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Die schiitische Internationale

Irantreue Milizen weiten den Einfluss Teherans in der arabischen Welt aus

SWP-Aktuell 2018/A 59, 31.10.2018, 8 Seiten Forschungsgebiete

Schiitische militante Gruppen sind seit der Islamischen Revolution von 1979 für Tehe­ran das wichtigste Instrument, um seinen Einfluss in der arabischen Welt auszuweiten. Mit ihrer Hilfe gelingt es der iranischen Führung seit 2011, neben dem Libanon – wo die irantreue Hizbullah seit 1982 operiert – die militärische und politische Lage im Irak und in Syrien stark zu beeinflussen und auf die im Jemen zumindest einzuwir­ken. Im Libanon und im Irak haben die Milizen bereits »Staaten im Staate« aufgebaut, die die Politik beider Länder in Abstimmung mit Teheran maßgeblich mitbestimmen. In Syrien dürfte das Regime auch weiterhin auf die Milizen der Iraner angewiesen sein, da es ihm selbst an Soldaten mangelt. Im Jemen ist der Einfluss Teherans immer noch begrenzt. Doch er wächst, je länger der Krieg zwischen den Huthi-Rebellen und ihren Gegnern dort andauert.

Die US-Regierung führt die Expansion der Iraner und ihrer Verbündeten im Nahen Osten als den neben der iranischen Rake­tenrüstung wichtigsten Grund an für die Aufkündigung des Atomabkommens. Tat­sächlich geht von den Milizen, die von Teheran gesteuert werden, eine Gefahr für prowestliche Staaten aus; so etwa für Bah­rain, wo die iranischen Revolutionsgarden und ihre Verbündeten verstärkt kleine Ter­rorgruppen unterstützen. Zudem versuchen die Schiitenmilizen in Syrien eine neue Front gegen Israel auf­zubauen, das 2017 begonnen hat, diese Kräfte im Nachbarland zu bekämpfen.

Der Aktionsradius der Milizen ist jedoch auf die Länder beschränkt, in denen sie heute schon aktiv sind und in denen Schii­ten stark vertreten sind. Nur mit der paläs­tinensischen Hamas ist es den Iranern ge­lungen, Beziehungen zu einer sunnitischen Organisation aufzubauen, die sich jedoch bis dato nicht militärisch auswirken. Dies spricht dafür, die von den schiitischen Grup­pen ausgehenden Gefahren nicht über­zubewerten.

Die Iranischen Revolutionsgarden

Die Internationale schiitischer Milizen wird von den iranischen Revolutionsgarden (Sepah-e pasdaran-e enghelab-e eslami; »Armee der Wächter der Islamischen Revo­lution«) angeführt, der politischen Armee des Iran, die die Errungenschaften der Islamischen Revolution schützen soll. Sie zählt etwa 125000 Mann und hat zusätzlich die Kontrolle über die mindestens 1 Million Mann starken paramilitärischen Freiwilligenmilizen (Basij, wörtlich »Mobilisierung«), die als Hilfstruppen fungieren. Seit ihrer Gründung 1979 stehen die Garden in Kon­kurrenz zur regulären Armee Irans, die rund 350000 Mann umfasst und an deren Loyalität die Begründer der Islamischen Re­publik lange zweifelten. Die Garden unter­stehen folgerichtig nicht der Regierung, son­dern dem Revolutionsführer Ali Khamenei, der in wichtigen Fragen der nationalen Sicherheit die Entscheidungen trifft.

Die Wegbereiter der Expansion Irans im Nahen Osten sind die Quds(= Jerusalem)-Einheiten (Niru-ye Quds oder Sepah-e Quds) der Revolutionsgarden. Diese Truppe erfüllt heute den Auftrag, den lange Zeit das »Büro für Befreiungsbewegungen« innehatte, das auf den Export der Revolution in die Nach­barstaaten hinarbeitete. Seit Anfang der 1990er Jahre sind die Quds-Einheiten für die politischen, militärischen und geheimdienstlichen Beziehungen zu den muslimischen Nachbarländern Irans und vor allem für die Unterstützung der dortigen proirani­schen Akteure zuständig. Sie haben ge­schätzt 10000–20000 Mann in ihren Rei­hen, die zwar eine militärische Formation bilden, aber überwiegend damit beauftragt sind, iranfreundliche Kräfte militärisch und ideologisch auszubilden, zu versorgen, zu finanzieren, und anzuführen. Ihre größte Stärke liegt deshalb in ihren engen Verbin­dungen zu Verbündeten wie der libanesischen Hizbullah, der Badr-Organisation im Irak und anderen proiranischen Gruppierungen, die in ihren Operationsgebieten das Gros der irantreuen Truppen stellen.

