Mitte November 2018 zitierte die Washington Post mehrere Beamte der CIA, die erklärten, der US-amerikanische Geheimdienst sei zu der Überzeugung gelangt, der saudi-arabische Kronprinz Muhammad Bin Salman persönlich habe den Mord an dem Journalisten Jamal Kashoggi befohlen. Trotzdem weigerte sich Präsident Trump, nennenswerte Sanktionen gegen Saudi-Arabien zu verhängen. Vordergründig ging es ihm dabei um Waffengeschäfte und Arbeitsplätze, noch wichtiger aber dürfte die Rolle Saudi-Arabiens für die amerikanische Iran-Politik sein. Der Rückhalt in den USA trägt dazu bei, dass Muhammad Bin Salman fast sicher nicht nur Kronprinz bleiben, sondern auch der nächste König Saudi-Arabiens werden wird. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, wird sich auch die saudi-arabische Außenpolitik in ihren Grundzügen nicht ändern: Riad wird erstens die Muslimbrüder und ihre staatlichen Unterstützer Katar und die Türkei bekämpfen, zweitens versuchen, die iranische Expansion in der arabischen Welt – vor allem im Jemen, aber auch anderswo – zu stoppen, und sich drittens bemühen, gemeinsam mit den USA, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Israel eine Allianz gegen Iran zu schmieden, die zumindest auf die Eindämmung Irans abzielt.
Der Wandel in der saudi-arabischen Außenpolitik setzte schon vor der Machtübernahme Muhammad Bin Salmans – meist einfach MBS genannt – ein. Spätestens seit 2011 bemühte sich das Königreich, die iranische Expansion in der arabischen Welt zu stoppen und in Syrien sogar zurückzudrängen. Das bedeutete eine dramatische Abkehr von der saudi-arabischen Regionalpolitik seit den 1970er-Jahren, die vor allem auf die Wahrung des Status quo und auf Konfliktlösung durch stille Diplomatie und finanzielle Anreize setzte. Seitdem im Januar 2015 König Salman die Macht übernahm und parallel sein Sohn MBS zum starken Mann des Landes wurde, hat sich der Trend zu einer aggressiveren Außenpolitik deutlich verstärkt.
Zentralisierung der Macht
Die wichtigste Voraussetzung für die aggressivere saudi-arabische Außenpolitik seit 2015 war die fortschreitende Zentralisierung der Macht durch MBS und seine engste Umgebung. Noch im Januar 2015 berief König Salman seinen Lieblingssohn zum Verteidigungsminister und damit zum Leiter des wichtigsten Ressorts neben dem Innenministerium. Im April 2015 wurde MBS zusätzlich zum stellvertretenden Kronprinzen ernannt, nachdem sein Vater den noch von seinem Vorgänger König Abdallah eingesetzten bisherigen Amtsinhaber Muqrin Bin Abd al‑Aziz (geboren 1945) kurzerhand abgesetzt hatte.
Die Neubesetzung machte den Weg für die nächste Generation in der saudi-arabischen Herrscherfamilie frei. Von 1953 bis 2015 war stets ein Sohn des Staatsgründers Ibn Saud (gestorben 1953) auf den verstorbenen älteren Bruder gefolgt, so dass das Alter der Könige kontinuierlich stieg. Die Macht lag in den Händen von rund einem Dutzend oder mehr Prinzen, die die wichtigsten Ministerien und Gouverneursposten als persönliche Pfründe betrachteten und wichtige Fragen der saudi-arabischen Politik gemeinsam entschieden. Da diese Gruppe immer älter und gebrechlicher wurde, wirkte die saudi-arabische Politik in Krisen häufig behäbig. Daher stellte sich spätestens seit den 1990er-Jahren die Frage nach dem Übergang auf die nächste Generation.
