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Die OSZE als Gradmesser multilateraler Sicherheit

SWP-Aktuell 2025/A 53, 10.12.2025, 8 Seiten

doi:10.18449/2025A53

Forschungsgebiete

Die europäische Sicherheitsordnung ist dysfunktional und in besonderem Maße von der Krise des Multilateralismus betroffen. Die Organisation für Sicherheit und Zu­sammenarbeit in Europa (OSZE), gegründet als Forum zur Förderung kooperativer Sicher­heit und normenbasierter Zusammenarbeit, ist heute Ausdruck der Schwäche klassischer multilateraler Institutionen. Das Berichtswesen im politisch-militärischen Bereich der OSZE ist ein Seismograph für den Wandel von Normen und Dynamiken in der Staatengemeinschaft. Es zeigt aber auch, dass trotz der Veränderungen auf der politisch-strategischen Ebene und einer Politisierung der offiziellen Agenda die Implementierung von Vereinbarungen auf der technisch-mili­tärischen Ebene der OSZE relativ geräuschlos weiterläuft. Das birgt Chancen, aber auch Risiken, die den 57 teilnehmenden Staaten bewusst sein sollten.

Das 32. OSZE-Ministerratstreffen in Wien am 4./5. Dezember hat aufgrund ausgeblie­bener Ergebnisse einmal mehr verdeutlicht, dass das Konzept kooperativer Sicherheit in Europa derzeit nicht mehr praktikabel ist. Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und dem Rückzug der USA aus internationalen Formaten und Verpflich­tungen sind die Leitideen multilateralen Handelns, insbesondere im Bereich der Sicherheit und demokratischer Institutionen, auf denen die OSZE fußt, erheblich unter Druck geraten. Der Konsens über fundamentale Grundsätze, wie sie in der VN-Charta niedergelegt sind, und die darauf beruhenden Helsinki-Prinzipien bröckelt. So haben wir es heute mit teil­weise sehr disparaten Vorstellungen von Multilateralis­mus nicht nur unter den OSZE-Teilnehmer­staaten zu tun. In der einschlägigen For­schung wird von einer Plura­lisierung multi­lateraler Formate gesprochen. Diese würden sich nicht mehr in ein kohärentes System integrieren lassen. Multilaterale Koopera­tionen treten somit zunehmend als kon­kurrierende Bündnisse auf, nicht als Bau­steine einer übergreifenden Ordnung. Die Bewältigung transnationaler Herausforderungen wie Klimawandel, Pandemien und die Gefahr eines neuen atomaren Rüstungs­wettlaufs verlangen in­des mehr denn je zuvor kollektives Han­deln. Doch universalistische Foren und inter­nationale Organisationen (IOs), die über das Mandat verfügen, diese Probleme zu adres­sieren, sind immer häufiger blockiert oder stehen in der Kritik.

Die OSZE verkörpert in vielerlei Hinsicht die Grundidee des Multilateralismus der Endphase des Kalten Krieges und des Auf­bruchs in eine neue europäische Friedensordnung nach dem Zerfall der Sowjetunion. Sie gilt zwar nach wie vor als wichtiges Dialogforum und potentielles Organ zur Implementierung von Verhandlungslösungen in Kon­flikten in ihrem Anwendungsraum; doch das Konsensprinzip und die Blockaden durch die Russische Föderation machen ihre strukturellen Grenzen zu­nehmend sichtbar.

Die Legitimation der OSZE speiste sich aus dem KSZE-Prozess der Verhandlungen über kooperative Sicherheit und dem An­spruch der Organisation, einen umfassenden Sicherheitsbegriff zu vertreten. Daraus leitet die Organisation bis heute ihre viel­fälti­gen Aufgaben ab. Doch ebendiese Legi­timität der OSZE befindet sich in einer Krise. Neben ihrem rechtlichen Status werden mittlerweile auch ihre Kernkompetenzen in der Konfliktbearbeitung in Frage gestellt. Kritiker sprechen ihr nur noch die Fähigkeit zur Einhegung sowie zur Wah­rung des Status quo auf der regionalen Ebene zu. Im Inneren ist sie einer andauernden Zerreißprobe ausgesetzt: auf der einen Seite Russ­land, zu dessen Lager im Grunde nur noch Belarus gehört; auf der anderen Seite die gleichgesinnten, zumeist west­lichen Staa­ten, die nicht zuletzt aufgrund des errati­schen Kurses der derzeitigen US-Adminis­tration politisch keine durchwegs einheit­liche Linie mehr verfolgen, sich in Sicher­heitsfragen aber vor allem an der EU und der Nato ausrichten. Hinzu kommt noch eine Reihe von Staaten, die keinem Lager eindeutig zuzuordnen sind.

