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Feministische Außenpolitik (FAP) setzt einen politischen Gestaltungsrahmen für das Handeln von Regierungen sowie für Prozesse und Strukturen innerhalb der Ressorts. Mit der Einführung eines solchen Rahmens wird ein Politikwandel verbunden, der zum Abbau diskriminierender Machtasymmetrien beitragen soll.
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Feministische Außenpolitik ist ein neues politisches Konzept, entstanden im Kontext zunehmenden Genderbewusstseins in der internationalen Politik. Die schwedische Regierung war die erste, die ihre Außenpolitik im Jahr 2014 offiziell als feministisch bezeichnete. Nach und nach folgten weitere Staaten aus verschiedenen Regionen.
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Deutschland schloss sich im März 2023 an, als das Auswärtige Amt die Leitlinien für eine feministische Außenpolitik und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung die Strategie für eine feministische Entwicklungspolitik veröffentlichten.
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Beide Ressorts verstehen ihre Papiere als unfertige Konzepte, die – auch mithilfe der Forschung – angepasst und weiterentwickelt werden sollen. Die vorliegende Studie mit ihren elf anwendungsorientierten Analysen kann dazu einen Beitrag leisten.
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Neben den Kernelementen der nationalen Konzepte feministischer Außenpolitik werden die deutsche/europäische Politik gegenüber ausgewählten Ländern (den osteuropäischen Staaten, der Türkei, den palästinensischen Gebieten und Iran) sowie einzelne Politikfelder und Instrumente internationaler Politik (Handel, Digitalpolitik, Migration, Flucht und Vertreibung, Stabilisierung und Sanktionen) hinsichtlich der Grenzen und Potenziale einer Umsetzung von FAP untersucht.
Inhaltsverzeichnis
1 Problemstellung und Schlussfolgerungen
2 Einleitung: Feministische Außenpolitik als work in progress
2.1.1 Was ist feministische Außenpolitik?
2.1.2 Was ist unter Feminismus zu verstehen?
2.1.3 Was ist neu an der feministischen Außenpolitik?
2.1.4 Warum soll ausgerechnet die Außenpolitik feministisch gestaltet werden?
2.1.5 Was ist feministisch an der feministischen Außenpolitik?
2.1.6 Droht der FAP eine Wahrnehmung als koloniale Normsetzung des Globalen Nordens?
2.2 Die Beiträge in dieser Studie
2.3 Übergeordnete Schlussfolgerungen
Nationale Konzepte und Strategien
3 Feministische Außenpolitik: Kernelemente in internationaler Perspektive
3.1 Einführungsbedingungen von FAP
3.2 Kernelemente staatlicher FAP
3.2.1 Inklusion und Zielgruppen
3.2.2 Reichweite und horizontale Kohärenz
3.2.3 Vertikale Kohärenz und Institutionalisierung
3.2.4 Tiefe des angestrebten Wandels
3.3 Auf der Suche nach FAP und ihrer Wirkung
4 Osteuropa: Eine feministische Politik im Lichte des Krieges
4.2 Bisherige deutsche Osteuropapolitik und Feminismus
4.3 Eine feministische Osteuropapolitik
5 Türkei: Möglichkeiten und Hindernisse für eine feministische Außenpolitik
5.1 Zwischen Gleichberechtigung und Ungleichheiten: Das Geschlechterregime in der Türkei
5.2 Deutsche Politik gegenüber der Türkei
5.3 Möglichkeiten einer feministischen Außenpolitik in Zusammenarbeit mit der Türkei
6.1 Eingeschränkte Teilhabe in den palästinensischen Gebieten
6.2 Deutsche Politik gegenüber den palästinensischen Gebieten
6.3 Ansatzpunkte für eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik
7 Iran: Der Testfall für feministische Außenpolitik
7.1 Reaktion der Bundesregierung auf die Proteste
7.2 Feministische Grundsätze für deutsche Außenpolitik
7.3 Feministischer Ansatz in der Praxis
7.4 Eine feministische Perspektive auf Sicherheit
Politikfelder und internationale Instrumente
8 Handelspolitik: Was es an Gendergerechtigkeit gibt und noch geben könnte
8.1 Status: Gendergerechtigkeit in bestehenden Handelsregimen
8.1.1 Die multilaterale Ebene: Die WTO
8.1.2 Plurilaterale und bilaterale Regelungen
8.1.3 Unilaterale bzw. autonome Ansätze
8.2 Ansatzpunkte für mehr Gendergerechtigkeit in der Handelspolitik
8.2.1 Handelspolitische Folgenabschätzung
8.2.2 Vermeidung gendergefährdender Ansätze
8.2.3 Förderung genderstärkender Ansätze
8.3 Empfehlungen für Gendergerechtigkeit in der (deutschen) Handelspolitik
9 Digitalpolitik: Ansätze gegen genderbezogene digitale Gewalt und Desinformation
9.1 Konzeptionelle Anforderungen feministischer Digitalpolitik
9.2 Genderbezogene digitale Gewalt und Desinformation
9.2.1 Genderbezogene digitale Gewalt
9.2.2 Genderbezogene digitale Desinformation
9.3 Ausblick: Internationale Digitalpolitik feministisch gestalten
10 Migration: Intersektionale Diskriminierung im Bereich der Arbeitsmigration
10.1 Intersektional-feministische Ansätze in der Migrationsforschung
10.2 Intersektionale Ungleichheit, Gewalt und Ausbeutung im Bereich der Arbeitsmigration
10.3 Elemente einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik
11.1 Feminismus und das globale Flüchtlingsregime
11.2 Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit
11.2.1 Erfassung disaggregierter Daten
11.2.2 Partizipative Gestaltung von Entscheidungsprozessen
11.2.3 Abmilderung personenbezogener Machtasymmetrien
11.2.4 Verbesserung von Fortschritts- und Erfolgsmessung
12.1 Der Status quo in der deutschen Stabilisierungspolitik
12.2 Mögliche Beiträge feministischer Außenpolitik
12.2.1 FAP kann helfen, einseitige liberale Friedensförderung zu überwinden
12.2.2 Analyse von Macht und Sicherheit
12.2.3 Ein feministischer Ansatz für Konfliktbearbeitung
12.2.4 Selbstreflexion und Lernprozesse
13 Sanktionen: Voraussetzungen und Ansatzpunkte für eine schützende Sanktionspolitik
13.1 Sender von Sanktionen: Legitimität und Repräsentation
13.2 Ziele von Sanktionen: zwischen staatlicher und menschlicher Sicherheit
Problemstellung und Schlussfolgerungen
Feministische Außenpolitik (FAP) entstand als politisches Konzept vor etwa zehn Jahren, als die schwedische Außenministerin Margot Wallström den Politikansatz ihres Ressorts so bezeichnete. FAP ist zugleich ein Produkt eines wachsenden Genderbewusstseins in der internationalen Politik. In einem Prozess der internationalen Normdiffusion vollzogen immer mehr Staaten in verschiedenen Weltregionen diesen Schritt nach.
FAP kann als politischer Gestaltungsrahmen beschrieben werden: für das außenpolitische Handeln von Regierungen ebenso wie für ressortinterne Prozesse und Strukturen. Damit verbunden ist ein Politikwandel, der auf den Abbau friedensgefährdender und diskriminierender Machtasymmetrien (nicht nur zwischen den Geschlechtern) zielt. FAP erhebt den Anspruch, wertegeleitet und evidenzbasiert zu sein. Sie wird sowohl normativ mit Gerechtigkeitsargumenten als auch pragmatisch mit Verweis auf die friedensstiftende Wirkung von Inklusion begründet.
Es gibt jedoch keine allgemein akzeptierte normative oder völkerrechtliche Definition von FAP. Auch wenn sich einige Elemente in allen staatlichen FAP-Varianten wiederfinden, bleiben viele Fragen zu Konzept, Stellenwert und Umsetzung, ja sogar zur Sinnhaftigkeit und Tragfähigkeit offen. Inzwischen gibt es einen regen Austausch zwischen den Regierungen, die sich zu FAP bekennen, und einen ebenso fruchtbaren wie spannungsreichen Dialog zwischen ihnen und Akteur:innen aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Denn sowohl in feministischen Bewegungen als auch in feministischen Theorien, die beide älter sind als die FAP, findet heute eine kritische Auseinandersetzung mit dem jungen Politikkonzept statt.
Die Diskussion ist vielstimmig und dynamisch – und Deutschland beteiligt sich seit März 2023 daran, als das Auswärtige Amt (AA) Leitlinien für eine feministische Außenpolitik und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) eine Strategie für eine feministische Entwicklungspolitik (FEP) vorlegten. Mit der Diplomatin Gesa Bräutigam hat das AA seit August 2023 eine Sonderbotschafterin für feministische Außenpolitik (und Direktorin für Menschenrechte). Allerdings verläuft die deutsche Debatte bislang eher parallel zu anderen politischen Auseinandersetzungen und ist mit gewichtigen Entscheidungen kaum verzahnt, etwa Entscheidungen über den Umgang mit bestimmten Staaten oder über politische und militärische (direkte oder indirekte) Interventionen in folgenschwere Konflikte. Zur Überwindung dieser Versäulung soll die vorliegende Studie einen Beitrag leisten.
Die Ressortpapiere des AA und des BMZ sind als erste, offene Konzepte angelegt, die der Anpassung, Konkretisierung und Weiterentwicklung bedürfen. Dementsprechend lassen sie eine Reihe von Fragen offen, die sowohl die Anforderungen als auch die Potenziale von FAP betreffen. Wo ergeben sich – vor dem Hintergrund der aktuellen deutschen und europäischen Politik – aus feministischen Forschungsperspektiven Zielkonflikte und Synergien? Wo liegen in diesem Kontext die Grenzen bzw. Entwicklungsmöglichkeiten von FAP? Antworten auf diese Fragen können nur anhand konkreter empirischer Beispiele entwickelt werden. In dieser Studie werden daher sowohl Regionen und Länder (Osteuropa, die Türkei, die palästinensischen Gebiete, Iran) als auch Politikfelder und Instrumente internationaler Politik (Handel, Digitalpolitik, Migration, Flucht und Vertreibung, Stabilisierung und Sanktionen) daraufhin untersucht. Die Beiträge münden auf Basis der Analysen und Bewertungen in fallbezogene Empfehlungen. Darüber hinaus lassen sich aber auch allgemeine Ansatzpunkte für eine FAP identifizieren und auf einer höheren Abstraktionsebene übergeordnete Schlussfolgerungen ziehen. Zusammengefasst lauten sie:
Von einer FAP Deutschlands kann nicht gesprochen werden, solange kein übergeordnetes Konzept (qua Kabinettsbeschluss) entwickelt wird, das von der gesamten Regierung getragen wird, die Zuständigkeitsbereiche verschiedener Ressorts integriert und der Komplexität der Außenpolitik einschließlich ihrer Verflechtung mit der Innenpolitik gerecht wird.
FAP hat wenig Aussicht auf Erfolg, wenn sie auf einen Schadensbegrenzungsansatz reduziert wird, während Ungleichgewichte, Machtasymmetrien und Menschenrechtsverletzungen in entscheidenden Politikfeldern außen vor bleiben. FAP kann ihre friedensfördernde Wirkung nur entfalten, wenn sie zentrale Fragen der Politik wie zu Sicherheit und Migration aufgreift, herrschende Auffassungen und Praktiken verändert – und sich damit von ihrer als Begleitprogramm verstandenen Rolle emanzipiert.
Trotz ihres inklusiven und intersektionalen Anspruchs drehen sich die meisten staatlichen FAP-Varianten um Fragen der Gendergerechtigkeit. FAP kann zwar Impulse für Gender-Mainstreaming geben, darf sich darin aber nicht erschöpfen, wenn sie generell den Abbau friedensgefährdender Asymmetrien vorantreiben soll.
FAP bietet kein fertiges Rezept für eine eindeutige Anwendung. Vielmehr ist sie in ihrer Konzeption und Umsetzung – wie Demokratie – work in progress und stark kontextabhängig. Sie entbindet nicht von Entscheidungssituationen, in denen zwischen widersprüchlichen (nicht nur feministischen) Zielen oder Mitteln abgewogen werden muss. Dies ist jedoch nicht gleichbedeutend mit Beliebigkeit, denn das Bekenntnis zu FAP bringt eine Reihe von Anforderungen mit sich: allen voran die Erweiterung der Analyseperspektiven, die (macht-)kritische Hinterfragung der verwendeten Kategorien sowie die Überprüfung von Prioritäten. Was dies im Einzelfall bedeutet, wo jeweils die Grenzen und Potenziale von FAP bzw. FEP liegen, ist Thema der Beiträge in dieser Studie.
