Das iranische Atomprogramm ist wieder Gegenstand internationaler Verhandlungen. Sowohl die E3 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien) als auch die USA haben Gespräche mit Teheran aufgenommen, die zu einer neuen politischen Verständigung führen sollen. Eine solche ist dringlich, denn die Islamische Republik hat ihr Atomprogramm rasant ausgebaut und verfügt über zahlreiche Voraussetzungen, um eigene Kernwaffen produzieren zu können. Zugleich hat sich der Atomdiskurs in Iran deutlich verschoben. Die Option, Nuklearwaffen herzustellen, wird seit 2024 offen diskutiert. Die EU sieht es als entscheidende Sicherheitspriorität an, Teheran von diesem Schritt abzuhalten. Dabei stehen Deutschland und seine Partner unter Zeitdruck. Im Oktober 2025 läuft die Resolution der Vereinten Nationen (VN) aus, durch die das internationale Atomabkommen von 2015 völkerrechtlich verbindlich wurde. Irans Nuklearprogramm wäre dann formal nicht länger den Beschränkungen und Kontrollmaßnahmen unterworfen, die das Abkommen ursprünglich vorsah. Der Atomkonflikt könnte sich gefährlich zuspitzen. Europäische Politik sollte sich darum bemühen, eine militärische Eskalation zu verhindern. Zugleich muss sie bereit sein, im Ernstfall von ihrem schärfsten Instrument gegenüber Iran Gebrauch zu machen, dem »Snapback«.
Deutschland, Frankreich und Großbritannien (E3) haben Gespräche mit der Islamischen Republik über das iranische Atomprogramm wiederaufgenommen. Zwischen November 2024 und März 2025 fanden vier Runden statt, in denen unter anderem auf Ebene der politischen Direktoren über Irans Nuklearaktivitäten beraten wurde. Im April 2025 ist auch Washington erstmals wieder in Gespräche mit Teheran über das Atomprogramm eingetreten. Die beiden Staaten, die seit über 45 Jahren keine diplomatischen Beziehungen mehr unterhalten, sind bislang vier Mal zu einem indirekten Austausch unter Vermittlung Omans zusammengekommen, sowohl in dessen Hauptstadt Maskat als auch in Rom. Verhandlungsführer sind der US-Sondergesandte für den Nahen Osten Steve Witkoff und der iranische Außenminister Abbas Araghchi. Noch in Donald Trumps erster Amtszeit hatten sich die USA 2018 von ihren Verpflichtungen aus der internationalen Atomvereinbarung von 2015 zurückgezogen, dem sogenannten Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA). Dieser war Ergebnis einer Einigung zwischen Iran und den E3/EU+3 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die EU sowie Russland, China und die Vereinigten Staaten). Die Trump-I-Administration lehnte das Abkommen jedoch als unzureichend ab, unter anderem weil weder Irans Regionalpolitik noch das ballistische Raketenprogramm Gegenstand der Vereinbarung waren. Infolge des US-amerikanischen Rückzugs baute Iran sein Nuklearprogramm rapide aus und gilt heute als nuklearer Schwellenstaat, der viele der technischen Voraussetzungen erfüllt, um Atombomben herstellen zu können.
Die potentiellen Folgen einer atomaren Bewaffnung Irans wären verheerend: ein nukleares Wettrüsten am Persischen Golf, ein atomarer Schutzschirm für Irans nichtstaatliche Verbündete wie Hisbollah oder Hamas und eine erhebliche sicherheitspolitische Bedrohung für den israelischen Staat. Iranische Atomwaffen wären zudem ein massiver Rückschlag für das nukleare Nichtverbreitungsregime (Non-Proliferation Treaty, NPT), das schon jetzt unter starkem Druck steht, unter anderem angesichts aktueller Erwägungen in Südkorea, nuklear aufzurüsten. Aufgrund der schwerwiegenden Folgen sieht die EU es als »entscheidende Sicherheitspriorität« an zu gewährleisten, dass Iran keine Nuklearwaffen produziert.
Irans rasante nukleare Fortschritte und Kapazitäten
Die Islamische Republik hat ihr Atomprogramm in den letzten sechs Jahren beträchtlich ausgeweitet. Dabei hat sie sich offen über die Bestimmungen des JCPOA hinweggesetzt. Im Mai 2019 kündigte Teheran an, die technischen Beschränkungen des Abkommens schrittweise auszusetzen. Gerechtfertigt wurde das Vorgehen mit dem Rückzug der USA ein Jahr zuvor. Seither hat Iran zwei wesentliche Säulen des JCPOA unterlaufen, nämlich die technische Beschränkung und die internationale Kontrolle des Atomprogramms.
