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Der deutsche Kampfhubschrauber »Tiger« steht vor dem Aus

Aktuelle Handlungsmöglichkeiten der Bundesregierung

SWP-Aktuell 2022/A 06, 20.01.2022, 8 Seiten

doi:10.18449/2022A06

Forschungsgebiete

Im Jahr 2017 haben Deutschland und Frankreich eine mögliche Weiterentwicklung des Kampfhubschraubers »Tiger« in Aussicht gestellt. Dieses Projekt ist Teil einer größeren deutsch-französischen Initiative, mit der Paris und Berlin ihr gemeinsames Engagement im Dienste einer Stärkung der militärischen Handlungsfähigkeit Europas unterstreichen wollen. Ende Dezember 2021 haben sich Frankreich und Spanien auf eine gemeinsame Weiter­entwicklung geeinigt und Deutschland eingeladen, bis Mitte 2022 zu gleichen Bedingungen beizutreten. Diese Entscheidung zeigt, dass Frankreich jetzt bereit ist, Rüstungsprojekte ohne Deutschland voranzubringen. Damit steigt der Druck auf die Bundesregierung. Sollte sich Berlin aus dem Vorhaben zurückziehen wollen, könnte dies Auswirkungen auf die gesamte deutsch-französische Rüstungskooperation haben. Drei Reaktionsmöglichkeiten sind vorstellbar: ein Beitritt und da­mit der Beginn der Modernisierung des Tigers, der Kauf US-amerikanischer Maschi­nen und eine Ergänzungs- bzw. Über­gangslösung aus europäischer Produktion. Die neue Bundesregierung sollte für sich zügig entscheiden, wo im Spannungsfeld zwi­schen politischen Zielen, finanziellen Herausforderungen und industriellen Interessen die Prioritäten liegen, um die mili­tärischen Fähigkeiten zumindest zu erhalten.

Die Zeichen verdichten sich, dass die deut­sche Beteiligung am Kampfhubschrauber-Projekt »Tiger« vor dem Ende steht.

Der Kampfhubschrauber Tiger ist mittler­weile ein altes Modell. Der Beginn der Pla­nungen für den ersten Prototyp geht bereits auf das Jahr 1984 zurück. Die Technik im Inneren der Maschine entspricht heute nicht mehr dem aktuellen Stand und Ersatzteile werden rar. Eine umfassende Modernisie­rung – geplant unter dem Programmnamen »Tiger Mk III« – ist notwendig, um die Maschine auch nur in die Nähe eines Waf­fen­systems zu bekommen, das auf einem Gefechtsfeld der Zukunft bestehen könnte. Erschwerend kommt im Hinblick auf die Weiterentwicklung hinzu, dass die beste­henden Modelle stark variieren. Deutsch­land (Kampfhubschrauber Tiger [KHT]), Frankreich (Unterstützungs- und Begleithubschrauber [HAP]/Unterstützungs- und Kampf­hubschrauber [HAD]) und Spanien (HAD/HAP) betreiben unterschiedliche Aus­führungen für unterschiedliche taktische Zwecke. Das internationale Inter­esse am Tiger, der von Airbus gebaut wird, ist gering und Skaleneffekte daher kaum zu erwarten. Derzeit bleiben nur Deutschland, Frankreich und Spanien als Betreiber. Australien als bis­her einziger weiterer Nutzer beschafft vor­aussichtlich amerikanische AH-64-Apache-Kampfhubschrauber. Auch Deutschland lieb­äugelt mit den amerikanischen Produkten. Der US-Konzern Boeing hat unlängst bestä­tigt, dass die Bundeswehr Informationen zu seinem AH-64-Helicopter in der neuesten Variante AH-64E Apache Guardian ein­geholt hat.

