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Neue Atomgespräche mit Iran

Herausforderungen und Handlungsoptionen für europäische Politik

SWP-Aktuell 2025/A 22, 12.05.2025, 8 Seiten

doi:10.18449/2025A22

Forschungsgebiete

Das iranische Atomprogramm ist wieder Gegenstand internationaler Verhandlungen. Sowohl die E3 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien) als auch die USA haben Gespräche mit Teheran aufgenommen, die zu einer neuen politischen Verständigung führen sollen. Eine solche ist dringlich, denn die Islamische Repub­lik hat ihr Atom­programm rasant ausgebaut und verfügt über zahlreiche Voraus­setzungen, um eigene Kernwaffen produzieren zu können. Zugleich hat sich der Atomdiskurs in Iran deutlich verschoben. Die Option, Nuklearwaffen herzustellen, wird seit 2024 offen diskutiert. Die EU sieht es als entscheidende Sicherheitspriorität an, Teheran von diesem Schritt abzuhalten. Dabei stehen Deutschland und seine Partner unter Zeit­druck. Im Oktober 2025 läuft die Reso­lution der Vereinten Nationen (VN) aus, durch die das internationale Atomabkom­men von 2015 völker­rechtlich verbindlich wurde. Irans Nuklearprogramm wäre dann formal nicht länger den Beschränkungen und Kontrollmaßnahmen unter­worfen, die das Abkommen ursprünglich vorsah. Der Atomkonflikt könnte sich gefährlich zuspitzen. Europäische Politik sollte sich darum bemühen, eine militärische Eskalation zu verhindern. Zugleich muss sie bereit sein, im Ernstfall von ihrem schärfsten Instrument gegenüber Iran Gebrauch zu machen, dem »Snapback«.

Deutschland, Frankreich und Großbritan­nien (E3) haben Gespräche mit der Isla­mi­schen Republik über das iranische Atom­programm wiederaufgenommen. Zwischen November 2024 und März 2025 fanden vier Runden statt, in denen unter anderem auf Ebene der politischen Direktoren über Irans Nuklearaktivitäten beraten wurde. Im April 2025 ist auch Washington erstmals wieder in Gespräche mit Teheran über das Atom­programm eingetreten. Die beiden Staaten, die seit über 45 Jahren keine diplomatischen Beziehungen mehr unter­halten, sind bislang vier Mal zu einem in­direkten Aus­tausch unter Ver­mittlung Omans zusammengekommen, sowohl in dessen Hauptstadt Maskat als auch in Rom. Verhandlungs­führer sind der US-Sonder­gesandte für den Nahen Osten Steve Witkoff und der iranische Außenminister Abbas Araghchi. Noch in Donald Trumps erster Amts­zeit hatten sich die USA 2018 von ihren Ver­pflichtungen aus der inter­nationalen Atomvereinbarung von 2015 zurückgezogen, dem sogenannten Joint Comprehen­sive Plan of Action (JCPOA). Dieser war Ergeb­nis einer Einigung zwischen Iran und den E3/EU+3 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die EU sowie Russland, China und die Vereinigten Staaten). Die Trump-I-Administration lehnte das Abkom­men jedoch als unzureichend ab, unter anderem weil weder Irans Regionalpolitik noch das ballistische Raketenprogramm Gegenstand der Verein­barung waren. In­folge des US-amerikani­schen Rückzugs baute Iran sein Nuklearprogramm rapide aus und gilt heute als nuklearer Schwellenstaat, der viele der technischen Voraussetzungen erfüllt, um Atombomben herstellen zu können.

Die potentiellen Folgen einer atomaren Bewaffnung Irans wären verheerend: ein nukleares Wettrüsten am Persischen Golf, ein atomarer Schutzschirm für Irans nicht­staatliche Verbündete wie Hisbollah oder Hamas und eine erhebliche sicherheitspolitische Bedrohung für den israelischen Staat. Iranische Atomwaffen wären zudem ein massiver Rückschlag für das nukleare Nicht­verbreitungsregime (Non-Proliferation Treaty, NPT), das schon jetzt unter starkem Druck steht, unter anderem angesichts aktueller Erwägungen in Südkorea, nuklear aufzurüsten. Aufgrund der schwerwiegenden Folgen sieht die EU es als »entscheidende Sicherheitspriorität« an zu gewährleisten, dass Iran keine Nuklearwaffen produ­ziert.