Einleitung: Feministische Außenpolitik als work in progress
Claudia Zilla
Schweden war 2014 das erste Land, das sich offiziell zu einer feministischen Außenpolitik bekannte. Im Laufe der Jahre folgten so unterschiedliche Staaten wie Kanada (2017), Frankreich (2019), Mexiko (2020), Libyen (2021), Luxemburg (2021), Spanien (2021), Chile (2022), Kolumbien (2022) und Argentinien (2023) mit Ankündigungen, Konzepten oder bereits mit der Umsetzung einer feministischen Außenpolitik (FAP), einer feministischen Entwicklungspolitik (FEP), einer feministischen Diplomatie oder Ähnlichem. Sie tragen damit zu einem Phänomen bei, das in den internationalen Beziehungen als Normdiffusion bezeichnet wird.1 In Deutschland wurden am 1. März 2023 zwei Ressortpapiere veröffentlicht: »Feministische Außenpolitik gestalten. Leitlinien des Auswärtigen Amts«,2 dem Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) vorsteht, und »Strategie für eine feministische Entwicklungspolitik. Für gerechte und starke Gesellschaften weltweit«3 des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unter der Leitung von Svenja Schulze (SPD).4 Die FAP-Leitlinien und die FEP-Strategie zielen auf einen »Kulturwandel« bzw. einen »systemischen Wandel«, für den – wie in beiden Dokumenten expliziert – ressortübergreifende Anstrengungen erforderlich seien. Darüber hinaus wird die Notwendigkeit der Weiterentwicklung und Konkretisierung von FAP/FEP betont, dezidiert unter Rückgriff auf Forschung aus feministischer Perspektive.5
An diese konzeptionelle Offenheit und dieses Erkenntnisinteresse knüpft die vorliegende Studie an: In kritischer Auseinandersetzung mit den vorgelegten Konzepten, den dahinterstehenden Annahmen sowie der bisherigen Praxis wollen wir einen Beitrag zur Debatte leisten und Potenziale sowie Grenzen, Synergien und Zielkonflikte von FAP und FEP aufzeigen. Zu diesem Zweck analysieren wir konkrete Fallbeispiele. Die Studie ist damit auf einer mittleren Abstraktionsebene komplexer und kontextualisierter Außen- und Entwicklungspolitikforschung angesiedelt, die zwischen den in den AA-Leitlinien und der BMZ-Strategie allgemein formulierten normativen Ansprüchen und den konkreten, durch öffentliche Mittel finanzierten gendersensiblen wie gendertransformativen bzw. GG1- wie GG2-Projekten liegt.6
Zwar kann Deutschland weder die Lebenswirklichkeit der Bevölkerung in anderen Staaten noch die Governance-Strukturen einzelner Politikfelder oder die Ausgestaltung von Instrumenten auf internationaler Ebene im Alleingang verändern. Die für feministische Perspektiven charakteristische »empathische Reflexivität«7 ist jedoch als Aufforderung zu verstehen, die eigene Position selbstkritisch zu hinterfragen und die Bedürfnisse und Anliegen anderer in den Blick zu nehmen. Damit verbunden sehen wir die Aufgabe, zu prüfen, wo deutsche Politik zum Aufbau oder zur Zementierung diskriminierender Machtstrukturen beiträgt, die das friedliche Zusammenleben der Menschen unterminieren, sowie auszuloten, wo Politik kohärenter und gerechter als bisher gestaltet werden kann oder gar muss. Dafür bietet sich eine mittlere Abstraktionsebene an, die eine systemische Annäherung an folgende Fragen ermöglicht: nach der jeweiligen Ausgestaltung deutscher Außenpolitik in den hier diskutierten Einzelfällen, nach potenziellen Spannungsverhältnissen oder Widersprüchen zwischen Interessen oder Politikzielen, nach der Angemessenheit der gewählten Mittel und der gesetzten Prioritäten sowie nach den Entwicklungsmöglichkeiten.
Der Kritik feministischer Ansätze an einem kompartmentalisierenden Politikverständnis, also der Konstruktion dichotomer Sphären – öffentlich vs. privat oder Innen- vs. Außenpolitik – folgend haben wir für die vorliegende Studie Untersuchungsgegenstände ausgewählt, in denen eine scharfe Trennung zwischen Diplomatie bzw. Entwicklungszusammenarbeit und internationaler Sicherheit sowie zwischen Innen- und Außenpolitik nicht angemessen (weil unterkomplex und realitätsfern) erscheint.
Im Hinblick auf die Fragestellung kombinieren wir zur Strukturierung der jeweiligen Analysen drei Perspektiven:
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Analytisch-deskriptiv: Ist-Zustand. Wie sieht der Fall – durch die FAP/FEP-Brille betrachtet – aus?
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Normativ: Soll-Zustand. Wie sollte die Politik in diesem Fall – nach den Maßstäben und Anforderungen einer FAP/FEP – aussehen? Wo liegen Herausforderungen, Widersprüche und Zielkonflikte – aber auch Potenziale?
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Policy-orientiert: Kontextsensible Empfehlungen im Hinblick auf einen anzustrebenden Zustand. Was könnte/sollte deutsche/europäische Außenpolitik im Sinne der FAP/FEP in naher Zukunft (anders) machen? Was sind die Voraussetzungen und Implikationen?
Die Autor:innen greifen auf drei Arten von Wissen zurück: (1) Fachwissen: theoretisches und empirisches Wissen über fachspezifische Zusammenhänge, (2) Kontextwissen: Wissen über den Fall in seiner zeitlichen und räumlichen Gebundenheit sowie über die deutsche (Außen-)Politik und (3) Erfahrungswissen: durch Handeln und Erleben erworbenes Wissen. Während insbesondere das Fach- und Kontextwissen in der Expertise der Autor:innen liegt, haben wir uns um einen besseren Zugang zum Erfahrungswissen bemüht, indem wir einen Workshop mit Personen aus der Praxis bzw. aus der zivilgesellschaftlichen Engagement- und Advocacy-Arbeit durchgeführt haben.8 Darüber hinaus sind die Analysen von feministischen Perspektiven geprägt, die sich sowohl in den Ressortpapieren als auch in sozialwissenschaftlichen Ansätzen wiederfinden.
Grundlagen der Studie
Im Sinne des Anspruchs, ein systemisches Verständnis der mit der Konzeptualisierung und Umsetzung von FAP und FEP verbundenen Anforderungen und Potenziale zu entwickeln, bildet ein inklusiv verstandener Feminismus den gemeinsamen Ausgangspunkt der hier versammelten Beiträge. Damit sind feministische Ansätze gemeint, die queere Perspektiven einbeziehen und über geschlechtsspezifische Diskriminierung hinaus weitere, sich überlappende Formen struktureller Benachteiligung und Unterdrückung sozialer Gruppen (Intersektionalität) sowie (post-)koloniale Machtasymmetrien berücksichtigen. Was das im Einzelnen bedeutet und welche Konzepte dafür relevant sind, wird anhand der folgenden Fragestellungen beleuchtet.9
Was ist feministische Außenpolitik?
FAP – hier im weiteren Sinne verstanden – setzt einen politischen Gestaltungsrahmen für das außenpolitische Handeln von Regierungen ebenso wie für ressortinterne Prozesse und Strukturen. Mit der Einführung eines solchen Rahmens ist ein Politikwandel verbunden, da FAP erklärtermaßen eine Veränderung des Status quo anstrebt. Je nach nationaler Variante ist FAP unterschiedlich anspruchsvoll: hinsichtlich der erfassten außenpolitischen Politikfelder und ihrer Verknüpfung mit der Innenpolitik, der angestrebten Veränderungen, der prioritären Zielgruppen. Der kleinste gemeinsame Nenner der verschiedenen offiziellen FAP-Versionen besteht darin, dass sie auf inhaltliche, prozedurale und institutionelle Reformen zielen, die zum Abbau der Diskriminierung von Frauen und Mädchen im Aufgabenbereich eines Ministeriums beitragen. Hier stellt sich die Frage, ob ein solcher Ansatz, der sich im Wesentlichen auf Gleichstellung bzw. Gender-Mainstreaming beschränkt, das Adjektiv »feministisch« verdient. Ambitionierte Versionen verfolgen einen transformativen Wandel; sie adressieren die als ungerecht bewerteten Strukturen, die vielfältigen und miteinander verwobenen (also nicht nur genderspezifischen, sondern intersektional verstandenen) Formen von Diskriminierung zugrunde liegen, und gehen dabei über den Zuständigkeitsbereich des Außenministeriums hinaus.10 Damit sind ein minimalistischer und ein maximalistischer Idealtyp beschrieben. Empirisch stellen sich die konkreten FAP-Varianten weniger homogen dar.11
FAP ist von ihrem Ursprung her kein wissenschaftliches, sondern ein politisches Konzept.
FAP ist von ihrem Ursprung her kein wissenschaftliches, sondern ein politisches, im staatlichen Kontext entstandenes Konzept, mit dem sich inzwischen auch die Sozialwissenschaften beschäftigen. In der wissenschaftlichen Aneignung wird das Konzept FAP analytisch eingegrenzt, theoretisch durchdrungen und mit Daten gesättigt. Feministische Gruppen der Zivilgesellschaft (hier in ihrer Diversität verstanden) richten sowohl Kritik als auch normative Forderungen an Regierungen, die sich einer FAP verschrieben haben. Zwischen diesen drei Sphären (der staatlichen, der akademischen und der zivilgesellschaftlichen) entwickelt sich so ein fruchtbarer wie spannungsreicher Dialog.
Hinsichtlich ihres Begründungszusammenhangs verbindet sich FAP in der Regel erstens mit dem Anspruch, den Menschenrechten verpflichtet zu sein. Dabei geht es nicht nur um die Anerkennung und den Schutz von Rechten, sondern auch um die Befähigung von Menschen, ihr Recht auf die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse einzufordern. Zweitens greift FAP Perspektiven und Forderungen aus feministischen Ansätzen auf. Bezug genommen wird auf die feministische Kritik an patriarchalen Strukturen, die der Machthierarchie zwischen den Geschlechtern und darüber hinaus vielfältigen Formen von Diskriminierung und Unterdrückung zugrunde liegen. Der emanzipatorische Impuls geht dabei über die Forderung nach »mehr Rechten für alle« (innerhalb der herrschenden Ordnung) hinaus und richtet sich auch auf strukturelle Bedingungen, die allen Menschen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen würden. Drittens berücksichtigt FAP empirische Erkenntnisse über den Ertrag von Inklusion. Sie stützt sich auf Erfahrungen mit positiven Effekten der Einbeziehung bisher strukturell marginalisierter Personen und Perspektiven in politische Prozesse und Institutionen. Mit Fokus auf die Geschlechterverhältnisse geht es um den positiven Zusammenhang zwischen Gendergerechtigkeit auf der einen und Wohlstand und Frieden auf der anderen Seite. Konkret: Verbessern sich die Situation und die Chancen von Frauen, kommt dies nicht nur dieser Gruppe zugute, sondern der gesamten Gesellschaft bzw. dem internationalen System. Auf dieser Grundlage wird für Gendergerechtigkeit bzw. eine umfassende Inklusion sowohl intrinsisch-normativ (im Sinne eines Wertes an sich, mit Verweis auf die Menschenrechte und das Diskriminierungsverbot) als auch extrinsisch-pragmatisch (im Sinne eines Nutzens, mit Verweis auf empirische Evidenz) argumentiert. FAP erhebt somit den Anspruch, gleichzeitig werte- und evidenzbasiert zu sein.
Was ist unter Feminismus zu verstehen?
Selten enthalten die nationalen FAP-Konzepte eine Definition oder Erläuterung des Feminismusbegriffs, der ihnen zugrunde liegt.12 Manchmal kommen die FAP-Strategiepapiere auch ohne Bezug auf das Patriarchat oder patriarchale Strukturen aus.13 Denn was »Feminismus« bedeutet bzw. beinhaltet, ist umstritten. Ursprünglich westlich geprägt, wurde (und wird) der Terminus immer wieder kritisch reflektiert und erweitert, so dass sich unterschiedliche Interpretationen (und sogenannte Wellen) herausgebildet haben. Möglich wurde dies unter anderem durch die Debattenbeiträge von Schwarzen Frauen, Frauen aus dem Globalen Süden und queeren Menschen.
Feministische Positionen westlich-liberaler Prägung wurzeln in der Erkenntnis, dass ein sozial konstruiertes, also nicht naturgegebenes Herrschaftsverhältnis zwischen den Geschlechtern besteht (männliche Dominanz = Patriarchat) und dass damit eine ungleiche Verteilung von Rechten, Privilegien, Ressourcen, Chancen und dergleichen einhergeht. Feminismus führt daher zur Dekonstruktion für »natürlich« erachteter Machtstrukturen – sie werden dadurch sichtbar und ihr nichtnotwendiger Charakter wird aufgedeckt. Normativ wird diese strukturelle Machtasymmetrie als ungerecht, diskriminierend und unterdrückend bewertet. Vertreter:innen dieser feministischen Positionen fordern daher die Überwindung des Patriarchats und die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern in allen Bereichen der Gesellschaft.
Das emanzipatorische Ziel des Feminismus besteht darin, jegliche Form von Herrschaftsverhältnis zwischen den Geschlechtern abzuschaffen (und nicht das bestehende umzukehren). Laut marxistisch-feministischen Ansätzen setzt dies die Abschaffung des Kapitalismus voraus. Anderen feministischen Auffassungen zufolge ist es fraglich, ob eine umfassende Emanzipation mit nationaler Politik bzw. mit der Existenz des Staates vereinbar ist, da dieser als patriarchaler Unterdrückungsapparat gesehen wird.
In queerfeministischen Positionen wird die Überwindung von Heteronormativität (die Heterosexualität als die Norm in der Gesellschaft etabliert) und Zweigeschlechtlichkeit (die zwischen nur zwei Geschlechtern, einem weiblichen und einem männlichen, unterscheidet) angestrebt. Damit wird die binäre Zentrierung gesellschaftlicher Ordnungsprinzipien für Sexualität und Geschlecht auf »cisgeschlechtliche« Männer und Frauen (deren Geschlechtsidentität dem Geschlecht entspricht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde) aufgebrochen. In einem inklusiv verstandenen Feminismus finden auch weitere Identitäten wie lesbisch, schwul, bisexuell, trans, intersexuell, queer und mehr (LSBTIQ+) Beachtung.