In ihrem Koalitionsvertrag beteuert die neue Bundesregierung ihre Absicht, »Ersatz­beschaffungen und marktverfügbare Sys­te­me […] bei der Be­schaffung zu priorisieren, um Fähigkeits­lücken zu vermeiden«. Zu­dem wird die Weiterentwicklung wegen der geringen Produktzahlen und der unterschiedlichen Ausrüstung sehr wahrscheinlich weit mehr kosten als die 846 Millionen Euro, die im 13. Bericht des Bundesministeriums der Verteidi­gung zu Rüstungsangelegenheiten (2021) ver­anschlagt wurden. Sie wird wahr­scheinlich sogar die ursprünglichen Anschaf­fungskosten überschreiten. Spanien hat rund 1,2 Milliarden Euro für die Weiterentwicklung seiner Tiger-Flotte (ca. 18 Maschi­nen) bereitgestellt, Frankreich wird etwa 4,8 Mil­liarden Euro in seine Flotte (ca. 67 Maschinen) investieren. Nicht klar ist derzeit, ob tatsächlich die ganze Flotte oder nur ein Teil erneuert werden wird. Die 68 Maschinen, die Deutschland im Laufe der Jahre über­nommen hat, kos­teten ungefähr 3,55 Mil­liar­den Euro. Das macht eine mög­liche Weiterentwicklung unattraktiv für die Bundeswehr, auch weil der Nachholbedarf überall in den Streit­kräften groß und die Finanzierung schwie­rig ist.

Der Tiger ist nicht sofort am Ende seiner Leistungsfähigkeit. Die Rolle eines Kampf­hubschraubers innerhalb von Einsätzen wird er möglicherweise noch bis ins Jahr 2035 erfüllen können. Doch das Beispiel des Schweren Transporthubschraubers zeigt, dass bei einer Neubeschaffung absolut keine Zeit verloren werden sollte, da das damit verbun­dene Verfahren Jahrzehnte dauern kann.

Kampfhubschrauber sind unverzichtbar

Kampfhubschrauber erfüllen militärische Fähigkeitsprofile, die nicht einfach durch den Umbau ziviler Maschinen abgedeckt werden können.

Sie sind speziell für die Bekämpfung von gepanzerten und ungepanzerten Boden­zielen konzipiert worden. Ihnen gegenüber stehen (leichte) Unterstützungshubschrauber. Dabei handelt es sich um (zivile) Hub­schrauber, die entsprechend angepasst, also beispielsweise mit Raketenabschussvorrichtungen bestückt wurden, um die genannten Aufgaben zu erfüllen. Kampfhubschrauber eignen sich besser für den bewaffneten Ein­satz als Unterstützungshubschrauber, weil ihre Gesamtkonstruktion aerodynamisch so abgestimmt ist, dass weniger fliegerische »Nachteile« entstehen und taktische Vor­teile gewonnen werden können.

Die Fähigkeiten von Kampfhubschraubern werden auch in Zukunft in Szenarien der Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) und des Internationalen Krisen­managements (IKM), das heißt in Auslandseinsätzen, gebraucht werden. Kampfhubschrauber können aufklären und Räume überwachen, Geleitschutz für Kolonnen am Boden und in der Luft bieten, den Feind direkt bekämpfen oder als Sensor das Feuer anderer Platt­formen leiten.

Von den 30 Nato-Partnern verfügen 15 über Kampfhubschrauber. Lediglich sechs davon (Deutschland, Frankreich, Italien, Türkei, Vereinigtes Königreich, Vereinigte Staaten) besitzen eine Flotte mit mehr als 30 Maschinen. Der Rest hat zwischen sechs und 28 Kampfhubschrauber im Bestand, darunter auch veraltete Fluggeräte aus rus­sischer Produktion. Es liegt daher auch in der Verantwortung wirtschaftlich stärkerer Nationen wie Deutschland, die mit diesen Hubschraubern verknüpften Fähigkeiten solidarisch zu stellen. Auch des­wegen kann keine der verbliebenen drei Tiger-Nationen auf den Gefechtswert dieser Schlüsselfähig­keit verzichten, was Frankreich und Spa­nien mit ihrer Entscheidung zur Zusammen­arbeit deutlich gemacht haben.

Dilemmata für die neue Bundesregierung

Die Probleme des Tiger-Projekts stehen ex­emplarisch für die Zielkonflikte in der deut­schen Rüstungspolitik. Die Bundes­regie­rung muss teils widerstrebende Absichten und Vorsätze abwägen und entscheiden, wo im Spannungsfeld zwischen politischen Zielen, finanziellen Herausforderungen und industriellen Interessen die Prioritäten liegen, um die militärischen Fähigkeiten zu erhalten. Eine vertragliche Vereinbarung mit Airbus besteht auf Seiten der Bundes­republik derzeit nicht. Daher scheidet eine rechtliche Dimension als Faktor aus.