Die Bedeutung der Quds-Einheiten ist seit 2003 und noch einmal seit 2011 deutlich gestiegen, weil die iranische Führung den Zusammenbruch des Irak und die Wirren infolge des Arabischen Frühlings genutzt hat, um ihren Einfluss in der arabischen Welt auszubauen. Ein Indiz für die Aufwer­tung der Quds-Einheiten ist die Prominenz ihres Kommandeurs Qasem Soleimani, der sie seit 1998 anführt. Während die Truppe früher dem Kommando der Revolutions­garden unterstand, ist Soleimani wahrschein­lich seit 2009 unmittelbar dem Revo­lutions­führer verantwortlich. Khamenei ist der reli­giöse und politische, Soleimani der militäri­sche Führer der schii­tischen Internationale.

Wenn es um ihre Verbündeten in der arabischen Welt geht, sprechen die Iraner von einer »Achse des Widerstands«, die sich zum gemeinsamen Kampf gegen Feinde des Islam und Agenten des Imperialismus (USA, Israel, Saudi-Arabien und andere) und zum Schutz der Islamischen Revolution und ihrer Errungenschaften zusammengeschlossen habe. Trotz des rhetorisch herausgestellten defensiven Impetus, der teils auf die unter iranischen Entscheidungsträgern verbreite­te Paranoia, teils auf die Erfahrung des Iran-Irak-Kriegs 1980–88 und teils auf die oft feindselige Politik der USA, Israels und Saudi-Arabiens zurückzuführen ist, handelt es sich bei dem Bündnis doch um ein expan­sives Projekt. Daran ändert auch die Tat­sache nichts, dass die Iraner Gelegenheiten zur Expansion – wie im Jemen und Bah­rain – eher opportunistisch zu nutzen scheinen, als dass sie eine vorab formulierte Strategie verfolgen würden.

Die libanesische Hizbullah

Die libanesische Hizbullah (»Partei Gottes«) ist bis heute der wichtigste nicht-staatliche Verbündete Irans und das Musterbeispiel seiner Expansion in der arabischen Welt. Die Revolutionsgarden hatten großen An­teil an der Gründung der Hizbullah im Jahr 1982 und bildeten zahlreiche Kämpfer der neuen Gruppierung aus, die von Beginn an Waffen und Geld aus Iran erhielt. Die Hiz­bullah dankt es mit Linientreue und war die erste nicht-iranische Organisation, die sich zu dem von Ayatollah Ruhollah Kho­meini entwickelten Konzept der Herrschaft des Rechtsgelehrten (velayat-e faghih) be­kannte, dem zufolge in Abwesenheit des zwölften Imam Muhammad al-Mahdi ein Gelehrter als dessen Stellvertreter die reli­giöse und politische Führung des islamischen Staates übernimmt. Bis zu seinem Tod 1989 war deshalb Khomeini die oberste religiöse und politische Autorität Irans und der Hizbullah, heute ist es sein Nachfolger Ali Khamenei.

Die Hizbullah ist aber weit mehr als nur eine proiranische militante Gruppierung mit engen Beziehungen zu den Revo­lu­tions­garden. Sie ist auch eine politische Be­wegung, die soziale und karitative Dienst­leistungen anbietet, und eine Partei, die ihren Einfluss durch die erfolgreiche Teil­nahme an Wahlen stetig ausgebaut hat. Die­se starke Verwurzelung lässt ihr trotz ihrer militärischen und finanziellen Abhängigkeit vom Iran einen gewissen Entscheidungsspielraum. Im Juli/August 2006 standen sich die Hizbullah und Israel einen Monat lang in einem Krieg gegenüber, in dessen Verlauf es der Organisation mit massiver iranischer Unterstützung gelang, Tausende Raketen auf israelisches Territorium abzuschießen. Zwar erlitt die Hizbullah hohe Verluste und die Zerstörungen im Libanon waren be­trächtlich, doch gelang es dem israelischen Militär nicht, die Organi­sation zu zerschlagen. Ab 2006 erstarkte sie rasch und baute ihren Einfluss auf die liba­nesische Politik zielgerichtet aus; seit 2008 hat sie sich ein faktisches Vetorecht über Entscheidungen der libanesischen Regierung gesichert.