König Salman traf die Entscheidung ohne Rücksicht auf Brüder und ältere Neffen. Kronprinz wurde im April 2015 mit Innenminister Muhammad Bin Naif (geboren 1959) ein Neffe Salmans, der sich bereits seit 2003 einen Namen als entschlossener Terrorismusbekämpfer und fähiger Verwalter gemacht hatte. Der damals erst 29-jährige MBS wurde sein Vize, doch es zeigte sich schnell, dass die Regelung wahrscheinlich keinen Bestand haben würde. Denn in der Öffentlichkeit des Landes war der neue Kronprinz schon kurz nach seiner Ernennung kaum mehr präsent, während MBS als der neue starke Mann und Reformer von Gesellschaft und Wirtschaft gefeiert wurde. Vermutlich war Muhammad Bin Naif nur deshalb zum Kronprinzen ernannt worden, weil sich der König und sein Sohn im Frühjahr 2015 noch nicht stark genug fühlten, wichtige Teile der Herrscherfamilie durch die Ernennung von MBS zu brüskieren.
Im Juni 2017 schließlich hatte MBS seine Stellung konsolidiert, so dass er den Kronprinzen stürzen konnte. Muhammad Bin Naif wurde von Gefolgsleuten seines Cousins festgesetzt und bedroht, bis er sich bereit erklärte, zugunsten von Muhammad Bin Salman auf die Thronfolge zu verzichten und sein Amt als Innenminister abzugeben. Er wurde unter Hausarrest gestellt und spielte fortan in der Politik des Landes keine Rolle mehr. König Salman ernannte seinen Sohn zum Kronprinzen und mit Abd al‑Aziz Bin Saud Bin Naif übernahm ein weitgehend unbekannter Neffe Muhammad Bin Naifs, der als Vertrauter Muhammad Bin Salmans gilt, das Innenministerium. Damit hatte MBS die Kontrolle über die Polizei, den Geheimdienst und die starken Paramilitärs des Innenministeriums.
Das letzte außerhalb des Zugriffs Bin Salmans befindliche Machtzentrum war die saudische Nationalgarde. Sie ist ungefähr gleich stark wie die Armee, weil die saudische Herrscherfamilie spätestens seit den 1960er-Jahren einen Putsch des Militärs befürchtete, welchen die Nationalgarde verhindern sollte. Ihr Kommandeur war Mitab Bin Abdallah Al Saud, Sohn des Anfang 2015 verstorbenen Königs Abdallah, der die Garde von 1963 bis 2010 befehligt hatte. Er wurde im November 2017 entmachtet. Damals ließ Bin Salman bis zu 500 teils prominente Prinzen, Unternehmer, Geschäftsleute, Beamte und Offiziere verhaften und im Hotel Ritz-Carlton in Riad unter Hausarrest stellen. Die staatlichen saudi-arabischen Medien stellten die Festnahmen als Teil einer Anti-Korruptionskampagne dar und in den folgenden Wochen wurden die Eingesperrten gezwungen, angeblich unrechtmäßig erworbenes Geld und Besitztümer dem Staat zu überschreiben. Auch wenn die Bekämpfung der Korruption ein Ziel gewesen sein mag, ging es dem Kronprinzen ebenso darum, potentielle Konkurrenten auszuschalten. Der mit Abstand hochrangigste Betroffene war Mitab Bin Abdallah, der kurz vor der Inhaftierung seines Amtes enthoben wurde.
Damit kontrollierte MBS gemeinsam mit wenigen treuen Gefolgsleuten alle bewaffneten Kräfte des Landes. Seit den Tagen des Staatsgründers Ibn Saud (er regierte von 1901 bis 1953) hatte kein saudischer Herrscher eine ähnliche Machtfülle innegehabt. Lediglich der greise König Salman (geboren 1935) stand noch zwischen dem Kronprinzen und der Alleinherrschaft. Auch als die Kashoggi-Affäre im Herbst 2018 drohte, die Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und den USA nachhaltig zu belasten, zeigte Salman keine Absichten, die Machtfülle seines Sohnes zu begrenzen. Dadurch waren letzte Zweifel beseitigt, dass MBS seinem Vater nach dessen Ableben auf den Thron folgen würde.
