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Den Krieg in Sudan stoppen

Zivile Akteure, nicht allein die Konfliktparteien, sollten die Friedensverhandlungen führen

SWP-Aktuell 2023/A 32, 15.05.2023, 6 Seiten

doi:10.18449/2023A32

Forschungsgebiete

In Sudan kämpfen die wichtigsten Sicherheitskräfte des Landes gegeneinander. Eine schnelle militärische Entscheidung ist angesichts des relativ ausgeglichenen Kräfteverhältnisses zwischen den Sudanesischen Streitkräften (SAF) und den Rapid Support Forces (RSF) nicht zu erwarten. Durch dieses strategische Patt sind die Chancen auf eine erfolgreiche Vermittlung nicht ausweglos. Dafür müssten Sudans internationale Partner aber von dem seit Jahrzehnten dominierenden Ansatz Abstand nehmen, Gewaltakteuren die Hauptrolle in Verhandlungen zuzugestehen. Zivile Akteure haben eine breite Anti-Kriegs-Koalition gebildet, die bei Friedensgesprächen von Anfang an den Ton angeben sollte. Dies könnte durchaus auch im Interesse der Konfliktparteien sein, denn diese brauchen einen dritten Akteur, der ihr Verhältnis in Zukunft mode­rieren kann. Die Bundesregierung sollte sich um eine stärkere Koordination inter­nationaler Vermittlungsansätze unter ziviler Führung aus Sudan bemühen. In der EU sollte sie eine Initiative zur Eingrenzung des finanziellen Spielraums der sudanesischen Gewaltakteure anstoßen.

Seit dem 15. April 2023 erschüttern heftige Kämpfe Sudan. Das schon lange befürchtete schlechteste Szenario ist eingetreten: ein offener bewaffneter Kampf zwischen den SAF unter Führung von General Abdel Fattah al-Burhan und den RSF, die unter dem Befehl von General Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemedti, stehen.

Im Gegensatz zu früheren Kriegen finden diese Auseinandersetzungen nicht nur in Sudans leidgeplagter Peripherie statt, son­dern auch in der Agglomeration, die von den Millionenstädten Khartum, Omdurman und Bahri gebildet wird. Die Kämpfe er­schweren die Versorgung der Bevölkerung und haben bereits zu massiven Preisanstie­gen für Güter des täglichen Bedarfs geführt.

Falls die Kämpfe länger andauern sollten, sind die Gefahren für das Land und die Region immens. Hunger, Unterversorgung und massive Fluchtbewegungen sind zu befürchten. Die islamistische Bewegung in Sudan könnte weiter an Einfluss gewinnen. Zivilisten, die sich bedroht fühlen, könnten sich zum Selbstschutz bewaffnen, während die schon existierenden bewaffneten Grup­pen sich auf eine der beiden Seiten schlagen könnten. Die fragilen Nachbarländer könn­ten selbst destabilisiert werden und Raum bieten für jihadistische Akteure.

Interessen der Konfliktparteien

Die seit langem bestehende Konkurrenz zwischen den SAF und den RSF hat sich durch Hemedtis politischen Aufstieg nach dem Fall des Diktators Omar al-Bashir ver­schärft. Bashir hatte die RSF 2013 bewusst als Gegengewicht gegen die SAF und den ebenfalls mächtigen National Intelligence and Security Service (NISS, heute General Intelligence Service, GIS) aufgebaut. Der Wettbewerb im Sicherheitssektor sollte Bashirs Herrschaft in einem der putsch­anfälligsten Länder der Welt stabilisieren. Die komplementären Einsatzfelder der SAF und der RSF ermöglichten es den beiden Militärorganisationen, im selben Staat zu koexistieren.

Bashirs Strategie der Machtsicherung miss­lang, weil ihm die Ressourcen ausgingen, um weiter Subventionen an die Bevölkerung und Loyalitätszahlungen für den Sicherheitssektor zu finanzieren. Seine engsten Verbündeten wandten sich an­gesichts landesweiter Proteste seit Dezember 2018 gegen ihn, nicht zuletzt deshalb, weil auch einige SAF-Einheiten Sympathie mit den Demonstrierenden (darunter Kinder einfluss­reicher SAF-Generäle) zeigten. Wäh­rend sich der mutmaßliche Architekt des Kom­plotts, NISS-Chef Salah Gosh, ins Exil ab­setzte, machten die islamistischen Anhän­ger von Bashirs Regime insbesondere Hemedti, der eine 180-Grad-Volte von Bashirs Be­schützer zu dessen Gegner voll­zog, für den Sturz des Systems verantwortlich.

