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Bankenaufsicht und Geldpolitik: Die EZB zwischen Baum und Borke

Am 4. November tritt die Bankenunion in Kraft. Verfrüht, wie Ognian Hishow meint: Weil zahlreiche Banken nicht genug Kapital aufweisen, wird die EZB als Bankenaufseherin Maßnahmen ergreifen, die die Geldwertstabilität gefährden.

Kurz gesagt, 16.10.2014 Forschungsgebiete

Am 4. November tritt die Bankenunion in Kraft. Verfrüht, wie Ognian Hishow meint: Weil zahlreiche Banken nicht genug Kapital aufweisen, wird die EZB als Bankenaufseherin Maßnahmen ergreifen, die die Geldwertstabilität gefährden.

Am 4. November tritt die erste Stufe der Europäischen Bankenunion in Kraft, mit der das Bankensystem in der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) einheitlich beaufsichtigt und reguliert werden soll. Stufe 1 sieht zunächst die Etablierung eines einheitlichen Aufsichtsmechanismus' (SSM) vor, mit dem die Europäische Zentralbank (EZB) Aufseherin über das Kapital von 130 Großbanken wird. 2015 soll mit Stufe 2 zudem ein Abwicklungsmechanismus für unterkapitalisierte Banken greifen.

Zur Vorbereitung des SSM führt die EZB seit November 2013 eine »Umfassende Überprüfung« der Banken durch. Die Bankbilanzen werden nach Kapitallücken durchsucht; in Zusammenarbeit mit der Europäischen Bankaufsicht wird die Widerstandsfähigkeit der Bilanzen im Falle plötzlicher Schocks (Finanzkrise, tiefe Rezession) getestet. Es kann schon jetzt als sicher angenommen werden, dass zahlreiche Banken nicht genug Kapital aufweisen. Insbesondere in den Krisenländern sind die Bilanzen mit sogenannten toxischen Krediten belastet (Staatsschuldscheine mit Marktwert unter dem Nominalwert, Kredite an Unternehmen in Konkurs, entwertete Hypotheken u.a.m.). Was wird mit diesen Banken nun im Rahmen der Bankenunion geschehen?

Der einheitliche Abwicklungsmechanismus sieht vor, dass Eigentümer und Kreditgeber einer unterkapitalisierten Bank die Kosten einer eventuellen Schließung tragen. Dass etliche Banken insbesondere in den Krisenländern gleich nach der »Umfassenden Überprüfung« auf diese Weise abgewickelt werden, ist aber nicht zu erwarten, denn die Verluste würden die Wirtschaft dort weiter schwächen. Auch eine Bankenrettung mit öffentlichen Geldern kommt in den betroffenen Ländern angesichts der überforderten Haushalte nicht in Betracht.

Die EZB stellt unkonventionelle Maßnahmen zur Stabilisierung von Banken in Aussicht

Was bleibt, sind sogenannte unkonventionelle Maßnahmen der EZB, um die angeschlagenen Banken zu entlasten. Sie übersteigen das, was eine Zentralbank üblicherweise in ihrer Funktion als Kreditgeberin in letzter Instanz leistet. Die EZB hat bereits mit verschiedenen Programmen, die sie geldpolitisch nennt (OMT u.a.), in das Finanzsystem eingegriffen. Weitere Schritte hat sie am 2. Oktober 2014 in Neapel angekündigt: Sie wird Pfandbriefe – Bankpapiere, die mit Hypotheken oder Schuldverschreibungen von Staaten besichert sind – akzeptieren, um Banken Liquidität bereitzustellen. Einbezogen werden könnten auch griechische und zypriotische Papiere, obwohl sie derzeit ohne Rating sind. Ferner kündigte sie ein Kreditschema an, das für die Finanzkrise von 2008 verantwortlich gemacht wird – die Kreditverbriefung. Dabei bündeln die Banken Forderungen mit diversen Risikostufen zu Paketen (ABS), die sie dann in Tranchen an die EZB verkaufen. Das würde die Bilanzen der teilnehmenden Banken im Sinne der Bankenunion bereinigen, jedoch die Bilanz der EZB belasten. EZB-Präsident Mario Draghi möchte daher nur die sicheren Tranchen der ABS übernehmen und das Risiko des uneinbringbaren Rests (Mezzanin-Tranchen) den Mitgliedstaaten überlassen.

Diese Initiativen der EZB haben nicht nur Auswirkung auf die Bankenunion. Geldpolitisch würden solche Schritte die ohnehin lockere Geldpolitik der EZB weiter fortsetzen. Langfristig wird dies zu Inflation führen, auch wenn die Inflationsrate im Augenblick gering ist. Damit geraten die Pflichten der EZB als Bankenaufseherin in Konflikt mit ihrer Pflicht, die Preise stabil zu halten. Mehr noch: Mit dem EZB-Refinanzierungszins nahe Null stößt die Geldpolitik an ihre Grenzen, wenn es darum geht, das Wachstum anzukurbeln. Zudem erzeugen Nullzinsen Druck auf Investoren, auf riskante Anlagemöglichkeiten zurückzugreifen, was wiederum zu Kreditausfällen bei den Banken führen kann. Ihre Entlastung bzw. Rettung würde weitere unkonventionelle Maßnahmen erfordern; eine Abwärtsspirale käme in Gang.

Mit der Bankenunion wird die WWU zunehmend zur Transferunion

Schließlich würden die unkonventionellen Maßnahmen zur Rettung angeschlagener Banken eine Kapitallücke bei der EZB öffnen, für die am Ende die Steuerzahler aufkommen müssen, und zwar die Steuerzahler in den wirtschaftlich gesunden Mitgliedstaaten. Deutschland müsste mindestens 25 Prozent des Ausfalls tragen. Damit verwandelt sich die WWU zunehmend in eine Transferunion – eine Entwicklung, die von der Bankenunion beschleunigt wird. Noch leisten Deutschland, Frankreich und die Niederlande Widerstand, z.B. bei den Mezzanine-Tranchen. Von dieser Haltung sollten sie nicht abrücken. Es kann allerdings passieren, dass sie im EZB-Rat überstimmt werden.

Eine Bankenunion, die startet, ohne dass die teilnehmenden Banken ihre Kapitallücken geschlossen haben, kommt verfrüht. Denn sie verschärft den Interessenkonflikt der EZB, Banken zu regulieren und zugleich geldpolitisch unabhängig zu bleiben. Die EZB sollte idealerweise von ihren unkonventionellen Maßnahmen absehen und die Stabilisierung oder Schließung der gefährdeten Banken durch die Mitgliedstaaten abwarten. Die Bankenunion gibt es nicht umsonst – wenn Finanzinstitute straucheln, entstehen Kosten für die Heimatländer. Es sollte aber vermieden werden, dass die Bankenunion zur Transferunion wird.

Dieses »Kurz gesagt« ist auch bei Handelsblatt.com und Euractiv.de erschienen.