Im Einflussbereich der iranischen Revolutionsgarden ist die Hizbullah der wich­tigste Verbündete. Mit etwa 20–25000 voll­ausgebildeten und aktiven Kämpfern (und 20–25000 »Reservisten«) ist sie nicht nur die Avantgarde im Kampf gegen Israel, son­dern ein wichtiges Bindeglied zwischen Iranern und Arabern. Die gemeinsame arabische Sprache und Kultur erleichtern es der Hizbullah, Iraker, Syrer, Jemeniten und andere Araber für die Revolutionsgarden militärisch und ideologisch auszubilden. Dies zeigte sich erstmals während des Kon­flikts im Irak, wo die Garden mit Hilfe der Hizbullah ab 2003 (und deutlich intensiver noch ab 2006) schiitische Gruppen in den Kampf gegen die amerikanischen Besatzungs­truppen schickten.

Noch wichtiger wurde die Hizbullah mit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien 2011. Für die Organisation ging von einem möglichen Sturz des Assad-Regimes eine existentielle Gefahr aus, denn die iranischen Waffen­lieferungen an die Hizbullah werden seit den 1980er Jahren über das Nachbarland abgewickelt, das der einzige staatliche Ver­bündete Irans ist. 2012 und 2013 verstärkte die Hizbullah ihr Engagement, weil die Schwäche der Regime­truppen immer offen­kundiger wurde. Im Frühjahr 2013 machte die Organisation ihr Eingreifen auch erst­mals öffentlich. In den nächsten Jahren waren Hizbullah-Einheiten bei allen größe­ren Kampfeinsätzen im gesamten Land beteiligt. Zu jedem gegebenen Zeitpunkt dürfte die Organisation zwischen 7000 und 10000 Mann in Syrien stationiert haben. Der Höhepunkt ihres Engagements war die Einnahme von Ost-Aleppo im Dezember 2016, die den Sieg des Regimes über die Auf­ständischen einleitete.

Trotz hoher Verluste – die Hizbullah beklagte mehr als 2000 Tote und mehrere Tau­send Verletzte – geht die Organisation gestärkt aus dem syrischen Bürgerkrieg her­vor. Sie hat erstens gelernt, aufständische Gruppierungen wirksam zu bekämpfen, was im Konflikt gegen das militärisch weit über­legene Israel zwar wertlos ist, ihren Einfluss im Libanon jedoch festigen dürfte. Zweitens hat Iran seine finanzielle Unterstützung für die Hizbullah, die in der Vergangenheit meist bei rund 100 Millionen US-Dollar pro Jahr lag, deutlich erhöht. In der Hochzeit des Konflikts in Syrien 2015/16 soll Teheran seinen Verbündeten mit mehr als 1 Milliar­de unterstützt haben. Drittens hat Iran auch die Waffenlieferungen an die Hizbullah quantitativ und qualitativ aufgestockt. Ins­besondere die mehr als 100000 Raketen unterschiedlicher Reichweite, die fast alle nach dem Krieg von 2006 geliefert wurden, machen die Hizbullah heute zum gefährlichsten Gegner Israels. Viertens hat die Hiz­bullah ihre Verbindungen zu den Revo­lu­tionsgarden und schiitischen Milizen aus verschiedenen Ländern in Syrien stark in­tensiviert.

Die »Volksmobilisierung« im Irak

Der zweite wichtige Verbündete der Revo­lutionsgarden in der arabischen Welt sind schiitische Milizen im Irak unter der Füh­rung der Badr-Organisation, die seit 2014 unter dem Namen »Volksmobilisierung« (al Hashd ash-Sha’bi) auftreten. Mit ihrer Hilfe versucht Iran, seinen Einfluss im Nach­barland so weit wie möglich auszubauen.

Bei diesen Bemühungen profitierte Iran vor allem vom Sturz Saddam Husseins und dem fast völligen Zusammenbruch des ira­kischen Staates infolge der amerikanisch-britischen Invasion im Jahr 2003. In den Folgejahren fuhr Teheran eine zweigleisige Politik: Zum einen unterstützte es proiranische Kräfte in der irakischen Politik wie vor allem den Hohen Rat für die Islamische Re­volution im Irak, der in den ersten Jahren die stärkste schiitische Partei in Bagdad und der wichtigste iranische Verbündete im Irak war. Die zum Hohen Rat gehörende Badr-Miliz, die 1983 in Iran als irakische Einheit der Revolutionsgarden entstanden war, nannte sich ab 2003 Badr-Organisation und agiert auch als Partei. 2009 trennte sie sich vom Hohen Rat. Dieser hatte sich im Mai 2007 in »Irakischer Islamischer Hoher Rat« umbenannt, was weithin als ein Akt der Distanzierung vom Iran interpretiert wurde. Die Badr-Organisation hielt an ihrer engen Bindung an Teheran fest und baute ihren Einfluss aus; so wird beispielsweise das In­nenministerium, wie schon 2005/06, seit September 2014 von Badr-Funktionären ge­leitet. Tausende Angehörige des Badr-Korps wurden in die Polizei aufgenommen, blieben aber ihrer Organisation gegenüber loyal.

