Folglich ist jeder nicht genehmigte Export von Gütern, Technologien und (Finanz-)Dienstleistungen aus den Vereinigten Staaten unabhängig von der Quantität streng verboten. Im historischen Vergleich mit seinen beiden Vorgängern schränkt das OFAC die Reichweite seiner in Anspruch genommenen Durchsetzungshoheit ein, nämlich auf US-Personen. Eine Ausnahme davon bilden die Cuban Assets Control Regulations und die Iran Transaction and Sanctions Regulations, die für alle natürlichen und juristischen Personen gelten, »die dem US-Recht unterstehen«. Dieser scheinbar kleine Unterschied ist von grundlegender rechtlicher Tragweite, weil letztere Formulierung auch die große Zahl an Zweigstellen von US-Muttergesellschaften erfasst, die unabhängig im Ausland operieren.
Beim Vollzug des IEEPA kann das OFAC zivilrechtliche Geldbußen von bis zu 295 141 Dollar pro Verstoß bzw. die zweifache Summe der inkriminierten Transaktion verhängen. Die genaue Summe wird unter Abwägung verschiedener Faktoren berechnet, die in Economic Sanctions Enforcement Guidelines festgehalten sind. Dieser Verwaltungsvorgang ist intransparent und kann gerichtlich nicht überprüft werden. Im Dezember 2007 beschloss der Kongress, jeden zur Verantwortung zu ziehen, der mit seiner Aktivität bewirkt, dass eine US-Person gegen den IEEPA verstößt. Das führte dazu, dass große ausländische Banken fortan mit hohen Geldbußen belegt wurden, weil sie zuvor Finanztransaktionen in Dollar abgewickelt hatten, und zwar im Auftrag von als SDNs gelisteten Personen.
Neuerdings überwacht das OFAC, ob ausländische Personen, die wegen einer Einigung auf einen Vergleich von der SDN-Liste gestrichen wurden, sich an die vereinbarten Bedingungen halten. In Zukunft könnte das OFAC dadurch sicherstellen, auch wichtige Aktionäre bedeutender Unternehmen ins Visier nehmen zu können, ohne globale Wertschöpfungsketten zu beeinträchtigen.
Schließlich kann das OFAC Verstöße gegen den IEEPA zum Zweck der Strafverfolgung an das Justizministerium abgeben. Obwohl ein Gerichtsverfahren besseren Rechtsschutz unter der US-Verfassung garantiert, kann eine Verurteilung jedoch zu hohen Geldbußen und Haftstrafen von bis zu 30 Jahren führen. Der extraterritoriale Vollzug von US-Sanktionen wird von bilateralen Auslieferungsabkommen unterstützt, um gesuchte Einzelpersonen überall auf der Welt fassen zu können.
Völkerrechtliche Grauzone
Mit der weltweiten Durchsetzung unilateraler US-Sanktionen operiert die US-Administration in einer Grauzone des Völkerrechts, das die Beziehungen zwischen souveränen Nationalstaaten entweder durch formelle Verträge oder durch weithin anerkannte Gewohnheitsprinzipien regelt.
Völkerrechtlich genießt die US-Regierung weiten Spielraum bei der Begrenzung von Handels- und Finanzbeziehungen. In ihren zahlreichen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsverträgen mit anderen Nationen unterliegt sie aufgrund außen- und sicherheitspolitisch begründeter Ausnahmeregelungen keinerlei Einschränkungen bei der Anwendung unilateraler Sanktionen. Diese Abwesenheit rechtlicher Barrieren betrifft auch multilaterale Vertragswerke, die weit gefasste Ausnahmeregelungen für Angelegenheiten der nationalen Sicherheit enthalten, darunter Artikel VIII, Abschnitt 2(b) im Übereinkommen des Internationalen Währungsfonds und Artikel XXI der Welthandelsorganisation.
Im Gegensatz zur lautstark vorgetragenen Kritik an unilateralen US-Sanktionen besteht gemäß einem Grundsatzurteil des Internationalen Gerichtshofs von 1986 im Fall Nicaragua v. United States of America jedoch kein Recht auf wirtschaftlichen Austausch. Bis heute hat sich die Anwendung wirtschaftlicher Macht in internationalen Beziehungen weitgehend allen Versuchen einer gesetzlichen Regelung widersetzt.