Irans rasante nukleare Fortschritte und Kapazitäten

Die Islamische Republik hat ihr Atom­programm in den letzten sechs Jahren beträchtlich ausgeweitet. Dabei hat sie sich offen über die Bestimmungen des JCPOA hinweggesetzt. Im Mai 2019 kün­digte Tehe­ran an, die technischen Beschrän­kungen des Abkommens schrittweise aus­zusetzen. Gerechtfertigt wurde das Vorgehen mit dem Rückzug der USA ein Jahr zuvor. Seither hat Iran zwei wesent­liche Säulen des JCPOA unterlaufen, nämlich die technische Beschränkung und die inter­nationale Kon­trolle des Atomprogramms.

Die Islamische Republik reichert Uran auf bis zu 60% an, nutzt dafür mehrere Anlagen, setzt fort­schritt­liche Zentrifugentypen ein und experi­mentiert unter ande­rem mit Uran­metall – allesamt Verstöße gegen das Atomabkommen. Nach Schätzungen der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) verfügte Teheran im Februar 2025 über einen Bestand von 7.464 kg an ange­reichertem Uran in Form von Uranhexafluorid (UF6), fast fünfundzwanzig Mal so viel wie die laut JCPOA zulässige Gesamtmenge. 274,8 kg des Uran­bestandes wurden auf 60% angereichert. Iran ist der einzige Nicht­atomwaffenstaat, der Nuklearmaterial in diesem Ausmaß produziert. Im JCPOA wer­den Iran zwar eigene Anreicherungsaktivitäten zugestanden. Diese dürfen jedoch nicht den Grad von 3,67% übersteigen. Dass Teheran nun­mehr regelmäßig Uran auf 20% und sogar 60% anreichert, gibt Anlass zur Sorge. Denn die Überschreitung dieser Grenze erlaubt einen vergleichsweise schnel­len Sprung auf den Anreicherungsgrad von über 90%, der für den Bau von Atom­waffen benötigt wird.

Durch die rasante technische Ausweitung des Atomprogramms ist Iran heute in der Lage, binnen weniger Tage genügend angereichertes Material für den Bau einer Atombombe zu produzieren. Innerhalb von zwei Wochen könnte Tehe­ran sogar aus­reichend Spaltmaterial für ungefähr fünf bis sechs Atombomben herstellen. Damit ist ein wesentliches Ele­ment des JCPOA obsolet geworden, die sogenannte Ausbruchszeit (breakout time). Diese umfasst den Zeitraum, den ein Staat benötigt, um genug Spalt­material für den Bau einer Nuklearwaffe zu erzeugen. Durch die im JCPOA festgeschriebenen tech­nischen Beschränkungen, die Iran nach 2015 zunächst umsetzte, lag die Ausbruchszeit bei mindestens einem Jahr. Mit der drastischen Reduzierung dieses Zeit­raums auf wenige Tage steigt die Gefahr, dass Iran unentdeckt waffenfähiges Material produ­zieren könnte. Für die Herstellung von Atom­bomben wären allerdings noch wei­tere Schritte notwendig: Teheran müsste das hoch angereicherte Spaltmaterial von Gas in Metallform überführen, ein passen­des Waf­fendesign entwickeln, die Bombe an ein­satz­fähigen Trägersystemen befestigen und gegebenenfalls eigene Tests der Spreng­körper durchführen. Dieser Prozess könnte nach Schätzungen von Proliferations­experten ein bis zwei Jahre benötigen.

Neben den technischen Beschränkungen hat die Islamische Republik auch die weit­reichenden Kontroll- und Verifikations­möglichkeiten ausgesetzt, die das Atom­abkommen vorsieht. Dabei hat Iran auch die Zusam­menarbeit mit der IAEO erheb­lich reduziert. Im Februar 2021 suspendierte Tehe­ran das Zusatzprotokoll zum Atom­waffensperrvertrag, das der IAEO unter anderem kurzfristigen Zugang zu Nuklearanlagen ermöglicht. Die Lage wurde zusätz­lich verschärft, als Iran im Juni 2022 be­schloss, in einigen Anlagen Überwachungskameras zu entfernen, die im Zusammen­hang mit dem JCPOA installiert worden waren. Darüber hinaus entzog Teheran im September 2023 mehreren Inspekteuren der IAEO die Zugangserlaubnis, was die Möglichkeiten zur Überprüfung von Anrei­cherungsanlagen noch weiter einschränkte.

