Schuldenerleichterungen in Afrika: Interessenkonflikt zwischen dem Westen und China als Stolperstein multilateraler Lösungen
Megatrends Spotlight 25, 15.06.2023Mehrere afrikanische Länder haben Zahlungsschwierigkeiten gegenüber ihren Geldgebern, weitere könnten folgen. Multilaterale Lösungen zur Schuldenerleichterung sind nötig, werden aber durch Machtkämpfe zwischen dem Westen und China erschwert, argumentieren Karoline Eickhoff und Rainer Thiele anlässlich des Pariser Finanzgipfels.
Vom 22.-23. Juni ist Frankreich Gastgeber des Gipfels für einen neuen globalen Finanzpakt, bei dem internationale Abkommen zur Bewältigung globaler Krisen geschlossen werden sollen. Deutschland ist Mitglied des Komitees aus Staaten und internationalen Organisationen, das den Gipfel vorbereitet. Auf der Tagesordnung steht auch die wachsende Schuldenlast vieler Länder des „Globalen Südens.“ Sambia und Ghana sind in Zahlungsschwierigkeiten geraten und können ihre Kredite nicht mehr bedienen. Sie brauchen schnelle Umschuldungen, Schuldenerlasse und Zugang zu Finanzmitteln, um Zahlungsausfälle zu verhindern und ihre finanzpolitische Handlungsfähigkeit wiederherzustellen. Im Hintergrund schwelt jedoch ein Interessenkonflikt zwischen westlichen und chinesischen Akteuren, der multilaterale Lösungen behindert. Im Zentrum steht die Frage, wie die internationale Finanzarchitektur in Zukunft gestaltet werden soll.
Der im März 2023 von Misereor veröffentlichte Schuldenreport zeigt einen sprunghaften Anstieg der Staatsverschuldung weltweit. Besonders betroffen sind Länder im „Globalen Süden“: Hier sind 64% der Länder kritisch oder sehr kritisch verschuldet (hohes Überschuldungsrisiko), darunter Äthiopien, Ghana, Malawi, und Sambia.
Im Zuge der Covid-Pandemie geriet Sambia als erstes afrikanisches Land im November 2020 in Zahlungsnot. Seit zwei Jahren setzt das Land ein Stabilisierungsprogramm des Internationalen Währungsfonds (IWF) um und wartet auf eine Einigung der Gläubiger über eine Umschuldung, das heißt längere Fälligkeiten, niedrigere Zinsen oder tilgungsfreie Zeiten. Ghana befindet sich seit Ende 2022 ebenfalls in Zahlungsverzug. Im Mai 2023 wurde nach langwierigen Verhandlungen mit dem IWF die erste Tranche eines milliardenschweren Rettungspakets freigegeben. Im Gegenzug muss sich Ghana einem umfassenden Programm zur Haushaltskonsolidierung unterziehen.
Auch weitere Länder, die als Wachstumsmotoren des Kontinents gelten, leiden unter einer wachsenden Schuldenlast: Kenias Kreditwürdigkeit wurde im Mai 2023 aufgrund staatlicher Liquiditätsrisiken von den großen Ratingagenturen herabgestuft. Es zeichnet sich ab, dass immer mehr Länder Kredite nicht planmäßig zurückzahlen können und Verhandlungslösungen zwischen Gläubigern und Kreditnehmern notwendig werden.
Verschuldete Staaten haben in der Regel Kredite über einen längeren Zeitraum und zu unterschiedlichen Konditionen bei einer Vielzahl inländischer und ausländischer, multilateraler und bilateraler, entwicklungsorientierter und kommerzieller Geldgeber aufgenommen. Diese Akteure gilt es, in Verhandlungen über mögliche Auswege aus der Schuldenkrise zusammenzubringen. Rettungskredite des IWF, des Gebers der „letzten Instanz“, bedürfen beispielsweise der Zustimmung von mindestens 85% der IWF-Anteilseigner. Die Teilnahme an einem IWF-Stabilisierungsprogramm ist wiederum Voraussetzung für die Aufnahme von Umschuldungsverhandlungen im Pariser Club, dem informellen Zusammenschluss aus 22 Gläubigerstaaten. Auch bei anderen Kreditgebern sind positive Einschätzungen der multilateralen Entwicklungsbanken häufig Voraussetzung für Umschuldungsverhandlungen.
Multilaterale Lösungen sind ein wichtiger Hebel, um eine effektive Einigung zwischen der Vielzahl der Gläubiger zu für die Länder akzeptablen Konditionen herbeizuführen. Diese werden derzeit jedoch durch gegenseitige Schuldzuweisungen erschwert. Dabei vermengen sich mehrere Konfliktlinien zwischen Akteuren aus dem Westen und aus China.