Die Islamische Republik reichert Uran auf bis zu 60% an, nutzt dafür mehrere Anlagen, setzt fortschrittliche Zentrifugentypen ein und experimentiert unter anderem mit Uranmetall – allesamt Verstöße gegen das Atomabkommen. Nach Schätzungen der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) verfügte Teheran im Februar 2025 über einen Bestand von 7.464 kg an angereichertem Uran in Form von Uranhexafluorid (UF6), fast fünfundzwanzig Mal so viel wie die laut JCPOA zulässige Gesamtmenge. 274,8 kg des Uranbestandes wurden auf 60% angereichert. Iran ist der einzige Nichtatomwaffenstaat, der Nuklearmaterial in diesem Ausmaß produziert. Im JCPOA werden Iran zwar eigene Anreicherungsaktivitäten zugestanden. Diese dürfen jedoch nicht den Grad von 3,67% übersteigen. Dass Teheran nunmehr regelmäßig Uran auf 20% und sogar 60% anreichert, gibt Anlass zur Sorge. Denn die Überschreitung dieser Grenze erlaubt einen vergleichsweise schnellen Sprung auf den Anreicherungsgrad von über 90%, der für den Bau von Atomwaffen benötigt wird.
Durch die rasante technische Ausweitung des Atomprogramms ist Iran heute in der Lage, binnen weniger Tage genügend angereichertes Material für den Bau einer Atombombe zu produzieren. Innerhalb von zwei Wochen könnte Teheran sogar ausreichend Spaltmaterial für ungefähr fünf bis sechs Atombomben herstellen. Damit ist ein wesentliches Element des JCPOA obsolet geworden, die sogenannte Ausbruchszeit (breakout time). Diese umfasst den Zeitraum, den ein Staat benötigt, um genug Spaltmaterial für den Bau einer Nuklearwaffe zu erzeugen. Durch die im JCPOA festgeschriebenen technischen Beschränkungen, die Iran nach 2015 zunächst umsetzte, lag die Ausbruchszeit bei mindestens einem Jahr. Mit der drastischen Reduzierung dieses Zeitraums auf wenige Tage steigt die Gefahr, dass Iran unentdeckt waffenfähiges Material produzieren könnte. Für die Herstellung von Atombomben wären allerdings noch weitere Schritte notwendig: Teheran müsste das hoch angereicherte Spaltmaterial von Gas in Metallform überführen, ein passendes Waffendesign entwickeln, die Bombe an einsatzfähigen Trägersystemen befestigen und gegebenenfalls eigene Tests der Sprengkörper durchführen. Dieser Prozess könnte nach Schätzungen von Proliferationsexperten ein bis zwei Jahre benötigen.
Neben den technischen Beschränkungen hat die Islamische Republik auch die weitreichenden Kontroll- und Verifikationsmöglichkeiten ausgesetzt, die das Atomabkommen vorsieht. Dabei hat Iran auch die Zusammenarbeit mit der IAEO erheblich reduziert. Im Februar 2021 suspendierte Teheran das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag, das der IAEO unter anderem kurzfristigen Zugang zu Nuklearanlagen ermöglicht. Die Lage wurde zusätzlich verschärft, als Iran im Juni 2022 beschloss, in einigen Anlagen Überwachungskameras zu entfernen, die im Zusammenhang mit dem JCPOA installiert worden waren. Darüber hinaus entzog Teheran im September 2023 mehreren Inspekteuren der IAEO die Zugangserlaubnis, was die Möglichkeiten zur Überprüfung von Anreicherungsanlagen noch weiter einschränkte.
Allerdings hat Iran nicht nur die Bestimmungen im JCPOA untergraben, sondern kommt auch seinen weiteren Verpflichtungen als Mitglied des Atomwaffensperrvertrags nicht mehr ausreichend nach. Dies betrifft unter anderem Irans Sicherungsübereinkommen (safeguard agreement). Gemäß dem Modifizierten Code 3.1 der Safeguardvereinbarung ist Teheran unter anderem verpflichtet, die IAEO über neue Anlagen in Kenntnis zu setzen, sobald deren Bau geplant oder autorisiert wird. Mit der Aussetzung des Zusatzprotokolls hat Iran jedoch auch den Modifizierten Code 3.1 einseitig gestoppt und Anlagen nicht vorab deklariert, darunter einen neuen 10-MW-Forschungsreaktor in Isfahan.
