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Waffenstillstand im Konflikt um Berg-Karabach bleibt brüchig

Die Eskalation des Konflikts sollte Anlass für die internationale Gemeinschaft sein, ihre Vermittlungsbemühungen zu verstärken. Eine Zuspitzung könnte verheerende Folgen für die gesamte Region haben. Analyse von Uwe Halbach und Franziska Smolnik.

Kurz gesagt, 21.04.2016 Forschungsgebiete

Die Eskalation des Konflikts um Berg-Karabach Anfang April sollte Anlass für die internationale Gemeinschaft sein, ihre Vermittlungsbemühungen zu verstärken. Eine weitere Zuspitzung könnte verheerende Folgen für die gesamte Region haben. Uwe Halbach und Franziska Smolnik analysieren die Situation.

In der Nacht vom 1. auf den 2. April begannen entlang der gesamten Waffenstillstandslinie um Berg-Karabach heftige Kämpfe zwischen aserbaidschanischen und armenischen Truppen. Die Gefechte unter Einsatz schweren Geräts hielten vier Tage lang an. Bei einem Treffen in Moskau vereinbarten die Generalstabschefs beider Seiten am 5. April eine Feuerpause, doch schon am selben Tag beschuldigten sich die Konfliktparteien gegenseitig, diese zu verletzen. Verschiedene Quellen gehen für die jüngste Eskalation von über 90 Todesopfern, darunter auch Zivilisten, und Dutzenden Kriegsvermissten auf beiden Seiten aus, was den früheren Jahresdurchschnitt weit übertrifft. Der Konflikt wird von Beobachtern oft als »eingefroren« bezeichnet, doch davon konnte schon vor der jüngsten Eskalation keine Rede sein. Vor allem seit 2014 ist es zu einem merklichen Anstieg gewaltsamer Zwischenfälle an der Waffenstillstandslinie, aber auch an einigen Abschnitten der geschlossenen Staatsgrenze zwischen Armenien und Aserbaidschan gekommen.

Aufrüstung der Konfliktparteien birgt Risiko für die gesamte Region

1988 hatte sich die armenische Bevölkerungsmehrheit Berg-Karabachs eigenmächtig von Aserbaidschan losgesagt. Der Streit um Territorien beschränkt sich in diesem Konflikt aber nicht nur auf das Sezessionssubjekt Berg-Karabach, sondern schließt auch sieben angrenzende aserbaidschanische Provinzen mit ein, die von armenischen Truppen teilweise oder ganz kontrolliert werden. Für Aserbaidschan sind die politischen und humanitären Kosten des Konflikts vor allem mit diesen Gebieten verbunden, aus denen der Großteil der Vertriebenen stammt. In den letzten zwölf Jahren hat das Land seine Militärausgaben um mehr als das Zwanzigfache gesteigert und mit einer »militärischen Konfliktlösung« gedroht, falls nicht bald ein diplomatischer Durchbruch zu einer politischen Regelung erfolge; Baku ist nicht gewillt, die fortdauernde Verletzung seiner territorialen Integrität hinzunehmen. Im Verhältnis zur Bevölkerungs- und Wirtschaftsgröße weisen aber auch Armenien und Berg-Karabach weltweit einen der höchsten Militarisierungsgrade auf. Es ist nicht zuletzt die enorme Aufrüstung auf beiden Seiten, die die Brisanz dieses Konflikts ausmacht – ein offener Krieg hätte verheerende Folgen für die gesamte Region.

Seit 1992 ist die Minsker Gruppe der OSZE mit der Vermittlung im Karabach-Konflikt betraut. Bislang sind vor allem ihre drei Co-Vorsitzenden Russland, Frankreich und die USA in Erscheinung getreten, ohne allerdings einen Durchbruch zur politischen Regelung des Konflikts vorweisen zu können. Es ist ein zentrales Problem für die internationale Politik in diesem Konflikt, dass sich die beteiligten Parteien bislang nicht auf eine verlässliche und ständige Beobachtung durch unabhängige Friedenstruppen einigen konnten. Dies macht auch die jüngste Eskalation deutlich: Es herrscht Unklarheit darüber, welche Partei die Eskalation herbeigeführt hat und wie viele Todesopfer die eine, wie viele die andere Seite zu verzeichnen hat. Nicht geklärt ist zudem, ob Aserbaidschan, wie behauptet, tatsächlich wichtige strategische Positionen eingenommen und gesichert hat, die armenische Truppen seit 1993/94 kontrolliert hatten – oder ob diese umgehend zurückerobert wurden, wie die armenische Seite postuliert. Die »Line of Contact« zwischen Berg-Karabach und Aserbaidschan wird lediglich von einem winzigen OSZE-Team aus sechs Beobachtern »überwacht«, das sich nach Voranmeldung gelegentlich dorthin begibt. Von einem Monitoring wie an der administrativen Grenze zwischen Georgien und seinen abtrünnigen Landesteilen Abchasien und Südossetien (200 Personen, die allerdings keinen Zugang zu den De-facto-Staaten haben) oder im Donbass (700 OSZE-Beobachter) kann hier keine Rede sein. Seit langem fordern internationale Beobachter die Aufstockung des OSZE-Teams und den Einsatz elektronischer Aufklärungstechnik und damit ein »robusteres Monitoring«. Aserbaidschan sieht darin die Gefahr einer Zementierung der Konfliktlinie und lehnt ein umfänglicheres Monitoring daher bislang ab. Armenien, dem der derzeitige Status quo entgegenkommt, stimmt zwar theoretisch einer Aufstockung zu, betrachtet aber die Entsendung von Peacekeepern in das Gebiet ebenso wie Aserbaidschan mit Skepsis.

Der Schlüssel zu dem Konflikt liegt in der Region selbst

Die internationale Politik und auch Deutschland, das gegenwärtig den Vorsitz der OSZE innehat, sollten die Eskalation im April als Weckruf begreifen und die Vermittlungsbemühungen intensivieren. Dabei muss es zunächst darum gehen, eine erneute Eskalation oder den Ausbruch eines offenen Krieges zu vermeiden, denn die Waffenruhe vom 5. April ist prekär. Hierzu könnte eine zeitnah einzurichtende Krisen-Hotline zwischen den Regierungen in Baku und Jerewan beitragen, wie Berlin sie in seinem kürzlich unterbreiteten Sieben-Punkte-Plan angeregt hat. Auch die von Berlin vorgeschlagenen vertrauensbildenden Maßnahmen sind wichtig und sollten langfristig und nicht nur punktuell unterstützt werden, denn kurz- bis mittelfristige Erfolge sind hier wenig wahrscheinlich. Über die Jahre haben sich die Feindbilder beider Konfliktparteien zunehmend verhärtet. Die psychologischen und politischen Barrieren für die Vertrauensbildung sind immer größer und die Kompromissbereitschaft kleiner geworden, auch, weil politische Eliten beider Seiten versucht haben, den Konflikt zur Legitimierung der eigenen Herrschaft zu nutzen. Angesichts der sozio-ökonomischen Krise in Aserbaidschan und Armenien scheint die »Karabach-Karte« eher noch an Bedeutung zu gewinnen, weil sie den Eliten dazu dient, von inneren Problemen abzulenken, die »nationale Einheit« zu stärken und für Rückhalt in der Bevölkerung zu sorgen. Es ist eben nicht so, wie von vielen Beobachtern beschworen, dass der Konflikt Teil eines »Great Game« sei und seine Lösung allein von den Interessen der »Großmächte« abhänge. Der Schlüssel zu dem Konflikt liegt in der Region selbst.

Der Text ist auch bei EurActiv.de und Zeit.de erschienen.