Allerdings hat Iran nicht nur die Bestim­mungen im JCPOA untergraben, sondern kommt auch seinen weiteren Verpflich­tungen als Mitglied des Atomwaffensperr­vertrags nicht mehr ausreichend nach. Dies betrifft unter anderem Irans Sicherungsübereinkommen (safeguard agreement). Gemäß dem Modifizierten Code 3.1 der Safeguardvereinbarung ist Teheran unter anderem verpflichtet, die IAEO über neue Anlagen in Kenntnis zu setzen, sobald deren Bau geplant oder auto­risiert wird. Mit der Aussetzung des Zusatz­protokolls hat Iran jedoch auch den Modifi­zierten Code 3.1 einseitig gestoppt und An­lagen nicht vorab deklariert, darunter einen neuen 10-MW-Forschungsreaktor in Isfa­han.

Gegen seine Safeguardbestimmungen ver­stößt Teheran aber auch an anderer Stelle. 2019 und 2020 fand die IAEO an drei nichtdeklarierten Standorten im Land Uranpartikel: in Turquzabad (2019), Vara­min (2020) und Marivan (2020). Ur­sprung und Verbleib dieser Partikel sind bis heute nicht hinreichend geklärt. Im Falle von Turquzabad und Varamin liegen aus Sicht der IAEO noch immer keine »technisch glau­bhaften Erklärungen« für die Präsenz anthropogener Uranpartikel vor. Dabei hatte Iran im März 2023 in einer »Gemeinsamen Erklärung« mit der IAEO weitere Informationen und Zugänge zur Beilegung der offenen Fragen zugesichert. Durch die vielfältigen Ein­schränkungen ist die Inter­nationale Atom­energieorganisation nicht mehr in der Lage, die friedliche Nutzung von Kernenergie in Iran zuverlässig zu verifizieren.

Iranische Diskursverschiebungen und das Ende der »nuklearen Fatwa«

Die Islamische Republik beteuert, das Atom­programm für zivile Zwecke zu benötigen, beispielsweise in In­dus­trie und Landwirtschaft, für die Pro­duk­tion medizinischer Isotope oder die Herstellung von Brennstoffen für das Atom­kraftwerk in Buschehr. Als Nach­weis für den friedlichen Charakter des Atomprogramms haben sich iranische Offi­zielle mehr als zwei Jahr­zehnte auf ein isla­misches Rechts­gutachten (Fatwa) berufen, mit dem »Revolutionsführer« Ali Khamenei Nuklearwaffen aus religiösen Gründen für unzulässig erklärt haben soll. Die »nukleare Fatwa« basiert auf der Vorstellung, dass Mas­sen­vernichtungswaffen mit islamischen Glaubenssätzen unvereinbar seien, da Erste­re unweigerlich zum Tod von am Konflikt unbeteiligten Personen führen würden.

Doch schon früh gab es unter iranischen Klerikern auch andere theologische Aus­legungen. In seinem 2005 erschienenen Buch »Die Islamische Revolution« vertrat der einflussreiche Ayatollah Muhammad Taqi Mesbah-Yazdi die Auffassung, dass gemäß dem Koran »alle Waffen« legitim seien, solange sie zu Verteidigungszwecken eingesetzt würden. Mesbah-Yazdi sprach sich dafür aus, dass Iran die »modernsten Waffen« als Mittel der Abschreckung her­stellen sollte. Dass er dabei nicht offen und ausdrücklich vom Bau von Atomwaffen sprach, ist der nuklearen Fatwa geschuldet.

Verweise auf eine Fatwa lassen sich auf das Jahr 2003 zurückführen, als Teheran erstmals in Verhandlungen mit den E3 über das inter­national umstrittene Atom­programm trat. Mit dem Topos der religiös begründeten Unvereinbarkeit versuchte die iranische Führung den Vorwurf zu ent­kräf­ten, sie arbeite an einem verdeckten mili­tärischen Programm, und den eigenen Ver­handlungsführern größere Glaubwürdigkeit zu verleihen. Nach außen sollte die Fatwa als Zusicherung dienen, dass Iran schon aus religiösen Gründen keine Nukle­arwaffen produzieren könne. Nach innen wurde mit ihr jede öffentliche Diskussion über die politischen Kosten und Gefahren eines kernwaffentechnologischen Programms unterbunden. Mit der Fatwa sandte Khame­nei eine klare Bot­schaft an die iranischen Eliten, dass das Thema nicht offen disku­tiert werden sollte. Dadurch sollte jeglicher Anschein einer internen Debatte selbst über die theo­retische Option derartiger Waffen vermieden werden.