Gegen seine Safeguardbestimmungen verstößt Teheran aber auch an anderer Stelle. 2019 und 2020 fand die IAEO an drei nichtdeklarierten Standorten im Land Uranpartikel: in Turquzabad (2019), Varamin (2020) und Marivan (2020). Ursprung und Verbleib dieser Partikel sind bis heute nicht hinreichend geklärt. Im Falle von Turquzabad und Varamin liegen aus Sicht der IAEO noch immer keine »technisch glaubhaften Erklärungen« für die Präsenz anthropogener Uranpartikel vor. Dabei hatte Iran im März 2023 in einer »Gemeinsamen Erklärung« mit der IAEO weitere Informationen und Zugänge zur Beilegung der offenen Fragen zugesichert. Durch die vielfältigen Einschränkungen ist die Internationale Atomenergieorganisation nicht mehr in der Lage, die friedliche Nutzung von Kernenergie in Iran zuverlässig zu verifizieren.
Iranische Diskursverschiebungen und das Ende der »nuklearen Fatwa«
Die Islamische Republik beteuert, das Atomprogramm für zivile Zwecke zu benötigen, beispielsweise in Industrie und Landwirtschaft, für die Produktion medizinischer Isotope oder die Herstellung von Brennstoffen für das Atomkraftwerk in Buschehr. Als Nachweis für den friedlichen Charakter des Atomprogramms haben sich iranische Offizielle mehr als zwei Jahrzehnte auf ein islamisches Rechtsgutachten (Fatwa) berufen, mit dem »Revolutionsführer« Ali Khamenei Nuklearwaffen aus religiösen Gründen für unzulässig erklärt haben soll. Die »nukleare Fatwa« basiert auf der Vorstellung, dass Massenvernichtungswaffen mit islamischen Glaubenssätzen unvereinbar seien, da Erstere unweigerlich zum Tod von am Konflikt unbeteiligten Personen führen würden.
Doch schon früh gab es unter iranischen Klerikern auch andere theologische Auslegungen. In seinem 2005 erschienenen Buch »Die Islamische Revolution« vertrat der einflussreiche Ayatollah Muhammad Taqi Mesbah-Yazdi die Auffassung, dass gemäß dem Koran »alle Waffen« legitim seien, solange sie zu Verteidigungszwecken eingesetzt würden. Mesbah-Yazdi sprach sich dafür aus, dass Iran die »modernsten Waffen« als Mittel der Abschreckung herstellen sollte. Dass er dabei nicht offen und ausdrücklich vom Bau von Atomwaffen sprach, ist der nuklearen Fatwa geschuldet.
Verweise auf eine Fatwa lassen sich auf das Jahr 2003 zurückführen, als Teheran erstmals in Verhandlungen mit den E3 über das international umstrittene Atomprogramm trat. Mit dem Topos der religiös begründeten Unvereinbarkeit versuchte die iranische Führung den Vorwurf zu entkräften, sie arbeite an einem verdeckten militärischen Programm, und den eigenen Verhandlungsführern größere Glaubwürdigkeit zu verleihen. Nach außen sollte die Fatwa als Zusicherung dienen, dass Iran schon aus religiösen Gründen keine Nuklearwaffen produzieren könne. Nach innen wurde mit ihr jede öffentliche Diskussion über die politischen Kosten und Gefahren eines kernwaffentechnologischen Programms unterbunden. Mit der Fatwa sandte Khamenei eine klare Botschaft an die iranischen Eliten, dass das Thema nicht offen diskutiert werden sollte. Dadurch sollte jeglicher Anschein einer internen Debatte selbst über die theoretische Option derartiger Waffen vermieden werden.