Aggressive Regionalpolitik
Parallel zur Monopolisierung der Macht entschied sich MBS für eine zunehmend aggressive Regionalpolitik. Neu war vor allem seine Bereitschaft (und die König Salmans), massiv Druck auf Verbündete auszuüben, um sie auf seinen Kurs einzuschwören, und gegenüber Gegnern auf militärische Mittel zu setzen. Die Zielrichtung blieb jedoch weitgehend gleich, denn schon seit 2011 beanspruchte Saudi-Arabien die Führung der Gegenrevolution im Nahen Osten – deren Protagonisten den Arabischen Frühling bekämpften und die Muslimbrüder als ihre gefährlichsten Feinde ausmachten – und versuchte gleichzeitig die iranische Expansion in der Region zu stoppen. In der Ära MBS wurden der Kon-flikt mit Katar und der Krieg im Jemen zu den Schwerpunkten saudi-arabischer Regionalpolitik.
Gegen die Muslimbruderschaft und Katar
Spätestens 2013 entschied die saudi-arabische Führung, den wachsenden Einfluss der Muslimbruderschaft in der arabischen Welt zurückzudrängen. Ihre Politik trug zum Putsch des ägyptischen Militärs gegen die Regierung des Präsidenten und Muslimbruders Muhammad Mursi im Juli 2013 bei. Saudi-Arabien und die VAE dürften maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidung der Ägypter zum Staatsstreich gehabt haben; anschließend halfen sie dem Regime von General Abd al-Fattah as‑Sisi mit Milliardensummen, seine Herrschaft zu stabilisieren.
Der Kampf gegen die Muslimbruderschaft endete jedoch nicht mit dem Sturz Mursis. Gemeinsam mit den ägyptischen Militärs verstärkten Riad und Abu Dhabi ihre Kampagne gegen die Islamisten in der gesamten Region. Diese schienen bis in die erste Jahreshälfte 2013 die großen Profiteure des Arabischen Frühlings zu sein, doch gerieten sie nun in die Defensive. In Ägypten schlugen die Sicherheitskräfte Proteste gegen den Staatsstreich blutig nieder, die Führer der Muslimbruderschaft wurden inhaftiert und zu langen Haftstrafen verurteilt. Die Bewegung wurde verboten und im Dezember 2013 als terroristische Organisation gelistet. Saudi-Arabien und die VAE setzten sie im März bzw. November 2014 ebenfalls auf ihre Terrorlisten und verstärkten ihre Verfolgung von Mitgliedern und Unterstützern.
Für Saudi-Arabien war dies eine neue Politik, denn Riad hatte die Muslimbruderschaft vor 2011 nicht als wichtigen Kontrahenten ausgemacht. Die Wendung von 2013/2014 gegen die Organisation dürfte eher dem Einfluss der VAE geschuldet sein. Deren Kronprinz Muhammad Bin Zayid Al Nahayan hatte die Organisation und ihren lokalen Ableger al-Islah (»Reform«) schon seit seinem Amtsantritt 2003 als potentielle interne Gefahr identifiziert und in den Jahren 2008 und 2011/2012 durch Verhaftungen zerschlagen. Die saudi-arabische Führung übernahm diese Wahrnehmung der Organisation als Bedrohung. Nach dem Amtsantritt Muhammad Bin Salmans als Verteidigungsminister im Januar 2015 wurde die neue Ausrichtung deutlich spürbar, denn den heutigen Kronprinzen verbindet eine enge Beziehung zu seinem Gegenüber aus Abu Dhabi. Häufig wird Muhammad Bin Zayid als politischer »Mentor« des jüngeren Saudis beschrieben und in mehreren Fällen scheinen außenpolitische Initiativen der Saudis auf ihn zurückzugehen.
Gemeinsam wandten sich Saudi-Arabien und die VAE nach ihrem Erfolg in Ägypten gegen Katar. Während Riad und Abu Dhabi die Gegenrevolution vorantrieben, hatte sich das Golfemirat seit 2011 gemeinsam mit der Türkei als wichtigster Unterstützer der Muslimbruderschaft in der Region etabliert. Katar half den Islamisten in Ägypten, Tunesien, Libyen und Syrien vor allem mit Geld, aber auch mit Waffen und PR. Hinzu kam, dass Doha trotz seiner Mitgliedschaft im Golfkooperationsrat – die faktisch ein Bündnis mit Saudi-Arabien und den VAE bedeutete – seit Mitte der 1990er-Jahre eine zunehmend unabhängige Außenpolitik geführt hatte, die auf mehr Nähe zum nördlichen Nachbarn Iran setzte, als Riad lieb war. Der Konflikt eskalierte außerdem, weil sich Katar nicht mit einer unabhängigen Politik begnügte, sondern diese Politik über den populären Fernsehsender Al Jazeera medial bewarb und so die Regierungen in Riad und Abu Dhabi wiederholt provozierte.