Aus der Kritik an einem »weißen Feminismus«, der beispielsweise kolonial-rassistische Denkmuster und Strukturen reproduziere, entwickelten sich feministische Positionen, die darauf zielen, jegliche Diskriminierung und Unterdrückung entlang von Merkmalen wie Geschlecht, Geschlechterrolle, sexueller Orientierung, Hautfarbe, Behinderung, Religion oder Herkunft zu bekämpfen. Intersektional nennt sich ein Feminismus, der sich kritisch mit Mehrfachdiskriminierung auseinandersetzt. Hier steht die Frage im Mittelpunkt, wie die Wechselwirkungen verschiedener Benachteiligungen in unterschiedlichen Kontexten das (soziale) Leben von Menschen bedingen.
Was ist neu an der feministischen Außenpolitik?
FAP ist ein neues politisches Konzept: Vor etwa einem Jahrzehnt wurde zum ersten Mal ein spezifisches Politikfeld offiziell von einer Regierung als feministisch bezeichnet. Insofern handelt es sich um ein Phänomen der jüngeren Vergangenheit, das als Produkt eines stetig wachsenden Genderbewusstseins in der internationalen Politik gesehen werden kann.14 Dessen Fokus richtete sich zunächst auf die Entwicklungspolitik, erfasste dann die Bereiche Menschenrechte sowie Konflikte und Sicherheit und schließlich die Außenpolitik.15 Den Auftakt bildeten die drei Weltfrauenkonferenzen im Rahmen der Dekade der Vereinten Nationen (UN) für Frauen in Mexiko-Stadt (1975), Kopenhagen (1980) und Nairobi (1985). 1979 verabschiedete die UN-Generalversammlung das »Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau« (CEDAW), das 1981 in Kraft trat. Deutschland ratifizierte es 1985. Ergebnis der vierten Weltfrauenkonferenz in Peking (1995) war die »Pekinger Erklärung und Aktionsplattform«, ein umfassendes Konzept zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und zum Empowerment von Frauen und Mädchen, einschließlich der Festlegung strategischer Ziele und der Auflistung verschiedener Maßnahmen. Die Gleichberechtigung der Geschlechter fand auch Eingang in die Millenniumsentwicklungsziele (MDGs 2000–2015, Ziel 3) und – als Geschlechtergerechtigkeit – in die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs 2016–2030, Ziel 5). Im Jahr 2000 kam es im UN-Sicherheitsrat auf Initiative der damaligen namibischen Frauenministerin Netumbo Nandi-Ndaitwah zur Einigung auf die Resolution 1325 »Frauen, Frieden und Sicherheit« (Women, Peace and Security, WPS). Es folgten im Rahmen der WPS-Agenda neun weitere Resolutionen zu genderrelevanten Themen, darunter die Resolution 2467 zu sexualisierter Gewalt, die Deutschland 2019 als nichtständiges Mitglied in den UN-Sicherheitsrat eingebracht hatte. Seit 2005 haben rund 100 Staaten, auch Deutschland, einen Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Sicherheitsratsresolution 1325 auf den Weg gebracht.
In den Institutionen der Europäischen Union nimmt die Gendersensibilität ebenfalls zu.
In den Institutionen der Europäischen Union (EU) nimmt die Gendersensibilität ebenfalls zu. So bekräftigte der Rat der Europäischen Union 2015 die Bedeutung der »Förderung der Rechte von Frauen und Mädchen, der Gleichstellung der Geschlechter und der Stärkung der Rolle von Frauen und Mädchen« für die Entwicklungspolitik. Mit der Strategie zur Gleichstellung der Geschlechter 2016–2019, die seither für den Zeitraum 2020–2025 aktualisiert wurde, hat die Europäische Kommission den Rahmen für ihre Arbeit in diesem Bereich abgesteckt. Im Jahr 2020 rief sie den »Gender-Aktionsplan III« (Aktionsplan für die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung der Rolle der Frau im auswärtigen Handeln 2021–2025) ins Leben, um der Geschlechterperspektive in den Außenbeziehungen der EU mehr Gewicht zu verleihen, und im Jahr 2022 schlug sie eine »Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt« vor.
Dieser multilaterale Rahmen, auf den sich die nationalen FAP-Varianten beziehen, ist vor allem als Errungenschaft transnationaler, zivilgesellschaftlicher feministischer Bewegungen zu sehen.16 Daran zeigt sich der Effekt ihres Engagements auf die internationale Politik, Normbildung und Verrechtlichung. Insofern reicht die Geschichte sowohl der feministischen Bewegungen als auch der feministischen Theorien weiter zurück als die des feminist turn in der Außenpolitik.
Warum soll ausgerechnet die Außenpolitik feministisch gestaltet werden?
Es gehört zur Kontingenz des Politischen, dass Margot Wallström, die von 2010 bis 2012 UN-Sonderbeauftragte für sexuelle Gewalt in Konflikten war, 2014 schwedische Außenministerin wurde. In der neuen Regierung, die sich selbst als »feministisch« bezeichnete, deklarierte Wallström auch das von ihr verantwortete Politikfeld so. 2022 kam es zum Machtwechsel: Der neue Ressortchef Tobias Billström ließ den Begriff streichen und verschiedene Publikationen zum Thema von der Website des Außenministeriums entfernen.17 Mit dieser Entwicklung wird Schweden einmal mehr zum Bezugspunkt für Regierungskoalitionen und zivilgesellschaftliche Organisationen, deren Anliegen es ist, FAP institutionell so zu verankern, dass sie politische Richtungswechsel überdauert. Dabei ist es kein Zufall, dass Schweden rund ein Jahrzehnt lang als Vorreiter und Vorbild der FAP galt. Das Land hat sich traditionell innen- wie außenpolitisch stark für Gendergerechtigkeit engagiert,18 so dass viele Staaten ihm ein hohes Maß an normativer Legitimität (Reputation und Anerkennung) attestieren.19
Allgemein ist Außenpolitik ein Politikbereich, dessen Strukturen in besonderem Maße männlich dominiert sind.
Allgemein ist Außenpolitik ein Politikbereich, dessen Strukturen in besonderem Maße männlich dominiert sind und daher der Perspektive, den Ideen und der Erfahrungswelt von Männern Vorrang einräumen. In der Folge reproduziert eine Außenpolitik, die sich als »genderneutral« versteht, die geschlechtsbezogene Ungerechtigkeit, weil die verschiedenen genderspezifischen Perspektiven nicht oder nur unzureichend bedacht werden. Sie zementiert den Status quo. Denn in einer asymmetrischen Geschlechterordnung machen Männer und Frauen unterschiedliche Erfahrungen; aufgrund ihrer jeweiligen Positionen und Rollen in der Gesellschaft erleben sie die bestehenden Machtstrukturen auf je spezifische Weise. Gleiches gilt für Personen, die sich nicht in diese Kategorien einordnen lassen und sich als nichtbinär identifizieren. So sind Frauen, Männer und queere Menschen von Armut, Konflikten oder Krieg unterschiedlich (stark) betroffen, auch ihre Beiträge zu Entwicklung und Frieden divergieren.
Die in der Außenpolitik besonders ausgeprägte Geschlechterasymmetrie ist jedoch nicht nur darin begründet, dass Männer und ihre Perspektiven (vor allem in Entscheidungspositionen) überproportional vertreten sind,20 sondern auch darin, dass Beiträge von Frauen unsichtbar gemacht werden. In feministischen Ansätzen zu internationalen Beziehungen wird diese Einäugigkeit thematisiert und herausgearbeitet, wie und wo Frauen sowie alternative Sichtweisen eine (bisher nicht angemessen beachtete) Rolle spielen.21
Zwar gibt es keinen Gesellschafts- oder Politikbereich, der frei von patriarchalen Strukturen wäre bzw. in dem deren Überwindung nicht positive Effekte hätte. Befürwortende einer FAP verbinden jedoch mit deren Einführung zum einen häufig eine weitergehende Öffnung der Außenpolitik für Ansätze, die diskursiv bereits seit längerem propagiert werden, wie etwa eine wertegeleitete oder menschenrechtsbasierte Außenpolitik. FAP würde damit den normativen Druck erhöhen, das Notwendige bzw. menschlich Gebotene endlich umzusetzen. Zum anderen werden positive Übertragungseffekte (Spillover-Effekte) auf andere Politikfelder (auch die Innenpolitik) erhofft,22 so dass jedes Politikfeld als Ansatzpunkt willkommen ist.
Allerdings ist kritisch zu fragen, ob es aus Regierungssicht nicht einfacher, das heißt politisch und gesellschaftlich weniger kontrovers ist, feministische Perspektiven in ein nach außen gerichtetes Politikfeld einzubringen als in ein nach innen gerichtetes. Auch die Budgetfrage dürfte nicht unerheblich sein: Während in Deutschland im Jahr 2023 das Bundesministerium für Arbeit und Soziales rund 35 Prozent und das Verteidigungsministerium etwa 10,5 Prozent des gesamten Bundeshaushalts zur Verfügung hatten, lag der Anteil für das BMZ bei circa 2,5 Prozent und für das AA bei rund 1,6 Prozent.23 In den Ressorts, die sich in Deutschland einen feministischen Politikrahmen gegeben haben, geht es also um überschaubare Summen.
Was ist feministisch an der feministischen Außenpolitik?
Was an FAP feministisch ist oder sein soll, darüber gibt es weder in der Politik noch in der feministischen Wissenschaft und Praxis einen abschließenden Konsens.24 Zwar tauchen in staatlichen FAP-Strategien Begriffe, Perspektiven, Anliegen, Forderungen etc. aus feministischen Bewegungen und Ansätzen auf. Diese werden jedoch häufig durch staatliche Neuinterpretationen und Rahmungen modifiziert und teilweise ausgehöhlt (purplewashing). So wird in den FAP-Strategien häufig ein transformativer und intersektionaler Anspruch formuliert, der konzeptionell selten untermauert und noch seltener in der Praxis realisiert wird.25 Hier setzt die feministische Kritik an staatlicher FAP an.
Im Zentrum der meisten nationalen FAP-Konzepte steht das Ziel, entsprechend dem schwedischen 3R-Ansatz die Rechte, die Repräsentation und die Ressourcen von Frauen und Mädchen auszubauen. Damit soll die Machtasymmetrie zwischen den Geschlechtern (auch im eigenen Ressort) abgebaut werden. Ein Mittel dazu ist die gendersensible bzw. gendertransformative Gestaltung von Projekten und Maßnahmen im Ausland sowie des Arbeitsumfelds in der eigenen Institution. In inklusiv ausgerichteten Ansätzen werden weitere Machthierarchien angesprochen, die mit Ausgrenzung, Marginalisierung und Unterdrückung einhergehen.
Viele FAP-Varianten rekurrieren auf die WSP-Agenda und die damit verbundenen Nationalen Aktionspläne, was deren Bedeutung steigert. Sie machen sich in der Regel zudem das Konzept der menschlichen Sicherheit zu eigen. Während sich das konventionelle Verständnis von Sicherheit auf den Staat und den Schutz seines Territoriums wie seiner Bevölkerung vor gezielten Angriffen anderer Staaten oder Individuen bezieht, verschiebt menschliche Sicherheit den Fokus auf die Menschen und erweitert die Sicherheitsdimension um Bedrohungen ihrer Lebensgrundlagen, die über physische Gewalt hinausgehen – etwa Umweltzerstörung, Krankheit und wirtschaftliche Instabilität. Menschliche Sicherheit ist als Konzept zwanzig Jahre älter als FAP: Es wurde 1994 durch den entsprechenden Bericht des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) eingeführt26 und sukzessive – unter anderem durch die UN-Kommission für menschliche Sicherheit 2003 – weiterentwickelt.27
Am Konzept der menschlichen Sicherheit gibt es aus feministischer Sicht auch Kritik.
Allerdings gibt es am Konzept der menschlichen Sicherheit aus feministischer Sicht auch Kritik: Diese problematisiert beispielsweise eine Versicherheitlichung, die aus einer Überdehnung des Sicherheitsbegriffs resultiere, die Undifferenziertheit des universalistischen Blicks, der einmal mehr (nicht nur genderspezifische) Machtasymmetrien ausblende, sowie die verengende Implementierung des Konzepts, die meistens staatszentrisch erfolge.28 Auch wenn beim Ansatz der menschlichen Sicherheit in der Regel eine radikale Umformulierung von Sicherheit in der politischen Praxis ausbleibt, sehen pragmatisch-feministische Stimmen in staatlicher Sicherheit eine Voraussetzung für die Realisierung menschlicher Sicherheit. Diese wiederum solle im feministischen Sinne nicht nur das Individuum, sondern auch soziale Gruppen in den Blick nehmen.
Zentral bleibt in jedem Fall das Plädoyer für einen Sicherheitsansatz, der für eine kritische Auseinandersetzung mit Strukturen der In- und Exklusion von Menschen – als Individuen und Gruppen – sorgt.
In feministischen Ansätzen gilt Krieg nicht als rein situativer Konfliktausbruch, sondern als ein in ein Kontinuum patriarchaler Gewaltverhältnisse eingebettetes Phänomen.29 Ihre Vertreter:innen wenden sich gegen »Militarismus und die politische Erzeugung und Erhaltung von Kriegsfähigkeit« sowie gegen »die Militarisierung von Diskursen und Emotionen und die damit unweigerlich einhergehenden Zuspitzungen von Nationalismen und Rassismen«.30 Daher setzen sie sich für Rüstungs(export)kontrolle und Abrüstung ein – eine Forderung, die sich in vielen FAP-Strategien wiederfindet. Bezeichnenderweise bleibt das Thema Rüstungsindustrie in den Ressortpapieren jedoch meist ausgeklammert, wie überhaupt Fragen der Wirtschaftsordnung selten problematisiert werden.
Feministische Ansätze lenken die Aufmerksamkeit auf eine Fürsorge- bzw. Care-Perspektive.