Relegitimierungsstrategien anderer krisenbehafteter IOs beruhen häufig auf umfangreichen Reform­prozessen. Doch die OSZE befindet sich hier in einer Zwick­mühle: Spannungen und Misstrauen zwi­schen den teilnehmenden Staaten blockieren sinnvolle institutionelle Reformen, was wiederum verhindert, dass die Organisation eine konstruktive Rolle bei der Überwindung von Gegensätzen spielen und effektiv zur europäischen Sicherheit beitragen kann.

Die Berichtspflichten in der ersten poli­tisch-militärischen Dimension der OSZE, haben sich die teilnehmenden Staaten selbst auferlegt. Diese umfassen unter anderem den Bereich der konventionellen Rüstungskontrolle (Rüko), der vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen (VSBM), völkerrechtliche Abmachungen sowie innerstaatliche Normen (siehe auch die Übersicht, S. 5). Die Berichtspflichten erinnern die Staaten daran, dass sie sich mit der Teilnahme an der OSZE zu bestimmten Prinzipien bekannt haben, über deren Ein­haltung sie alljährlich Rechenschaft ab­legen müssen. Die Bereitschaft der Staaten zur Erfüllung dieser Selbstverpflichtungen und zur Mit­wirkung an vertrauensbildenden Maßnahmen sind ein geeigneter In­dikator, um Veränderungen im normenkonformen Verhalten der Staaten und ihrer Haltung zum multilateralen Sicherheits­verständnis in Europa festzustellen. Die vorliegende Analyse basiert auf Interviews mit militärischen Berater:innen der stän­digen Vertretungen und nationalen Minis­terien der teilnehmenden Staaten, Mit­arbeiter:innen aus dem OSZE-Sekretariat sowie unabhängigen Expert:innen. Ergänzt wurden diese durch eine KI-unterstützte Auswertung von OSZE-Dokumenten und veröffentlichten nationalen Frage­bögen im Rahmen des Verhaltenskodex zu politisch-militärischen Aspekten der Sicherheit.

Wandel normativer Standards

Das System OSZE ist für eine Situation, in der Krieg zwischen teilnehmenden Staaten herrscht, nicht geschaffen. Somit war auch keines der vereinbarten Regelwerke im Bereich der vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen (VSBM) und der Rüko darauf angelegt, Angriffskriege zu verhindern. Doch im Vorfeld des Überfalls auf die Ukraine im Februar 2022 hatte es zahl­reiche Hinweise auf eine bevorstehende In­vasion gegeben, unter anderem die Konzen­tration russischer Truppen in der Grenz­region. Zudem hatte Russland einen Monat zuvor gegenseitige Inspektionen zur Veri­fikation und Über­prüfung militärischer Einrichtungen und Verbände im Rahmen des Wiener Dokuments über vertrauens- und sicherheitsbildende Maß­nahmen (WD) vorerst ausgesetzt, offiziell mit Verweis auf die fortdauernde Covid-19-Pandemie. Von da an konnten Inspektionen, Überprüfungs­besuche und Kontrollen militärischer Akti­vitäten jenseits der Schwellenwerte etc. nicht mehr durchgeführt werden.

Nach Beginn der vollumfänglichen In­vasion erklärte die Ukraine, dass sie ihren Berichtspflichten nicht mehr nachkommen werde. Dies führte dazu, dass auch andere OSZE-Teilnehmerstaaten keine Informationen mehr über das interne Kommunika­tionsnetzwerk mit Russland sowie mit Belarus als Co-Aggressor tauschten.

