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PiS in Polen: Fulminanter Wahlsieg mit Makeln

Kurz gesagt, 16.10.2019 Forschungsgebiete

Die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hat die Parlamentswahl in Polen deutlich gewonnen, doch sie hatte mit noch mehr Unterstützung gerechnet. Was bedeutet dieses Wahlergebnis für ihren künftigen Regierungskurs? Eine Einschätzung von Kai-Olaf Lang.

Bei den Parlamentswahlen in Polen ist Jarosław Kaczyńskis Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) stärkste Kraft geworden. Doch uneingeschränkt als Gewinnerin bezeichnen kann sie sich nicht. Wie wird sich dieser Sieg mit Makeln auf das Verhalten der PiS auswirken? Wird die Partei ihr Programm des Umbaus von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft behutsamer angehen als bisher, oder wird sie genau das Gegenteil tun und den »Guten Wandel«, so die selbstgewählte Überschrift über dem Reformwerk der PiS, beschleunigen?

Die PiS konnte einen ansehnlichen Anteil von fast 44 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen – mehr als je eine andere Gruppierung seit 1989. Und weiterhin kann die Partei mit einer absoluten Mehrheit der Sitze im Sejm, der wichtigeren der beiden Parlamentskammern, regieren. Doch obwohl sie im nationalen wie im europäischen Maßstab ein Spitzenergebnis eingefahren hat, ist die Parteiführung nicht gänzlich zufrieden. Im Senat, der anderen Kammer, hat sie ihre Mehrheit knapp eingebüßt. Zwar kann der Senat Gesetzesprojekte nicht blockieren, sehr wohl aber legislative Abläufe verlangsamen. Im Augenblick bemüht sich die Regierungspartei darum, einige der gewählten Senatoren auf ihre Seite zu ziehen, um doch noch eine Mehrheit zu erlangen. Die PiS und ihr Vorsitzender werden auch damit zurechtkommen müssen, dass die beiden kleinen Partnerparteien in der Regierung zugelegt haben und ihr relativer Einfluss steigt. Mehr als ein Schönheitsfehler ist außerdem, dass die drei gemäßigten Oppositionsgruppierungen, Liberalkonservative, Linke und Bauernpartei (PSL), zusammen mehr Stimmen sammeln konnten als die PiS. Diese Unzulänglichkeiten bilden keine ernste Verkomplizierung, sie machen das Regieren aber etwas beschwerlicher als bislang.

Was ist also zu erwarten? Auf den ersten Blick hat die PiS ein Mandat für die Aufrechterhaltung ihrer Reformen, nicht jedoch für deren Intensivierung erhalten. Ob die PiS aber in ihrer Einschätzung des Wahlresultats zu einem ähnlichen Schluss kommt, ist fraglich. Vermutlich wird sie zu Beginn der neuen Legislaturperiode umsichtig agieren. Vor den anstehenden Präsidentschaftswahlen im Frühjahr möchte die Partei nicht als übermäßig aggressiv erscheinen und nicht zuletzt den offenen Konflikt mit der EU bzw. Deutschland vermeiden – wie bereits in den letzten Monaten. Doch diese taktische Zurückhaltung wird keine Periode der Demut einläuten. Und dies gleich aus mehreren Gründen.

PiS erhält Legitimität durch Bestätigung

Zum einen wird die PiS argumentieren, dass sie – anders als vor vier Jahren, als es noch Unklarheiten über den Kurs der Partei gab – vom aktiven Wahlvolk in Kenntnis auch strittiger Maßnahmen, wie etwa der Justizreform, bei hoher Wahlbeteiligung zum Regieren bevollmächtigt wurde.

Überdies muss die PiS auf die neue Konkurrenzsituation reagieren. Die radikale Rechte, die jetzt im Sejm vertreten ist, bildet die eine Herausforderung. Die andere zeigt sich im ländlichen Raum: Dort hat die PiS über 60 Prozent der Stimmen geholt, doch die Bauernpartei PSL ist nicht eingegangen, sondern hat sich als unbequemer Rivale gefestigt und in kleineren und mittleren Städten sogar Stimmenzuwächse erzielen können. Sowohl für das patriotische als auch für das ländlich-soziale Elektorat braucht die PiS daher vorzeigbare Erfolge oder zumindest eine wahrnehmbare Symbolpolitik. Unnachgiebigkeit in der EU dürfte zu ihrem entsprechenden Programm gehören.