Angewiesen auf die kampferprobten und skrupellosen RSF machte Burhan als neuer Oberbefehlshaber der Streitkräfte Hemedti im April 2019 zum Stellvertretenden Vor­sitzenden des Übergangsmilitärrats. Doch die Zweck­gemeinschaft der beiden Generäle stellte bereits die Weichen für den Kolli­sionskurs zwischen den SAF und den RSF.

Für die SAF und vor allem für islamistische Kräfte in ihrer Mitte ist es nicht hin­nehmbar, dass mit der RSF eine De-facto-Parallelarmee unabhängig und mit eigenen Einkommensquellen im gleichen Staat ope­rieren kann. Die relative Stärke der RSF er­schwert es den SAF auch perspektivisch, die volle Kontrolle über die Exekutive auszuüben, wie die bisherigen autoritären Regie­rungen Sudans es vermochten. Daher ist es das Ziel der SAF, die konkurrierende Sicher­heitskraft aufzulösen. Eine erfolgreiche In­tegration der RSF würde die Effektivität des Militärs erhöhen und das Putschrisiko mini­mieren.

Umgekehrt will Hemedti die Unabhängig­keit seiner RSF so lange wie möglich erhal­ten und sich nicht einem Militär unterord­nen, das durchsetzt ist mit Offizieren, die ihn und seine Truppe ablehnen. Nach dem Militärputsch im Oktober 2021 hat Burhan Tausende Bedienstete zurück in den öffent­lichen Dienst geholt, die wegen ihrer Loya­lität zum Bashir-Regime vorher entlassen worden waren. Hochrangige Repräsentan­ten des früheren Regimes kamen aus dem Gefängnis frei. Die Sudanesische Islamisti­sche Bewegung unter dem früheren Außen­minister Ali Karti macht aus ihrer Unterstützung für die SAF keinen Hehl.

Hemedti werden politische Ambitionen auf das höchste Staatsamt nachgesagt. Da­für müsste er seine politische Basis deutlich verbreitern, was schwieriger würde, wenn seine RSF in den Streitkräften aufgingen. Das ökonomische Imperium der RSF und der Familie Dagalo macht nach Schätzungen eines Experten die Hälfte der sudanesischen Wirtschaftsleistung aus. Hemedti pro­fitiert somit direkt von den militärischen Kapazitäten der RSF. In Darfur hat er sie zur gewaltsamen Einnahme von Gold­minen eingesetzt.

Sowohl den SAF als auch den RSF geht es also darum, ihre Privilegien zu wahren und Dominanz in einer zukünftigen politischen Ordnung in Sudan zu erlangen. Dafür stre­ben sie nach Legitimität in der sudanesischen Öffentlichkeit und bei internationalen Akteuren.

Strategisches Patt

Sowohl die SAF als auch die RSF werden aller Voraussicht nach geschwächt aus diesem Krieg hervorgehen, auch wenn eine der beiden Parteien Erfolge erzielen sollte. Derzeit ist es jedoch wahrscheinlich, dass beide diesen Konflikt weder militärisch noch politisch in nächster Zeit für sich ent­scheiden können. Je schneller sie einsehen, dass sie sich in einem strategischen Patt befinden, desto eher könnten sie bereit für ernsthafte Friedensgespräche sein.

Schätzungen über die genaue Truppengröße der SAF und der RSF gehen weit aus­einander, zumal beide Kampfverbände stark rekrutiert haben in letzter Zeit. SAF und RSF kontrollieren jedoch eine vergleichbare Größenordnung von Truppen, wobei die SAF noch auf Einheiten von GIS und der Central Reserve Police zurückgreifen. Die militärischen Spezialisierungen der SAF und der RSF erschweren es beiden Streit­kräften, die Oberhand zu gewinnen: Die SAF ist auf konventionelle Kriegsführung mit schweren Waffen und auf die Verteidigung von stationären Ein­richtungen aus­gelegt. Die RSF operiert als reine Boden­truppe hochmobil mit punk­tuellen An­griffen, die oft von Plünderungen begleitet werden.