Politische Dimension

Das Ziel der Rüstung sind einsatzbereite Streitkräfte, die zur Verteidigung der Bun­desrepublik geeignet sind und in Einsätzen im Rahmen der Nato, der EU oder der Ver­einten Nationen (VN) entsandt werden kön­nen. Deutschland beschafft seine Rüstungsgüter vor allem in Europa, wo­bei bestimmte sogenannte Schlüsseltechnologien im In­land produziert werden müssen. Es will ein verlässlicher Bündnispartner in der Nato sein und die Verteidigungsfähigkeit der EU erhöhen. Theoretisch widersprechen sich diese beiden Anliegen nicht, geht eine Stär­kung der Bundeswehr doch mit positiven Effekten für die Nato und die EU einher.

Die Maßgabe der Beschaffung in Europa erfordert aus tech­nischen und finanziellen Gründen zunehmend eine innereuropäische rüstungspolitische Zusammenarbeit. Die Festigung der rüstungsindustriellen Basis in den Mitgliedstaaten der EU qua Kooperation ist ein besonderes Anliegen Frankreichs, Deutschlands engstem Partner in Europa. Gemeinsame euro­päische Pro­jekte erhöhen zwar die Integrationsfähig­keit der daran teilnehmenden Staaten und sind oft Ausgangspunkt einer Vertiefung der militärischen Kooperation unter ihnen. Aber die Partikularinteressen der Beteiligten erschweren die Einigung. Die Beschaffung von Rüstungsgütern im Bündnis ist außerdem nicht immer die finanziell güns­tigste Variante.

Finanzielle Dimension

Die finanziellen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie sind noch nicht klar absehbar. Bisher gilt die mittelfristige Finanzplanung der vorherigen Bundesregierung, das heißt, dass der Einzelplan 14 ab 2023 kleiner aus­fallen wird als zuvor. Rüstungspolitische Ent­scheidungen stehen daher noch stärker unter einem Finanzierungsvorbehalt. Die Bundesregierung muss also Rüstung und Be­schaffung kostengünstig möglich machen.

Industrielle Dimension

Die Verteidigungsfähigkeit der EU zu stär­ken, bedeutet, die industriellen Kapazitäten innerhalb der Union zu entwickeln und in die gemeinsamen Programme der Mitgliedstaaten (PESCO) zu investieren. Diese Stra­tegie dient einer größtmöglichen Unabhängigkeit von außereuropäischen Anbietern. Der europäische Markt bietet aber nicht alle Plattformen für die militärisch benötigten Fähigkeiten an. Er muss sie also neu ent­wickeln.

Neuentwicklungen sind wesentlich teurer als marktverfügbare Lösungen, auf die bereits viele Kunden zurückgreifen. Hohe Kosten ziehen hohe Preise und damit geringere Absatz­mengen nach sich. Wenn die europäischen Produkte kaum Abnehmer finden, wird die Rüstungsindustrie des Kontinents zwar unterstützt, die Stärke der Verteidigung nimmt aber nicht zu.

Militärische Dimension

Zu wenig oder veraltetes Material zu besit­zen bedeutet, über eine geringe militärische Durchhaltefähigkeit zu verfügen. Damit stellt sich die Frage nach der Verlässlichkeit der Streitkräfte, ganz abgesehen von der Verringerung der abschreckenden Wirkung, die von ihnen ausgeht.

Für das Militär ist die Verfügbarkeit adä­quaten Materials in ausreichendem Umfang das entscheidende Kriterium für die Erfül­lung ihres Auftrags, sei es die Verteidigung oder das Krisenmanagement. In dem zur Nutzung bereitgestellten Material drückt sich zum einen die Wertschätzung des mili­tärischen Dienstes von Seiten des ausrüsten­den Staates aus, zum anderen erhöht es die Überlebensfähigkeit und damit die Moral der Truppe.

Der Kern der Entscheidung für oder gegen eine deutsche Beteiligung an der wei­teren Nutzung des Tigers ist eine Abwägung zwischen politischen und industriestrate­gischen Faktoren auf der einen und finan­ziellen Faktoren sowie dem Aspekt der Einsatzbereitschaft auf der anderen Seite.