Doch obwohl Khamenei nach 2003 wiederholt erklärte, dass Atomwaffen gegen schiitische Glaubenssätze verstoßen, legte er kein formales Rechtsgutachten vor und säte damit vor allem außerhalb Irans Zweifel an der Existenz einer solchen Fatwa. Erst 2010 wurde eine schriftliche Erklärung als Nachweis publiziert. In einer Botschaft an die Internationale Konferenz über nukleare Abrüstung erklärte Khamenei, der Einsatz von Massenvernichtungswaffen einschließlich Atombomben sei aus religiösen Gründen unzulässig. Ob sein Statement als Fatwa gewertet werden kann, ist aufgrund der für Rechtsgutachten unkonventionellen Form nach wie vor umstritten, aber nachrangig. Denn die Idee einer Fatwa bildet spätestens seit 2005 einen zentralen Referenzpunkt im iranischen Nukleardiskurs. Ungeachtet dessen, ob sie lediglich ein Feigenblatt und außenpolitisches Manöver des Revolutionsführers darstellen könnte, bestanden zumindest an ihrer Existenz kaum Zweifel. Strittig war dagegen, ob die postulierte religiös begründete Unzulässigkeit für alle Umstände gilt. Während Khamenei in seinen Äußerungen oft vage blieb, gingen andere Geistliche in ihren Rechtsgutachten deutlich weiter. In einer Antwort auf die Anfrage seines Schülers Mohsen Kadivar erklärte der prominente Großayatollah Hossein Ali Montazeri 2009, dass auch die Herstellung und Lagerung von Atomwaffen und sogar jegliche Investition in nukleare Technologien untersagt werden müssten.
Aber auch eine präzise ausgearbeitete Fatwa wäre veränderbar. Islamische Rechtsgutachten stellen kein unumstößliches Gebot dar; sie können an neue Umstände angepasst und demnach revidiert werden. Eine solche Revision steht in Iran seit April 2024 zur Debatte. Die Diskursverschiebung ist Resultat eines militärischen Schlagabtauschs zwischen Iran und Israel, der sich zwischen April und Oktober 2024 erstmals in gegenseitigen Drohnen- und Raketenangriffen manifestierte. Zugleich büßten enge nichtstaatliche Verbündete Irans wie Hisbollah und Hamas im Zuge des Gaza-Krieges deutlich an militärischer Schlagkraft ein. Diese waren im Kontext der selbsterklärten »Achse des Widerstands« über Jahrzehnte ein zentrales Element der iranischen Sicherheitsarchitektur. Vor diesem Hintergrund ist die Gefahr gestiegen, dass Iran versuchen könnte, seine sicherheitspolitischen Verluste durch atomare Aufrüstung zu kompensieren.
Akteure wie Khameneis außenpolitischer Berater Kamal Kharrazi sprechen offen davon, dass Iran im Falle einer ernsthaften Bedrohung »gezwungen wäre«, einen Kurswechsel in seiner Atompolitik vorzunehmen. Mit Ahmad Haghtalab warnte auch ein hochrangiges Mitglied der paramilitärischen Revolutionsgarden, dass Iran seine Nukleardoktrin ändern könne. Ein Wandel der Doktrin hat in Teilen jedoch längst stattgefunden. Während die Fatwa ursprünglich dazu dienen sollte, Iran mehr Glaubwürdigkeit in internationalen Verhandlungen zu verleihen, wird sie heute dazu genutzt, mit nuklearer Bewaffnung zu drohen. Dies kommt faktisch dem Ende der Fatwa gleich, da Teheran nicht länger behaupten kann, derartige Waffen als prinzipiell unzulässig anzusehen. Durch die Umwidmung der Fatwa von einem Mittel der Zusicherung zu einem der Abschreckung ist das Atomprogramm erstmals zu einem Baustein der iranischen Sicherheitsarchitektur geworden.
Militärschläge als Handlungsoption
Angesichts des rapide fortschreitenden Atomprogramms stehen immer wieder auch Militärschläge gegen die iranische Atominfrastruktur zur Debatte. Nachdem Trump im März Revolutionsführer Khamenei in einem durch die Vereinigten Arabischen Emirate übermittelten Brief zu Gesprächen über einen neuen Nukleardeal aufgefordert hatte, drohte er Teheran mit Bombenangriffen, sollte sich die iranische Führung nicht auf eine Vereinbarung mit den USA einlassen. Die israelische Regierung unter Premierminister Benjamin Netanyahu befürwortet gezielte Angriffe auf nukleare Infrastruktur in der Islamischen Republik. Als die iranische Luftabwehr durch israelische Vergeltungsschläge im Oktober 2024 nahezu vollständig außer Gefecht gesetzt wurde, sprach Verteidigungsminister Israel Katz von einer passenden Gelegenheit für Militärschläge. Auch europäische Akteure haben die Möglichkeit öffentlich kommentiert. Der französische Außenminister Jean-Noël Barrot befürchtete unlängst, dass ohne einen Deal eine militärische Konfrontation mit Iran »fast unausweichlich« sein würde.
