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»Summit of the Future« – Deutschland im Co-lead für die Vereinten Nationen

Der UN-Zukunftsgipfel 2024 als Chance und Herausforderung

SWP-Aktuell 2022/A 74, 02.12.2022, 4 Seiten

doi:10.18449/2022A74

Forschungsgebiete

Der Präsident der UN-Generalversammlung hat Deutschlands Botschafterin und Nami­bias Botschafter zu Verhandlungsführern für den »Summit of the Future« ernannt. Dieser für September 2024 geplante Reformgipfel soll die UN und mithin Strukturen des Weltregierens besser für alte und neue Herausforderungen aufstellen. Dazu zählt, die Umsetzung der internationalen Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) bis 2030 voranzubringen. Wegen der angespannten Weltlage ist dies kein leichtes Unterfangen. Wichtig ist jetzt, den Prozess gut aufzugleisen, um Unterstützung zu gewinnen sowie öffentliche Aufmerksamkeit für und Vertrauen in ihn zu schaffen.

Anlässlich des 75. Jubiläums der Vereinten Nationen im September 2020 hatten die Mit­gliedstaaten UN-Generalsekretär António Guterres aufgefordert, einen Bericht zu ver­fassen, wie die in ihrer Politischen Erklärung dargestellte »gemeinsame Agenda« voran­gebracht werden kann. Im Sep­tember 2021 legte Guterres seinen Bericht vor, dessen Titel »Our Common Agenda« diesen Auftrag aufgreift.

Das Ziel ist, den Multilateralismus für aktuelle und künftige Probleme zu stärken, um globale Schocks und Krisen besser be­wältigen und globale öffentliche Güter wirk­samer schützen zu können. Dafür sollen die UN in die Lage versetzt werden, vernetzter und inklusiver zu agieren und eine zentrale Rolle in den Global-Governance-Strukturen zu spielen. Der Bericht enthält rund 90 Vor­schläge. Einige setzt das UN-System bereits um, doch für die meisten bedarf es politi­scher und finanzieller Unterstützung der Mitgliedstaaten. Diese diskutierten seit An­fang 2022 in der UN-Generalversammlung über die Empfehlungen. Bis 2024 soll ein »Pakt für die Zukunft« geschlossen werden. Zwar dürfte er die UN kaum mit einem Schlag zum handlungsfähigen Manager multipler Krisen machen. Doch mit Hilfe kurz- und mittelfristig umsetzbarer Maß­nahmen und längerfristiger Reformprozesse kann es gelingen, die multi­laterale Insti­tution weit besser als zu­vor für die Krisen­bearbeitung zu positionieren.

Heterogene Interessenlage

Die Blockade des UN-Sicherheitsrates bei der Reaktion auf Russlands Angriffskrieg in der Ukraine nährte Zweifel an der Wirk­mächtigkeit der Weltorganisation. Dank den Ab­stimmungen in der Generalversammlung, den Evakuierungen aus Mariupol und vor allem der Schwarzmeerinitiative zu Getreide­exporten haben die UN aber wieder mehr politische Bedeutung gewonnen. Es gelang dem UN-General­sekretär, Expertise aus UN-System, Privatsektor und Zivilgesellschaft zu humanitären, entwicklungspolitischen und logistischen Fragen zu bündeln. Das ermöglichte die Übereinkunft zum Export von Getreide und Düngemitteln.

