Im politischen Gefüge Irans ist nach den Wahlen kein Platz mehr für Ahmadineschad. Eine Rückkehr des politischen Zauberlehrlings hält Walter Posch jedoch nicht für ausgeschlossen.
Kurz gesagt, 16.03.2012 ForschungsgebieteIm politischen Gefüge Irans ist nach den Wahlen kein Platz mehr für Ahmadineschad. Eine Rückkehr des politischen Zauberlehrlings hält Walter Posch jedoch nicht für ausgeschlossen.
Auf den ersten Blick bieten die iranischen Parlamentswahlen vom März 2012 keine Überraschungen: wie von den meisten Beobachterinnen und Beobachtern vorausgesagt, verliefen die Wahlen weder frei noch fair, Präsident Ahmadineschad verlor gegen seine konservative Konkurrenz, und die veröffentlichte Wahlbeteiligung lag bei über 60 Prozent, also genau bei der üblichen Zwei-Drittel-Mehrheit, die die islamistischen Eliten des Landes zur Selbstrechtfertigung brauchen. Da liegt der Verdacht der Manipulation nahe, zumal die wichtigsten Vertreter der reformerischen „Grünen Bewegung“, Mir Hossein Musavi, Mehdi Karrubi und Mohammad Chatami, dazu aufgerufen hatten, weder zur Wahl anzutreten noch wählen zu gehen.
Ein wirkungsvoller Wahlboykott jedoch hat nicht stattgefunden, denn trotz des Boykottaufrufs beteiligten sich zwei kleine, aber wichtige Reformparteien, "Volksherrschaft" und "Haus der Arbeit", an den Wahlen, und sogar Expräsident Chatami, Zugpferd der Reformbewegung, gab am Wahltag seine Stimme ab. Er bekannte sich damit zur systemtreuen Reformbewegung. So ging das Kalkül des konservativen Establishments um Wahlsieger Laridschani auf, das eine Integration der gemäßigten Reformerinnen und Reformer anstrebte.
Der Sieg Laridschanis jedoch relativiert sich insoweit, als der weithin unbeliebte Politiker, der im Jahr 2005 als Hauptkandidat der Vereinigten Rechten gerade einmal vier Prozent bekam, auf einen Listenplatz von Ghom gesetzt wurde, wo er als Sohn eines Großayatollahs quasi Heimatrecht genießt. Offensichtlich hatte man befürchtet, dass er weder im heimatlichen Gilan noch im urbanen Teheran ausreichend Stimmen bekäme. Und schließlich fanden 78 der insgesamt 290 Abgeordneten die Liste Ahmadineschads so attraktiv, dass sie trotz der Missgunst, in die der Präsident seit dem Frühling 2011 beim Revolutionsführer gefallen ist, bereit waren, auf ihr zu kandidieren. Dies muss als Achtungserfolg für Ahmadineschad gewertet werden.
Zerschlagung der "Grünen Bewegung" stärkt systemtreue Reformerinnen und Reformer
Was bedeuten die Wahlen nun für die politischen Kräfteverhältnisse im Iran? Zunächst einmal muss der Wahlgang in den Kontext der innenpolitischen Dynamik der letzten Monate gestellt werden. Hier ist das wichtigste Ereignis nicht die Schwächung Ahmadineschads, sondern die endgültige Zerstörung dessen, was die "Grüne Bewegung" hätte sein können: eine prodemokratische Plattform, die unter der Führungspersönlichkeit Musavi iranische Reformerinnen und Reformer sowohl im Iran als auch im Ausland vertritt. Dem Regime gelang die Spaltung des inländischen Teils der Bewegung von ihrem ausländischen Flügel im Zuge des Jahres 2010. Endpunkt dieser Entwicklung war die Selbstauflösung der wichtigsten Reformpartei, Chatamis "Islamischer Partizipationsfront", im Frühling 2011. Die Partizipationsfront war jene Partei, der der Brückenschlag zu den säkular orientierten Demokratinnen und Demokraten gelungen war; von ihr hätte eine rein demokratische – nicht islamisch-demokratische – Bewegung ausgehen können. Durch das politische Ende der Partizipationsfront bleibt ihren Mitgliedern und den wenigen verbliebenen Kadern kein anderer Weg als die innere Emigration oder die Integration in die allgemeine systemtreue Reformbewegung, wie von Ex-Präsident Chatami mit seiner Stimmabgabe am 2. März vollzogen.