Im März 2014 zogen Saudi-Arabien, die VAE und Bahrain ihre Botschafter aus Doha ab. Auf diese Weise protestierten sie gegen die Unterstützung der Muslimbrüder durch Katar und wehrten sich insbesondere dagegen, dass ihnen auf Al Jazeera ein Forum geboten wurde. Zwar ebbte der Konflikt zunächst wieder ab und die Botschafter kamen schon im November 2014 wieder zurück, doch änderte Katar seine Politik nicht. Der Ärger in Riad und Abu Dhabi wuchs, bis MBS und Muhammad Bin Zayid im Juni 2017 handelten. Saudi-Arabien und die VAE verhängten eine vollständige Blockade gegen Katar und schlossen die Land-, Luft- und Seegrenzen. Anschließend stellten Riad und Abu Dhabi Forderungen, die, hätte Katar sie akzeptiert, das Ende seiner eigenständigen Außenpolitik bedeutet hätten. Möglicherweise zielten sie sogar auf einen Sturz des Emirs Tamim Bin Hamad Al Thani ab. Die Situation war in den ersten Tagen so dramatisch, dass das US-Militär – das in Katar den wichtigen Luftwaffenstützpunkt al-Udaid unterhält – kurzzeitig eine saudi-arabische Invasion befürchtete. Die Regierung in Doha war jedoch nicht bereit, sich dem Druck der Nachbarn zu beugen. Mit Milliardensummen sicherte das Emirat die Versorgung der Bevölkerung und baute seine Beziehungen zur Türkei und zum Iran aus.
Konflikt mit Iran
Die saudi-arabische Führung sah die Revolutionen von 2011 immer vor dem Hintergrund des Konflikts mit Iran. Sie befürchtete, die Islamische Republik könnte die Instabilität in der arabischen Welt nutzen, um ihren Einfluss auszuweiten. Als genau dies eintraf, entschloss sich Saudi-Arabien gemeinsam mit den VAE militärisch gegen Verbündete Irans vorzugehen. Auch hier setzte MBS eine Politik fort, die bereits von seinen Vorgängern begonnen worden war, von ihm aber sehr viel rücksichtsloser geführt wurde. Syrien und Jemen wurden zu den wichtigsten Schlachtfeldern des Konflikts.
In Syrien zeigte sich die antiiranische Ausrichtung der saudi-arabischen Politik besonders deutlich. Das Regime von Bashar al-Assad ist nämlich der einzige staatliche Verbündete Irans und Saudi-Arabien hoffte, ein Sturz des syrischen Machthabers würde Irans Stellung im Nahen Osten schwächen. Deshalb unterstützte Riad sunnitische Rebellengruppen. Ende 2014 verstärkte Saudi-Arabien gemeinsam mit der Türkei – zu der es damals bessere Beziehungen unterhielt als heute – Waffenlieferungen an Gruppierungen im Norden Syriens, was dazu führte, dass ein Rebellenbündnis im Frühjahr 2015 fast die gesamte Provinz Idlib einnehmen konnte. Dies hatte nicht nur die russische Intervention des Sommers 2015 zur Folge, sondern auch den Ausbau der Unterstützung Teherans für das Assad-Regime. Diese bestand in erster Linie aus Milizen, die sich aus irakischen, afghanischen und pakistanischen Freiwilligen zusammensetzten und von Mitgliedern der Quds-Brigaden der iranischen Revolutionsgarden angeführt und verstärkt wurden. Es gelang dieser syrisch-russisch-iranischen Allianz bis 2017, die Aufständischen immer weiter zurückzudrängen, bis diese Ende 2018 kurz vor einer vollständigen Niederlage standen. Damit war auch die saudi-arabische Politik in Syrien gescheitert.
