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Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat das Ziel ausgegeben, die deutsch-französischen Beziehungen zu revitalisieren und eine »neue Partnerschaft« zwischen Paris und Berlin zu begründen. In der Außen- und Sicherheitspolitik sowie in Teilen der Europapolitik konnte dieser Anspruch jedoch selten eingelöst werden.
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Hauptgrund hierfür sind strukturelle Veränderungen in den internationalen Beziehungen, auf die Frankreich und Deutschland unterschiedlich reagieren: Paris sucht neue Wege, seine verteidigungspolitische Handlungsfähigkeit zu erhalten und das strategische Vakuum zu füllen, das entstanden ist durch das nachlassende Interesse der USA an Europa und seiner Peripherie. Berlin setzt auf die Weiterentwicklung von Nato und EU als grundlegenden Organisationen deutscher Außenpolitik.
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Zudem erschweren nationale Alleingänge, Desinteresse und ein ungenügender Erfahrungsaustausch einen bilateralen Interessenausgleich.
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Eine neue Intensität der bilateralen Zusammenarbeit setzt erstens voraus, dass sich Paris und Berlin in ihren bestehenden außen- und sicherheitspolitischen Kooperationsformaten einer Gesamtschau der internationalen Gemengelage stellen. Sie müssen ihre jeweilige Betroffenheit sowie ihre Interessen offen besprechen und aus ihnen konkrete Maßnahmen ableiten.
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Zweitens müssen sie sich darauf verständigen, dass nationale Alleingänge unterbleiben und ein Desinteresse an den außen-, sicherheits- und europapolitischen Druckpunkten des Partners nicht geduldet wird. Die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung sollte die Exekutiven beider Länder dazu anhalten, den Élysée-Vertrag wie den Vertrag von Aachen zu erfüllen.
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Zu diesen Ergebnissen kommen die sechs Fallstudien zu Libyen, zur Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, zur Wirtschafts- und Währungsunion, zu Russland, zur Nato und zur Türkei.
Inhaltsverzeichnis
1 Problemstellung und Empfehlungen
2.1 Bilaterale Zusammenarbeit in der Krise
2.3 Fragestellung und Aufbau der Studie
3.1 Grundannahmen unter Macron
3.2 Europäische Souveränität als Schlüsselkonzept
3.3 Strukturelle Unterschiede erschweren die deutsch-französische Kooperation
4 Macron als Spoiler in Libyen
5 Die GSVP – ein Instrument, kein Grundpfeiler französischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik
5.1 Inklusiv versus ambitioniert – der deutsch-französische Kompromiss zerbricht
5.2 Reibungspunkte bei der Umsetzung der GSVP‑Reformagenda
5.3 Zweierlei Vorstellung von der GSVP
5.4 Ein verändertes Umfeld – Frankreich unter Zugzwang
5.5 Kompromisszwang als Hindernis
6 Eher Fortsetzung als Revolution: Fünf Dimensionen der Politik Macrons gegenüber der Eurozone
6.1 Frankreich, Deutschland und die historische Dimension der Währungsintegration
6.2 Herausforderungen des französischen Wirtschaftsmodells
6.3 Macron, Berlin und der Euro: Suche nach der Führungsrolle
6.4 Frankreich und die EZB: Politik trifft Geldpolitik
6.5 Covid‑19: ein Stresstest für die Eurozone und für das deutsch-französische Tandem
6.6 Ausblick: Paris und Berlin in der Post‑Covid‑19-Eurozone
7 Macrons Russlandpolitik: Bereits gescheitert?
7.1 Verschiebung der Rollen in der Russlandpolitik
7.2 Der französische Ansatz vis-à-vis Russland: Vor allem geopolitisch
7.3 Konsequenzen für das deutsch-französische Verhältnis: Noch in Bewegung
8 Ein engagierter, aber schwieriger Verbündeter: Frankreichs Nato-Politik
8.1 Deutsch-französische Unterschiede
8.2 Ansätze zur Nato unter Macron: Militärisches Bündnis, aber auch politische Allianz
8.2.1 Kontinuität in den Grundannahmen
8.2.2 Überraschende Aufwertung der politischen Rolle
8.2.3 Das Türkei-Problem der Nato
8.3 Folgen für das deutsch-französische Verhältnis
9 Frankreich und die Türkei – Entfremdung und strategische Rivalität
9.1 Türkische Beeinflussung der Diaspora
9.2.1 Konflikt im östlichen Mittelmeer
Problemstellung und Empfehlungen
Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron hat sich zum Ziel gesetzt, die deutsch-französischen Beziehungen zu revitalisieren und eine »neue Partnerschaft« zwischen Paris und Berlin zu begründen. Über den Vertrag von Aachen haben sich beide Seiten 2019 verpflichtet, ihre Zusammenarbeit in der Außen-, Sicherheits- und Europapolitik zu vertiefen. Vier Jahre nach Macrons Amtsantritt und zwei Jahre nach Abschluss des Aachener Vertrags muss konstatiert werden, dass dieser Anspruch in der Außen- und Sicherheitspolitik sowie in Teilen der Europapolitik kaum eingelöst werden konnte. Dafür verantwortlich gemacht wird diesseits wie jenseits des Rheins zuvorderst die Zurückhaltung der Bundesregierung: Zu oft habe diese die Vorschläge des französischen Präsidenten unbeantwortet gelassen. Berlin wiederum beklagt eine Reihe außen-, sicherheits- und europapolitischer Alleingänge Macrons und einen mitunter disruptiven Politikstil.
Die vorliegende Sammelstudie sieht die wichtigste Ursache dafür, dass sich die deutsch-französische Zusammenarbeit kaum fortentwickelt hat, hingegen in einer unterschiedlichen Interpretation und Gewichtung struktureller Veränderungen in den internationalen Beziehungen. Sie analysiert sechs Dossiers, in denen sich Deutschland während der Präsidentschaft Macrons irritiert gezeigt hat über die Politik seines Partners: Frankreichs Haltung in Libyen, die Neuausrichtung seiner Russlandpolitik, seine konfrontative Beziehung zur Türkei, seine Kritik an der Nordatlantischen Vertragsgemeinschaft (Nato), die Infragestellung deutsch-französischer Vorschläge zur Weiterentwicklung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der Europäischen Union (EU) sowie die unverhohlene Kritik an der deutschen Politik in der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU). Die Studie kommt zu folgenden Ergebnissen:
Präsident Macron hat seit 2017 veränderte Grundannahmen der französischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik durchgesetzt. Paris erkennt darin an, dass sich die USA zu einem Zeitpunkt weiter aus Europa zurückziehen, in dem die Handlungsfähigkeit Frankreichs begrenzt ist. Gestaltungsfähig bleibe Frankreich allein in der und über die europäische Politik. Europa, womit Macron nicht notwendigerweise die EU meint, müsse in die Lage versetzt werden, selbstständig über das eigene Schicksal zu entscheiden. Andernfalls werde es zur »Verhandlungsmasse« der Großmächte USA und China.
Diese veränderte Sicht auf die internationalen Beziehungen und den eigenen Handlungsspielraum hat den Präsidenten 2019 dazu geführt, Frankreichs Beziehungen zu Russland neu auszurichten. Die Nato erklärte Macron politisch für »hirntot«, weil sie in seinen Augen zu zentralen Themen der europäischen Sicherheit nicht sprechfähig sei. Da ein rasches und entschiedenes Handeln im Kreis der 27 EU-Mitgliedstaaten nicht möglich ist, veranlasste Macron bereits im September 2017, flexible, zielorientierte Formate über den Ausbau der GSVP zu stellen. Insbesondere die starke Belastung seiner Streitkräfte zwingt Frankreich in Partnerschaften, die operativ ausgerichtet sind.
Während Paris den strukturellen Veränderungen in den internationalen Beziehungen einen hohen Stellenwert einräumt und einem großen Anpassungsdruck unterliegt, zielt Berlin vorrangig darauf ab, Nato und EU als grundlegende Organisationen deutscher Außen- und Sicherheitspolitik weiterzuentwickeln. Ein deutsch-französischer Interessenausgleich lässt sich somit immer schwerer erreichen.
In der Türkeipolitik zeigt sich, dass Emmanuel Macron auf geopolitische Veränderungen reagiert, gleichzeitig aber bestrebt ist, die Größe und den Rang seines Landes wiederherzustellen. Durch den Rückzug der USA aus Europa und dem Nahen und Mittleren Osten sowie das Desinteresse der europäischen Staaten ist ein geostrategisches Vakuum entstanden. Macron verweist darauf, dass Regionalmächte dieses zu ihren Gunsten zu nutzen wüssten. Dementsprechend tritt Frankreich der türkischen Außenpolitik seit dem Sommer 2020 energisch entgegen. Im gleichen Atemzug verteidigt Paris jedoch gegen Ankara seinen eigenen Anspruch, im Nahen Osten und in (Nord-)Afrika eine Vorrangstellung einzunehmen.
Wann immer Frankreichs Präsidenten ein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein haben, geht dieses einher mit nationalen Alleingängen in der Außen- und Europapolitik. Auch nationales Interesse setzt Frankreich dann überaus stark um. So wird etwa Frankreichs Libyenpolitik unter Emmanuel Macron maßgeblich von den Sonderbeziehungen des Landes zu den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) beeinflusst, mit denen Paris eine intensive Rüstungskooperation unterhält. Das Beispiel der WWU macht allerdings deutlich, dass selbst ein sendungsbewusster Präsident in gewissen Themenfeldern Pfadabhängigkeiten unterworfen ist. Bei der Weiterentwicklung der WWU setzt das französische Wirtschaftsmodell Macron enge Grenzen. Weil diese durch die globale Corona-Pandemie verschärft werden, werden die Spannungen zwischen Berlin und Paris in Bezug auf den Ausbau der WWU anhalten.
Schließlich ist einer neuen deutsch-französischen Partnerschaft der Umstand abträglich, dass Frankreichs Präsident wenig geneigt ist, Erfahrungen in seine Politik einfließen zu lassen, die Berlin in den letzten Jahren etwa im Umgang mit Russland oder der Türkei gemacht hat. Die Politik, die Frankreich 2019 gegenüber Russland eingeschlagen hat, ähnelt derjenigen Deutschlands vor 2014. Gleichzeitig trifft Macron immer wieder auf eine deutsche Politik, die für Schlüsseldossiers der französischen nur geringes Interesse aufbringt, Libyen zum Beispiel. Berlin muss sich fragen, ob ein stärkeres Einwirken auf Frankreich den 2019 ausgebrochenen Bürgerkrieg in Libyen verhindert oder eingedämmt hätte.
Unter zwei Voraussetzungen kann eine neue Intensität der bilateralen Zusammenarbeit in der Außen-, Sicherheits- und Europapolitik erreicht werden:
1) |
Paris und Berlin sollten eine Gesamtschau der internationalen Gemengelage vornehmen, und zwar sowohl bei den Zusammenkünften des Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates (DFVSR) als auch in den Gremien, die zur Umsetzung des Vertrags von Aachen geschaffen wurden. Sie sollten ihre jeweilige Betroffenheit und ihre Interessen offen zur Sprache bringen. Zur Vorbereitung könnten beide Seiten die außen- und sicherheitspolitischen Informationen der Single Intelligence Analysis Capacity (SIAC) der EU nutzen. Eine gemeinsam erarbeitete Agenda sollte klar benennen, wie Frankreich und Deutschland zur Lösung von Krisen und Konflikten beitragen wollen. Auf diese Weise könnte der DFVSR den Weg zu einem Europäischen Sicherheitsrat ebnen. |
2) |
Es gilt, Mut zu zeigen und sich darüber zu verständigen, wie nationale Alleingänge oder das Desinteresse an den außen-, sicherheits- und europapolitischen Druckpunkten des Partners besser beurteilt werden können. Die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung hat sich zur Aufgabe gemacht, über die Anwendung der Bestimmungen des Élysée-Vertrags wie des Vertrags von Aachen zu wachen. Entsprechend könnte sie die Exekutiven beider Länder öffentlich zur Vertragserfüllung ermahnen. |
Einleitung: Frankreichs Außen- und Sicherheitspolitik unter Präsident Macron – Dissonanzen in der deutsch-französischen Zusammenarbeit
Als Emmanuel Macron am 14. Mai 2017 in den Élysée-Palast eingezogen ist, schien eine neue Ära in den deutsch-französischen Beziehungen denkbar. Bereits im Präsidentschaftswahlkampf hatte Macron der Bundesregierung die Hand gereicht: Eine Erneuerung der Europäischen Union (EU) sei allein auf der Grundlage einer intensivierten Zusammenarbeit zwischen Paris und Berlin möglich.1 Zwei Tage nach den Wahlen zum 19. Deutschen Bundestag schlug er in einer Grundsatzrede an der Universität Sorbonne »Deutschland in erster Linie eine neue Partnerschaft« vor. In dieser Europa-Rede betonte Macron:
»Wir werden uns nicht immer in allen Dingen einig sein oder nicht immer sofort, aber wir werden über alles sprechen. Denjenigen, die sagen, es handele sich um eine unmögliche Aufgabe, antworte ich: Sie haben sich daran gewöhnt, zu resignieren, ich nicht. Denjenigen, die sagen, es sei zu hart, antworte ich: Denken Sie an Robert Schuman, nur fünf Jahre nach einem Krieg, das Blut kaum getrocknet.«2
Bilaterale Zusammenarbeit in der Krise
Zuletzt warb Frankreichs Staatspräsident im Februar 2020 offensiv um Berlin. Auf der Münchener Sicherheitskonferenz mahnte er das Fehlen der bilateralen Zusammenarbeit an: »Wir brauchen im Herzen Europas mehr Gemeinsamkeiten. Ein Herz, das sehr viel integrierender arbeitet als heute.«3 Zu diesem Zeitpunkt war auf beiden Seiten des Rheins klar, dass Berlin und Paris es nicht vermocht hatten, eine »neue Partnerschaft« zu begründen. Das Verschulden an der nur mäßig funktionierenden deutsch-französischen Kooperation schrieben in Deutschland Medien und Politik fraktionsübergreifend Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrer Regierung zu. Schon seit Herbst 2018 wird Kanzlerin Merkel dafür kritisiert, dass sie auf die in Macrons Europa-Rede enthaltenen Vorschläge und Appelle nicht reagiert. Frankreichs Präsident gibt dieser Kritik seit Sommer 2019 ebenfalls öffentlich Nahrung: etwa wenn er »klare Antworten« Deutschlands und Frankreichs auf die derzeitigen Probleme in Europa verlangt oder wenn er beklagt, das Kennzeichen der deutsch-französischen Beziehungen sei »eine Geschichte des Wartens auf Antworten«.4 Dass sich das deutsch-französische Verhältnis zurzeit eher schwierig gestaltet, lässt sich aus den Warnungen Macrons herauslesen, wonach das Scheitern der Beziehungen zwischen den beiden Ländern ein »historischer Fehler« wäre.5
Zwar gibt es durchaus gemeinsame Erfolge, allen voran die »Deutsch-französische Initiative zur wirtschaftlichen Erholung Europas nach der Corona-Krise«,6 die Bemühungen um einen gemeinsamen Kurs in den Zukunftsthemen Klima, Umwelt, Digitalisierung7 oder den Abschluss des EU–China-Investitionsabkommens – ihnen folgen aber allzu oft heftige Wortwechsel. Im November 2020 zum Beispiel widersprachen die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und der französische Präsident einander mit deutlichen Worten, als es um die Frage der Notwendigkeit einer »strategischen Autonomie« Europas ging.8
Frankreichs Alleingänge
Zu den Spannungen zwischen Berlin und Paris beigetragen haben indes nicht allein die ausbleibenden deutschen Antworten. Vielmehr hat Frankreich unter der Präsidentschaft Emmanuel Macrons eine Reihe außen- und sicherheitspolitischer Entscheidungen getroffen, die Berlin überrascht, mitunter sogar irritiert haben: Mal war Deutschland dem Vernehmen nach nicht informiert, mal konnte kein Kompromiss gefunden werden, weil Frankreichs Vorgehen der deutschen Politik entgegenlief, ein anderes Mal schließlich scheint Paris bewusst einen disruptiven Weg gewählt zu haben. In chronologischer Reihenfolge gilt dies für:
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Libyen: Im Juli 2017 traf Präsident Macron den abtrünnigen General Haftar und hat ihn damit international hoffähig gemacht. Anstatt Haftar dazu zu bewegen, mit der international anerkannten Einheitsregierung in Tripolis einen Kompromiss auszuarbeiten, hat die französische Linie ihn letztendlich dazu ermutigt, im April 2019 Tripolis anzugreifen und damit einen neuen Bürgerkrieg zu beginnen.
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Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU (GSVP): Im Juli 2017 haben Berlin und Paris einen Durchbruch bei der Etablierung der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit erzielt. Im September 2017 schien Präsident Macron von diesem Konsens abzurücken, als er vorschlug, eine Europäische Interventionsinitiative zu gründen. Seit November 2018 wird dieses Projekt außerhalb des EU-Rahmens verfolgt. Der deutsch-französische Konflikt um die strategische Handlungsfähigkeit Europas ist im November 2020 neu entflammt.
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Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) / Eurozone: Ab dem Sommer 2019 verschärft Macron den Ton gegenüber der deutschen Haltung in der Eurozone. Wiederholt forderte er die Abkehr von den europäischen Finanzregeln. Die Schuldengrenze von 3 Prozent der nationalen Haushalte sei »eine Debatte aus einem anderen Jahrhundert«. Deutschlands Rolle in der Eurozone beschrieb er mit den Worten: »Sie [die Deutschen] sind die großen Gewinner der Eurozone und selbst ihrer Funktionsstörungen.« Der »deutsche Apparat« müsse erkennen, dass diese Situation »nicht haltbar« sei.9
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Russland: Im August 2019 rief Präsident Macron die Botschafterinnen und Botschafter seines Landes dazu auf, über Frankreichs Beziehungen zu Russland neu nachzudenken. Die gegenwärtige Distanz zu Moskau sei ein strategischer Fehler. In einem veränderten internationalen Umfeld könne sich Europa eine konfliktbeladene Beziehung zu Russland nicht leisten. Vielmehr müsse die EU ihrem Nachbarn Russland als strategische Alternative zu China offenstehen.10
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Nato: Die Neuausrichtung der französischen Russlandpolitik wog (und wiegt) umso schwerer, als Emmanuel Macron im November 2019 die Nato für »hirntot« erklärte.11 Er kritisierte, dass die Nato-Mitglieder USA und Türkei in Syrien gehandelt hätten, ohne sich vorher mit ihren Partnern abgesprochen zu haben, obgleich auch deren Interessen auf dem Spiel stünden. Nur Tage zuvor hatte Macron seine Nato-Partner schon einmal brüskiert: mit einem Brief an den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Darin offerierte er Putin, den russischen Vorschlag eines Moratoriums für die Stationierung atomarer Kurz- und Mittelstreckenraketen zu prüfen, obwohl die Nato diesen als nicht glaubhaft eingestuft hatte. Hintergrund des Briefes war das Auslaufen des Vertrags über das Verbot landgestützter Mittelstreckenraketen (INF-Vertrag) im August 2019. Russland müsse nun in Überlegungen zu einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur eingebunden werden.12
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Türkei: Im Sommer 2020 hat Frankreich im östlichen Mittelmeer Partei ergriffen und führte gemeinsame Militärmanöver mit Griechenland und Zypern durch. Von seinen EU-Partnern fordert Macron, »mit der Regierung von Präsident Erdoğan, die sich heute inakzeptabel verhält, klar und entschieden« umzugehen.13 Der avisierten Zollunion zwischen der EU und der Türkei werde er seine Zustimmung verweigern.14
Fragestellung und Aufbau der Studie
Wie kann die Außen-, Sicherheits- und Europapolitik Frankreichs unter der Führung Präsident Macrons erklärt werden? Warum unterscheidet sie sich in zentralen Fragen deutlich von der deutschen Politik – obgleich beide Länder politisch so eng verbunden sind wie kein anderes Staatenpaar in den internationalen Beziehungen?15
Die vorliegende Studie nimmt an, dass die Gründe hierfür darin liegen, dass Berlin und Paris strukturelle Veränderungen in den internationalen Beziehungen unterschiedlich wahrnehmen und bewerten. Entsprechend lautet ihre Fragestellung: Welche strukturellen Veränderungen der internationalen Beziehungen nimmt Frankreich wahr und wie bewertet es diese?
Um diese Frage zu beantworten, gehen die Fallstudien analytisch in drei Schritten vor: Zunächst stellen sie für die einzelnen Politikfelder die wichtigen Unterschiede zwischen Berlin und Paris heraus. Im Anschluss daran werden die strukturellen Veränderungen in den Blick genommen. Die Autorinnen und Autoren fragen, ob und in welchem Maße diese Veränderungen die Außen-, Sicherheits- und Europapolitik Macrons erklären können. Kontrafaktisch wird geprüft, ob andere Motive als Erklärung für die Politik Frankreichs in Betracht kommen. Abschließend bemessen die Autorinnen und Autoren die Konsequenzen, die sich aus ihren jeweiligen Analysen für die deutsch-französische Zusammenarbeit ergeben.
Die Studie verzichtet bewusst darauf, die institutionelle Dimension der deutsch-französischen Beziehungen zu untersuchen. Sie zeichnet nicht nach, welches Gremium zu welchem Zeitpunkt Kenntnis von den politischen Intentionen des Partners hatte. Der Umstand, dass Berlin und Paris in den zurückliegenden Jahren in wesentlichen Fragen der europäischen wie der internationalen Politik keinen Interessenausgleich erzielen konnten, weist aus Sicht der Autorinnen und Autoren vielmehr darauf hin, dass veränderte Strukturen im internationalen Umfeld zwischen Deutschland und Frankreich nicht ausreichend thematisiert wurden. Hierzu will die vorliegende Sammelstudie einen Anstoß liefern, indem sie eine umfassende Analyse und Bewertung der französischen Außen-, Sicherheits- und Europapolitik unter Präsident Macron bereitstellt.
Französische Sicherheits- und Verteidigungspolitik unter Präsident Macron – pragmatisch, ambitioniert, disruptiv
Frankreichs aktuelle Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist von spezifischen Grundannahmen und Zielen geprägt, die sich auf allen in dieser Studie untersuchten Handlungsfeldern niederschlagen.
Traditionell bildet die französische Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit Blick auf Inhalt und Form eine Herausforderung für Deutschland. Bei nationalen Interessen, Kooperationsformaten und den Grundsätzen zum Einsatz militärischer Gewalt folgt Frankreich einem anderen Verständnis als die Bundesrepublik. Zugleich vertritt Paris die eigene Sichtweise offensiver als Berlin. Seit dem Amtsantritt von Präsident Macron haben sich diese Differenzen vertieft. Die Folge waren Missverständnisse und Verstimmungen auf beiden Seiten. Heute ist das bilaterale Verhältnis in zentralen sicherheitspolitischen Bereichen angespannt – von der Nato und der europäischen Verteidigung über die industrielle Kooperation bis hin zu länderspezifischen Dossiers. Zwar scheinen sich beide Partner bewusst zu sein, dass Zusammenarbeit notwendig ist. Die strukturellen Unterschiede erschweren diese jedoch und bremsen den Fortschritt bei der Umsetzung gemeinsamer Ziele.
Grundannahmen unter Macron
In den letzten Jahren haben sich einige Grundannahmen der französischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik verändert. Dieser Wandel hatte bereits vor Macrons Präsidentschaft eingesetzt, wurde seitdem aber vorangetrieben und schriftlich verankert, etwa in der Revue stratégique von 2017,1 deren Aktualisierung von 20212 und in Beiträgen von Regierungsvertretern. Macron hat seine Weltanschauung in Interviews und Reden weiterentwickelt.3 So ergibt sich ein aus französischer Perspektive schlüssiger Ansatz, der allerdings in der Praxis nicht immer durchgehalten wird. Gleichzeitig fällt es einigen Partnern Frankreichs schwer (auch Deutschland), sich von liebgewonnenen Vorannahmen zur französischen Politik zu trennen. Dies führt zu Fehldeutungen und erschwert die Kooperation.
Der Brexit und Trumps Wahlsieg 2016 waren für Paris keine Zufälle, sondern Folgen eines strukturellen Wandels.