Obwohl die paramilitärischen Badr-Ein­heiten fortbestanden, nahmen sie nicht am bewaffneten Kampf gegen die Besatzungstruppen teil. Der wurde zunächst von der Bewegung des militanten Predigers Muqtada as-Sadr geführt, der irakisch-nationalisti­sche Positionen vertrat und sich iranischen Kontrollversuchen entzog. Deshalb gingen die Revolutionsgarden ab 2005/06 dazu über, kleinere militante Gruppierungen aufzubauen, die die US-Truppen bekämpfen sollten. Das Ziel Teherans war es, die USA zu einem möglichst raschen Rückzug aus dem Irak zu zwingen. Die amerikani­schen Truppen subsumierten diese neuen Gegner unter dem Begriff »Special Groups«. Einige dieser Gruppen, wie die Asa’ib Ahl al-Haqq (Ligen der Rechtschaffenen), hatten sich von der Sadr-Bewegung abgespalten, andere, wie vor allem die Kata’ib Hizbullah (Hizbullah-Bataillone), entstammten dem Umfeld von Badr. Sie wurden von Ausbildern der Garden und der libanesischen Hiz­bullah trainiert und geführt. Auch Waffen, Munition und Geld erhielten sie vom Iran, wohin sie sich zwischen Einsätzen zudem zurückziehen konnten. Die Gruppen ent­führten und ermordeten amerikanische Sol­daten, beschossen deren Basen mit Raketen und Mörsern und verübten Anschläge mit improvisierten Sprengfallen (IEDs). Eine be­sondere Gefahr für die US-Truppen stellten die ab 2004 eingesetzten Explosively Formed Projectiles (EFP) dar, die gepanzerte Fahr­zeuge durchschlagen können. Die »Spezialgruppen« fügten den US-Truppen hohe Ver­luste zu, ohne dass diese wirksame Gegen­mittel fanden.

Nach dem amerikanischen Abzug 2011 traten diese Milizen und ihre Anführer offen auf. Ihr Aufstieg zu einem Hizbullah-ähn­lichen »Staat im Staate« begann aber erst im Juni 2014, als die staatlichen Sicher­heits­kräfte im Kampf gegen den »Islamischen Staat« (IS) zusammenbrachen. Nachdem der führende schiitische Gelehrte Ali Sistani zum »Heiligen Krieg« aufgerufen hatte, bil­dete sich das Milizenbündnis »Volksmobilisierung«, das rund 100000 Mann umfasste. Die Truppen der »Volksmobilisierung« gin­gen rasch ihrerseits in die Offensive gegen den IS und hatten großen Anteil an der Rück­eroberung der verlorenen Gebiete bis 2017. Dominiert wurde das Bündnis von den irantreuen Milizen Badr, Kata’ib Hiz­bullah und Asa’ib Ahl al-Haqq. Offiziell hat der Kata’ib-Hizbullah-Anführer Abu Mahdi al-Muhandis das Kommando, doch als star­ker Mann der »Volksmobilisierung« gilt der langjährige Badr-Führer Hadi al-Ameri. Im Hintergrund spielt mit Qasem Soleimani der Kommandeur der Quds-Einheiten eben­falls eine wichtige Rolle. Trotz mehrerer Versuche der irakischen Regierung, die Volksmobilisierungseinheiten unter eigene Kontrolle zu bringen, sind die Milizen heute ähnlich unabhängig wie die Hizbullah im Libanon: Sie halten Territorium nördlich und nordöstlich von Bagdad, sind in der Hauptstadt und vielen strategisch wichtigen Orten im Norden des Landes präsent, kon­trollieren das Innenministerium und die Polizei und erhalten zudem noch Geld von der irakischen Regierung – obwohl ihre Loyalität eher Teheran gehört als Bagdad. Bei den Wahlen im Mai 2018 konnten vor allem die Asa’ib Ahl al-Haqq ihren Stimmen­anteil deutlich erhöhen, so dass auch der Einfluss der »Volksmobilisierung« im Parla­ment und möglicherweise auf die nächste Regierung gesichert ist.

