Die Zusammenarbeit mit afrikanischen Regionalorganisationen sollte stärker strategisch ausgerichtet werden und sie dabei unterstützen, gemeinsame Positionen ihrer Mitgliedstaaten zu formulieren und für die Bevölkerung sichtbar umzusetzen, argumentieren Antonia Witt, Christof Hartmann und Ulf Engel.
Die Kooperation mit afrikanischen Regionalorganisationen ist seit vielen Jahren eine Konstante der deutschen Afrikapolitik. Die gilt sowohl für die Afrikanische Union (AU) als auch für die so genannten Regionalen Entwicklungsgemeinschaften (RECs), wie ECOWAS, EAC oder SADC. In kaum einem der zahlreichen deutschen Strategiepapiere zu Afrika der letzten zehn Jahre fehlt der Hinweis auf die Bedeutung dieser Organisationen – wobei es häufig bei einem allgemeinen Verweis bleibt und unklar ist, welche der acht offiziell von der AU anerkannten subregionalen Organisationen eigentlich als Partner besonders geeignet sind.
In den Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung von 2019 werden afrikanische Regionalorganisationen als zentrale Partner in ganz unterschiedlichen Politikfeldern wie auch bei der Regelung globaler Herausforderungen benannt. Die neue Afrikastrategie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, (2023) möchte die Agenda 2063 der AU durch strukturpolitische Maßnahmen flankieren und beabsichtigt die „Zusammenarbeit mit den kontinentalen und regionalen afrikanischen Organisationen auszubauen“. Die Leitlinien Krisenprävention (wie auch die strategischen Leitlinien des Bundesministeriums der Verteidigung, BMVg, zur Afrikapolitik) betonen die zentrale Rolle regionaler Frühwarnsysteme und Mediation im Rahmen der Afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur.
Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass die Nationale Sicherheitsstrategie von 2023 afrikanische Regionalorganisationen überhaupt nicht als zentrale Partner erwähnt. Auch in den Afrikakonzepten des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz findet sich kein Hinweis auf Regionalorganisationen. Das deutet bereits darauf hin, dass die aktuelle ebenso wie vergangene Bundesregierung die Zusammenarbeit mit diesen Akteuren strategisch eher in der Entwicklungspolitik, der Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Migration verortet. Dies stellt eine unnötige Verengung dar. Gerade vor dem Hintergrund, dass z.B. die Afrikanische Kontinentale Freihandelszone (AfCFTA) ab 2021 als eines der Kernprojekte der Afrikanischen Union zentral für die zukünftige wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den afrikanischen Staaten sein soll. Es zeigt auch, dass die Zusammenarbeit mit afrikanischen Organisationen stark von ressorteigenen Logiken getrieben ist und (noch) nicht dem Anspruch des ressortgemeinsamen Handelns nachkommt.
Veränderte globale Rahmenbedingungen
In den letzten Jahren zeigen sich in den Beziehungen Deutschlands zu Afrika neue Dynamiken und Rahmenbedingungen. Die Verhandlungen über eine neue multipolare Weltordnung, die nach dem Ende des Kalten Krieges und einem kurzen, von den USA dominierten Interregnum in den 1990er Jahren begonnen hatten, haben unter dem Eindruck der Corona-Pandemie und des Krieges in der Ukraine neue Dynamik erhalten.
Neben Rohstoffen und Energie scheint es aus Sicht des Westens primär um die diplomatische Unterstützung der eigenen Positionen durch afrikanische Staaten in globalen Fragen zu gehen. Die Rolle der Regionalorganisationen bleibt dabei ambivalent: Die AU wurde durch ihre Aufnahme in die G20 (September 2023) auf globaler Ebene nun auch jenseits von Vereinten Nationen (UN) und Europäischer Union (EU) als Repräsentantin afrikanischer Interessen anerkannt. AU und Regionalorganisationen tun sich andererseits immer schwerer, eigene Normen durchzusetzen und die Erfolge der Vergangenheit in Sachen Demokratisierung zu verteidigen, wie sich zuletzt im Umgang mit den Militärputschen in Westafrika gezeigt hat. Es wird unklarer, welche inhaltliche Agenda afrikanische Regionalorganisationen auch nach außen vertreten. Trotz einzelner wichtiger Erfolge wie gemeinsamer Positionierungen zur Reform des UN-Sicherheitsrats, zur Post-2015 Agenda oder zur UN-Steuerkonvention fällt es AU und RECs oft schwer, gemeinsame Positionen zu entwickeln, die ihre Beziehungen zum Rest der Welt anleiten könnten.