Aus Pariser Sicht haben sich die europäischen und globalen Rahmenbedingungen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik grundlegend verändert. Die liberale Weltordnung, die nach Ende des Kalten Krieges dominiert hatte, geprägt durch multilaterale Institutionen, durch Allianzen und Freihandel, wird demnach zunehmend in Frage gestellt, selbst in den europäischen Demokratien.4 Ereignisse wie der Wahlsieg Donald Trumps 2016 oder der Brexit sind aus dieser Perspektive keine Ausnahmen, sondern Beispiele und Folgen struktureller Wandlungsprozesse, auf die Frankreich und Europa reagieren müssen. Dabei gelten die eigenen (französischen) Handlungsfähigkeiten als begrenzt, wenn es darum geht, eine internationale Ordnung zu gestalten, die immer stärker von chinesisch-amerikanischer Rivalität, von Systemkonflikten und einem veränderten US-Führungsanspruch gekennzeichnet ist. Gestaltungsmöglichkeiten sieht Paris nur auf europäischer Ebene. Deshalb seien die Staaten des Kontinents gefordert, so Außenminister Jean-Yves Le Drian, sich »wieder auf unsere europäischen Ziele zurückzubesinnen und dabei den Narzissmus unserer kleinen Differenzen zu überwinden«.5 Dieses Anliegen betrachtet Paris als überaus dringlich, entsprechend warnte Le Drian: »Wir stehen vor einer sehr klaren Alternative – entweder wir streifen die Zurückhaltung ab, mit der wir zu lange gelebt haben, oder wir werden aus unserer eigenen Geschichte hinweggefegt.«6
Die europäischen Partner jedoch wollen, so die französische Wahrnehmung, ihre eigene strategische Schwäche in einer zunehmend machtbasierten Welt nicht erkennen oder zögern, die Konsequenzen daraus zu ziehen. Für Frankreich lautet die Antwort: europäische Souveränität. Gemeint ist damit ein übergeordneter kohärenter Ansatz für ein Europa, das in politischer, technologischer, wirtschaftlicher, digitaler sowie militärischer Perspektive offensiver für seine Ziele einsteht, seine Umgebung aktiv gestaltet und als Akteur selbstbewusster auftritt.7 Paris ist überzeugt, »dass durch ein geeinteres und souveränes Europa unsere Interessen in der Welt am besten verteidigt und unsere Werte besser gefördert werden können«.8
Europäische Souveränität als Schlüsselkonzept
Die Ideen von europäischer Autonomie und Souveränität sind nicht neu; sie finden sich bereits in früheren französischen Grundlagendokumenten. Doch werden sie von Präsident Macron und Pariser Regierungsvertretern, vor allem Außenminister Le Drian und Verteidigungsministerin Florence Parly, demonstrativer zum Ausdruck gebracht als bisher und stetig weiter ausbuchstabiert.9 Laut Macron bedeutet Autonomie, »dass wir die für uns gültigen Regeln selbst festlegen«.10 Europäische Souveränität wäre dagegen eine deutlich höhere Stufe der Handlungsfähigkeit. Sie würde eine »etablierte europäische politische Macht« voraussetzen – also erfordern, dass Europa tatsächlich ein eigenständiger Akteur wäre. Macron hat im Herbst 2020 eingestanden, dass Europa davon noch weit entfernt und der Begriff der Souveränität daher »überzogen« sei.11
Neu hingegen ist die Sorge, dass Europa vor dem Hintergrund der sino-amerikanischen Rivalität zunehmend deklassiert und zur bloßen Verhandlungsmasse wird (»Europe is on the menu but not at the table«). Zwar ist Frankreich beunruhigt angesichts der Aussicht, die USA könnten ihr sicherheitspolitisches Engagement in Europa verringern. Noch mehr aber fürchtet Paris, dass Europa zum Spielball widerstreitender Interessen werden könnte, ohne selbst seine politischen Ziele verfolgen und die eigene Umgebung gestalten zu können. So mahnte Macron, es gehe darum, »die Modalitäten der europäischen Souveränität und Autonomie zu definieren, um aus eigener Kraft Einfluss ausüben zu können, statt zum Vasallen dieser oder jener Macht zu werden, ohne unsere Position vertreten zu können«.12
Europas Schicksal solle in Europa und von Europäern entschieden werden, lautet ein Leitmotiv. Aus französischer Perspektive sollte Europa beispielsweise in den Verhandlungen über mögliche Folgeformate nach Ende des INF-Vertrags zu nuklearen Mittelstreckensystemen aktiver werden. Die Gespräche sollten nicht den USA und Russland überlassen werden. Denn letztlich sei es Europa, das in Reichweite dieser Atomraketen liegt.
Bei den europäischen Partnern sieht Paris nur geringes Interesse, den französischen Ideen über die rhetorische Ebene hinaus und im vorgeschlagenen Tempo zu folgen. Daraus schließt Frankreich, gegebenenfalls allein oder bewusst disruptiv handeln zu müssen, um die anderen Europäer zum Handeln zu animieren.13
Blickt man auf die aktuelle französische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, so lassen sich eine Reihe prägender Elemente erkennen:
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Relativierung der EU als normativer Priorität: Die Europäische Union bleibt ein zentrales Element, aber gerade im Verteidigungsbereich ging es Frankreich bereits in der Vergangenheit mehr um Europa als um die EU. Der Brexit verstärkt diese Tendenz. Dies wird etwa in der Revue stratégique deutlich, einer Art Weißbuch light, das Präsident Macron nach Amtsantritt erarbeiten ließ.14 Dort wird zwischen »europäischer Kooperation« und »EU-Kooperation« unterschieden. Es geht dabei nicht um eine Kritik an der EU als solcher, sondern darum, den besten Rahmen für effektive Handlungsfähigkeit zu finden. Dabei helfen soll ein erweitertes Verständnis von Europa, das über die EU hinausgeht. Gerade für Deutschland ist diese Sichtweise eine Herausforderung.
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Eng damit verbunden ist ein pragmatischer und flexibler Ansatz mit Blick auf Institutionen, Formate, Partner und Einflussmöglichkeiten, bis hin zum Unilateralismus. Es gibt keine automatische Präferenz für die EU, vielmehr werden Formate und Partner gemäß dem zu lösenden Problem bestimmt.15 Das kann je nachdem die EU, eine Koalition der Willigen oder die Nato sein. Bestes Beispiel für diesen zielorientierten Ansatz ist die 2017 gegründete Europäische Interventionsinitiative, die bewusst außerhalb der Institutionen angesiedelt wurde.16 Damit einher geht das Risiko, die EU zu schwächen, um die eigene und Europas Handlungsfähigkeit zu stärken.
Frankreich glaubt anders als Deutschland nicht per se an den Nutzen von Institutionen, sondern will sie flexibel für jene Fälle nutzen, für die sie am besten aufgestellt sind.17 So kann die Europäische Kommission etwa ein Screening chinesischer Investitionen übernehmen, aber kaum die Verteidigungskooperation steuern. Aus französischer Sicht ist das E3-Format (Frankreich, Deutschland, Großbritannien) im sicherheitspolitischen Bereich ein wichtiges Instrument. Flexibler Minilateralismus kann als Leitmotiv gelten. Paris sieht darin ein unterstützendes Element für Institutionen wie EU und Nato, keine Konkurrenz dazu. Es wird als eine Möglichkeit verstanden, durch die Europa eigenständige Fähigkeiten entwickeln kann: für europäische Ziele, aber auch um Frankreich zu unterstützen, wenn es Aufgaben für Europa wahrnimmt, etwa bei der Terrorismusbekämpfung in Afrika.18 Diese Flexibilität schließt unilaterale Ansätze ein, die greifen sollen, wenn aus französischer Sicht die europäischen Partner zu langsam oder gar nicht reagieren, Paris aber eine Reaktion als erforderlich ansieht.19 -
Überwinden von Dichotomien: Im Sinne einer solchen Flexibilität will Frankreich tradierte Dichotomien und möglicherweise konstruierte Gegensätze überwinden, um seine Ziele besser verfolgen zu können. Statt sich in Debatten wie etwa »mit oder gegen Russland« zu verfangen, betrachtet Paris solche Alternativen vielfach als obsolet. Frankreich kann demnach die belarussischen Demokratiebestrebungen unterstützen und sich trotzdem um einen Dialog mit Moskau bemühen. Darin spiegelt sich Macrons Ansatz, traditionelle Trennlinien in der französischen Parteipolitik hinter sich zu lassen. Aufgrund geringer oder fehlender Absprachen irritiert ein solches Vorgehen jedoch regelmäßig die europäischen Partner.
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Zögerliche Akzeptanz notwendiger Partnerschaften: Auch wenn Frankreich beansprucht, notfalls allein zu handeln, erkennt es doch an, dass die eigenen Kapazitäten zunehmend begrenzt sind, manche Ziele der Kooperation bedürfen und damit auch Abhängigkeiten entstehen können.20 Dies betrifft Operationen und militärische Fähigkeitsentwicklung ebenso wie Industriekooperation. Allerdings bleibt es in Frankreich umstritten, Grenzen der nationalen Handlungsfähigkeit zu akzeptieren, und die Zusammenarbeit mit Partnern gestaltet sich in der Praxis oft schwierig.21 Je nach Themenfeld wird die Balance zwischen nationalem und kooperativem Ansatz denn auch neu justiert.
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Fokus auf Praxis und Operation: Um eine strategische Kultur Europas zu entwickeln, wurde in der Vergangenheit vor allem über gemeinsame Strategiedokumente europäischer oder bilateraler Art diskutiert. Diesen Fokus verschiebt Frankreich nun: Als Katalysator für europäische Verteidigung sollen gemeinsame operative Erfahrungen dienen. Für Paris erwachsen europäische Souveränität und strategische Kultur aus gemeinsamen Einsätzen, nicht aus der Erarbeitung eines Weißbuchs oder dem Aufbau neuer Institutionen.
Strukturelle Unterschiede erschweren die deutsch-französische Kooperation
Diese veränderten Grundannahmen irritieren die Bundesrepublik, da sie manchen der deutschen Annahmen entgegenstehen. Das betrifft etwa die Flexibilität bei den Formaten und den operativen Fokus. Hinzu kommen die Besonderheiten von Frankreichs politischem System, die in Macrons Amtszeit stark hervortreten und die bilaterale Kooperation zusätzlich erschweren. Es sind also nicht nur die Inhalte, sondern auch die Prozesse französischer Politik, die die Kooperation mit Partnern belasten. Die wichtigsten bilateralen Unterschiede betreffen die strategische Kultur, die Rolle der Industrie und die administrative Tradition.22
Ein unter Macron markant auftretender Faktor ist die große Machtfülle, über die der Präsident gemäß französischer Verfassung bei der Gestaltung der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik und als Chef der Streitkräfte verfügt. Die Verfassungsvorgaben interpretiert Macron traditionell, im Sinne einer klaren präsidentiellen »domaine réservé«. Den Ministerien obliegt demnach nur, die Vorgaben des Präsidenten umzusetzen.23 Macron vertritt französische Interessen deutlicher und konfliktbereiter als seine Vorgänger, vor allem gegenüber Deutschland.24 Dabei passt sich das französische System den präsidentiellen Vorgaben eher an, als dass es diese steuert. Gegenüber dem Präsidenten mit seiner umfassenden Gestaltungskompetenz gibt es weder ein systemisches Gegengewicht noch eine Kontrollinstanz.
Macron entscheidet schnell und weitgehend autonom – notfalls auch im Widerspruch zu seinen Partnern.
Dies erschwert die Kooperation mit Partnern wie der Bundesrepublik auf mehreren Ebenen. So verfügen etwa in Deutschland die einzelnen Ministerien über mehr Gestaltungsraum als ihre französischen Pendants. In keinem anderen europäischen Nato- oder EU-Land hat ein Staats- bzw. Regierungschef eine ähnliche Machtfülle wie der französische Präsident. Die deutsche Kanzlerin kann nicht in gleichem Maße unilateral Entscheidungen treffen und umsetzen lassen. Dies bedeutet aber auch: Es reicht nicht, dass Macron die Kanzlerin von seinen Zielen überzeugt – vielmehr müssen in Deutschland auch andere politische Akteure gewonnen werden, vor allem das Parlament, damit die Kooperation funktioniert. Die bekannten Unterschiede zwischen dem präsidentiellen System in Frankreich und dem parlamentarischen in der Bundesrepublik, dem zentralistischen auf der einen und dem föderalen auf der anderen Seite prallen unter Macron besonders stark aufeinander. Er kann schnell und weitgehend autonom entscheiden – und tut dies, wenn er es für geboten hält, auch im offenen Widerspruch zu europäischen Partnern, wie etwa im Falle Libyen oder Russland.
Hier zeigt sich ein weiteres Merkmal von Macrons Präsidentschaft. In Paris herrscht angesichts der internationalen Herausforderungen das Gefühl, dass zeitkritisches Handeln notwendig ist – während es die anderen Europäer an Antworten fehlen lassen. Macron nimmt für sich in Anspruch, nötigenfalls auch disruptiv vorzugehen, etwa mit der harschen Kritik an der Nato, die er als »hirntot« qualifizierte.25 Dies entspricht seinem Ansatz der »rupture«, des Bruchs mit traditionellen Verhaltensweisen, wie er ihn erfolgreich im Präsidentschaftswahlkampf 2017 propagiert hatte.
Damit befremdet Macron jedoch europäische Partner, inklusive Deutschland, zumal wenn ein solches Handeln nicht oder nur verspätet abgestimmt wird und ohne ausreichende Umsetzungsvorschläge erfolgt, zum Beispiel bei der Ankündigung seiner Russland-Initiative.26 So verstärkt sich der gerade in Mittel- und Osteuropa bestehende Eindruck, dass Frankreich ohne entsprechendes Mandat für Europa, nicht aber mit Europa spreche.27 Und so wächst auch die Sorge, französische Ansätze könnten europäischen Positionen entgegenwirken. Das gilt etwa für Macrons wohlwollende Antwort auf Putins Vorschlag eines INF-Moratoriums, den die anderen Nato-Alliierten abgelehnt hatten.28
Insgesamt entsteht so ein ambivalentes Bild vom Partnerland Frankreich. Einerseits hat es als eines von wenigen in Europa ein bemerkenswertes und umfassendes Konzept für die Zukunft europäischer Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik vorgelegt. Andererseits ist Paris ein Akteur, der durch hohe Ansprüche, Alleingänge und als provokant empfundene Vorschläge Deutschland und andere europäische Länder regelmäßig irritiert, teils überfordert und gemeinsame Ansätze erschwert.
Emmanuel Macrons Libyenpolitik war bislang vor allem durch zwei Aspekte gekennzeichnet: zum einen durch kurzlebige unilaterale Initiativen, welche die Arbeit der Vermittler aus den Vereinten Nationen (VN) erschwerten, zum anderen durch den Schulterschluss mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) im später gescheiterten Versuch, den Milizenführer Khalifa Haftar mit Gewalt an die Macht zu bringen. In einer Situation, in der die USA ihre Rolle als Ordnungsmacht nicht wahrnahmen, sorgte Frankreich dafür, dass Europa sich nicht energischer gegen die ausländische Unterstützung für Haftar stellte. Resultat dieser Politik war eine beispiellose Eskalation des Konflikts und das Eingreifen Russlands mit emiratischer Unterstützung. Auf diese Entwicklung reagierte die Türkei und intervenierte in Libyen, um Haftar und den VAE entgegenzutreten.1 Als Bilanz der bisherigen Libyenpolitik Macrons ist festzuhalten, dass die VAE, Russland und die Türkei ihre Interventionen massiv ausgeweitet haben, während Europa seinen Einfluss in dem Konflikt fast völlig eingebüßt hat. Auch nach dem Abschluss eines Waffenstillstands im Oktober 2020 und der Bildung einer Einheitsregierung im Februar 2021 dürften diese intervenierenden Mächte weiterhin das letzte Wort behalten. Entsprechend schlecht sind die Aussichten auf eine nachhaltige Lösung des Konflikts.
In Berlin stieß die französische Libyenpolitik auf viel Kopfschütteln. Gleichwohl scheute Deutschland die Auseinandersetzung mit Frankreich über Libyen, da der Libyenkonflikt im deutsch-französischen Interessenausgleich aus Berliner Perspektive keinen hohen Stellenwert genießt. Auch auf europäischer Ebene mussten Macron und sein Außenminister Jean-Yves Le Drian nach anfänglichen Differenzen mit Italien nur wenig Überzeugungsarbeit leisten, um eine härtere Linie gegenüber Haftar und seinen ausländischen Unterstützern zu verhindern. Die französische Diplomatie war erfolgreich darin, dem ursprünglichen Ziel des Berliner Prozesses, das heißt der Eindämmung ausländischer Interventionen, die Schärfe zu nehmen.2 Frankreichs destabilisierende Politik und Deutschlands Passivität ergänzten sich auf fatale Weise.
Divergenzen
Seitdem Ende 2015 unter VN-Vermittlung eine Einheitsregierung gebildet wurde, weichen die deutsche und die französische Position gegenüber Libyen deutlich voneinander ab. Deutschland unterstützte zunächst die Einheitsregierung, verhielt sich aber neutral, nachdem Haftar im April 2019 seine Offensive auf Tripolis begonnen hatte.
Frankreich dagegen leistete in Bengasi ab Anfang 2016 militärische Unterstützung für Haftar, den größten Widersacher der Einheitsregierung. Die daraus resultierenden Geländegewinne und das Signal, dass dieser trotz seiner Gegnerschaft zur Einheitsregierung bevorzugter Partner Frankreichs war, halfen ihm, seine Autorität im Osten zu stärken. Auf diese Weise trug Frankreich wesentlich dazu bei, dass die Einheitsregierung ihr wichtigstes Ziel verfehlte, nämlich das politisch gespaltene Land zu vereinen.3 Macron war 2017 der erste europäische Staatschef, der Haftar empfing und ihn auf diese Weise hoffähig machte. Später unterstützten französische Spezialkräfte die Expansion von dessen Milizen in Südlibyen, die dem Angriff auf Tripolis unmittelbar vorherging und von Außenminister Le Drian ausdrücklich gewürdigt wurde.4 Zweifellos ermutigte das den Milizenführer zu seinem Angriff auf Tripolis, über dessen Vorbereitungen die französischen Geheimdienste aufgrund ihrer Kooperation mit Haftar bestens informiert gewesen sein dürften. Dennoch behaupteten französische Diplomaten im Nachhinein, man habe ihm immer von einer Offensive in Westlibyen abgeraten und sei von ihr überrumpelt worden.5
Nach Beginn der Offensive vereitelten französische Diplomaten eine Verurteilung Haftars durch die EU, spielten die humanitären Folgen des Krieges herunter und stellten die Gegner des Warlords als Terroristen und Kriminelle dar.6 Zu Hilfe kam Frankreich dabei das Handeln der USA. Amerikanische Diplomaten und Militärs hatten Haftar eingeschärft, dass Tripolis eine »rote Linie« sei. Erst später wurde bekannt, dass dieser unmittelbar vor Beginn des Angriffs grünes Licht vom nationalen Sicherheitsberater der USA, John Bolton, erhalten hatte.7
Neben der offensichtlichen Divergenz zwischen Deutschland und Frankreich in ihren Positionen zu Libyen fallen drei grundsätzliche Unterschiede auf. Erstens wird die Bedeutung Libyens ungleich gewichtet. In Paris ist Libyenpolitik seit Jahren Chefsache und das Land genießt sowohl bei Präsident Macron als auch bei Außenminister Le Drian hohe Aufmerksamkeit. In Berlin dagegen stößt der Libyenkonflikt auf geringes Interesse, das nur im Umfeld der Berliner Konferenz im Januar 2020 kurz aufflackerte und seitdem wieder stark geschwunden ist.
Zweitens verortet sich die deutsche Libyenpolitik fest im Multilateralismus, während Macron in Libyen hauptsächlich unilateral oder im Bündnis mit den VAE und Ägypten agiert. Freilich mangelt es dem deutschen Bekenntnis zum Multilateralismus in Libyen an Überzeugungskraft, denn die deutsche Unterstützung für die Rolle der VN soll vor allem kaschieren, dass Berlin keine wirklich eigenständige Libyenpolitik verfolgt. Das von Deutschland immerzu betonte VN-Waffenembargo wird weder von den Mitgliedern des Sicherheitsrates noch von den intervenierenden Staaten ernst genommen. Doch hat gerade auch der französische Unilateralismus zum Scheitern der VN-Bemühungen beigetragen. Klar zutage trat das bei den beiden Pariser Gipfeltreffen zwischen Macron, Haftar und dem damaligen Ministerpräsidenten der Einheitsregierung, Faiez al‑Serraj. In beiden Fällen überraschte Macron sowohl die VN als auch seine europäischen Partner mit einem improvisierten Vermittlungsansatz. Macrons Alleingänge waren in den Jahren 2017 und 2018 der Hauptgrund für die französisch-italienischen Reibungen in der europäischen Libyenpolitik, da Italien sich übergangen fühlte.8
Drittens ist Macron wie schon seine Vorgänger bereit, militärisch in Libyen tätig zu werden, während sich Deutschland in militärischer Zurückhaltung übt. Noch im Quinquennat François Hollandes begann der damalige Verteidigungsminister Le Drian, Haftar mit Spezialkräften zu unterstützen. Unter Macron leistete der französische Auslandsgeheimdienst Aufklärung für die Offensiven des Milizenführers, wobei Frankreich parallel dazu auch mit einzelnen Kommandeuren der Einheitsregierung kooperierte. Anfang 2019 unterstützten französische Spezialkräfte die Expansion der Milizen Haftars in Südlibyen. Auch bei dem Angriff auf Tripolis deutete der Fund französischer Waffen im Juni 2019 darauf hin, dass französische Kräfte zumindest zeitweise in Haftars Truppen eingebunden waren.9 Für seinen Krieg war aber die politische Unterstützung seitens Frankreichs wesentlich wichtiger, da sie ihm den nötigen internationalen Handlungsspielraum verschaffte.
Interessen
Um Macrons ebenso destruktive wie erfolglose Libyenpolitik zu erklären, wird der französischen Regierung oft zugutegehalten, sie wolle den Terrorismus bekämpfen und Südlibyen stabilisieren, um die Bedrohungen für verbündete Staaten wie Tschad und Niger und für das dort operierende französische Militär zu verringern.10 Doch dieses Erklärungsmuster überzeugt nicht. Stattdessen scheinen Kalküle zu überwiegen, die mit der Stabilisierung Libyens wenig zu tun haben.
Frankreichs enge Allianz mit den VAE dürfte entscheidend dafür gewesen sein, dass Macron Haftar unterstützte.
Sofern es um Terrorbekämpfung geht, handelt es sich dabei um ein Motiv französischer Libyenpolitik, das Le Drians Kooperation mit Haftar während der Präsidentschaft Hollandes geprägt hat und unter Macron vor allem als Pfadabhängigkeit nachwirkt. Die verheerenden Terroranschläge von 2015 in Frankreich führten dazu, dass Paris sich weitaus stärker als zuvor auf Terrorbekämpfung im Ausland verlegte, vorzugsweise in Syrien, im Irak, in Mali und in Libyen. Dabei schien zweitrangig, ob eine direkte Verbindung zwischen jihadistischen Gruppen vor Ort und der Bedrohung in Frankreich selbst bestand und ob das französische Vorgehen geeignet war, die Aktionen dieser Gruppen einzudämmen. Wichtig war in den Worten eines französischen Diplomaten vor allem, dass man mit der sichtbaren Unterstützung für vermeintliche Terrorbekämpfer wie Haftar dafür sorgte, rechtspopulistischen Kräften keine innenpolitische Angriffsfläche zu bieten.11
Tatsächlich konnte der französischen Regierung kaum verborgen bleiben, dass Haftar mit seinen brutalen Methoden nicht nur Jihadisten, sondern eine wesentlich größere Bandbreite von Gegnern bekämpfte, auf diese Weise den Nährboden für weitere Radikalisierung schuf, die Terrorbekämpfung als Deckmantel für seine autokratischen Ambitionen nutzte und zudem radikalen Salafisten in seinen Reihen starken Auftrieb gab. Auch nach dem Beginn des Krieges um Tripolis betonte Außenminister Le Drian weiter, in der Kooperation mit Haftar sei es einzig um Terrorbekämpfung gegangen, um Frankreich zu schützen.12 Plausibel war diese offizielle Linie jedoch nie.