Das für Saudi-Arabien deutlich wichtigere Thema ist jedoch seit jeher der Jemen. Schon seit Jahrzehnten fürchtet Riad die Auswirkungen von Instabilität in diesem Nachbarland auf den saudi-arabischen »Süden«, wie die südwestlichen Provinzen des Königreichs im Land genannt werden. Seit 2004 unterstützte es die jemenitische Regierung unter Präsident Ali Abdallah Salih in ihrem Kampf gegen die zaiditischen (und damit schiitischen) Huthi-Rebellen im Norden des Landes, die in Riad als Verbündete Irans gelten, obwohl bis 2011 nur denkbar schwache Belege für Unterstützung aus dem Iran vorliegen. Nachdem die Unruhen des Arabischen Frühlings auch den Jemen erfasst hatten, erstarkten die Huthis. Im September 2014 nutzten sie die Schwäche der Regierung von Präsident Abd Rabbuh Mansur Hadi und verbündeten sich mit Teilen des Militärs, die dem abgesetzten Präsidenten Salih – der nun die Seiten wechselte – loyal ergeben waren. Es gelang ihnen, die Hauptstadt Sanaa einzunehmen und die Regierung zu vertreiben. Im März 2015 marschierten die Rebellen in die südliche Hafenstadt Aden ein, woraufhin Saudi-Arabien und die VAE intervenierten.
Ziel des Krieges war es, die Regierung Hadi wieder an die Macht zu bringen und die Huthis zu zerschlagen. Die Führung in Riad argumentierte, dass mit den Rebellen ein iranischer Klient die Macht übernommen habe und an ihrer Südgrenze eine »jemenitische Hizbullah« zu entstehen drohe. Für die Entscheidung zur Intervention wird gemeinhin MBS verantwortlich gemacht, der zu diesem Zeitpunkt seit zwei Monaten Verteidigungsminister war. Doch hatte die saudische Führung diesen Schritt schon seit 2014 geplant, so dass auch hier eine deutliche Kontinuität zu erkennen war. Außerdem spielte die Führung der VAE ebenfalls eine wichtige Rolle.
Die Verbündeten verhängten eine Land-, Luft- und Seeblockade, um Waffenlieferungen an die Huthis zu verhindern und sie wirtschaftlich zu schwächen. Das saudi-arabische Militär konzentrierte sich auf Luftangriffe im Norden des Jemen. Die VAE hingegen operierten vor allem im Süden, wo emiratisches Militär gemeinsam mit jemenitischen Einheiten Aden zurückeroberte. Das größte Problem der Saudis und Emiratis bestand von Beginn an darin, dass es ihnen an Bodentruppen fehlte. Die VAE versuchten, dieses Manko durch die Ausbildung jemenitischer Einheiten zu beheben, doch blieb deren Schlagkraft begrenzt. Im Ergebnis gelang es der Koalition zwar, den Süden einzunehmen und auch an der Westküste vorzurücken. Das zentrale Hochland und der Norden blieben jedoch in der Hand der Huthis.
Gleichzeitig intensivierten die Iraner ihre Unterstützung für die Rebellen. Vor allem unmittelbar nach der Einnahme Sanaas durch die Huthis dürfte Teheran seine Hilfe ausgebaut haben. Die Hinweise häuften sich, dass Ausbilder der libanesischen Hizbullah den Huthis halfen, eine noch schlagkräftigere Truppe zu formieren. Iran erhöhte die Zahl seiner gelieferten Raketen, mit denen die jemenitischen Rebellen Saudi-Arabien verstärkt seit 2016 beschießen. Während sie in der ersten Zeit vor allem Städte und Gebiete nahe der Grenze ins Visier nahmen, griffen sie seit Ende 2017 mehrfach die saudi-arabische Hauptstadt Riad an. Zwar richteten die Geschosse keinen nennenswerten Schaden an, doch überzeugten sie die saudi-arabische Regierung wiederum von der Gefährlichkeit der Huthis.
Die Koalitionstruppen belagerten seit Juni 2018 die Hafenstadt Hudaida, von der aus der Norden des Landes bis dahin versorgt wurde; darüber hinaus zeigten sich jedoch keine Anzeichen für eine Schwächung der Huthis. Gleichzeitig waren diese fortlaufend auf iranische Hilfe angewiesen. Dadurch rückte das ursprüngliche Ziel Riads, eine Präsenz Irans an der saudi-arabischen Südgrenze zu verhindern, in weite Ferne.
