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Auf dem Prüfstand: Japans neuer Premierminister Yoshihide Suga

Kurz gesagt, 17.09.2020 Forschungsgebiete

Yoshihide Suga ist neuer japanischer Premierminister. Der 71-Jährige trat am Mittwoch die Nachfolge Shinzo Abes an. Er muss nun mit außen- und sicherheitspolitischen Erfolgen überzeugen. Sonst könnte er sein Amt 2021 schon wieder verlieren, meint Alexandra Sakaki.

Mit klarer Mehrheit hat das japanische Parlament am Mittwoch Yoshihide Suga zum Nachfolger Shinzo Abes gewählt. Der hatte nach rund acht Jahren aus gesundheitlichen Gründen seinen Rücktritt erklärt. Mit seiner bereits am Montag erfolgten Wahl zum Präsidenten der regierende Liberaldemokratische Partei LDP war Suga die Wahl zum Regierungschef schon sicher. Aufgrund seiner Rolle als langjähriger Vertrauter Abes steht er für politische Kontinuität. Auch er selbst definiert die Fortsetzung von Abes Politik als seine »Mission«. Und wie Abe als Regierungschef hat auch Suga mit rund acht Jahren Amtszeit einen Rekord aufgestellt, nämlich den als am längsten amtierenden Chefkabinettssekretär, einem zentralen Posten mit Ministerrang. In dieser Position bewies er Geschick als innenpolitischer Strippenzieher und trug so zur Stabilität der Abe-Regierung bei, deren Sprecher er zugleich war.

Auf der anderen Seite mangelt es Suga aber an außenpolitischer Erfahrung, auch wenn er durch seine Teilnahme an den Sitzungen des Nationalen Sicherheitsrats durchaus mit den strategischen Prioritäten der Abe-Regierung vertraut sein dürfte. Doch gerade hier, in der Außen- und Sicherheitspolitik, muss er sich angesichts Chinas machtpolitischen Auftretens und Nordkoreas militärischer Aufrüstung beweisen.

Mehr als nur Kontinuität gefragt

Wie viel Aufmerksamkeit er der Außen- und Sicherheitspolitik schenken wird, ist allerdings ungewiss. Die Prioritäten für seine Amtszeit hat Suga bereits klargemacht: Er will die Corona-Pandemie bekämpfen und die angeschlagene japanische Wirtschaft ankurbeln. Die enormen außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen lassen sich aber nicht beiseiteschieben. Geschick und Führung wird Suga vor allem in vier Bereichen beweisen müssen.

Erstens muss seine Regierung den künftigen Kurs gegenüber China festlegen, das in Japan als Bedrohung wahrgenommen wird. In den vergangenen Jahren hatte die Abe-Regierung hier sowohl auf eine Politik der Konfrontation als auch der Kooperation gesetzt. So wollte sie sich ein Mindestmaß an bilateraler Stabilität für die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit sichern. Innerhalb der LDP mehren sich die Stimmen, die eine härtere Gangart gegenüber China fordern. Dies wird bestärkt durch Chinas wachsende Präsenz in den Gewässern um die umstrittenen Senkaku-Inseln – die von Japan kontrolliert, aber von China beansprucht werden – sowie das harte Durchgreifen in Hongkong und die Menschenrechtsverstöße gegen die Uiguren. Im Juli verabschiedete die LDP eine Resolution, in der sie die Regierung aufforderte, den für April geplanten, aber durch die Pandemie verschobenen Staatsbesuch Xi Jingpings endgültig abzusagen. Suga muss nun entscheiden, ob er dieser Forderung nachkommen und wie er die Politik gegenüber Beijing insgesamt ausgestalten will.

Zweitens muss Suga schnell ein gutes Verhältnis zum US-Präsidenten Donald Trump aufbauen, denn in Japan besteht Konsens darüber, dass das Sicherheitsbündnis mit den Vereinigten Staaten von zentraler Bedeutung ist. Er muss auf Trump zugehen, gleichzeitig aber auch darauf gefasst sein, dass dieser im November die Präsidentschaftswahlen verliert. Sollte Trump gewinnen, stehen Tokio wohl schwierige Verhandlungen über Japans finanzielle Beiträge zur Stationierung der US-Truppen bevor.  Ein gutes persönliches Verhältnis zu Trump, wie es Abe pflegte, könnte Spannungen in den Verhandlungen abfedern.

Abschreckung und Diplomatie

Drittens stehen in Japans Verteidigungspolitik aufgrund der wachsenden Bedrohung durch nordkoreanische und chinesische Raketen wichtige Entscheidungen an. Zum einen muss Suga über die Weiterentwicklung der japanischen Raketenabwehr entscheiden. Im Juni hatte Verteidigungsminister Taro Kono die geplante Anschaffung des Raketenabwehrsystems »Aegis Ashore« abgesagt. Doch ersatzlos streichen will Tokio das Projekt nicht – deshalb werden nun andere Optionen diskutiert, wie die Anschaffung weiterer Schiffe für die seegestützte Raketenabwehr. Unumstritten sind derart kostspielige Investitionen aber nicht, vor allem weil unklar ist, ob sie gegen Nordkoreas und Chinas wachsende Raketenfähigkeiten überhaupt noch ausreichend Schutz bieten. Deshalb wird in der LDP parallel darüber diskutiert, ob Japan Langstreckenraketen anschaffen sollte, die Vergeltungs- oder möglicherweise sogar Präventivangriffe auf gegnerische Raketenbasen ermöglichen. Einige LDP-Politiker würden die Anschaffung derartiger Waffen gerne in den neuen Nationalen Verteidigungsrichtlinien festschreiben, die bis Ende des Jahres überarbeitet werden sollen. Die Diskussionen darüber lösen in der antimilitaristisch eingestellten Bevölkerung allerdings Unbehagen aus.

Zuletzt wird auch das angespannte Verhältnis zu Südkorea Sugas Fingerspitzengefühl fordern. Tokio und Seoul streiten sich über die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter aus der japanischen Kolonialzeit. Nach Tokios Lesart sind die Ansprüche abgegolten – nämlich durch den Grundlagenvertrag von 1965 und das zugehörige Abkommen zur Regelung von Schadensersatzansprüchen. Das Oberste Gericht Südkoreas widerspricht dem und argumentiert, individuelle Ansprüche seien durch den Vertrag nicht erloschen. Der Streit hat beidseitige historische Ressentiments aufflammen lassen, die zu einer Verhärtung der Fronten beigetragen haben. In Südkorea laufen derzeit juristische Prozesse, um von der japanischen Firma Nippon Steel beschlagnahmte Vermögenswerte zu verkaufen und dadurch ehemalige Zwangsarbeiter zu entschädigen. Damit würden die Beziehungen in eine ernsthafte Krise rutschen, denn Tokio hat bereits Vergeltungsmaßnahmen angekündigt.

Turnusgemäß findet die nächste LDP-Präsidentschaftswahl bereits im September 2021 statt. Will er über diesen Zeitpunkt hinaus im Amt bleiben, muss Suga neben innenpolitischen auch außenpolitische Erfolge vorweisen können. Gerade in diesem Bereich hatte sich sein Vorgänger profiliert. Er schaffte es, Japans Stimme auf der internationalen Bühne mehr Gewicht zu verleihen – durch außenpolitische Initiativen oder durch rege Besuchsdiplomatie. Ob Suga den gleichen Aktivismus an den Tag legt, bleibt abzuwarten.