Entscheidend dafür, dass auch Macron Haftar weiter unterstützte, obwohl der »Islamische Staat« (IS) bereits 2017 sein gesamtes Territorium in Libyen verloren hatte, dürfte indes die enge Allianz Frankreichs mit den VAE und Ägypten gewesen sein. Diese hatte sich schon aus der intensiven Militärkooperation und der Existenz einer französischen Marinebasis in den VAE ergeben und wurde zwischen 2014 und 2017 durch lukrative Rüstungsgeschäfte Frankreichs mit beiden Ländern zementiert.13 Auch für die emiratischen Losungen »religiöse Toleranz« und »Feindschaft gegenüber dem politischen Islam« fanden sich in Élysée und Quai d’Orsay durchaus Anhänger, die freilich über Haftars Förderung salafistischer Strömungen und die Radikalisierung durch seine Kriege hinwegsahen.14 Die französische Diplomatie arbeitete mit den VAE in Libyen aufs engste zusammen – zunächst bei dem Versuch, Haftar durch eine Verhandlungslösung zu ermächtigen, und ab April 2019 dabei, jeden westlichen Druck auf den Warlord und seine ausländischen Unterstützer zu unterbinden, so dass dieser seinen Krieg in Tripolis ungehindert fortführen konnte.15 Um Haftar zum Sieg zu verhelfen, heuerten Frankreichs emiratische Verbündete sogar russische Söldner an, woraus eine ständige russische Präsenz in Libyen entstand.16 Nachdem die türkische Intervention dieses Kalkül durchkreuzt hatte, prangerte Macron unermüdlich die Rolle der Türkei an, erwähnte die VAE aber mit keinem Wort.17
Sollte es Macron und Le Drian um Stabilisierung gegangen sein, als sie Haftar unterstützten, hieße dies, dass die französische Politik auf gravierenden Fehleinschätzungen beruhte. Mit Haftars Expansion im Süden verbesserte sich die Sicherheitslage in der Region keineswegs. Vereinzelt eskalierten sogar Konflikte, die weiterhin ungelöst sind. Vor allem aber war schon vor dem Krieg in Tripolis absehbar, dass Haftars Versuch, gewaltsam die Macht zu übernehmen, eine massive Destabilisierung zur Folge hätte.18 Zudem wäre auch ein Erfolg des alternden Milizenführers mit der Ungewissheit verbunden gewesen, ob die von ihm geschaffene Machtstruktur seinen Tod überdauern könnte. Auch das ist ein Indiz dafür, dass sich Macrons Libyenpolitik in erster Linie aus der engen Allianz mit den VAE ergab, die von der Destabilisierung Libyens nicht betroffen waren. Dem europäischen Interesse, die Konflikte einzudämmen, entsprach diese Politik jedenfalls nicht.
Konsequenzen
Ein erstes offensichtliches Opfer deutsch-französischer Divergenzen war die Führungsrolle der VN in der Konfliktlösung. Während Deutschland sich weitgehend darauf beschränkte, die VN-Vermittler zu unterstützen, hebelte Macron deren Rolle mit seinen unilateralen Initiativen 2017 und 2018 aus. Das wurde in Berlin durchaus als störend wahrgenommen. Doch es fehlte am hochrangigen Interesse an der Libyen-Problematik, das nötig gewesen wäre, um auf Macron einzuwirken. Haftars Angriff auf Tripolis, von Frankreich zumindest stillschweigend hingenommen, machte schließlich sämtliche Bemühungen des VN-Sondergesandten Ghassan Salamé zunichte. Dieser hatte von langer Hand eine »Nationale Konferenz« vorbereitet, die den Boden für eine Verhandlungslösung bereiten sollte und für Mitte April 2019 geplant war – doch wegen Haftars Offensive nie stattfand.
Während des Berliner Prozesses im Herbst 2019 führte Frankreich das Lager an, das den Blick von der Umsetzung des Waffenembargos auf die der Einheitsregierung abverlangten Zugeständnisse lenkte, die zur Vorbedingung eines Waffenstillstands wurden.19 Haftars ausländische Unterstützer sahen sich zu diesem Zeitpunkt nämlich militärisch im Vorteil und verspürten keine Eile, den Krieg zu beenden. Infolgedessen verfehlte die Berliner Libyen-Konferenz ihr Ziel, ausländischer Einmischung Einhalt zu gebieten. Die Konsequenz war die massive Ausweitung türkischer, emiratischer und russischer Interventionen sowie ein dramatischer und wahrscheinlich bleibender Einflussverlust Europas. Auch wenn europäische Diplomaten sich bemühen, Optimismus hinsichtlich des von den VN geleiteten Friedensprozesses zu verbreiten: Dass es im Oktober 2020 zu einem Waffenstillstand und im Februar 2021 zur Bildung einer neuen Einheitsregierung kam, ist letztendlich auf das russisch-türkische Kräftegleichgewicht zurückzuführen. Die VAE, die Türkei, Russland und Ägypten bewahren trotz dieser Fortschritte ihren Einfluss in Libyen. Auch nach der Bildung einer Einheitsregierung misstrauen sich die libyschen Konfliktparteien weiterhin stark, so dass sie kaum auf den Abzug ihrer ausländischen Unterstützer hinarbeiten dürften.
Und schließlich besteht eine direkte Verbindung zwischen der französischen Parteinahme in Libyen und dem Eingreifen Frankreichs im östlichen Mittelmeer, wo Macron die Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland befeuerte.20 Die Türkei hatte den Libyenkonflikt im November 2019 mit dem Streit über die Seegrenzen im Mittelmeer verknüpft, indem sie ein Seerechtsabkommen mit der Regierung in Tripolis geschlossen hatte. Frankreich und die VAE nutzten diese Gelegenheit, um Griechenland und Zypern als neue Verbündete für Haftar zu gewinnen.21 Die türkische Intervention, die den Krieg in Tripolis beendete, löste wiederholte verbale Angriffe Macrons aus, in denen er die Türkei als Unruhestifter geißelte und die von ihr in Libyen stationierten syrischen Söldner fälschlich als »Jihadisten« und »Terroristen« bezeichnete.22 Seither konzentriert sich die französische Regierung darauf, die Verstöße der Türkei gegen das Waffenembargo anzuprangern, während sie jene anderer Staaten weitgehend ignoriert. Diese Handlungsweise trug offenbar auch zu dem Vorfall bei, der sich im Juni 2020 zwischen einem türkischen und einem französischen Kriegsschiff vor der Küste Libyens abspielte und seither die Beziehungen innerhalb der Nato belastet.23 Damit hat die französische Libyenpolitik ebenso wie die türkische für mehr Streit in der Nato gesorgt, was wiederum Russland in die Hände spielt.
Schlussfolgerungen
Die zwei prägenden Aspekte der französischen Libyenpolitik in der Amtszeit Präsident Macrons verraten zum einen ein Stilmerkmal der Macron’schen Diplomatie, zum anderen eine neue strukturelle Facette französischer Außenpolitik in der südlichen Nachbarschaft. Häufiger als sein Vorgänger ist Macron auf internationaler Ebene mit impulsiven, unilateralen, aber oft erfolglosen Initiativen aufgefallen, nicht nur in Libyen.24 Die Unterstützung für Haftar dagegen ergab sich vor allem aus dem immer engeren französischen Bündnis mit den VAE, das auf gemeinsamen Interessen besonders im militärischen Bereich und in der Rüstungsindustrie fußt. Das Resultat war eine unilaterale Politik, die sich an die Interessen autoritärer Regime im Nahen und Mittleren Osten anlehnte, aber dem europäischen Interesse an einer Stabilisierung der südlichen Nachbarschaft entgegenstand. In Berlin irritierte diese Politik zwar, blieb aber weitgehend ohne offenen Widerspruch.
Die GSVP – ein Instrument, kein Grundpfeiler französischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik
Innerhalb der EU wie auch in ihrem geopolitischen Umfeld ist es während des letzten Jahrzehnts zu einschneidenden Veränderungen gekommen. Vor diesem Hintergrund haben Mitgliedstaaten und Europäische Kommission seit November 2016 diverse Initiativen ergriffen, die darauf zielen, der EU in sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen ein höheres Maß an strategischer Autonomie zu verschaffen. So wurde die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (PESCO) aktiviert. Mit der Koordinierten Jährlichen Überprüfung der Verteidigung (CARD) wurde ein systematischer Austausch zwischen den Mitgliedstaaten zu ihren Verteidigungsplänen institutionalisiert. Der Europäische Verteidigungsfonds (EVF) will Kooperationen beim Erwerb militärischer (Kern-)Fähigkeiten finanziell unterstützen.1 Um der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU (GSVP) eine einheitliche strategische Richtung zu geben, erarbeiten Brüssel und die Mitgliedstaaten seit Sommer 2020 einen »Strategischen Kompass«.2
Frankreich und Deutschland haben maßgeblichen Anteil an diesen Entwicklungen. Ihre verschiedenen strategischen Kulturen und ihr unterschiedliches Verhältnis zur Nato standen Paris und Berlin selten im Weg, wenn es darum ging, die GSVP voranzubringen.3 Auch unter Präsident Emmanuel Macron hatte die bilaterale Zusammenarbeit im Rahmen dieses Formats zunächst gut begonnen. Am 13. Juli 2017 vereinbarte der Deutsch-Französische Verteidigungs- und Sicherheitsrat (DFVSR)4 mit Macron und Kanzlerin Angela Merkel an der Spitze, der GSVP weiteren Schwung zu verleihen. Beide Seiten kamen überein, dass die EU »auch im Bereich der Sicherheit und Verteidigung ein echter globaler Akteur« werden solle. Befördern wollte man diesen Prozess durch Beschaffung ambitionierter militärischer Fähigkeiten sowie durch die PESCO. Wie Deutschland und Frankreich festhielten, biete Letztere den »EU-Mitgliedstaaten den politischen Rahmen, um durch koordinierte Initiativen und konkrete Vorhaben ihre Solidarität und Zusammenarbeit sowie ihre jeweiligen militärischen Instrumente und Verteidigungsfähigkeiten zu verbessern; dies wird helfen, die Ziele der EU zu erfüllen«.5
Nach den Bestimmungen von Artikel 46 des Lissabonner Vertrags steht die PESCO allen Mitgliedstaaten offen. Strittig waren zunächst aber die Kriterien, die dafür zu erfüllen sind, denn der Vertragstext ist hier vage formuliert. Daher erarbeitete der Deutsch-Französische Verteidigungs- und Sicherheitsrat im Juli 2017 einen entsprechenden Katalog bindender Verpflichtungen; er wurde wenig später von den EU-Mitgliedstaaten übernommen und gilt seither als Grundlage für die Teilnahme an der PESCO.6
Inklusiv versus ambitioniert – der deutsch-französische Kompromiss zerbricht
Schnell jedoch sollte sich zeigen, dass das deutsch-französische Einvernehmen auf tönernen Füßen stand. Zwei Monate nach der Gipfelzusammenkunft präsentierte Macron in seiner Europa-Rede an der Universität Sorbonne eine Europäische Interventionsinitiative (EI2). Ihr Ziel sei die Entwicklung einer gemeinsamen Strategiekultur, so der Präsident. Zwar gestand er zu, dass in der GSVP »Fortschritte von historischem Ausmaß erzielt worden« seien. Doch zugleich forderte er: »Wir müssen noch weiter gehen.«7 Ohne gemeinsame strategische Kultur könne Europa auf dem Gebiet der Verteidigung nicht selbstständig handlungsfähig werden.
Die Konturen der Interventionsinitiative blieben zunächst unscharf. Als sich herausstellte, dass die EI2 außerhalb der EU-Strukturen angelegt sein sollte, versuchte Berlin, das Projekt in dieser Form zu verhindern. Die Initiative untergrabe die GSVP und müsse entsprechend in den EU-Rahmen überführt werden.8 Paris wiederum kritisierte, dass Deutschland eine inklusive PESCO anstrebte und dort möglichst alle EU-Mitgliedstaaten einbinden wollte. Die französische Seite verwies immer wieder auf den Wortlaut des Vertrags von Lissabon. Danach steht die PESCO jenen Mitgliedstaaten offen, »die anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen und die im Hinblick auf Missionen mit höchsten Anforderungen untereinander weitergehende Verpflichtungen eingegangen sind«. Am 11. Dezember 2017 setzte sich jedoch die offenere Interpretation der Bundesregierung durch. 25 der damals 28 EU-Staaten erklärten zu dem Zeitpunkt ihre Teilnahme an der PESCO.9 Frankreich reagierte darauf, indem es sich nur mäßig an dem Format beteiligte. Am 6. März 2018 verabschiedete der Rat 17 PESCO-Projekte; bei gerade einmal acht davon war Frankreich mit von der Partie.10
Der Konflikt zwischen Berlin und Paris, mit welchem Modell sich die europäische Verteidigungspolitik am besten voranbringen lasse, konnte erst einige Monate später entschärft werden. Beim Treffen des Deutsch-Französischen Ministerrates auf Schloss Meseberg im Juni 2018 unterstrichen beide Seiten, »wie wichtig es ist, die Herausbildung einer gemeinsamen strategischen Kultur durch die Europäische Interventionsinitiative weiterzuentwickeln, die so eng wie möglich mit der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit verknüpft wird«.11 Sechs Tage später wurde die Absichtserklärung für die EI2 unterzeichnet.12 Frankreich verstärkte daraufhin sein Engagement in der PESCO.
Reibungspunkte bei der Umsetzung der GSVP‑Reformagenda
Auch in den übrigen Schlüsseldossiers der GSVP verfolgten und verfolgen Deutschland und Frankreich meist unterschiedliche Ziele. Das betrifft etwa die Umsetzung der Reformagenda für die GSVP, die 2016 von den EU-Außenministern beschlossen wurde. Hier stellte sich Paris lange gegen eine Teilnahme von Drittstaaten an der PESCO sowie an Rüstungsprojekten, die vom Europäischen Verteidigungsfonds finanziell gefördert werden. Frankreich fürchtete insbesondere, dass die USA über eine Beteiligung an PESCO- und EVF-Vorhaben die Entwicklung der GSVP beeinflussen würden. Damit könnte sich Washington, so die Sorge, dem französischen Bestreben entgegenstellen, die rüstungspolitische Abhängigkeit der EU-Staaten von Amerika zu verringern. Berlin stand einer Beteiligung Großbritanniens wie der USA indes aufgeschlossen gegenüber. Die Kritik der Trump-Administration, wonach PESCO und EVF protektionistische Maßnahmen darstellten und überdies entsprechende Nato-Strukturen duplizierten, fand in Deutschland einen gewissen Widerhall.13 Erst im Oktober 2020 kam es unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft zu dem Kompromiss, dass für jedes PESCO-Projekt eigene Regeln der Zusammenarbeit formuliert werden.14
Berlin reagierte sehr verhalten auf Macrons Appell, die Beistandsklausel des Lissabonner Vertrags aufzuwerten.
Bereits Ende Mai 2020 ließ sich der Konflikt zwischen Frankreich und Deutschland um eine Reform von Artikel 42,7 des Lissabonner Vertrags zumindest vorläufig entschärfen. Dort ist für die Staaten der EU eine Beistandsklausel festgeschrieben, die im Fall eines bewaffneten Angriffs greifen soll.15 Der deutsch-französische Dissens entstand, nachdem Präsident Macron im August 2018 »Maßnahmen zur Stärkung der europäischen Solidarität in Sachen Sicherheit« vorgeschlagen hatte. In einer Rede führte er aus:
»Dem Artikel 42, Absatz 7 des Vertrags über die Europäische Union, auf den Frankreich sich nach den Terroranschlägen 2015 zum ersten Mal berief, müssen wir in der Tat mehr Substanz verleihen. Frankreich ist bereit, in eine konkrete Debatte unter europäischen Staaten über die Natur der gegenseitigen Solidaritäts- und Verteidigungsbeziehungen einzutreten, die unsere Verpflichtungen vertragsgemäß mit sich bringen. Europa kann seine Sicherheit nicht mehr allein den Vereinigten Staaten überlassen. Es liegt heute an uns, unsere Verantwortung zu übernehmen und die Sicherheit, und damit die Souveränität Europas, zu garantieren.«16
Berlin reagierte ausgesprochen verhalten auf Macrons Appell, die Beistandsklausel substantiell aufzuwerten. Auf deutscher Seite befürchtet man, die EU könnte so weiter gespalten werden. Insbesondere die eng an die USA gebundenen Staaten Mittel- und Osteuropas schreckt die Aussicht, Washington durch die Entwicklung einer separaten EU-Verteidigungspolitik weiter zu entfremden.17 Als Kompromiss schlug die Bundesregierung vor, während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020 einen Diskussions- und Beratungsprozess mit allen Mitgliedstaaten einzuleiten und einen »Strategischen Kompass« zu erarbeiten. Berlin und Paris einigten sich schließlich darauf, beide Prozesse – Reform von Artikel 42 und Erarbeitung des Strategischen Kompasses – voranzutreiben.18
Dabei schwebt Paris auch weiterhin vor, die Beistandsklausel derart auszugestalten, dass sie bei einem Cyber- oder einem konventionellen Angriff auf Staaten wie Finnland oder Schweden angewendet werden kann, die der EU, aber nicht der Nato angehören. Während der französischen Ratspräsidentschaft im Jahr 2022 will Paris daher eine politische Erklärung unterzeichnen lassen, in der die EU-Staaten festlegen, was sie tun würden, sollte Artikel 42,7 angerufen werden. In dieser Frage sind also nach wie vor Spannungen zwischen Paris und Berlin zu erwarten.
Zweierlei Vorstellung von der GSVP
Die Liste der deutsch-französischen Reibungspunkte ließe sich beliebig verlängern. Zur Debatte steht etwa, ob der Fähigkeitsentwicklungsplan (Capability Development Plan, CDP) der Europäischen Verteidigungsagentur für die Mitgliedstaaten bindend werden soll. Uneins ist man sich auch darüber, ob das EU-Krisenmanagement durch eigenes Eingreifen ziviler wie militärischer Art oder durch Ertüchtigung von Drittstaaten weiterentwickelt werden soll. Im Wesentlichen haben alle Konflikte zwischen Berlin und Paris denselben Ursprung: Die beiden Seiten messen der GSVP und ihrer Entwicklung eine unterschiedliche Bedeutung bei.
Die Bundesrepublik investiert viel Kapital in multilaterale Institutionen. Diese gelten ihr als Stützen der internationalen Ordnung und damit als unersetzbar. Entsprechend zurückhaltend reagiert Berlin auf flexiblere, pragmatischere oder ad hoc agierende Formate. Sie bergen nach deutscher Sicht die Gefahr, bestehende multilaterale Institutionen zu schwächen oder zu fragmentieren. Die GSVP sieht Berlin überdies als Zukunftsprojekt, das geeignet ist, den Zusammenhalt der EU-Mitgliedstaaten zu stärken. Demnach ist wichtig, es möglichst »inklusiv« zu gestalten. »Vertrauensbildende Zwischenschritte« sind für Berlin das beste Mittel, um die EU in die Lage zu versetzen, sich nach außen zu schützen.19 Nicht zuletzt weil die Bundesregierung die GSVP primär als politisches Unternehmen versteht, bleiben konkrete Einsatz-Szenarien in der deutschen Debatte eher blass. Allenfalls vage fokussiert man sich auf das Krisenmanagement in der europäischen Nachbarschaft.
Paris hingegen betrachtete die GSVP immer nur als einen Handlungsrahmen seiner auf drei Säulen gründenden Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die transatlantischen Beziehungen und die Nato – als erste Säule – nutzte Frankreich im Kampf gegen den internationalen Terrorismus auf dem afrikanischen Kontinent, ebenso in Syrien und dem Irak. Seine Partnerschaft mit den USA festigte Paris, ohne sich zu stark in der kollektiven Verteidigung der Nato engagieren zu müssen. Die GSVP – zweite Säule und für Frankreich mit der Achse Berlin–Paris verbunden – diente dem Land dazu, sein Streben nach sicherheits- und verteidigungspolitischer Unabhängigkeit von den USA voranzutreiben, aber auch dazu, weitere Unterstützung für seine Einsätze in Afrika zu bekommen. Die geringe Neigung der EU-Staaten, operativ tätig zu werden und in strategische Kernfähigkeiten zu investieren, kompensierte Frankreich schließlich durch eine enge Sicherheitsbeziehung mit Großbritannien – die dritte Säule. Die wehrtechnische Industrie der Insel trug dazu bei, die für Paris so wichtige verteidigungstechnologische und -industrielle Basis Europas zu erhalten.20
Ein verändertes Umfeld – Frankreich unter Zugzwang
Vier politische bzw. geopolitische Einschnitte haben Frankreich in den zurückliegenden Jahren jedoch veranlasst, seine Strategie nach und nach anzupassen. Eine erste Zäsur bestand darin, dass Russland 2014 völkerrechtswidrig die Krim annektierte und sich nachfolgend durch Maßnahmen der Desinformation in innere Angelegenheiten von EU-Staaten einmischte. Die Folge war, dass eine Mehrheit der europäischen Nato-Mitglieder die kollektive Verteidigung zu einem Zeitpunkt über das internationale Krisenmanagement stellte, als Frankreich Unterstützung in seinem Kampf gegen den internationalen Terrorismus benötigt hätte. Seit den Pariser Terroranschlägen von 2015 – zweiter Einschnitt – ist dieser Kampf die Kernaufgabe der französischen Streitkräfte. Die entsprechenden Einsätze im Nahen Osten, in der Sahelzone und im eigenen Land fordern indes ihren Tribut – die Streitkräfte sind überlastet. Kernfähigkeiten stehen immer seltener zur Verfügung, da notwendige Investitionen zu deren Anschaffung oder Modernisierung den hohen Kosten der Einsätze zum Opfer fallen. Das Brexit-Referendum von 2016 – als dritte Erschütterung – belegte die Sonderbeziehung zu Großbritannien mit Unsicherheit und vergrößerte Frankreichs Not.21 Während Berlin keinen Druck verspürte, seinen Ansatz zur Weiterentwicklung der GSVP zu modifizieren, sah sich Paris gezwungen, neue Verbündete und frisches Geld zu finden, um seine militärischen Einsätze mit modernen Fähigkeiten fortführen zu können.22 Der Notwendigkeit, neue Ansätze in der verteidigungspolitischen Kooperation zu erproben, entsprach Frankreich mit seiner im Oktober 2017 veröffentlichten Revue stratégique de défense et de sécurité nationale.23 Das Dokument weist minilateralen Formaten eine besondere Bedeutung zu. Es bildete auch eine Reaktion auf die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten im Jahr 2016 – die vierte Zäsur binnen weniger Jahre. Der Wechsel im Weißen Haus bewirkte, dass sich die transatlantischen Beziehungen verschlechterten und Amerikas Sicherheitsgarantien nicht mehr verlässlich erschienen. Europa müsse künftig in der Lage sein, sich selbst zu verteidigen, so die Überzeugung, die sich vor diesem Hintergrund in Paris festigte. Entsprechend stellt die Revue stratégique klar, dass Frankreich alle GSVP-Initiativen unterstützt, die die Fähigkeiten der Mitgliedstaaten stärken, militärisch zu intervenieren.
Noch immer nimmt die GSVP in Frankreich und Deutschland einen unterschiedlichen Stellenwert ein.
Dessen ungeachtet unterscheiden sich Berlin und Paris nach wie vor im Umgang mit der GSVP. Dies betrifft nicht nur die Aufgaben, die dem Format jeweils zugeschrieben werden. Auch weiterhin nimmt die GSVP in beiden Ländern einen unterschiedlichen Stellenwert ein. Deutschland versucht mit viel politischem Kapital, die GSVP in den bestehenden Strukturen graduell weiterzuentwickeln. Dagegen hält es Frankreich angesichts der amerikanischen Ausrichtung auf den indopazifischen Raum für erforderlich, die Verteidigungspolitik der EU schnell und umfassend zu verändern, um damit über einen »Plan B« gegenüber Nato und USA zu verfügen.24
Kompromisszwang als Hindernis
Die Folge dieser deutsch-französischen Differenzen ist, dass immer wieder mühsam Kompromisse gefunden werden müssen und wegweisende politische Initiativen ausbleiben. Auf den Fortgang der PESCO etwa nehmen Berlin und Paris kaum mehr gemeinsam Einfluss, seit sie die Auseinandersetzung um deren Ziel und Gestalt im Sommer 2018 formal beendet haben. Dabei war schon wenige Monate später klar, dass die überwiegende Mehrheit der PESCO-Projekte keinen Beitrag dazu leistet, das 2016 von den Mitgliedstaaten definierte Ambitionsniveau der GSVP zu erfüllen. Am unteren Ende des Leistungsspektrums angesiedelt, bestehen die PESCO-Vorhaben hauptsächlich aus dem, was die Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene zu entwickeln bereit waren. Die seit Jahren vorhandenen Lücken bei strategischen Kernfähigkeiten wie Aufklärung oder Lufttransport schließen die Mitgliedstaaten in ihren PESCO-Projekten nicht.25 Auch die von Frankreich lancierte Europäische Interventionsinitiative bleibt bislang hinter den Erwartungen zurück.26
Und der nächste Konflikt zwischen Berlin und Paris zeichnet sich schon ab. Beide Seiten haben keine gemeinsame Vorstellung davon entwickelt, welcher Art, welcher Intensität und wie umfangreich Militäreinsätze sein sollen, die die EU-Mitgliedstaaten zu beschließen haben, damit das militärische Ambitionsniveau der GSVP erreicht wird. Während Frankreich bei der Erarbeitung des Strategischen Kompasses für ein Ambitionsniveau plädieren dürfte, das einer geopolitischen Macht zukommt, wird sich Deutschland wohl für ein weniger ehrgeiziges Ziel aussprechen, wie es der bisherigen GSVP entspricht.27 Zu erwarten ist ein bilateraler Kompromiss, der einmal mehr den Eindruck verstärken dürfte, dass die EU in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu greifbaren Ergebnissen nicht in der Lage ist. Frankreich wird sich dann in seinen Absichten bestätigt sehen, die Verteidigungszusammenarbeit außerhalb der EU zu vertiefen.