Schiitische Milizen in Syrien

Als sunnitische Rebellen in Syrien 2011 einen Aufstand begannen, der 2012 zu einem Bürgerkrieg wurde, nutzten die Revo­lutionsgarden auch dort die Gelegenheit, ein Netzwerk irantreuer Milizen auf­zubauen. Die Iraner sahen in den Ereignissen in Syrien eine existentielle Bedrohung, denn sie fürchteten, einem Regimewechsel in Damaskus werde ein solcher in Beirut, Bagdad und Teheran folgen. Um dies zu ver­hindern, stellten die Garden gemeinsam mit der Hizbullah schon ab 2011 ein Milizen­bündnis zusammen, das neben Libanesen und Iranern aus irakischen, afghanischen und pakistanischen Kämpfern bestand und rasch an Schlagkraft gewann. Auch kleinere syrische Verbände schlossen sich diesem Bündnis an. In Syrien bildete sich so eine multinationale Truppe, die über Staats- und ethnische Grenzen hinweg weit intensiver zusammenarbeitete, als dies militante schii­tische Islamisten je getan hatten.

Das Assad-Regime geriet nach 2012 immer stärker unter Druck, weil es ihm an Solda­ten fehlte. Diesen Mangel konnte auch die Hizbullah nicht ausgleichen, weshalb schon 2011 iranische Revolutionsgarden und ira­kische Milizionäre zu ihren libanesischen Waffenbrüdern stießen. Die Zahl iranischer Militärs dürfte in den folgenden Jahren meist bei 1000–2000 Mann – höhere Schät­zungen gehen von 3000–4000 Mann aus – gelegen haben; die Garden stellten vor allem Militärberater, Ausbilder und Kom­man­deure. Sie verfolgten zwei parallele und oft überlappende Projekte: Zum einen bildeten sie syrische Milizen aus, denen mehrheitlich Alawiten und andere Minderheiten angehörten. Zum anderen bauten sie ein Ex­peditionskorps schiitischer Kämpfer anderer Nationen auf.

Das neue Milizenbündnis in Syrien nahm ab Ende 2011 Gestalt an, als das syrische Re­gime vermehrt irreguläre bewaffnete Grup­pen anwarb. Grund war, dass die Regimetruppen durch massenhafte Desertionen sunnitischer Offiziere und Mannschaften stark geschwächt waren. Zudem fehlte es den staatlichen Streitkräften an Erfahrung in der Aufstandsbekämpfung und beim Kampf in Städten. Die in diesen Disziplinen außerordentlich erfahrenen Revolutionsgarden übernahmen die Ausbildung der nun neu aufgestellten Milizen, die das Regime ab Mitte 2012 als »Nationale Verteidigungs­kräfte« bezeichnete. Ihre Zahl wuchs auf bis zu 100000 Mann.

Darüber hinaus bauten die Garden auch schiitische Gruppierungen auf. Dies war weitaus schwieriger, da Schiiten in Syrien nur rund 1,5 Prozent der Bevölkerung stel­len und noch dazu über das ganze Land ver­teilt sind. Ihre Hochburg ist der Damaszener Vorort Sayyida Zainab, in dem ein wichtiges schiitisches Heiligtum steht. Die in der Früh­zeit wichtigste Gruppierung nannte sich Brigade (Liwa) Abu al-Fadl al-Abbas. Diese Einheit nahm zunächst einige Syrer, rasch aber auch viele irakische Kämpfer auf. Die meisten Iraker, die 2012 und 2013 zu ihr hinzu­stießen, hatten zuvor den Asa’ib Ahl al-Haqq und Kata’ib Hizbullah angehört, aber auch der Badr-Organisation. Sie argu­mentierten wie die Hizbullah und die Revo­lutionsgarden, dass die schiitischen Heilig­tümer vor sunnitischen Terroristen ge­schützt werden müssten. Als sich die Hiz­bullah ab 2013 offen als Akteur in Syrien zu erkennen gab, verzichteten auch die Ira­ker auf ihre Geheimhaltung. Zwar wurden viele von ihnen 2014 abgezogen, um im Irak gegen den IS zu kämpfen, ab Frühjahr 2015 nahm ihre Zahl jedoch wieder zu.