Die Option, aus dem Tiger-Projekt aus­zusteigen, ist für die Bundesrepublik mög­licherweise rüstungs- und außenpolitisch riskant. Über die industrielle Zusammen­arbeit hinaus sind die deutsch-französischen Beziehungen im Bereich Sicherheits- und Verteidigungspolitik seit Jahren kom­pliziert und teilweise angespannt. Die Divergenzen in den politischen Zielen werden immer deut­licher, was sich auch negativ auf die praktische Kooperation niederschlägt. In der Frage, wie Deutschland mit dem Projekt weiter verfahren soll, ergeben sich für die Bundesregierung grundsätzlich drei Mög­lichkeiten.

Möglichkeit A: Modernisierung des Tigers (Tiger Mk III)

Politische Dimension

Die Rüstungskooperation ist nicht die ein­zige Möglichkeit, die »strategische Souveränität« Europas und die deutsch-französische Verbindung zu stärken. Allerdings ist für Frankreich die Festigung der verteidigungstechnologischen und -industriellen Basis Europas (EDTIB) ein wesentlicher Bestandteil der europäischen Souveränität. Zudem ist die Modernisierung des Tigers seit 2018 auch ein PESCO-Projekt, ein Zeichen für den hohen Stellenwert, den die Zusammen­arbeit bei der Hubschrauberproduktion als Ausdruck einer gemeinsamen europäischen Anstrengung hat.

Würde Berlin an der Weiterentwicklung des Tigers wie 2017 geplant festhalten, blie­be zumindest der Status quo der deutsch-französischen Kooperation erhal­ten. Da es sich um eine der ersten rüstungs­politischen Entscheidungen der neuen Bun­desregie­rung handeln könnte, würde damit auch ein positives Signal in Rich­tung der Projekte FCAS (Future Combat Air System: Kampfflugzeug) und MGCS (Main Ground Combat System: Kampfpanzer) ausgesendet.

Sollten weniger Maschinen modernisiert werden können, etwa durch steigende Kos­ten, wird dies Auswirkungen auf Deutschlands Beitrag in der Nato haben. Dieses De­fi­zit müsste anderweitig kompensiert wer­den, um politische Auseinandersetzungen innerhalb des Bünd­nisses zu vermeiden. Im Hinblick auf das aggressive rus­sische Ver­hal­ten in Europa könnte von einem solchen Beschluss ein falsches Zeichen an die Part­ner ausgehen.

Finanzielle Dimension

Mehr Abnehmer für den Tiger und damit Teilnehmer für das entsprechende PESCO-Projekt sind nicht zu erwarten. Weil Ska­len­effekte ausbleiben, werden die Kosten pro Stück im Vergleich zur Beschaffung einer Alternative höher sein. Es muss daher der Wille bestehen, im Zweifel mehr zu zahlen, um eine Reduktion der Kampfkraft zu vermeiden.

Industrielle Dimension

Durch den Verbleib im Projekt könnte zwar die industrielle Basis in Europa gestärkt werden; die damit verbundenen Kosten für den deutschen Steuerzahler stünden aber sehr wahrscheinlich in einem schlechten Verhältnis zum Output. Darüber hinaus bleibt die Frage der langfristigen Perspek­tive des Tiger-Projekts offen. Gelingt es nicht, die Produktionsumfänge zu erhöhen, das heißt, Kunden zu gewinnen, wird die Industrie stets zusätzlich alimentiert wer­den müssen.

Militärische Dimension

Ausgangspunkt der Überlegungen sollte auch hier die Erhaltung des Status quo sein. Ob mit der Weiterentwicklung eine Verbes­serung der Einsatzbereitschaft einhergeht, ist fraglich. Eine größere Anzahl an Maschi­nen wird nicht beschafft werden können. Es ist nicht auszuschließen, dass aufgrund steigender Kosten erneut eine Verringerung des Flot­tenumfangs bevorsteht. Damit bleibt die Durchhaltefähigkeit unverändert oder sinkt langfristig sogar ab.

Möglichkeit B: Amerikanische Alternative kaufen

Es gibt keine europäischen Kampfhubschrau­ber-Alternativen. Die Beschaffung einer rus­sischen Maschine verbietet sich aufgrund der Zugehörigkeit der drei »Tiger«-Nationen zur Nato und der geopolitischen Lage. Der amerikanische Kampfhubschrauber AH-64 der Firma Boeing ist daher die naheliegende Wahl. Es ist ein erprobtes, marktverfüg­bares Modell, das viele Natio­nen bereits nutzen.