Vor allem aber könnte die PiS-Führung gerade wegen des nicht idealen Wahlausgangs nach einer taktischen Atempause einen neuen Reformeifer an den Tag legen. Jarosław Kaczyński und die Seinigen möchten Polens Erneuerung, Aufwertung und Modernisierung weiter vorantreiben. Die Antwort auf die hinter den Erwartungen zurückgebliebene Unterstützung darf aus Sicht der PiS daher nicht Zweifel und Zaghaftigkeit, sondern muss Festigkeit und Entschlossenheit sein. In diesem Sinne lassen sich die Äußerungen des PiS-Parteichefs wie auch des Ministerpräsidenten Morawiecki interpretieren. Polen, so Jarosław Kaczyński, müsse sich weiterhin verändern, und zwar zum Besseren. Für das Regierungslager impliziere dies »noch mehr Arbeit« (Morawiecki).

Konkret ist also davon auszugehen, dass die PiS ihren Weg unverdrossen fortsetzen wird. Eine Zusammenschau ihrer Ziele lieferte zuletzt das 229 Seiten lange Programm, das im Wahlkampf veröffentlicht wurde. Wichtiger sind aber die von der Parteiführung vorgenommenen Priorisierungen, wie sie sich vor allem aus Aussagen von Kaczyński  und Morawiecki schließen lassen: der Aufbau eines polnischen Wohlfahrtsstaates, die Fortsetzung der Justizreform, eine patriotische Geschichtspolitik und die Kräftigung traditioneller Werte, aber auch die Umgestaltung des Energiesektors und der Ausbau von Infrastrukturen. Nicht ausgeschlossen ist zudem, dass die PiS eine »Repolonisierung« im Mediensektor in Angriff nehmen wird.

Mehr Gegenwind auf dem Reformkurs

Fest steht, dass die Rahmenbedingungen für die Reformpolitik der PiS anspruchsvoller werden. In den letzten vier Jahren hatte es die Partei vor allem mit einer schwachen Opposition und einer oft überraschten und reaktiven EU zu tun. Nun muss sie sich mit vielgliedrigen und vitalen Gegenspielern und mit einer EU auseinandersetzen, die in der Rechtsstaatspolitik nach effektiven Instrumenten sucht. Sollte Jarosław Kaczyński die Justizreform weiter vorantreiben und etwa auch die ordentlichen Gerichte mit kontroversen Innovationen ummodeln, steht eine neue Auseinandersetzung mit der Europäischen Kommission ins Haus. Die kurze Idylle nach der Wahl der neuen Kommissionspräsidentin (auch) durch die Stimmen der PiS-Abgeordneten im Europäischen Parlament wird daher wohl bald einem neuen Realismus weichen. Dazu kommen Differenzen mit anderen Mitgliedstaaten über die mögliche Sanktionierung von EU-Geldern bei rechtsstaatlicher Schieflage oder Meinungsverschiedenheiten über die konkrete Ausgestaltung des neuen Mechanismus zum Monitoring von Mitgliedstaaten hinsichtlich ihrer Rechtsstaatlichkeit. Neben einer gefestigten Opposition und einer wachsamen EU muss sich die PiS in der neuen Legislaturperiode womöglich auch mit ungünstigeren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auseinandersetzen. Sollte Polen infolge eines Abschwungs in Europa in Mitleidenschaft gezogen werden, wird sich der Spielraum für die Sozialpolitik der PiS verengen.

Polens Partner und insbesondere Deutschland müssen sich auf eine PiS-Regierung einstellen, die selbstsicher und zugleich reizbar, zielstrebig und zugleich unstet agieren wird. In der Politik gegenüber Polen ist daher mehr als bislang Beharrungsvermögen und Irritationstoleranz gefragt.