Wer eine regelbasierte multilaterale Ordnung schützen und stärken will, der muss auf afrikanische Errungenschaften im Multilateralismus bauen und darf das Kind – bei allen aktuellen Krisensymptomen – nicht mit dem Bade ausschütten. Dennoch: angesichts der geopolitischen Großwetterlage ist die Zeit für allgemeine Bekenntnisse ohne strategische Unterfütterung vorbei. Vor diesem Hintergrund plädieren wir für eine zukünftig stärker strategische und ressortübergreifende Ausrichtung der Zusammenarbeit mit afrikanischen Regionalorganisationen, die Potenziale und Schwächen der Organisationen realistisch einschätzt. Wir wollen daher, vor dem Hintergrund unserer Forschung, Vorschläge machen, wie die Zusammenarbeit zukünftig ausgestaltet werden sollte.
Regionalorganisationen als politische Akteure ernstnehmen
Regionalorganisationen (und hier vor allem die AU) müssen mehr als bisher nicht nur als technische Partner, sondern als politische Akteure ernst genommen werden: als Foren, in denen auch kontroverse politische Anliegen verhandelt werden, sowie als Repräsentantinnen gemeinsamer Interessen, die auch quer zu jenen Deutschlands oder Europas liegen können. Dies anzuerkennen ist primär eine Frage diplomatischer Positionierung, nicht der materiellen Unterstützung. Die deutsche Unterstützung für die G20-Mitgliedschaft der AU war ein wichtiger Schritt. Afrikanische Interessen und Forderungen im globalen Raum werden zukünftig mehr und besser zur Kenntnis genommen. Wichtige Themen für die kommenden Jahre, in denen die AU eine zentrale Rolle spielen kann, sind etwa Entschuldung und die Reform der globalen Finanzarchitektur, Urbanisierung und Energietransition sowie der Ausbau der regionalen Gesundheitsgovernance. Hier braucht es jenseits der G20-Mitgliedschaft klare diplomatische Unterstützung.
Gerade für viele kleinere Staaten Afrikas bleiben Regionalorganisationen die einzige Chance, ihre Anliegen im globalen Rahmen zu formulieren und sich Gehör zu verschaffen. Zugleich sind es diese kleineren Staaten, deren Märkte kaum Investitionen anziehen, und deren Regierungen am wenigsten transnationalen Sicherheitsgefährdungen und den Folgen des Klimawandels begegnen können. In der Corona-Pandemie haben afrikanische Organisationen – sowohl die AU als auch auf subregionaler Ebene etwa die ECOWAS – ihre Fähigkeiten als multilaterale Foren unter Beweis gestellt. Innerhalb kurzer Zeit hat die AU eine gemeinsame Politik zur Bekämpfung der Pandemie formuliert und mit dem Africa Centre for Disease Control and Prevention (Africa CDC) in ihren Mitgliedsstaaten erfolgreich umgesetzt. Die Eröffnung der ersten Produktionsstätte für mRNA-basierte Impfstoffe in Ruanda im Dezember 2023 ist auch ein Erfolg dieser Politik, die von Anfang an für eine gerechtere Verteilung von Impfstoffen und Produktionsrechten gekämpft hat.
Regionalorganisationen als umsetzende Akteure stärken
Im Gegensatz zur internationalen Anerkennung, die afrikanische Regionalorganisationen von außen bekommen, ist ihre gesellschaftliche Unterstützung in den Mitgliedsstaaten eher gering. In einer Afrobarometer-Umfrage von 2016 gaben nur 17,9% der Befragten an, dass die AU ihrem Land viel helfe. Mehr als 30% der Befragten meinten, nicht genug zu wissen, um diese Frage zu beantworten. Viele Menschen auf dem Kontinent sehen in regionalen Organisationen reine Elitenprojekte, „talking shops“ und „Gewerkschaften der Staatschefs“, die an den Bedürfnissen und Nöten der Bevölkerung vorbei arbeiten und deren primäre Aktivität das regelmäßige Abhalten von Gipfeltreffen ist.
