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Lateinamerikas Linke auf Schlingerkurs

Mit dem Niedergang der Linken in Venezuela, Argentinien und Brasilien ist das Ende des linken Projektes in Lateinamerika noch nicht besiegelt. Es bedarf jedoch gründlicher Kurskorrekturen, wenn es sich nicht selbst abschaffen möchte, meint Günther Maihold.

Kurz gesagt, 09.12.2015 Forschungsgebiete

Mit dem Niedergang der Linken in Venezuela, Argentinien und Brasilien ist das Ende des linken Projektes in Lateinamerika noch nicht besiegelt. Es bedarf jedoch gründlicher Kurskorrekturen, wenn es sich nicht selbst abschaffen möchte, meint Günther Maihold.

Die Niederlage des Kandidaten von Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner, der Erdrutschsieg der venezolanischen Opposition bei den Parlamentswahlen und das angelaufene Amtsenthebungsverfahren gegen Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff weisen auf ein Ende der Dominanz linker Regierungen in Südamerika hin. Damit scheint die »rosa Welle« auszulaufen, die seit dem Jahr 2003 linke Regierungen an die Macht gespült hatte, die in nachfolgenden Wahlen immer wieder von den Wählern bestätigt wurden. Die Akzeptanz dieser Regierungen scheint gebrochen, die Wählerschaft wendet sich ab und sucht neue politische Optionen. Doch ein genereller Abgesang auf die Linke ist verfrüht: In Bolivien, Chile, Ecuador und Uruguay sind weiterhin Präsidenten – wenngleich deutlich verschiedener – linker Ausrichtungen im Amt. Dennoch bedarf das linke Projekt in der Region dringender Kurskorrekturen, wenn es sich nicht selbst abschaffen möchte.

Gründe des Niedergangs

Der Einbruch in der Wählergunst ist ein Alarmzeichen für die linken Regierungen und verweist zunächst auf alte Fehler. Da ist zum einen die Selbsttäuschung der lateinamerikanischen Linken, mobilisierte Massen auf der Straße für eigene Mehrheiten zu halten. Eine Lehre aus den jüngsten Wahlen ist unmittelbar erkennbar: Mit traditioneller Klientelpolitik sind auch in Lateinamerika keine Wahlen mehr zu gewinnen, die Wählerschaft ist selbstbewusster geworden und lässt sich immer weniger mit traditionellen Politikmustern binden. Hinzu kommt zum anderen die mangelnde Erneuerungsfähigkeit der linken Parteien. Vieles deutet auf die personelle Erschöpfung des Projekts der Linken hin; neue Führungspersönlichkeiten sind nicht sichtbar geworden. So könnte das anfangs vielversprechende Projekt der Linken der »rosa Welle« das Werk einer Generation bleiben. Neue Fehler sind hinzugekommen: So haben alle linken Präsidenten durch Verfassungsänderungen eine Wiederwahlmöglichkeit eingeführt und damit das politische Projekt auf ihre Person reduziert, anstatt eine programmatische Weiterentwicklung voranzutreiben. Zudem haben die langen Regierungsjahre eine Selbstbedienungsmentalität gefördert, bei der die Grenzen zwischen persönlichem Gewinnstreben, Parteiinteressen und staatlichen bzw. staatsnahen Unternehmen ins Rutschen geraten sind; in vielen Ländern wird »die Linke« heute mit Korruption gleichgesetzt. Diesen Makel werden die jeweiligen politischen Organisationen des linken Spektrums nicht so schnell abstreifen können, er prägt die Wahrnehmung der Wähler und wird die anstehende personelle und programmatische Erneuerung in der Zukunft nachhaltig belasten.

Wie die Wahlen in Argentinien und Venezuela, aber auch die Vorgänge um das Amtsenthebungsverfahren in Brasilien zeigen, ist die Linke nicht angesichts der Stärke ihrer Gegner im Niedergang, sondern aufgrund eigener Schwächen wie der Unfähigkeit zur Korruptionskontrolle in den eigenen Reihen, einem übersteigerten Personalismus ihrer Führungsfiguren und an der Realitätsverweigerung, wenn es um die Anerkennung der unmittelbaren Bürgerinteressen geht. Ein Blick auf die drei Länder macht deutlich, dass die Gegenspieler jeweils breite Sammlungsbewegungen von Parteien und außerparlamentarischen Kräften waren, die wenig gemeinsame Substanz aufweisen, weder in organisatorischer noch in programmatischer Hinsicht. Es eint sie die Ablehnung der bisherigen linken Regierungen, bei der Bestimmung eines positiven Programmes aber treten die inneren Divergenzen schnell zutage.

Schließlich haben auch externe Faktoren ihren Anteil am Niedergang der Linken. So hat die Wirtschaftsflaute den Expansionskurs der lateinamerikanischen, auf Rohstoffexporte ausgerichteten Ökonomien der Region massiv getroffen, die Preise sind deutlich gefallen, die Einnahmen damit drastisch geschrumpft. Nur wenige Länder haben Vorsorge gegen diese Schwankungen getroffen, die große Mehrheit der linken Regierungen aber hat im Ressourcenboom Sozialprogramme finanziert und staatliche Leistungen ausgeweitet. Sie sind damit erste Opfer der sich abflachenden Nachfrage Chinas geworden und haben es verpasst, das Land rechtzeitig neu aufzustellen, indem sie in technologische Innovation und ein höheres Bildungsniveau investieren.

Perspektiven der lateinamerikanischen Linken

Grundsätzlich kann man von den Niederlagen in einigen Staaten Lateinamerikas nicht auf den Niedergang der gesamten Linken der Region schließen. Denn die Gleichzeitigkeit in der Amtsführung kann nicht als Grundlage eines kollektiven Projekts interpretiert werden, auch wenn Gemeinsamkeiten wie die erfolgreiche Bekämpfung der Armut, eine Verbreiterung der Mittelschicht, die Unterstützung des Castro-Regimes in Kuba, die damit verbundene Distanzierung von den USA sowie die Zusammenarbeit bei Infrastrukturprojekten im Binnenraum Südamerikas bestanden. Ansonsten folgen die jeweiligen Projekte stark nationalen Besonderheiten, eigenen politischen Traditionen und den persönlichen Prioritäten der jeweiligen Präsidenten. Das reicht vom andinen Sozialismus in Bolivien bis zum bolivarischen Projekt Venezuelas, das inzwischen im verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez seinen eigenen Bezugspunkt als »Chavismus« gefunden hat. Diese innere Heterogenität der Linken könnte sich nun als politisches Kapital erweisen, das sie vor einem Überschwappen der aktuellen Rückschläge auf die weiterhin links regierten Länder bewahrt.

In einer kritischen Selbstbeschau könnten diese Defizite erkannt und beseitigt werden; ob die linken Kräfte dazu in der Lage sind, ist jedoch zweifelhaft, sollten führende Vertreter reflexhaft die altbekannte Anklage erheben, man kehre zum Neoliberalismus zurück – und damit doch nur wieder auf die ideologische Karte setzen, um der Losung der erstarkten Oppositionskräfte nach einer »Entideologisierung« der Politik zu begegnen. Stattdessen muss die Linke sich personell und programmatisch erneuern und etablierte Führungsstile wie etwa die traditionell nach Niederlagen verhängten Diskussionsverbote überwinden. Ohne eine entschlossene Weiterentwicklung wird es ihr nicht gelingen, sich selbst am Schopf zu packen und aus der Krise zu ziehen.