Keiner der Kontrahenten ist damit auf urbane Kriegsführung im Großraum Khar­tum ausgerichtet. Die SAF tun sich schwer damit, die wesentlich beweglicheren RSF durch die Straßen zu verfolgen. Die Luft­überlegenheit der SAF hat die RSF dazu veranlasst, ihre Basen in der Hauptstadt zu räumen und sich in Wohn­gebieten und Privathäusern einzunisten. Sie hat Schwie­rigkeiten, ihre Versorgung sicherzustellen. In Khartum gibt es einen erbitterten Kampf um stra­tegische Orte wie den Präsidentenpalast, das Militärhauptquartier und die Brücken über den Nil.

Beide Parteien laufen Gefahr, durch den Krieg und die mögliche Beteiligung weiterer bewaffneter Gruppen zu zersplittern. Durch Rekrutierungen und Allianzen verfügen die RSF über Truppen aus vielen Teilen Sudans, nicht nur aus ihrem Ur­sprungsgebiet in Darfur. Dazu zählen auch Angehörige von Drittstaaten wie Tschad und anderen Sahel­ländern, die vor allem opportunistisch agie­ren. Islamistische Kräfte innerhalb der SAF könnten ab einem gewissen Punkt eigen­ständig handeln. Der Abnutzungskampf ist am Ende ruinös für die militärischen Fähig­keiten der beiden Kontrahenten.

Politisch werden SAF und RSF ohnehin geschwächt aus dem Gewaltkonflikt her­vor­gehen. Ihr Putsch war bereits vorher ge­scheitert, denn es war ihnen nicht wie anderen Militärregierungen vor ihnen ge­lungen, zivile politische Parteien zu koop­tieren. Burhan brachte zwar Angehörige der verbotenen National Congress Party (NCP) zurück ins öffentliche Leben, konnte es sich aber nicht leisten, die Partnerschaft publik zu machen. Dazu waren die Proteste der sudanesischen Zivilgesellschaft gegen sein Vorgehen zu groß. Außerdem hätte eine offen islamistische Regierung zu Reibungen mit den wichtigsten Partnern Sudans in der Region – wie Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Saudi-Ara­bien – geführt. Hatten die letzteren beiden nach dem Sturz Bashirs dem damaligen Militärregime unter Burhan und Hemedti noch eine Finanzspritze von drei Milliarden US-Dollar versprochen, zeigen sich die Geber mitt­lerweile zurückhaltender. Eine milliardenschwere Investition aus den VAE in einen Hafen mit umliegendem Gewerbegebiet wurde wiederholt auf­geschoben und erst verkündet nach der prinzipiellen Eini­gung auf eine zivile Regierung im Dezember 2022.

Die Golfstaaten wissen, dass ohne eine Fortsetzung eines IWF-Programms mit makro-ökonomischen Reformen, ohne den Abbau von Sudans Auslandsschulden von über 50 Milliarden Dollar und ohne die Wiederaufnahme der Unterstützung durch die Weltbank und westliche Regierungen die sudanesische Wirtschaft weiter abstür­zen dürfte. Das wäre schlecht für ihre ge­planten Investitionen.

Diese Aussichten waren lange vor dem Ausbruch der Kämpfe in Khartum bekannt. Ein lange anhaltender Krieg wäre weder im Interesse der SAF noch der RSF. Daher spricht einiges dafür, dass die Konflikt­parteien diese Art der Auseinandersetzung so nicht gewollt haben, auch wenn beide mobilisiert und eskaliert haben. Eine Seite hat vermutlich für sich die Chance einer schnellen Entscheidung gesehen oder einem befürchteten unmittelbar bevorstehenden Angriff der anderen zuvorkommen wollen. Ähnliche Eskalationsdynamiken hat es be­reits in der Vergangenheit gegeben, zuletzt im Februar und Anfang März. In diesen Phasen war es sudanesischen und inter­nationalen Vermittlern jedoch gelungen, die Lage vor der Anwendung von Gewalt zu entschärfen. Einige Beobachterinnen wie die sudanesische Analystin Kholood Khair vermuteten in diesem Gehabe von Eskala­tion und Deeskalation eine Taktik des Sicherheitssektors, um unliebsame Kom­promisse in den Verhandlungen für eine zivile Regierung zu vermeiden. Khair warnte zu der Zeit auch vor einer bewaffneten Aus­einandersetzung zwischen beiden Kräften mit »desaströsen Folgen«.