Eher Fortsetzung als Revolution: Fünf Dimensionen der Politik Macrons gegenüber der Eurozone
Die Währungsintegration und die einheitliche Währung, der Euro, sind für Frankreich von besonderem politischem und wirtschaftlichem Interesse. In der Eurozone unterscheidet sich die französische Politik maßgeblich von der deutschen. Paris und Berlin streben verschiedene Grade der fiskalischen Integration an und driften bei der Frage auseinander, ob stärkerer wirtschaftlicher Interventionismus auf supranationaler Ebene zulässig ist. Außerdem beurteilen sie die Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Geldpolitik unterschiedlich. Immer wieder löst auch das Thema Risikoteilung unter den Mitgliedstaaten des Euroraums Spannungen zwischen beiden Ländern aus. Schließlich bleiben gewichtige Integrationsimpulse des deutsch-französischen Tandems aus, weil sich Paris und Berlin nicht darauf verständigen können, ob die wirtschaftliche Integration im Rahmen der EU‑19 oder der EU‑27 vorangetrieben werden soll.
Die Politik des französischen Präsidenten Macron in Sachen Eurozone ist von Pragmatismus und Pfadabhängigkeit geprägt. Sie orientiert sich an historischen Erfahrungen mit der Währungsintegration, den spezifischen Herausforderungen des französischen Wirtschaftsmodells, Macrons ständigem Bemühen, »leadership« zu zeigen, geldpolitischen Aspekten und den Auswirkungen der Covid‑19-Pandemie.
Frankreich, Deutschland und die historische Dimension der Währungsintegration
Präsident Macron steht mit seiner Haltung gegenüber der Währungsintegration in einer weit zurückreichenden Tradition der Politik seines Landes. Bereits Ende der 1960er Jahre hatte der französische Vizepräsident der Europäischen Kommission, Raymond Barre, vorgeschlagen, eine Alternative zum vom Dollar dominierten Bretton-Woods-System aufzubauen. Seit jener Zeit forderten die französischen Regierungen, die Währungspolitik in Europa enger zu koordinieren und eine gemeinsame Währung zu schaffen. Sie taten dies aus praktischen Erwägungen heraus, nicht aus grundsätzlichen Überlegungen zur europäischen Integration: Erstens wirkten sich Wechselkursinstabilitäten negativ auf die Gemeinsame Agrarpolitik der EU aus.1 Zweitens machten spekulative Angriffe auf die französische Währung diese anfällig und volatil. Um den Wechselkurs zu stabilisieren, war Frankreich gezwungen, die Zinsen hochzuhalten. Dies hatte jedoch negative Folgen für das Wirtschaftswachstum, die Staatsverschuldung und die Chancen, neue Arbeitsplätze zu generieren. Drittens sah Frankreich in der Währungsintegration ein Instrument, mit dem es Einfluss auf das Wirken der Deutschen Bundesbank nehmen konnte, die vor der Schaffung des Euros die Geldpolitik in Europa dominierte.2 In Paris wurde darüber hinaus aber auch erkannt, dass die Schaffung einer gemeinsamen Währung ein Mittel sein konnte, um die wirtschaftliche und politische Macht Deutschlands in Europa einzuhegen.3
Deutschland hingegen stand der Idee einer gemeinsamen Währung misstrauisch gegenüber. Es verfolgte das Ziel, das Modell der stabilen Deutschen Mark und der unabhängigen Bundesbank in den institutionellen Aufbau der europäischen Währung zu überführen. Zudem bestand es auf einer ausreichenden Konvergenz der teilnehmenden Volkswirtschaften.
Diese ist indes bis heute nicht erreicht worden. Infolge des unvollendeten Aufbaus der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU), des Fehlens ehrgeiziger Strukturreformen auf nationaler Ebene und einer Serie externer Schocks nahmen die wirtschaftlichen und sozialen Divergenzen zu. Diese erzeugen politische Spannungen innerhalb der Eurozone – auch zwischen Paris und Berlin – und lassen die Möglichkeit einer nachhaltigen Stabilisierung der Währungsunion in noch weitere Ferne rücken. Ihre unterschiedlichen Prioritäten machen es Deutschland und Frankreich schwer, sich über die weitere Richtung der Eurozone zu verständigen. Paris hat im Hinblick auf die Bedrohungen der Inflation und den Einfluss supranationaler Institutionen auf die Wirtschaftspolitik andere Erfahrungen gemacht als Berlin und ein anderes Verhältnis zur Geldpolitik. Allerdings sind sich beide bewusst, dass die monetäre Integration unumkehrbar ist.
Herausforderungen des französischen Wirtschaftsmodells
Ein wichtiger Faktor zur Erklärung der deutsch-französischen politischen Differenzen in der Eurozone sind die unterschiedlichen Wirtschaftsmodelle beider Länder. Das französische geht in fast allen Hinsichten entschieden andere Wege als das deutsche, ganz gleich, ob es um die Rolle des Staates in der Wirtschaft geht, um das ökonomische Denken, die Wirtschaftsstrukturen oder die Effizienz der Arbeitsmarktinstitutionen.4 Das französische Wirtschaftsmodell ist seit mehreren Jahrzehnten mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, als da sind eine schwache internationale Wettbewerbsfähigkeit, bürokratische Belastungen, hohe Steuern, wachsende Staatsverschuldung und strukturelle Arbeitslosigkeit.
Das enorme Engagement des Staates in der Wirtschaft ist ebenfalls ein Problem. Mit einem Anteil von 55,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) waren Frankreichs öffentliche Ausgaben im Jahr 2018 die prozentual höchsten unter den Ländern der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD).5 Der überdimensionierte öffentliche Sektor des Landes ist einer der Hauptgründe für die chronischen Haushaltsdefizite, für Konflikte mit der Europäischen Kommission bezüglich der Ausgabenpläne und für Kritik aus Deutschland. Die französische Staatsverschuldung wird infolge der Pandemie wahrscheinlich von 98 Prozent im Jahr 2019 auf rund 120 Prozent des BIP im Jahr 2022 anwachsen.6 Hinzu kommt die relativ höchste Verschuldung des privaten Sektors in der Eurozone (150 % des BIP im zweiten Quartal 2020).7 Frankreichs Steuereinnahmen im Verhältnis zum BIP sind die zweithöchsten der OECD-Länder nach Dänemark und belaufen sich auf 45,4 Prozent des BIP (2019). Dieser Wert liegt erheblich über dem Durchschnitt der OECD von 33,8 Prozent und ist auch deutlich höher als der für Deutschland (38,8 %).8 Die französische Regierung hat somit wenig Raum für eine weitere Besteuerung der Wirtschaft, überdies fehlt die öffentliche Akzeptanz für weitere Steuererhöhungen.
Seit seinem Amtsantritt im Mai 2017 hat Präsident Macron eine Vielzahl an Strukturreformen angestoßen und durchgeführt – in weiten Teilen gegen den Widerstand der eigenen Bevölkerung. Gleichwohl ist es mit keiner dieser Reformen gelungen, die Schwierigkeiten des französischen Wirtschaftsmodells zu überwinden. Insbesondere im Bereich der öffentlichen Finanzen ist der Mangel an substantiellen Ergebnissen offensichtlich. Auch wenn die EZB die Kosten für den Schuldendienst deutlich gesenkt hat, sind die Perspektiven für die zukünftige Entwicklung der Staatsverschuldung in Frankreich noch immer besorgniserregend.9 Diese Herausforderungen und die daraus resultierenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme wirken sich mittlerweile negativ auf Frankreichs politische Position in Europa und das Gleichgewicht in den Beziehungen zu Deutschland aus. Aufgrund des begrenzten politischen Spielraums für einen wirklichen Strukturwandel im Inneren knüpft Frankreich an die Reform der Eurozone die Erwartung, seine Haushaltspolitik flexibler gestalten zu können, und insgesamt die Hoffnung auf eine Weichenstellung hin zu mehr Wirtschaftsinterventionismus in der EU und im Euroraum. Diese Erwartungen widersprechen der traditionellen Haltung Deutschlands, das Wert auf die Verbindlichkeit von Fiskalregeln in der Währungsunion legt und die Notwendigkeit nationaler Strukturreformen betont.
Macron, Berlin und der Euro: Suche nach der Führungsrolle
In Macrons Vorschlägen zur Erneuerung der Europäischen Union spielt die Eurozone eine tragende Rolle.10 Wie seine Vorgänger im Élysée-Palast strebt auch Präsident Macron eine engere fiskalische Integration und mehr Risikoteilung innerhalb der Eurozone an. Elementare Bausteine einer Reform der Eurozone, wie er sie in seinem Buch Révolution vorstellt, seien die Schaffung eines gemeinsamen Stabilisierungs- und Investitionshaushalts und die Einsetzung eines Finanzministers für den Euroraum.11 Die Ideen spiegeln die in Frankreich seit langem propagierte Vorstellung von einem »gouvernement économique« wider. Dieses würde mit mehr wirtschaftlichem Interventionismus auf EU-Ebene einhergehen, ohne dass die Mitgliedstaaten die Kontrolle über die eigene Wirtschaftspolitik aufgeben müssten. Es würde gleichzeitig auch bedeuten, die Unabhängigkeit der EZB bei der Festlegung und Durchführung ihrer Geldpolitik einzuschränken.12
Macron nahm diese Elemente 2017 in seine Sorbonne-Rede auf, in der er Pragmatismus verbindet mit dem Versuch, Deutschland dazu zu bringen, auf die Forderungen aus Paris zu reagieren.13 Einerseits strich Macron die Bedeutung von Strukturreformen in Frankreich heraus und betonte die Verantwortung der Mitgliedstaaten für ihre Schulden, was den deutschen Erwartungen entsprach; er verzichtete auch auf die übliche Kritik an den deutschen Exportüberschüssen.14 Andererseits erwähnte er die »roten Linien«, vor denen Deutschland regelmäßig warnte und die zum Schlagwort für die mangelnde Bereitschaft Deutschlands geworden waren, Risiken innerhalb des Währungsgebiets zu teilen.15
Das Herausstellen der Strukturreformen im Innern war auch ein Versuch, die Glaubwürdigkeit der französischen Wirtschaftspolitik in den Augen Berlins wiederherzustellen, und ein Argument, um es Deutschland zu erleichtern, Zugeständnisse im Hinblick auf eine tiefere Integration der Eurozone zu machen.16 Ein Jahr später einigten sich Präsident Macron und Bundeskanzlerin Merkel auf die deutsch-französische Erklärung von Meseberg, die der Reform der Eurozone eine neue Dynamik verleihen sollte und für Macron ein Etappenziel markiert in seinem Bestreben, nicht nur das politische Ungleichgewicht zwischen Berlin und Paris zu verringern, sondern auch die Führungsrolle Frankreichs im Tandem mit Deutschland zurückzugewinnen.17
Frankreich und die EZB: Politik trifft Geldpolitik
Wie bereits erwähnt war der Wunsch, den eigenen Einfluss auf die Geldpolitik in Europa zu erhöhen und den der Bundesbank zu reduzieren, ein maßgeblicher Grund für Frankreichs Unterstützung des Währungsintegrationsprojekts. Bevor der Euro aus der Taufe gehoben wurde, wurde die Geldpolitik in Europa von der Bundesbank dominiert. Damals folgten die anderen Zentralbanken, inklusive der Banque de France, den geldpolitischen Entscheidungen der deutschen Zentralbank. Natürlich agierte die Bundesbank zuallererst im Interesse der deutschen Wirtschaft. Der französische Franc war chronisch schwach und die französischen Politiker regelmäßig gezwungen, Deutschland um Neujustierungen innerhalb des Europäischen Währungssystems zu bitten.
Der Widerstand gegen die Unabhängigkeit der Zentralbank ist somit tief in der französischen Politik verwurzelt. Seit Beginn des wirtschaftlichen Abschwungs im Jahr 2001 wurde die Geldpolitik der EZB in Frankreich regelmäßig kritisiert.18 Es war eines der wichtigsten politischen Ziele der französischen Regierungen, einen starken Einfluss auf die Geldpolitik der EZB zu haben und die Leitung der obersten Währungsbehörde der EU mit einem französischen Kandidaten zu besetzen, was zwischen 2003 und 2011 mit Jean-Claude Trichet auch gelang.19
Seit Beginn der Eurokrise 2010 hat die EZB eine Schlüsselrolle bei der Stabilisierung des Euroraums gespielt, indem sie der wachsenden Staatsverschuldung entgegengewirkt hat. Durch die Krise hat die EZB im institutionellen Gefüge der EU erheblich an Bedeutung gewonnen, erfährt aber auch eine stärkere Politisierung.20 Die Berufung von Christine Lagarde zur neuen EZB-Präsidentin 2019 war einer der größten europapolitischen Erfolge Macrons. In Anbetracht der weitreichenden wirtschaftspolitischen Steuerungsfunktion der EZB kann die französische Direktorin Paris helfen, das Projekt der Währungsintegration näher an die französische Vision heranzuführen. Lagarde hat eine Überprüfung der geldpolitischen Strategie der EZB angekündigt und initiiert. Im Zuge einer solchen Revision dürfte die Präsidentin die zukünftige Ausrichtung der EZB-Geldpolitik wesentlich beeinflussen.
Covid‑19: ein Stresstest für die Eurozone und für das deutsch-französische Tandem
Sowohl in Paris als auch in Berlin wurde schnell begriffen, dass die Covid‑19-Pandemie nicht nur eine große Bedrohung für einzelne Volkswirtschaften und die Eurozone ist, sondern vor allem eine enorme politische Herausforderung. Frankreich regte an, für die Eurozone neue Hilfsinstrumente zu entwickeln. Dazu brachte es eine informelle Koalition aus neun Ländern, darunter Italien und Spanien, zusammen, die sich für die gemeinsame Ausgabe von Schuldverschreibungen innerhalb der EU‑19 (Corona-Bonds) zur Bekämpfung der Auswirkungen der Pandemie einsetzte. Die Forderungen dieser Gruppe wurden von Christine Lagarde unterstützt.21 Zusätzlich zu den enormen fiskalischen Anreizen, die die einzelnen Mitgliedstaaten setzten, und das von der Eurogruppe verabschiedete Hilfspaket schlugen Frankreich und Deutschland am 18. Mai 2020 die Schaffung eines speziellen Finanzhilfeinstruments vor. In dem Beschluss dazu trug Frankreich den deutschen Bedenken Rechnung und stimmte zu, dass man sich gleichzeitig weiterhin »zu solider Wirtschaftspolitik und einer ambitionierten Reformagenda« verpflichte.22
Die im Anschluss an die deutsch-französische Übereinkunft getroffene Vereinbarung aller EU-Mitgliedstaaten, eine größtenteils aus Zuschüssen bestehende Aufbau- und Resilienzfazilität einzurichten, die ein Volumen von 672,5 Milliarden Euro haben soll, war zweifellos ein Erfolg für Macron, auch wenn das Instrument innerhalb des EU-Haushalts verbleibt. Im Gegensatz zu Deutschland zog es Frankreich vor, die weitere fiskalische Integration in einer kleineren Gruppe von Staaten, wie der EU‑19, zu verfolgen.
Der französische Arbeitsmarkt wird auch im Wahljahr 2022 noch nicht wieder das Vorkrisenniveau erreichen.
Frankreichs Arbeitsmarkt ist von der Pandemie hart getroffen. Daran werden auch die Gelder der Aufbau- und Resilienzfazilität voraussichtlich erst einmal nicht viel ändern. Optimistische Prognosen halten für Frankreich im Jahr 2021 einen starken Aufschwung des BIP-Wachstums (5,8 %) für möglich.23 Die Situation auf dem Arbeitsmarkt wird herausfordernd bleiben: Bis Ende 2020 wird mehr als jeder fünfte Arbeitsmarktteilnehmer Engpässe beim Arbeitsangebot zu spüren bekommen.24 Auch im Wahljahr 2022 wird die Lage auf dem Arbeitsmarkt wahrscheinlich nicht wieder das Niveau von vor der Corona-Krise erreichen.25 Eine unterschiedliche Entwicklung zwischen Frankreich und Deutschland wird es darüber hinaus bei der Staatsverschuldung geben. In Frankreich wird diese in Relation zum BIP eine der höchsten in der EU‑19 sein und 2021 bei etwa 117,8 Prozent relativ zum BIP liegen. In Deutschland wird sie sich auf 71,1 Prozent im Verhältnis zum BIP belaufen.26
Ausblick: Paris und Berlin in der Post‑Covid‑19-Eurozone
Emmanuel Macrons Vision von einer Reform der Eurozone unterscheidet sich nicht wesentlich von den traditionellen französischen Betrachtungs- und Herangehensweisen. Die wichtigsten deutsch-französischen Differenzen bei diesem Thema werden daher bestehen bleiben. Macrons Rede an der Sorbonne konnte trotz der Versuche, sich als Reformer der Eurozone zu präsentieren, kaum das Widerstreben Frankreichs verhüllen, die Wirtschaftspolitik im Euroraum stärker durch supranationale Institutionen kontrollieren zu lassen. Immerhin zeigt Emmanuel Macron im Hinblick auf das wirtschaftliche Reformprogramm in Frankreich, das für die Stabilität der Eurozone von entscheidender Bedeutung ist, eine größere Entschlossenheit als seine Vorgänger. Damit will der Präsident die Position der Augenhöhe Frankreichs in seinen Beziehungen zu Deutschland und seinen politischen Einfluss in der EU wiederherstellen.27
Die Pandemie hat eine neue Dynamik in die wirtschaftliche Integration der EU gebracht und Paris und Berlin zu einer effektiveren Zusammenarbeit in diesem Bereich gezwungen. Einerseits wurde ein noch nie dagewesener finanzieller Unterstützungsmechanismus, die Aufbau- und Resilienzfazilität, unter dem Dach des EU-Haushalts geschaffen. Dass Deutschland diese Idee unterstützt hat, markiert einen gewissen Paradigmenwechsel in seiner Politik. Andererseits werden die ungleichen Auswirkungen der Gesundheitskrise und die unterschiedliche Geschwindigkeit der Erholung die wirtschaftlichen Divergenzen nicht nur innerhalb der EU‑19 vertiefen, sondern auch zwischen Frankreich und Deutschland.
Insbesondere der absehbare signifikante Anstieg der Staatsverschuldung dürfte einen großen Einfluss auf die Richtung der weiteren Integration innerhalb des Euroraums haben. Deshalb ist damit zu rechnen, dass Paris nach der Pandemie eine aktive Rolle in der erwarteten Debatte über eine mögliche weitere Risikoteilung im Bereich der öffentlichen Finanzen und über Reformen der EU-Fiskalregeln spielen wird. Obwohl sich die Fiskalregeln der Eurozone immer weiter von der wirtschaftlichen Realität entfernen, wird Deutschland es wohl vorziehen, diese Debatte auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Angesichts der Wahlen in Deutschland (2021) und Frankreich (2022) und der unterschiedlichen Interessen der Mitgliedstaaten wird es sehr schwer sein, in diesem Bereich Fortschritte zu erzielen. Vor dem Hintergrund der strukturellen Herausforderungen der französischen Wirtschaft und der Krise, die diese wegen der Covid‑19-Pandemie durchmacht, ist es für Frankreich wichtig, die fiskalische Unterstützung der Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Daher wird es entscheidend sein, dass die EZB ihre expansive Geldpolitik fortsetzt, damit die Kosten des öffentlichen Schuldendienstes in der Eurozone niedrig gehalten werden. Mittelfristig ist es sowohl für Paris als auch für Berlin die politisch »billigste« Option, wenn die EZB ihr umfangreiches Engagement zur Stabilisierung der Eurozone beibehält.
Macrons Russlandpolitik: Bereits gescheitert?*
Emmanuel Macron hat mit seiner Aussage zum »Hirntod« der Nato Schlagzeilen gemacht.1 Genauso wichtig im deutschen Kontext ist allerdings sein Ansatz in Bezug auf Russland: Der französische Präsident hat im August 2019 angekündigt, mit Russland einen Dialog über europäische Sicherheit führen zu wollen.2 Anschließend hat er bilaterale Schritte eingeleitet, um das Verhältnis zwischen Paris und Moskau zu verbessern. Der sichtbarste war die Wiedereinführung des 2+2-Formats, das heißt regelmäßiger Treffen zwischen den Außen- und Verteidigungsministern und -ministerinnen beider Staaten. In diesem Zusammenhang wurden 13 Arbeitsgruppen für engere Themen wie Libyen oder Cybersicherheit ins Leben gerufen, die ihre Arbeit im September 2020 aufgenommen haben.
Macron hat diesen seinen Ansatz in mehreren Formaten rhetorisch bekräftigt, auch explizit gegen die Meinung außenpolitischer Fachkreise.3 Zumindest rhetorisch sekundiert wurde er hierin von Außenminister Jean-Yves Le Drian, der den neuen französischen Ansatz in einer Rede in Prag Ende 2019 in Beziehung setzte mit der Politik der Nato während des Kalten Krieges.4 Er betonte, die Geschichte lehre uns, dass es notwendig sei, mit Russland im Gespräch zu sein, um die europäische Sicherheit zu gewährleisten. Macrons Einladung an Wladimir Putin, ihn in seiner Sommerresidenz in Brégançon just vor dem G7‑Gipfel im August 2019 zu besuchen, demonstrierte seine Entschlossenheit, mit dem russischen Präsidenten in einen Dialog zu treten. Zudem wirkte sie als Signal, dass der französische Präsident eine mittelfristige Rückkehr Russlands ins G7- bzw. G8-Format begrüßen würde und dass er bereit sei, Putins Botschaften gegebenenfalls in die Gipfelgespräche einzuspeisen.5
Macrons Ansatz vis-à-vis Russland ist jedoch nicht losgelöst von seiner Aussage zum »Hirntod« der Nato zu sehen. Vielmehr ist er eingebettet in eine breitere Sicht auf die internationale Lage, die Macron zu der Schlussfolgerung geführt hat, eine Zusammenarbeit mit Moskau sei unerlässlich. Sowohl in seinem Interview mit der Zeitschrift The Economist im November 2019 als auch in seiner programmatischen Rede an die französischen Botschafter und Botschafterinnen im August 2019 führte er aus, warum es notwendig sei, Russland von den Vorteilen einer intensiveren Kooperation zu überzeugen: Eine solche Vorgehensweise würde die derzeitige Zusammenarbeit zwischen Russland und China tendenziell schwächen. Darüber hinaus würde der Erfolg dieses Ansatzes Europa ein stärkeres Gewicht auf der Weltbühne verleihen. So wäre es weniger abhängig von einem guten transatlantischen Verhältnis und von den Sicherheitsgarantien der USA.
Das vorgeschlagene und in Ansätzen bereits realisierte Vorhaben des französischen Präsidenten bezüglich der Russischen Föderation enthält also rhetorische wie praktische Komponenten und bildet einen Teil eines größeren Gefüges, das seine Sicht auf die internationale Situation widerspiegelt. Im Folgenden werden die Unterschiede zwischen Paris und Berlin hinsichtlich der Russlandpolitik dargestellt, Erklärungen für das französische Vorgehen angeboten sowie die Konsequenzen der bisher eingeleiteten Schritte für das deutsch-französische Verhältnis erläutert.