Während die Abu-al-Fadl-al-Abbas-Briga­de schnell an Bedeutung verlor, schoben sich andere irakische Schiitenmilizen ab 2013 in den Vordergrund. Besonders stark war die Haraka Hizbullah an-Nujaba, die als Ableger der Asa’ib Ahl al-Haqq 2016 in Aleppo und 2017 in Ost-Syrien kämpfte. Auch Kata’ib Sayyid ash-Shuhada, die syri­sche Filiale von Badr und Kata’ib Hizbullah, machte sich als schlagkräftige Formation einen Namen. In den Folgejahren belief sich die Zahl der irakischen Kämpfer in Syrien immer auf rund 5000 Mann, ein Kontingent, mit dem die personelle Schwäche der libanesischen Hizbullah etwas ausgeglichen werden konnte. Das Gros der schiitischen Ausländer stellten aber Afghanen, die von den Revolutionsgarden aus Iran nach Syrien gebracht wurden und unter dem Namen »Liwa al-Fatimiyun« in den Krieg eingriffen. Auch die pakistanischen »Zainabiyun« wur­den Teil des Milizenbündnisses, das ab 2015 ungefähr 20000 ausländische Kämpfer um­fasste. Sie waren in besonders starkem Um­fang in die Schlacht um Aleppo verwickelt, die im Dezember 2016 mit der Einnahme des gesamten Ostteils der Stadt endete. In den folgenden Monaten waren die iran­treuen Milizen auch maßgeblich an den Kämpfen gegen den IS in Ost-Syrien betei­ligt, wo sie 2017 gemeinsam mit Einheiten, die aus dem Irak anrückten, die Stadt Abu Kamal an der irakischen Grenze eroberten.

Damit haben die Revolutionsgarden und ihre Verbündeten eine Landverbindung ge­schaffen, die es ihnen ermöglicht, größere Mengen an Kämpfern, schwerem Gerät, Raketen und sonstigen Waffen bei gleich­zeitig geringerer Entdeckungsgefahr aus dem Iran über den Irak zu ihren Part­nern in Syrien und im Libanon zu schicken. Die­ser Faktor ist umso relevanter, als die israe­lische Luftwaffe seit 2017 ihre Angriffe auf Konvois und feste Einrichtungen der Hizbul­lah und Irans in Syrien intensiviert hat.

Sollten die Kämpfe in Syrien nach einer Einnahme von Idlib bald enden, stellt sich die Frage nach der Zukunft der iranischen Präsenz. Da das Assad-Regime auch künftig unter Mangel an Soldaten leiden dürfte, ist es wahrscheinlich, dass die Garden und ihre Milizen gebraucht werden. Die enge Zusam­menarbeit der Assad- und irantreuen Milizen macht eine trennscharfe Unterscheidung zudem häufig schwierig. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass Gefolgsleute der Gar­den zu einem Teil der syrischen Streitkräfte geworden sind. Auf dieser Grundlage könn­te Iran seinen Einfluss in Syrien langfristig ausbauen.

Iran, Hizbullah und die Huthis im Jemen

Die Unterstützung der Revolutionsgarden für die jemenitischen Huthi-Rebellen ist ein Sonderfall, denn diese gehören als Zaiditen einer schiitischen Glaubensrichtung an, die kaum Berührungspunkte mit den sogenann­ten Zwölferschiiten hat, die im Iran, im Irak und im Libanon die Mehrheit unter den Schiiten bilden. Die Huthis bekennen sich auch nicht zu dem (zwölferschiitischen) Konzept der Herrschaft des Rechtsgelehrten und der Ideologie des Khomeinismus, die das bindende Glied zwischen den Revolu­tionsgarden und ihren Verbündeten im nördlichen Arabien sind. Es sind vielmehr der gemeinsame »Antiimperialismus«, die Gegnerschaft zu Saudi-Arabien und die Iso­lierung der Huthis, die dazu geführt haben, dass auch der Jemen zum Operationsgebiet der Revolutionsgarden und der Hizbullah geworden ist. Teheran nutzte die Gelegenheit, Saudi-Arabien durch die Unterstützung der Huthis Probleme zu bereiten.

Die Huthis hatten in ihren Hochburgen im Nordjemen bereits 2004 bis 2010 einen Guerillakrieg geführt. Ihr damaliger Gegner, das Regime des Präsidenten Ali Abdul­lah Salih (reg. 1978–2012), diskreditierte die Rebellen von Beginn an als Agenten des schiiti­schen Iran. Die saudi-arabische Füh­rung folgte dieser Argumentation und stell­te sich auf die Seite der jemenitischen Regie­rung. Als die Aufständischen im September 2014 Sanaa einnahmen und Richtung Süden vorrückten, intervenierten Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate im März 2015 militärisch. Saudi-arabische Poli­tiker begründeten dieses Eingreifen mit ihrer Sorge, an der südlichen Grenze des Königreichs könne eine »jemenitische Hiz­bullah« entstehen, und erklärten, dass sie eine solche Entwicklung nicht dulden würden.