Ein Strecken der Tiger-Nutzung im Sinne einer einfachen Erhaltung, das heißt ohne Weiterentwicklung oder Ergänzungen in der Einsatzfähigkeit bis zum Jahr 2035, könnte sogar die Möglichkeit eröffnen, direkt zur nächsten Generation Hubschrauber überzugehen. Die US Army entwickelt im »Future Vertical Lift«-Programm (FVL) eine völlig neue Art von Hubschraubern, um die Modelle, die ihre Ursprünge zum Teil in den 1960er Jahren haben, abzulösen. Sie sollen 2035 zur Verfügung stehen.

Dieses Vorgehen ist indes nicht ohne Risiko. Eine Verzögerung des Programms könnte zu einer Fähigkeitslücke bei den deutschen Streitkräften führen. Die Beschaf­fungskosten sind unklar. Fällt die Nach­frage gering aus, könnten die Maschinen für die Bundesrepublik unerschwinglich werden oder nur in zu geringer Stückzahl zu erwerben sein. Die Analyse bezieht sich daher auf die Beschaffung von AH-64E Apache Guardian.

Politische Dimension

Einer der engsten Kooperationspartner Deutschlands, die Niederlande, betreibt be­reits AH-64. Hier würde sich also eine Op­tion eröffnen für gemeinsame Schulungen, Trainings und Einsätze. Für eine Ver­tiefung der Zusammenarbeit mit dem Nachbarn wäre dies vorteilhaft. Darüber hinaus sind weitere positive politische Effekte denkbar: die Vertiefung der transatlantischen Bezie­hungen und die Stärkung von Deutschlands Posi­tion in der Nato. Letzteres insbesondere dann, wenn eine größere Anzahl an Maschi­nen beschafft werden würde. Fragen wür­den sich indes im Hinblick auf die weitere Rüs­tungskoope­ration mit Frankreich stellen.

Frankreich ist der Treiber im Bereich der Stärkung der EU-Verteidigungsfähigkeit, die jedoch ebenfalls im deutschen wie im US-amerika­nischen Interesse liegt. Die deutsch-französische Partnerschaft ist ein wesent­licher Bestandteil der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Das ist zuletzt im Ver­trag von Aachen 2019 untermauert worden. Wenn die Rüstungskooperation als Anker der deutsch-französischen Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigungspolitik endet, könnte dies einen starken Rückschlag für die europäische Rüstungsindustrie – und damit für die europäische Handlungsfähigkeit – bedeuten.

Die französisch-spanische Vereinbarung über eine gemeinsame Weiterentwicklung des Tigers mit oder ohne Deutschland kann als Fanal für weitere Projekte interpretiert werden. Das Einladen Deutschlands zur Mit­arbeit an der Fortentwicklung des Tigers zu Konditionen, die sie bereits fest­gelegt haben, zeigt, dass Paris und Madrid sich von Berlin eine schnelle Entscheidung wün­schen. Aus Sicht der beiden Partner ist die Bundesrepublik eine Bremse in der Zu­sammenarbeit. Deutschland war als einzige Nation un­zufrieden mit dem ursprüng­lichen Angebot von Airbus. In Paris will man sich nicht länger hinhalten lassen und setzt daher Anreize.

Ein finaler deutscher Ausstieg könnte daher auch Folgen für die weiteren deutsch-französischen Rüstungsprogramme und darüber hinaus auf die bilaterale Verteidigungskooperation haben. Frankreich be­trach­tet die Projekte, deren Entwicklung bzw. Weiterentwicklung 2017 auf höchster politischer Ebene beschlossen wurde, als ein Ganzes. Die Programme MGCS, FCAS, MAWS (Maritime Airbone Warfare System: Seeaufklärungssystem), MALE (Medium Alti­tude Long Endurance: Eurodrohne) und Tiger Mark III sind für Paris miteinander ver­knüpft. Im Aachener Vertrag, der 2020 in Kraft getreten ist, haben darüber hinaus beide Partner ihren Willen zu gemeinsamen Projekten bekräf­tigt und die Bedeutung der »verteidigungstechnologischen und ‑indus­triel­len Basis« hervorgehoben.