Verschiebung der Rollen in der Russlandpolitik
Aus deutscher Perspektive ist das Hauptproblem der Russlandpolitik Emmanuel Macrons, dass sie als Alleingang empfunden wird. Der französische Präsident hat den oben beschriebenen Ansatz auf den Weg gebracht, ohne Berlin bzw. andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) vorher zu konsultieren. Das irritierte deutsche Entscheidungsträger und ‑trägerinnen erheblich, zumal Berlin öfter die Führungsrolle in der EU übernimmt, wenn es um Russland geht.
Die Russlandpolitiken der beiden Länder unterscheiden sich überdies inhaltlich. Selbst wenn der französische Ansatz gewisse Ähnlichkeiten zur früheren deutschen Russlandpolitik aufweist und sicherlich im Einklang steht mit den Ansichten etlicher politischer und wirtschaftlicher Akteure in Deutschland, liegt er dennoch quer zum Geist des gegenwärtigen deutschen Umgangs mit Russland. Dieser zeichnet sich insbesondere durch klare Kritik an bestimmten russischen Handlungen aus sowie durch eine entschlossene Unterstützung der bestehenden EU‑Sanktionen gegen das Land. Frankreich stellt die Sanktionen zwar nicht in Frage, aber die französische Rhetorik in Bezug auf Russland ist im Laufe der Amtszeit Macrons deutlich milder geworden.
Frankreich schlussfolgert, was die »logischen« Interessen Russlands seien. Deutschland orientiert sich am russischen Verhalten.
Entscheidend ist allerdings folgende Tatsache: Die Vorgehensweise des französischen Präsidenten basiert auf seinen eigenen Schlussfolgerungen, was die »logischen« Interessen der russischen Seite seien, statt auf dem russischen Verhalten.6 In Deutschland sind Politiker und Politikerinnen in Schlüsselpositionen aufgrund wiederholter enttäuschender Erfahrungen mit russischen Akteuren (im Zusammenhang mit der Krim-Annexion, dem Krieg im Donbas, dem »Fall Lisa«, der Vergiftung Alexej Nawalnyjs) zu dem Schluss gekommen, dass die russische Logik schwer nachzuvollziehen ist und man demnach Annahmen eher auf der Grundlage der russischen Handlungen treffen sollte. Das Ergebnis ist eine andere Mischung von Instrumenten und Ansätzen als auf der französischen Seite.
Die Russlandpolitik Deutschlands beinhaltet mit ihrem Festhalten am Projekt Nord Stream 2 freilich auch kooperative und regimestützende Elemente. Frankreich hat im Gegensatz dazu den Verkauf von zwei Hubschrauberträgern des Typs »Mistral« an Russland 2014 storniert, obwohl er bereits vertraglich geregelt war.7 Dies fand jedoch unter dem damaligen Präsidenten François Hollande statt und ist mithin nicht Teil der Macron’schen Russlandpolitik. Die Frage der Großprojekte mit Russland ist aber auch für Macron von Bedeutung; wiederholt hat er Vorbehalte gegen die Gaspipeline Nord Stream 2 geäußert. Es ist plausibel, dass die Haltung Deutschlands in dieser Angelegenheit ihn unter anderem deshalb irritiert, weil die kritische deutsche Einstellung gegenüber Russland mit der Fortsetzung des Nord-Stream‑2-Projekts schwer vereinbar ist.8
Auch Macrons Sicht auf die globale Entwicklung stößt in Berlin nicht durchweg auf Zustimmung. Erstens wird die Idee in Deutschland als kontrovers angesehen, dass Akteure innerhalb der EU die russische Führung überzeugen könnten, ihr enges Verhältnis zu China zugunsten einer intensiven Kooperation mit der EU bzw. Europa aufzugeben. Zahlreiche Russland-Expertinnen und ‑Experten stellten diese Behauptung in Frage, desgleichen fanden einige politische Akteure sie wenig überzeugend.9 Die Angebote, die die EU Russland machen könnte, seien für Russland nicht attraktiv genug, um es zu einer Herabstufung seines Verhältnisses zu China zu bewegen. Allerdings argumentierten Mitglieder der EU-Delegation in Moskau ähnlich wie Macron.10 Berlin teilte diese Meinung nur bedingt, unter anderem weil die Hebel fehlen, Russlands Außenpolitik in die gewünschte Richtung zu beeinflussen.
Zweitens zielt der französische Ansatz offenbar auf eine stärkere Entkopplung Europas von den USA ab, die mit der deutschen Politik nicht im Einklang steht. Die Logik hinter Macrons Vorschlägen scheint folgende zu sein: Die EU sollte versuchen, auf ein starkes Europa hinzuarbeiten, um mehr Autonomie gegenüber China sowie den USA zu erlangen.11 Dafür ist eine engere Verbindung zu Russland unabdingbar. Es ist klar, dass eine intensivere sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Russland mehr Distanz zwischen der EU und den USA erzeugen wird – zumindest in der absehbaren Zukunft. Diese Sicht- und Denkweise widerspricht der in Berlin vorherrschenden Haltung zu den transatlantischen Beziehungen, vor allem nach dem Sieg Joe Bidens bei den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen.
Interessant ist, dass der Russland-Ansatz Emmanuel Macrons relativ nah an der Berliner Linie vor 2014 liegt. Das heißt, innerhalb der EU hat in Bezug auf Russland eine Verschiebung der Rollen stattgefunden. Frankreich nimmt nun die frühere deutsche Rolle ein, während Deutschland den Russland-Kritikern im Osten der EU etwas näher rückt, namentlich Polen und den baltischen Staaten. Darin zeigt sich, wie weit(reichend) sich die deutsche Linie in den letzten Jahren verändert hat. Dennoch bleibt Deutschland mit seinem Ansatz in der Mitte des EU-weiten Spektrums, selbst nachdem sich die Beziehungen zu Russland wegen der Vergiftung des Oppositionspolitikers Alexej Nawalnyj erheblich verschlechtert haben.12
Der französische Ansatz vis-à-vis Russland: Vor allem geopolitisch
Die Russlandpolitik des französischen Präsidenten ist lediglich ein Baustein in einem größeren Gefüge. Laut der Weltsicht Emmanuel Macrons, wie er sie zum Beispiel in seinem Interview mit der Zeitschrift The Economist im Herbst 2019 erläutert hat, ist es notwendig, Russland stärker in einen europäischen Diskurs einzubinden und mit Moskau intensiver zusammenzuarbeiten. Dementsprechend muss man, um dieses Ziel zu erreichen, das Interesse der russischen Führung an Kooperation von China auf Europa lenken. Andernfalls werden Russland und China einen Block bilden und die EU wohl gezwungen sein, eine engere Allianz mit den USA zu suchen, um diesen Block auszugleichen. – Es ist also eine sehr geopolitisch geprägte Sichtweise, die den französischen Präsidenten auf eine Zusammenarbeit mit Russland hinwirken lässt. Vielleicht ist seine Initiative manchen in Berlin auch deshalb suspekt, weil viele deutsche Akteure sich mit Geopolitik nicht oder nur schwer anfreunden können.
Diese Vorgehensweise erlaubt es Macron, sich als Europäer zu präsentieren und bei Erfolg eine Führungsrolle in der europäischen Außenpolitik zu übernehmen. Gleichzeitig entspricht sie der Präferenz wichtiger politischer und wirtschaftlicher Kreise innerhalb Frankreichs. Selbst wenn das französische außenpolitische Establishment in Bezug auf Russland gespalten ist, unterstützt ein Teil davon Macrons Vorschläge, darunter eine Reihe von renommierten, teilweise emeritierten Botschaftern und Ministern.13 Zu ihnen gehört Pierre Vimont, ein hochrangiger Diplomat und derzeit Beauftragter des französischen Präsidenten für die Sicherheitsarchitektur und die Vertrauensbildung mit Russland. Außerdem sind einige einflussreiche französische Geschäftsleute aus dem Energie- und Rüstungssektor an einem guten Verhältnis zu Russland interessiert, vorwiegend aus finanziellen Gründen.14
Schließlich verspricht sich der französische Präsident positive Auswirkungen seines Russland-Ansatzes auf einige außenpolitische Herausforderungen, vor allem im Nahen Osten und in Afrika. Da Russland eine Schlüsselrolle in Syrien spielt, könnte man, so die Macron’sche Logik, die russische Führung leichter überzeugen, bestimmte Handlungen zu unternehmen bzw. zu unterlassen, wenn das bilaterale französisch-russische ebenso wie das EU–Russland-Verhältnis insgesamt besser wären. Aber auch im Hinblick auf Libyen und den Sahel hat sich Macron anscheinend positive Spillover-Effekte erhofft.15 In diesem Sinne sind die Beziehungen zu Russland relevant für Schlüsselbereiche der französischen Außenpolitik südlich der EU.
Konsequenzen für das deutsch-französische Verhältnis: Noch in Bewegung
Bislang haben die Differenzen in den beiden Ansätzen vis-à-vis Russland keine gravierenden Folgen für das deutsch-französische Verhältnis gehabt. Dafür gibt es mindestens zwei Gründe: Zum einen hat sich der französische Ansatz bisher eher auf der rhetorischen Ebene manifestiert. Die wenigen konkreten Handlungen (2+2-Gespräch, Einladung Putins nach Brégançon) haben keine greifbaren Ergebnisse gezeitigt. Zum anderen haben die letzten Entwicklungen in und in Bezug auf Russland den Ansatz Macrons zumindest vorläufig gebremst. Nach der Vergiftung Alexej Nawalnyjs wurde das nächste geplante Gespräch im 2+2-Format verschoben, Macrons angedachter Besuch in Moskau in Frage gestellt.16 Dies ist allerdings nur eine temporäre Erscheinung und bedeutet keine grundlegende Änderung des französischen Ansatzes.
Als Macron seine Vorschläge ursprünglich erläuterte, befürchteten Expertenkreise in Deutschland, dieses Zugehen auf Russland könnte sich negativ auf das Normandie-Format17 auswirken. Dahinter stand die Überlegung, dass ein solches Rapprochement (oder auch nur das Potential dafür) sowohl das russische Kalkül innerhalb des Formats beeinflussen könnte als auch die bis dahin vorhandene einheitliche Haltung der deutschen und französischen Seite. Jedoch hat das Normandie-Gipfeltreffen im Dezember 2019 in Paris gezeigt, dass diese Befürchtung unbegründet war. Die Einigkeit der beiden EU-Mitglieder scheint aktuell nicht in Gefahr; dennoch könnten die Verhandlungen im Normandie-Format beeinträchtigt werden, da sich das Verhältnis zu Russland aufgrund des Nawalnyj-Falls weiter verschlechtert hat.
Wie Deutschland versucht auch Frankreich mit den östlichen EU-Mitgliedstaaten einen Dialog über Russland zu führen. Die Litauen-Reise Emmanuel Macrons Ende September 2020 hat allerdings Signale in zwei Richtungen gesendet. Einerseits fand der französische Präsident harte Worte angesichts des Umgangs der russischen Führung mit dem Fall Nawalnyj und hat sich mit der belarussischen Oppositionellen Swetlana Tichanowskaja getroffen. Andererseits nahm das Treffen mit ihr vergleichsweise wenig Raum ein, betrachtet man die Reise als Ganzes, und Macrons sonstige Rhetorik in Vilnius galt der These, dass der Dialog mit Moskau fortgeführt werden müsse.18 Insgesamt gewinnt man den Eindruck, dass eine Abkehr von der bisherigen französischen Linie gegenüber Russland nicht vorgesehen ist. Zwar demonstriert Macrons Besuch in Litauen seine Absicht, weiterhin einen guten Kontakt mit den Regierungen in Ostmitteleuropa zu pflegen. Doch hat zum Beispiel seine Reise nach Warschau im Februar 2020 weder eine spürbare Verbesserung des französisch-polnischen Verhältnisses bewirkt noch eine Annäherung der Positionen beider Länder, was Russland betrifft.
Nach dem Wahlsieg Bidens wird Berlin stärker als Paris auf die USA als Partner setzen. Das könnte die deutsch-französische Zusammenarbeit erschweren.
Da der französische Russland-Ansatz in einen breiteren internationalen Kontext eingebettet ist, stellt sich darüber hinaus die Frage, ob und wie weit sich Deutschland und Frankreich in verwandten Bereichen der Außenpolitik aufeinander zubewegen werden. Bedeutende Zeichen einer solchen Annäherung sieht man derzeit nicht. Nach dem Sieg Bidens bei den US-Wahlen könnten die Einschätzungen beider Länder auseinandergehen, welches Potential für das transatlantische Verhältnis dieses Wahlergebnis birgt. Deutschland wird wohl zumindest kurz- bis mittelfristig wieder stärker auf die USA als Partner setzen – Frankreich wird hier voraussichtlich zurückhaltender sein. Eine solche Entwicklung könnte die deutsch-französische Zusammenarbeit zusätzlich erschweren, sowohl im EU-Rahmen als auch in Bezug auf Russland. Abschließend ist festzuhalten: Es ist unklar, welchen Weg die deutsche Außenpolitik nach den Bundestagswahlen im September 2021 einschlagen und was auf sie zukommen wird, auch und gerade im Hinblick auf die Beziehungen zu Russland. Deswegen ist zurzeit offen, wie sich der deutsche und der französische Ansatz vis-à-vis Russland mittelfristig entwickeln und wie hoch die Chance ist, dass sie sich einander annähern werden.
In der Nato-Politik treten die Charakteristika von Frankreichs aktuellem sicherheits- und verteidigungspolitischen Kurs deutlich zutage: das Leitmotiv europäischer Souveränität, disruptive Ansätze, hohe Erwartungen und die Bereitschaft zu Alleingängen. Inhaltlich ist die Politik, die Paris heute dem Bündnis gegenüber betreibt, mit wenigen Ausnahmen von traditionellen Positionen geprägt.
Deutsch-französische Unterschiede
Für Frankreich ist die Nato ein Format unter vielen, mit denen es seine verteidigungspolitischen Ziele verfolgen kann.1 Die Beziehung zwischen Paris und der Allianz ist seit vielen Jahrzehnten kompliziert, was schon der Umstand zeigt, dass Frankreich die integrierten militärischen Strukturen der Nato 1966 verließ und erst 2009 wieder dorthin zurückkehrte. Das Land sieht die eigene Rolle in der Allianz unter dem Leitmotiv »Amie, alliée, mais pas alignée« (Freund, Verbündeter, aber nicht eingereiht) und definiert die Nato vor allem als militärisches Verteidigungsbündnis. Die von Paris bislang sehr orthodox verfochtene Unterscheidung zwischen der Nato als einer – geschätzten – militärischen Verteidigungsorganisation und dem Bündnis als einem politischen Zusammenschluss findet sich nirgends sonst in Europa. Aus französischer Sicht ist die Nato ein Instrument, das nur dort eingesetzt werden soll, wo es einen Mehrwert bringt, nämlich bei der territorialen Verteidigung Europas und zur Sicherung von Interoperabilität der Bündnispartner.
Im Gegensatz dazu unterstreicht Deutschland beide Dimensionen – die politische und die militärische. Es sieht die Nato als zentralen Pfeiler der transatlantischen Ordnung und wichtigste Struktur zur Organisation und Gewährleistung der euroatlantischen Verteidigung.2 Laut dem Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr von 2016 ist der Sicherheit des Landes am besten »mit einer starken Nato und einem handlungsfähigen Europa« gedient. Daher gilt Bündnissolidarität als »Teil deutscher Staatsräson«.3 Die Allianz ist demzufolge die entscheidende Bezugsgröße für die deutsche Verteidigungspolitik, für Planung, Ausrüstung und Übungen. Angesichts der Schlüsselrolle der USA im Bündnis sieht Deutschland die Nato als militärische Lebensversicherung schlechthin und politisch als zentrales Forum der transatlantischen Zusammenarbeit.
Anders als Deutschland betrachtet Frankreich seine bilaterale Verteidigungskooperation mit den USA als weitgehend unabhängig von der Nato. Generell sind die transatlantischen Beziehungen aus Pariser Sicht viel umfassender. Die Nato ist demnach nur ein Format dafür, zwar ein wichtiges, dabei aber weder einzigartig noch privilegiert, und sie wird sogar als eher schwerfällig und bürokratisch wahrgenommen. Eine konstruktive Zusammenarbeit mit Washington kann für Paris daher auch außerhalb des Bündnisses stattfinden (Beispiele sind der Einsatz in der Sahelzone und die Anti-IS-Koalition), während das französisch-amerikanische Verhältnis im Rahmen der Nato eher angespannt ist. Im Gegensatz zu Deutschland und vielen mittel- und osteuropäischen Ländern sieht Frankreich die Nato und die US-Zusagen zwar als Schlüsselelement für Europas Sicherheit und Stabilität, aber nicht als ultimative Existenzgarantie. In Paris betont man eher die eigene Unabhängigkeit, vor allem weil die Republik über eigene Atomwaffen als Garanten nationaler Souveränität verfügt und sich daher weniger von US‑Sicherheitszusagen abhängig fühlt.
Auch in Frankreichs praktischer Verteidigungspolitik ist die Bedeutung der Nato begrenzt. Das zeigen seine jüngsten Auslandseinsätze, sowohl nach geographischer Lage (Afrika, Naher und Mittlerer Osten) wie nach institutionellem Rahmen (Koalition der Willigen, EU, Kooperation mit lokalen Streitkräften). In den letzten Jahren war die Zahl französischer Beteiligungen an Nato-Einsätzen rückläufig. Dies lag zwar zum Teil daran, dass die Allianz ihre Operationen generell reduziert hat. Doch benötigte Paris die eigenen Kräfte auch im Inneren – für die Anti-Terror-Operation »Sentinelle« seit 2015 – und für Operationen wie »Barkhane« in der Sahelzone oder »Chammal« in Syrien und dem Irak. Allerdings beteiligt sich Frankreich im Rahmen der kollektiven Verteidigung substantiell an der Nato-Vornepräsenz (enhanced Forward Presence, eFP) im Baltikum.
Ansätze zur Nato unter Macron: Militärisches Bündnis, aber auch politische Allianz
Unter Präsident Macron ist eine Neuerung in der französischen Nato-Politik zu erkennen: Paris betont nunmehr die politische Dimension der Allianz. Ansonsten setzt Frankreich in seinem Kurs der Nato gegenüber weitgehend auf Kontinuität.
Kontinuität in den Grundannahmen
Vier Gründe erklären die traditionelle französische Positionierung. Erstens zweifelt Paris daran, dass die Zusagen der Vereinigten Staaten für die europäische Sicherheit langfristig verlässlich und belastbar sind. Dies galt insbesondere für die Präsidentschaft Donald Trumps, der entsprechende Sorgen bestätigte – etwa mit dem unkoordinierten US-Abzug aus Syrien im Herbst 2019, rhetorischen Ausfällen gegen Europa (»ein Feind«)4 und dem Ausstieg Washingtons aus internationalen Ordnungsstrukturen. Doch motiviert sind die französischen Bedenken auch durch strukturelle Tendenzen – wie die zunehmende Fokussierung der USA auf den Rivalen China – und durch generelle Machtverschiebungen auf globaler Ebene. Die Ablösung Trumps durch Joe Biden dürfte an Frankreichs Herangehensweise also nichts ändern. Paris wird seine bekannten Bedenken zur Rolle Washingtons nicht aufgeben und weiterhin den Aufbau europäischer Verteidigung und Souveränität für notwendig erachten. Dies ist jedoch nicht als Misstrauen gegenüber Washington zu werten. Für Frankreich ist nachvollziehbar, dass sich die USA den aus ihrer Sicht größten Herausforderungen – wie China – widmen und dass sie von Europa erwarten, in seinem eigenen Umfeld sicherheitspolitisch handlungsfähig zu werden. Die Herausforderung für die Europäer liegt aus Pariser Perspektive vielmehr darin, in kooperativer und konstruktiver Weise den amerikanischen Fokuswechsel zu begleiten.
Zweitens konstatiert Frankreich eine Schwächung der Nato, die darauf zurückzuführen ist, dass Alliierte verstärkt Partikularinteressen verfolgen und bilaterale Konflikte in das Bündnis tragen. So blockiert etwa Ungarn die Beziehungen der Nato zur Ukraine. Die Türkei war bzw. ist an verschiedenen Schauplätzen (Syrien, Libyen, Irak, Griechenland, Zypern, Bergkarabach) engagiert, wo sie teils gegen Beschlüsse und Interessen der Nato handelt, etwa durch Verletzung des Waffenembargos für Libyen. Ankara blockiert nicht nur die Beziehungen der Nato zur EU, sondern auch die bilateralen Partnerschaften der Allianz mit Ägypten, Armenien, Jordanien, Israel, Irak und Österreich. Für Paris zeigt sich daran, dass die Absprache unter den Alliierten nicht funktioniert und die Nato ihrer Koordinationsfunktion nicht nachkommen kann. Aus französischer Sicht schadet das Verhalten einzelner Nato-Mitglieder mittlerweile sogar direkt den Interessen anderer Alliierter, auch denen Frankreichs. So geht die Türkei gegen die kurdischen YPG-Milizen vor, die von Frankreich und den USA ausgebildet und ausgerüstet wurden und mit denen man gemeinsam den »Islamischen Staat« (IS) bekämpfte. Durch Ankaras Verhalten sieht sich Paris im Konflikt mit dem IS geschwächt und seine innere Sicherheit bedroht, weil vor diesem Hintergrund das Risiko von Attentaten in Frankreich gestiegen ist. Unterminiert wird so auch die Glaubwürdigkeit der Nato als Verteidigungsbündnis, in dem sich Alliierte für den Krisenfall eigentlich Beistand zusichern.
Drittens kritisiert Paris, die Nato sei zu stark auf Russland ausgerichtet, denn aus französischer Sicht ist auch der Terrorismus eine zentrale Bedrohung für Europa.5 In Frankreich gilt 2015 als sicherheitspolitisches Schlüsseljahr – mit dem Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo im Januar und der Anschlagsserie in Paris am 13. November. Geringere Bedeutung als für Deutschland hat hingegen das Jahr 2014, in dem Russland die Krim annektierte. Dabei sieht Frankreich in Russland durchaus eine Herausforderung. Zwar basiert die französische Abschreckungsdoktrin auf Ambivalenz und benennt nicht eindeutig Gegner. Aus den Positionierungen lässt sich jedoch ableiten, dass sich Frankreichs nukleare Abschreckung auch gegen Russland richtet. Paris geht es darum, dass die Nato existierende Bedrohungen in ausgewogener und umfassender Weise wahrnehmen und einen einseitigen Blickwinkel vermeiden sollte.
Viertens schließlich befürchtet Paris, der deutliche Fokus einiger Alliierter (vor allem in Mittel- und Osteuropa) auf Nato und USA könnte das französische Bemühen unterminieren, die europäische Souveränität zu stärken. Wenn zudem Europas steigende Verteidigungsausgaben in Ausrüstung amerikanischer Herkunft fließen anstatt in solche, die europäische Firmen produzieren, wird aus französischer Sicht eine Chance auf Eigenständigkeit des Kontinents vertan.
Paris unterstreicht aber ausdrücklich, die Nato habe eine wesentliche Bedeutung als »Sockel« für kollektive Verteidigung in einer »instabilen, aus dem Gleichgewicht geratenen Welt«.6 Frankreich schätzt die Allianz als ein Forum, in dem Interoperabilität unter Verbündeten gewährleistet wird (von der auch andere Formate und Einsätze profitieren) und das Aufmerksamkeit für sicherheitspolitische Probleme schafft, etwa solche an der Nato-Südflanke mit Blick auf Terrorismus. Aus französischer Perspektive stärken sich europäische Verteidigung und Nato gegenseitig, da die Nato und die transatlantischen Beziehungen letztlich von besseren europäischen Fähigkeiten profitieren.7 Es geht also nicht darum, dass »die EU die Nato ersetzt, sondern dass wir die Nato ergänzen und einen größeren Beitrag zu seiner [d. h. Europas] eigenen Verteidigung leisten«, wie es der frühere Außenminister Hubert Védrine formulierte, der Frankreich in dem 2020 organisierten Reflexionsprozess zur Zukunft der Nato vertrat.8 Die zentrale politische Sicherheitsorganisation oder der Rahmen für europäische Souveränität ist die Nato damit nicht.
Überraschende Aufwertung der politischen Rolle
Allerdings zeichnet sich unter Präsident Macron bei aller Kontinuität auch eine Veränderung ab: Überraschend hat er die politische Rolle der Nato aufgewertet. Damit setzt er sich von der traditionell minimalistischen Vision seiner Vorgänger ab, die in dem Bündnis eine militärische und keine politische Organisation sahen.