Deals mit Gewaltakteuren sind gescheitert

Die Friedens- und Übergangsprozesse, die Sudan in den letzten Jahrzehnten durchlaufen hat, haben den Gewaltakteuren immer eine überproportionale Rolle zugemessen. Es liegt in der Logik von Abkommen, die unter solchen Vorzeichen starten und in der Regel unter internationaler Vermittlung zustande kommen, dass sie die Anwendung von Gewalt als Mittel der Interessendurchsetzung belohnen. Rebellengruppen haben diese Lektion seit langem gelernt: Wer Auf­merksamkeit und einen Platz am Verhandlungstisch will, sollte möglichst aggressiv auftreten.

Die SAF und die RSF sind Teil dieser am Horn von Afrika verbreiteten Dynamik und verhalten sich entsprechend. Sie sind es gewohnt, bewaffnete Gewalt und bewusste Regelverletzungen als Mittel einzusetzen – und damit Erfolg zu haben.

Diplomatinnen und Diplomaten begründen ihren Umgang mit den Gewaltakteuren in der Regel mit Pragmatismus und Real­politik. Jedes Abkommen sei besser als Krieg und Gewalt. Sudan ist ein gutes Bei­spiel für die Fehlerhaftigkeit dieser Argu­mentation. So stieg die konfliktbezogene Gewalt in Darfur nach dem Friedensabkom­men von Juba 2020 an. Der Deal revitalisierte Rebellengruppen, die in Sudan selbst keine Truppen oder relevante Zustimmung mehr hatten, und verhalf diesen zu einer Beteiligung an der Übergangsregierung.

Obwohl die sudanesische Zivilgesellschaft gerade ihre Organisationskraft auch angesichts massiver Gewalt der Sicherheitskräfte bewiesen hatte, konnten sich letztere während der 2019 eingesetzten zivil-militä­rischen Interimsregierung immer mehr Macht verschaffen. Das lag auch am Verhal­ten der Parteien der Forces of Freedom and Change (FFC), die sich in der Frage der Ver­tei­lung von Sitzen für die Einsetzung eines Übergangsparlaments nicht einigen konn­ten. Stattdessen ließen sie es zu, dass Hemedti und Burhan Einfluss auf die täg­lichen Regierungsgeschäfte nahmen. Das Militär hatte nicht nur daran mitgewirkt die Regeln zu schreiben, sondern legte sie in der Praxis auch für sich aus.

Kein Wunder, dass eine Reihe von ehe­maligen internationalen Diplomaten wie der frühere US-Sondergesandte für das Horn von Afrika, Jeffrey Feltman, diesen mutmaßlich pragmatischen Ansatz mitt­ler­weile ablehnen. Denn er geht von der Prä­misse aus, die Generäle seien gutwillige Akteure, die sich an Abmachungen halten. Das sind sie nicht.

Wettbewerb um Vermittlung

Die Konfliktparteien werden sich wahrschein­lich dann ernsthaft zu Friedens­gesprächen bereiterklären, wenn sie erken­nen, dass sie mit militärischer Gewalt nicht mehr vorankommen können.

Die vielen regionalen und internatio­nalen Akteure, die Interessen in und mit Sudan verfolgen, müssten daher eine einheitliche Linie verfolgen. Vor allem Ägypten, die VAE und Saudi-Arabien sollten den Konflikt­parteien signalisieren, dass sie keine militä­rische Unterstützung zu erwarten haben.

Dies ist durchaus möglich. Kein Land in der Region hat ein Interesse an einem aus­geprägten Bürgerkrieg in Sudan. Auch wenn viele ausländische Regierungen Sympathien für die eine oder andere Seite hegen, hat bis­her keine einzige offiziell ihre Unter­stützung für eine Partei zum Ausdruck ge­bracht. Im Gegenteil haben sich die Nach­barstaaten und die wichtigsten anderen Regierungen einschließlich aller ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats auf Initiative der Afrikanischen Union zu einer Verurteilung des Krieges bekannt und gegen ex­terne Einmischung ausgesprochen.

