Der Jemen gilt US-Beobachtern als gefährlichstes Zentrum des islamischen Terrorismus. Guido Steinberg hält das für falsch, geht aber davon aus, dass die Organisation jetzt mehr Operationsmöglichkeiten bekommt.
Kurz gesagt, 07.04.2011 ForschungsgebieteGuido Steinberg
Der Jemen gilt US-Beobachtern als gefährlichstes Zentrum des islamischen Terrorismus. Guido Steinberg hält das für falsch, geht aber davon aus, dass al-Qaida dort und in anderen arabischen Ländern jetzt mehr Operationsmöglichkeiten bekommt.
Angeblich haben die Unruhen im Jemen die Antiterrormaßnahmen im Land zum Stillstand gebracht. Stimmt das?
Die Terrorismusbekämpfung ist weitgehend zum Erliegen gekommen. Besonders die von den USA ausgebildeten Spezialtruppen, die einer der Söhne des Präsidenten befehligt, werden jetzt tatsächlich zu Präsident Salihs Schutz in Sanaa eingesetzt. Im Moment hat für Saleh Priorität, sich und seiner Familie eine wie auch immer geartete Zukunft zu sichern.
Manche Stimmen sagen, der Präsident ziehe absichtlich Truppen aus Krisenprovinzen ab, um noch mehr Unruhe zu schaffen und somit seine Unverzichtbarkeit im Antiterrorkampf zu demonstrieren?
Das sehe ich nicht so. Zwar schadet es Saleh nicht, wenn die Amerikaner durch die Aufgabe der Terrorismusbekämpfung unter Druck geraten. Aber in erster Linie geht es ihm jetzt um den Schutz seines Regimes. Die Truppen, die seit 2008 von den Amerikanern für Antiterrormaßnahmen ausgebildet worden sind, sind besonders schlagkräftig. Da ist es nur logisch, dass er jetzt auf sie zurückgreift.
Was für Antiterrormaßnahmen gab es zuletzt im Jemen?
Die wichtigsten Terrorbekämpfungsmaßnahmen gingen von den Amerikanern aus – entweder mittels Drohnen- oder direkter Luftangriffe. Salih hat mehrfach erfolglos versucht, diese als jemenitische Operationen darzustellen. Die Führungsspitze der al-Qaida im Jemen ist dabei nicht ausgeschaltet worden. Die jemenitischen Spezialkräfte wiederum haben einige al-Qaida-Zellen ausgehoben und zahlreiche Mitglieder getötet und verhaftet. Insgesamt galt die Organisation der Regierung aber immer nur als innenpolitischer Gegner Nummer Drei. An erster Stelle standen die Separatisten im Süden des Landes und an zweiter Stelle die Rebellen im Norden.
Wenn al-Qaida im Jemen so stark werden konnte, war Salih vielleicht gar kein so guter Verbündeter?
Etwa seit 2008, seit sich al-Qaidas Aktionen verstärkt auch gegen den jemenitischen Staat richteten, hat die Regierung stärker den Schulterschluss mit den Amerikanern gesucht. Davor hat sie sich sehr ambivalent verhalten. Nach dem Anschlag im Hafen von Aden auf den Zerstörer USS Cole im Jahr 2000 und verstärkt nach dem 11. September 2001 hat man al-Qaida kurzfristig bekämpft, dann aber die Zügel wieder schleifen lassen. Wie lax der Umgang mit al-Qaida war, zeigt der großangelegte Ausbruch aus einem Hochsicherheitsgefängnis in Sanaa im Februar 2006. Damals entkamen 23 hochrangige al-Qaida-Mitglieder, zwei von ihnen gehören heute zu ihren wichtigsten Führungsmitgliedern. Salih war immer ein problematischer Verbündeter und die Amerikaner immer wieder sehr unzufrieden mit der jemenitischen Terrorismusbekämpfung.
Salih soll sich auch immer wieder der Islamisten bedient haben.
Was die Jihadisten betrifft, erinnert das ambivalente Verhalten der jemenitischen Regierung sehr an die Situation in Pakistan. In den 90er Jahren hat Salih zum Beispiel die Afghanistan-Rückkehrer gezielt eingesetzt, um vor und während des Bürgerkriegs die Sozialisten im Südjemen zu bekämpfen. Auch wird kolportiert, dass die jemenitischen Truppen im Norden des Landes, die dort seit 2004 die Huthi-Rebellen bekämpfen, Salafisten als Hilfstruppen eingesetzt haben. Die jemenitische Regierung hat sich nie zu einer entschlossenen Bekämpfung der Jihadisten durchringen können. Ich gehe davon aus, dass die Amerikaner aus Angst vor einer erstarkenden al-Qaida im Jemen jetzt wieder – wie in Pakistan – verstärkt Drohnen einsetzen werden.