Doch obwohl Khamenei nach 2003 wiederholt erklärte, dass Atomwaffen gegen schiitische Glaubenssätze verstoßen, legte er kein for­males Rechtsgutachten vor und säte damit vor allem außerhalb Irans Zweifel an der Existenz einer solchen Fatwa. Erst 2010 wurde eine schriftliche Erklärung als Nach­weis publiziert. In einer Botschaft an die Internationale Konferenz über nukleare Abrüstung erklärte Khame­nei, der Ein­satz von Massenvernichtungswaffen einschließlich Atombomben sei aus religiösen Grün­den unzulässig. Ob sein Statement als Fatwa gewer­tet werden kann, ist aufgrund der für Rechts­gutachten un­konventionellen Form nach wie vor um­stritten, aber nach­rangig. Denn die Idee einer Fatwa bildet spätestens seit 2005 einen zentralen Refe­renzpunkt im irani­schen Nukleardiskurs. Ungeachtet dessen, ob sie lediglich ein Feigenblatt und außen­politisches Manöver des Revolutionsführers darstellen könnte, bestanden zumin­dest an ihrer Existenz kaum Zweifel. Strittig war dagegen, ob die postulierte religiös begrün­dete Unzulässigkeit für alle Umstände gilt. Wäh­rend Kha­menei in seinen Äußerungen oft vage blieb, gingen andere Geistliche in ihren Rechtsgutachten deutlich weiter. In einer Antwort auf die Anfrage seines Schülers Mohsen Kadivar erklärte der pro­minente Großayatollah Hos­sein Ali Monta­zeri 2009, dass auch die Herstellung und Lagerung von Atomwaffen und sogar jeg­liche Investition in nukleare Technologien untersagt werden müssten.

Aber auch eine präzise ausgearbeitete Fatwa wäre veränderbar. Islamische Rechts­gutachten stellen kein unumstößliches Gebot dar; sie können an neue Umstände angepasst und demnach revidiert werden. Eine solche Revision steht in Iran seit April 2024 zur Debatte. Die Diskursverschiebung ist Resultat eines militärischen Schlag­abtauschs zwischen Iran und Israel, der sich zwi­schen April und Oktober 2024 erstmals in gegenseitigen Drohnen- und Raketen­angriffen manifestierte. Zugleich büßten enge nicht­staatliche Verbündete Irans wie Hisbollah und Hamas im Zuge des Gaza-Krieges deut­lich an militärischer Schlagkraft ein. Diese waren im Kontext der selbsterklärten »Achse des Widerstands« über Jahrzehnte ein zentrales Element der iranischen Sicher­heitsarchitektur. Vor diesem Hintergrund ist die Gefahr gestiegen, dass Iran versuchen könnte, seine sicherheitspolitischen Verluste durch atomare Aufrüstung zu kompensieren.

Akteure wie Khameneis außenpolitischer Berater Kamal Kharrazi sprechen offen davon, dass Iran im Falle einer ernsthaften Bedrohung »gezwungen wäre«, einen Kurs­wechsel in seiner Atompolitik vorzunehmen. Mit Ahmad Haghtalab warn­te auch ein hochrangiges Mitglied der paramilitärischen Revolutionsgarden, dass Iran seine Nukleardoktrin ändern könne. Ein Wandel der Doktrin hat in Teilen jedoch längst statt­gefunden. Während die Fatwa ursprüng­lich dazu dienen sollte, Iran mehr Glaubwürdig­keit in internationalen Ver­handlungen zu verleihen, wird sie heute dazu genutzt, mit nuklearer Be­waffnung zu drohen. Dies kommt faktisch dem Ende der Fatwa gleich, da Teheran nicht länger behaupten kann, derartige Waffen als prin­zipiell unzulässig anzusehen. Durch die Umwidmung der Fatwa von einem Mittel der Zusicherung zu einem der Abschreckung ist das Atom­programm erst­mals zu einem Baustein der iranischen Sicherheitsarchitektur geworden.