Finanzielle Dimension

Neben, je nach Ausstattungspaket, wahr­scheinlich geringeren Beschaffungskosten (Tiger zuletzt ca. 67 Millionen Euro / Stück, AH-64 ca. 40 bis 60 Millionen Euro / Stück; Weiterentwicklung spanischer Tiger ca. 65 Millionen Euro / Stück) könnte sich die Mög­lichkeit für weitere Synergien mit Partnern und damit zu Kosteneinsparungen ergeben. Eine direkte Beschaffung über das Foreign-Military-Sales-Programm der US-Armee könnte teure »Goldrandlösungen« gleich zu Beginn ausschließen, weil man sich auf bereits vorhandene Verträge zwi­schen der US-Armee und dem Hersteller stützen und auf eine eigene deutsche »Aus­stattungswunschliste« verzichten könnte. Damit wäre eine Beschleunigung der Be­schaffung durchaus möglich und der Tiger müsste nicht mehr bis 2035 betrieben wer­den. Die finanzielle Belastung des Verteidigungshaushalts wäre im Falle der Aufgabe des Tigers zugunsten des AH-64E daher wahrscheinlich geringer.

Industrielle Dimension

Ein Ende der deutschen Tiger-Beteiligung könnte zunächst den Verlust der indus­triellen Fähigkeiten im Bereich der Kampf­hubschrauberherstellung in Deutschland bedeuten. Betroffen wäre nicht nur die Endmontage in Donauwörth. Die Entscheidung könnte sich auch auf den Triebwerksentwickler MTR in Hallbergmoos auswirken. Andererseits wäre es vorstellbar, die ameri­kanische Maschine durch die deutsche In­dustrie in Kooperation mit den amerikanischen Her­stellern betreuen zu lassen. Dies könnte allerdings die Kosten erhöhen, wie das Bei­spiel der Beschaffung des Schweren Transporthubschraubers zeigt. Und noch weitere Folgen wären denkbar. Frankreichs Irritation über die deutsche Rüstungspolitik, die sich nach dem Kauf von US-amerika­nischen P-8A-Poseidon-Seefernaufklärern nochmals verstärkt hat, führt in Paris be­reits zu Über­legungen, ob man die Programme FCAS und MAWS nicht lieber ohne Deutsch­land entwickeln sollte. Der französische Generalstabschef des Heeres hat nun diese Möglichkeit auch für das MGCS-Programm formuliert. An der französischen Bereitschaft, diesen Weg einzuschlagen, wenn die Zusammenarbeit mit Deutschland blockiert ist, sollte nun kein Zweifel mehr bestehen.

Entwicklungsprojekte wie FCAS und MGCS sind in Europa in nationalem Rahmen aber kaum mehr zu stemmen. Eine Beendi­gung dieser Rüstungskooperationsformate könnte letztlich die Zukunftsfähigkeit der europäischen Verteidigungsindustrie in Zweifel ziehen und damit wachsende Ab­hän­gigkeit von Herstellern außerhalb der EU bedeuten. Alle drei Parteien müssten sich aber fragen, ob es tatsächlich alter­native Partner und Abnehmer für die Waffensysteme in Europa geben könnte.

Militärische Dimension

Die operative Verfügbarkeit, die beim deut­schen Tiger nicht gewährleistet ist, würde bei der amerikanischen Alternative verläss­licher. Beim Kauf eines US-Systems er­scheint die Weiterentwicklung außerdem lang­fristig gesichert. Darüber hinaus handelt es sich, beispielsweise beim AH-64E, um eine Maschine, die bereits heute von ihrer Be­waffnung her besser auf die Herausforderungen des Gefechtsfelds eingestellt ist als der deutsche Tiger derzeit.

Die Einführung eines neuen Waffen­systems ist mit Infrastrukturmaßnahmen verbunden, etwa dem Umbau von Simulatoren oder von Hangars. Zusätzlich müssten Fluglehrer und Fluggerätemechaniker zuvor ausgebildet werden. Die Umsetzung dieser Prozesse dauert ebenfalls Jahre.

Möglichkeit C: Ergänzung

Ein Kompromiss zwischen dem politischen Wunsch, mit Frankreich zu kooperieren und die europäische industrielle Basis zu stärken einerseits, und den finanziellen und operativen Erwägungen andererseits könnte die Ausrüstung mit leichten Airbus H145M oder H160M sein. Erstere sind bereits als Unterstützungshubschrauber der Spezialkräfte (LUH SOF) und als Search-and-Rescue-Maschinen (SAR) im Betrieb der Bundeswehr und könnten auch zur Panzer­abwehr ausgerüstet werden. Des Weiteren könnten sie gemeinsam mit anderem Gerät, zum Beispiel mit Aufklärungsdrohnen, ein­gesetzt werden (Manned-Unmanned-Team­ing, MUM-T).

