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Die EU-Operation Eunavfor Aspides

Geoökonomie und Geopolitik stehen (noch) in einem Missverhältnis

SWP-Aktuell 2024/A 06, 21.02.2024, 4 Seiten

doi:10.18449/2024A06

Forschungsgebiete

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) haben am 16. Januar 2024 beschlossen, im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) einen Beitrag zur Sicherstellung der Freiheit der Schifffahrt im Roten Meer zu leisten. Seit November 2023 greifen dort jemenitische Rebellen westliche Schiffe an. Sie wollen da­mit ein Ende der israelischen Kampfhandlungen im Gaza-Streifen erzwingen. Deutsch­land beteiligt sich mit der Fregatte Hessen an der EU-Operation Aspides – dem bislang gefährlichsten GSVP-Einsatz. Das Mandat der Operation zielt darauf ab, handelspoliti­sche Interessen durchzusetzen. Die geopolitischen Gründe, die Anlass für die Huthi-Angriffe sind, bearbeitet Aspides explizit nicht.

Mit der am 19. Februar gestarteten Mission begeben sich Deutschland und die EU in Abhängigkeit von Faktoren, die sie selbst nicht steuern können: einem Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas, dem militärischen Engagement der USA in der Region und der Politik Teherans. Um den Erfolg von Operation Aspides zu gewährleisten, muss die im Vordergrund stehende Verteidigung handelspolitischer Interessen außen- und sicherheitspolitisch stärker flankiert werden.

Wenn die Mitglieder des Bundestages über Deutschlands Beteiligung an der EU-Opera­tion »Eunavfor Aspides« (altgriechisch für »Schilde«) entscheiden, befindet sich die Fregatte Hessen unmittelbar vor dem für sie vorgesehenen Einsatzraum, dem Roten Meer. Ende Februar soll sie sich in die EU‑Operation einfügen. Den Grundsatz­beschluss über ein neues operatives Engage­ment im Rahmen der GSVP hatten die 27 EU-Mitgliedstaaten am 8. Februar 2024 gefasst. Ziel des militärischen Einsatzes ist es, für die Wahrung der Freiheit der See­wege zu sorgen und konkret Handelsschiffe in der Meeresstraße Bab al‑Mandab auf ihrem Weg ins Rote Meer gegen Angriffe der militant-islamistischen Huthi-Rebellen zu schützen.

Hintergrund der EU-Operation

Seit Israel als Antwort auf die von der Ter­rororganisation Hamas am 7. Oktober 2023 verübten Massaker militärische Vergeltungsoperationen im Gaza-Streifen durch­führt, greifen die jemenitischen Huthi-Rebellen westliche Handelsschiffe im Roten Meer an, »aus Solidarität mit den Palästinensern«. Die Huthi sind durch den seit 2014 im Jemen tobenden Bürgerkrieg an die Macht gekommen. Mittlerweile kontrol­lieren sie den Westen des Landes, die Haupt­stadt Sanaa und die Küsten zum Roten Meer. Als schiitische Gruppierung sind sie eng mit der Islamischen Republik Iran verbunden. Sie verstehen sich als Teil der »Achse des Widerstands«, die 2004 die Führung in Tehe­ran ins Leben gerufen hat. Diese Achse besteht aus substaatlichen Akteuren, die eine antiwestliche und antiisraelische Hal­tung eint. Sie verfolgt das Ziel, die Islamische Republik vor den USA, Israel und pro­westlichen Staaten zu schützen. Teheran stellt dafür iranische Raketen, Marschflugkörper und Drohnen zur Verfügung.

Die wiederholten Attacken der Huthi haben erhebliche Auswirkungen auf den Welthandel. Bis zu 12 Prozent des globalen Handels und etwa 40 Prozent des euro­päischen Handels mit Asien und dem Mitt­leren Osten wird mittels Schiffen abgewi­ckelt, die entlang der jemenitischen Küste durch das Rote Meer fahren. Viele Schiffe meiden diese Route nunmehr. Im Januar 2024 wichen mehr als 80 Prozent der Con­tainerschiffe auf die Route um das Kap der Guten Hoffnung aus. Weil sie diesen 7.000 Kilometer langen Umweg nehmen, sind die Schiffe etwa zwischen Europa und Asien bis zu 20 Tage länger unterwegs, was die Frachtkosten verdoppelt und Störungen in den Lieferketten zur Folge hat. Der Euro­päische Auswärtige Dienst (EAD) veran­schlagt die von den Huthi-Angriffen ver­ursachten Kosten für die Weltwirtschaft auf 360 Millionen Euro – pro Stunde.