Militärschläge als Handlungsoption

Angesichts des rapide fortschreitenden Atom­programms stehen immer wieder auch Militärschläge gegen die iranische Atominfrastruktur zur Debatte. Nachdem Trump im März Revolutionsführer Khame­nei in einem durch die Ver­einigten Ara­bischen Emirate übermittelten Brief zu Gesprächen über einen neuen Nukleardeal aufgefordert hatte, drohte er Teheran mit Bombenangriffen, sollte sich die iranische Führung nicht auf eine Vereinbarung mit den USA einlassen. Die israelische Regierung unter Premier­minister Benjamin Netanyahu befürwortet gezielte Angriffe auf nukle­are Infrastruktur in der Islamischen Republik. Als die irani­sche Luft­abwehr durch israelische Vergeltungsschläge im Oktober 2024 nahezu vollständig außer Gefecht gesetzt wurde, sprach Ver­teidigungsminister Israel Katz von einer passenden Gelegenheit für Militärschläge. Auch europäische Akteure haben die Mög­lichkeit öffentlich kommentiert. Der fran­zösische Außenminister Jean-Noël Barrot befürchtete unlängst, dass ohne einen Deal eine mili­tärische Konfrontation mit Iran »fast unausweichlich« sein würde.

Für Militärschläge gegen Atomanlagen gibt es in der Region bereits Präzedenzfälle. Die israelische Luftwaffe zerstörte 1981 den Osirak-Kernreaktor im Irak und 2007 den Al-Kibar-Reaktor im syrischen Deir ez-Zor. In beiden Fällen handelte es sich um ein­zelne, leicht zu erreichende Ziele, die nahe­zu ungeschützt waren. Dagegen zeichnet sich das iranische Atomprogramm durch eine Vielzahl an Anlagen und eine dezen­trale Infrastruktur aus, die zum Teil selbst mit bunkerbrechenden Raketen schwer zu treffen sind. Das Programm setzt sich aus Forschungseinrichtungen, einem funktionsfähigen Kernkraftwerk, Produktionsstätten für Zentrifugen sowie einer Reihe von Anrei­cherungs- und Wiederaufbereitungsanlagen zusammen. Die meisten dieser Anlagen erstrecken sich über das Zentrum des Lan­des, von Karaj nahe dem Kaspischen Meer im Norden bis nach Buschehr am Persischen Golf im Süden. Die wesentlichen Urananreicherungsstätten in Natanz und Fordow befinden sich untertage. Die Anlage in For­dow liegt 80 bis 90 m tief im Gebirge. Dar­über hinaus hat die Islamische Republik auf­­grund früherer Sabotagen und Cyber­attacken auf ihr Atomprogramm zusätz­liche Maßnahmen ergriffen, um die eigene Nuklearinfrastruktur besser zu schützen. Beispielhaft hierfür ist die Anreicherungsanlage in Natanz. Diese wurde 2020 und 2021 Ziel mehrerer Sabotage­akte, die unter anderem zu einem voll­ständigen Blackout führten. Daraufhin begann Teheran den Bau eines neuen, noch tiefer sitzenden Unter­grundkomplexes (schätzungsweise 80 bis 100 m tief) im Gebirge.

Vereinzelte Angriffe wären daher unzureichend, um das Programm substantiell zurückzuwerfen. Es würde einer größe­ren Operation mit zahlreichen Angriffswellen bedürfen. Dies wurde auch deutlich, als kürzlich Pläne bekannt wurden, nach denen Israel für Mai 2025 eine breit ange­legte, einwöchige Militärkampagne mit Angriffen auf Irans Nuklear­anlagen geplant haben soll. Die Angriffe hätten Unterstützung durch die USA erfordert. Washington aber soll dem Vor­haben zu­gunsten von Verhandlungen vorerst eine Absage erteilt haben.

Doch auch gemeinschaftliche US-israe­lische Angriffe könnten das iranische Pro­gramm bestenfalls verzögern. Durch die Ausweitung des Atomprogramms hat Tehe­ran sich bereits umfangreiches tech­nisches Wissen angeeignet, das irreversibel ist. Jeg­liche zerstörte Infrastruktur könnte wieder­aufgebaut werden. Im Falle von Mili­tär­schlägen könnte die Islamische Republik sich auch entschließen, aus dem Atom­waffensperrvertrag auszusteigen und jede noch verbliebene Kooperation mit der IAEO einzustellen. Zugleich könnte sie auf regio­nale Eskalation setzen und erneut Drohnen- und Raketenangriffe gegen Israel ausführen, sowohl über Verbündete als auch direkt. Dabei könnte Iran wei­tere regionale Akteure wie die Golfstaaten ins Visier nehmen. Teheran hat seine Nachbarn am Persischen Golf unlängst gewarnt, ihren Luftraum für israelische oder US-ame­rika­nische Angriffe auf Nuklearanlagen zur Verfügung zu stellen. Und nicht zuletzt wäre bei der Abwägung von Militärschlägen zu berücksichtigen, dass dadurch die Ge­fahr steigen dürfte, die Debatte in Teheran über neue Abschreckungsmöglichkeiten zugunsten von Nuklearwaffen maßgeblich zu befeuern.