Wahrscheinlich schickte Iran schon früh Hilfe, doch muss diese sehr bescheiden ge­wesen sein. Erst in Etappen, vor allem ab 2011, wurden die Iraner aktiver, ohne dass ihre Unterstützung jemals der nahekam, die sie militanten Gruppen im Libanon, Syrien und im Irak zukommen lassen. 2013 und 2014 wurden mehrfach Schiffe aufgebracht, die iranische Waffen in den Jemen bringen sollten. Die Zunahme dieser Zwischenfälle seit 2014 weist darauf hin, dass die Revolu­tionsgarden nach der Einnahme Sanaas durch die Huthis ihren Beistand noch ein­mal verstärkten. Außerdem häuften sich Hinweise, dass Hizbullah-Ausbilder den Huthis halfen, eine noch schlagkräftigere Truppe zu formen. Iran lieferte auch Rake­ten, mit denen die jemenitischen Rebellen Saudi-Arabien beschießen. Während sie in der Frühzeit vor allem Städte und Gebiete nahe der Grenze ins Visier nahmen, griffen sie seit 2017 mehrfach die saudi-arabische Hauptstadt Riad an. Zwar richteten die Ge­schosse keinen nennenswerten Schaden an, doch überzeugten sie die saudi-arabische Regierung erneut von der Gefährlichkeit der Huthis.

Die Expansion schreitet voran: Die Golfstaaten und Israel

Nach der beispiellosen Expansion bewaffneter Kräfte im arabischen Osten, die vom Iran geführt oder unterstützt werden, stellt sich die Frage, ob diese nun ihr Ende erreicht hat. Einerseits macht es die konfessionelle Spal­tung des Nahen Ostens sehr unwahrscheinlich, dass die Iraner noch viele neue Ver­bündete gewinnen können. Auch dürften die Wirtschaftskrise in Iran und die Folgen der neuen US-amerikanischen Sanktionen den Handlungsspielraum Teherans begren­zen. Andererseits spricht für eine Fortsetzung, dass Vertreter der Revolutionsgarden und der proiranischen Milizen eine zuneh­mend aggressive anti-israelische und anti-saudi-arabische Rhetorik pflegen, die ver­mu­ten lässt, dass sie in diesen beiden Staaten künftige Ziele für Konfrontationen sehen.

Bahrain und Saudi-Arabien

Im Inselstaat Bahrain haben militante Grup­pen, die von Teheran unter­stützt werden, den bewaffneten Kampf bereits aufgenommen. Seit dort 2011 Proteste der schiitischen Mehrheit der Bevölkerung niedergeschlagen wurden, schwelt ein Konflikt, der vor allem in den schiitischen Dörfern rund um die Hauptstadt Manama ausgetragen wird, wo sich Jugendliche seit Jahren einen Schlag­abtausch mit den Sicherheitskräften liefern. Die Revolutionsgarden nutzten diese Span­nungen aus, indem sie, spätestens ab 2012, junge Männer in den Lagern der schiitischen Internationale im Iran und im Irak ausbilde­ten und nach Bahrain zurückschickten. Sie sendeten auch Waffen und Materialien zum Bau von IEDs und EFPs, die mehrfach in töd­lichen Anschlägen gegen die Polizei ein­gesetzt wurden. Die bekanntesten proiranischen Gruppen sind die Saraya al-Ashtar und die Saraya al-Mukhtar. Ihre Anführer leben mitunter im Iran.

Die Sicherheitslage in Bahrain hat sich infolge der Aktivitäten dieser Gruppen ab 2017 noch einmal deutlich verschlechtert. Die Revolutionsgarden zeigen hier, dass sie auch in einem Land mit starken Sicherheitskräften, die den Handlungsspielraum ihrer Gegner massiv einschränken, in der Lage sind, effektiv militante Gruppen zu unter­stützen. Das Ziel dürfte vor allem sein, im Fall erneuter Proteste Einfluss nehmen zu können.