Im Einklang mit der Militarismuskritik und dem Konzept der menschlichen Sicherheit lenken einige feministische Ansätze die Aufmerksamkeit auf eine Fürsorge- bzw. Care-Perspektive,31 das heißt auf die Lebensverhältnisse von Menschen im Sinne von Lebensbedingungen und sozialen Beziehungen. In manchen staatlichen FAP-Konzepten wird diese Thematik aufgegriffen, allerdings im engen Rahmen von Gleichstellungsaspekten, was auf eine symbolische und finanzielle Aufwertung von Sorge- und Pflegearbeit hinausläuft.
In feministischen Ansätzen wird zudem die Bedeutung der Perspektivenerweiterung betont.32 Die Einbeziehung vielfältiger Sichtweisen – insbesondere von Betroffenen und ausgegrenzten Gruppen – in politische Prozesse ist sowohl im Sinne der Gerechtigkeit als auch der politischen Wirksamkeit von höchster Relevanz. Im Rahmen offizieller FAP-Konzepte wird diese Einsicht häufig in die Forderung nach einer breiteren Beteiligung der Zivilgesellschaft sowohl an der Entwicklung von FAP-Strategien als auch an der Politikformulierung und ‑implementierung übersetzt.
Droht der FAP eine Wahrnehmung als koloniale Normsetzung des Globalen Nordens?
Die Befürchtung, FAP könne außerhalb des sogenannten Globalen Nordens als dessen koloniale Normsetzung verstanden werden, ist vor allem da zu vernehmen, wo Regierungen sich im Globalen Norden auf FAP verpflichtet haben. Dort wird dies mit besonderem Nachdruck von politischen Kräften artikuliert, die dem Feminismus skeptisch, kritisch oder ablehnend gegenüberstehen. Ein entschiedener Kampf gegen den Feminismus oder die »Gender-Ideologie« wird wiederum von einigen (rechten bis rechtsextremen) Regierungen geführt, die wie die von Jair Bolsonaro in Brasilien, Viktor Orbán in Ungarn oder Wladimir Putin in Russland33 feministische Anliegen als Auferlegung von Werten der internationalen Gemeinschaft, Europas, des Westens etc. betrachten.
Vorbehalte gegen FAP werden in Deutschland auch dadurch genährt, dass der öffentliche Diskurs über FAP und die in ihrem Sinne angestrebten Veränderungen sich allzu oft auf die (nichtfeministischen) Anderen im Ausland konzentriert und nicht auf die Mittel und Ziele der eigenen Außenpolitik. Eine Haltung der »empathischen Reflexivität« scheint hier einer Haltung der »fordernden Belehrung« gewichen zu sein, die durchaus als »Normimperialismus« aufgefasst werden kann. Postkolonial-feministische Autor:innen problematisieren diese Fokusverschiebung und zeigen auf, wie beispielsweise Narrative über die »Rettung« oder »Befreiung« von Frauen bzw. den »Schutz ihrer Rechte« häufig paternalistische Maßnahmen rechtfertigen oder für andere (nichtfeministische) Zwecke instrumentalisiert werden.34 Mit Bezug auf FAP wird mitunter sozialwissenschaftlich untersucht, wie manche Staaten FAP als strategisches Narrativ einsetzen35 bzw. wie sie sich mittels FAP in den globalen Hierarchien zu positionieren versuchen.36
Der Vorwurf, FAP werde der Vielfalt kultureller Kontexte nicht gerecht, ist nicht selten auch Ausdruck von Unkenntnis über feministische Gruppen und Kämpfe in »anderen Kulturen«. Aus feministischer Perspektive wird in diesem Zusammenhang ein stark unidirektionales Verständnis von Außen- und internationaler Politik kritisiert, das Subjekt und Objekt auf Staaten bzw. Regierungen reduziert. Stattdessen seien eine Erweiterung der Bezugsebenen, die Überwindung der Gleichsetzung von (angeblich homogenen) Gesellschaften mit ihren Regierungen bzw. mit (politisch oder religiös) dominanten Gruppen sowie die Anerkennung gesellschaftlicher Vielfalt (im In- und Ausland) vonnöten. In intersektional-feministischen und insbesondere rassismussensiblen Ansätzen findet sich daher die Warnung vor »Versämtlichung« – gemeint sind damit homogene und pauschale Zuschreibungen, die mit Blick auf die Anderen auf kulturalistischen Stereotypen beruhen.37 Die Auffassung, »feministische Aufgeklärtheit« sei ein europäisches Monopol, führt dazu, dass Diskriminierungs- und Unterdrückungsstrukturen hierzulande übersehen, theoretische und praktische Debatten sowie erfolgreiche (feministische) Strategien in anderen Regionen verkannt und neue Hierarchien zwischen Menschen geschaffen werden. Das ist gleichbedeutend mit dem Verlust von Lern- und Bündnischancen.
Häufig wird die Selbstverpflichtung einzelner Staaten auf eine FAP von vielen im Ausland, die unter der Außenpolitik eben jener Staaten oder unter Nichtbeachtung leiden, mit der Hoffnung verbunden, dass dadurch möglicherweise ein zusätzlicher Druck entsteht, die Rhetorik einer beispielsweise menschenrechtsbasierten oder wertegeleiteten Politik auch tatsächlich handlungsleitend werden zu lassen oder sich mit der Situation der Menschen in diesen Ländern ernsthaft zu befassen. FAP wird hier zu einem Referenzpunkt für die Einforderung einer anderen Politik, einem normativen Maßstab zur Bewertung der politischen Praxis.
Die Beiträge in dieser Studie
Die Publikation ist in drei Teile gegliedert. Im ersten untersuchen Pauline Reineke und Claudia Zilla die Kernelemente der nationalen FAP-Konzepte. Sie entwickeln Instrumente für ein synthetisierendes Verständnis von FAP und den systematischen Vergleich. Darüber hinaus arbeiten sie Unterschiede und Gemeinsamkeiten heraus: Nicht alle Regierungen, die sich zu FAP bekennen, haben auch eine entsprechende Strategie erarbeitet. In den meisten Fällen fehlt dem deklarierten transformativen und intersektionalen Anspruch eine substanzielle Verankerung; die Konzepte bleiben eher reformistisch und genderzentriert.
In den vier Beiträgen des zweiten Teils steht die deutsche Politik gegenüber ausgewählten Ländern im Mittelpunkt; in zweien wird dabei zur Analyse auf den 3R-Ansatz zurückgegriffen, der nur als ein Baustein der AA-Leitlinien und der BMZ-Strategie zu verstehen ist. Die Varianz in den Perspektiven der Beiträge spiegelt den breiten konzeptionellen und handlungsbezogenen Spielraum von FAP und FEP wider. Dennoch gibt es zwei Aspekte, die allen Länderfällen gemeinsam sind: Zum einen ist »Anti-Genderismus« bzw. die empfindliche Einschränkung der Menschenrechte von Frauen Teil der Regierungsideologie bzw. der gesellschaftlichen und politischen Realität in diesen Ländern, zum anderen spielen sicherheitspolitische Erwägungen eine zentrale Rolle in der deutschen Politik gegenüber diesen Staaten.
Mit Blick auf die Staaten Osteuropas zeigt Sabine Fischer, wie der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine traditionelle, dichotome Geschlechterrollen und Aufrüstung befördert. Sie analysiert den Zusammenhang von Krieg und Gender, begründet die Notwendigkeit von FAP in der sogenannten Zeitenwende und arbeitet heraus, welche Elemente eine feministisch geprägte deutsche Politik gegenüber der Ukraine, Moldau und Georgien sowie Russland und Belarus enthalten sollte.
Hürcan Aslı Aksoy analysiert die Entwicklung des Geschlechterregimes in der Türkei und beleuchtet dabei sowohl die Errungenschaften feministischer und anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen bis in die 2000er Jahre als auch den genderpolitischen Backlash, den die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan seitdem forciert. Sie sieht im transaktionalen Charakter der deutschen Türkeipolitik die größten Hindernisse für die Umsetzung einer FAP, zeigt aber verschiedene Punkte auf, an denen sie trotzdem ansetzen könnte.
Die palästinensischen Gebiete stehen im Zentrum des Beitrags von Muriel Asseburg. Sie analysiert die insgesamt stark eingeschränkte Teilhabe der dortigen Bevölkerung, nicht zuletzt von Frauen und marginalisierten Gruppen. Strukturell wird eine FAP gegenüber den palästinensischen Gebieten durch die Dominanz (traditionell verstandener) sicherheitspolitischer Erwägungen sowie den Fokus auf die Sicherheit des Staates Israel behindert. Die Autorin entwickelt Ansatzpunkte für eine an Menschenrechten und menschlicher Sicherheit orientierte Politik.
Azadeh Zamirirad analysiert die deutsche Politik gegenüber Iran, insbesondere in Reaktion auf die Proteste von 2022 sowie deren Niederschlagung durch die iranischen Sicherheitskräfte und unter Berücksichtigung der Nuklearfrage. Zwar knüpfe die deutsche Iranpolitik stellenweise an feministische Prinzipien an. Ihre Weiterentwicklung im Sinne einer FAP erfordere jedoch einen Perspektivenwechsel, weg vom iranischen Staat, hin zur iranischen Gesellschaft.
Der dritte Teil der Studie ist vier Politikfeldern und zwei internationalen Instrumenten gewidmet. Bettina Rudloff und Peter-Tobias Stoll befassen sich mit Geschlechtergerechtigkeit in der Handelspolitik. Sie untersuchen bestehende Handelsregime und unterscheiden dabei zwischen Regeln auf multi-, pluri- und bilateraler Ebene sowie neueren unilateralen Ansätzen der EU und Deutschlands. Auf dieser Grundlage identifizieren sie Möglichkeiten zur Förderung von Geschlechtergerechtigkeit, etwa durch Ausbau der Evidenz und Verfeinerung der Folgenabschätzung. Als zentrale Handlungsempfehlung für Deutschland und die EU zur geschlechtergerechten Gestaltung sehen sie die Schaffung einer kohärenten Verschränkung der verschiedenen Ansätze.
Martha Stolze befasst sich mit Digitalpolitik. Sie erarbeitet konzeptionelle Anforderungen an eine feministische Digitalpolitik, problematisiert Phänomene geschlechtsspezifischer digitaler Gewalt sowie Desinformation und zeigt Ansätze zu deren Bekämpfung auf. Deutschland, so ihr Resümee, solle sich auf EU-, UN- und bilateraler Ebene für staatliche Regulierung oder deren Ausweitung einsetzen. Die konkreten Handlungsempfehlungen sind insbesondere auf die Verhandlungen über den Global Digital Compact (GDC) im Rahmen der EU gerichtet.
Das Politikfeld Migration wird von Nadine Knapp und Anne Koch untersucht. Vor dem Hintergrund intersektional-feministischer Ansätze in der Migrationsforschung nehmen sie intersektionale Ungleichheit sowie Gewalt und Ausbeutung im Bereich der Arbeitsmigration in den Blick. Im Zentrum der von ihnen entwickelten Elemente einer FAP und FEP zur Arbeitsmigration steht eine Abkehr von der innenpolitischen, das heißt auf die Aufnahmeländer ausgerichteten, Logik hin zu den Interessen der Migrierenden und ihrer Herkunftsländer.
Nadine Biehler und Amrei Meier setzen sich in ihrem Beitrag mit Flucht und Vertreibung auseinander. Sie analysieren die langsam zunehmende, aber immer noch schwache Integration von Aspekten eines intersektionalen Feminismus in das Flüchtlingsregime und erarbeiten Ansatzpunkte für eine feministischere Gestaltung der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Sie legen den Fokus auf die Erfassung von disaggregierten Daten, die partizipative Gestaltung von Entscheidungsprozessen, die Abmilderung personenbezogener Machtasymmetrien sowie die Verbesserung von Fortschritts- und Erfolgsmessungen.
Die beiden letzten Beiträge befassen sich mit Instrumenten der internationalen Politik. Gerrit Kurtz untersucht das Spannungsverhältnis zwischen FAP und Stabilisierung. Er beleuchtet kritisch, wie Deutschland mit diesem Instrument umgeht, und arbeitet mögliche Beiträge feministischer Ansätze dazu heraus. Er identifiziert Potenziale für die Überwindung einer »rein liberalen« Friedensförderung, für die kritische Analyse von Macht und Sicherheit, für eine feministische Konfliktbearbeitung und für die Förderung reflexiver Lernprozesse.
Sanktionen stehen im Mittelpunkt der Analyse von Judith Vorrath. Sie diskutiert, wie sich Sanktionen mit Blick auf ihre Sender, Ziele und Wirkungen im Sinne eines inklusiven und intersektionalen Verständnisses von FAP einsetzen lassen. Denn sie können ein Mittel von FAP sein, haben aber auch potenziell problematische Seiten. Sie plädiert für eine schützende Sanktionspolitik, die auf Friedensförderung und die Verbesserung menschlicher Sicherheit, vor allem marginalisierter Gruppen, ausgerichtet ist.
Übergeordnete Schlussfolgerungen
In den jeweiligen Beiträgen wird aus der Analyse der konkreten Fälle eine Reihe von Empfehlungen für die Ausgestaltung bzw. Weiterentwicklung einer kontextbezogenen FAP und FEP Deutschlands abgeleitet. Darüber hinaus lassen sich in der Gesamtschau wiederkehrende Ansatzpunkte identifizieren und auf einer höheren Abstraktionsebene übergeordnete Schlussfolgerungen formulieren.
Eine feministische Außenpolitik Deutschlands braucht ein übergeordnetes Gesamtkonzept.