Gleichwohl zeichnet sich bereits eine Konkurrenz um die Führung von Friedensgesprächen ab. Diese nutzt am Ende nur den Gewaltakteuren selbst, die sich den­jenigen Rahmen aussuchen werden, der ihnen den größtmöglichen Freiraum so­wohl individuell als auch im Verhältnis zu zivilen Parteien erlaubt.

Den USA und Saudi-Arabien gelang es, die SAF und die RSF davon zu überzeugen, Delegationen nach Jeddah zu entsenden, wo die Gegner seit dem 6. Mai 2023 über eine humanitäre Feuerpause verhandeln. Zwar stehen die Media­toren in Kontakt mit den zivilen Forces of Freedom and Change; beteiligt sind diese jedoch nicht direkt an den Gesprächen, bei denen es nicht um das Ende des Krieges gehen soll. Washington und Riad stehen letztlich genau für den Ansatz von Eliten-Deals, der immer wieder gescheitert ist. Schließlich hat der Druck der US-Regierung auf das Militär, den ein­mal festgelegten Zeitplan zur Einrichtung einer zivilen Regierung einzuhalten, ob­wohl es keine belastbare Einigung zum Kernthema Sicherheitssektorreform gab, zur Eskalation beigetragen. Die Afrika-Beauftragte und Verhandlungsführerin der USA, Molly Phee, ist mitverantwortlich für bereits spektakulär gescheiterte Friedensprozesse in Südsudan und Afghanistan.

Aus der Sicht der Konfliktparteien im Grunde noch attraktiver ist die Einladung von Südsudans Präsident Salva Kiir Mayar­dit für Gespräche in Juba. Kiir agiert zwar im Auftrag der Regionalorganisation Inter­governmental Authority on Development (IGAD), hat jedoch eigene Interessen. Er sorgt sich um die Sicherheit der Ölexporte über Port Sudan, von denen sein Staatshaushalt fast ausschließlich abhängt. Sudan und Südsudan haben bereits meh­rere Frie­densabkommen verhandelt. Zivile Akteure waren dabei stets höchstens am Rand be­teiligt, ging es doch um rein transaktionale Macht­teilungsvereinbarungen zwischen Gewaltunternehmern.

Größere Chancen könnte eine Vermittlung von IGAD haben, wenn sich Kenias Präsident William Ruto noch stärker ein­bringen sollte, der zusammen mit den Regierungschefs von Südsudan und Dschi­buti von einem IGAD-Gipfel für Friedens­gespräche in Sudan mandatiert wurde. Er hat sich bereits gegen eine Fortsetzung der Militärregierung in Sudan eingesetzt. Kenia spielt auch in Äthiopien und in Ostkongo eine konstruktive Vermittlerrolle.

Die US-saudisch geführte Initiative bringt zumindest sehr gewichtige Länder zusam­men. Andere Vermittlungsangebote aus der Türkei, Äthiopien, Israel oder vom Präsi­denten der AU-Kommission Moussa Faki Mahamat hätten weniger Chancen, zumal diese Akteure selbst eine große Nähe zum sudanesischen Sicherheitssektor aufweisen.

Umso wichtiger ist es daher, dass die EU und die Bundesregierung sich bei den ge­nannten internationalen Partnern für einen anderen Verhandlungsansatz einsetzen. Deutschland könnte dabei an seine führen­de Rolle zu Beginn des sudanesischen Über­gangsprozesses anknüpfen, als die Bundes­regierung die diplomatische Kontaktgruppe der Friends of Sudan mit ins Leben rief, die erste Partnerschaftskonferenz mit und für Sudan ausrichtete und, zusammen mit Großbritannien, federführend das Mandat der UN-Mission in Sudan (UNITAMS) im UN-Sicher­heits­rat aushandelte. Die Friends of Sudan brin­gen die wesentlichen westlichen und arabischen Partnerländer Sudans in einer losen, aber regelmäßigen Austauschrunde zusammen.

Zivile Akteure in die Führung bringen

Wie könnte ein alternativer Ansatz aus­sehen? Beginnen müsste er mit einer anderen Haltung gegenüber den Gewalt­akteuren. Vermittler sollten deren Ver­sprechungen keinen Glauben schenken, son­dern davon ausgehen, dass sie jede Gelegen­heit zu ihrem eigenen Vorteil nutzen werden und Regeln missachten. Die immer wieder gebrochenen Feuerpausen sind Ausdruck dieser Dynamik.