Laut Völkergewohnheitsrecht steht es der US-Regierung generell frei, ihre Vollzugshoheit mit Verweis auf die folgenden fünf Prinzipien extraterritorial geltend zu machen: Erstens erlaubt das objektive Territorialitätsprinzip direkten und erheblichen Auswirkungen entgegenzusteuern, die sich aus Aktivitäten jenseits der eigenen Landesgrenzen ergeben. Dieses sogenannte »Auswirkungsprinzip« geht zurück auf das jahrhundertealte subjektive Territorialitätsprinzip; es etabliert die Gerichtsbarkeit über natürliche und juristische Personen, Vermögen und Handlungen innerhalb des eigenen staatlichen Territoriums. Zweitens erlaubt das aktive Nationalitätsprinzip eigenen Staatsangehörigen, überall auf der Welt Vorschriften zu machen. Drittens ermöglicht das passive Nationalitätsprinzip natürliche Personen strafrechtlich zu verfolgen, die den eigenen Bürgern im Ausland schaden. Viertens kann unter dem Schutzprinzip ausgemachten Bedrohungen für die nationale Sicherheit entgegengewirkt werden. Und schließlich kann das Universalitätsprinzip weit ausgelegt werden, um diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die weithin geächtete Verbrechen wie etwa Terrorismus verübt haben.
Die Anwendung dieser Prinzipien im Einzelfall ist Auslegungssache. Neben dem Schutzprinzip hat die US-Administration in den letzten Jahrzehnten insbesondere zwei Prinzipien so interpretiert, dass sie damit den Vollzug der eigenen Gesetze auch im Ausland rechtfertigen kann.
Zum einen stützt sich insbesondere das OFAC auf das aktive Nationalitätsprinzip, um die Vollzugshoheit gegenüber ausländischen Unternehmen zu beanspruchen, die zu mindestens 50 Prozent (manchmal auch weniger) im Besitz oder unter der Kontrolle einer US-Person sind. Diese 1942 von der Franklin-D.-Roosevelt-Administration im Kampf gegen die Achsenmächte eingeführte sogenannte Kontrolltheorie ist völkerrechtlich umstritten. Der Internationale Gerichtshof lehnte eine solche Ausdehnung des aktiven Nationalitätsprinzips im Februar 1970 in der Entscheidung Barcelona Traction ab. Das Gericht befand, dass sich die Nationalität eines Unternehmens nicht anhand seiner Eigner oder Vorstände, sondern nach dessen jeweiligem Standort entscheide. Diese Argumentation bekräftigte die Kommission der Europäischen Gemeinschaften in einem Aide-Mémoire an das US-Außenministerium im August 1982. Diese Demarche war Teil der europäischen Reaktion auf eine vorherige Ausweitung der US-Exportkontrolle auf in Europa gegründete Tochterfirmen von US-Muttergesellschaften, um deren Beteiligung am Bau einer Gas-Pipeline zwischen Westdeutschland und der Sowjetunion zu unterbinden.
Außerdem legen die US-Behörden das Nationalitätsprinzip dahingehend großzügig aus, dass sie ihre Vollzugshoheit nicht nur auf Güter, Technologien und (Finanz-) Dienstleistungen auch nach deren Export anwenden, sondern weltweit ebenso auf Güter, Technologien und (Finanz-)Dienstleistungen, die mehr als 10 Prozent Originalteile aus den Vereinigten Staaten enthalten. Selbst der Gebrauch des Dollar für internationale Zahlungen zwischen Auslandsbanken – eine zentrale Praxis in der globalen Wirtschaft – wird von der US-Administration sowie einigen Bundesgerichten als Dienstleistungsexport betrachtet, da hierfür ein Korrespondenzkonto bei einer US-Bank benötigt wird.