Das schärfste europäische Instrument: Der »Snapback«

Neben militärischen Optionen stehen der internationalen Staatengemeinschaft unter­schiedliche diplomatische Mittel zur Ver­fügung, um das Atomprogramm einzudäm­men, darunter neue Verhandlungen und Sanktionierungsmaßnahmen. Die E3 haben dabei ein einzigartiges Instrument in der Hand, mit dem sie Irans Nuklearaktivitäten sanktionieren und in Atomverhandlungen Druck auf Teheran ausüben kön­nen. Mit Hilfe des sogenannten Snapback-Mechanis­mus kön­nen Deutschland, Frank­reich und Groß­britannien den Konflikt über das irani­sche Nuklearprogramm vor den VN-Sicher­heits­rat bringen. Der Snapback ist das schärfste Instrument, um Verstöße gegen Rüstungskontrollabkommen zu ahnden. Im JCPOA ist er als Endpunkt eines mehrschrittigen Streitschlichtungsverfahrens (dispute resolution mechanism) vorgesehen: Jedes Mit­glied des JCPOA kann Pro­bleme bei der Umsetzung der Übereinkunft melden, ist jedoch verpflichtet, zu­nächst eine politische Klärung zu versuchen. Gelingt es den Beteiligten nicht, die Meinungsverschieden­heit binnen 15 Tagen beizulegen, können die Außenminister der Mitgliedsparteien ver­anlasst werden, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Sollte nach weiteren 15 Tagen keine Einigung erreicht sein, werden maxi­mal fünf weitere Tage für eine ab­schlie­ßende Empfehlung anberaumt. Danach kann der Fall bei schwerwiegenden Ver­stößen (significant non-performance) vor den VN-Sicherheitsrat gebracht werden. Beschließt dieser nicht spätestens nach 30 Tagen, dass die durch den JCPOA aus­gesetzten VN-Sanktionen weiterhin aufge­hoben bleiben sollen, treten alle zwischen 2006 und 2010 beschlossenen Sicherheitsrats­resolutionen und die darin enthaltenen Strafmaßnahmen automatisch wieder in Kraft. Die Wiedereinführung der VN-Sank­tionen bildet den eigentlichen Snapback und ginge für Iran unter anderem mit einem umfassenden Waffenembargo und dem Verbot jeglicher Urananreicherungs- und Wiederaufbereitungsaktivitäten einher.

Für den Snapback bedarf es keiner eige­nen Resolution. Das Verfahren ist so an­ge­legt, dass Staaten wie Russland oder China die Wiederverhängung von Sanktionen gegen Iran nicht mit ihrem Veto verhindern können. Da die USA seit ihrem Rückzug nicht länger Mitglied des JCPOA sind und daher den Mechanismus nicht mehr selbst auslösen können, obliegt es allein den E3, diesen Schritt zu vollziehen. Dabei stehen die Europäer unter Zeitdruck. Am 18. Okto­ber 2025 läuft die VN-Resolution 2231 aus, durch die das Atomabkommen völkerrechtlich verbindlich gemacht wurde. An diesem »Termination Day« enden alle Verfahren zur Umsetzung des JCPOA, und das iranische Atomprogramm wäre rechtlich dem ande­rer NPT-Staaten gleichgestellt – und das, obwohl Teheran die Vereinbarung bereits seit 2019 nicht mehr vollständig umsetzt. Vor allem aber erlischt mit dem Auslaufen der Resolution die Möglichkeit, auf den Snapback zurückzugreifen. Dadurch könn­te es deutlich schwieriger werden, in Zukunft neue Sanktionen gegen das ira­ni­sche Nuklearprogramm im VN-Rahmen durchzusetzen. Denn Moskau und Peking könnten jede neue Resolution im Gegensatz zum Snapback mit einem Veto blockieren.