Frankreich hat im Dezember 2021 H160M bestellt. Sie sollen eine Reihe von verschiedenen Hubschraubertypen ablösen und damit die Flotte vereinheitlichen. Die Modelle wurden in Kooperation mit der französischen Armee ent­wickelt und sollen ab 2027 geliefert werden.

Für die »Ergänzungsvariante« wären theo­retisch zwei weitere Optionen denkbar:

1. Erhaltung des Flottenumfangs der Kampfhubschrauber (KH) Tiger/AH-64 und zusätzliche Beschaffung von Unterstützungs­hubschraubern (UH). Diese Lösung würde zunächst höhere Beschaffungskosten, aber auch ein höheres Niveau an Flugstunden zu einem verhältnismäßig günstigen Preis be­deuten. Einsparungspotentiale ergäben sich damit nur sehr langfristig. Eine »solide« Bereitstellung der Kampfhubschrauber-Fähig­keit wäre gewährleistet.

2. Eine Verringerung der KH-Flotte Tiger/ AH-64 und der Aufbau einer umfangreicheren Flotte an bewaffneten UH könnte die Beschaffungskosten theoretisch auf glei­chem Stand halten; realistisch wäre aber eine leichte Erhöhung. Allerdings würde die KH-Fähigkeit möglicherweise nur noch in sehr eingeschränktem Maße zur Ver­fügung stehen. Es ergäbe sich ein höheres Niveau an einsatzbereiten Piloten auf (unterschiedlichen) bewaffneten Plattformen zu güns­tigeren Preisen pro Flugstunde.

Politische Dimension

Zusätzliche europäische Militärmaschinen zu beschaffen ist Ausdruck des Willens, den Rüstungssektor in Europa zu stärken. Eine gemeinsame Ausbildung bliebe bei diesem Szenario darüber hinaus im Bereich des Mög­lichen. Dies würde den politischen Willen zur Zusammenarbeit unterstreichen. Dass die H145M in Deutschland und in Frankreich H160M betrieben werden (sollen), könnte eine Einigung indes erschweren. Eine Marinevariante könnte sich angesichts des Radlandewerks der H160M für Deutsch­land zwar anbieten; die Bereitschaft zu er­zeu­gen, diesen Typ zusätzlich zu schon vorhandenen H145M zu beschaffen, dürfte aber einiger Überzeugungsarbeit bedürfen. Gleiches gilt umgekehrt für Frankreich.

Finanzielle Dimension

H145M wären für die Bundeswehr eine günstigere Ergänzung (ca. 13 Millionen Euro/Stück) dort, wo die Nutzung eines Kampfhubschraubers zu teuer wäre.

Beide oben beschriebenen Optionen werden sich mit einem Verbleib im Tiger-Projekt jedoch kaum realisieren lassen. Bei Option 1 wäre der hohe Entwicklungspreis hinderlich. Bei Option 2 bedeutet die Ab­nahme einer geringeren Menge eine Er­höhung des Stückpreises. Die Bundeswehr nahm statt der geplanten 80 nur 68 Maschi­nen ab. Der Stückpreis erhöhte sich da­durch von rund 47 auf etwa 67 Millionen Euro. Dies wäre beim US-amerikanischen AH-64 voraussichtlich nicht der Fall.

Industrielle Dimension

H145M und H160M werden von Airbus her­gestellt und bieten daher die Möglichkeit, europäische Fähigkeiten, wenn auch in einem etwas anderen Segment, zu erhalten und die eigene (europäische) Rüstungs­indus­trie zu stärken. Die Maschinen müss­ten aber ebenfalls schnellstmöglich be­schafft werden und würden den Haushalt daher zusätzlich strapazieren.

Militärische Dimension

H145M könnten als »Einstiegsmodell« zur Schulung für den Kampfhubschrauber­betrieb dienen. Sie würden damit geringere Flug­stundenkosten produzieren. Die Fähig­keiten des UH könnten komplementär zu denen eines Kampfhubschraubers sein und wären im Zweifel geeignet, eine Lücke zu überbrücken und einem Fähigkeitsverlust vorzubeugen. Würde die Tiger-Nutzung bis 2035 gestreckt, würde sich diese Übergangslösung anbieten, weil die marktverfügbaren Maschi­nen schneller geliefert und in die Truppe integriert werden könnten.