Im Westen – etwa in den USA, Europa, Australien und Großbritannien –, richtet sich die Kritik auf Chinas Umgang mit der Auslandsverschuldung afrikanischer Staaten. Der ehemalige Weltbankpräsident David Malpass äußert sich regelmäßig kritisch zur Intransparenz chinesischer Kreditvergaben und fordert China auf, konzertierte Umschuldungsaktionen nicht zu blockieren. Ähnliche Kritik äußerten Deutschlands Finanzminister Christian Lindner während seines Besuchs in Ghana und US-Finanzministerin Janet Yellen. Eine Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft zeigte in diesem Zusammenhang, dass Peking nur selten Schuldenerleichterungen gewährt und die mangelnde Dokumentation chinesischer Kredite die Arbeit von Gläubigerausschüssen erschwert. In der öffentlichen Debatte hält sich zudem hartnäckig der Vorwurf, Peking nutze Verschuldung im Rahmen der Belt and Road Initiative, um politischen Einfluss in kreditnehmenden Ländern zu nehmen. Studien der Johns-Hopkins-Universität haben diesen Vorwurf jedoch relativiert.
Mit einem durchschnittlichen Anteil von ca. 12% an der privaten und öffentlichen Auslandsverschuldung afrikanischer Länder ist China oft tatsächlich der größte bilaterale Geber. Allerdings variiert der Anteil chinesischer Geldgeber von Land zu Land erheblich: In Angola beträgt er ca. 40% (USD 18 Milliarden), in Ghana dagegen nur 6 % (USD 1.7 Milliarden). Zudem ändert Peking derzeit sein Investitionsverhalten. Aktuelle Kreditvergaben an afrikanische Länder liegen nur noch bei 10% des Höchststandes von 2016. Statt in große, staatlich vollfinanzierte Infrastrukturprojekte, die zur Staatsverschuldung afrikanischer Länder teilweise erheblich beigetragen haben, investieren chinesische Akteure zunehmend in kleinere, profitable Projekte mit privatem Finanzierungsanteil, wie zum Beispiel Mautstraßen.
Im Gegenzug weist China Anschuldigungen einer übermäßigen Verantwortung für die prekäre Schuldensituation betroffener Länder vehement zurück und betont seinerseits die Verantwortung westlicher privater Gläubiger und der multilateralen Entwicklungsbanken. Auch diese Kritik wird von Studien untermauert: Debt Justice berechnete im vergangenen Jahr, dass afrikanische Regierungen privaten westlichen Gläubigern dreimal mehr schulden als China (35% der Auslandsschulden) und sie im Durchschnitt doppelt so hohe Kreditzinsen verlangen (5% vs. 2,7%). Zudem beteiligten sich private Geber, die meisten von ihnen westliche Banken und Vermögensverwalter, oft nicht an Umschuldungsinitiativen. Diese Einschätzung wird durch den Schuldenreport gestützt, der die Hauptverantwortung (70%) der ausstehenden Forderungen gegenüber Niedrig- und Mitteleinkommensländern bei den G7- und EU-Staaten verortet (bilaterale öffentliche Kredite, private Bankkredit- und Anleiheforderungen, und Anteile an multilateralen Entwicklungsbanken).
China fordert auch, dass sich die multilateralen Entwicklungsbanken an Schuldenerlassen beteiligen, was von diesen kategorisch zurückgewiesen wird. Diese verweisen darauf, dass ihre Kreditwürdigkeit herabgestuft werden könnte, sollten sie Schuldenschnitte zu ihren Lasten akzeptieren. Dies hätte wiederum negative Konsequenzen für kreditnehmende Länder, für die sich die Konditionen verschlechtern würden. Ähnlich argumentiert allerdings auch China im eigenen Fall.
Die öffentlichen Positionen wirken verhärtet und wenig geeignet, um schnelle Kompromisslösungen herbeizuführen. Das liegt auch daran, dass es für die Verhandlungsführer*innen um viel geht. Die IWF-Direktorin Kristalina Georgieva verlangt, Peking solle sich an die etablierten Spielregeln halten („playing by the rules“). Diese sind von IWF und Weltbank gemacht, den wichtigsten UN-Institutionen der Nachkriegs-Finanzarchitektur. Beide Institutionen sind westlich geprägt: Seit ihrer Gründung liegt die Führung der Weltbank in US-amerikanischer Hand, während die Leitung des IWF europäisch ist. G7-und EU-Länder verfügen über mehr als die Hälfte der Stimmrechte in den Institutionen, gemäß des von ihnen gehaltenen Kapitals.
China hingegen strebt grundlegende Reformen der multilateralen Entwicklungsbanken an. Es setzt sich dafür ein, dass die Mitspracherechte in den Institutionen gemäß der tatsächlichen Wirtschaftskraft neu verteilt werden. Pekings Reformambitionen und Forderungen nach Gleichbehandlung aller Geber, inklusive der multilateralen Entwicklungsbanken, stoßen in vielen Ländern des „Globalen Südens“ auf Zustimmung.