Was die multilateralen Berichtspflichten im Allgemeinen und die VSBM-Regime der OSZE im Besonderen betrifft, gab es in der Geschichte der Organisation immer wieder konfliktbezogene Defizite auf Seiten von gegnerischen Parteien, die sensible Daten zurückgehalten haben. Auch Versäumnisse einzelner Staaten kommen regelmäßig vor. Das Forum für Sicherheitskooperation (FSK) der OSZE hat in diesem Zusammenhang eine Monitoring-Funktion, die es mit Hilfe des OSZE-Sekretariats aus­übt. Das Sekre­tariat versorgt die teilnehmenden Staaten regelmäßig mit Mitteilungen zu den Infor­mationsaustauschen und Dokumentationen der Berichtspflichten und organisiert an­stelle der nicht mehr tagenden FSK-Arbeits­gruppen informelle Workshops für die Delegationen und Ver­antwortlichen in den Hauptstädten. Seit 2024 existiert überdies ein neues datenbankbasiertes Bericht­erstattungstool, iMars (Information Manage­ment and Reporting System), das den teil­nehmenden Staaten erlaubt, den militä­rischen Informationsaustausch digital abzuwickeln, und das darüber hinaus über zahlreiche Analysefunktionen verfügt. Dem Sekretariat zufolge hat es den Anreiz erhöht, die Berichtspflichten korrekt zu erfüllen. Da es sich um ein Visualisierungstool han­delt, fallen falsche Informationen sehr viel schneller auf als früher. Daher seien die Staaten nun sehr viel wachsamer und vorsichtiger, was sie berichten. Dennoch gibt es Staaten, die es nach wie vor nicht nutzen. Sanktionen sind indes nicht vor­gesehen. Die gegenseitige Kontrolle durch die teilnehmenden Staaten selbst bedingt, dass ein Ausscheren hohe politische Kosten für den betreffenden Staat mit sich bringt. Die Berichtsdisziplin ist vor allem bei jenen Verfahren hoch, wo es aufgrund von Über­schneidungen bei den Berichterstattungsvorlagen Synergien zwischen den VN und der OSZE gibt.

Strategische Effizienz zulasten demokratischer Kontrolle

Dass sich die normativen Grundsätze mancher Staaten verändert haben, lässt sich anhand der jährlichen, öffentlich einseh­baren Fragebögen verdeutlichen, die im Rahmen des Verhaltenskodex zu politisch-militärischen Aspekten der Sicherheit zu beantworten sind. Kern des Kodexes ist der Dialog über innerstaatliche Elemente von Sicherheit (vor allem über die demokra­tische Kontrolle von Sicherheitsorganen). Die Auswertung der jährlichen Fragebögen wirft ein Licht auf langsame, aber stetige Veränderungen im Bereich nationaler mili­tärischer Planungs- und Entscheidungs­prozesse. Dieser Wandel geht teilweise mit sicherheits­politischen Transformations­prozessen und Paradigmenwechseln einher.

So waren die Antworten der Bundes­regierung über lange Jahre hinweg über­wiegend von verfassungsrechtlichen Be­gründungen, ergänzt durch Verweise auf die Verfassungsrechtsprechung, geprägt. Ab 2018 lässt sich indes eine deutlich politischere Argumentation beobachten mit einem starken Bekenntnis zu finanz- und bündnispolitischen Verpflichtungen. Ab 2022/23 spiegelten die Stellungnahmen hingegen klar die »Zeitenwende«-Politik der damaligen Bundesregierung wider, durch eine stärker strategisch-politische Sprache und den expliziten Rekurs auf eine »inter­essenbasierte, werte­geleitete Sicherheits­politik«. Ähnlich wurde auch in Österreich die deutliche Betonung der Wehrverfassung allmählich ergänzt durch Verweise auf die österreichische Sicherheitsstrategie und den ab 2014 vermehrt als zentrales Scharnier zwischen den einzelnen Ressorts funktionierenden Nationalen Sicherheitsrat. Auch an den Antworten Frankreichs lässt sich ab­lesen, dass spätestens ab 2014 neben dem Präsidenten der natio­nale Verteidigungs- und Sicherheitsrat an Bedeutung zunimmt und der Mehrjahresrahmen für das Ver­teidigungsbudget stärker mit strategischen Planungen und Reviewprozessen verknüpft wird.

