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Russlands Syrien-Rückzug: »Gewinne sichern, Risiken minimieren«

Nach dem Teilrückzug Russlands aus Syrien spricht Margarete Klein im Interview über die Motive. Was hat das Land in Syrien erreicht, welche Risiken kann es mit dem Rückzug minimieren und welche Perspektiven eröffnen sich für die Friedensverhandlungen?

Kurz gesagt, 17.03.2016 Forschungsgebiete

Nach dem Teilrückzug Russlands aus Syrien spricht Margarete Klein im Interview über die Motive. Was hat das Land in Syrien erreicht, welche Risiken kann es mit dem Rückzug minimieren und welche Perspektiven eröffnen sich für die Friedensverhandlungen?

Russland hat sich weitgehend militärisch aus Syrien zurückgezogen, weil seine Ziele dort erreicht seien. Offiziell ging es Russland um die Bekämpfung des IS. Welche Agenda verfolgte Russland mit seinem Einsatz darüber hinaus?

Margarete Klein: Obwohl IS und andere islamistische Gruppierungen eine reale sicherheitspolitische Gefahr für Russland darstellen, ging es Russland in erster Linie darum, Assad zu stärken, der 2015 zu stürzen drohte. Das Regime Assads ist der wichtigste politische Partner und Brückenkopf für die regionalen Interessen Russlands in der Region: Seit 2000 versucht Moskau, als eine Art Vetomacht in den Nahen Osten zurückzukehren, aus dem es sich nach dem Kalten Krieg weitgehend zurückgezogen hatte.

Braucht Russland die Person Assads selbst, um seine Ziele zu erreichen?

Nein, da gibt es kaum persönliche Bindungen. Sollte es aber zu einem Machtwechsel kommen, legt Moskau Wert auf die Art und Weise, wie er vonstattengeht. Russland möchte nicht, dass das Regime von außen oder von unten, wie die ukrainische Führung um Janukowitsch oder Gaddafi in Libyen, gestürzt wird. Stattdessen soll der Übergang so gestaltet werden, dass Assad ihm offiziell zustimmen kann und dass das syrische Regime von heute in einer neuen Regierung Kernpositionen besetzt, gerade im Sicherheitsbereich. Nur dann kann Russland sicher sein, dass es seine militärische Präsenz und seinen politischen Einfluss in dem Land aufrechterhalten kann.

Welche weiteren Motive verfolgt Putin in Syrien?

Über eine starke Position in Syrien möchte er aus der Isolation durch den Westen ausbrechen, in die Russland nach der Annexion der Krim geraten war. Damit versucht Russland auch über Bande in die Ukraine zu spielen, wo es, wenn es ein unumgänglicher Akteur in Syrien ist, eher auf Zugeständnisse des Westens hoffen kann, so das Kalkül.

Wie erklären Sie sich den Zeitpunkt des Teilrückzugs? Hat Russland seine Ziele erreicht?

Es ist ein guter Zeitpunkt, um die Gewinne, die man erzielt hat, zu sichern, und um die Risiken zu minimieren, die ein weiteres militärisches Engagement mit sich gebracht hätte. Was die Gewinne betrifft, so geht Assad im Vergleich zu seiner Position von vor einem halben Jahr gestärkt in die UN-Friedensverhandlungen. Russland hat zudem seine militärische Präsenz in Syrien ausgebaut und wird sie auch beibehalten. Ein wichtiger Punkt ist außerdem, dass Russland sich als Schutzmacht für seine Partner beweisen konnte. Das gilt nicht nur für den Nahen Osten, sondern auch für den postsowjetischen Raum, wo einige Herrscher, etwa in Belarus oder Kasachstan, recht kritisch gegenüber den neoimperialen Ambitionen Russlands im Zuge der Ukrainekrise waren. Diese Regime haben aber zugleich ein Interesse daran, dass eine Schutzmacht sie vor Regimewechselplänen von unten oder von außen bewahrt. Hier konnte sich Russland als verlässlicher Partner präsentieren.

Zieht Putin auch innenpolitischen Nutzen aus dem Teilrückzug?

