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Eine zügige Umsetzung des jüngsten Kosovo-Abkommens ist unwahrscheinlich

Es ist verfrüht, das am 19. April unter der Vermittlung der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton erzielte Abkommen zwischen Belgrad und Pristina als "Durchbruch" und "historisch" zu preisen, meint Dušan Reljic. Seiner Umsetzung stehen enorme Hindernisse im Weg.

Kurz gesagt, 23.04.2013 Forschungsgebiete

Es ist verfrüht, das am 19. April unter der Vermittlung der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton erzielte Abkommen zwischen Belgrad und Pristina als "Durchbruch" und "historisch" zu preisen, meint Dušan Reljic. Seiner Umsetzung stehen enorme Hindernisse im Weg.

Sicherlich hat das Abkommen Chancen eröffnet, den Jahrzehnte dauernden serbisch-albanischen Konflikt um Kosovo beizulegen. Viel wahrscheinlicher aber ist es zum einen, dass sich die Streitigkeiten über die Interpretation des Abkommens lange hinziehen werden. Zum anderen ist mit Widerstand der im Norden Kosovos lebenden Serben gegen dessen Umsetzung zu rechnen. Eine dauerhafte Regulierung des Verhältnisses zwischen Serbien und Kosovo wird wohl weiterhin auf sich warten lassen.

Die Hauptbetroffenen - die etwa 50.000 im Norden Kosovos lebenden Serben - haben das Abkommen umgehend abgelehnt. Sie wollen nach Gesetzen des serbischen Staates weiterleben und keine Eingliederung in das Verfassungssystem Kosovos hinnehmen, auch wenn das Abkommen ihnen in wichtigen Bereichen, einschließlich des Polizeiwesens, reale Autonomie verspricht. Derzeit ist kaum vorstellbar, dass sich die Serben im Norden, so wie im Abkommen vorgesehen, bis Jahresende an den Lokalwahlen nach den Gesetzen Kosovos beteiligen. Oder dass sich serbische Richter im Norden bereitfinden, nach den Gesetzen Kosovos Recht zu sprechen.

Weder Belgrad oder Pristina noch Eulex, die Rechtsstaatlichkeitsmission der EU, werden in absehbarer Zeit in der Lage sein, das Abkommen gegen den Willen der Bevölkerung im Norden durchzusetzen. Jede Regierung in Belgrad, die versuchen würde, offen Zwang auf die Kosovo-Serben auszuüben, z.B. durch die Unterbindung der finanziellen Zuwendungen, würde bald ins Schleudern geraten. Schon jetzt trifft der lodernde Zorn der serbisch-orthodoxen Kirche die Staats-und Regierungsspitze, der vorgeworfen wird, das "spirituell und historisch wichtigste Territorium" aufzugeben. Rechtsgerichtete Verbände haben Protestversammlungen angekündigt. Die Behörden nehmen die zahlreichen Morddrohungen gegen Staatspräsident Tomislav Nikolic, Regierungschef Ivica Dacic und seinen Stellvertreter Aleksandar Vucic durchaus ernst.

Die albanisch dominierte Regierung in Pristina hat keinerlei politischen Zugang zu den Serben im Norden. Vielmehr betrachten diese sie als Erzfeind, weil sie ihre Abtrennung vom serbischen Staat verfolgt. Sollte Regierungspräsident Hashim Thaçi wie im Sommer 2011 versuchen, durch die Entsendung paramilitärischer Verbände vollendete Tatsachen zu schaffen, ginge der Norden in Flammen auf. Die Eulex-Mission wäre machtlos. Ein Einschreiten der internationalen KFOR-Truppe - in der die USA und Deutschland zurzeit die stärksten Kontingente stellen - ginge mit dem Verlust zahlreicher Menschenleben einher. Wie begrenzt die Fähigkeit der Friedenshüter ist, mit Massenunruhen fertig zu werden, ist bei den gewaltigen Protesten der Kosovo-Albaner im März 2004 und der Kosovo-Serben im Norden in den vergangenen drei Jahren deutlich geworden.

Belgrad und Pristina ging es bei der Unterzeichnung um das Wohlwollen des Westens

Belgrad und Pristina waren sich der geringen Chance auf eine reibungslose Umsetzung des Abkommens gewiss bewusst. Mit dessen Unterzeichnung aber wollten sie vor allem die Bereitschaft signalisieren, gemeinsam mit der EU und den USA nach einem Weg aus der Sackgasse zu suchen. Von diesem Entgegenkommen nämlich erhoffen sich Belgrad und Pristina das politische und wirtschaftliche Wohlwollen des Westens, das sie angesichts ihrer wirtschaftlichen Misere dringend brauchen. Überall in der Region leben die Menschen derzeit schlechter als vor dem Ausbruch der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise im Jahr 2009. Die Hoffnungen auf eine baldige Besserung sind gering. Für die sozioökonomischen Probleme ebenso wie für die grassierende Korruption sowie zahlreiche weitere Missstände macht die Bevölkerung die Regierungen verantwortlich. Als Belohnung für die "konstruktive Haltung" bei den Brüsseler Gesprächen nun hat die Europäische Kommission, wie erhofft, am 22. April für Serbien den Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen und für Kosovo die Aufnahme der Gespräche über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen empfohlen. Dies beeindruckt die einheimische politische Öffentlichkeit und weckt Hoffnung auf bessere Zeiten, jedenfalls für eine Weile. Ob jedoch die Mitgliedstaaten dem Vorschlag der Europäischen Kommission zustimmen werden, steht auf einem anderen Blatt. Als Bedingung wird die zügige Umsetzung der Vereinbarung benannt. Ob Belgrad und Pristina damit aufwarten können, ist mehr als fraglich.

Die nächste Probe für alle Beteiligten, einschließlich der Brüsseler Vermittler, steht schon vor der Tür: Bis zum 15. Juni müssen Belgrad und Pristina, wie im Abkommen vereinbart, eine Übereinkunft über den Umgang mit dem umstrittenen Energiewirtschafts- und Fernmeldewesen in Kosovo erzielen. Neben komplizierten juristischen und politischen Fragen wird dabei auch über viel Geld verhandelt werden. Am Ende müsste ein eindeutiger Vertrag stehen, der nicht interpretationsfähig ist wie das Brüsseler Abkommen vom 19. April. So wird spätestens im Zuge dieser Verhandlungen die tatsächliche Halbwertszeit des mit Lob überhäuften Abkommens ersichtlich werden.

Der Text ist auch bei EurActiv.de und Zeit.de erschienen.