Bündnis mit den USA und Annäherung an Israel
Die Amtsübernahme des amerikanischen Präsidenten Trump im Januar 2017 erweiterte die Handlungsmöglichkeiten Muhammad Bin Salmans, denn die neue Administration entschloss sich zu einer radikal antiiranischen Politik, für die Trump Saudi-Arabien als regionalen Dreh- und Angelpunkt wählte. Die Gegner Irans im Nahen Osten hatten die Politik von Trumps Vorgänger Obama, die ihren Höhepunkt im Atomabkommen vom Juli 2015 fand, vehement abgelehnt. Unter neuer Führung in Washington sahen Saudi-Arabien, die VAE und Israel nun die Chance, gemeinsam mit den USA gegen Iran vorzugehen. Dies führte auch dazu, dass sich die ehemaligen Feinde Saudi-Arabien und Israel einander annäherten.
Trump, Kushner und MBS
Präsident Trump hatte bereits im Wahlkampf die Iran-Politik seines Vorgängers Obama scharf kritisiert und nach seinem Amtsantritt konsequent auf eine Eindämmung Irans gesetzt. Im Mai 2018 kündigte er das Atomabkommen mit Iran auf, das er bereits als Kandidat als »schlechtesten Deal aller Zeiten« bezeichnet hatte. Er argumentierte, dass die Expansion Irans in der arabischen Welt und sein Raketenprogramm – die nicht Bestandteil der Übereinkunft waren – gestoppt werden müssten. Die US-Administration erneuerte daraufhin in zwei Etappen in den Vorjahren aufgehobene Sanktionen gegen die Islamische Republik – im August und im November 2018. Präsident Trump sagte zwar, er sei zu Gesprächen mit dem iranischen Präsidenten Rouhani bereit und ziele auf ein neues, besseres Atomabkommen ab. Im April 2018 jedoch holte Trump mit dem Nationalen Sicherheitsberater John Bolton und mit Außenminister Mike Pompeo zwei Hardliner in sein Kabinett, die in der Vergangenheit mehrfach einen Regimewechsel im Iran gefordert hatten. Dies wurde als Signal dafür gewertet, dass die US-Regierung eine noch aggressivere Iran-Politik zu führen beabsichtige. Es war sogar von einem »Kriegskabinett« die Rede, das Trump zusammengestellt habe.
Die saudi-arabische Führung begrüßte den Machtwechsel in Washington und die neue Iran-Politik. Unter Präsident Obama hatte sie das Atomabkommen zwar akzeptieren müssen, aber für einen schweren Fehler gehalten. In Riad herrschte der Eindruck vor, die USA zögen sich aus der Region zurück und nähmen das hergebrachte Schutzversprechen gegenüber ihren Verbündeten in der arabischen Welt nicht mehr ernst. Besonders erschrocken reagierten die Saudis auf die offenkundige Indifferenz der Obama-Administration, als der ägyptische Präsident Mubarak, jahrzehntelang ein US-Verbündeter, im Februar 2011 gestürzt wurde. Die Annahme, sich nicht mehr auf die USA verlassen zu können, wurde zu einem wichtigen Argument derjenigen in Riad, die eine aktivere Regionalpolitik Saudi-Arabiens für notwendig hielten.