US-Verteidigungsminister Rober Gates hat den jemenitischen Zweig von al-Qaida als besonders gefährlich und aktiv bezeichnet, Amerika richtet seine Aufmerksamkeit stark auf den Jemen. Zu Recht?
Viele US-Beobachter halten den Jemen mit Blick auf den islamistischen Terrorismus für gefährlicher als Pakistan. Ich halte diese Sicht für falsch. Zwar sind sowohl der vereitelte Anschlag von Detroit im Dezember 2009 sowie der Paketbombenplot von 2010 im Jemen geplant worden, mit dem Amerikaner Anwar al-Awlaqi operiert einer der charismatischsten Führer von al-Qaida vom Jemen aus – aber sie haben trotzdem nicht den Einfluss der al-Qaida-Führung in Pakistan. Dorthin zieht es nach wie vor die meisten Jihadisten. Zudem könnte al-Qaida in Pakistan trotz ihrer offenkundigen Schwäche von einem möglichen Erfolg der Taliban in Afghanistan profitieren. Im Jemen hat al-Qaida keine Option, sich einer größeren Aufstandsbewegung anzuschließen.
Al-Qaida spielt in der Oppositionsbewegung keine Rolle?
Ganz sicher nicht. Die Bewegung war zumindest am Anfang eine, die ganz ähnlich wie in anderen Ländern der Region aus Liberalen, Demokraten, Internetaktivisten und ganz allgemein unzufriedenen jungen Leuten bestand. Ihnen haben sich dann sehr schnell die herkömmlichen Oppositionsparteien angeschlossen wie die Sozialistische Partei oder die islamistische Islah-Partei. Die Gesamtbewegung ist jetzt sehr amorph und nicht gut organisiert, weshalb beispielsweise die Islah-Partei, die sehr gut organisiert ist, oder die Überläufer aus der Armee Chancen haben, künftig eine einflussreiche Rolle zu spielen. Die ursprünglichen Demonstranten fürchten jetzt, dass ihre Bewegung eher von diesen Kräften gekapert wird.
Anwar al-Awlaqi, der Al-Qaida-Ideologe im Jemen, hat jetzt in einem Internetartikel den Sturz autokratischer Regime wie in Tunesien oder Ägypten als positiven Schritt für seine Organisation bezeichnet. Es sieht so aus, als wolle auch er den Erfolg anderer für sich beanspruchen. Klappt das?
Für al-Qaida ist die Lage zweischneidig. Einerseits bedeuten diese Ereignisse in der arabischen Welt eine schwere strategische Niederlage. Eigentlich wollte sie ja diese Regime stürzen, gerade das von Mubarak in Ägypten, aber sie ist diesem Ziel nie auch nur nahe gekommen. Geschafft haben das jetzt ihre schlimmsten Feinde – liberale Demokraten, Säkularisten, Frauen, Angehörige von Minderheiten, Menschen, die Gewalt ablehnen. Das ist auch eine Lektion für die westliche Welt. Wir haben seit 2001 viele Ereignisse in der Region nur durch die al-Qaida-Brille gesehen und nicht begriffen, dass wir es mit einer Minderheit von Leuten zu tun haben, mit Organisationen, die in der Regel nicht mehr als einige hundert Mitglieder haben – im Jemen übrigens vermutlich auch. Andererseits bietet die aktuelle Destabilisierung der Regime neue Operationsmöglichkeiten und bedeutet weniger effektive Bekämpfung. Das gilt besonders für den Jemen, aber auch in Libyen und anderen Ländern werden wir es mit einer verstärkten Präsenz jihadistischer Gruppen zu tun bekommen. Es ist einfach so: Die Regime in der arabischen Welt – unter anderen die Ägypter, die Saudis und die Jordanier – waren in den vergangenen Jahren unsere wichtigsten Partner in der Terrorismusbekämpfung. Einige von denen sind jetzt gefallen, und das bedeutet für die westliche Terrorismusbekämpfung zumindest kurzfristig einen schweren Rückschlag. Langfristig wird sich zeigen, dass al-Qaida und ihre Verbündeten für die politische Zukunft der arabischen Welt vollkommen irrelevant sind.
Fragen: Ruth Ciesinger (Webredaktion)
Berlin, 06.04.2011