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Erwartungen der Neuen Nachbarn Ukraine, Belarus und Moldova an die EU

Arbeitspapier 2003/ Nr. 07, 15.09.2003, 4 Seiten
Belarus

Für Präsident Lukaschenko hat der Machterhalt höchste Priorität. Dementsprechend gestaltet er die internationalen Beziehungen des Landes, gerät dabei jedoch zunehmend in Schwierigkeiten. Die sowjetische Richtung - back to the USSR - ist verbaut, da niemand das Sowjetimperium wiederherstellen will. Der Schulterschluß mit dem neuen Rußland Putins gerät zum Desaster, da Lukaschenko bei formaler Wahrung der belarussischen Selbständigkeit insbesondere in Form wachsender wirtschaftlicher Abhängigkeit eine de-facto-Absorption durch Rußland befürchten muß; das Ausspielen der nationalen Karte zieht nicht, da es dem sowjetisch geprägten Präsidenten dafür an der notwendigen Glaubwürdigkeit mangelt. Und die europäische Richtung - könnte sie für Lukaschenko einen Ausweg bieten? Das ist wenig wahrscheinlich. Welches also sind die Erwartungen des Minsker Regimes an die EU?

So paradox es klingt: Ähnlich wie die Ukraine charakterisierte auch die belarussische Führung die EU-Integration als wirkungsvolles Beispiel für eine "erfolgreiche Kombination souveräner Gleichheit ihrer Mitgliedsstaaten und der Delegation von Macht an die Integrationsinstitutionen" (Lukaschenkos Botschaft an das Parlament vom April 2003). Im Gegensatz zu Kiew bezieht sie sich dabei aber nicht auf die Perspektive eines EU-Beitritts Weißrußlands. Vielmehr plädiert sie ganz im Gegenteil für eine analoge Anwendung des Modells der EU-Integration auf den anvisierten Unionsstaat Rußland-Belarus, also auf die Konstituierung einer Gemeinschaft zweier gleichberechtigter souveräner Staaten.

Zugleich unternahm die belarussische Führung wiederholt Anstrengungen, um im Zeichen eines "Mehrvektorenpolitik" die nach dem Minsker Verfassungsputsch von 1996 stark reduzierten Beziehungen zur Union zu normalisieren. Dies geschieht zum einen aus taktischen Motiven - immer dann nämlich, wenn Moskau den politischen und wirtschaftlichen Druck auf Minsk erhöht. Tatsächlich wird Lukaschenko eine strategische Partnerschaft mit der EU jedoch schon deshalb nicht anstreben, weil die damit verbundenen Bedingungen für demokratischen Systemwandel sein Machtsystem unterminieren würden. Zum zweiten wurzelt das Minsker Normalisierungsstreben in dem Bewußtsein der Verantwortlichen: Die EU und deren Mitgliedsstaaten vor allem sind es, die "zur dringend notwendigen aktiven Erneuerung des Produktivkapitals auf der Basis der Einführung fortschrittlicher Technik und neuester Technologie beitragen können" (Lukaschenkos Botschaft an das Parlament vom April 2002). Vor diesem Hintergrund gab der Präsident dem Außenminister jüngst den Auftrag, im Rahmen der Ausarbeitung einer neuen Konzeption der nationalen Sicherheit ein "konstruktives zwischenstaatliches Zusammenwirken mit den Ländern Europas und den USA einzuleiten".

In diesem Sinne begrüßte Außenminister Martynow, ein exzellenter Kenner der EU, kürzlich die Perspektive konkreter Aktionspläne für die Neuen Nachbarn, verbunden mit dem gewiß zutreffenden Hinweis: "Die Gewährleistung der Sicherheit und Stabilität in der Region, die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums, der zuverlässige Transit von Energieträgern und Waren nach Europa, das stabile ökologische Gleichgewicht und der Schutz westeuropäischer Staaten vor dem Strom illegaler Migranten sind ohne Einbindung der Republik Belarus undenkbar." In diesem Licht sei Belarus bereit, sich "auf breiter Grundlage den europäischen Prozessen anzuschließen", zumal die im EU-Nachbarschaftskonzept vorgeschlagenen Möglichkeiten insgesamt den strategischen Prioritäten der belarussischen Westpolitik entsprächen. Beginnen solle man mit praktischen Fragen wie Grenzregime, Handel, Verkehr, Infrastruktur (Interview mit Wostok 3/2003).

Das geschieht bereits, z.B. auf dem Felde Grenzsicherung. Die Realisierung weitergehender Vorstellung scheiterte bisher jedoch an der Weigerung Lukaschenkos, auf demokratiefördernde Konditionierungen der EU (plus OSZE und Europarat) einzugehen. Seit den Präsidentschaftswahlen vom September 2001 hat sich die Repressionspolitik Lukaschenkos sogar weiter verschärft und damit die Selbstisolierung des Landes nach Westen verstärkt. Ganz anders sähe es bei einem nicht völlig auszuschließenden Regimewandel in Belarus aus: Die relevanten Oppositionsparteien: Volksfront, Liberale und Sozialdemokraten profilieren sich als überzeugte Vorkämpfer eines EU-Beitritts, bis zu 60 Prozent der Bevölkerung sprechen sich für enge Beziehungen zur Union aus.