Schon kurz nach ihrem Amtsantritt baute die Regierung Trump enge Kontakte zu Riad auf. Verantwortlich war Jared Kushner, der zum Nahostberater und Hauptverantwortlichen für die Saudi-Arabien-Politik der neuen Administration aufstieg. Schnell entwickelte sich eine enge persönliche Beziehung zwischen dem Trump-Schwiegersohn und MBS. Das erste sichtbare Ergebnis war der Besuch des Präsidenten in Riad im Mai 2017 – seine erste Auslandsreise nach der Regierungsübernahme überhaupt. Während seines Aufenthalts verdeutlichte Trump, dass er die in seinem Wahlkampf angekündigte antiiranische Strategie implementieren wolle und Saudi-Arabien dabei ein besonders wichtiger Partner sein werde. Bin Salman verstand dies offenbar als Ermutigung für eine aggressivere Regionalpolitik – der Boykott Katars begann kurz danach – und möglicherweise auch für die Entmachtung seiner Cousins Muhammad Bin Naif im Juni und Mitab Bin Abdallah im November 2017. Wie sehr die Trump-Administration auf MBS setzte, zeigte sich besonders deutlich nach dem Mord an Jamal Kashoggi am 2. Oktober 2018. Obwohl die CIA laut Presseberichten davon überzeugt war, dass der Kronprinz persönlich das Verbrechen angeordnet habe, folgte Trump seinem Geheimdienst nicht und weigerte sich, nennenswerte Sanktionen zu verhängen. Der wichtigste Grund hierfür war die Rolle des Königreichs für die amerikanische Anti-Iran-Strategie.
Bündnis mit Israel
Für die Eindämmung und Zurückdrängung des Iran setzt die Trump-Administration auf ein regionales Bündnis prowestlicher Staaten, dem außer Saudi-Arabien (und neben den VAE und Ägypten) vor allem Israel angehören soll. Um dieses Zweckbündnis zu ermöglichen, arbeitet vor allem Nahostberater Kushner an einer Annäherung zwischen Riad und Tel Aviv/Jerusalem.
Schon seit langem gehört das Königreich nicht mehr zu den Feinden Israels in der Region. 2002 bot der damalige saudi-arabische Kronprinz und spätere König Abdallah dem jüdischen Staat Frieden an, wenn dieser sich auf die Grenzen von 1967 zurückziehe. MBS ging sogar einen Schritt weiter, als er in Abstimmung mit Kushner den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas im November 2017 nach Riad zitierte und ihn aufforderte, einen Friedensplan zu akzeptieren, in dem die meisten israelischen Siedlungen auf besetztem Territorium bestehen blieben, die Palästinenser auf Jerusalem als Hauptstadt ihres neuen Staates verzichten müssten und auch das Rückkehrrecht der Flüchtlinge aufgegeben würde. Dieser Vorgang zeigte, dass die Palästinenser im Kalkül des Kronprinzen nur ein lästiges Hindernis für sein Verhältnis zu Israel darstellen, das er so rasch wie möglich beseitigen will. Presseberichten zufolge soll König Salman zwar sein Veto eingelegt und eine Lösung verlangt haben, die die Positionen der Palästinenser berücksichtigt. Doch ist unklar, wie lange der greise Monarch seinen Einfluss auf die Politik des Landes noch aufrechterhalten kann.
Die Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Israel ist Ergebnis einer Idee, die seit einigen Jahren in konservativen und rechten Zirkeln in Washington und Tel Aviv/ Jerusalem an Popularität gewonnen hat. Um den Stillstand zwischen Israelis und Palästinensern zu überwinden, setzen sie auf eine Übereinkunft zwischen arabischen Nachbarstaaten und der israelischen Regierung, die eine sich anschließende Regelung mit den Palästinensern nach sich ziehen soll. Saudi-Arabien gewinnt in diesem Konzept immer mehr an Bedeutung, seit es ab 2011 alle früheren Konkurrenten um die Führungsrolle in der arabischen Welt weit hinter sich gelassen hat.
Die saudi-arabische Führung selbst entwickelte Sympathien für ein solches Vorgehen, weil die Furcht vor der iranischen Expansion ihren Blick auf die Region seit 2011 stärker prägt als früher. Israel ist dem Kronprinzen so wichtig, weil es der einzige Regionalstaat ist, der gegebenenfalls alleine einen wirksameren Militärschlag gegen Iran führen könnte. Eine Allianz Saudi-Arabiens und Israels wäre nicht nur in der Lage, die Iraner und ihre Verbündeten in Syrien und im Libanon zu bekämpfen, sondern auch Iran zumindest aus der Luft direkt anzugreifen. Sollten Saudi-Arabien und Israel im Fall einer Krise zusammenarbeiten, wäre es auch leichter, die US-Regierung gemeinsam von der Notwendigkeit militärischer Maßnahmen zu überzeugen – auch wenn das vor dem Hintergrund der ohnehin aggressiven Rhetorik der Trump-Administration zurzeit kaum nötig scheint. Hier könnte Saudi-Arabien von den sehr engen Beziehungen zwischen der Regierung Netanyahu und der Regierung in Washington profitieren.