In Belarus und Russland werden ab 2014 »Effizienz« und »Weiterentwicklung« der Staats- und Militärorganisation stärker in den Fokus gerückt. Aber auch hier kommen nach 2014 mehr strategisch-doktrinäre Elemente hinzu.

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und die damit verbundene offen­kundige Missachtung der Prinzipien des Kodex (unter anderem die Verletzung fundamentaler Normen des humanitären Völkerrechts in den besetzten Gebieten der Ukraine) haben je nach Perspektive dessen Gültig­keit auf die Probe gestellt oder die Relevanz des Kodex noch erhöht.

Was die Möglichkeiten der demokrati­schen Kontrolle von Sicherheitsorganen betrifft, können die Angaben Russlands (das seit 2024 keine Antworten mehr eingereicht hat) und von Belarus nur noch als losgelöst von der Realität gelesen werden. Die An­gaben der anderen ausgewählten Staaten verdeutlichen, dass institutionalisierte Ko­ordinationsgremien wie nationale Sicherheitsräte und mehrjährige Finanzrahmen zwar die Effizienz und strategische Plan­barkeit erhöhen, dieser Prozess jedoch zu Lasten der Transparenz (teilweise geheim tagend) und damit auch der demokratischen Kontrolle (fehlende Rechenschaftspflicht gegenüber Parlamen­ten etc.) im Sinne des Verhaltenskodex geht.

»No business as usual«

Die tagespolitische Praxis, und damit auch das Berichtswesen in der politisch-mili­tärischen Dimension der OSZE, steht seit Februar 2022 unter dem Vorbehalt des »No business as usual«. Sie ist geprägt von der anhaltenden Ausnahmesituation innerhalb einer Organisation, die auf dem Konsens­prinzip aufbaut und nun mit methodischen und thematischen Einschränkungen zu kämpfen hat. Im Rahmen der »angepassten Implementierung« stellen nicht mehr alle Staaten sämtliche Informationen allen anderen zur Verfügung. Infolgedessen lässt sich die Gemeinschaft der teilnehmenden Staaten in drei Gruppen teilen: die große Mehrheit, die an den Regimen festhält und die Vorgaben zuverlässig implementiert; diejenigen (vor allem Staaten an der Nato-Ostgrenze zu Russ­land), die zwar noch formal implementieren, aber nicht mehr willens sind, substantielle sicherheits­sensible Informationen an bestimmte Staaten zu übermitteln, und die dritte, zuvor bereits erwähnte Gruppe, die sich auch in Imple­mentierungsfragen eher passiv verhält und im Rahmen des Informationsaustauschs teilweise lückenhaft bzw. selektiv oder gar nicht antwortet. Der Wegfall vieler Präsenz­termine und thematischer Sitzungen, der schon die Phase der Covid-19-Pandemie ge­kennzeichnet hatte, und die nun eingetretene Blockade­situation in der Organisation haben dazu geführt, dass Rüko und VSBM in der OSZE fast nur noch auf der tech­nisch-militäri­schen Ebene stattfinden.

Unterm Strich wird 2022 als Zäsur im Umgang der Teilnehmerstaaten unterein­ander gesehen. Der Bereich des (mili­täri­schen) Informationsaustauschs wird seither zunehmend zum Signalisieren von politi­schen Botschaften genutzt. Auf die kon­krete Umsetzung von Selbstverpflichtungen und technischen Berichtspflichten hat sich dies jedoch weniger ausgewirkt, auch wenn Versäumnisse vorkommen. Der Wert der multilateralen Verfahren im politisch-mili­tärischen Bereich ist auf der Ebene der natio­nalen militärischen Berater:innen und Rüko-Inspekteur:innen weiterhin unstrittig. Auch besteht auf dieser Ebene nach wie vor ein stärkerer, auf gemeinsamer militärischer Identität beruhender Konsens über die Not­wendigkeit einer Fortführung der Imple­men­tierung und die künftige Relevanz die­ser Vereinbarungen.