Eine feministische Außenpolitik Deutschlands braucht ein übergeordnetes Gesamtkonzept (qua Kabinettsbeschluss). Die FAP-Leitlinien des AA und die FEP-Strategie des BMZ, ein auf lediglich zwei Ressorts bezogener politischer Gestaltungsrahmen, reichen als Basis für die Entwicklung einer FAP der Bundesregierung nicht aus; auf ihrer Grundlage lassen sich allenfalls hier und da einzelne Elemente umsetzen. Das wird jedoch der Komplexität und Vielschichtigkeit von Außenpolitik nicht gerecht, wie die Palette der hier untersuchten Fälle und Themen verdeutlicht. Außenpolitik ist in der Praxis mit Innenpolitik verzahnt und berührt die Zuständigkeitsbereiche verschiedener Ressorts.
FAP hat wenig Aussicht auf Erfolg, wenn sie auf einen Schadensbegrenzungsansatz reduziert bleibt, etwa als feministische Entwicklungspolitik, die eine unfaire Handelspolitik auszugleichen versucht, oder als feministische humanitäre Hilfe, die eine menschenrechtsverletzende Flüchtlingspolitik begleitet. Damit FAP ihre friedensstiftende Wirkung entfalten kann, muss sie die zentralen Fragen der Politik durchdringen. Sicherheits- oder Stabilisierungspolitik etwa markieren nicht die Grenzen von FAP, sondern Bereiche, in denen feministische Perspektiven die Analysen, Verständnisse und Entscheidungen prägen und damit verändern sollten.
Die meisten Staaten, die sich zu einer FAP bekennen, nehmen gleichzeitig für sich in Anspruch, einen inklusiven und intersektionalen Ansatz zu verfolgen. Bei näherer Betrachtung tritt jedoch eine starke Fokussierung auf Fragen der Gendergerechtigkeit zutage. Auch auf diesem schmalen Pfad ist noch ein weiter Weg zurückzulegen, wie die Beiträge in dieser Studie zeigen. FAP kann durchaus Impulse für Gender-Mainstreaming geben, darf sich aber nicht darauf beschränken, wenn sie generell auf den Abbau friedensgefährdender Asymmetrien zielt.
FAP ist keine abgeschlossene Strategie, die sich nach einer eindeutigen Methode umsetzen ließe. Sie ist – wie die Demokratie – konzeptionell und praktisch work in progress. Ihre Ausgestaltung bleibt insofern kontextabhängig, als in vielen Situationen zwischen verschiedenen (oft in Spannung zueinander stehenden, nicht nur feministischen) Zielen bzw. Mitteln abgewogen werden muss. Dies ist jedoch nicht gleichbedeutend mit Beliebigkeit oder Selektivität. Das Engagement für eine FAP bringt eine Reihe von Anforderungen mit sich, allen voran die Erweiterung von Analyseperspektiven, die (macht-)kritische Hinterfragung der verwendeten Kategorien und Kriterien sowie die Überprüfung von Prioritäten. Innerhalb des dadurch gesetzten Rahmens loten die Autor:innen anhand konkreter Fallbeispiele die Grenzen und Potenziale einer FAP bzw. FEP aus.
Nationale Konzepte und Strategien
Feministische Außenpolitik: Kernelemente in internationaler Perspektive*
Im Jahr 2014 stieß die damalige schwedische Regierung mit ihrem Bekenntnis zu einer feministischen Außenpolitik (FAP) eine Entwicklung an, der sich inzwischen eine Reihe von Staaten aus verschiedenen Regionen angeschlossen hat. Fraglich ist jedoch, ab wann davon gesprochen werden kann, dass eine Regierung eine FAP verfolgt und welche Politikfelder diese umfasst. Eine bloße Absichtserklärung erscheint als zu dürftige Grundlage; erst eine konzeptionelle und/oder institutionelle Verankerung begründet empirisch staatliche Politik. Außerdem wird der Begriff mal in einem engen Sinne als ausschließlich auf die Außenpolitik bezogen verstanden, mal, wie in diesem Beitrag, weiter gefasst als Oberbegriff, der auch Konzepte wie feministische Diplomatie (Frankreich)1 und feministische Entwicklungspolitik (FEP, Deutschland) einschließt. Durch eine international komparative Betrachtung lassen sich deren Kernelemente herausarbeiten und Analysekategorien ableiten, die als Dimensionen für weitere Vergleiche und Bewertungen herangezogen werden können und – über die konkreten empirischen Fälle hinaus – im Sinne einer analytischen Synthese zu einem besseren Verständnis von FAP beitragen sollen.
Einführungsbedingungen von FAP
Bisher haben sich vor allem politisch liberale, progressive, sozialdemokratische oder linke Regierungen zu dem Schritt entschlossen, eine FAP zu verfolgen. Während in all diesen Fällen Männer an der Spitze der Regierung standen bzw. stehen, sind es vor allem Frauen, die als Außenministerinnen oder Staatssekretärinnen mit der Ankündigung, Ausarbeitung und Umsetzung einer FAP betraut sind oder sich aktiv dafür einsetzen (so in Chile, Deutschland, Kanada, Kolumbien, Libyen, Mexiko, Schweden und Spanien).
Bei der Konkretisierung ihrer FAP gehen die Regierungen unterschiedlich vor. Chile,2 Deutschland,3 Mexiko,4 Schweden5 und Spanien6 verankern die FAP konzeptionell in öffentlich zugänglichen Ressortpapieren, deren Erarbeitung häufig von Konsultationsprozessen mit der Zivilgesellschaft begleitet wird. In Libyen, Luxemburg, den Niederlanden und Kolumbien fehlt bisher ein zentrales Dokument. Einige Länder verwenden bisweilen andere Konzepte oder Strategien als funktionales Äquivalent: Frankreich sieht FAP-Kernelemente in der Internationalen Strategie zur Gleichstellung der Geschlechter (2018–2022) enthalten,7 Kanada stützt sich bei seiner FAP auf eine Reihe bestehender politikfeldspezifischer Dokumente und Initiativen, unter anderem auf die 2017 verabschiedete Feminist International Assistance Policy.8
Zwar ist die Erarbeitung einer FAP-Strategie weder eine Voraussetzung noch eine Garantie für eine feministische Gestaltung der Außenpolitik. Die Verschriftlichung von Grundprinzipien, Prioritäten und Zielen kann aber in der Kommunikation mit nationalen und internationalen Akteur:innen dienlich sein, dem Erwartungsmanagement zugutekommen sowie eine Grundlage für Rechenschaftsmechanismen schaffen. Nicht zuletzt erleichtert sie die vergleichende Analyse, weshalb im Folgenden der Fokus auf FAP-Varianten mit eindeutiger Textgrundlage gelegt wird.
Kernelemente staatlicher FAP
Die Kernelemente, die sich aus den verschiedenen FAP-Strategien ableiten lassen, weisen eine erhebliche Varianzbreite auf.9 Wenn FAP auf den Abbau ungerechter und friedensbedrohender Machtasymmetrien zielt, welche bisher benachteiligten Zielgruppen stehen dann im Vordergrund? Wenn FAP einen politischen Rahmen für das auswärtige Handeln von Regierungen sowie für Prozesse und Strukturen innerhalb von Ministerien setzt, für welche Politikfelder und welche Ressorts gilt er? Wie wird dafür gesorgt, dass Prioritäten umgesetzt, Ziele erreicht werden? Und inwiefern wird die jeweilige FAP konzeptionell ihrer Rhetorik eines transformativen Strukturwandels gerecht?
Inklusion und Zielgruppen
Je nachdem, welche (benachteiligten) Menschen in den Blick genommen werden, unterscheiden sich die FAP-Strategien in ihrem Inklusionsgrad hinsichtlich der Zielgruppen. Während vor allem die älteren FAP-Konzepte – etwa Schwedens, Kanadas und Frankreichs – Frauen und Mädchen als primäre Zielgruppe identifizieren und in ihrem Genderverständnis binär und cis-genderzentriert bleiben, sind die in jüngerer Zeit entwickelten FAP-Varianten tendenziell inklusiver. Luxemburg, Mexiko und die Niederlande10 definieren beispielsweise auch LSBTIQ+ als zentrale Zielgruppe ihrer FAP.11 Deutschland legt in den FAP-Leitlinien und der FEP-Strategie den Fokus im Sinne inklusiver Ansätze auf Frauen und Mädchen, marginalisierte Gruppen (darunter LSBTIQ+) und schließlich alle Menschen, allerdings mit absteigender Priorität.12
In den meisten FAP-Varianten wird der Anspruch formuliert, einen intersektionalen Ansatz zu verfolgen, der das komplexe Zusammenwirken verschiedener Diskriminierungsmechanismen berücksichtigt: wegen Genderidentität, sexueller Orientierung, Alter, Herkunft, Behinderungen, sozioökonomischem Status, Rassifizierung, Religion etc. Diese deklarierte Intersektionalität wird häufig allerdings eher nominal und summativ verstanden denn substantiell und transversal verankert. In einigen FAP-Konzepten (etwa denen Kanadas13 und Spaniens14) bleibt sie zudem frauenzentriert.
Reichweite und horizontale Kohärenz
Je nachdem, auf welches Politikfeld (Außenpolitik, Diplomatie, Entwicklungszusammenarbeit etc.) das Adjektiv »feministisch« bezogen wird, und in Abhängigkeit von der Art und Weise, wie Staaten ihre Außenpolitik institutionell organisieren, unterscheiden sich die Inhalte von FAP.
Die große Mehrheit der FAP-Varianten deckt alle Handlungsfelder des Außenministeriums ab.
Die große Mehrheit der FAP-Varianten deckt alle Handlungsfelder des Außenministeriums ab, geht aber selten über dessen Grenzen hinaus. Anders verhält es sich in Deutschland, wo die unübliche Ressorttrennung zwischen Außen- und Entwicklungspolitik zu zwei ministeriellen Konzepten geführt hat. Die außenpolitische Praxis ist jedoch komplexer und vielschichtiger als der explizit formulierte und meist ressortbezogene Geltungsbereich der FAP: Zum einen nehmen auch Ressorts, die prinzipiell nach innen gerichtet sind (wie Bildung und Forschung), außenpolitische Aufgaben wahr. Zum anderen können Außen- und Innenpolitik (etwa im Bereich Migration und Flucht) eng miteinander verknüpft sein. Die horizontale Kohärenz hängt also davon ab, inwieweit Politik ressortübergreifend bzw. in ihrer mehrdimensionalen Verschränkung feministisch ausgerichtet ist.
In einem ausgeprägten Spannungsverhältnis zur FAP steht häufig die rüstungspolitische Praxis – und zwar nicht nur aus der normativen Perspektive eines feministischen Antimilitarismus, sondern auch mit Blick auf die Prinzipien und Ziele, die in den nationalen FAP-Strategien verankert sind. Das hat Folgen für die Kohärenz zwischen den betroffenen Politikfeldern. Waffenlieferungen Deutschlands an Saudi-Arabien, das militärisch in den Jemen-Konflikt involviert ist, sind dafür nur ein Beispiel.15 In dieser Hinsicht geben Frankreich und Kanada ebenfalls Anlass zu Kritik.16 In den FAP-Leitlinien des AA heißt es, dass FAP »nicht gleichbedeutend mit Pazifismus« sei und Menschenleben in manchen Fällen auch mithilfe militärischer Mittel geschützt werden müssten.17 Gleichzeitig trete das AA für eine sichere Welt ohne Atomwaffen sowie für die Anerkennung und Entschädigung der Opfer von Atomtests ein.18 Eine Problematisierung der Rüstungsindustrie oder der Tatsache, dass Deutschland der fünftgrößte Waffenexporteur der Welt ist und an der nuklearen Teilhabe festhält,19 findet jedoch nicht statt. Mehr noch: Im Zuge der »Zeitenwende« haben Rüstungsproduktion und ‑exporte in Deutschland sogar stark zugenommen.20
Einige FAP-Varianten stellen einen expliziten Bezug zur Innenpolitik her. Sie tragen damit feministischen Ansätzen Rechnung, die eine dichotome Trennung zwischen »Innen« und »Außen« sowie eine Externalisierung feministischer Politik entlang von Nord-Süd-Hierarchien kritisieren. Doch mit welcher Legitimität kann ein Staat eine feministische Politik nach außen vertreten, wenn er selbst bei wichtigen Indikatoren zur Geschlechtergleichstellung schlecht abschneidet? Gemessen am Global Gender Gap Index 2022 des Weltwirtschaftsforums21 weist Schweden unter den Staaten mit einer FAP das höchste Maß an horizontaler Kohärenz zwischen innen- und außenpolitischen Gleichstellungsanforderungen auf: Es belegt weltweit den fünften Platz und schließt 82,2 Prozent seines Gender Gap,22 gefolgt von Deutschland (80,1), Frankreich (79,1), Spanien (78,8) und Kanada (77,2). Schlusslicht ist Mexiko mit 76,4 Prozent, wo täglich mindestens zehn Frauen aufgrund ihres Geschlechts ermordet werden (Femizide).23 Bei anderen Indizes ergibt sich ein anderes Bild: Deutschland liegt mit einem Frauenanteil von 35,1 Prozent im Bundestag 2023 auf Platz 44 der rund 230 untersuchten Länder,24 Mexiko mit seinem paritätisch besetzten Parlament hingegen auf Platz vier.
Dieser Mangel an horizontaler Kohärenz bietet Raum für unterschiedliche Bewertungen. Während Martha Delgado Peralta, die mexikanische Unterstaatssekretärin für multilaterale Angelegenheiten und Menschenrechte, auf die FAP setzt, um Synergien und Unterstützung für die Gleichstellung der Geschlechter im eigenen Land und in der internationalen Gemeinschaft zu generieren,25 kann ein Mangel an Kohärenz zwischen Innen- und Außenpolitik Ländern auch die normative Legitimität entziehen, feministische Werte in multilateralen Organisationen oder gegenüber anderen Staaten glaubwürdig zu vertreten.