Selbst wenn unklar bleibt, inwieweit Saudi-Arabien tatsächlich bereit ist, gegebenenfalls nach dem Ableben von König Salman die Vorstellungen der Trump-Administration im israelisch-palästinensischen Konflikt zu unterstützen, dürfte das Königreich zu einer verstärkten Zusammenarbeit mit Israel bereit sein. Dies könnte Syrien betreffen, da beide Staaten ein großes Interesse daran haben, dass iranisch kontrollierte Milizen das Land verlassen. Sollte sich der Konflikt zwischen den USA und Israel auf der einen Seite und Iran auf der anderen Seite verschärfen, dürfte Riad bereit sein, Washington und Tel Aviv/ Jerusalem auch militärisch zu unterstützen.
Deutsche Saudi-Arabien-Politik
Saudi-Arabien war immer ein schwieriger Partner für Deutschland. Einerseits hat sich das Königreich seit den 1940er-Jahren eindeutig auf Seiten der USA positioniert. Die USA schützten es vor äußeren Feinden und Saudi-Arabien lieferte Öl zu maßvollen Preisen. So wurde das Land faktisch zu einem Stützpfeiler der liberalen Weltordnung und – über die USA – zu einem indirekten Verbündeten Deutschlands. Die Bundesrepublik unterhielt schon während des Kalten Krieges gute, wenn auch sehr oberflächliche Beziehungen, die nach 2003 ausgebaut wurden, als Berlin das wachsende kommerzielle Potential Saudi-Arabiens entdeckte und auch die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus verstärkt auf die Tagesordnung kam. Darüber hinaus betonten verschiedene Bundesregierungen die Bedeutung Saudi-Arabiens für die Energie- und Klimapolitik und die Lösung regionaler Konflikte.
Andererseits ist Saudi-Arabien ein autoritärer Staat, der religiöse Minderheiten wie vor allem die einheimischen Schiiten diskriminiert. Die in Saudi-Arabien offiziell vorherrschende Islaminterpretation ist der (sunnitische) Wahhabismus, der auch den meisten Muslimen als extremistische Ideologie gilt. Mit staatlicher Finanzierung exportieren religiöse Einrichtungen wie die Islamische Weltliga dieses Gedankengut und haben damit maßgeblich zum Erstarken des modernen Salafismus beigetragen. Mit dem Aufstieg von al‑Qaida und »Islamischer Staat« (IS) – der letzten Endes auch eine Folge der Verbreitung dieser Ideologie ist – wurde auch die deutsche Öffentlichkeit auf die Rolle Saudi-Arabiens aufmerksam und nahm gegenüber der pragmatischen Politik der Bundesregierung eine kritischere Haltung ein – besonders nach dem Mord an dem Journalisten Jamal Kashoggi.
Dass die deutsche Politik die Ambivalenz der saudi-arabischen Politik widerspiegelt, ist durchaus sinnvoll. Die Bundesregierung sollte weiterhin verdeutlichen, dass sie ein großes Interesse an guten Beziehungen zu Riad hat, das von den Ereignissen der letzten Monate nicht beeinträchtigt wird. Trotzdem liegt es auch in Deutschlands Interesse, Saudi-Arabien und anderen Regimen zu verdeutlichen, dass Morde an Oppositionellen auf dem Territorium von Nato- und/oder EU-Staaten Konsequenzen haben. Nicht nur Saudi-Arabien, sondern auch Russland, Iran und – ironischerweise – die Türkei (mit Aktionen gegen PKK-Personal) haben in den letzten Jahren ähnliche Verbrechen begangen. Wie im Fall des Attentats auf den russischen Ex-Geheimdienstmitarbeiter Sergej Skripal sollten alle Nato-Staaten diplomatisches Personal an saudi-arabischen Vertretungen ausweisen und so deren Kapazitäten für ähnliche Operationen verringern.
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