Übersicht

Berichtspflichten in der OSZE


Bezeichnung

Jährliche
Fristen

Zugäng­lichkeit

Beschluss /
VN-Bezug

Verhaltenskodex zu politisch-militärischen Aspekten der Sicherheit (CoC)

  • Jährlicher Fragebogen

  • Freiwilliger Anhang: Frauen-Frieden-Sicherheit (WPS)

  • Freiwilliger Anhang: Private Militär- und Sicherheits­unternehmen (PMSC)

  • Freiwilliger Anhang: Kinder und bewaffnete Konflikte (CAAC)

15. April

öffentlich

DOC.FSC/1/95
FSC.DEC/2/09

UNSCR 1325
Montreux-Dokument

Initiative der OSZE-Freundesgruppe Kinder und bewaffnete Konflikte; VN‑SR-Resolution 2427 (2018)

Austausch zu konventionellen Rüstungstransfers (CAT)

  • Konventionelle Rüstungsexporte / -importe

  • Praktiken und Verfahren

30. Juni

öffentlich

FSC.DEC/13/97; FSC.DEC/8/98; FSC.DEC/8/08

FSC.DEC/20/95
VN-Vertrag über den Waffenhandel (ATT)

Kleinwaffen und leichte Waffen (SALW)

  • Exporte / Importe

  • Überschüsse / sichergestellt & zerstört

  • SALW / SCA Kontakt

30. Juni

öffentlich

OSZE-Dokument über Kleinwaffen und leichte Waffen, FSC.DOC/1/00/Rev.1

OSZE-Dokument über Lagerbestände konventioneller Munition, FSC.DOC/1/03; FSC.DEC/4/08

VN-Kleinwaffenaktionsprogramm

Antipersonenminen (APM) und explosive Kampfmittelrückstände

  • Geändertes Protokoll II über das Verbot oder die Beschränkung von Minen, Sprengfallen und anderen Vorrichtungen, das dem Übereinkommen über konventionelle Waffen (CCW) von 1980 beigefügt ist

  • Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von APM sowie über deren Vernichtung

  • Freiwilliger Zusatz zu explosiven Kampfmittel­rückständen (ERW)

31. Mai

öffentlich

FSC.DEC/7/04

Ottawa-Konvention

VN-Waffenübereinkommen (CCW) geändertes Protokoll II

CCW-Protokoll V

Wiener Dokument

  • Jährlicher Austausch militärischer Informationen (AEMI)

  • Verteidigungsplanung & Militärbudget

  • Kontaktinformationen

  • Jahreskalender militärischer Aktivitäten

  • Beschränkende Bestimmungen

15. Dezember


15. November

nicht öffentlich

Wiener Dokument 2011
FSC.DOC/1/11

Weltweiter Austausch militärischer Informationen (GEMI)

30. April

nicht öffentlich

DOC.FSC/5/96

Auf der politischen Ebene ist diese Haltung weit weniger eindeutig, da die OSZE-Regime hier wie auch außerhalb der Organisation häufig als »Schönwetterinstrumente« bzw. Relikte aus vergangenen Zeiten angesehen werden.

Selektive Normenanwendung

VSBM und Rüko werden zunehmend auch komplementär zur Abschreckung in der Verteidigung gesehen. Transparenz bei den militärischen Beständen und Fähigkeiten kann (anders als z. B. mit der Politik der »strate­gischen Ambiguität« intendiert) auch eine gewisse abschreckende Wirkung ent­falten. Denn es wird signalisiert, was im Ernstfall zur Anwendung kommen könnte. Hinzu kommt, dass militärische Transparenz dazu beitragen kann, Fehlinterpretationen zu vermeiden.