Vertikale Kohärenz und Institutionalisierung
Vertikale Kohärenz bezieht sich auf den Grad der Umsetzung dessen, was angekündigt oder in Ressortpapieren konzeptionell erarbeitet wurde. Institutionalisierung – die Verankerung nationaler FAP-Konzepte in Strukturen und Verfahren – fördert die vertikale Kohärenz. Mit dem Grad der Institutionalisierung steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass feministische Außenpolitik Regierungs- und vor allem Machtwechsel überdauert. Ein mahnendes Beispiel ist Schweden, wo der Außenminister der neuen konservativen Regierung, Tobias Billström, 2022 die Abkehr von FAP verkündet hat. Befürwortende einer FAP halten deren Institutionalisierung seitdem für umso dringlicher.26
Einige Länder haben Sonderbotschafterinnen, Gleichstellungsbeauftragte oder Amtsträgerinnen in ähnlichen Funktionen mit der Implementierung der FAP betraut. Die Forderung nach Umsetzung des ursprünglich schwedischen 3R-Ansatzes – Ausbau der Rechte, Repräsentation und Ressourcen von Frauen (bzw. frauenbezogenen Projekten) – wird häufig auch innerhalb des eigenen Ressorts erhoben. So setzt sich Mexiko in seiner FAP nach eigenen Angaben für eine geschlechtergerechte Repräsentation und die Bekämpfung sexualisierter Gewalt innerhalb der ministeriellen Strukturen ein.27 Auch das AA und das BMZ wollen intern Gleichstellung, Vielfalt und Inklusion fördern sowie Chancengleichheit und ein diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld gewährleisten, wobei das AA konkretere Maßnahmen (zum Beispiel ein Referat für Gendergerechtigkeit und Diversität) vorstellt als das BMZ.28
Das Bekenntnis zu einer FAP geht zudem häufig mit einer Erhöhung der finanziellen Mittel für entwicklungspolitische Aktivitäten zur Förderung der Gleichberechtigung der Geschlechter einher.29 Sowohl das AA als auch das BMZ setzen sich in ihren Papieren das Ziel, bis 2025 für gendersensible bzw. GG1-Projekte 85 Prozent der Projektmittel und für gendertransformative bzw. GG2-Projekte 8 Prozent auszugeben.30 Zum Vergleich: Kanada und Frankreich gehen da weiter und streben eine GG2-Bindung von 15 Prozent31 bzw. 20 Prozent32 ihrer Projektmittel an.
Um Maßnahmen kontinuierlich überprüfen und anpassen zu können, werden Monitoring und Evaluierung zunehmend institutionalisiert. Während diese Instrumente in den FAP-Leitlinien des AA33 vage bleiben, stellt das BMZ in seiner FEP-Strategie im Kapitel »Erfolgsbewertung« einen Gender-Aktionsplan inklusive eines Systems zur Wirkungsmessung sowie einen Reflexionsprozess zur Erfolgsbewertung im Jahr 2025 in Aussicht.34
Allerdings ist ein hohes Maß an vertikaler Kohärenz kein Goldstandard: Je niedrigschwelliger die Zielmarken eines FAP-Konzeptes sind, desto leichter lassen sich Rhetorik und Praxis in Einklang bringen. Ein rein quantitativer Ansatz, der vor allem Quoten zur Erhöhung der (deskriptiven) Repräsentation vorsieht, lässt sich relativ einfach und schnell umsetzen. Er garantiert allerdings nicht, dass die Anliegen von Minderheiten (im Sinne substanzieller Repräsentation) berücksichtigt werden.35
Tiefe des angestrebten Wandels
Die FAP-Strategien variieren auch hinsichtlich der Tiefe der angestrebten Veränderungen. Während sich ein reformorientierter Ansatz konzentriert auf »Korrekturen innerhalb patriarchaler Strukturen, die die Diskriminierung bzw. die Asymmetrien abmildern (etwa Genderquoten),«36 wird mit einem transformativen Ansatz über die Gleichstellung der Geschlechter hinaus eine »Transformation von existierenden gewaltvollen Strukturen und ungerechten Machtverhältnissen im internationalen System – und damit eine Disruption« verfolgt.37
Machtasymmetrien wie (post)koloniale Strukturen werden nur in wenigen FAP-Strategien problematisiert.
Rhetorisch zielen die nationalen FAP-Initiativen, mit Ausnahme der französischen Strategie zur Gleichstellung der Geschlechter, auf einen transformativen Wandel. Im Kern werden die nationalen FAP-Varianten dem normativen feministischen Transformationsanspruch allerdings nicht gerecht. Sie orientieren sich vielmehr häufig an dem ebenso anschaulichen wie messbaren 3R-Ansatz. Zudem sind sich Politik und Zivilgesellschaft oft nicht einig darüber, wie ein transformativer Ansatz im Sinne einer FAP aussehen soll und kann. Die spanische Definition eines »transformativen Ansatzes« bezieht sich beispielsweise auf Kohärenz in außenpolitischen Handlungsfeldern sowie auf einen strukturellen Wandel in Bezug auf Arbeitsmethoden und Kultur im Außenministerium.38 Eine Überwindung internationaler Herrschafts- und Gewaltverhältnisse im Sinne eines transformativen Ansatzes lässt sich daraus nicht ableiten. Dies gilt auch für die FAP-Leitlinien des AA, in denen es mit Blick auf den transformativen Anspruch heißt: »So setzen wir außenpolitisch fort, was wir in der Innenpolitik Gender-Mainstreaming nennen.«39 Machtasymmetrien wie (post)koloniale Strukturen werden nur in wenigen FAP-Strategien problematisiert, meist mit Bezug auf die Bevölkerung anderer Länder (so in den FAP-Leitlinien und der FEP-Strategie Deutschlands).40
Auf der Suche nach FAP und ihrer Wirkung
In der öffentlichen Diskussion über FAP wird häufig die Frage nach den positiven Ergebnissen ihrer Umsetzung gestellt. Daran interessiert sind sowohl diejenigen, die einer FAP skeptisch bis kritisch gegenüberstehen und auf ihre Wirkungslosigkeit hinweisen wollen, als auch diejenigen, die hoffnungsvoll von den Erfahrungen anderer Regierungen mit FAP lernen wollen. Doch diese Art der Fragestellung greift zu kurz: Denn was wird dabei unter der Umsetzung einer FAP verstanden, und wie ist FAP jeweils überhaupt konstituiert? In der empirischen Welt der Politik bündelt FAP eine Reihe von Konzepten, Prioritäten, Politik- und Handlungsfeldern, Zielgruppen, Zielmarken und Forderungen. Diese stehen in einem Sinnzusammenhang, der sich allerdings von Land zu Land unterschiedlich darstellt. Feministisch sind die nationalen FAP-Konzepte insofern, als sie Argumente und Forderungen feministischer Bewegungen und Theorien diskursiv aufgreifen. Diese werden häufig im 3R-Ansatz verdichtet, der zwar wichtige Dimensionen enthält, aber mit seiner Fokussierung auf Gleichstellung und Gender-Mainstreaming begrenzt bleibt. Eine umfassende feministische Interpretation, Vision und Transformation der Welt bzw. der internationalen Politik steht in den FAP-Konzepten und dem Handeln dieser Regierungen noch aus.
Politik gegenüber Ländern
Osteuropa: Eine feministische Politik im Lichte des Krieges*
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine stellt viele Grundannahmen feministischer Außenpolitik (FAP) auf die Probe. Das autoritäre Regime in Moskau hat mit seiner Aggression nicht nur das Nachbarland in einen existenziellen Verteidigungskampf gezwungen. Die gesamte Region Osteuropa leidet unter den Folgen dieses Krieges. Russland hat durch seinen imperialistischen Krieg der europäischen Sicherheitsordnung einen harten Schlag versetzt. Im zweiten Kriegsjahr sind die Folgen manifest: Die Rüstungsausgaben steigen rasant, weil eine internationale Koalition die Ukraine massiv mit Rüstungsgütern unterstützt. Europäische Staaten investieren außerdem mehr Mittel in die eigene Sicherheit – in diesem Sinne hat Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar 2022 die »Zeitenwende« in der deutschen Verteidigungspolitik ausgerufen. Die Nato hat Hochkonjunktur und nimmt neue Mitglieder auf. Der Beitritt der Ukraine nach dem Ende des Krieges ist eine reale Option geworden. Russlands Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 führt dazu, dass Regierungen Abschreckung, Verteidigung, Militär und Sicherheitspolitik (noch) stärker in den Mittelpunkt ihrer Politik gerückt haben.
Die Kriegssituation stellt den transformativen Anspruch von FAP vor eine große Herausforderung. Durch den Abbau von patriarchalen und anderen ungerechten Strukturen sowie durch die Bekämpfung von Militarismus will sie zu einem nachhaltigeren Frieden beitragen. Feministische Ansätze gehen von einer engen Verbindung zwischen gesellschaftlichem, innenpolitischem und internationalem Frieden aus. Unfrieden, Ungerechtigkeit und Unterdrückung – aus Gründen des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, der Rassifizierung oder der sozialen Herkunft – setzen sich nach außen fort und können zu aggressivem Verhalten gegenüber anderen Gesellschaften und Staaten führen. Umgekehrt haben zwischenstaatliche Kriege fatale Auswirkungen auf innergesellschaftliche Verhältnisse. Sie zementieren patriarchal-autoritäre Herrschaftsstrukturen und erhöhen das Gewaltniveau. Russland und Belarus sind dafür abschreckende Beispiele. Aber auch der angegriffenen Ukraine und anderen Gesellschaften in der Region droht ein solcher »Gewalt-Boomerang« infolge des Krieges.
Krieg und Gender
Jeder Krieg hat eine Genderdimension und ist gleichzeitig Ausdruck vergeschlechtlichter Gewaltstrukturen. Das liegt schon allein daran, dass die Handelnden, Täter:innen, Opfer und Betroffene, unterschiedlichen Geschlechts sind. In den allermeisten Fällen sind die politischen Entscheidungsträger und die Kämpfenden vorwiegend Männer. Frauen sind weniger an Kampfhandlungen beteiligt und stärker den humanitären Folgen des Krieges ausgesetzt. Die extreme Dichotomisierung der Geschlechterrollen im Krieg setzt außerdem queere Menschen besonderen Risiken aus.
Antifeminismus und LSBTIQ+-Feindlichkeit sind wichtige Bausteine der Einfluss- und Destabilisierungspolitik Russlands.
Im russischen Krieg gegen die Ukraine ist die Genderdimension in besonderem Maße aufgeladen. Die russische Innen- und Außenpolitik ist von aggressivem Antifeminismus und Hypermaskulinität geprägt.1 Sogenannte traditionelle Werte und extrem ausgeprägte patriarchale Strukturen sind zu immer wichtigeren legitimatorischen Säulen des politischen Regimes geworden.2 Das zeigt sich an repressiven Gesetzen, die explizit antifeministisch und anti-LSBTIQ+ sind, oder an der Entkriminalisierung häuslicher Gewalt. Antifeminismus und der Kulturkampf gegen das angeblich dekadente und verweichlichte, homosexuelle Europa (»Gayropa«) spielen eine zentrale Rolle in der russischen Politik und Propaganda.3 Im offiziellen Narrativ des Putin-Regimes wird behauptet, Russland müsse sich gegen die westliche »Dekadenz« verteidigen. Antifeminismus und LSBTIQ+-Feindlichkeit sind wichtige Bausteine der Einfluss- und Destabilisierungspolitik Russlands gegenüber seiner unmittelbaren Nachbarschaft sowie gegenüber Europa insgesamt.
Mit der russischen Vollinvasion in die Ukraine hat diese Politik ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Die Ukraine ist bereits seit 2014 Gegenstand russischer chauvinistischer Unterwerfungs- und Vergewaltigungsfantasien.4 Im jetzigen Angriffskrieg finden Antifeminismus und aggressive Hypermaskulinität ihren vielleicht brutalsten Ausdruck im Einsatz sexualisierter Gewalt als Kriegswaffe gegen Frauen und Männer.5
In anderen Staaten der Region nutzt Russland antifeministische und Anti-LSBTIQ+-Propaganda, um gesellschaftliche Diskurse zu unterwandern. Der russische Staat und russische private Akteure unterstützen antifeministische, rechtsextreme und religiöse Organisationen in ganz Europa.6 Andererseits bildete sich in Russland direkt nach dem erneuten Überfall auf die Ukraine ein feministischer Antikriegswiderstand. Dieses lose Netzwerk von Aktivist:innen organisiert Protestaktionen, unterstützt aus der Ukraine deportierte Menschen dabei, Russland wieder zu verlassen, und versucht, der sexistischen Staatspropaganda mit feministischen Inhalten entgegenzuwirken.7
Auch in anderen Gesellschaften Osteuropas dominieren patriarchale Strukturen. Mit den bevorstehenden EU-Beitrittsprozessen wird der Veränderungsdruck im Hinblick auf ungleiche Geschlechterverhältnisse in der Ukraine, Moldau und Georgien steigen. In der Ukraine zeichnete sich bereits nach der Euromaidan-Revolution 2014 ein Wandel der Geschlechterrollen ab. Frauen spielen vor allem in der Zivilgesellschaft, aber auch in der Politik eine deutlich sichtbarere Rolle als zuvor. Sie beteiligen sich aktiver an der Verteidigung ihres Landes.8 Die imperialistische Aggression Russlands führt außerdem dazu, dass die Menschen in der Ukraine sich heute entschlossener denn je von dem von Russland propagierten Gesellschaftsmodell abgrenzen. Soziologische Studien und Umfragen belegen ein gestiegenes Maß an Toleranz gegenüber queeren Menschen; auch die Vorstellung von Maskulinität verändert sich, zumindest in der jüngeren Generation.9 Dennoch besteht die Gefahr, dass die Geschlechterverhältnisse in der Ukraine im Zuge der im Krieg erlittenen Gewalttraumata in patriarchale Muster zurückfallen – auch wenn, anders als in Moldau oder Georgien, die russische Propaganda in der ukrainischen Gesellschaft nicht mehr viel ausrichten kann.