Für Militärschläge gegen Atomanlagen gibt es in der Region bereits Präzedenzfälle. Die israelische Luftwaffe zerstörte 1981 den Osirak-Kernreaktor im Irak und 2007 den Al-Kibar-Reaktor im syrischen Deir ez-Zor. In beiden Fällen handelte es sich um einzelne, leicht zu erreichende Ziele, die nahezu ungeschützt waren. Dagegen zeichnet sich das iranische Atomprogramm durch eine Vielzahl an Anlagen und eine dezentrale Infrastruktur aus, die zum Teil selbst mit bunkerbrechenden Raketen schwer zu treffen sind. Das Programm setzt sich aus Forschungseinrichtungen, einem funktionsfähigen Kernkraftwerk, Produktionsstätten für Zentrifugen sowie einer Reihe von Anreicherungs- und Wiederaufbereitungsanlagen zusammen. Die meisten dieser Anlagen erstrecken sich über das Zentrum des Landes, von Karaj nahe dem Kaspischen Meer im Norden bis nach Buschehr am Persischen Golf im Süden. Die wesentlichen Urananreicherungsstätten in Natanz und Fordow befinden sich untertage. Die Anlage in Fordow liegt 80 bis 90 m tief im Gebirge. Darüber hinaus hat die Islamische Republik aufgrund früherer Sabotagen und Cyberattacken auf ihr Atomprogramm zusätzliche Maßnahmen ergriffen, um die eigene Nuklearinfrastruktur besser zu schützen. Beispielhaft hierfür ist die Anreicherungsanlage in Natanz. Diese wurde 2020 und 2021 Ziel mehrerer Sabotageakte, die unter anderem zu einem vollständigen Blackout führten. Daraufhin begann Teheran den Bau eines neuen, noch tiefer sitzenden Untergrundkomplexes (schätzungsweise 80 bis 100 m tief) im Gebirge.
Vereinzelte Angriffe wären daher unzureichend, um das Programm substantiell zurückzuwerfen. Es würde einer größeren Operation mit zahlreichen Angriffswellen bedürfen. Dies wurde auch deutlich, als kürzlich Pläne bekannt wurden, nach denen Israel für Mai 2025 eine breit angelegte, einwöchige Militärkampagne mit Angriffen auf Irans Nuklearanlagen geplant haben soll. Die Angriffe hätten Unterstützung durch die USA erfordert. Washington aber soll dem Vorhaben zugunsten von Verhandlungen vorerst eine Absage erteilt haben.
Doch auch gemeinschaftliche US-israelische Angriffe könnten das iranische Programm bestenfalls verzögern. Durch die Ausweitung des Atomprogramms hat Teheran sich bereits umfangreiches technisches Wissen angeeignet, das irreversibel ist. Jegliche zerstörte Infrastruktur könnte wiederaufgebaut werden. Im Falle von Militärschlägen könnte die Islamische Republik sich auch entschließen, aus dem Atomwaffensperrvertrag auszusteigen und jede noch verbliebene Kooperation mit der IAEO einzustellen. Zugleich könnte sie auf regionale Eskalation setzen und erneut Drohnen- und Raketenangriffe gegen Israel ausführen, sowohl über Verbündete als auch direkt. Dabei könnte Iran weitere regionale Akteure wie die Golfstaaten ins Visier nehmen. Teheran hat seine Nachbarn am Persischen Golf unlängst gewarnt, ihren Luftraum für israelische oder US-amerikanische Angriffe auf Nuklearanlagen zur Verfügung zu stellen. Und nicht zuletzt wäre bei der Abwägung von Militärschlägen zu berücksichtigen, dass dadurch die Gefahr steigen dürfte, die Debatte in Teheran über neue Abschreckungsmöglichkeiten zugunsten von Nuklearwaffen maßgeblich zu befeuern.