Als Anlagen zum Verhaltenskodex exis­tieren einige Fragebögen, die freiwillig be­antwortet werden können. Ihre Genese macht das Problem der selektiven Durchsetzung von Überzeugungen innerhalb der OSZE deutlich. Während der Fragebogen und Informations­austausch zur VN-Sicher­heits­ratsresolution 1325 aus dem Jahr 2000 (Frauen, Frieden, Sicherheit), der sogenannten WPS-Agenda, bei den Staaten auf eine akzeptable Resonanz (Rücklauf 2024: 40 von 57 Staaten) stößt, ist der relativ neue Informationsaustausch zu »Kinder und bewaffnete Kon­flikte« (CAAC) umstritten. Er wurde von einer kleinen Gruppe von Staaten (Freundesgruppe) auf die Agenda gesetzt. Als Ergebnis wird er noch von einem Großteil der Staaten ignoriert und der entsprechende Fragebogen nicht be­antwortet (Rücklauf 2024: 15 Staaten).

Multilateralismus als Bürde

Die Teilnehmerstaaten müssen im Jahres­verlauf bestimmte Fristen wahren (z. B. Mitte April Bericht zum Verhaltenskodex; Ende Juni Rücklauf des Fragebogens zu Maßnahmen im Rahmen des WD und zu Kleinwaffen, leichten Waffen sowie kon­ventioneller Munition (SALW-CA); Mitte Dezember Übermittlung der Informationen zu den Streitkräften im Rahmen des WD und des Global Military Exchange (GMA), siehe Übersicht, S. 5). Die schiere Anzahl an Informationsaustauschen, Berichtspflichten und nationalen Aktionsplänen erfordert Analyse-, Organisations- und Koordinations­arbeit von den entsprechenden Rüko- und Verifikationseinheiten. Hinzu kommen häufig noch Inspektionsaktivitäten, für die es nicht überall spezielle Strukturen gibt. Für kleinere Staaten bedeuten diese multi­lateralen Verpflichtungen eine besondere Bürde. Letztlich erachten aber auch die Vertreter:innen der kleineren Staa­ten die Informationsaustausche auf der technisch-militärischen Ebene als strategisch wichtig und bezeichneten sie im Rahmen der Interviews als »Rückfallschutz«, wenn sich aufgrund zunehmender Politisierung die Beschlussfassung in den offiziellen Gremien und Foren als verfahren erweist.

Anwendungsgebiete unter dem Radar

Im Schatten des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wird kaum wahrgenom­men, dass die politisch-militärische Dimen­sion bzw. die gesamte OSZE einen größeren Anwendungsraum hat. Auf regionaler Ebene finden nach den Bestimmungen des WD nach wie vor jede Woche Maßnahmen (Inspektionen, Überprüfungsbesuche und gemeinsame Inspektionsübungen) statt, die aber unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der politischen Öffentlichkeit durch­geführt werden. Ebenfalls unter dem Radar läuft der Rüko-Teil der Implementierung des Dayton-Abkommens zwischen den vier Westbalkan-Staaten Kroatien, Montenegro, Serbien und Bosnien-Herzegowina (Repu­blik Srpska und Föderation Bosnien und Herzegowina). Im Rahmen eines subregionalen Rüko-Regimes (Dayton-Vertrag, Artikel IV, Annex 1B, sogenanntes Florenz-Abkommen) existiert seit 1996 ein Über­einkommen zwischen den beteiligten Staaten, das mit dem KSE-Vertrag vergleich­bar und bis heute zentral ist für die Bewah­rung von Sicherheit und Stabilität in der Region. Die beteiligten Staaten übernahmen nach vielen Jahren des Monitorings durch die OSZE eigenverantwortlich die Um­setzung des Abkommens und regeln diese nun in rotierender Vorsitzreihenfolge unter den vier Parteien selbst.