Genau diese Art vernetzte Reaktionsfähig­keit möchte Guterres gestärkt sehen. Aber nicht alle Mitgliedstaaten wollen den UN-Apparat und seine Kooperation mit nicht­staatlichen Akteuren ausbauen. So­wohl China als auch die Gruppe der 77 (G77) kritisierten derartige Vorstöße des Generalsekretärs als übereilt. Sie verweisen darauf, dass die UN eine zwischenstaatliche Organi­sation seien und daher Mitgliedstaaten das Sagen haben sollten. Gleichzeitig bekunden nicht wenige Entwicklungsländer Interesse an Reformen, allen voran die afrikanischen Staaten. Viele Mitgliedstaaten der G77 drin­gen auf Lösungen bei Entschuldung, Finanz­governance und Entwicklungsfinanzierung. Der Veränderungswille reicht von der lang geforderten Aufwertung der UN in Wirt­schafts- und Finanzfragen über konkrete Maßnahmen für besseren Zugang einkommensschwacher Länder zu dringend be­nötigten Finanzmitteln bis hin zu einer umfangreicheren Reform der internationalen Wirtschafts- und Finanzinstitutionen. Teils überschneidet sich dies mit der G7-Initiative, die Weltbank besser für globale Herausforderungen zu wappnen. Etliche Industrieländer hegen indes große Vor­behalte gegen mehr Kompetenzen der UN bei Wirtschaft und Finanzen.

Die Ausgangssituation für eine groß angelegte UN-Reform ist also alles andere als erfolgversprechend. Zwar wünschen sich viele Mitgliedstaaten Reformen. Aber es besteht wenig Einigkeit darüber, wie diese aussehen sollen.

Hohe Komplexität des Prozesses

Im Frühjahr 2022 fanden in der UN-General­versammlung fünf Konsultationsrunden zu den Reformvorschlägen statt. Viele Mitglied­staaten hatten noch Klärungsbedarf. Nur bei wenigen Themen signalisierte eine Mehr­­heit eindeutige Unterstützung – auch wenn das in der offiziellen Zusammenfassung positiver klingt. Und so konnten bislang nur die Verhandlungen zur Einrichtung eines UN-Jugendbüros (Youth Office) zum Abschluss gebracht werden.

Für das weitere Vorgehen wurde eine Modalitäten-Resolution verabschiedet, die den »Summit of the Future« als Zielpunkt für den Gesamtprozess setzt. Als Termin für den Gipfel wurde der 22./23. September 2024 festgesetzt. Auf Wunsch zahlreicher Entwicklungsländer wurde er um ein Jahr nach hinten verschoben.

Die deutsche UN-Botschafterin Antje Leendertse und Namibias Botschafter Neville Gertze führen nun die weiteren Verhandlungen zur Vorbereitung des Gipfels. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben wird sein, bis September 2023 jene Reformthemen zu identifizieren, die Teil des Zukunftspakts sein sollen. Anfang August 2022 teilte der UN-Generalsekretär mit, welche der soge­nannten Verhandlungs-Tracks er für be­son­ders wichtig hält. Er kündigte an, im ersten Halbjahr 2023 dazu jeweils ein Policy Brief vorzulegen.

Die bisherigen Tracks

Das Thema Meaningful Youth Engagement hat mit dem Beschluss zur Einrichtung des Jugendbüros bereits ein erstes Ergebnis. Hinsichtlich der geplanten Erklärung zu Future Generations gibt es ebenfalls schon einen zwischenstaatlichen Verhandlungsprozess. Zurzeit versuchen sich die Mitgliedstaaten auf erste Eckpunkte zu verständigen. Die Botschafterin der Niederlande und der Botschafter Fidschis haben dafür ein Elements Paper vorgelegt.

Weitere Zukunftsthemen stehen auf der Agenda. Der Track zum Global Digital Compact kann auf vorangehende Konsultationen zurückgreifen. Mit Hilfe der Ko-Fazi­litatoren Ruanda und Schweden und unter der Ägide des neuen Technologiebeauftragten des Generalsekretärs könnten die Bera­tungen nun Fahrt aufnehmen. Geplant ist auch, in Zeiten von Fake News einen Ver­haltenskodex für mehr Inte­grität öffent­licher Informationen zu ver­abschieden. Als weite­res Zukunftsthema sollen globale Regeln für eine friedliche, sichere und nachhaltige Nutzung von Outer Space auf den Weg gebracht werden.

Wie die vom UN-Generalsekretär vorgeschlagene New Agenda for Peace umgesetzt werden soll, scheint derzeit noch offen. Die Expertendebatte konzentriert sich darauf, dass sich klassische und neue Sicherheits­risiken effektiver bearbeiten lassen und Prävention ver­bessert wird, auch unter Ein­bezug regionaler Partner. Das wird von der Afri­kanischen Union begrüßt, die aber die Reform des Sicherheitsrates für mindestens ebenso wichtig hält.

