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Libyen ist kein Partner für die europäische Flüchtlingspolitik

Die jüngsten Vorschläge für eine Kooperation der EU mit Libyen bei der Eindämmung von Migration und Flüchtlingsströmen sollten verworfen werden, meint Wolfram Lacher.

Kurz gesagt, 03.05.2016 Forschungsgebiete

Die jüngsten Vorschläge für eine Kooperation der EU mit Libyen bei der Eindämmung von Migration und Flüchtlingsströmen sollten verworfen werden, meint Wolfram Lacher.

Seit dem Abschluss des EU-Flüchtlingsabkommens mit der Türkei ist Libyen wieder stärker in den Fokus deutscher und europäischer Politik gerückt. Grund sind die mit dem Ende des Winters erneut zunehmenden Überfahrten aus Libyen, die schon in den letzten Wochen mehrere hundert Tote forderten. Anfang April regte Bundeskanzlerin Angela Merkel an, ein ähnliches Abkommen wie mit der Türkei auch mit Libyen abzuschließen. Ahmed Maitig, ein Mitglied des im Dezember 2015 gebildeten libyschen Präsidialrats, erklärte kürzlich in Rom, seine Regierung sei bereit, ein solches Abkommen einzugehen.

Maitigs Vorstoß rief in Libyen sofort entrüstete Reaktionen hervor und war offensichtlich auch nicht innerhalb des Präsidialrats abgestimmt. In jedem Fall aber wären europäische Politiker gut beraten, ihn zu ignorieren. Migranten und Flüchtlinge in das Bürgerkriegsland Libyen zurückzuschicken, ist nicht vertretbar. Ein Replikat des EU-Abkommens mit der Türkei kann man aufgrund des Staatszerfalls in Libyen ohnehin ausschließen. Wenn sie überhaupt überlebt, wird die neue libysche Einheitsregierung weit davon entfernt sein, ihre Grenzen sichern zu können. Ebenso wenig kann man ihr zutrauen, die katastrophalen Zustände in den Internierungslagern für irreguläre Migranten zu verbessern, die staatlicher Aufsicht weitgehend entglitten sind und teils von Milizen kontrolliert werden.

Auch für andere Formen der Kooperation in der Flüchtlingspolitik gibt es in Libyen kaum Potentiale. Das betrifft etwa die von einigen Mitgliedsstaaten angestrebte Ausweitung der EU-Marineoperation Sophia auf libysche Hoheitsgewässer oder sogar an Land, um Schleuser zu verfolgen. Dafür wäre die Zustimmung der Einheitsregierung nötig. Die ist bisher ausgeblieben – und das ist auch besser so, denn der Wiederaufbau einer staatlichen Ordnung in Libyen sollte Priorität haben. Schon jetzt steht die Regierung auf einer äußerst wackligen Basis und wird von vielen in Libyen als eine Marionette des Westens angesehen. Diesem Eindruck muss sie entgegenwirken. Europäische Kriegsschiffe in libyschen Gewässern würden der Glaubwürdigkeit der Regierung in Libyen erheblich schaden – von europäischen Soldaten an Land ganz zu schweigen.

Die Suche nach geeigneten Partnern in der Flüchtlingspolitik war ein wesentlicher Grund für den Druck, den europäische Regierungen auf die libyschen Konfliktparteien ausgeübt haben, um möglichst schnell eine Einheitsregierung zu bilden. Die Kontrolle von Migration wird jedoch bei weitem keine Priorität dieser Regierung sein. Das Abkommen, auf das sich die Einheitsregierung stützt, ist brüchig, und ihre Handlungsfähigkeit ist stark eingeschränkt. Sie verfügt über keine staatlichen Sicherheitskräfte und muss zunächst einmal die Kontrolle über einen gespaltenen, halb kollabierten Staatsapparat gewinnen. So sie nicht von internen Rivalitäten auseinandergerissen wird, wird sie ihre ganze Kraft dafür brauchen, ihre politischen und militärischen Gegner abzuwehren und den wirtschaftlichen Kollaps des Landes abzuwenden.

Migration und Flüchtlingsströme dagegen stellen keine Gefahr für die Regierung dar. Im Zweifelsfall wird sie Schleuserbanden eher gewähren lassen, als sich noch zusätzliche Probleme aufzuhalsen. Sie mit europäischem Druck oder der Aussicht auf Unterstützung dazu zu bewegen, in diesem Bereich tätig zu werden, wird nicht funktionieren – und würde auch nicht dem Ziel dienen, der Regierung bei ihrer schwierigen Aufgabe zum Erfolg zu verhelfen.

Angesichts der Schwäche der Staatsmacht wäre eine denkbare Alternative, direkt mit Akteuren auf der lokalen Ebene zusammenzuarbeiten, um den gefährlichen Überfahrten Einhalt zu gebieten. Etwa mit lokalen Einheiten der libyschen Küstenwache und anderen Sicherheitsorganen, die aufgrund des Staatszerfalls weitgehend autonom agieren. Vielerorts profitieren sie selbst vom Geschäft mit Flüchtlingen und Migranten. Könnte finanzielle Unterstützung aus Europa lokale Drehscheiben des Schmuggels blockieren? Möglicherweise. Aber einerseits hieße dies, mit Kräften zu kooperieren, die außerhalb jeglicher Rechenschaftspflicht handeln und deren Missachtung für die Menschenrechte notorisch ist. Andererseits wäre ein solches Vorgehen nicht nachhaltig, denn Libyen ist stark zersplittert und selbst lokale Kräfteverhältnisse sind äußerst instabil. Solche Arrangements würden also nur für kurze Zeit halten, und für jede abgeriegelte Route würden sich zwei neue ergeben. Der einzig gangbare Weg, Missbrauch und Korruption einzudämmen, ist die schrittweise Wiederherstellung staatlicher Kontrolle – und das ist nur mittelfristig realistisch. Eine direkte europäische Zusammenarbeit mit lokalen Einheiten könnte die Versuche der Zentralregierung, die Befehlsstrukturen zu straffen, sogar behindern.

In Anbetracht der seit 2014 tausenden Opfer von Unglücken bei dem Versuch, von Libyen aus das Mittelmeer zu überqueren, ist Nichtstun keine Option. Doch nach Lösungen wird man auf absehbare Zeit außerhalb Libyens suchen müssen. Nicht nur im Mittelmeer, wo ein weitaus stärkeres europäisches Engagement in der Seenotrettung ebenso nötig ist wie ein Ausbau der „Hotspots“ für die Erstaufnahme auf italienischem Staatsgebiet, sowie eine schnellere Rückführung von Migranten, die kein Recht auf Asyl haben, in ihre Herkunftsländer. Sondern auch entlang der Flüchtlingsrouten nach Libyen, angefangen mit den Nachbarstaaten von Krisenländern wie Somalia und Eritrea, in denen Auffangstrukturen verbessert werden müssen. Anstelle eines militärischen Ansatzes, der in Libyen politischen Schaden anrichten würde, sollte ein stärkerer Fokus auf Polizeiarbeit rücken, um die Drahtzieher libyscher Schleuserbanden bei Reisen in Nachbarländer zu fassen. Und schließlich bedarf es einer Ausweitung legaler Zuwanderungswege sowohl für Arbeitsmigranten als auch für Flüchtlinge, um die Zahl derer zu senken, die bereit sind, für die Überfahrt nach Europa ihr Leben zu riskieren.

Der Text ist auch bei Tagesspiegel.de erschienen.