Erhaltung von Fähigkeiten und Expertise

In Zeiten klammer Kassen und Haushalts­kürzungen wird in zahlreichen Haupt­städten derzeit abgewogen, welche Fähig­keiten und welche Expertise für die Auf­rechterhaltung der kostspieligen OSZE-Regime der ersten Dimension und ihrer Umsetzung weiterhin erforderlich sind. Zahlreiche Staaten haben Kapazitäten im Verifikationsbereich, aus Budgetgründen oder weil es politisch nicht mehr zu recht­fertigen war, abgebaut. Die deutsche Seite ist vergleichsweise gut aufgestellt, mit erfah­renem Personal in Wien und dem Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr (ZVBw), das unter anderem den Auftrag hat, den nationalen Rüko-Verpflichtungen nach­zukommen, sie zu planen und um­zusetzen. Fähigkeiten zur Aufbereitung mili­tärischer Informationen werden dort in internationalen Lehrgängen vermittelt. Das Ergebnis ist, dass das ZVBw für andere Staaten zu einer Art Anlehnungspartner geworden ist, insbesondere im Bereich Ausbildung.

Als bedenklich wird von Interview­partner:innen der Erosionsprozess bei der fach­lichen Expertise gesehen. Verifikations­personal und militärische Berater:innen, die über langjährige Erfahrung und theo­retisches Wissen verfügen, rotieren nach und nach aus der Organisation raus. Es rückt militärischer Nachwuchs nach, der die OSZE jedoch nie anders erlebt als im Ausnahmezustand. Es besteht somit das Risiko, dass innerhalb der OSZE, sollte sie in Zukunft wieder in einen Normalbetrieb zurückwechseln, das entsprechende Fach­wissen nur noch rudimentär vorhanden ist. Wichtig sind daneben Erfahrung in spezi­fischen Arbeitsabläufen und persönliche Netzwerke im Bereich Rüko, die ebenso wegzubrechen drohen. Wenn es nach Be­endigung eines bewaffneten Konflikts zu einem Waffenstillstandsabkommen oder Friedensvertrag kommt, braucht es in der Regel Vereinbarungen, die überprüfbar sein müssen (Abstandsregeln, Kontrolle, Redu­zierung und Vernichtung von Waffen, Trans­parenzregeln etc.). Die OSZE verfügt hier in Europa über die einschlägigste Ex­pertise

Ausblick: Chancen und Risiken multi­lateraler Selbstverpflichtungen

Multilaterale Institutionen wie die OSZE bieten, insbesondere im Sicherheitsbereich, auch künftig Chancen. Gerade für Staaten, die sich sicherheitspolitisch weder an Russ­land orientieren noch in westliche Bünd­nisse integriert sind (immerhin ca. 15, be­stehend aus der Grup­pe der neutralen Staa­ten, der zentral­asiatischen Staaten und der Mikrostaaten), ist die OSZE nach wie vor ein wichtiges Forum für den transnationalen Austausch über Sicherheitsfragen. Während für die größeren Staaten multilaterale Organisatio­nen ein Kanal unter mehreren sind, stellen sie für kleinere Staaten ein Sicherheitsnetz dar, weil sie in solchen Zu­sammenschlüssen die Möglichkeit haben, gemeinsam eine Politik zu vertreten, die den einflussreicheren und mächtigeren Staa­ten etwas entgegensetzen kann.

Auf der regionalen Ebene gibt es weiterhin Potential für die Implementierung von Rüko-Vereinbarungen und VSBM, wie das bis heute weiterentwickelte Regime auf dem Westbalkan im Kontext des Dayton-Vertrags verdeutlicht. Die kontinuierliche Implemen­tierung von Selbstverpflichtungen durch die teilnehmenden Staaten auf der technisch-militärischen Ebene deutet darauf hin, dass sich zum Beispiel auch nach einem prospek­tiven Friedensabkommen zwischen Arme­nien und Aserbaidschan hier ein weiterer regionaler Mechanismus anschließen könn­te. Die OSZE verfügt nach wie vor über ein umfangreiches Instrumentarium (Tool­kit) zur Implementierung von Verhandlungs­lösungen in Konflikten, auch im Bereich der Konfliktnachsorge. Der Schlüssel hier­für sind regionale Abmachungen, die zwischen wenigen Staaten Mechanismen zur Streit­beilegung, Rüko, Vertrauensbildung und Frühwarnung etablieren und auf diese Weise einen Interessenausgleich schaffen, der auf der Ebene der Gesamtheit der teilnehmen­den Staaten so nicht mehr möglich wäre.