Im militärischen Bereich bemüht sich Frankreich um sichtbare Beiträge. Zwar haben nationale Verpflichtungen weiterhin Priorität. Doch Paris beteiligt sich, nach ursprünglichem Zögern, substantiell an den Abschreckungsmaßnahmen der Nato gegenüber Russland, die die Alliierten infolge der Krim-Annexion beschlossen hatten. Dazu gehört die Teilnahme am Baltic Air Policing und an der Nato-Vornepräsenz im Baltikum; dafür stellt Frankreich 300 Soldaten, die im Rotationsverfahren in Estland und Litauen stationiert sind.9 Zugleich hält Paris hier Fähigkeiten wie die »Leclerc«-Kampfpanzer bereit, die zur territorialen Verteidigung in Europa geeignet sind, ansonsten aber für die französische Sicherheitsplanung kaum benötigt werden. Frankreich sieht darin ein europäisches Engagement und argumentiert zudem, dass seine anderen Einsätze, etwa in der Sahelzone, seine militärischen Fähigkeiten, seine Verteidigungsausgaben (die der 2‑Prozent-Forderung der Nato entsprechen) sowie eigene Vorschläge wie die Europäische Interventionsinitiative auch zur Verteidigung Europas beitragen und daher für die Lastenteilung der Nato anerkannt werden sollten.10
Macrons Diagnose vom »Hirntod« der Nato wurde offiziell missbilligt –informell aber teilten fast alle Mitgliedstaaten die Analyse.
Bemerkenswerter ist indes die politische Aufwertung der Nato, die Macron gerade dadurch vermittelte, dass er das Bündnis in einem Interview mit dem Magazin The Economist Ende 2019 harsch kritisierte.11 Zwar erkannte er an, dass die Nato militärisch funktioniere, doch beanstandete er ihre politische Blockade durch die Türkei, die USA und die Uneinigkeit der Europäer. Damit wich er von Frankreichs traditioneller Linie ab, die Nato vor allem als militärisches Bündnis zu verstehen. Macron formulierte seine Kritik in disruptiver Weise – indem er der Allianz den »Hirntod« bescheinigte – und irritierte damit nicht nur die Bündnispartner, sondern auch die eigene Verwaltung. Die Absicht war, auf seiner Meinung nach fundamentale Missstände in der Nato aufmerksam zu machen, die sonst unter den Teppich gekehrt würden.12
Offiziell reagierten die Alliierten mit einhelliger Ablehnung; viele bekannten sich demonstrativ zur Nato und rügten den französischen Präsidenten scharf.13 Informell teilten jedoch fast alle Macrons Analyse. Beanstandet wurden vor allem Form und Timing der Stellungnahme. Die Grundsatzkritik aus Paris kam kurz vor dem Jubiläumsgipfel zum 70-jährigen Bestehen der Nato im Dezember 2019. Viele Staaten fürchteten, dass öffentliche Streitereien die Feier sprengen und die Nato – und damit Europas Verteidigung – nachhaltig schädigen würden.
Bundesaußenminister Heiko Maas schlug daraufhin vor, eine Expertenkommission zu gründen. Er griff damit auf eine Anregung zurück, die ursprünglich aus Paris gekommen war, wegen Frankreichs kritischer Haltung im Bündnis zunächst aber wenig Erfolgschancen hatte.14 Nun setzte sich die Idee durch. Das Gremium sollte Empfehlungen entwickeln, wie die Nato wieder zu einem Ort der politischen Debatte werden könne. Der Vorstoß rettete das Treffen der Staats- und Regierungschefs im Dezember 2019 vor öffentlichem Streit, da heikle Themen in die Expertengruppe ausgelagert und die Spannungen so kanalisiert werden konnten. In der Abschlusserklärung der Zusammenkunft wurde der Nato-Generalsekretär beauftragt, Vorschläge für einen Reflexionsprozess zu unterbreiten, wie sich die politische Dimension der Allianz stärken ließe.15
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg initiierte daraufhin einen Prozess, dessen praktische Arbeit von Thomas de Maizière und Wess Mitchell geleitet wurde. Als Ergebnis lag im Dezember 2020 ein Abschlussbericht mit 130 Empfehlungen vor, den viele Alliierte lobten.16 Letztlich ist der Prozess auch aus Sicht stark transatlantisch orientierter Akteure wie Deutschland ein Gewinn, zumal er nun in eine Revision des Strategischen Konzepts der Nato von 2010 münden wird, die viele Alliierte bislang vergeblich angemahnt hatten. Ohne den Schock der Macron’schen Kritik wäre es dazu nicht gekommen. Frankreich ist mit dem Ergebnis weitgehend zufrieden und schreibt sich die inhaltliche Ausrichtung als Erfolg zu. So betont der Bericht die Bedeutung von politischer Kohäsion und Wertegemeinschaft, von nuklearer Abschreckung, EU–Nato-Kooperation und Terrorismus als Bedrohung. In einer Erklärung lobte Macron das Papier kurz nach dessen Veröffentlichung. Zugleich mahnte er, dass Nato- und EU-Entwicklungen – wie der 2020 unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft angestoßene Prozess des Strategischen Kompasses – aufeinander abgestimmt werden müssten und der Weg der europäischen Souveränität weiter zu beschreiten sei.17
Das Türkei-Problem der Nato
Im Fall der Türkei sieht sich Frankreich ebenso in der Rolle eines Mahners, der es wagt, Probleme notfalls auch disruptiv anzusprechen, damit Partner zum Handeln motiviert werden.18 Während einige Alliierte lange Zeit rein bilaterale Schwierigkeiten zwischen Paris und Ankara ausmachen wollten, sind sich mittlerweile alle übrigen Nato-Mitglieder einig, dass die Allianz an sich ein Türkei-Problem hat. Unterschiede gibt es lediglich in der Frage, wie damit umzugehen ist. Während einige warnen, das Bündnis könnte die Türkei verlieren (darunter Spanien, Großbritannien und die Nato-Institutionen), setzen andere auf unauffälligen Druck (so die USA) oder eben auf einen konfrontativen Ansatz (neben Frankreich auch Griechenland).
Die Spannungen im Verhältnis zwischen Paris und Ankara haben mehrere Gründe, die auf bilateraler wie internationaler Ebene angesiedelt sind.19 Bilateral sieht sich Frankreich gegenüber der Türkei als Zielscheibe einer organisierten, staatlich gestützten Kampagne, die mit Desinformation, Instrumentalisierung muslimischer Minderheiten, persönlichen Beschimpfungen von Präsident Macron und dem Boykott französischer Produkte arbeitet.20 Auf internationaler Ebene kritisiert Paris zahlreiche Aspekte der türkischen Politik: das Vorgehen in Syrien; die illegale militärische Unterstützung für die international anerkannte Einheitsregierung in Libyen; das Seerechtsabkommen, das Ankara mit Tripolis vereinbart hat; die Erdgaserkundungen im östlichen Mittelmeer, die maritime Hoheitsrechte Griechenlands und Zyperns verletzten; die Unterstützung Aserbaidschans gegen Armenien im Konflikt um Bergkarabach im Herbst 2020. Aus französischer Sicht handelt es sich hier um Machtansprüche und Rechtsverletzungen, die Europa zurückweisen sollte. Angesichts der türkischen Ambitionen im geopolitisch wichtigen Mittelmeergebiet, so Paris, müsse Europa seine Interessen selbstbewusster verteidigen.
Im Juni 2020 eskalierten die Spannungen zwischen Paris und Ankara fast militärisch. Im Rahmen der Nato-Operation »Sea Guardian« wollte die Besatzung der französischen Fregatte »Le Courbet« den Frachter »Çirkin« wegen des Verdachts unerlaubter Waffenlieferungen nach Libyen kontrollieren.21 Der Frachter wurde von türkischen Militärschiffen begleitet, die eine Kontrolle verhinderten und die unter Nato-Flagge fahrende französische Fregatte mit ihrem Zielerfassungssystem ins Visier nahmen. Letztere drehte schließlich bei.
Frankreich setzte daraufhin seine Beteiligung an »Sea Guardian« aus und forderte, den Vorfall durch das Bündnis untersuchen zu lassen. Im weiteren Verlauf zeigte sich Paris irritiert über die geringe Bereitschaft der anderen Alliierten und der Nato-Militärstruktur, die Türkei zur Verantwortung zu ziehen. Aus französischer Sicht geht es hier um ein grundlegendes Türkei–Nato-Problem, das auch alle anderen Mitglieder betrifft, und keineswegs um eine bilaterale Angelegenheit zwischen Paris und Ankara. So verweist Frankreich darauf, dass es nicht der einzige Alliierte sei, der Ankaras Forderung ablehne, die kurdischen YPG-Milizen – einstige Verbündete im Kampf gegen den IS – als terroristisch einzustufen. Die mittel- und osteuropäischen Nato-Staaten wiederum kritisierten die türkische Blockade der aktualisierten Verteidigungsplanungen für die Ostflanke. Und einhellig verurteilt man in der Allianz, dass Ankara russische Flugabwehrraketen beschafft und damit die integrierte Luftverteidigung der Nato untergräbt.22
Zugleich verstärkt sich Frankreichs Eindruck, dass andere Europäer drängende Herausforderungen der sicherheitspolitischen Entwicklung – sei es die veränderte Rolle der USA oder die Machtambition der Türkei – entweder nicht wahrnehmen oder nicht angehen wollen oder aber andere Mittel als Paris bevorzugen. Frankreich sieht sich daher veranlasst, gegebenenfalls allein und in unterschiedlichen Formaten zu agieren, um die europäischen Partner zum Handeln zu bewegen und europäische Ziele zu verteidigen.
Folgen für das deutsch-französische Verhältnis
Form und Inhalt seiner Nato-Politik bewirken, dass Frankreich einen schweren Stand bei den anderen Alliierten hat. Zwar stimmen die meisten von ihnen informell den französischen Kritikpunkten zu und schätzen das militärische Engagement des Landes. Doch gibt es große Meinungsunterschiede, was den Umgang mit Russland, die Rolle der USA und die Zukunft europäischer Verteidigung angeht. Die mittel- und osteuropäischen Nato-Mitglieder lehnen das Ziel europäischer Souveränität mehrheitlich ab, weil sie darin eine Gefahr für die transatlantischen Beziehungen sehen.23 Und viele Nato-Staaten nehmen es als kontraproduktiv wahr, in welcher Weise Frankreich Stellung bezieht, wie es unpopuläre Standpunkte offen vertritt und teils unkoordiniert Initiativen lanciert. Dies hat zu einer Verhärtung der Positionen geführt und Frankreich den Ruf des unbequemen Alliierten eingebracht.
Seine Vorschläge in der Nato leiden unter diesem Image, denn sie werden mitunter allein schon wegen ihrer Herkunft kritisch gesehen. Französische Ideen hätten bessere Aussichten, umgesetzt zu werden, wenn Paris vorab die Unterstützung anderer Bündnismitglieder dafür suchen würde. In letzter Zeit hat Frankreich das auch versucht, vor allem mit Italien und Spanien, doch wird sich die allgemeine Stimmung nur langfristig ändern lassen.
Das beschriebene Muster lässt sich auch bei vielen anderen Dossiers beobachten, die das Bündnis oder den weiteren Rahmen der französischen Nato-Politik betreffen. Dies gilt etwa für Macrons entgegenkommende Antwort auf den russischen Vorschlag von Herbst 2019, nach dem Ende des INF-Vertrags ein Moratorium für atomare Mittelstreckenwaffen in Europa zu vereinbaren. Aus Sicht der anderen Alliierten, die auf Moskaus Offerte nicht reagieren wollten, unterminierte Paris mit seinem Verhalten den Nato-Konsens und hofierte Russland. Nach französischer Wahrnehmung hingegen kommt man mit einer bloßen Nichtreaktion in der Post-INF-Debatte nicht voran. Europa müsse seine eigene Position formulieren, anstatt sich auf Verhandlungen zwischen Moskau und Washington zu verlassen. Außerdem gilt in Paris der Dialog mit der Nuklearmacht Russland als notwendig für die europäische Sicherheit.
Das Muster zeigte sich auch im Zusammenhang mit dem Angebot, einen strategischen Dialog zur Rolle der französischen Nuklearwaffen für Europas Sicherheit zu führen, das Präsident Macron im Februar 2020 unterbreitete.24 Viele Bündnispartner reagierten auf diese Einladung reserviert, weil sie damit die amerikanische Nuklearabschreckung für Europa in Frage gestellt sahen. Paris wiederum verstand seine Offerte als Ausdruck von Engagement für die Sicherheit des Kontinents – betrachtet man es doch als unerlässlich, gemeinsam über Europas zukünftige Verteidigung und Souveränität nachzudenken.
Für Deutschland ist das selbstbewusste, teils disruptive, Alleingänge und Konflikte nicht scheuende Auftreten Frankreichs schwierig. Auch wenn Berlin zahlreiche Pariser Einschätzungen teilt, etwa zur kritischen Rolle der Türkei, ist man irritiert über die Wahl der Mittel. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die jetzigen Rahmenbedingungen fortbestehen werden, solange es nicht in einem der beiden Länder zu einem politischen Wechsel kommt.25 Eine Änderung des französischen Ansatzes würde eine Fehleranalyse voraussetzen, die Paris allenfalls der Form nach akzeptieren könnte, inhaltlich aber verwerfen würde.
Gleichzeitig betonen Deutschland und Frankreich die Notwendigkeit der Zusammenarbeit und ihren Willen dazu. Für Paris bleibt die Bundesrepublik – über die Nato hinaus – ein Wunschpartner, allerdings auch deshalb, weil Großbritannien und in geringerem Maße Italien aufgrund ihrer innenpolitischen Situation weitgehend ausfallen. Aus französischer Sicht haben Deutschland und Frankreich nach dem Brexit eine noch größere Verantwortung für Europa und insbesondere die EU. Damit gewinnt auch der Imperativ an Gewicht, die bekannten Konflikte im beiderseitigen Verhältnis zugunsten einer Weiterentwicklung Europas zu überwinden. Die Anforderungen an die bilateralen Beziehungen steigen also, während die strukturellen und politischen Unterschiede zwischen den beiden Staaten nicht abgenommen haben.
Vielmehr verstärkt sich in Frankreich der Eindruck, dass sich die bilaterale Kooperation mit Deutschland schwierig gestaltet – von der Nato bis zum industriellen Bereich.26 Die deutsche Seite teilt zwar inhaltlich viele der französischen Analysen, doch beanstandet sie deren teils unilaterale Umsetzung und spricht ihnen eine geringere Dringlichkeit zu. Aus Pariser Sicht funktioniert die deutsch-französische Zusammenarbeit oft nur leidlich. In sie zu investieren erscheint alternativlos, aber anstrengend und vielfach wenig erfolgversprechend.
Für die Bundesrepublik ist Frankreich sicherlich ein unbequemer Partner, der hohe Anforderungen stellt. Gleichzeitig liegt es im deutschen Interesse, Präsident Macron – der auf die bilaterale Kooperation setzt – zu stärken. Dies gilt nicht zuletzt mit Blick auf die 2022 anstehende Präsidentschaftswahl, bei der wohl Marine Le Pen vom rechtsextremen Rassemblement National gegen ihn antreten wird. Es kann nicht um einen Blankoscheck für französische Forderungen gehen. Wohl aber gilt es, hierzulande die eigenen Prioritäten klarer zu formulieren und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die außenpolitischen Probleme, die Paris mit der Bundesrepublik hat, in Frankreich innenpolitische Folgen zeitigen – die auf Deutschland und Europa zurückwirken.
Im Sommer 2020 sind die Unterschiede der deutschen und französischen Türkeipolitik offen zutage getreten. Nach der Unterzeichnung »inakzeptabler Vereinbarungen mit der libyschen Einheitsregierung, in denen die legitimen Rechte Griechenlands negiert werden« und den wiederum »inakzeptablen« Rohstoffexplorationen türkischer Bohrschiffe vor der Küste Zyperns kam Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am 10. September 2020 öffentlich zu dem Schluss, »dass die Türkei kein Partner in dieser Region mehr« sei.1 Entgegen der Forderung Frankreichs, einer als zunehmend aggressiv empfundenen türkischen Außenpolitik durch das Verhängen von Sanktionen und das Aufzeigen »roter Linien« Einhalt zu gebieten, setzte Berlin darauf, die Spannungen mit Ankara im Dialog zu lösen.2 Im Gasstreit im östlichen Mittelmeer stellte sich Deutschland nicht eindeutig an die Seite Griechenlands.
Unter Präsident Emmanuel Macron spielen in Frankreichs Beziehungen zur Türkei zwei strukturelle Veränderungen der jüngeren Zeit eine gewichtige Rolle: die türkische Einflussnahme auf die muslimische Diaspora in Frankreich und die neue Ordnung im östlichen Mittelmeer. In dieser Region versucht Frankreich, sich gegenüber der Türkei Vorteile zu verschaffen.
Türkische Beeinflussung der Diaspora
Frankreichs Beziehungen zur Türkei sind belastet, seit die Nationalversammlung in Paris im Januar 2001 den Völkermord an den Armeniern anerkannte und wenig später immer mehr führende französische Politiker eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU ausschlossen.3 Seither hat Ankara sein Netzwerk an Institutionen, Assoziationen und Medien in Frankreich massiv ausgeweitet. Die in Frankreich traditionell starken türkischen Vereinigungen säkularen Zuschnitts sind dort nahezu vollständig von Organisationen verdrängt worden, die in Schulen, Moscheen und Vereinen die nationalistische und religiöse Agenda der türkischen Regierungspartei AKP vertreten und vorantreiben.
Bereits im Februar 2020 hatte Präsident Macron verlauten lassen, dass Frankreich der externen Beeinflussung muslimischer Gläubiger auf seinem Hoheitsgebiet Grenzen setzen werde.4 Am 2. Oktober 2020 kündigte der Präsident an, dass die französische Regierung ein Gesetz vorbereite, um gegen »Frankreichs Problem« vorzugehen: den »islamistischen Separatismus«.5 Die »fünf Akte« des Gesetzesvorhabens betreffen auch die Türkei. Das »Gesetz zur Stärkung der Werte der Republik« soll Frankreich die Kontrolle über seine Schulen zurückbringen. Dazu wird das »Enseignement de langue et de culture d’origine étrangère (Elco)« abgeschafft. 1977 hatte Frankreich mit neun Staaten, darunter der Türkei, bilaterale Abkommen geschlossen, die es diesen Ländern erlauben, ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer nach Frankreich zu entsenden, um Schülerinnen und Schüler in ihrer Herkunftssprache und ‑kultur zu unterrichten. 80 000 Kinder nehmen diese Angebote wahr; 14 000 von ihnen solche in türkischer Sprache. Die staatliche Schulaufsicht Frankreichs hat keine Kontrolle über die Unterrichtsinhalte. Nachdem die Bemühungen der französischen Behörden, Einblick in das Elco zu erhalten und mehr Einfluss darauf zu nehmen, am Widerstand Ankaras gescheitert waren,6 wird dieses Arrangement nun ebenso beendet wie das System der »imams détachés«. Letzteres machte es möglich, dass Imame und Prediger nach Frankreich kommen können, die in ihren Herkunftsländern ausgebildet und von deren Regierungen ernannt werden. Die Hälfte der 300 nach Frankreich abgeordneten Imame stammt aus der Türkei.7
Schließlich soll das »Gesetz zur Stärkung der Werte der Republik« einen Passus enthalten, der es Frankreich gestattet, die Finanzmittel zu kontrollieren, die muslimische Einrichtungen aus dem Ausland erhalten.8
Geopolitische Rivalität
Außenpolitisch versucht die Regierung Macrons, den Einfluss der Türkei zu begrenzen und Frankreich insbesondere im Mittelmeer eine Vorrangstellung zu verschaffen. Hier entsteht nach dem Rückzug der USA eine neue Ordnung.
Konflikt im östlichen Mittelmeer
Frankreich, das hat Präsident Macron im Sommer 2020 unterstrichen, versteht sich als Mittelmeermacht. Mehr noch: Es reklamiert im Mittelmeer eine Vorreiterrolle für sich. Es sei der einzige Anrainerstaat mit einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN) und verfüge über die schlagkräftigsten Streitkräfte im Mittelmeerraum. Seine »soft power« in der Region speise sich aus den historischen Verbindungen zu den politischen Eliten der Länder, die an das Mittelmeer grenzen, sowie einem umfangreichen Netzwerk diplomatischer, kultureller und schulischer Vertretungen.
In Frankreichs Sicherheits- und Verteidigungspolitik nimmt das östliche Mittelmeer einen wichtigen Platz ein. Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus greifen französische Kampfflugzeuge von Jordanien aus Stellungen des »Islamischen Staates« (IS) in Syrien und im Irak an. Die französische Regierung unterstützt regionale Akteure, von denen sie glaubt, dass sie eine effektive Hilfe im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus sind. In Syrien setzt sie auf die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Gel, YPG). Die Türkei wiederum stuft die YPG als Terrororganisation ein und fügte ihr im Oktober 2019 schwere Verluste zu, was Paris als »ernsthaften Angriff auf [seine] Sicherheitsinteressen« wertete.9
Entscheidend für Frankreichs Auftreten im Mittelmeerraum ist jedoch, dass in dessen östlicher Hälfte eine neue Ordnung im Entstehen ist. Der Rückzug der USA aus der Region eröffnet Paris die Möglichkeit, dort nunmehr eigene Interessen zu verfolgen. Dabei sieht Frankreich in der Türkei seinen schärfsten Widersacher. Ankara hat in den vergangenen Jahren massiv in den Ausbau seiner Seestreitkräfte und Werften investiert.10 In ihrer Marinedoktrin »Blaue Heimat« erhebt die Türkei den Anspruch, ihre maritimen Interessen im Mittelmeer, in der Ägäis und im Schwarzen Meer zu schützen. Das östliche Mittelmeer bezeichnet Ankara als »türkische See«.11
Frankreich arbeitet seinerseits darauf hin, Griechenland und Zypern an sich zu binden. Seit 2017 hat die französische Marine eine Vielzahl gemeinsamer Manöver mit den Seestreitkräften dieser beiden Staaten und mit anderen regionalen Partnern durchgeführt. Mit Zypern hat Paris im April 2017 überdies ein Abkommen geschlossen, dem zufolge die Unterzeichner »die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern in den Bereichen Energie- und maritime Sicherheit, Frühwarnung und Krisenmanagement sowie im Kampf gegen Terrorismus und Piraterie« intensivieren wollen.12 Im Mai 2019 hatten Paris und Nikosia bereits vereinbart, dass französische Marineschiffe den zypriotischen Hafenstützpunkt Mari anlaufen und nutzen dürfen.13 Mit Athen traf die französische Regierung im Januar 2020 eine Übereinkunft über gemeinsame See-, Luft- und Landoperationen.14
Frankreich versteht sich als Mittelmeermacht. Die in diesem Raum neu entstehende Ordnung möchte es zu seinem Vorteil gestalten.
Darüber hinaus ist es Frankreich gelungen, Mitglied des »Gasforums Östliches Mittelmeer« zu werden. Im Januar 2020 hatte es um Aufnahme in diese junge regionale Organisation ersucht, der Ägypten, Israel, Griechenland, Zypern, Jordanien und die Palästinensische Autonomiebehörde angehören. Das Gasforum hat sich zum Ziel gesetzt, den Energiebedarf seiner Mitglieder zu decken, aber auch, das Gas der Region zu wettbewerbsfähigen Preisen in die EU zu exportieren. Gemeinsam mit der italienischen Firma Eni hat der französische Energiekonzern Total Fördergenehmigungen für Gasvorkommen in zypriotischen, griechischen und libanesischen Küstengewässern erhalten. Als Vollmitglied hat Paris seit März 2021 nun mehr Einfluss auf die Förderung, Vermarktung und den Transport des Gases. Das Gasforum verstärkt die Lagerbildung im östlichen Mittelmeer: Der Türkei wird die Mitgliedschaft verwehrt.15
Frankreichs Einflussnahme in der Region zahlt sich aus – zumindest in der Rüstungspolitik. Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis gab im September 2020 bekannt, dass die griechische Luftwaffe 18 »Rafale«-Kampfflugzeuge von Frankreich kaufen werde (6 neue und 12 gebrauchte).16
Frankreichs Bemühungen, die strategische Vorrangstellung im (östlichen) Mittelmeer zu erringen, führt im Verhältnis mit Deutschland zu einer eklatanten Interessendifferenz: Während Paris die Türkei als strategischen Rivalen betrachtet, sieht Berlin in Ankara einen problematischen, aber unvermeidbaren Partner und nicht zuletzt auch einen der wichtigsten Abnehmer deutscher Rüstungsgüter.