Fazit

Das französisch-spanische Arrangement zeigt, dass beide Nationen auf den Tiger nicht verzichten wollen; auch Deutschland kann auf die Fähigkeiten eines Kampf­hubschraubers nicht verzichten. Während die Effek­tivität des Tigers im Einsatz für alle drei Armeen hoch relevant ist, kommen insbesondere für Deutschland zwei wich­tige Faktoren hinzu: Mit der Nutzung des Tigers signalisiert es seine Verlässlichkeit in der Nato und in der EU und festigt es die Glaubwürdigkeit der abschreckenden Wir­kung konventioneller Kräfte. Alle drei Ziele hängen in hohem Maße von der Verfüg­barkeit teurer Hochwertfähigkeiten ab, wie sie mit dem Hubschrauber verknüpft sind.

Für die neue Bundesregierung gilt es, die Entscheidung über eine Beteiligung an der Modernisierung des Tigers auf der Basis einer Priorisierung der genannten Faktoren zu treffen. Über­wiegen die politischen und zugleich die industriestrategischen Gesichts­punkte, wäre eine Weiterentwicklung zu bevorzugen. Liegt der Schwerpunkt auf der finan­ziellen Komponente, müsste Deutschland von einer Weiterführung absehen. Eine spezielle Valenz hat die Frage, ob Berlin den politischen Willen hat, (weiter) in Ko­operationsformaten mit Paris zusammen­zuarbeiten. Schwindet dieser Wille, dann ist zu erwarten, dass sich die bereits be­stehenden bilateralen Probleme intensivieren. Letztlich könnten damit weitere zen­trale Kooperationsprojekte gefährdet wer­den. Damit stellt sich dann auch die Frage, welche Partner in der EU alternative Optio­nen darstellen könnten und welche Signale von einem solchen Umschwenken im Hin­blick auf die Verteidigungsinitiativen der EU (PESCO, EDF) ausgehen würden.

Die Vereinbarung zwischen Paris und Madrid sendet hier eine Botschaft: Für Frank­reich ist es kein politisches Tabu mehr, Rüstungsprojekte ohne Deutschland zu for­cieren. Eine Gewichtsverlagerung in Rich­tung der Mittelmeernationen ist zu beob­achten. Zu nennen sind in diesem Zu­sammenhang die Ende September angekün­digte französisch-griechische »strategische Partnerschaft« und vor allem der Ende November abgeschlossene Quirinal-Vertrag zwischen Paris und Rom. Beide Abkommen schließen auch gemeinsame Rüstungs­projekte ein. Der Quirinal-Vertrag sieht bei­spielsweise die Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Verteidigungs­indus­trien Frankreichs und Italiens vor.

Aus militärischer Sicht ist vor allem eins entscheidend: Einsatzfähigkeit. Operative Voraussetzungen wie Verfügbarkeit, Über­lebensfähigkeit auf dem Gefechtsfeld, eine zeitgemäße Bewaffnung und Auf­klärungs­mittel müssen am Ende in jedem Fall ge­geben sein. Letztlich müssen Soldaten mit dem Gerät auf dem Gefechtsfeld bestehen können. Diese Prämisse sollte trotz aller politischen und finanziellen Argumente wesentlich in die Überlegungen einfließen.

Die Diskussion über die Zukunft des Tigers sollte ressortübergreifend geführt, die Ent­schei­dung gemeinsam getroffen werden. Die militärfachliche Sicht gilt es besonders zu beachten. Die politische Ak­zeptanz sollte durch eine frühe Einbeziehung der entsprechenden Ausschüsse im Bundestag sichergestellt werden. Ein aus­schussübergreifendes Format könnte dabei hilfreich sein.

Unabhängig vom Inhalt der politischen Entscheidung sollte Deutschland seine Ab­sichten gegenüber Frankreich und Spanien zügig kommunizieren. Dies schafft Be­rechenbarkeit und damit Handlungsspielräume auf Seiten der Planer und Beschaffer. Die neue Bundesregierung sollte die Sach­frage daher oben auf ihrer Agenda plat­zieren.

Sven Arnold und Dr. Florian Schöne sind Gastwissenschaftler in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.

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