Mit einigen Reformvorhaben befassen sich bislang vor allem Sekretariat und ande­re Einheiten der UN. Es gibt erste Vorarbeiten auf dem Weg hin zu einem neuen Stan­dard für die Wohlstandsmessung (Beyond GDP). Der Generalsekretär führt Gespräche mit den internationalen Finanzinstitu­tionen (Reform IFIs) und plant einen ersten gemein­samen Gipfel (Biennial Summit) zwischen der G20, dem Wirtschafts- und Sozialrat der UN (ECOSOC) und den IFIs. Zudem hat Guterres mit dem Vorgehen beim Getreide-Deal zwischen der Ukraine und Russland verdeutlicht, was er mit seiner Idee einer Notfallplattform anstrebt: keine neue Büro­kratie, sondern wirksames und vernetztes Handeln unter Mitarbeit relevanter Stake­holder. Für weitere Vorschläge in diese Richtung hat er ein hochrangiges Beratergremium berufen (High-level Advisory Board on Effective Multilateralism). Es wird im Früh­jahr 2023 seine Empfehlungen vorlegen, die konkret, ambitioniert und umsetzbar sein sollen.

In New York stehen Deutschland und Namibia vor der Herausforderung, für diese recht disparaten Reformvorhaben eine ehrgeizige und zugleich realistische Vision zu entwickeln. Möglichst viele Stimmen müssen gehört und Mehrheiten aufgebaut werden. Um über die typischen New Yorker Grabenkämpfe hinauszukommen, könnten Gespräche auch mit den Hauptstädten und mit plurilateralen Allianzen wie den G20 gesucht werden.

Narrativ mit den SDGs verbinden

Erste Ergebnisse der Bemühungen sollen am 18. September 2023 in New York bei einem Vorbereitungsgipfel auf Ministerebene präsentiert werden. Diese Zusammen­kunft soll unmittelbar vor dem SDG-Gipfel stattfinden. Sowohl der Generalsekretär als auch viele Mitgliedstaaten wollen, dass beide Treffen inhaltlich eng mitein­ander verflochten werden und sich gegen­seitig befördern.

Der SDG-Gipfel 2023

Beim SDG-Gipfel werden die Staats- und Regierungschefs zusammenkommen, um erstens zu diskutieren, inwieweit die 2030-Agenda und die Ziele nachhaltiger Ent­wicklung bisher umgesetzt wurden (mid-term review). Schon 2022 zeichnete sich ab, dass ohne mehr Nachdruck und Tempo viele Ziele bis 2030 nicht zu er­reichen sein wer­den. Hier voranzukommen ist die zweite Aufgabe des Gipfels. Der für April 2023 erwartete wissenschaftliche Weltnachhaltigkeitsbericht (Global Sustainable Development Report) wird Vorschläge da­für ent­halten.

Der UN-Generalsekretär bezeichnet »Our Common Agenda« als Booster für die SDGs. Beim SDG-Gipfel könnten die Mitglied­staaten festlegen, in welchen Bereichen sie voran­gehen wollen (das Was), während sie beim Zukunftsgipfel die multi­lateralen Kapazitäten dafür stärken sollten (das Wie). Jenseits dessen ist das Verständnis, wie SDGs und UN-Reformen zusammenhängen, noch nicht sehr aus­geprägt. Die Verantwortlichen für beide Gipfel sollten gemeinsam ein überzeugendes Narrativ samt einer »theory of change« entwickeln. Nur dann kann man den Konsens zu den SDGs nutzen, um auch bei UN-Reformen Fort­schritte zu erzielen. Ein Ort dafür kann unter anderem das General­komitee sein. Der Präsident der General­versammlung, Csaba Kőrösi, hat es für sämtliche Mitgliedstaaten geöffnet, um die Prozesse zu allen existierenden Ver­hand­lungsmandaten zu koordinieren.