Das schärfste europäische Instrument: Der »Snapback«
Neben militärischen Optionen stehen der internationalen Staatengemeinschaft unterschiedliche diplomatische Mittel zur Verfügung, um das Atomprogramm einzudämmen, darunter neue Verhandlungen und Sanktionierungsmaßnahmen. Die E3 haben dabei ein einzigartiges Instrument in der Hand, mit dem sie Irans Nuklearaktivitäten sanktionieren und in Atomverhandlungen Druck auf Teheran ausüben können. Mit Hilfe des sogenannten Snapback-Mechanismus können Deutschland, Frankreich und Großbritannien den Konflikt über das iranische Nuklearprogramm vor den VN-Sicherheitsrat bringen. Der Snapback ist das schärfste Instrument, um Verstöße gegen Rüstungskontrollabkommen zu ahnden. Im JCPOA ist er als Endpunkt eines mehrschrittigen Streitschlichtungsverfahrens (dispute resolution mechanism) vorgesehen: Jedes Mitglied des JCPOA kann Probleme bei der Umsetzung der Übereinkunft melden, ist jedoch verpflichtet, zunächst eine politische Klärung zu versuchen. Gelingt es den Beteiligten nicht, die Meinungsverschiedenheit binnen 15 Tagen beizulegen, können die Außenminister der Mitgliedsparteien veranlasst werden, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Sollte nach weiteren 15 Tagen keine Einigung erreicht sein, werden maximal fünf weitere Tage für eine abschließende Empfehlung anberaumt. Danach kann der Fall bei schwerwiegenden Verstößen (significant non-performance) vor den VN-Sicherheitsrat gebracht werden. Beschließt dieser nicht spätestens nach 30 Tagen, dass die durch den JCPOA ausgesetzten VN-Sanktionen weiterhin aufgehoben bleiben sollen, treten alle zwischen 2006 und 2010 beschlossenen Sicherheitsratsresolutionen und die darin enthaltenen Strafmaßnahmen automatisch wieder in Kraft. Die Wiedereinführung der VN-Sanktionen bildet den eigentlichen Snapback und ginge für Iran unter anderem mit einem umfassenden Waffenembargo und dem Verbot jeglicher Urananreicherungs- und Wiederaufbereitungsaktivitäten einher.
Für den Snapback bedarf es keiner eigenen Resolution. Das Verfahren ist so angelegt, dass Staaten wie Russland oder China die Wiederverhängung von Sanktionen gegen Iran nicht mit ihrem Veto verhindern können. Da die USA seit ihrem Rückzug nicht länger Mitglied des JCPOA sind und daher den Mechanismus nicht mehr selbst auslösen können, obliegt es allein den E3, diesen Schritt zu vollziehen. Dabei stehen die Europäer unter Zeitdruck. Am 18. Oktober 2025 läuft die VN-Resolution 2231 aus, durch die das Atomabkommen völkerrechtlich verbindlich gemacht wurde. An diesem »Termination Day« enden alle Verfahren zur Umsetzung des JCPOA, und das iranische Atomprogramm wäre rechtlich dem anderer NPT-Staaten gleichgestellt – und das, obwohl Teheran die Vereinbarung bereits seit 2019 nicht mehr vollständig umsetzt. Vor allem aber erlischt mit dem Auslaufen der Resolution die Möglichkeit, auf den Snapback zurückzugreifen. Dadurch könnte es deutlich schwieriger werden, in Zukunft neue Sanktionen gegen das iranische Nuklearprogramm im VN-Rahmen durchzusetzen. Denn Moskau und Peking könnten jede neue Resolution im Gegensatz zum Snapback mit einem Veto blockieren.
Angesichts der langen Vorlaufzeit im Zuge des Streitschlichtungsverfahrens (regulär insgesamt 65 Tage) müssten die E3 theoretisch schon Mitte August 2025 den Prozess beginnen, um den Snapback rechtzeitig vor Ablauf der VN-Resolution 2231 am 18. Oktober auslösen zu können. Da sie aber 2020 schon einmal das Schlichtungsverfahren eingeleitet haben, wäre die Grundlage dafür gegeben, den Fall auch nahezu direkt in den Sicherheitsrat einzubringen. Dadurch würde sich die Vorlaufzeit halbieren. Wenn die E3 jedoch ein kurzfristig eingeleitetes Verfahren vermeiden wollen, werden sie im Spätsommer 2025 reagieren müssen.