Der Fortbestand der OSZE hing in den letzten Jahren maßgeblich vom Engage­ment bestimmter Schlüsselstaaten ab. Dies waren neben Deutschland vor allem die Schweiz als neutraler Staat und Österreich als Sitz der OSZE, die nordischen Staaten sowie einzelne Nato-Staaten. Durch den Wechsel in der US-Administration ist vieles komplexer und unvorhersehbarer geworden. Dies betrifft auch die US-amerikanischen finanziellen Beiträge, Berichtspflichten und das allgemeine Engagement der USA inner­halb der Organisation. Besonders die Vor­sitzstaaten haben es nicht leicht, den zahl­reichen Blockaden, Bemühungen um Ein­flussnahme und destruktiven Narrativen vor allem von Seiten Russlands (aber nicht nur) etwas entgegenzusetzen. Die Bedeutung der sogenannten Brückenstaaten hat mit der organisationsinternen Blockade spätes­tens seit 2022 wieder zugenommen. Sie können in diesen unsicheren Zeiten für ein gewisses Gleichgewicht zwischen den Staaten sorgen. Tatsächlich treten in dieser Rolle heute neben den klassischen Vermitt­lern Schweiz und Österreich auch andere Staaten auf (Türkei aufgrund eigener Ge­sprächskanäle mit dem Kreml, Malta als von Russland tolerierter Vorsitz 2024, Norwegen, das eine gemeinsame Grenze mit Russland hat und mit dem Nachbarn informelle Kanäle zur Krisenprävention unterhält).

Von den teilnehmenden Staaten (zumindest von den OSZE-Schlüsselstaaten) wurde die politische und strategische Entscheidung getroffen, Rüko- und VSBM-Instru­mente zu erhalten, auch wenn sie reformbedürftig sind. Neue Technologien (ins­besondere im Bereich Drohnen und KI) müssten ebenfalls Berücksichtigung finden. Doch die Beharrungskräfte in Gestalt blockierter und politisierter Entscheidungsgremien in der OSZE sind groß. Sie stellen eines der Haupt­hindernisse für die Weiter­entwicklung der Regime und für einen Rückgewinn an Legitimität der Gesamt­organisation dar. Die weitgehende Entkopp­lung der politischen von der militärisch-technischen Ebene mit entsprechendem Wissen, best practices und Empfehlungen stellt ein weiteres Hindernis und Risiko dar. Die häufig aus Unkenntnis vorgebrachte Kritik an den Regimen ignoriert ihren eigent­lichen Zweck und blendet ihren potentiellen Nutzen aus. Dass die Notwendigkeit, Fähigkeiten, Kapazitäten und fachliche Expertise in diesen Bereichen zu erhalten, teilweise nicht gesehen wird, hat unter Umständen weitreichende Folgen. Bislang wurde vieles vom Sekretariat und der FSK Support Unit aufgefangen, doch auch hier sind Kapazitäten und Personal begrenzt.

Die OSZE bleibt, wenn auch marginalisiert, für viele teilnehmende Staaten neben den VN, der EU und der Nato ein Bezugspunkt der eigenen multilateralen sicherheitspolitischen Verortung. Das Konzept der kooperativen Sicherheit, das die multi­lateralen Regime der ersten Dimension durchgängig geprägt hat, muss jedoch in Einklang gebracht werden mit einem sich wandelnden Sicherheitsverständnis, das den Herausforderungen einer neuen multi­polaren Ordnung standhält.

Dr. Nadja Douglas ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien.
Dieser Beitrag basiert auf Ergebnissen eines vom Auswärtigen Amt geförderten Projekts zur Rolle der OSZE in einer neuen europäischen Sicherheitsordnung.
Die Autorin dankt Celina Thadewaldt und Simon Muschick für die Unterstützung bei der Recherche und bei der Zusammenstellung der Übersicht sowie den Kolleg:innen aus dem OSZE-Projekt für ihre hilfreichen Kommentare zu einem ersten Entwurf dieses Beitrags.

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