Angesichts der langen Vorlaufzeit im Zuge des Streitschlichtungsverfahrens (regu­lär insgesamt 65 Tage) müssten die E3 theo­retisch schon Mitte August 2025 den Pro­zess beginnen, um den Snapback recht­zeitig vor Ablauf der VN-Resolution 2231 am 18. Ok­to­ber auslösen zu können. Da sie aber 2020 schon einmal das Schlichtungsverfahren eingeleitet haben, wäre die Grundlage dafür gegeben, den Fall auch nahezu direkt in den Sicherheitsrat ein­zubringen. Dadurch würde sich die Vorlauf­zeit halbie­ren. Wenn die E3 jedoch ein kurzfristig ein­geleitetes Verfah­ren vermei­den wollen, wer­den sie im Spätsommer 2025 reagieren müssen.

Teheran hat angekündigt, im Falle eines Snapbacks aus dem Atomwaffensperr­vertrag auszutreten. Seit 2003 erklingen in Iran immer wieder Rufe nach einem NPT-Austritt. Ein solcher Schritt wäre für Tehe­ran aber mit Risiken verbunden. Nach Einschätzung US-amerikanischer Geheimdienste gibt es noch keine Hinweise darauf, dass Teheran derzeit versucht, Nuklearwaffen zu produzieren. Doch ein Ausstieg aus dem NPT, mit dem sich Staa­ten verpflichten, keine Atombomben zu bauen, könnte international als klares Signal aufgefasst werden, dass Iran aktiv nach solchen Waffen strebt. Die Rela­tivierung der nukle­aren Fatwa ver­stärkt schon jetzt die Wahr­nehmung, dass Iran ein verdecktes Pro­gramm ver­folgt. Damit würden Spekulationen über eine nukleare Bewaffnung wei­teren Auf­wind erhalten. Israelische Mili­tär­schläge gegen iranische Atomanlagen wären die wahrscheinliche Folge.

Folgerungen für europäische Politik

Die E3 haben bekundet, Iran mit allen diplomatischen Instrumenten davon ab­halten zu wollen, Atomwaffen herzustellen. Das schließt die Möglichkeit eines Snap­backs ein. Deutschland und seine euro­päischen Partner sollten diesen Worten Taten folgen lassen und den Fall in den Sicher­heitsrat tragen, wenn bis August 2025 keine substantiellen Ergebnisse in den Atom­gesprächen mit Iran vorliegen. Hand­lungsoptionen wie der Snapback oder Mili­tärschläge sollten jedoch erst dann zum Einsatz kommen, wenn zuvor alle anderen diplomatischen Mittel ausgeschöpft wur­den. Oberste Priorität sollte sein, eine Eska­lation im Herbst zu ver­mei­den, die in eine militärische Konfrontation oder einen Austritt Irans aus dem NPT münden könn­te. Chancen dafür, dies zu verhindern, bieten die laufenden Gespräche der Euro­päer und der USA. Dabei reicht eine Rück­kehr zu den Ver­pflichtungen, die einst im JCPOA fest­gelegt wurden, aufgrund der Fortschritte im irani­schen Atomprogramm nicht länger aus. Während im Abkommen von 2015 die Ausbruchszeit im Zentrum stand, müsste eine neue Verein­barung den Prozess der nuklearen Bewaffnung (weapon­ization) in den Vordergrund rücken. Dazu sind Kon­trollmaßnahmen nötig, die über die Bestim­mungen des JCPOA weit hinaus­gehen. Um Transparenz zu schaffen, müss­te Iran aber zunächst das Zusatzprotokoll wieder um­setzen und seinen Safeguard­bestimmungen konsequent nachkommen. Teheran müsste überdies abmontierte Kameras neu instal­lieren und zusätzlichen Inspekteuren der IAEO wieder die Möglichkeit des täglichen Zutritts zu Nuklearanlagen gewähren. Vor allem aber müsste Teheran die Anreicherung von Uran auf 60% und das Experimen­tieren mit fort­schrittlichen Zentrifugen­typen einstellen.

Dabei wird es kaum möglich sein, Tehe­ran zum vollständigen Abbau der nuklearen Infrastruktur (»libysches Modell«) und zum Verzicht auf eigene Anreicherungs­aktivitäten zu bewegen. Die Dis­kurs­verschiebung mit Blick auf die Fatwa zeigt deutlich, dass das Atomprogramm nun­mehr als Bestandteil der iranischen Sicher­heits­architektur verstanden wird. Vor diesem Hintergrund wird Teheran alle Zuge­ständ­nisse im Nuklearbereich nach den Kos­ten für die eigenen Abschreckungsfähigkei­ten bemessen und versuchen, seinen Status als nuklearer Schwellenstaat zu wahren. Im Gegenzug für weitreichende Beschränkungen des Atomprogramms dürfte Iran zudem vor allem Sanktionserleichterungen im Öl- und Gassektor sowie Zugriff auf eingefrore­ne Konten im Ausland haben wollen und Zu­sicherungen einfordern, dass Washing­ton sich von einer neuen Vereinbarung nicht erneut problemlos zurückziehen kann.

