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PKK entwaffnet sich – kein Freifahrtschein für Frieden

Kurz gesagt, 14.07.2025 Forschungsgebiete

Nach Jahrzehnten des bewaffneten Kampfes beginnt die PKK mit der Waffenabgabe. Doch wie stabil ist der Friedensprozess wirklich? Angesichts eines geopolitischen Machtspiels mit ungewissem Ausgang bleibt eine demokratische Lösung der Kurdenfrage in weiter Ferne, meint Yaşar Aydın

Nachdem die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Mai dieses Jahres ihren Kampf gegen den türkischen Staat beendet und sich aufgelöst hat, soll nun ihre Entwaffnung folgen. Am Freitag begannen erste PKK-Milizen im Irak, ihre Waffen symbolisch niederzulegen, indem sie diese im Rahmen einer Zeremonie verbrannten. Zuvor bekräftigte der PKK-Anführer Abdullah Öcalan in einer seltenen Videobotschaft seinen Friedensappell und distanzierte sich ausdrücklich von separatistischen Bestrebungen. Dies ist ein erster Erfolg der seit Herbst 2024 geführten Verhandlungen zwischen Regierungsvertretern und Öcalan zur Beilegung des kurdischen Konflikts. Dieser Konflikt dauert seit nahezu einem halben Jahrhundert an und hat bislang rund 50.000 Menschenleben gekostet. Doch wie steht es um einen nachhaltigen Frieden?

Eine realistische Einschätzung erfordert den Blick auf das komplexe geopolitische Spannungsfeld, in dem sich die Türkei bewegt. Ankara strebt danach, seinen Einfluss in Syrien zu sichern und an der Gestaltung der regionalen Nachkriegsordnung mitzuwirken. Föderale Strukturen in Syrien lehnt die türkische Regierung ab, da sie kurdische Autonomiebestrebungen auf eigenem Staatsgebiet befördern könnten.

Fragile Allianzen und neue Machtverhältnisse

Erdoğans Avancen gegenüber der PKK und den Kurden sind Teil seines geopolitischen Kalküls, um die USA bei deren angekündigtem Rückzug aus Syrien zu unterstützen. Kürzlich kündigte Tom Barrack, US-Botschafter in Ankara und Sondergesandter für Syrien, die Schließung von sieben der acht US-Basen in Syrien an. Zudem hat Washington die Sanktionen gegen Syrien aufgehoben, was eine zentrale türkische Forderung war. Im Gegenzug hat Erdoğan seine Rhetorik gegenüber Israel deutlich entschärft.

An dieser Stelle überschneiden sich die Interessen Ankaras und Öcalans. Gewinnt Israel Einfluss auf die syrischen Kurden, könnte Öcalan an Einfluss verlieren oder gar in die politische Bedeutungslosigkeit abrutschen. Die Allianz zwischen dem türkischen Staat und dem PKK-Chef basiert auf Machtpolitik und könnte zerbrechen, sobald sich die geopolitische Konstellation im Nahen Osten ändert.

Fragil bleibt auch der türkische Einfluss in Syrien: Damaskus nähert sich Israel vorsichtig an und steht den Abraham-Abkommen offen gegenüber. Sollte das Abkommen zwischen Al-Scharaa und Israel zustande kommen, um das türkische Übergewicht in Nordsyrien auszugleichen, könnte die regionale Position Ankaras erheblich geschwächt werden. Dies hätte potenziell weitreichende Konsequenzen – und Chancen – für die syrischen Kurden.

Innenpolitisch nutzt Erdoğan den Verhandlungsprozess zur Machtsicherung. Sein zentrales Ziel: die Zustimmung der prokurdischen DEM-Partei zu einer Verfassungsänderung, die ihm eine Kandidatur für eine dritte Amtszeit ermöglichen würde. Dieses Manöver könnte die Hoffnung auf eine langfristige Befriedung erneut unterminieren. 

Viel Symbolik, wenige konkrete Schritte

Die Entwaffnung der PKK wirkt bislang vor allem symbolisch. Der Prozess erfolgt weder unter internationaler Aufsicht, noch gibt es ein Reintegrationsprogramm oder rechtliche Garantien. Von einer durchdachten Demobilisierungsstrategie kann daher keine Rede sein. Schließen sich die PKK-Ableger in Syrien und im Iran der Waffenniederlegung an? Und was geschieht mit dem Waffenarsenal der PKK? Ebenfalls unklar bleibt, inwieweit sich die Struktur des türkischen Staates verändern könnte. Kritiker warnen vor einer Zersplitterung des Staates entlang ethnischer und religiöser Linien, die zu einer Destabilisierung führen könnte. 

Der Zielkonflikt zwischen den Konfliktparteien zeigt sich auch in ihrer unterschiedlichen Interpretation des Prozesses: Präsident Erdoğan rahmt ihn vor allem sicherheitspolitisch ein und inszeniert ihn als Schritt zu einer »terrorfreien Türkei sowie zu einer historischen Allianz zwischen Türken, Kurden und Arabern. Vertreter der kurdischen Bewegung fordern hingegen eine demokratische Öffnung. Sie verlangen die Beendigung politischer Repressionen sowie die Wiederherstellung rechtsstaatlicher Strukturen.

Für einen dauerhaften Frieden reicht eine rein taktische Entspannung nicht aus. Nötig sind institutionelle Reformen, politische Teilhabe, gesellschaftliche Aufarbeitung – und vor allem demokratische Legitimation. Die Entwicklungen sind auch für Deutschland von Bedeutung und sollten daher mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt werden. Eine offizielle Vermittlerrolle Berlins wird in Ankara zwar auf Ablehnung stoßen. Dennoch könnten deutsche Thinktanks, politische Stiftungen und zivilgesellschaftliche Akteure, im Rahmen informeller Dialogformate der Second-Track-Diplomatie dazu beitragen, die Perspektiven und Erwartungen der Konfliktparteien transparent zu machen und so zur Vertrauensbildung beitragen.

Dr. Yaşar Aydın ist Wissenschaftler am Centrum für angewandte Türkeistudien (CATS) an der SWP.