Bisherige deutsche Osteuropapolitik und Feminismus
Bis zum Beginn der erneuten Invasion Russlands in die Ukraine spielten feministische Gesichtspunkte in der offiziellen deutschen Osteuropapolitik keine Rolle. Sie war bilateral und im Rahmen der Östlichen Partnerschaft (ÖP) der EU darauf ausgerichtet, die mit der EU-Assoziierung verknüpften Reformprozesse zu unterstützen. Der Fokus lag hier besonders auf dem Kampf gegen Korruption, auf dem Ausbau von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, auf wirtschaftlichen Reformen und darauf, die Verankerung von Menschenrechten zu vertiefen. Das schloss Frauenrechte implizit ein, rückte sie jedoch nicht in den Mittelpunkt.
Das AA fördert seit 2015 im Rahmen des Programms »Ausbau der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in den Ländern der Östlichen Partnerschaft und Russland (ÖPR)« Projekte in den Bereichen Pluralismus und Resilienz, Wertediskurse und Menschenrechte sowie Dialog und Annäherung.10 Frauenrechte und Gendergerechtigkeit werden im Ausschreibungstext nicht explizit genannt. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat Gendergerechtigkeit bereits seit längerem in ihre Arbeitsrichtlinien integriert. So war beispielsweise die Ermächtigung von Frauen auf der lokalen Ebene ein Schwerpunkt der Unterstützung, welche die GIZ in den 2010er Jahren im Rahmen der Dezentralisierungsreform in der Ukraine leistete.11 Ähnliche Ansätze werden in den anderen Staaten der östlichen Nachbarschaft verfolgt. Von den deutschen politischen Stiftungen nahm sich vor allem die Heinrich-Böll-Stiftung schon früh des Themas Geschlechtergerechtigkeit an und kooperierte dazu in allen Ländern der östlichen Nachbarschaft und in Russland mit feministischen und LSBTIQ+-Aktivist:innen.
In der staatlichen Russlandpolitik kamen feministische Gesichtspunkte bislang nicht vor. Die russische Politik ist männlich dominiert; das gilt in besonderem Maße für die Außen- und Sicherheitspolitik. Vor 2005 prägten Männerbünde die deutsch-russischen Beziehungen, zunächst zwischen den Regierungschefs Helmut Kohl und Boris Jelzin, dann zwischen Gerhard Schröder und Wladimir Putin. Aus letzterer »Männerfreundschaft« erwuchs die übermäßige Energieabhängigkeit Deutschlands von Russland.12 Das Verhältnis zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin war hingegen distanziert und kühl. Europäische Politikerinnen wie die Hohen Repräsentantinnen der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Catherine Ashton (2009–2014) und Federica Mogherini (2014–2019) oder die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (seit 2019) wurden und werden von ihren russischen Gesprächspartnern abfällig behandelt – weil sie für die von der russischen politischen Elite verachtete EU standen und stehen und weil sie Frauen sind. Außenministerin Annalena Baerbock traf den russischen Außenminister Sergej Lawrow im Januar 2022, kurz vor der Vollinvasion und dem endgültigen Zusammenbruch der Beziehungen. Auch diese Begegnung war unterkühlt und wurde in den russischen Staatsmedien und sozialen Netzwerken mit Häme begleitet, weil Baerbock der in Russland verhassten Partei Bündnis 90/Die Grünen angehört und eine vergleichsweise junge Frau ist. Wie viele andere EU-Staaten hat auch Deutschland noch nie eine Botschafterin nach Russland entsandt und sich so immer wieder der Frauenfeindlichkeit und dem Antifeminismus des russischen politischen Regimes angepasst.
Die Möglichkeiten, in Russland feministische Projekte zu gestalten, haben im vergangenen Jahrzehnt kontinuierlich abgenommen.
Die Möglichkeiten deutscher staatlicher und nichtstaatlicher Akteur:innen, mit russischen Partner:innen feministische Projekte zu gestalten, haben sich im vergangenen Jahrzehnt kontinuierlich verringert. Das Putin-Regime ging immer härter gegen feministischen und queeren Aktivismus vor. Der Staat diffamierte feministische Aktivistinnen und Aktivisten als »ausländische Agenten« und erschwerte ihnen so die Zusammenarbeit mit nicht-russischen Partnern sowie den Zugang zu überlebenswichtigen Finanzierungsquellen. Diese Entwicklung erreichte ihren Höhepunkt mit dem erneuten russischen Überfall auf die Ukraine. Die Putin-Diktatur kapselt die russische Bevölkerung heute fast vollständig von Europa ab. Der Antifeminismus hat neue Ausmaße erreicht. Weitere feministische Aktivist:innen wurden zu ausländischen Agent:innen erklärt und mussten ins Ausland fliehen. LSBTIQ+-Aktivismus gilt seit November 2023 als »extremistisch« und ist in seiner Gesamtheit verboten. Deutsche Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und politische Stiftungen können nicht mehr in Russland arbeiten. Die Deutsche Botschaft ist wegen gegenseitiger Ausweisungen personell geschwächt und außerstande, an die Bandbreite der Aktivitäten vergangener Jahre anzuknüpfen.
Eine feministische Osteuropapolitik
Die im März 2023 von AA und BMZ veröffentlichten Ressortpapiere über feministische Außen- und Entwicklungspolitik (FAEP) bilden eine gute Grundlage für eine feministische Osteuropapolitik.13 Eine solche Politik muss der fundamental veränderten Situation in der gesamten Region Rechnung tragen. Dabei gilt es, die Genderdimension des Krieges in Gänze zu erfassen und offenzulegen, um feministisch inspirierte Strategien entwickeln zu können, die auf die jeweilige Landeskategorie zugeschnitten sind: 1. auf die Ukraine als das Land, das seine schiere Existenz gegen die russische Aggression verteidigen muss; 2. auf Moldau und Georgien als Länder, die nach EU-Mitgliedschaft streben und mit Russland in einem geopolitischen Konflikt stehen; 3. auf Russland als Aggressor und Belarus, das sich auf seine Seite stellt.14
Eine feministische Ukrainepolitik erfordert zwei Stoßrichtungen. Sie sollte zum einen die ukrainische Gesellschaft dabei unterstützen, sich gegen die russische Aggression zu verteidigen. Der russische Überfall auf das Nachbarland entspringt neben Imperialismus und Nationalismus auch extremem Antifeminismus und der russischen Vorstellung von einem Kulturkampf gegen »Gayropa«. Deshalb ist die militärische Unterstützung der Ukraine auch aus feministischer Perspektive gerechtfertigt. In den Leitlinien des AA heißt es dazu: »Russlands Krieg gegen die Ukraine zeigt, dass im Angesicht brutaler Gewalt Menschenleben auch mit militärischen Mitteln geschützt werden müssen. Deshalb ist feministische Außenpolitik nicht gleichbedeutend mit Pazifismus. Sie ist der humanitären Tradition verpflichtet, aus der sich klassische Friedenspolitik und Rüstungskontrolle speisen. Dabei erkennt sie außenpolitische Realitäten an und stellt sich den daraus erwachsenden Dilemmata.«15
Frauen müssen mitreden, falls es in Zukunft zu ukrainisch-russischen Waffenstillstandsverhandlungen kommt.
Zum anderen sollte eine feministische Ukrainepolitik über staatszentrierte sicherheitspolitische Erwägungen hinaus menschliche Sicherheit sowie die Situation von Frauen und marginalisierten Gruppen in den Blick nehmen. Zu den gegenwärtigen Kriegszeiten heißt dies, in besonderem Maße die Bedürfnisse der in der Ukraine von den humanitären Folgen des Krieges betroffenen Frauen ebenso wie die der ins Ausland geflohenen Frauen zu berücksichtigen. Darüber hinaus braucht es Maßnahmen, um der Rolle von Frauen in der Landesverteidigung und in der ukrainischen Politik mehr Gewicht zu verleihen. Die deutsche Bundesregierung, deutsche Institutionen der internationalen Zusammenarbeit und zivilgesellschaftliche Organisationen sollten bei den ukrainischen Partner:innen darauf drängen, dass Frauen an allen relevanten politischen und sicherheitspolitischen Prozessen beteiligt werden. Feministische Organisationen, Aktivist:innen sollten eigens gefördert werden. Frauen müssen mitreden, falls es in Zukunft zu ukrainisch-russischen Waffenstillstandsverhandlungen kommt. Bei den Verhandlungen, die im Februar und März 2022 stattfanden, saß keine einzige Frau mit am Tisch. Die Ukraine könnte hier ein wichtiges Zeichen setzen – und Deutschland sollte die ukrainische Führung ebenso wie andere europäische Partner:innen dazu ermutigen.16
Zudem geht es strategisch für feministische Politik schon jetzt darum, die Rolle und Teilhabe von Frauen beim Wiederaufbau und in der Nachkriegszeit auszubauen. Denn ohne Geschlechtergerechtigkeit wird demokratische Konsolidierung nicht möglich sein. Die ukrainische Gesellschaft läuft Gefahr, wegen der Traumata, die vor allem kämpfende Männer im Krieg erlitten haben, in eine weitere Gewaltspirale zu geraten. Ein wirksames Mittel dagegen ist, dafür zu sorgen, dass Frauen und andere marginalisierte Gruppen eigenständig ihre Interessen vertreten können: durch politische Ermächtigung von der lokalen bis zur nationalen Ebene hinauf sowie durch Beteiligung am wirtschaftlichen Aufbau. Es sind diese Bereiche, in denen feministische Politik ganz im Sinne der FEP-Strategie des BMZ transformativ wirken kann. Zu diesem Zweck gilt es, gendertransformative und intersektionale Ansätze schon bei der Entwicklung von Maßnahmen zu verankern.17 Es braucht aber auch Ansprechpartner:innen auf der ukrainischen Seite, was wiederum die Ausweitung der politischen Teilhabe von Frauen und marginalisierten Gruppen in den Vordergrund rückt. Die Proliferation von Kleinwaffen, die im Zuge des Krieges in der ukrainischen Gesellschaft stattfindet, muss rückgängig gemacht werden, um das staatliche Gewaltmonopol zu schützen. Die schnelle und effiziente Reintegration von Geflüchteten – mehrheitlich Frauen und Kinder – ist ein weiterer wichtiger Aspekt. Staat und gesellschaftliche Organisationen in der Ukraine versuchen, Strukturen für die psychologische Betreuung von Kriegsveteran:innen sowie Kriegsversehrten aufzubauen. Deutsche und europäische feministische Ukrainepolitik sollte diese Bemühungen in den kommenden Jahren aktiv unterstützen. Denn die Situation bleibt prekär und die Aufgabe riesig.
FAP gegenüber Moldau und Georgien sollte sich darauf konzentrieren, die Resilienz beider Gesellschaften gegen Antifeminismus von innen und außen – aus Russland – zu festigen. Das bedeutet, verschiedenen Ansätzen in der Politik gegenüber diesen Staaten eine spezifisch feministische Stoßrichtung zu verleihen. Im Bereich Propaganda und Desinformation kann dem russischen »Gayropa«-Narrativ beispielsweise dadurch entgegengewirkt werden, dass Deutschland und die EU gezielt mit unabhängigen Medien zusammenarbeiten und den betroffenen Gesellschaften mittels gesellschaftsdiplomatischer Maßnahmen ein realistisches Bild der EU vermitteln. Die aktive Unterstützung feministischer zivilgesellschaftlicher Akteur:innen ist ein weiterer Baustein. Schließlich sollte die politische und wirtschaftliche Ermächtigung von Frauen und marginalisierten Gruppen zum integralen Bestandteil der bilateralen Zusammenarbeit sowie der Konditionalitätspolitik der EU im Rahmen der bevorstehenden Beitrittsprozesse erhoben werden.
Feministische Russlandpolitik benötigt ebenfalls zwei Dimensionen. Solange in Moskau ein antifeministisches und chauvinistisches politisches Regime an der Macht ist, gibt es keine Aussicht auf kooperative Sicherheit mit Russland. Deshalb sind Eindämmung und Abschreckung angemessene politische Strategien gegenüber dem russischen Staat. Nach dem erneuten Überfall auf die Ukraine haben wahrscheinlich Hunderttausende unabhängige Akteur:innen aus Zivilgesellschaft, Journalismus, Wissenschaft, Kultur sowie Opposition Russland verlassen. Eine feministische Russlandpolitik muss sich darauf konzentrieren, feministische Ansätze in dieser neu entstandenen Exil-Community zu befördern sowie feministische und queere Aktivist:innen bei ihrer Selbstorganisation in der Emigration zu unterstützen. Während die liberale politische Opposition Russlands weiterhin von Männern dominiert wird und selbst antifeministische Tendenzen zeigt, hat der Schock des Krieges in der Zivilgesellschaft das Denken verändert. Besonders jüngere Aktivist:innen zeigen sich heute offener gegenüber Feminismus, LSBTIQ+ oder auch Dekolonialisierungskonzepten als früher, weil sie sich von der Brutalität des Putin-Regimes abgrenzen wollen. So entsteht ein neuer Möglichkeitsraum, in dem feministische Politik arbeiten sollte. Es bleibt offen, ob und wann eine solche Politik in Russland selbst zu Veränderungen führen kann. Derzeit ist sie angesichts des Zusammenbruchs der politischen Beziehungen mit dem Putin-Regime eine der wenigen verbliebenen Optionen.