Eine Einigung zu erzielen dürfte daher keineswegs einfach sein, vor allem da Trump in seinem Brief an Khamenei zunächst nur einen Zeitraum von zwei Monaten für einen Durchbruch in Aussicht gestellt hatte. Dagegen haben die E3 für ihre Gespräche mit Teheran keine Deadline gesetzt. Aber mit Blick auf die im Herbst auslaufende VN-Resolu­tion müssten die Europäer späte­stens im August eine Entscheidung treffen. Da eine Lösung im Atomkonflikt ohne die USA nicht möglich sein wird, sollten die E3 sich eng mit der Trump-Administration abstim­men. Bislang werden die Gespräche separat und kaum koordiniert geführt. Während Deutschland, Frank­reich und Großbritannien sich auf eine gemeinsame Position ver­ständigt haben, steht eine kon­krete Abstim­mung mit den USA noch aus – auch weil die US-Administration hieran bislang wenig Inter­esse gezeigt hat. Dabei können die Europäer nicht nur aufgrund ihres tech­nischen Know-hows im Nuklearbereich eine wich­tige Rolle für die USA spielen, sondern vor allem weil sie über das Snapback-Instru­ment verfügen. Damit kön­nen sie in den laufenden Verhandlungen einen wesent­lichen Beitrag zur Abschreckungskulisse gegenüber Iran leis­ten. Hier­zu müssten die E3 im Ernstfall aber auch bereit sein, den Mechanismus tatsächlich auszulösen. Andernfalls drohen die Beschränkungen des JCPOA auszulaufen, ohne dass Irans Nuklearprogramm auf absehbare Zeit mit neuen VN-Sanktionen belegt werden könnte. Teheran würde so davon profitieren, seinen Nonproliferationsverpflichtungen seit gut sechs Jahren nicht mehr nach­gekommen zu sein. Es wäre zudem ein verheerendes Signal an andere NPT-Mit­gliedstaaten und würde die Glaubwürdigkeit des Nichtverbreitungs­regimes beschädigen. Der Snapback erhöht zwar das Risiko eines iranischen Austritts aus dem Atom­waffensperrvertrag. Doch selbst wenn Tehe­ran ihn aufkündigt, hätte die inter­nationale Staatengemeinschaft gemäß Artikel X des NPT noch drei Monate Zeit, mit Teheran zu einer Verhandlungs­lösung zu gelangen, bevor der Austritt end­gültig vollzogen ist.

Nicht zuletzt ließe sich ein Snap­back bei Bedarf durch eine neu eingebrachte Reso­lution auch wieder rückgängig machen. Alternativ könnte die Snapback­option über den 18. Oktober hinaus ver­längert werden, um laufenden Verhandlungen mehr Zeit zu verschaffen. Ein Aus­laufen des Snapback hingegen wäre nicht mehr umkehrbar. In jedem dieser Fälle wäre eine enge Abstimmung mit den USA unerlässlich.

Auch bei einem Durchbruch in den Atom­gesprächen würden wesentliche Differenzen mit Teheran bestehen bleiben. Die europäisch-iranischen Beziehungen sind nach wie vor angespannt. Dies liegt unter anderem an der Inhaftierung und Hinrichtung europäisch-iranischer Doppel­staatler, iranischen Spionageaktivitäten und Attentatsversuchen auf europäischem Boden sowie Teherans Export von Drohnen und Raketentechnologie nach Russland. Zahlreiche europäische Sanktionen würden daher auch im Falle einer neuen Atom­vereinbarung fortbestehen, darunter sämt­liche Sanktionen, die im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen ver­hängt worden sind. Die EU sollte dabei das Sanktionsregime gegen Menschenrechts­verletzungen in Iran kontinuierlich ergän­zen, damit es ungeachtet von Nuklear­gesprächen fest auf der politischen Agenda ver­bleibt. Dies wird umso dringlicher, als für die Trump-Administration die Frage von Menschenrechtsverletzungen in Iran eine nachrangige Rolle spielen dürfte.

Dr. Azadeh Zamirirad ist Leiterin der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten.

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