Zivilgesellschaft einbeziehen

Kőrösi forderte die Ko-Fazilitatoren in seinem Ernennungsbrief auch dazu auf, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und weitere Stakeholder sinnvoll in den Vorbereitungsprozess einzubeziehen. Damit das gelingt, sollte frühzeitig eine Roadmap für das weitere Vorgehen auf dem Tisch liegen, in der dar­gelegt wird, wann welche Themen besprochen werden und wohin das führen soll. Die Diskussionen und Verhandlungen selbst sollten transparent sein und am besten über UN Web TV, dem Streaming-Portal der UN, übertragen werden. Doku­mente und Stellungnahmen sollten auf der UN-Website zugänglich sein.

Teile der Zivilgesellschaft haben die Pro­zesse rund um das 75-jährige Bestehen der UN und »Our Common Agenda« intensiv begleitet. Manche ihrer Vorschläge wurden im Bericht aufgegriffen. Einige Gruppen vertreten weitreichendere Reformideen, etwa eine Überarbeitung der UN-Charta, die Einrichtung einer Parlamentarischen Ver­sammlung der UN oder eines UN-Rates für nichtmilitärische Bedrohungen. Andere Teile der Zivilgesellschaft wiederum äußern heftige Kritik am sogenannten Multistakeholde­rismus des Berichts, denn er höhle den zwischenstaatlichen Multilateralismus aus und verschaffe privatwirtschaftlichen Akteuren zu viel Einfluss.

Alle Verantwortlichen sollten früh in Informationsarbeit investieren, um Befürch­tungen zu entkräften, Enttäuschungen zu vermeiden und eine möglichst brei­te Koali­tion für UN-Reformen aufzubauen.

Chance für eine proaktivere und kohärentere deutsche UN-Politik

Deutschland rückt nun ins New Yorker Rampenlicht. Im 50. Jahr seiner UN-Mit­gliedschaft übernimmt es gemeinsam mit Namibia Verantwortung für einen Reform­prozess, der in New York hohe politische Aufmerksamkeit genießt und die verschie­densten Politikbereiche der Arbeit der UN berührt.

Die deutsche Bundesregierung könnte den Prozess als Testlauf nutzen, um künftig eine proaktivere UN-Politik aus einem Guss zu betreiben. Für Deutschland als zweitgrößtem Beitragszahler, der 2021 rund 6 Milliarden US-Dollar aus verschiedenen Budgetlinien in die UN investierte, wäre es sinnvoll, wenn es ein klares UN-Profil oder gar eine UN-Strategie entwickelte. Eine strategische ressortübergreifende Verständigung für diesen Prozess könnte helfen, hier weiterzukommen. In die inhaltlichen Debatten sollten auch der Haushaltsausschuss des Bundestages und das Finanz­ministerium einbezogen werden, denn in der Vergangenheit haben finanzielle Vor­behalte das deutsche Engagement für UN-Reformen ausgebremst. Es gilt Prioritäten zu setzen, wofür sich Deutschland mit Investitionen stark machen will. Wichtig ist ein glaubwürdiges Eintreten für die 2030-Agenda und die SDGs einschließlich konkreter Verbesserungen im Entwicklungsbereich und in der Entwicklungsfinan­zierung, nicht zuletzt um das ramponierte Vertrauen vieler Entwicklungsländer in die internatio­nale Zusammenarbeit zu stär­ken. Nur dann wird sich in den UN eine Mehrheit für Reformen mobilisieren lassen. Das kann Deutschland nicht allein schaffen, doch es kann eine Vorreiterrolle in der Gruppe der westlichen Staaten spielen. Darüber hinaus könnte ausgelotet werden, ob die »Allianz für den Multilateralismus« neu formiert und für den Prozess genutzt werden könnte.

Dr. Marianne Beisheim ist Wissenschaftlerin in der SWP-Forschungsgruppe Globale Fragen. Dr. Silke Weinlich ist Wissenschaftlerin im Forschungsprogramm inter- und transnationale Zusammenarbeit am German Institute of Development and Sustainability (IDOS).

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2022

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