Darüber hinaus dürfte die Unterstützung bahrainischer Gruppierungen einem anti-saudischen Impetus folgen. Auch im Osten Saudi-Arabiens – an der Bahrain gegenüberliegenden Küste – leben rund 2 Mil­lionen Schiiten, die von Riad als »fünfte Kolon­ne« Irans wahrgenommen werden. Als dort 2011 und 2012 Proteste aufkeimten, gewannen die Sicherheitskräfte die Kon­trol­le weitgehend zurück, doch kam es auch in der Folgezeit mehrfach zu Unruhen, zuerst nach der Hinrichtung des Predigers Nimr an-Nimr im Januar 2016, der zur Galions­figur der schiitischen Protestbewegung ge­worden war. Seine Exekution führte zu einer diplomatischen Krise zwischen Iran und Saudi-Arabien, und Vertreter der schii­tischen Internationale nahmen den Fall zum Anlass, wütende Drohungen gegen Saudi-Arabien und seine Herrscherfamilie aus­zustoßen. Im Sommer 2017 kam es ein wei­teres Mal zu bewaffneten Zusammenstößen, als Sicherheitskräfte mit der Altstadt von Awamiya eine Hochburg der Proteste an­griffen, das Zentrum anschließend räumten und niederrissen. Auch wenn in Saudi-Arabien bisher keine Terrorgruppe auf der Bildfläche erschienen ist, die mit den Revo­lutionsgarden verbündet ist, machen Oppo­sitio­nelle in den letzten Jahren immer häufiger von der Waffe Gebrauch. Dies ist ein Indiz dafür, dass Teile der Opposition zum bewaffneten Kampf bereit sind.

Israel

Eine zweite mögliche Eskalation könnte Israel betreffen. Die Feindschaft gegenüber dem jüdischen Staat eint alle Bestandteile der schiitischen Internationale. Die anti-israe­lische Ausrichtung hat es den Revolu­tionsgarden sogar ermöglicht, enge Bezie­hungen zur palästinensischen Hamas auf­zubauen, die zwischen 2012 und 2017 zwar eine ernste Krise durchliefen, mittlerweile aber wiederhergestellt sind. Ob es den Iranern jedoch gelingt, die Hamas in einem ähnlichen Ausmaß wie bis 2012 mit Geld, Waffen und Ausbildung zu unterstützen, ist fraglich, denn der ägyptische Staat kon­trolliert die Grenze zum Gaza-Streifen heute sehr viel effektiver als früher.

Viel wichtiger für die Revolutions­garden ist, dass sie und ihre Klienten in Syrien prä­sent sind. Dort haben sie sogar eine militä­rische Infrastruktur mit Stützpunkten, Waf­fenlagern und ‑fabriken aufgebaut, die darauf hinweist, dass Teheran erwägt, nach Ende des Konflikts in Syrien eine neue Front gegen Israel zu er­öffnen und die libanesische Hizbullah noch intensiver zu unter­stüt­zen als bisher. Israel versucht, dieser Expan­sion durch Luftangriffe entgegenzuwirken und hat eine Zusage Russlands erhalten, die Garden und ihre Verbündeten von der Golan­grenze fernzuhalten. Solange das Assad-Regime jedoch nicht gegen seine schii­tischen Verbündeten vorgeht, ist damit zu rechnen, dass eine zweite Front neben dem Südlibanon entsteht. Die neue Stärke der Hizbullah und die fortgesetzte Präsenz der schiitischen Internationale in Syrien dürften einen Krieg zumindest zwischen Hizbullah und Israel unvermeidlich machen. Schlachtfelder wären der Libanon und Syrien; der Auslöser wahrscheinlich der Ver­such der Israelis, Stellungen der schiitischen Internationale in beiden Ländern zu zerstören. Noch ist allerdings auf beiden Seiten das Interesse an einer Stabilisierung in Syrien zu groß.

Westliche Politik

Deutsche und Europäer sollten die von der schiitischen Internationale ausgehende Ge­fahr nicht ignorieren. Es ist zwar richtig das Atomabkommen zu verteidigen, doch stellt die iranische Expansion im Nahen Osten ein Problem für westliche Verbündete wie Israel, Saudi-Arabien und Bahrain und da­mit auch für die Europäer dar. Wenngleich die neuen Sanktionen der USA in dem Sinne falsch sind, dass sie auf die ebenso falsche Aufkündigung des Atomabkommens durch Washington folgen, so haben sie doch einen positiven Begleiteffekt: Für Teheran wird es künftig schwieriger, seine Expansionspoli­tik zu finanzieren. Trotz aller Differenzen mit den USA sollten die Europäer sich auch amerikanischen Sanktionsmaßnahmen gegen einzelne Gruppierungen oder Füh­rungspersonen der schiitischen Internationale nicht prinzipiell verschließen. Die liba­nesische Hizbullah oder die irakischen Asa’ib Ahl al-Haqq sind terroristische Grup­pierungen, die in allen westlichen Staaten als solche gelistet gehören.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2018

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