Die Reaktionen auf Chatamis Stimmabgabe waren positiv: so lobte Ali Motahhari, der Vorsitzende der konservativen Volksstimme-Partei, Chatami als verantwortungsbewussten Politiker, dem es um innenpolitische Versöhnung gehe. Damit hielt er die Gesprächskanäle zwischen den Reformkräften und jenen moderaten Konservativen offen, die den Reformerinnen und Reformern zwar eine Lektion erteilen wollten, aber niemals daran dachten, sie zu vernichten. Die radikalen Hezbollahis hingegen, die sich unter dem Label "Prinzipalisten" mehr schlecht als recht mit den Konservativen um Laridschani vereint hatten, haben kaum noch eine politische Plattform. Am ehesten stehen sie noch der "Stabilen Front" nahe, vor allem den Anhängern des Ghomer Hasspredigers Mesbah-Yazdi - mit dem Rest unter Gholamali Haddad-Adel gibt es nur wenige Berührungspunkte.
Kein Platz für den politischen Zauberlehrling Ahmadineschad?
Aus Sicht des Revolutionsführers hat sich die politische Lage somit normalisiert: die "Grüne Bewegung" ist im Ausland, die Reformerinnen und Reformer haben sich unter konservativer Aufsicht in den politischen Prozess integriert, die schlimmsten Extremistinnen und Extremisten sind ohne echte politische Plattform isoliert, und für iranische Verhältnisse gemäßigte Personen – also Konservative wie die Laridschani-Brüder, Ali Motahhari und der Wirtschaftsexperte Ahmad Tavakkoli – sitzen an den Schalthebeln der formellen und informellen politischen Macht. Dass alle drei Cousins und Söhne wichtiger Ayatollahs sind, unterstreicht nur den Charakter der Normalisierung nach Chameneis Geschmack. Alles eitel Wonne sozusagen, wäre da nicht – Ahmadineschad.
Dem politische Zauberlehrling, von dem das Establishment erwartet, dass er sich während seiner letzten Amtszeit ruhig verhält und dann geht, ist wieder etwas eingefallen: wie die meisten Populistinnen und Populisten hat auch er ein feines Gespür für jene Probleme, die die Eliten am liebsten ignorieren würden. In diesem Falle ist es die ethnische Frage, die im Vielvölkerstaat Iran an Bedeutung gewinnt. Ahmadineschad will sie mit einem neuen, kulturellen Verständnis des Iraner-Seins jenseits der Ethnizität entschärfen. Im Prinzip ist dies ein vernünftiger Gedanke. Nur ist in der Normalisierung à la Chamenei kein Platz für Ahmadineschad. Andererseits: wer weiß, ob der Teheraner Populist nicht doch wieder einmal die Hand am Puls der Zeit hat. Einen Vorgeschmack dessen, was noch kommen kann, lieferte er bei seiner Anhörung im Parlament nach der Wahl: er brillierte auf dieser Bühne ganz besonders, wohl auch, weil er als ehemaliger Verhörexperte kritische Fragen problemlos meistert, ob sie nun von Journalistinnen und Journalisten oder von Parlamentarierinnen und Parlamentariern kommen. War er am Wahltag noch leicht angeschlagen, ist er nun wieder auf der Höhe seiner politischen Fähigkeiten. Ein Jahr hat er noch als Präsident. Es wird interessant sein zu beobachten, wie er sich in Szene setzt, wenn er keine Regierungsverantwortung mehr trägt.
Contribution to a Research Paper 2012/RP 06, 28.02.2012, 71 Seiten, S. 39–41
Irans politische Rechte und die Perspektiven für einen neuen Elitenkompromiss
Working Paper based on a presentation delivered on 17 March 2010 at the European Parliament