Wachsende Konkurrenz auf dem afrikanischen Kontinent
Auch in Afrika beobachtet Paris die zunehmende Einflussnahme der Türkei mit Sorge und Misstrauen. Das gilt im Besonderen für Libyen, wo die französische Regierung lange General Haftar stützte.17 Sie hoffte, dass dessen Sieg über die international anerkannte Einheitsregierung das Land stabilisieren würde. Paris teilt die Vorbehalte Ägyptens und der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), die die Regierung in Tripolis unter starkem Einfluss der Muslimbruderschaft sehen. Frankreich wirft der Türkei vor, die Muslimbruderschaft als außenpolitisches Instrument einzusetzen. Die offene militärische Intervention der Türkei zur Unterstützung der Einheitsregierung hat im ersten Halbjahr den Verlauf des libyschen Bürgerkriegs umgekehrt. Mit Hilfe der Türkei ist es der Regierung in Tripolis gelungen, die von Frankreich, Ägypten, Russland und den VAE ausgestatteten Kräfte General Haftars aus dem Westen Libyens zu vertreiben. Die Türkei hat diese Machtverschiebung bereits genutzt und in Libyen eine Luftwaffenpräsenz eingerichtet und mit der Regierung ein Wirtschaftsabkommen geschlossen. Darin wurden die Grundlagen für neue türkische Investitionen und eine Intensivierung des Handels gelegt. Ankara erhält darüber hinaus die Erlaubnis, Bauprojekte durchzuführen, die während der Gaddafi-Ära vereinbart wurden.18
In Paris wird überdies registriert, dass die Türkei mit Algerien im Januar 2020 eine strategische Partnerschaft geschlossen hat. In Niger, aus dem Frankreich ein Drittel des Urans für seine Kernkraftwerke bezieht, ist die Türkei in die Bergbauindustrie eingestiegen und bildet nigrische Soldaten aus.19
Schlussfolgerungen
Im Verlauf des Jahres 2020 verschlechterten sich Frankreichs Beziehungen zur Türkei beständig. Die wechselseitigen Beleidigungen der Präsidenten Emmanuel Macron und Recep Tayyip Erdoğan nahmen immer mehr an Schärfe zu. Frankreich reagiert unter Präsident Macron auf zwei strukturelle Veränderungen: Im Innern geht die Regierung in Paris gegen den Islamismus vor. Die von Macron angeordneten Maßnahmen richten sich auch gegen die wachsende Beeinflussung der muslimischen Bevölkerung Frankreichs durch die Türkei. Mit seiner Ankündigung eines »Gesetzes zur Stärkung der Werte der Republik« begeht er neue Wege: Keiner seiner Amtsvorgänger hat je für eine Minderheit ähnlich strenge Regeln festschreiben lassen.
Gleichzeitig scheint Macron geneigt, mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2022 die Rhetorik und Methoden seines Amtsvorgängers Nikolas Sarkozy zu übernehmen. Um die rechtsextreme Partei Rassemblement National (ehemals Front National) zu schwächen, hatte dieser ein hartes Vorgehen gegen den Islamismus gepredigt. Sollte Macron diesen Weg weiter beschreiten, bleibt wenig Raum für eine Entspannung der Beziehungen zur Türkei. Dies hätte auch Auswirkungen auf Deutschland und die EU: Seit der türkische Präsident Erdoğan im Herbst 2020 zum Boykott französischer Produkte aufgerufen hat, droht Macron damit, der avisierten Zollunion zwischen der EU und der Türkei seine Zustimmung zu verweigern.20
In der Außenpolitik ringen Frankreich und die Türkei um die Hegemonie im Mittelmeer. Beide Seiten wollen den Abzug der USA zum eigenen Vorteil nutzen. Präsident Macron agiert hier in der Tradition seiner Amtsvorgänger, wenn er für Frankreich eine Vorrangstellung in der Region reklamiert. Um diese durchzusetzen und der Ausweitung des türkischen Einflusses Einhalt zu gebieten, wird Frankreich künftig vermutlich noch enger mit Ägypten und den VAE zusammenarbeiten.
Die französisch-türkische geopolitische Rivalität wird zudem weiter auf die Nato und in die EU ausstrahlen und das Binnenverhältnis beider Organisationen empfindlich stören. Die Vielschichtigkeit des bilateralen Konflikts dürfte es den EU- und Nato-Partnern Frankreichs und der Türkei – allen voran Deutschland – kaum möglich machen, einen Interessenausgleich herbeizuführen. Berlin muss sich also auf einen schwierigen außen- und sicherheitspolitischen Balanceakt einstellen. Dennoch sollte es nach vielen Jahren endlich den Dialog mit Frankreich zum Thema Türkei suchen. Ziel sollte es sein, jene Positionen zu stärken, bei denen es eine Übereinstimmung gibt, etwa die zur Einhaltung und Überwachung des VN-Waffenembargos für Libyen.
Ronja Kempin
Fazit
Deutschland und Frankreich ist es in den zurückliegenden Jahren immer wieder gelungen, ihre bilaterale Zusammenarbeit zu vertiefen und die Europäische Union zu stärken. Mit dem Vertrag von Aachen kamen beide Seiten im Januar 2019 überein, »ihre bilateralen Beziehungen auf eine neue Stufe zu heben«.1 In einer Videokonferenz erarbeiteten Staatspräsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel am 18. Mai 2020 einen Vorschlag für die wirtschaftliche Erholung Europas nach der Corona-Pandemie. Ein zentraler Baustein ihrer Initiative war die Einrichtung eines Wiederaufbaufonds (Recovery Fund), den die Europäische Kommission am 27. Mai in ihren Wiederaufbauplan aufgenommen hat und dem die übrigen EU-Mitgliedstaaten am 21. Juli 2020 zugestimmt haben.2 Darüber hinaus hatten Deutschland und Frankreich Ende Dezember 2020 großen Anteil daran, dass sich die EU und China nach sieben Jahren Verhandlungen auf ein neues Investitionsabkommen geeinigt haben. Berlin und Paris hatten sich abgesprochen, dass das EU–China-Abkommen unter der deutschen Ratspräsidentschaft vereinbart und 2022 während der französischen Ratspräsidentschaft ratifiziert werden soll.3
Ähnlich positiv fällt der Befund für die Außen- und Sicherheitspolitik sowie für Teile der Europapolitik indes nicht aus. Wie die vorliegende Studie zeigt, konnte das Angebot des französischen Staatschefs, eine »neue Partnerschaft« mit Deutschland zu begründen, weder im Rahmen der Nato eingelöst werden noch in den Beziehungen zu Russland und der Türkei oder in Libyen. Auch die Verpflichtungen gemäß Artikel 1 des Vertrags von Aachen sind bislang nicht durchweg erfüllt worden. Demzufolge wollen sich beide Staaten »für eine wirksame und starke Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik« einsetzen und die Wirtschafts- und Währungsunion »stärken und vertiefen«.4 Die Hauptursache für diesen Befund liegt darin, dass Deutschland und Frankreich auf strukturelle Veränderungen in der internationalen Politik unterschiedlich reagiert haben.
Die Fallstudien haben dargelegt, dass Emmanuel Macron seit seinem Amtsantritt im Frühjahr 2017 die Grundannahmen der französischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik geändert hat. Bereits 2013 hatte das französische Verteidigungsweißbuch bestimmte Entwicklungen in den internationalen Beziehungen vorhergesagt: den Rückzug der USA aus Europa, das Erstarken Chinas, eine Zunahme regionaler Konflikte, die wachsende Bedeutung der künstlichen Intelligenz und die Frage der Dominanz im Cyberraum, schließlich das Fortbestehen des internationalen Terrorismus, der auch nach Europa ausgreifen werde.
Die unter Macrons Führung erarbeitete und im Oktober 2017 veröffentlichte Revue stratégique de défense et de sécurité nationale erkennt an, dass diese Veränderungen sehr viel schneller und umfassender eingetreten sind als 2013 angenommen. Entsprechend dringlich sei es, auf sie zu reagieren. Für Macron gilt es als ausgemacht, dass die USA unter Präsident Donald Trump ihren europäischen Partnern ihre Solidarität zu einem Zeitpunkt verweigert haben, in dem Frankreichs eigener Handlungsfähigkeit immer engere Grenzen gesetzt sind.5 Weil Frankreich künftig nur in und mittels Europa international gestaltungsfähig bleibe, müsse Europa in die Lage versetzt werden, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Andernfalls werde es zur »Verhandlungsmasse« der Großmächte USA und China.
Diese Analyse der internationalen Beziehungen und des eigenen Handlungsspielraums veranlasste den französischen Präsidenten 2019 dazu, die Botschafterinnen und Botschafter seines Landes aufzurufen, über Frankreichs Verhältnis zu Russland neu nachzudenken.6 Wenig später konstatierte er, die Nato sei »hirntot« – zu zentralen Themen der europäischen Sicherheit sei sie nicht sprechfähig; überdies hindere sie die Alliierten USA und Türkei nicht daran, in Syrien eine Politik zu betreiben, die die Sicherheit ihrer Partner bedrohe.7
Dass Frankreich in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik stärker als zuvor auf Partner angewiesen sein würde, zeigte sich bereits in der Folge der Terroranschläge von Paris 2015. Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus im eigenen Land sowie in Afrika und dem Nahen Osten hinterließ bei den französischen Streitkräften personell und finanziell gravierende Spuren. Die Revue stratégique de défense et de sécurité nationale kam 2017 zu dem Ergebnis, Frankreich sollte in Zukunft pragmatischer und flexibler agieren und ein Vorgehen in minilateralen Formaten zu seinem sicherheits- und verteidigungspolitischen Leitmotiv erklären. Schon unter Macrons Amtsvorgänger hatte sich die Überzeugung durchgesetzt, dass die europäischen Partner mehrheitlich desinteressiert auf die neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen reagierten und es nicht als dringlich empfänden, ihnen zu begegnen.
Unter Präsident Macron nun relativiert Frankreich die Bedeutung der Europäischen Union als Bezugsrahmen seiner Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Stattdessen setzt es zunehmend auf den Bezugsrahmen »Europa«, in dem und über den es seinen Einfluss in diesem Politikfeld geltend machen will. Dies ist ein Beleg für den neuen Pariser Pragmatismus. Somit misst Paris den strukturellen Veränderungen in den internationalen Beziehungen einen hohen Stellenwert bei und sieht sich einem starken Anpassungsdruck ausgesetzt. Die deutsche Außen‑, Sicherheits- und Europapolitik hingegen hält weitestgehend am Status quo fest. Berlin zielt nach wie vor darauf ab, die Nato und die GSVP als grundlegende Organisationen deutscher Außen- und Sicherheitspolitik weiterzuentwickeln. Ferner ist es bemüht, die Beziehungen zu den Großmächten USA und China sowie zu den Regionalmächten Russland und Türkei zu strukturieren, und zwar über einen Interessenausgleich innerhalb der EU und der Nato. Vor diesem Hintergrund ist ein deutsch-französischer Interessenausgleich in der Außen- und Sicherheitspolitik immer schwieriger zu finden.
Mit diesem Ergebnis schließt die vorliegende Studie eine gewichtige Forschungslücke. Während die Motive der Europapolitik Emmanuel Macrons bereits erforscht sind,8 fehlte eine entsprechende Analyse seiner Außen- und Sicherheitspolitik. Darüber hinaus konnten in der Studie sechs weitere Gründe identifiziert werden, die im Laufe der Präsidentschaft Macrons in entscheidenden Fragen der Außen-, Sicherheits- und Europapolitik immer wieder zu Irritationen zwischen Berlin und Paris geführt haben.
Der erste Grund ist schon thematisiert worden: Paris verspürt, anders als Berlin, in vielen Politikbereichen eine besondere Dringlichkeit zu handeln. Dieser Unterschied erklärt, warum sich das deutsch-französische Verhältnis unter Macron selbst in den Themenfeldern verschlechtert hat, in denen die konzeptionellen Unterschiede zwischen beiden Partnern gemeinhin bekannt sind. Das gilt etwa mit Blick auf die Nato und die Frage der Ausgestaltung der transatlantischen Sicherheitsbeziehungen, aber ebenso für die Wirtschafts- und Währungspolitik.9
Seinem sicherheits- und verteidigungspolitischen Anspruch, weltweit Krisen und Konflikte durch den Einsatz seiner militärischen Fähigkeiten zu beenden, kann Frankreich immer weniger gerecht werden, da seine eigenen Fähigkeiten begrenzt sind. Folglich ist Paris abhängig von Partnern, die sein Anliegen teilen und geneigt sind, einen gemeinsamen operativen Ansatz zu suchen. Bestrebungen, die zuvorderst integrationspolitisch und inklusiv wirken sollen (z. B. die PESCO), werden diesem Kernanliegen nachgeordnet oder durch Formate ergänzt, die Frankreich nutzbringend erscheinen (z. B. die EI2).10 In der Wirtschafts- und Währungsunion ist Frankreich eines der am stärksten von der globalen Covid‑19-Pandemie betroffenen Länder. Vor allem die massiv gestiegene Arbeitslosigkeit lastet auf Präsident Macron. Der deutsch-französische Vorschlag einer Aufbau- und Resilienzfähigkeit verschafft ihm nicht die Atempause, die nötig wäre, damit Wirtschaft und Arbeitsmarkt seines Landes noch vor den Präsidentschaftswahlen 2022 wieder das Vorkrisenniveau erreichen.
Entsprechend wird Macron in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie in der Wirtschafts- und Währungspolitik ein für Deutschland unbequemer Partner bleiben. Gemeinsam werden bestenfalls temporäre (Kompromiss-)Lösungen zu erzielen sein.
Zweitens kommen nahezu alle Einzelbeiträge der Studie zu dem Ergebnis, dass die Unterschiede in den strategischen Kulturen Deutschlands und Frankreichs wie in den politischen Systemen beider Länder eine maßgebliche Rolle spielen. Je ausgeprägter der Anspruch eines französischen Präsidenten ist, Einfluss auf die internationalen Beziehungen auszuüben und den Anspruch seines Landes auf Größe und Rang einzulösen, desto weniger gelingt es Berlin und Paris, sich abzusprechen und einen bilateralen Interessenausgleich zu befördern. Dass Emmanuel Macron danach strebt, Frankreichs internationales Ansehen und internationale Stellung zu verbessern, hat er mehrfach unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, sowohl im Präsidentschaftswahlkampf als auch zu Beginn seiner Präsidentschaft.
Für die Europäische Union hat er bereits 2016 in seinem Buch Révolution,11 einer Blaupause seines Wahlprogramms, die »Neugründung« angemahnt. Als Vorbedingung für seine ehrgeizigen Reformpläne, die im September 2017 in der »Initiative für Europa«12 gipfelten, hatte Macron ausgemacht, das deutsche Misstrauen gegen Frankreich abbauen zu müssen. Wenige Tage nach seiner Wahl zum französischen Staatspräsidenten bekundete er im Gespräch mit internationalen Journalisten, Frankreich könne nur »Antriebsmotor« Europas sein, wenn es seine Wirtschaft und Gesellschaft voranbringe. Weil Frankreichs »Glaubwürdigkeit, unsere Effizienz, unsere Stärke« auf dem Spiel stünden, werde er unabdingbare Reformen in Angriff nehmen, auf die nicht zuletzt Berlin lange gewartet habe.13
Mit Blick auf die Sicherheits- und Verteidigungspolitik seines Landes hat Macron im Februar 2017 in einem Interview mit einer Fachzeitschrift unterstrichen, dass Frankreichs strategisches Umfeld komplex und instabil sei, während seine Streitkräfte sich mit enormen Mängeln konfrontiert sähen. Er sagte:
»Ob es nun um die Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft, die Erneuerung der Ausrüstung oder die Ausbildung geht, es liegt in unserer Verantwortung, schnell die Investitionen zu tätigen, die unsere Armeen in die Lage versetzen, sich zu behaupten. Ich werde daher die Umsetzung des Verteidigungshaushalts genau beobachten und unmittelbar nach den Wahlen eine strategische Überprüfung [revue stratégique] einleiten, die es ermöglicht, in sehr kurzer Zeit – nicht mehr als ein paar Monate – Prioritäten für neue Rüstungsprogramme, die Instandhaltung von Ausrüstung und für Personalausgaben zu setzen.«14
Mit der Revue stratégique de défense et de sécurité nationale bekennt Macron sich zu einem starken Frankreich, das »Herr seines Schicksals« ist und »Antworten auf die großen Krisen der Gegenwart geben, seine Werte fördern und seine Interessen durchsetzen [kann]«.15
In dieser Studie konnte vor allem für die Türkeipolitik Frankreichs herausgearbeitet werden, wie sich das Streben seines Präsidenten nach Wiederherstellung von Größe und Rang seines Landes praktisch auswirkt.16 Weil sich die USA aus Europa und dem Nahen und Mittleren Osten zurückziehen und sich europäische Staaten offenbar kaum für die Herausforderungen dieser Region interessieren, hat sich ein geostrategisches Vakuum gebildet. Dieses wisse die Regionalmacht Türkei zu ihrem Vorteil zu nutzen, ist Macron überzeugt. Also tritt er der türkischen Außenpolitik seit dem Sommer 2020 entschieden entgegen. Allerdings verteidigt Paris gleichzeitig gegen Ankara seine eigene Vorrangstellung im Nahen Osten und in (Nord-)Afrika.
Drittens: Französische Präsidenten mit einem besonderen Sendungsbewusstsein neigen zu nationalen Alleingängen in der Außen- und Europapolitik sowie dazu, nationales Interesse mit Nachdruck umzusetzen – so auch Emmanuel Macron. Kritisierte Paris in den vergangenen Jahren Deutschland für seine eigenmächtige Entscheidung, aus der Atomenergie auszusteigen und am Projekt Nord Stream 2 festzuhalten, kann nunmehr ebenso Präsident Macron unilaterales Vorgehen zur Last gelegt werden: Weder war in Berlin bekannt, dass er im Juli 2017 den libyschen General Haftar empfangen und damit international hoffähig machen würde, noch war die Bundesrepublik informiert über die Neuausrichtung der französischen Russlandpolitik. Frankreichs neuer Kurs in Bezug auf Russland, den Macron im August 2019 eingeleitet hat, speist sich aus nachvollziehbaren geostrategischen Überlegungen.
Die Neuausrichtung der französischen Russlandpolitik weist jedoch auch darauf hin, dass – viertens – die deutsch-französischen Beziehungen daran kranken, dass (insbesondere wenig erfolgreiche) Politikansätze des Partnerlandes nicht kritisch reflektiert werden. Der Russland-Ansatz Macrons liegt sehr nah an dem, den die deutsche Politik vor 2014 verfolgt hat. Dieser gilt mittlerweile aber als weitgehend gescheitert, selbst wenn bislang kein vollständiger Ersatz ausgearbeitet wurde. Mit der Türkeipolitik Frankreichs verhält es sich ähnlich: Seit Sommer 2020 hat sie eine Zuspitzung erfahren, unter anderem wegen der türkischen Versuche, die französische Innenpolitik zu beeinflussen. Der jüngste Entwurf des »Gesetzes zur Stärkung der Werte der Republik« lässt nicht erkennen – ungeachtet der Unterschiede etwa in den Bildungssystemen beider Länder –, dass die Erfahrungen reflektiert worden wären, die Deutschland mit Blick auf die türkische Einflussnahme auf die hier lebende Diaspora gesammelt hat.
Fünftens hat der bisweilen disruptive Politikansatz Emmanuel Macrons nicht dazu beigetragen, die bilateralen Beziehungen auf eine uneingeschränkt vertrauensvolle Grundlage zu stellen. Aus Sicht des französischen Präsidenten scheint dieser Politikstil indes angemessen. Er dient ihm vorrangig dazu, das Bewusstsein seiner europäischen Partner – Deutschland vorneweg – für europäische und internationale Herausforderungen zu schärfen.
Sechstens ist einer Verbesserung des bilateralen Verhältnisses wenig zuträglich, dass sich Deutschland lange Zeit kaum für Libyen interessiert hat – obgleich das libysche Dossier für den französischen Partner von zentraler Bedeutung ist. Wäre Deutschland rechtzeitig auf Frankreichs Interessen eingegangen, hätte man eine Internationalisierung des Konflikts möglicherweise verhindern können. Ende 2020 zum Beispiel reagierte die Türkei ähnlich aggressiv auf den Versuch eines deutschen Patrouillenbootes, ein des Waffenschmuggels nach Libyen verdächtiges türkisches Schiff zu kontrollieren, wie sie es im Sommer 2020 gegenüber Frankreich getan hatte. Besonders schwerwiegend ist mangelndes Interesse des Partners, wenn dadurch Dritte begünstigt werden: Frankreichs enge Rüstungskooperation mit den Vereinigten Arabischen Emiraten beeinflusst seine Türkei- wie seine Libyenpolitik in zunehmendem Maße. In Libyen etwa vertritt Paris heute die Interessen der VAE stärker als diejenigen der EU.17
Aus den oben dargestellten Ergebnissen leitet diese Studie zwei Empfehlungen für die künftige deutsch-französische Zusammenarbeit in der Außen-, Sicherheits- und Europapolitik ab:
1) |
Deutschland und Frankreich gelingt es noch immer zu selten, die internationale Politik und ihre Konfliktfelder sowie die vorrangigen Interessen beider Länder in den einzelnen Dossiers umfassend zu betrachten. Infolge des Vertrags von Aachen haben Berlin und Paris viele neue Formate eingeführt. Zu nennen sind etwa die Klausurtreffen der Staatssekretäre und die der Europaabteilungen des französischen Außenministeriums und des Auswärtigen Amtes. Dabei gilt gerade für die Staatssekretärsrunden wie auch für die Treffen des Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates (DFVSR), dass deren Agenden stark an den persönlichen Interessen der Teilnehmenden ausgerichtet sind. |
2) |
Im Vertrag von Aachen haben Berlin und Paris im Januar 2019 Folgendes beschlossen: »Beide Staaten vertiefen ihre Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Außenpolitik, der Verteidigung, der äußeren und inneren Sicherheit und der Entwicklung und wirken zugleich auf eine Stärkung der Fähigkeit Europas hin, eigenständig zu handeln.« Darüber hinaus verpflichten sie sich dazu, »gemeinsame Standpunkte bei allen wichtigen Entscheidungen festzulegen, die ihre gemeinsamen Interessen berühren, und, wann immer möglich, gemeinsam zu handeln«.18 Weder im Élysée-Vertrag von 1963 noch im Vertrag von Aachen gibt es Hinweise darauf, wie ein Verstoß gegen diese Verpflichtungen zu bewerten ist. |
Solange Fehlverhalten nicht geahndet wird, werden nationale Alleingänge in bedeutsamen Fragen der internationalen und europäischen Politik die deutsch-französischen Beziehungen weiter schwächen; dieselbe Auswirkung hat Desinteresse für außen-, sicherheits- und europapolitische Druckpunkte des Partners. Es wäre wegweisend, wenn die seit März 2019 bestehende Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung aktiv werden und die Exekutiven beider Länder zur Vertragserfüllung anhalten würde – ist sie doch qua Deutsch-Französischem Parlamentsabkommen dafür zuständig, über die Anwendung der Bestimmungen des Élysée-Vertrags und des Vertrags von Aachen zu wachen.19
Anhang
Abkürzungen
AFP |
Agence France-Presse |
AKP |
Adalet ve Kalkınma Partisi (Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei; Türkei) |
BIP |
Bruttoinlandsprodukt |
BPA |
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung |
CARD |
Coordinated Annual Review on Defence (Koordinierte Jährliche Überprüfung der Verteidigung) |
CDP |
Capability Development Plan (EU-Fähigkeitsentwicklungsplan) |
CER |
Centre for European Reform |
DFVSR |
Deutsch-Französischer Verteidigungs- und Sicherheitsrat |
DGAP |
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (Berlin) |
EAD |
Europäischer Auswärtiger Dienst |
ECFR |
European Council on Foreign Relations |
EDA |
European Defence Agency (Europäische Verteidigungsagentur) |
eFP |
Enhanced Forward Presence (Nato-Vornepräsenz) |
EI2 |
Europäische Interventionsinitiative |
Elco |
Enseignement de langue et de culture d’origine étrangère |
ERM |
Exchange Rate Mechanism |
EU |
Europäische Union |
EVF |
Europäischer Verteidigungsfonds |
EZB |
Europäische Zentralbank |
G7 |
Gruppe der Sieben (die sieben führenden westlichen Industriestaaten) |
G8 |
Gruppe der Acht (die sieben führenden westlichen Industriestaaten + Russland) |
GASP |
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik |
GSVP |
Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik |
IISS |
The International Institute for Strategic Studies (London) |
INF |
Intermediate-Range Nuclear Forces |
INSEE |
Institut national de la statistique et des études économiques |
IPG |
Internationale Politik und Gesellschaft |
IS |
»Islamischer Staat« |
MSC |
Munich Security Conference |
Nato |
Nordatlantische Vertragsgemeinschaft |
NIP |
Nationale Implementierungspläne |
OECD |
Organisation for Economic Co-operation and Development (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) |
OTAN |
Organisation du Traité de l’Atlantique Nord |
PESCO |
Permanent Structured Cooperation (Ständige Strukturierte Zusammenarbeit) |
RFI |
Radio France Internationale |
RUSI |
Royal United Services Institute for Defence and Security Studies (London) |
SIAC |
Single Intelligence Analysis Capacity |
UAE |
United Arab Emirates |
UE |
Union européenne |
VAE |
Vereinigte Arabische Emirate |
VN |
Vereinte Nationen |
WWU |
Wirtschafts- und Währungsunion |
YPG |
Yekîneyên Parastina Gel (kurdische Volksverteidigungseinheiten) |
Literaturhinweise
Markus Kaim / Ronja Kempin
Strategische Autonomie Europas: Das deutsch‑französische Missverständnis
Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, 30.11.2020 (Kurz gesagt)
Ronja Kempin / Dominik Rehbaum
Emmanuel Macrons »neuer Weg«. Weichenstellungen für eine Wiederwahl 2022
Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, September 2020 (SWP-Aktuell 67/2020)
Ronja Kempin / Paweł Tokarski
Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, März 2019 (SWP-Aktuell 13/2019)
Wolfram Lacher
Unser schwieriger Partner. Deutschlands und Frankreichs erfolgloses Engagement in Libyen und Mali
Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Februar 2021 (SWP-Studie 3/2021)
Claudia Major
Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, November 2019 (SWP-Studie 25/2019)
Susan Stewart
Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Dezember 2020 (SWP-Aktuell 96/2020)
Die Autorinnen und Autoren
Dr. Ronja Kempin
Senior Fellow in der Forschungsgruppe EU / Europa
Dr. Wolfram Lacher
Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika
Dr. Claudia Major
Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik
Dr. Susan Stewart
Leiterin (a. i.) der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien
Dr. Paweł Tokarski
Wissenschaftler in der Forschungsgruppe EU / Europa
Endnoten
- 1
-
En marche!, »Présentation du programme – Discours d’Emmanuel Macron«, Pavillon Gabriel, Paris, 2.3.2017, <https://en-marche.fr/articles/discours/emmanuel-macron-presentation-du-programme-discours> (Zugriff am 7.12.2020).