Operation Prosperity Guardian

Am 18. Dezember 2023 kündigten die USA an, eine eigens gebildete internationale Koalition mit dem Ziel anzuführen, die An­griffe der Huthi einzudämmen. Der »Ope­ration Prosperity Guardian« (OPG) gehören etwa zwanzig Länder an, darunter Austra­lien, Bahrain, Belgien, Dänemark, Griechen­land, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, Neuseeland, die Niederlande und Singapur. Die teilnehmenden Staaten führen gemein­same Patrouillen durch oder steuern Auf­klärungsergebnisse bei. Mit der Carrier Group 2 um den Flugzeugträger USS Dwight D. Eisenhower sind die USA der größte Trup­pensteller der Operation.

Am 12. Januar 2024 gingen die USA und Großbritannien dazu über, Stellungen der Huthi in Jemen anzugreifen. Seitdem haben sich einige Staaten aus der Operation Pros­perity Guardian zurückgezogen. Sie fürch­ten, der Konflikt könne eine militärische Eskalation im Nahen Osten fördern.

Reaktion der EU

Nur wenige Tage nach Beginn der OPG schlug Josep Borrell, der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, vor, dass sich die EU ebenfalls an der Sicherung der Seewege im Roten Meer beteiligen solle. Am 21. Dezember 2023 berief er eine Dring­lichkeitssitzung des Politischen und Sicher­heitspolitischen Komitees ein. Ihm schwebte vor, das Mandat der Operation Eunavfor Ata­lanta auf das Rote Meer auszuweiten. Seit 2008 schützt Eunavfor Atalanta ins­besondere Schiffe des Welternährungs­programms gegen Piraterie. Ihr Einsatz­gebiet umfasst den Golf von Suez, den Golf von Aqaba, das Rote Meer, das Somali-Becken und den Golf von Aden. Borrells Vorschlag scheiterte, weil sich Spanien, das für Atalanta das operative Hauptquartier stellt, gegen eine Mandats-Ausweitung sperrte. Die Regierungsverantwortlichen in Madrid schlugen als Alternative vor, eine eigenständige EU-Operation für den Schutz der Seewege im Roten Meer aufzustellen.

Als zweite Option wurde geprüft, den Rahmen der »koordinierten maritimen Prä­senzen« (Coordinated Maritime Presences, CMP) zu nutzen. Die CMP soll die EU als verlässlichen Partner und Anbieter mari­timer Sicherheit profilieren, eine ständige Präsenz in »maritimen Gebieten von Inter­esse« aufrechterhalten und internationale Zusammenarbeit und Partnerschaften auf See fördern. Seit dem 21. Februar 2022 unterhält die EU eine CMP im nordwest­lichen Indischen Ozean. Die CMP unterscheidet sich in einem wichtigen Punkt von der GSVP: Die Operationen, die im Rahmen einer CMP durchgeführt werden, finden auf freiwilliger Basis statt. Die zum Einsatz gebrachten Mittel verbleiben unter natio­nalem Kommando.

Operation Aspides

Am 16. Januar 2024 stimmten die EU-Mit­gliedstaaten dem Vorschlag des Hohen Vertreters zu, eine eigenständige Operation ins Leben zu rufen. Drei Wochen später beschlossen die EU-27, Operation Aspides einzurichten. Gemäß dem Beschluss (GASP) 2024/583 vom 8. Februar 2024 über eine »Operation der Europäischen Union der mari­timen Sicherheit zur Wahrung der Freiheit der Schifffahrt im Zusammenhang mit der Krise im Roten Meer« soll Eunavfor Aspides »in enger Zusammenarbeit mit gleich­gesinnten Bereitstellern maritimer Sicherheit in dem Gebiet, in dem es zu Angriffen kommt, eine Marinepräsenz der Union und somit die Freiheit der Schifffahrt« sicherstellen. Dazu soll die Operation a) Schiffe begleiten, b) eine maritime Lage­erfassung sicherstellen und c) die Schiffe vor bereichsübergreifenden Angriffen auf See schützen.