In der Tat sind diese hochrangigen Treffen für viele Afrikaner*innen die einzige alltägliche Situation, in der die Regionalorganisationen wirklich sichtbar werden. Dennoch zeigt die Forschung auch, dass sich diese Sichtweise ändern kann, wenn die Organisationen erfahrbarer und sichtbarer für die Bevölkerung werden. So hat zum Beispiel das Freizügigkeitsprotokoll der ECOWAS dazu geführt, dass diese im Gegensatz zur AU lokal als wesentlich näher und relevanter angesehen wird – obwohl die Umsetzung des Protokolls bei weitem nicht perfekt ist. In Zukunft wird es darauf ankommen, afrikanische Regionalorganisationen nicht nur als politische Arenen, sondern auch als umsetzende Akteure zu unterstützen. Ihre Programme sollten vor Ort sichtbar und zur konkreten Besserung der Lebensverhältnisse beitragen. Hierfür könnten mehr Kooperationen mit der Afrikanischen Entwicklungsbank, deren Mitglied Deutschland ist, initiiert werden sowie auf der Ebene der Mitgliedstaaten mehr Zusammenarbeit mit den vielen Sonderagenturen afrikanischer Regionalorganisationen (etwa der Pan-African University, des AU Sports Council oder der West African Health Organization) gefördert werden. Gerade letzteres bietet Möglichkeiten für mehr ressortgemeinsames Handeln.
Lokale Präsenz und Vernetzung von Regionalorganisationen verbessern
Über die vergangenen Jahrzehnte sind viele Regionalorganisationen insbesondere durch internationale Unterstützung zu Zentren der Professionalisierung und Bündelung von Expertise geworden. Damit wurden vor allem die Kommissionen bzw. Sekretariate gestärkt. Wenig wurde in Strukturen in den Mitgliedsstaaten selbst investiert. Um wie oben skizziert lokal sichtbarer zu werden, wird es solche Strukturen allerdings in Zukunft dringend brauchen. Dies ist keine ganz neue Erkenntnis. So hat die ECOWAS etwa seit einigen Jahren Vertretungen in jedem Mitgliedsstaat, die – wie das Fallbeispiel Ghana zeigt – erfolgreich für mehr lokale Sichtbarkeit und Kontakt zur Bevölkerung arbeiten können. Die deutsche Zusammenarbeit mit den Regionalorganisationen des Kontinents könnte in Zukunft diese Strukturen nicht nur finanziell und technisch unterstützen, sondern auch selbst in Aktivitäten der Botschaften vor Ort stärker einbeziehen.
Deutschlands Rolle als langjähriger Partner für Reformen nutzen
Mit seiner jahrzehntelangen Unterstützung der Regionalorganisationen verfügt Deutschland über ein erhebliches Kapital auf dem Kontinent. Diese Position ermöglicht der Bundesregierung Andockpunkte und Allianzen mit ganz unterschiedlichen afrikanischen Akteuren aus einem breiten ideologischen Spektrum (Panafrikanisten, Anhängern eines developmental regionalism oder liberalen Anhängern einer afrikanischen Freihandelszone). All das bleibt auch in einer neuen multipolaren Phase bestehen. Nach unserer Einschätzung wird diese deutsche Unterstützung der Regionalorganisationen auf dem Kontinent als vergleichsweise unparteiisch und sachorientiert wahrgenommen, d.h. relativ wenig beeinflusst von engen nationalen deutschen Interessen. In den Schaltzentralen der Regionalorganisationen versteht man sehr wohl, dass die AU oder die RECs für Deutschland mehr sind als irgendeine Gelegenheit für projektbezogene Kooperation auf regionaler Ebene. Deutschland ist daher ein glaubwürdiger Partner, verfügt aber auch über die – bislang nicht systematisch genug genutzten – Netzwerke und Einflusskanäle, um zur Weiterentwicklung der afrikanischen Regionalorganisationen beizutragen.
Dr. Antonia Witt ist Leiterin der Forschungsgruppe African Intervention Politics am Peace Research Institute Frankfurt (PRIF). Prof. Dr. Christof Hartmann ist Professor für Internationale Beziehungen und Politik Afrikas und Direktor des Instituts für Entwicklung und Frieden (INEF), UDE. Prof. Dr. Ulf Engel ist Professor für Politik in Afrika, U Leipzig. Zusammen leiten die drei Autor*innen das vom BMBF geförderte Forschungsnetzwerk African Non-Military Conflict Intervention Practices.
Die Verantwortung für die in den Beiträgen und Interviews vorgetragenen Inhalte, Meinungen und Quellen liegt bei den jeweiligen Autor*innen.
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