Zum anderen haben das OFAC und andere Behörden das objektive Territorialitätsprinzip ausgedehnt: Entscheidend ist demnach nicht mehr allein der Ort, an dem eine inkriminierte Handlung ausgeführt wird, sondern das Territorium, auf das sich diese Handlung nachteilig auswirkt. Diese erstmals vom Ständigen Internationalen Gerichtshof im Präzedenzfall Lotus vom September 1927 anerkannte Auslegung fand später Eingang in die US-Rechtsprechung: mit dem Urteil im Fall United States v. Alcoa im März 1945 vor dem Berufungsgericht für den zweiten Gerichtsbezirk (148 F.2d 416). Im Gegensatz zur gängigen Praxis im US-Kartellrecht fehlt es beim extraterritorialen Vollzug des IEEPA generell an objektiven Kriterien, wann bestimmte Auswirkungen auf das US-Staatsgebiet als »direkt« und »wesentlich« zu erachten sind. Daher sind und bleiben Auslegungen des objektiven Territorialitätsprinzips in Bezug auf die US-Außen- und Sicherheitspolitik äußerst subjektiv.
Durch die Ausdehnung des aktiven Nationalitäts- und des objektiven Territorialitätsprinzips einerseits und die fortlaufende Unterminierung des subjektiven Territorialitätsprinzips andererseits trägt die US-Regierung entscheidend dazu bei, das jahrhundertealte Prinzip des gegenseitigen Einvernehmens (comity) zu erodieren. Es besagt, dass sich Staaten im Falle einander entgegenstehender Rechtsakte in Zurückhaltung üben.
Schutz nur durch US‑Gerichte
Im deutschen Grundgesetz wird das Völkerrecht nicht nur als Bestandteil des Bundesrechts, sondern als darüber hinausgehend festgelegt (Artikel 25). Im Gegensatz dazu setzt die US-Verfassung dem Kongress keine Grenzen für die extraterritoriale Anwendung von US-Gesetzen. In den meisten US-Gesetzen und den jeweiligen Durchführungsverordnungen bleibt der geografische Geltungsbereich unbestimmt, so auch im IEEPA. Deren genaue Reichweite jenseits der Landesgrenzen wird von US-Gerichten im Einzelfall festgelegt.
Tatsächlich unterstützen viele US-Bundesgerichte die von der Administration vertretene weit gefasste Auslegung ihrer Vollzugshoheit und wägen in der Regel nicht ab zwischen den Interessen der Vereinigten Staaten und denen anderer beteiligter Nationen. Die meisten ausländischen Angeklagten, die beschuldigt werden, im Ausland gegen US-Recht verstoßen zu haben, ziehen es vor, einem Strafverfahren aus dem Weg zu gehen: Sie unterzeichnen eine Vereinbarung über den Aufschub der Strafverfolgung (Deferred Prosecution Agreement), mit der sie sich zivilrechtlichen Maßnahmen durch die US-Administration unterwerfen. Bis jetzt wurde die extraterritoriale Anwendung der IEEPA kaum vor Bundesbezirks- oder Berufungsgerichten verhandelt, geschweige denn vor dem Obersten Gerichtshof.
Dieser Unwille, sich vor Gericht zu behaupten, ist angesichts der hohen Risiken für das Ansehen und die Geschäftstätigkeit verständlich. Aber die Aussichten, die großzügige Auslegung der Vollzugshoheit durch die US-Administration vor einheimischen Gerichten erfolgreich anzufechten, könnten sich in letzter Zeit verbessert haben. Dies ist einer Stärkung zweier Rechtsauslegungsprinzipien geschuldet, die der Oberste Gerichtshof anwendet, um die extraterritoriale Reichweite von US-Recht zu bestimmen, und die für alle unteren Instanzen bindend sind. Gemäß dem als Presumption Against Extraterritoriality (Vermutung gegen Extraterritorialität) bekannten Auslegungsprinzip gelten US-Gesetze in erster Linie im Inland, sofern der Kongress es nicht ausdrücklich anders festgelegt hat. Dieses Prinzip ergänzt ein früheres zur Bestimmung von Extraterritorialität, das unter dem Namen Charming Betsy geläufig ist und seinen Ursprung im frühen 19. Jahrhundert hat. Demzufolge könne man die Absicht des Kongresses nur so deuten, dass er nur in dem Fall gegen das Völkerrecht verstößt, in dem keine andere Konstruktion möglich ist.