Das operative Hauptquartier wird im griechischen Larisa angesiedelt. Das Mandat der Operation, die auf ein Jahr befristet ist, hat rein defensiven Charakter. Die in den Einsatz entsandten Kräfte sollen ihre Waf­fen ausschließlich zur Selbstverteidigung nutzen, etwa um einen unmittelbar bevor­stehenden oder andauernden Drohnen- oder Raketenangriff der Huthi auf ihre eigenen Schiffe oder Schiffe von Dritten abzuwehren. Im Unterschied zur amerikanisch geführten OPG werden die im Rah­men von Operation Aspides eingesetzten Kräfte also keine Stellungen der Huthi in Jemen angreifen.

Neben Deutschland, Frankreich, Griechenland und Italien dürften sich auch Bel­gien und Dänemark, gegebenenfalls auch die Niederlande an Aspides beteiligen. Die Operation soll aus vier Fregatten – dar­unter die deutsche Fregatte Hessen – und einer Fähigkeit zur Luftüberwachung beste­hen. Berlin hat der EU bis zu 700 Soldatinnen und Soldaten in Aussicht gestellt.

Die Fregatte Hessen ist speziell für den Geleitschutz und die Seeraumkontrolle kon­zipiert und auf Flugabwehr spezialisiert. Ihr Radar kann in einem Umkreis von 400 Kilo­metern mehr als tausend Ziele gleichzeitig identifizieren, mit seiner Hilfe lässt sich ihre Bekämpfung priorisieren. Erfasst wer­den somit auch Teile des Jemen. Da ein Aus­tausch der Lagebilder mit OPG vorgesehen ist, hat der deutsche Einsatz über die EU-Operation hinaus Bedeutung. Zur Abwehr von Raketen stehen dem Schiff mehrere Systeme zur Verfügung, die eine Reichweite von bis zu 160 Kilometer haben. Wie viele dieser Raketen die Hessen bei ihrem Einsatz im Rahmen von Operation Aspides an Bord hat, bleibt streng geheim.

Der eklatante Munitions-Mangel der Bun­deswehr trifft auch die Marine. Unlängst hatte die Marine bestätigt, dass ihre Vorräte an Flugkörpern nicht ausreichen, um alle drei Fregatten der Sachsen-Klasse voll zu bewaff­nen. Die Kosten für eine SM-2-Rakete wer­den auf 1,3 bis 1,5 Millionen Euro geschätzt. Die Hessen, die seit 2006 auf den Weltmeeren im Einsatz ist, musste bislang nicht unter Beweis stellen, dass sie im­stande ist, ein scharfes Gefecht erfolgreich zu führen.

Der Einsatz im Roten Meer ist die bislang gefährlichste GSVP-Operation. Die Huthi verfügen über ein umfangreiches Waffenarsenal, zu dem Mittel- und Langstreckenraketen, Antischiffsraketen, Drohnen und Schnellboote gehören. Im November 2023 haben sie bewiesen, dass sie sogar in der Lage sind, Schiffe in voller Fahrt zu kapern.

Als Handelsmacht ist die EU abhängig von freien Seewegen. Dass sie sich als mari­time Akteurin profiliert, haben die Mit­gliedstaaten in der Maritimen Sicherheits­strategie festgeschrieben, die im Oktober 2023 überarbeitet worden ist. Angesichts der Tatsache, dass die Huthi-Angriffe bereits Auswirkungen auf die Wirtschaft in den EU-Mitgliedstaaten haben, ist das maritime Engagement der EU folgerichtig.

Schwächen von Aspides

Das Mandat von Aspides weist markante Schwächen auf, denen Bundesregierung und Bundestag nach Möglichkeit abhelfen sollten.

Der defensive Zuschnitt des Mandats von Operation Aspides wird damit begrün­det, dass Brüssel und die anderen EU-Haupt­städte einer Eskalation des Konflikts zwi­schen Iran, Israel und den USA keinen Vor­schub leisten wollen. Griffe der Iran Israel oder die USA an, könnte dies einen regio­nalen Flächenbrand entfachen, dessen Aus­wirkungen kaum zu kontrollieren oder einzudämmen wären.