Zwei Jahre nach der Krimannexion möchte die russische Führung der eigenen Bevölkerung mit dem Teilrückzug demonstrieren, dass sie nicht von außenpolitischer Abenteuerlust getrieben ist. Es soll das Bild vermittelt werden, dass man klare Ziele verfolgt und den Rückzug antritt, sobald diese erreicht sind.

Welche Risiken würde Russland mit einem weiteren militärischen Engagement in Syrien eingehen?

Da ist zum einen die Gefahr von nicht intendierten militärischen Eskalationen, die Russland dazu zwingen könnten, Bodentruppen einzusetzen. Das wäre innenpolitisch nur schwer durchzusetzen, vor allem, weil die russische Bevölkerung noch die Bilder der russischen Soldaten vor Augen hat, die in Särgen aus Afghanistan und Tschetschenien zurückgekehrt sind. Zum anderen ist Russland in Syrien nun offen Konfliktpartei geworden und läuft damit Gefahr, als Unterstützer Assads zugleich als Verbündeter des schiitischen Irans und der Hisbollah wahrgenommen zu werden. So könnte es Teil des größeren Konflikts zwischen Iran und Saudi-Arabien bzw. zwischen Schiiten und Sunniten werden. Dies würde Russlands Handlungsspielraum im Nahen Osten einschränken. Zugleich hat das auch eine innenpolitische Komponente, denn ein Großteil der russischen Muslime sind Sunniten.

Was bedeutet Russlands Teilrückzug für die Friedensverhandlungen in Genf?

Zunächst einmal geht Assads angesichts der erzielten militärischen Gewinne gestärkt in die Verhandlungen, was in Russlands Interesse ist. Der Kreml ist an einer Verhandlungslösung interessiert, glaubt er doch nicht, dass der Konflikt militärisch gelöst werden kann. Durch den Teilrückzug kann Russland nun Druck auf Assad ausüben, kompromissbereiter zu sein, anstatt auf eine militärische Lösung zu setzen oder die Verhandlungen mit Maximalforderungen zu torpedieren. Auch der Druck auf die Opposition erhöht sich so indirekt. Sollte Assad nun kompromissbereit sein, die Opposition aber nicht, dann wird sie als Blockierer gelten. Wenn die Rechnung aufgeht und die Parteien aufeinander zugehen, kann Russland sich als Friedensfürst präsentieren.

Russland hat also tatsächlich etwas bewegt?

Russland könnte es gelungen sein, das Kräfteverhältnis so auszugleichen, dass keine Seite mehr an einen militärischen Sieg glaubt. Das erhöht die Bereitschaft zu verhandeln. Der Preis dafür war allerdings sehr hoch, denn der russische Militäreinsatz hat viele zivile Opfer gefordert.

Hat Russland denn auch den IS nennenswert bekämpft?

Der IS ist weiter da, ebenso wie andere islamistische Gruppierungen, vielleicht sind sie ein wenig geschwächt. Der IS war auch nie das Hauptziel der russischen Bombardierungen. Die Bekämpfung der islamistischen Kräfte überlässt Russland nach seinem Teilrückzug nun hauptsächlich der von den USA geführten Koalition. Damit schützt es sich selbst vor der Gefahr, sich in womöglich wenig aussichtsreiche Konfliktsituationen zu begeben. Zugleich kann Russland die weitere Existenz von islamistischen Gruppierungen weiterhin als Anlass nehmen, um in Syrien, wenngleich mit geringerem Engagement, militärisch aktiv zu sein und unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung Gegner Assads ins Visier zu nehmen.

Was könnte Russland dazu bewegen, seinen Militäreinsatz in Syrien fortzusetzen?

Das könnte der Fall sein, wenn Assad wieder stärker unter Druck gerät. Etwa weil die Verhandlungen scheitern und es wieder zu einer Offensive von Rebellengruppen kommt. Oder weil externe Akteure wie Saudi-Arabien oder die Türkei die Rebellen wieder stärker unterstützen.

Das Interview führte Candida Splett von der Online-Redaktion.

Der Text ist auch bei EurActiv.de erschienen.