Diese beiden Auslegungsprinzipien gäben den Angeklagten, die beschuldigt werden, im Ausland US-Gesetze verletzt zu haben, einen mächtigen Hebel in die Hand: Sie könnten argumentieren, dass die US-Gesetzgebung nicht auf sie oder ihre Handlungen angewandt werden kann. Für eine solche Argumentation wären die konservativen Richter am Obersten Gerichtshof und in den unteren Instanzen vermutlich empfänglich, da sie eine eher wörtliche Auslegung der US-Verfassung befürworten und dem stetigen Machtzuwachs des Verwaltungsstaats in den letzten 60 Jahren zutiefst skeptisch gegenüberstehen. Ein positives Signal in diese Richtung ist die Einwilligung des Obersten Gerichtshof, einen Fall zu verhandeln, der möglicherweise das Urteil in der sogenannten Auer Deference widerrufen oder zumindest einschränken könnte. Dieser Präzedenzfall geht auf die Entscheidung im Fall Auer v. Robbins von 1997 zurück, die es den Verwaltungsbehörden seither erlaubte, mehrdeutige Verordnungen nach eigenem Ermessen auszulegen. Eine konservative Mehrheit am Obersten Gerichtshof könnte auch noch einen Schritt weitergehen und den aus der Entscheidung im Fall Chevron U.S.A. v. Natural Resources Defense Council hervorgegangenen Präzedenzfall überdenken. Dieses Urteil von 1984 ermöglicht den Behörden, jene Gesetze auszulegen, die ihr eigenes Verwaltungshandeln autorisieren.
Auf dem Weg hin zu mehr strategischer Autonomie gegenüber der US-Regierung sollten europäische Entscheidungsträger vorhandene Einflusskanäle besser nutzen, indem sie sich auf die US-Rechtsprechung innerhalb des verfassungsgemäßen Systems der Checks and Balances stützen. Praktisch bedeutet das, in der EU ansässige Unternehmen systematisch zu ermutigen und dann auch dabei zu unterstützen, die extraterritoriale Durchsetzung des IEEPA durch die US-Administration – und vielleicht auch anderer Gesetze – vor heimischen Gerichten anzufechten. Diese Vorgehensweise böte sich zunächst für staatsnahe Unternehmen wie die EIB oder INSTEX an und müsste zwischen der Europäischen Kommission, den einzelnen Mitgliedstaaten und dem Privatsektor auf beiden Seiten des Atlantiks eng abgestimmt werden. Solange es keine diplomatische Verständigung mit der US-Administration oder Widerstand aus dem Kongress gegen die extraterritoriale Rechtsanwendung gibt, liegt das einzig wirksame Mittel zum Schutz europäischer Souveränität in der normativen Macht des Rechtsstaatsprinzips – vor US-Gerichten.
Dr. Sascha Lohmann ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Amerika.
© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2019
Alle Rechte vorbehalten
Das Aktuell gibt die Auffassung des Autors wieder.
SWP-Aktuells werden intern einem Begutachtungsverfahren, einem Faktencheck und einem Lektorat unterzogen. Weitere Informationen zur Qualitätssicherung der SWP finden Sie auf der SWP-Website unter https://www. swp-berlin.org/ueber-uns/ qualitaetssicherung/
SWP
Stiftung Wissenschaft und Politik
Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit
Ludwigkirchplatz 3–4
10719 Berlin
Telefon +49 30 880 07-0
Fax +49 30 880 07-100
www.swp-berlin.org
swp@swp-berlin.org
ISSN 1611-6364
doi: 10.18449/2019A31
Übersetzt von Ina Goertz
(Aktualisierte und ins Deutsche übersetzte Fassung von SWP Comment 5/2019)
Literaturempfehlung:
Sascha Lohmann
Zwang zur Zusammenarbeit. Unilaterale US-Sekundärsanktionen gegen den Iran setzen europäische Akteure auch zukünftig unter Druck
Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Juni 2015 (SWP-Aktuell 54/2015)