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Engagement für globale Gesundheit

Herausforderungen einer strategischen Neuausrichtung für Deutschland

SWP-Aktuell 2018/A 56, 22.10.2018, 4 Seiten Forschungsgebiete

2015 verabschiedeten die Vereinten Nationen die Agenda 2030 zur nachhaltigen Entwicklung. Darin ist auch ein Gesundheitsziel enthalten: Gesundheit und Wohl­befinden für alle Menschen in jedem Alter und an allen Orten. In einer Welt, in der Men­schen so mobil sind wie noch nie, in der Krankheitsrisiken und Gesundheitschancen ungleich verteilt sind und internationale Finanz- und Warenströme gesundheitliche Auswirkungen haben, können Gesundheit und Wohlbefinden nicht mehr nur auf nationaler Ebene und durch staatliche Akteure allein gesichert werden. Eine Reihe von Entwicklungen – nicht zuletzt die laufende Überarbeitung der deutschen Strategie zur globalen Gesundheit von 2013 – eröffnet Deutschland die Chance, sich strategisch neu auszurichten, die sich wandelnden Herausforderungen bei der Sicherung und Förderung nationaler wie globaler Gesundheit kohärent an­zugehen und international sichtbar neue Prioritäten zu setzen.

Gesundheitspolitik ist traditionell auf nationale Strukturen begrenzt. Doch muss sie sich heute in einer hochgradig vernetzten und mobilen Welt bewähren. Zu den gesundheitspolitischen Aufgaben zählt vorrangig, im eigenen Staat eine allen Men­schen zugängliche, qualitativ hochwertige und bezahlbare Gesundheitsversorgung zu ermöglichen, Gesundheitsrisiken abzu­bauen – auch im Verkehr, im Arbeits- und sozialen Umfeld – sowie gesundheitsfördernde Lebenswelten zu schaffen. Angesichts erhöhter Konnektivität und Mobilität von Menschen, Kapital und Waren in Deutschland und weltweit wird die Erfüllung dieser Aufgaben zu einer immer größeren Herausforderung:

  • Binnen Stunden können sich Gesundheitsgefahren über den ganzen Globus verteilen.

  • Medizinisches Personal wandert von ärmeren in reichere Länder ab.

  • Alle Gesundheitssysteme sind mit den Bedürfnissen einer wachsenden oder alternden Gesellschaft überfordert.

  • Weltweit erschweren es Antibiotika-Resistenzen, Infektionskrankheiten zu behandeln.

  • Der Klimawandel verändert traditionelle Krankheitsmuster.

Leistungen zur Gesundheitsversorgung werden vor allem national erbracht, doch liegen die gesundheitspolitischen Herausforderungen oft auf globaler Ebene.

Verflechtung mit anderen Politikfeldern

Der Begriff globale Gesundheitspolitik be­schreibt alle innen- und außenpolitischen Aktivitäten, die »im Ausland« gesundheitsrelevanten Einfluss nehmen – in der Gesundheits-, Bildungs-, Umwelt-, Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik eben­so wie im Bereich der Außenwirtschaft. Oftmals haben Gesundheitsgewinne, vor allem aber Gesundheitsverluste ihren Ur­sprung außerhalb des Gesundheitssektors. Notwendig ist daher, Verflechtungen mit anderen Politikfeldern genau zu beachten. Diese verbindende Denkweise schlägt sich im »health in all policies«-Ansatz der Welt­gesundheitsorganisation (WHO) nieder.

So sind gesundheitsschädigende Pro­dukte, die international gehandelt werden (wie zuckerhaltige Lebensmittel, Alkohol und Tabak), ein Grund für den weltweiten Anstieg von Fettleibigkeit sowie Herz-Kreislauf-, Atemwegs- und Krebserkran­kungen. Da ökonomische Interessen häufig eine wichtigere Rolle spielen als Gesundheitsschutz, wird Wirtschaftsförderung oft priorisiert.

In gewalttätigen Konflikten werden zunehmend Gesundheitseinrichtungen und ‑personal gezielt angegriffen; in Syrien zum Beispiel gab es seit April 2011, so die Organisation Physicians for Human Rights, 492 Angriffe auf medizinische Infrastruk­turen. Viele Staaten stehen als Folge gewalt­tätiger Konflikte vor der Herausforderung, eine große Zahl von Geflüchteten medizinisch zu versorgen.

Laut WHO und Weltbank hat rund die Hälfte der Weltbevölkerung noch immer keinen ausreichenden Zugang zu lebenswichtiger Gesundheitsversorgung. Auch für die Entwicklungspolitik bleibt Gesundheit daher eine gewaltige Aufgabe. In diesem Feld lassen sich mittels Gesundheitspolitik ebenfalls Ziele erreichen. So können etwa entwicklungspolitische Gesundheits­programme die Stabilität in Partnerländern fördern.