Aus dieser Haltung heraus müsste größerer Druck auf die Gewaltakteure ausgeübt werden, auch zur Einschränkung ihres finanziellen und diplomatischen Handlungs­spielraums. Die USA und die EU sollten Finanz- und Reise­sanktionen gegen aus­gesuchte Personen und Institutionen er­lassen. Dabei sollten sie aber darauf achten, das tägliche Leben für Bürgerinnen und Bürger in Sudan nicht weiter zu erschwe­ren. Auch Zivilisten haben beispielsweise Konten bei Banken, die mehrheitlich dem Sicherheitssektor gehören.

Die Konfliktparteien könnten durchaus ein Eigeninteresse entwickeln, sich einer zivilen Regierung zu unterwerfen. Da kein baldiger militärischer Sieg zu erwarten ist, werden sie einen Dritten brauchen, der ihr gegenseitiges Verhältnis nach dem Krieg moderiert. Eine zivile Regierung und ein­heitlich agierende internationale Akteure könn­ten diese vermittelnde Funktion überneh­men. Sie könnten einen strukturierten Prozess begleiten, der sowohl die SAF von islamistischen Einflüssen befreit als auch alle Milizen einschließlich der RSF inte­griert und damit schrittweise auflöst.

Deutschland sollte sich starkmachen für eine führende Rolle politischer Parteien und anderer zivilgesellschaftlicher Akteure in möglichen Friedensgesprächen. Wichtige Parteien, Gewerkschaften, Widerstands­komitees, Frauenorganisationen und andere nicht-staatliche Initiativen und Vereinigun­gen haben bereits eine breite Anti-Kriegs-Koalition gegründet. Diese Civil Front bietet ein glaubwürdiges, konstruktives Gegen­gewicht zu den Generälen. Ermutigend sind Anstrengungen traditioneller Führer und lokaler Freiwilligenkomitees, räumlich be­grenzte Waffenstillstände auszuhandeln und zu überwachen. Freiwillige kümmern sich auch um die Erstversorgung von Opfern der bewaffneten Konfrontation, um sichere Fluchtwege und die Organisation von Hilfe.

Die Bundesregierung sollte sich innerhalb der von ihr mitinitiierten Koordinierungs­runden der Friends of Sudan gegen jede Parteinahme in Sudan einsetzen und darauf hinwirken, dass der sudanesischen Anti-Kriegs-Koalition schnell die Führungsrolle in Verhandlungen zugemessen wird. Internationaler Druck sollte die Kon­fronta­tion der Gewaltakteure nicht verschärfen, wie in den Wochen vor Ausbruch des Krie­ges. Vielmehr sollte die neu gebildete Civil Front entscheiden, welche Art von inter­nationaler Unterstützung sie will und welche ihren Anliegen eher schaden würde.

Fazit

Den Einfluss der Sicherheitskräfte in Wirt­schaft, Politik und Gesellschaft zurück­zudrängen wird eine lange Zeit brauchen. Der Mindestanspruch jeder zivilen Regierung sollte sein, den bisherigen Bedeutungs­zuwachs des Sicherheitssektors zu stoppen. Die Einigkeit der zivilen Anti-Kriegs-Koali­tion könnte in neuen Verhandlungen leicht zerbrechen, wenn politische Parteien wie­der versuchen sollten, sich gegenseitig aus­zustechen. Die Erfahrung der massiven Kämpfe der letzten Wochen müsste also auch zu einem Umdenken bei sudanesischen Poli­tikerinnen und Politikern führen.

Rückschläge einschließlich erneuter Putschversuche sind angesichts der auto­ritä­ren Instinkte der Gewaltakteure wahr­scheinlich. Ein neuer Ansatz in Sudan würde nicht sofort und vollständig zu Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit, dem Slogan der Revolution von 2018/19, führen. Aber er bietet die beste Hoffnung, dass Sudan einen stabileren Weg dorthin einschlägt. Zivile Akteure in den Vordergrund zu stellen ist damit »realistischer« als ein Deal, der wieder nur mit den Generälen vorbereitet wird.

Hager Ali ist Research Fellow am GIGA Institut für Nahost-Studien und im GIGA-Doktorandenprogramm. Dr. Gerrit Kurtz ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten der SWP.

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