- 2
-
Französische Botschaft in Berlin, »Initiative für Europa – Die Rede von Staatspräsident Macron im Wortlaut«, Universität Sorbonne, Paris, 26.9.2017, <https://de.ambafrance.org/ Initiative-fur-Europa-Die-Rede-von-Staatsprasident-Macron-im-Wortlaut> (Zugriff am 18.5.2020).
- 3
-
Cornelia Schiemenz, »Macron bei MSC [Munich Security Conference]: ›Ich bin nicht frustriert, ich bin vielleicht ungeduldig‹«, in: ZDF Nachrichten, 15.2.2020, <https://www.zdf. de/nachrichten/politik/macron-msc-muenchner-sicherheits konferenz-100.html> (Zugriff am 18.5.2020).
- 4
-
»›Ich bin ungeduldig‹. Macron will endlich Antworten von Deutschen«, ntv, 15.2.2020, <https://www.n-tv.de/politik/ Macron-will-endlich-Antworten-von-Deutschen-article 21579247.html> (Zugriff am 7.12.2020).
- 5
-
Schiemenz, »Macron bei MSC« [wie Fn. 3].
- 6
-
Die Bundesregierung, »›Eine außergewöhnliche, einmalige Kraftanstrengung‹, Fragen und Antworten zur deutsch-französischen Initiative«, 27.5.2020, <https://www. bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/wiederaufbaupro gramm-europa-1755280> (Zugriff am 7.12.2020)
- 7
-
Claire Stam/Philipp Grüll, »Deutscher Botschafter in Paris: Wir erleben einen ›Moment Franco-Allemand‹«, Euractiv.de, 7.12.2020, <https://www.euractiv.de/section/eu-aussen politik/interview/deutscher-botschafter-in-paris-wir-erleben-einen-moment-franco-allemand/> (Zugriff am 7.12.2020).
- 8
-
Die deutsche Verteidigungsministerin forderte in einem Zeitungsbeitrag: »Illusions of European strategic autonomy must come to an end.« Frankreichs Präsident hielt dagegen: »I profoundly disagree, for instance, with the opinion piece signed by the German Minister of Defence in Politico. I think that it is a historical misinterpretation.« Zur Analyse der Kontroverse vgl. Markus Kaim/Ronja Kempin, Strategische Autonomie Europas: Das deutsch-französische Missverständnis, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, 30.11.2020 (Kurz gesagt), <https://www.swp-berlin.org/publikation/strategische-autonomie-europas-das-deutsch-franzoesische-missverstaendnis/> (Zugriff am 7.12.2020).
- 9
-
»Emmanuel Macron in His Own Words (English). The French President’s Interview with The Economist«, in: The Economist, 7.11.2019, <https://www.economist.com/ europe/2019/11/07/emmanuel-macron-in-his-own-words-english> (Zugriff am 19.5.2020).
- 10
-
Élysée, »Discours du Président de la République Emmanuel Macron à la conférence des ambassadeurs et des ambassadrices de 2019«, Paris, 27.8.2019, <https://www. elysee.fr/emmanuel-macron/2019/08/27/discours-du-presi dent-de-la-republique-a-la-conference-des-ambassadeurs-1> (Zugriff am 19.5.2020); Liana Fix, »Europas Chefunruhestifter«, in: ipg-journal [Internationale Politik und Gesellschaft], 30.1.2020, <https://www.ipg-journal.de/regionen/ europa/artikel/detail/europas-chefunruhestifter-4034/> (Zugriff am 19.5.2020).
- 11
-
»Was wir gerade erleben, ist für mich der Hirntod der NATO«, sagte Macron. Das Interview erschien am 7. November 2019 unter der Überschrift »Emmanuel Macron in His Own Words (English). The French President’s Interview with The Economist« [wie Fn. 9].
- 12
-
Ende November 2019 betonte Emmanuel Macron nach einem Treffen mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg: »Wir waren jedoch der Auffassung, dass es [das russische Angebot eines Moratoriums] als Diskussionsgrundlage nicht von der Hand gewiesen werden sollte.« Vgl. dazu Michaela Wiegel, »Macron steht zu Brief an Russland«, in: FAZ.net, 28.11.2019, <https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/ gegen-linie-der-nato-macron-steht-zu-brief-an-russland-16508507.html> (Zugriff am 19.5.2020).
- 13
-
»›La Turquie n’est plus un partenaire en Méditerranée orientale‹, dit Macron«, Reuters, 10.9.2020, <https://fr.reuters. com/article/france-turquie-macron-idFRKBN2611JJ> (Zugriff am 23.9.2020).
- 14
-
»La France veut proposer de supprimer l’union douanière entre l’UE [Union européenne] et la Turquie«, Europe 1, 9.11.2020, <https://www.europe1.fr/politique/diplomatie-macron-veut-supprimer-lunion-douaniere-entre-lunion-europeenne-et-la-turquie-4004339> (Zugriff am 23.11.2020).
- 15
-
Präsident Macron hat 2017 zahlreiche Deutschlandkenner in sein erstes Kabinett berufen. Premierminister Édouard Philippe (2017–2020) hat 1988 sein Abitur am deutsch-französischen Gymnasium in Bonn abgelegt, das sein Vater über mehrere Jahre leitete. Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire war während der Präsidentschaft Nicolas Sarkozys 2008 bis 2009 Staatssekretär für Europa im Außenministerium und Beauftragter für die deutsch-französische Zusammenarbeit; 2016/17 war er Deutschlandberater des konservativen Präsidentschaftskandidaten François Fillon. Philippe Étienne war Frankreichs Botschafter in Berlin, als ihn Emmanuel Macron zu seinem diplomatischen Berater machte. Heute ist Étienne Frankreichs Botschafter in Washington. Étiennes Amtsvorgänger in Berlin, Maurice Gourdault-Montagne, wurde von Macron zum Generalsekretär des französischen Außenministeriums befördert (2017–2019).
- 1
-
Ministère des Armées, Revue stratégique de défense et de sécurité nationale 2017, Paris, 4.12.2017, <https://www.defense. gouv.fr/content/download/514684/8664656/file/2017-RS-def1018.pdf> (Zugriff am 5.11.2020).
- 2
-
Ministère des Armées, Actualisation stratégique 2021, 10.2.2021, <https://www.defense.gouv.fr/dgris/presentation/ evenements/actualisation-strategique-2021> (Zugriff am 9.3.2021).
- 3
-
Siehe vor allem Französische Botschaft in Berlin, »Initiative für Europa – Die Rede von Staatspräsident Macron im Wortlaut«, Universität Sorbonne, Paris, 26.9.2017, <https:// www.diplomatie.gouv.fr/IMG/pdf/macron_sorbonne_europe_integral_cle4e8d46.pdf> (Zugriff am 5.11.2020); Présidence de la République, »Discours du Président de la République à la conférence des ambassadeurs«, Paris, 27.8.2019, <https:// www.elysee.fr/emmanuel-macron/2019/08/27/discours-du-president-de-la-republique-a-la-conference-des-ambassadeurs-1> (Zugriff am 5.11.2020); »Transcript: Emmanuel Macron in His Own Words (French)«, in: The Economist, 7.11.2019, <https://www.economist.com/europe/2019/11/07/emmanuel-macron-in-his-own-words-french> (Zugriff am 5.11.2020); »Die Macron-Doktrin: Ein Gespräch mit dem französischen Staatspräsidenten«, in: Le Grand Continent (Paris), 16.11.2020, <https://legrandcontinent.eu/de/2020/11/16/macron/> (Zugriff am 5.11.2020); die Rede von Außenminister Jean-Yves Le Drian in Prag 2019: »Intervention de Jean-Yves Le Drian, ministre de l’Europe et des Affaires étrangères, au colloque ›Au-delà de 1989: Espoirs et désillusions après les révolutions‹«, Prag, 6.12.2019, <https://www.diplomatie.gouv.fr/ fr/dossiers-pays/republique-tcheque/evenements/article/ intervention-de-jean-yves-le-drian-ministre-de-l-europe-et-des-affaires> (Zugriff am 5.11.2020); sowie in Bratislava 2020: Ministère de l’Europe et des Affaires Étrangères, »›GLOBSEC 2020 Bratislava Forum‹ – Rede von Jean-Yves Le Drian«, Bratislava, 8.10.2020, <https://www.diplomatie.gouv.fr/de/ die-minister/jean-yves-le-drian/rede/article/globsec-2020-bratislava-forum-rede-von-jean-yves-le-drian-08-10-20> (Zugriff am 5.11.2020); sowie Philippe Etienne, A View from the Élysée: France’s Role in the World, London: Chatham House – The Royal Institute of International Affairs, September 2018, <https://chathamhouse.soutron.net/Portal/DownloadImage File.ashx?objectId=1707> (Zugriff am 5.11.2020); Clément Beaune, »Covid‑19: À bas la mondialisation, Vive l’Europe? Un monde de villes«, in: Politique Etrangère (online), 3 (2020), S. 8–29, <https://www.ifri.org/sites/default/files/atoms/ files/leurope_par_dela_le_covid19.pdf>; »Déclaration de Mme Florence Parly, ministre des armées, sur la France et l'OTAN«, Paris, 18.10.2018, <https://www.vie-publique.fr/discours/ 206937-declaration-de-mme-florence-parly-ministre-des-armees-sur-la-france-et> (Zugriff am 5.11.2020).
- 4
-
»Emmanuel Macron in His Own Words« [wie Fn. 3]; »Die Macron-Doktrin« [wie Fn. 3].
- 5
-
Ministère de l’Europe et des Affaires Étrangères, »›GLOBSEC 2020 Bratislava Forum‹ – Rede von Jean-Yves Le Drian« [wie Fn. 3].
- 6
-
Ebd.
- 7
-
Siehe zum Beispiel: »Emmanuel Macron in His Own Words« [wie Fn. 3]; »Die Macron-Doktrin« [wie Fn. 3].
- 8
-
Etienne, A View from the Élysée [wie Fn. 3] (»that our world interests will be best defended and our values better promoted by a more united and sovereign Europe«).
- 9
-
Présidence de la République, »Discours du Président Emmanuel Macron sur la strátegie de défense et de dissuasion devant les stagiaires de la 27ème promotion de l’École de guerre«, Paris, 7.2.2020, <https://www.elysee.fr/front/ pdf/elysee-module-15162-fr.pdf> (Zugriff am 5.11.2020); »Emmanuel Macron in His Own Words« [wie Fn. 3].
- 10
-
»Die Macron-Doktrin« [wie Fn. 3].
- 11
-
»Ich gebe zu, dass das ein etwas überzogener Begriff ist, denn wenn es eine europäische Souveränität gäbe, dann gäbe es auch eine vollständig etablierte europäische politische Macht. So weit sind wir noch nicht. […] Wenn wir echte europäische Souveränität wollen, brauchen wir wohl europäische Regierungschefs, die vollständig vom europäischen Volk gewählt werden. Es handelt sich gegenwärtig also, wenn ich so sagen darf, um eine transitive Souveränität«, so »Die Macron-Doktrin« [wie Fn. 3].
- 12
-
»Die Macron-Doktrin« [wie Fn. 3].
- 13
-
Siehe den Beitrag von Ronja Kempin zur GSVP, S. 21ff.
- 14
-
Ministère des Armées, Revue stratégique [wie Fn. 1].
- 15
-
Ebd.; Christian Mölling/Claudia Major, Pragmatisch und europäisch: Frankreich setzt neue Ziele in der Verteidigungspolitik, Berlin: Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Oktober 2017, <https://dgap.org/de/forschung/publikationen/ pragmatisch-und-europaeisch> (Zugriff am 5.11.2020).
- 16
-
Maike Kahlert/Claudia Major, Frankreichs Europäische Interventionsinitiative (EI2): Fakten, Kritik und Perspektiven, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Juni 2019 (Forschungsgruppe Sicherheitspolitik, Arbeitspapier Nr. 01), <https:// www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/arbeits papiere/Major__Kahlert_Arbeitspapier_01072019.pdf> (Zugriff am 5.11.2020).
- 17
-
Siehe die Beiträge von Ronja Kempin zur GSVP, S. 21ff, und von Claudia Major zu Frankreichs Nato-Politik, S. 37ff.
- 18
-
Alice Pannier, »Between Autonomy and Cooperation: The Role of Allies in France’s New Defense Strategy«, War on the Rocks (online), 2.11.2017, <https://warontherocks.com/ 2017/11/between-autonomy-and-cooperation-the-role-of-allies-in-frances-new-defense-strategy/> (Zugriff am 5.11.2020); Claudia Major/Christian Mölling, France Moves from EU Defense to European Defense, Brussels: Carnegie Europe, Dezember 2017, <https://carnegieeurope.eu/strategic europe/74944> (Zugriff am 5.11.2020).
- 19
-
Siehe den Beitrag von Ronja Kempin zu Frankreichs Türkeipolitik, S. 44ff.
- 20
-
Ministère des Armées, Revue stratégique [wie Fn. 1].
- 21
-
Siehe zum Beispiel: Claudia Major/Christian Mölling, »Europas Kampfflugzeug der Zukunft schmiert ab«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (online), 30.9.2020, <https:// www.faz.net/aktuell/politik/fcas-das-kampfflugzeug-der-zukunft-schmiert-ab-16978609.html> (Zugriff am 5.11.2020).
- 22
-
Siehe zum Beispiel: Alexandre Escorcia/Sebastian Groth, »More Romance Wouldn’t Hurt – A Look into the Engine Room of German-French Relations«, in: Berlin Policy Journal, 9.1.2019, <https://berlinpolicyjournal.com/more-romance-wouldnt-hurt/> (Zugriff am 5.11.2020); Christian Mölling/ Jean-Pierre Maulny, Consent, Dissent, Misunderstandings: The Problem Landscape of Franco-German Defense Industrial Cooperation, Berlin: DGAP, 14.1.2020 (Analysis), <https://dgap.org/en/ research/publications/consent-dissent-misunderstandings> (Zugriff am 5.11.2020).
- 23
-
Siehe die Beiträge von Wolfram Lacher zu Macrons Libyenpolitik, S. 16ff, und von Susan Stewart zu Macrons Russlandpolitik, S. 32ff.
- 24
-
Siehe den Beitrag von Paweł Tokarski zur Politik Macrons gegenüber der Eurozone, S. 27ff.
- 25
-
Siehe den Beitrag von Claudia Major zu Frankreichs Nato-Politik, S. 37ff.
- 26
-
Siehe den Beitrag von Susan Stewart zu Macrons Russlandpolitik, S. 32ff.
- 27
-
Gustav Gressel/Kadri Liik/Jeremy Shapiro/Tara Varma, Emmanuel Macron’s Very Big Idea on Russia, European Council on Foreign Relations, 25.9.2019 (ECFR Commentary), <https:// ecfr.eu/article/commentary_emmanuel_macrons_very_big_ idea_on_russia/> (Zugriff am 11.12.2020); Romain Le Quiniou, Mission Unaccomplished: France’s Monsieur Macron Visits the Baltics, London: Royal United Services Institute for Defence and Security Studies, 9.10.2020 (RUSI Commentary), <https://rusi. org/commentary/mission-unaccomplished-france-monsieur-macron-visits-baltics> (Zugriff am 11.12.2020).
- 28
-
Lorenz Hemicker/Michaela Wiegel, »Macron kommt Russland bei Atomraketen entgegen«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (online), 27.11.2019, <https://www.faz.net/ aktuell/politik/ausland/macron-will-putins-angebot-fuer-raketen-moratorium-pruefen-16506811.html> (Zugriff am 11.12.2020).
- 1
-
Siehe den Beitrag von Ronja Kempin zu Frankreichs Türkeipolitik, S. 44ff.
- 2
-
Wolfram Lacher, Internationale Pläne, libysche Realitäten, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, November 2019 (SWP-Aktuell 65/2019).
- 3
-
Nathalie Guibert, »La France mène des opérations secrètes en Libye«, in: Le Monde, 23.2.2016.
- 4
-
Isabelle Lasserre, »Paris cherche à rapprocher les frères ennemis libyens«, in: Le Figaro, 20.3.2019.
- 5
-
Isabelle Lasserre, »Jean-Yves Le Drian: ›La France est en Libye pour combattre le terrorisme‹«, in: Le Figaro, 2.5.2019; Ulf Laessing, »How Libya’s Haftar Blindsided World Powers with Advance on Tripoli«, Reuters, 10.4.2019.
- 6
-
Gespräche des Autors mit französischen Diplomaten, Berlin und Brüssel, April–Mai 2019; Gabriela Baczynska/ Francesco Guarascio, »France Blocks EU Call to Stop Haftar’s Offensive in Libya«, Reuters, 11.4.2019; Lasserre, »Jean-Yves Le Drian« [wie Fn. 5]; Frédéric Bobin/Marc Semo, »Libye: La France critiquée pour son rôle ambigu dans la crise actuelle«, in: Le Monde, 12.4.2019; Ulf Laessing/John Irish, »Libya Offensive Stalls, but Haftar Digs in Given Foreign Sympathies«, Reuters, 15.4.2019.
- 7
-
Gespräche des Autors mit amerikanischen Diplomaten, Tunis und Berlin, März 2019; David D. Kirkpatrick, »The White House Blessed a War in Libya, but Russia Won It«, in: New York Times, 14.4.2020.
- 8
-
Frédéric Bobin/Marc Semo, »Libye: La France organise un nouveau sommet de ›sortie de crise‹«, in: Le Monde, 28.5.2018.
- 9
-
Eric Schmitt/Declan Walsh, »U. S. Missiles Found in Libyan Rebel Camp Were First Sold to France«, in: New York Times, 9.7.2019.
- 10
-
Stopping the War for Tripoli, Brüssel: International Crisis Group, 23.5.2019 (Briefing Nr. 69); Andrew Lebovich/ Tarek Megerisi, France’s Strongman Strategy in the Sahel, European Council on Foreign Relations, 8.3.2019, <https://ecfr.eu/ article/commentary_frances_strongman_strategy_in_the_ sahel/>.
- 11
-
Gespräch des Autors mit französischem Diplomaten, Paris, Juli 2019.
- 12
-
Lasserre, »Jean-Yves Le Drian« [wie Fn. 5].
- 13
-
Ministère des Armées, Rapport au Parlement sur les exportations d’armement de la France 2019, Paris, Juni 2019; Eva Thiébaud, »Une entente indigne entre la France et les Émirats arabes unis«, in: Orient XXI (online), 10.9.2020, <https://orientxxi.info/magazine/une-entente-indigne-entre-la-france-et-les-emirats-arabes-unis,4117>.
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Gespräche des Autors mit europäischen Diplomaten, 2019–2020; siehe auch Arianna Poletti/Thomas Hamamdjian, »France-Émirats: Les noces guerrières d’Emmanuel Macron et MBZ [Mohammed Bin Zayed]«, in: Jeune Afrique, 18.8.2020; Cinzia Bianco, »La France devrait élargir sa stratégie au Moyen-Orient«, in: La Croix, 15.10.2020.
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Gespräche des Autors mit europäischen und US-Diplomaten, Juni–Dezember 2019; Baczynska/Guarascio, »France Blocks EU Call to Stop Haftar’s Offensive in Libya« [wie Fn. 6]; Laessing/Irish, »Libya Offensive Stalls, but Haftar Digs in Given Foreign Sympathies« [wie Fn. 6].
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Alex Emmons/Matthew Cole, »Arms Sale to UAE Goes Forward Even as U. S. Probes Ties between UAE and Russian Mercenaries«, in: The Intercept (online), 2.12.2020, <https:// theintercept.com/2020/12/02/uae-arms-sale-wagner-group/>.
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»Libye: Macron accuse Erdogan de violation ›gravissime‹ des engagements de Berlin«, Reuters, 29.1.2020; »Emmanuel Macron dénonce un ›jeu dangereux‹ de la Turquie en Libye«, France24, 22.6.2020; »Libye: Macron condamne la ›responsabilité historique et criminelle‹ de la Turquie«, in: Le Figaro, 29.6.2020.
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Wolfram Lacher, Libya’s Conflicts Enter a Dangerous New Phase, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Februar 2019 (SWP Comment 8/2019).
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Gespräche des Autors mit europäischen und VN-Diplomaten, August 2019–Januar 2020.
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Siehe den Beitrag von Ronja Kempin zu Frankreichs Türkeipolitik, S. 44ff.
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Joint Declaration Adopted by the Ministers of Foreign Affairs of Cyprus, Egypt, France, Greece and the United Arab Emirates, Athen: Hellenic Ministry of Foreign Affairs, 11.5.2020, <https:// www.mfa.gr/en/current-affairs/statements-speeches/joint-declaration-adopted-by-the-ministers-of-foreign-affairs-of-cyprus-egypt-france-greece-and-the-united-arab-emirates-11052020.html>; Paul Iddon, »UAE Dispatches Fighter Jets to Support Its Allies against Turkey«, Forbes (online), 26.8.2020, <https://www.forbes.com/sites/pauliddon/2020/08/26/uae-sends-fighter-jets-to-support-allies-against-turkey/>.
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Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Macron, Schloss Meseberg, 29.6.2020; Elisabeth Tsurkov, »The Syrian Mercenaries Fighting Foreign Wars for Russia and Turkey«, in: The New York Review (online), 16.10.2020, <https://www.nybooks.com/daily/2020/10/16/the-syrian-mercenaries-fighting-foreign-wars-for-russia-and-turkey/>; »De la Libye au Haut-Karabakh: Macron et le mythe du mercenaire djihadiste syrien«, in: Syrie Factuel (online), 12.10.2020, <https://medium.com/@syriefactuel/de-la-libye-au-haut-karabakh-macron-et-le-mythe-du-mercenaire-djihadiste-syrien-cc621ef76707>.
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