Gesundheit als Menschenrecht, nationale und globale Ressource

WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom betonte zu Beginn seiner Amtszeit 2017, dass Gesundheit vor allem eines sei: eine politische Entscheidung. Verschiedene Motive können einer solchen Entscheidung zugrunde liegen.

Erstens ist Gesundheit ein Menschenrecht; die Förderung von Gesundheit gilt daher als eine Frage globaler sozialer Ge­rechtigkeit. Inakzeptabel ist demnach die extreme Ungleichverteilung von Krankheitsrisiken und Überlebenschancen, so­wohl zwischen den Staaten als auch inner­halb einzelner Staaten. Zweitens liegt es im nationalen Interesse eines Staates, die öffentliche Gesundheit zu bewahren und zu fördern. Sie ist nationale Ressource, Voraussetzung und Folge von Sicherheit, Stabilität und Wohlstand. In Gesundheit an einem anderen Ort wird investiert, um im Sinne der globalen Gesundheitssicherheit vor Krankheit »zu Hause« zu schützen. Und drittens ist Gesundheit ein globales öffent­liches Gut. Ein Staat ist in der Verantwortung, Gesundheitsleistungen für seine Bevölkerung sicherzustellen. Kann er das nicht, so sind andere Staaten und Akteure gefordert, nachhaltige Entwicklung im Ge­sundheitsbereich zu unterstützen.

Jeder dieser drei Aspekte hat seine Be­rechtigung, erfordert aber je eigene Maß­nahmen, die sich ergänzen sollten. Gesund­heit als Menschenrecht zielt darauf, Über­lebenschancen und Partizipation an Ent­wicklungserfolgen gerechter zu verteilen, etwa durch besseren Zugang zu Medikamenten für marginalisierte Personen. Ge­sundheit als nationale Ressource impliziert beispielsweise, grenzüberschreitendes Infektionsgeschehen zu verhindern, wie während der Ebolafieber-Epidemie in Westafrika 2014/2015. Gesundheit als globales öffent­liches Gut wiederum erfor­dert internatio­nale Anstrengungen zur Entwicklung von Gesundheitssystemen.

Die Global-Health-Strategie der Bundesregierung

2013 hat die Bundesregierung erstmals eine Strategie zur globalen Gesundheitspolitik vorgelegt. Drei Ziele wurden vorgege­ben:

  • durch globales Handeln die öffentliche Gesundheit in Deutschland zu schützen und zu verbessern

  • mit der Bereitstellung von Expertise und Ressourcen die Gesundheit außerhalb Deutschlands zu schützen und zu verbessern

  • internationale Gesundheitsorganisationen zu stärken

Seitdem engagiert sich Deutschland zuneh­mend für globale Gesundheit. Kanzlerin Merkel schlug – auch unter dem Druck der Ebolafieber-Epidemie – im Rahmen der G7-Präsidentschaft 2015 sechs Punkte vor, die darauf zielen, Gesundheits­krisen inter­natio­nalen Ausmaßes effektiver zu bewältigen:

  • Bereitstellung von weltweit schnell ein­setzbarem Fachpersonal

  • Bereitstellung von schnell einsetzbarem medizinischen Material

  • Einrichtung eines Fonds mit schnell abrufbaren Finanzmitteln

  • Reform und Stärkung der WHO

  • Stärkung von Gesundheitssystemen

  • vermehrte Gesundheitsforschungs- und Entwicklungsaktivitäten

Unter Berlins Präsidentschaft trafen sich im Mai 2017 erstmals die Gesundheitsminister der G20. In einer gemeinsamen Erklärung stellten sie fest, dass – neben der international koordinierten Bewältigung von Ge­sundheitskrisen – belastbare Gesundheits­systeme die »Grundlage für eine wohl­habende und stabile Gesellschaft« seien.

Aufgabenteilung in Deutschland

Ministerien und Einrichtungen des Bundes haben seit 2013 ihr Global-Health-Engage­ment deutlich ausgebaut. Dabei haben die Ministerien verschiedene Aufgaben über­nommen und sind unterschiedlich stark präsent. Das Entwicklungsministe­rium (BMZ) fördert traditionell die Arbeit inter­nationa­ler Gesundheitseinrichtungen und bilate­rale Programme zur Gesundheits­versor­gung. Das Gesundheitsministerium (BMG) kooperiert mit der WHO und kon­zentriert sich auf den internationalen Ge­sundheits­schutz, vor allem Krankheitsüberwachung und Ausbruchsbekämpfung. Das Bildungs- und Forschungsministerium (BMBF) fokus­siert auf Gesundheitsforschung und Hoch­schulbildung. Das Auswärtige Amt (AA) ist zuständig für humanitäre Hilfe bei akuten Gesundheitskrisen, auch solchen infolge gewalttätiger Konflikte.