Zudem setzt China zunehmend auf neue multilaterale Institutionen wie die New Development Bank („BRICS Bank“) und die Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB), die nicht westlich dominiert sind. Beide haben ihren Sitz in China. Auch bilateral verändert sich Pekings Rolle als Geldgeber: Mittlerweile ist China auch oft Geber der letzten Instanz von Rettungskrediten – eine Rolle, die traditionell dem IWF zukommt.
Im Westen ist die Bereitschaft zu Zugeständnissen bei der Reform der Weltfinanzordnung gering. Gleichzeit sind Verhandlungen innerhalb der bestehenden multilateralen Mechanismen im Interesse westlicher Akteure.
Deutschland ist Mitglied der G20, des Pariser Clubs und viertgrößter Anteilshalter des IWF. Frankreich hat zusammen mit China den Co-Vorsitz im Gläubigerkomitee für Sambia. Zusammen könnten sie den Anstoß für eine europäische Lösungsinitiative geben. Europäische Staaten können sich auch der Frage widmen, wie in Europa ansässige private Geldgeber besser in Umschuldungsverhandlungen einbezogen werden können – etwa im Rahmen von IWF-Programmen.
Um multilaterale Lösungen voranzubringen, sollten europäische Akteure auf dem Pariser Gipfel folgende Verhandlungsansätze verfolgen:
Eine westliche Verhandlungsstrategie, die darauf abzielt, China als Verursacher von übermäßiger Staatsverschuldung in Afrika zu isolieren, verzerrt das Gesamtbild und ist einer Einigung abträglich. Vielmehr sollte deutlich gemacht werden, dass China ein wichtiger Akteur der Lösungsfindung ist, wie unter anderem von Chatham House vorgeschlagen. Dazu ist es notwendig, dass die Verhandlungsführer*innen aus dem Westen und aus China die berechtigen Interessen der jeweiligen Gegenseite anerkennen. Für eine konsensfähige Lösung werden wahrscheinlich alle Gläubiger Verluste hinnehmen oder andere Zugeständnisse machen müssen.
Rasche Lösungen für betroffene Staaten sind nötig, bevor die großen Fragen der Neuausrichtung des globalen Finanzsystems abschließend verhandelt werden. Die Verhandlungen dürfen daher nicht einem „nothing is agreed until everything is agreed“-Ansatz folgen, bei dem die Verhandlungsführer*innen Herausforderungen aussitzen und auf taktische Vorteile im Prozessverlauf hoffen, um ihre Interessen durchzusetzen. Kleine, schrittweise Vermittlungsergebnisse sollten als (Teil-)Erfolge behandelt werden, die direkt in die länderspezifische Lösungsfindung einfließen.
Sensible finanzpolitische Fragen werden oft in geschützten Räumen diskutiert, wo der Austausch von Sichtweisen und Annäherungen möglich sind. So vermutlich auch im Umfeld des Pariser Gipfels. Frühere globale Finanzkrisen haben gemeinsame Interessen westlicher Akteure und Chinas an der Stabilität des Finanzsystems deutlich gemacht. Chinas Beteiligung an der G20-Initiative zur Aussetzung des Schuldendienstes während der Covid-Pandemie („Common Framework“) wird überwiegend positiv bewertet. Kooperative Signale an die Volksrepublik kamen jüngst von Kristalina Georgieva während des Boao Forums und aus Peking anlässlich der Frühlingstagung von IWF und Weltbank. Die kürzlich erzielte Einigung zwischen China und westlichen Gebern zur Schuldenerleichterung für Ghana kann als Positivbeispiel dienen. Sie wurde möglich, weil sowohl China als auch die Mitglieder des Pariser Clubs einem (begrenzten) Forderungsverzicht zugestimmt haben.
Sollten auf dem Pariser Gipfel bedeutsame Fortschritte zu Schuldenerleichterungen erzielt werden, könnten die Verhandlungen zwischen China und dem „Westen“ über andere strittige Themen auf ähnliche multilaterale Mechanismen zurückgreifen.
Seit Jahrzehnten steht der Franc CFA in westafrikanischen Staaten als „neokoloniale“ Währung in der Kritik. Viele fordern eine Währungsreform. Was monetäre Souveränität bedeutet und wie sie in den Franc CFA-Staaten debattiert wird, erläutert Robin Frisch (Universität Bayreuth) in diesem Megatrends Afrika Spotlight.
Peking hat sich auf groß angelegte Infrastrukturprojekte spezialisiert, um die sich einige Kontroversen ranken. Debatten über die Vorteile chinesischer Investitionen versus der daraus resultierenden Staatsschulden sind in vollem Gange - besonders in Kenia, wo das Thema prominent im Wahlkampf diskutiert wurde.
doi:10.18449/2022MTA-KA03