Teheran hat angekündigt, im Falle eines Snapbacks aus dem Atomwaffensperrvertrag auszutreten. Seit 2003 erklingen in Iran immer wieder Rufe nach einem NPT-Austritt. Ein solcher Schritt wäre für Teheran aber mit Risiken verbunden. Nach Einschätzung US-amerikanischer Geheimdienste gibt es noch keine Hinweise darauf, dass Teheran derzeit versucht, Nuklearwaffen zu produzieren. Doch ein Ausstieg aus dem NPT, mit dem sich Staaten verpflichten, keine Atombomben zu bauen, könnte international als klares Signal aufgefasst werden, dass Iran aktiv nach solchen Waffen strebt. Die Relativierung der nuklearen Fatwa verstärkt schon jetzt die Wahrnehmung, dass Iran ein verdecktes Programm verfolgt. Damit würden Spekulationen über eine nukleare Bewaffnung weiteren Aufwind erhalten. Israelische Militärschläge gegen iranische Atomanlagen wären die wahrscheinliche Folge.
Folgerungen für europäische Politik
Die E3 haben bekundet, Iran mit allen diplomatischen Instrumenten davon abhalten zu wollen, Atomwaffen herzustellen. Das schließt die Möglichkeit eines Snapbacks ein. Deutschland und seine europäischen Partner sollten diesen Worten Taten folgen lassen und den Fall in den Sicherheitsrat tragen, wenn bis August 2025 keine substantiellen Ergebnisse in den Atomgesprächen mit Iran vorliegen. Handlungsoptionen wie der Snapback oder Militärschläge sollten jedoch erst dann zum Einsatz kommen, wenn zuvor alle anderen diplomatischen Mittel ausgeschöpft wurden. Oberste Priorität sollte sein, eine Eskalation im Herbst zu vermeiden, die in eine militärische Konfrontation oder einen Austritt Irans aus dem NPT münden könnte. Chancen dafür, dies zu verhindern, bieten die laufenden Gespräche der Europäer und der USA. Dabei reicht eine Rückkehr zu den Verpflichtungen, die einst im JCPOA festgelegt wurden, aufgrund der Fortschritte im iranischen Atomprogramm nicht länger aus. Während im Abkommen von 2015 die Ausbruchszeit im Zentrum stand, müsste eine neue Vereinbarung den Prozess der nuklearen Bewaffnung (weaponization) in den Vordergrund rücken. Dazu sind Kontrollmaßnahmen nötig, die über die Bestimmungen des JCPOA weit hinausgehen. Um Transparenz zu schaffen, müsste Iran aber zunächst das Zusatzprotokoll wieder umsetzen und seinen Safeguardbestimmungen konsequent nachkommen. Teheran müsste überdies abmontierte Kameras neu installieren und zusätzlichen Inspekteuren der IAEO wieder die Möglichkeit des täglichen Zutritts zu Nuklearanlagen gewähren. Vor allem aber müsste Teheran die Anreicherung von Uran auf 60% und das Experimentieren mit fortschrittlichen Zentrifugentypen einstellen.
Dabei wird es kaum möglich sein, Teheran zum vollständigen Abbau der nuklearen Infrastruktur (»libysches Modell«) und zum Verzicht auf eigene Anreicherungsaktivitäten zu bewegen. Die Diskursverschiebung mit Blick auf die Fatwa zeigt deutlich, dass das Atomprogramm nunmehr als Bestandteil der iranischen Sicherheitsarchitektur verstanden wird. Vor diesem Hintergrund wird Teheran alle Zugeständnisse im Nuklearbereich nach den Kosten für die eigenen Abschreckungsfähigkeiten bemessen und versuchen, seinen Status als nuklearer Schwellenstaat zu wahren. Im Gegenzug für weitreichende Beschränkungen des Atomprogramms dürfte Iran zudem vor allem Sanktionserleichterungen im Öl- und Gassektor sowie Zugriff auf eingefrorene Konten im Ausland haben wollen und Zusicherungen einfordern, dass Washington sich von einer neuen Vereinbarung nicht erneut problemlos zurückziehen kann.