Andere Ministerien könnten im Sinne des »health in all policies«-Ansatzes ihr Engagement steigern. So werden etwa die Landwirtschafts-, Umwelt- und Außenwirtschaftspolitik noch nicht sichtbar genug mit globaler Gesundheit in Verbindung ge­bracht. Das Kanzleramt nimmt eine eigen­ständige Rolle ein. So bat Merkel im April 2018 zusammen mit Ghanas Staatspräsident Nana Akufo-Addo und Nor­wegens Minister­präsidentin Erna Solberg den WHO-Gene­ral­direktor, einen globalen Aktionsplan zum Entwicklungsziel Ge­sundheit vorzulegen.

Fünf Jahre nach Veröffentlichung der Strategie zur globalen Gesundheitspolitik sind zwischen den Ressorts die unterschiedlichen Themenbereiche weitestgehend auf­geteilt (siehe Graphik). Doch kann die strik­te Zuständigkeitsverteilung zu Problemen in den Partnerländern führen, wenn sich dort Aktivitäten der Ressorts doppeln, wenn Komponenten fehlen oder nicht ineinandergreifen. Notwendig ist eine bessere Koor­dinierung, die in Berlin beginnen muss.

Eckpunkte für die Neuausrichtung

In den vergangenen Jahren haben sich mit dem Ebolafieber-Ausbruch und der Ent­wick­lungsagenda 2030 die Rahmenbedingungen für globale Gesundheit in Deutschland ge­ändert. Wissenschaft, andere Staaten und internationale Organisationen schreiben der Bundesregierung heute eine Führungsrolle in globaler Gesundheitspolitik zu. Dies ist ein Vertrauensbeweis wie auch ein Ver­trauensvorschuss für die deutsche Politik.

Graphik

Aktuelle Konzeption der globalen Gesundheitspolitik der Bundesregierung

Die Aktualisierung der deutschen Strategie zur globalen Gesundheit ist daher über­­fällig. Unter Federführung des BMG sowie breiter Beteiligung von Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Privatwirtschaft soll sie bis Ende 2019 abgeschlossen sein. Fünf Punkte sollten dabei berücksichtigt werden:

  • Werteorientierung: Es bedarf einer klaren wertebasierten Prioritätensetzung, die auf bestehenden Erfahrungen und Stär­ken aufbaut, aber auch den Mut hat, neue Akzente zu setzen. Die globale Ge­sundheitspolitik könnte neben nationalen Interessen verstärkt auch globale Ge­rechtigkeitsaspekte in den Blick nehmen und deutlicher eine präventive, partnerschaftliche Grundhaltung einnehmen.

  • Finanzielles Engagement: Finanziell nimmt Deutschland noch keine Führungsrolle ein. Die von der WHO vorgegebene Ziel­marke, dass Industriestaaten 0,1 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens in ge­sundheitsbezogene Entwicklungs­zusam­menarbeit investieren, hat Deutschland bisher nicht erreicht.

  • Neue Akteure: Im Sinne des »health in all policies«-Ansatzes ist es notwendig, Ak­teu­re partnerschaftlich einzubeziehen, die traditionell wenig Bezug zu globalen Gesundheitsthemen haben. Da­zu zählen staatliche wie nichtstaatliche Akteure aus Finanz-, Wirtschafts-, Umwelt- und Verteidigungsressort ebenso wie Akteure des öffentlichen Gesundheitswesens auf Länder- und kommunaler Ebene.

  • Kooperation mit Geberpartnern: Die Priori­tätensetzung sollte verstärkt mit anderen Staaten koordiniert werden, um Synergien zu nutzen. Zu den relevanten Geber­partnern zählen auch nichttradi­tionelle Akteure in globaler Gesundheit wie Bra­silien, Russland, Indien, China, Südafrika.

  • Aktionsplan: Neben einer klaren Schwerpunktsetzung und einer Bündelung aller laufenden Prozesse benötigt eine neuausgerichtete Strategie einen klaren Zeit­horizont, Regeln für die Einbindung nichtstaatlicher Akteure sowie einen Überprüfungsmechanismus zur Erfolgsmessung. Ein Aktionsplan sollte diese Elemente zusammenfassen. Als Muster dafür kann der »Global Action Plan for healthy lives and well-being for all« dienen, den die WHO nach der erwähnten Bitte von Kanzlerin Merkel und ande­ren im Oktober 2017 veröffentlicht hat.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2018

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