Indem sie ihren Fokus auf die Sicherung geoökonomischer Interessen richtet, begibt sich die EU außenpolitisch in Abhängig­keiten. So ist sie darauf angewiesen, dass die Huthi-Rebellen Wort halten und ihre Angriffe auch wirklich einstellen, sobald Israel seine Kampfhandlungen im Gaza-Streifen beendet. Dabei wäre es ebenfalls wichtig für die EU, dass der Gaza-Krieg möglichst rasch ein Ende findet.

Die EU hat unlängst einen Vorschlag unterbreitet, wie sich die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hamas beendigen ließen. Weil aber die EU-Mitgliedstaaten zu Beginn der israelischen Offensive uneins waren, ob und wie sie Israel unterstützen sollen, findet Brüssel derzeit nicht ausreichend Gehör in Jeru­salem. Einen Waffenstillstand auszuhan­deln dürfte gegenwärtig allenfalls den USA und Katar gelingen. Deutschland könnte aber den Beginn des maritimen EU-Einsat­zes nutzen, um Pläne mit seinen Partnern auszuarbeiten, wie die EU – etwa durch GSVP-Operationen zur Entwaffnung der Hamas oder zur Kontrolle der Grenzen zwi­schen Israel und den palästinensischen Ge­bieten – zum Schutz Israels und der Paläs­tinenser beitragen und auf diesem Wege Friedensverhandlungen befördern kann.

Mit den regionalen Schwergewichten Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten sollte Berlin bespre­chen, unter welchen Bedingungen sie bereit wären, Iran und den Huthi zu signalisieren, dass sie eine Fortsetzung der Übergriffe auf westliche Frachtschiffe nicht tolerieren werden. Diese außenpolitische Flankierung der Operation Aspides ist notwendig, weil Deutschland und seine Partner nicht über die militärischen Fähigkeiten verfügen, die Huthi-Angriffe dauerhaft abzuwehren.

Diese Schwäche macht die EU-Operation wiederum abhängig von der Präsenz der USA und ihren Angriffen auf die Stellungen der Huthi im Jemen. Deutschland und seine Partner in der EU sollten sich daher früh­zeitig mit der Frage befassen, wie der opera­tive EU-Einsatz im Roten Meer fortgesetzt werden könnte, sollten sich die USA aus der Region zurückziehen. Abgesehen von den im November 2024 anstehenden US-Präsidentschaftswahlen, die zu einem ame­rikanischen Kurswechsel in den Beziehungen zu ihren europäischen Verbündeten führen könnten, dürfen die EU-Staaten nicht verkennen, dass Washingtons wirt­schaftliches Interesse an einer freien Pas­sage durch das Rote Meer relativ gering sind. Die US-Handelsrouten in Richtung Asien führen über den Pazifischen Ozean.

Um die Resilienz der Operation Aspides zu stärken, sollte Deutschland drei Maß­nahmen treffen. Erstens muss es mehr Mit­gliedstaaten für eine Teilnahme an diesem GSVP-Einsatz gewinnen. Zweitens muss es den Druck auf seine Partner – allen voran Frankreich – noch einmal erhöhen, den Weg für eine gemeinsame Rüstungsbeschaf­fung zu ebnen und den Vorschlag eines Investitions­programms für Verteidigung (EDIP) umzusetzen. Schließlich sind Regie­rung und Bundestag gefordert, die Entwick­lungen im Roten Meer wie in Washington aufmerksam zu verfolgen und das Mandat von Aspides gegebenenfalls frühzeitig zu ändern und dabei auch Angriffe auf Huthi-Stellungen im Jemen vorzusehen.

Nur wenn die EU ihre geopolitischen Fähigkeiten nutzt und verbessert, wird sie langfristig in der Lage sein, ihre geoökonomischen Interessen durchzusetzen.

Dr. Ronja Kempin ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe EU / Europa. Georg Schneider ist studentische Hilfskraft für die SWP-Themenlinie »Neugestaltung der europäischen Sicherheitsordnung«

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