Eine Einigung zu erzielen dürfte daher keineswegs einfach sein, vor allem da Trump in seinem Brief an Khamenei zunächst nur einen Zeitraum von zwei Monaten für einen Durchbruch in Aussicht gestellt hatte. Dagegen haben die E3 für ihre Gespräche mit Teheran keine Deadline gesetzt. Aber mit Blick auf die im Herbst auslaufende VN-Resolution müssten die Europäer spätestens im August eine Entscheidung treffen. Da eine Lösung im Atomkonflikt ohne die USA nicht möglich sein wird, sollten die E3 sich eng mit der Trump-Administration abstimmen. Bislang werden die Gespräche separat und kaum koordiniert geführt. Während Deutschland, Frankreich und Großbritannien sich auf eine gemeinsame Position verständigt haben, steht eine konkrete Abstimmung mit den USA noch aus – auch weil die US-Administration hieran bislang wenig Interesse gezeigt hat. Dabei können die Europäer nicht nur aufgrund ihres technischen Know-hows im Nuklearbereich eine wichtige Rolle für die USA spielen, sondern vor allem weil sie über das Snapback-Instrument verfügen. Damit können sie in den laufenden Verhandlungen einen wesentlichen Beitrag zur Abschreckungskulisse gegenüber Iran leisten. Hierzu müssten die E3 im Ernstfall aber auch bereit sein, den Mechanismus tatsächlich auszulösen. Andernfalls drohen die Beschränkungen des JCPOA auszulaufen, ohne dass Irans Nuklearprogramm auf absehbare Zeit mit neuen VN-Sanktionen belegt werden könnte. Teheran würde so davon profitieren, seinen Nonproliferationsverpflichtungen seit gut sechs Jahren nicht mehr nachgekommen zu sein. Es wäre zudem ein verheerendes Signal an andere NPT-Mitgliedstaaten und würde die Glaubwürdigkeit des Nichtverbreitungsregimes beschädigen. Der Snapback erhöht zwar das Risiko eines iranischen Austritts aus dem Atomwaffensperrvertrag. Doch selbst wenn Teheran ihn aufkündigt, hätte die internationale Staatengemeinschaft gemäß Artikel X des NPT noch drei Monate Zeit, mit Teheran zu einer Verhandlungslösung zu gelangen, bevor der Austritt endgültig vollzogen ist.
Nicht zuletzt ließe sich ein Snapback bei Bedarf durch eine neu eingebrachte Resolution auch wieder rückgängig machen. Alternativ könnte die Snapbackoption über den 18. Oktober hinaus verlängert werden, um laufenden Verhandlungen mehr Zeit zu verschaffen. Ein Auslaufen des Snapback hingegen wäre nicht mehr umkehrbar. In jedem dieser Fälle wäre eine enge Abstimmung mit den USA unerlässlich.
Auch bei einem Durchbruch in den Atomgesprächen würden wesentliche Differenzen mit Teheran bestehen bleiben. Die europäisch-iranischen Beziehungen sind nach wie vor angespannt. Dies liegt unter anderem an der Inhaftierung und Hinrichtung europäisch-iranischer Doppelstaatler, iranischen Spionageaktivitäten und Attentatsversuchen auf europäischem Boden sowie Teherans Export von Drohnen und Raketentechnologie nach Russland. Zahlreiche europäische Sanktionen würden daher auch im Falle einer neuen Atomvereinbarung fortbestehen, darunter sämtliche Sanktionen, die im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen verhängt worden sind. Die EU sollte dabei das Sanktionsregime gegen Menschenrechtsverletzungen in Iran kontinuierlich ergänzen, damit es ungeachtet von Nukleargesprächen fest auf der politischen Agenda verbleibt. Dies wird umso dringlicher, als für die Trump-Administration die Frage von Menschenrechtsverletzungen in Iran eine nachrangige Rolle spielen dürfte.
Dr. Azadeh Zamirirad ist Leiterin der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten.
Dieses Werk ist lizenziert unter CC BY 4.0
Das Aktuell gibt die Auffassung der Autorin wieder.
SWP-Aktuells werden intern einem Begutachtungsverfahren, einem Faktencheck und einem Lektorat unterzogen. Weitere Informationen zur Qualitätssicherung der SWP finden Sie auf der SWP-Website unter https://www. swp-berlin.org/ueber-uns/ qualitaetssicherung/
SWP
Stiftung Wissenschaft und Politik
Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit
Ludwigkirchplatz 3–4
10719 Berlin
Telefon +49 30 880 07-0
Fax +49 30 880 07-100
www.swp-berlin.org
swp@swp-berlin.org
ISSN (Print) 1611-6364
ISSN (Online) 2747-5018
DOI: 10.18449/2025A22