Mit der Wiederwahl von Präsident Recep Tayyip Erdoğan im Jahr 2023 ist die Türkei in eine neue Phase ihrer politischen Entwicklung eingetreten: geprägt durch eine Konsolidierung des Autoritarismus, zunehmenden Nationalismus, voranschreitende Islamisierung und erstarkenden Antifeminismus. Im öffentlichen Leben gewinnen jene Trends an Einfluss, welche die säkularen und republikanischen Fundamente des Staats weiter unterminieren sowie die hart erkämpften Rechte der Frauen zurückdrängen. Feministische sowie queere Aktivist:innen betonen, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Türkei politische Parteien im Parlament vertreten sind, die die Grundrechte von Frauen und Mädchen zur Debatte stellen und für eine Geschlechtertrennung im öffentlichen Leben eintreten. Die Regierung Erdoğan verfolgt eine »maskulinistische Identitätspolitik«, die sich einer frauenfeindlichen und Anti-LSBTIQ+-Rhetorik bedient und das Leben von Frauen und der Queer Community erschwert. Zudem bedroht die nationalistische politische Atmosphäre das Leben benachteiligter Bevölkerungsgruppen, insbesondere von Kurd:innen sowie Frauen und Mädchen aus Geflüchteten-Communities (Syrerinnen).
Auch wenn in den Leitlinien für eine feministische Außenpolitik1 (FAP) des Auswärtigen Amtes (AA) die Türkei nicht explizit genannt wird, lassen sich aus ihnen durchaus Ansatzpunkte für den Umgang mit dem Land ableiten. Durch Projekte und Kooperationen will das AA eine FAP voranbringen, um »historisch gewachsene Machtstrukturen zu benennen, zu überwinden und so eine gerechte Teilhabe und Gleichstellung aller Menschen weltweit zu befördern. Dabei verfolgt sie einen transformativen und intersektionalen Ansatz«.2 Ausgangspunkt für die Bundesregierung ist dabei die schwedische 3R-Formel (Rechte, Repräsentation und Ressourcen). Im Kern geht es um die Stärkung und Ermächtigung benachteiligter Bevölkerungsgruppen, insbesondere von Frauen und Mädchen. Im Rahmen eines feministischen Ansatzes gegenüber der Türkei ist es wichtig, zunächst die Vorstellungen, Bedürfnisse und Anliegen der gesellschaftlichen Kräfte zur Kenntnis zu nehmen, die sich vor Ort für Geschlechtergleichstellung einsetzen. Dazu gehört auch, kritisch zu hinterfragen, wo deutsche Politik zur Zementierung diskriminierender Machtstrukturen beiträgt. Wie kann also eine feministische Außenpolitik gegenüber der Türkei aussehen?
Zwischen Gleichberechtigung und Ungleichheiten: Das Geschlechterregime in der Türkei
Artikel 10 der türkischen Verfassung von 1982 lautet: »Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Der Staat ist verpflichtet, die Gleichberechtigung zu verwirklichen. Maßnahmen, die zu diesem Zweck ergriffen werden, dürfen nicht als Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz ausgelegt werden.«3 Trotz der rechtlichen Gleichstellung von Frauen sind die Geschlechterverhältnisse in der heutigen Türkei von großen Ungleichheiten geprägt. Die Gründe dafür liegen in den sozio-politischen Entwicklungen des Landes unter der seit zwei Dekaden regierenden Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP).
Im politischen Projekt der AKP für das sogenannte zweite Jahrhundert der Türkei ist Geschlechterpolitik eng mit einer rechtspopulistisch-autoritären Rhetorik verflochten.4 Es geht zum einen darum, dass männliche Privilegien unter einer nationalistisch-islamistischen Staatsideologie wieder garantiert sind und Frauen »ihren Platz kennen«. Zum anderen spielen Geschlechternormen eine Schlüsselrolle bei der politischen und kulturellen Polarisierung zwischen »uns« (AKP-Unterstützenden) und »den anderen« (AKP-Kritisierenden).5 Haupthindernisse für die Verwirklichung der Geschlechtergleichstellung sind die repressive Politik der AKP-Regierung und die damit einhergehende Propagierung des religiösen Traditionalismus.
Rechte
In den Gründungsjahren der türkischen Republik wurde im Rahmen einer radikalen Strategie der Modernisierung, Nationalisierung und Säkularisierung (Laizismus)6 die Aufwertung des gesellschaftlichen Status der Frau zur öffentlichen Staatspolitik. Die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter ermöglichte es den Frauen, Sichtbarkeit zu erlangen und am öffentlichen Leben teilzuhaben. Dennoch blieben patriarchale Strukturen in vielen Gesetzen und Institutionen bestehen, und die Mehrheit der Frauen und Männer hielt an traditionellen Werten wie »Familienehre« oder der Keuschheit der Frau und Rollenverständnissen etwa vom Mann als Familienoberhaupt fest.7 Feministinnen unterschiedlicher politischer Couleur haben sich im Laufe der Jahre für eine geschlechtergerechte Gesetzgebung eingesetzt und eine Reihe von Errungenschaften erzielt. Noch in den 2000er Jahren führte die Regierung Erdoğan im Zuge des Annäherungsprozesses an die Europäische Union (EU) zahlreiche gendersensible Reformen im Zivil-, Straf- und Arbeitsrecht ein. In den letzten zehn Jahren hat sich jedoch eine antifeministische Wende vollzogen.
Seitdem versuchen Staatspräsident Erdoğan und führende Persönlichkeiten seiner AKP kontinuierlich, das Privatleben von Frauen zu reglementieren. Ob Gleichstellung von Mann und Frau, Kinderzahl, Abtreibung oder der Rückzug von der Istanbuler Konvention (»Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt«) – alle diese Themen waren immer wieder Gegenstand des politischen Diskurses. Die Regierung hat weitreichende sozialpolitische Veränderungen durchgesetzt, die vor allem auf die Betreuung und Pflege von Kindern und alten Menschen ausgerichtet sind, dabei aber die Frauen auf die häusliche Rolle beschränken, die ihnen im traditionellen Familienverständnis zugewiesen wird. In diesem Sinne wurde im Jahr 2013 das ehedem als »Frauenministerium« bezeichnete Ressort umbenannt in »Ministerium für Familie und soziale Dienste«. Hinzu kommen zunehmende Eingriffe in die körperlichen und sexuellen Selbstbestimmungsrechte von Frauen. 2012 versuchte die AKP-Regierung, den Schwangerschaftsabbruch zu verbieten, was durch die Mobilisierung und Solidaritätskampagne verschiedener Frauengruppen verhindert werden konnte.8 Die islamistisch-nationalistische Regierung fördert die Rechte von Frauen nur, solange sie nicht im Widerspruch zu »türkischen« Traditionen und »islamischen« Werten stehen.
Dank der Agilität der Frauenbewegung(en) bleibt die Frage der Gleichstellung der Geschlechter auf der Tagesordnung.
Dank der Agilität der Frauenbewegung(en) bleibt die Frage der Gleichstellung der Geschlechter auf der Tagesordnung. Die Frauenbewegung als solche ist trotz interner Differenzen eine einflussreiche oppositionelle Stimme gegen autoritäre und patriarchale Strukturen in Politik und Gesellschaft, auch wenn ihre Handlungsspielräume (die Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit) in den letzten Jahren immer weiter eingeschränkt wurden.
Repräsentation
In der Türkei sind Frauen in allen relevanten politischen Entscheidungsgremien sowohl auf nationaler als auch auf kommunaler Ebene unterrepräsentiert. Nach den Parlamentswahlen vom 14. Mai 2023 stieg der Frauenanteil von 17,1 Prozent auf 20,2 Prozent. Im 600-köpfigen Parlament sitzen nun 121 Frauen. Im neuen Kabinett von Präsident Erdoğan gibt es nur eine Frau, die Ministerin für Familie und soziale Dienste Mahinur Özdemir Göktaş. Auf kommunaler Ebene sieht es noch düsterer aus. Im europäischen Vergleich belegt die Türkei in dieser Hinsicht den letzten Platz. Der Anteil der Bürgermeisterinnen liegt bei 3,8 Prozent, jener der gewählten Repräsentantinnen in den Kommunalverwaltungen bei 10,7 Prozent.9 In männlich dominierten Politiken bzw. Entscheidungsmechanismen werden die Bedürfnisse und Interessen von Frauen weitgehend ignoriert. Unterrepräsentation von Frauen in der Politik führt beispielsweise dazu, dass bei der Budgetierung von Ministerien und Kommunen die Geschlechterperspektive nicht berücksichtigt wird.
Im Gegensatz zur Politik sind Frauen in der Bürokratie stellenweise besser vertreten – am besten im türkischen Außenministerium mit einem Frauenanteil von 37 Prozent. 27 Prozent der im Ausland tätigen Botschafter und Botschafterinnen sind Frauen.10 Am schlechtesten schneidet das Innenministerium mit einem Frauenanteil von 7,9 Prozent ab.11 Die Führungspositionen in den Ministerien, die in der Regel politisch besetzt werden, haben überwiegend Männer inne.
In den Ärzte- und Anwaltskammern sind Frauen mit bis zu 40 Prozent repräsentiert.12 Viele Berufsverbände und Gewerkschaften haben Frauenkommissionen, die sich für die Verbesserung der Stellung von Frauen einsetzen. Trotz der staatlichen Propagierung der traditionellen Geschlechterrollen, die einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen im Wege steht, steigt deren Anteil im öffentlichen Leben.
Die UN-Agenda »Frauen, Frieden und Sicherheit« (WPS) hat keinen Niederschlag in der offiziellen Politik gefunden. Die Türkei gehört nicht zu den 86 UN-Mitgliedstaaten, die einen Nationalen Aktionsplan (NAP) zur Umsetzung der Resolution 132513 verabschiedet haben, obwohl Frauen- und Friedenorganisationen dies seit Jahren fordern. Eine geschlechterspezifische Perspektive hatte für den türkischen Staat nie Priorität. Nach dem gescheiterten Friedensprozess (2013–2015) zwischen dem türkischen Staat und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) wurden beispielsweise Tausende Aktivist:innen sowie zivilgesellschaftliche Organisationen in den kurdischen Gebieten, die sich für Frieden und die Gleichstellung der Geschlechter einsetzten, von der AKP-Regierung angegriffen bzw. geschlossen. Angesichts des mangelnden politischen Willens, der Kriminalisierung friedensbezogener Aktivitäten sowie zunehmender Autokratisierung ist davon auszugehen, dass die WPS-Agenda für die AKP-Regierung niemals Priorität haben wird.
Ressourcen
Obwohl Frauen im Bildungsbereich in den letzten Jahren deutlich aufgeholt haben und heute fast die Hälfte der Studierenden stellen, ist ihr Anteil an den Erwerbstätigen besonders niedrig – im Vergleich zu den Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), der auch die Türkei angehört. Laut dem »Global Gender Gap Report 2022« des Weltwirtschaftsforums (WEF)14 liegt die Erwerbsquote von Frauen in der Türkei bei knapp 32 Prozent und markiert damit das Schlusslicht der OECD-Länder; die von Männern in der Türkei ist mit 69 Prozent mehr als doppelt so hoch. Frauen arbeiten häufig im informellen Sektor oder als unbezahlte Familienangehörige in der Landwirtschaft. Nach den Angaben des Türkischen Statistikamtes (TÜIK) lag die Arbeitslosenquote im August 2022 unter Frauen bei 12,5 Prozent, unter Männern bei 8,2 Prozent.15 Die Jugendarbeitslosigkeit trifft 15,2 Prozent der männlichen und 28,9 Prozent der weiblichen Jugendlichen.16 Die Erwerbsbeteiligung türkischer Frauen wird vor allem durch unbezahlte Betreuungsarbeit (Kinder und Altenpflege), geringe Angebote für Teilzeitarbeit, die traditionelle Rollenverteilung im Haushalt und einen erschwerten Zugang zur Hochschulbildung beeinträchtigt.
Einerseits sind nach Angaben des türkischen Hochschulrats (YÖK) Frauen an den Universitäten (in Forschung und Lehre) mit 32,5 Prozent vertreten und übertreffen damit den europäischen Durchschnitt (26,1 Prozent),17 andererseits sind nach offiziellen Angaben 4,1 Prozent der türkischen Frauen Analphabetinnen – gegenüber 0,7 Prozent der Männer (Stand 2023).18
Mit dem Einzug ultra-islamistischer Parteien ins türkische Parlament ist die De-jure-Gleichstellung der Geschlechter ernsthaft gefährdet.
Im Zuge ihres fortschreitenden populistischen Autoritarismus bedient sich die AKP eines ultrakonservativen Genderdiskurses und führt eine pro-natalistische und pro-familiäre Politik ein, um Ideale im Sinne traditioneller Familienrollen zu festigen. Mit dem Einzug ultra-islamistischer Parteien ins türkische Parlament nach den Wahlen 2023, die für Geschlechtertrennung im öffentlichen Leben und die Abschaffung des Gesetzes (6284) zum Schutz vor häuslicher Gewalt eintreten, ist die De-jure-Gleichstellung der Geschlechter ernsthaft gefährdet. Feministische und LSBTIQ+-Organisationen verteidigen ihre erkämpften Rechte durch die Bildung von Koalitionen mit verschiedenen demokratisch gesinnten sozialen Bewegungen, der parlamentarischen Opposition sowie der kritischen und unabhängigen Medien. Angesichts dieses antifeministischen Backlashs kommt der deutschen/europäischen FAP eine wichtige Rolle zu.
Deutsche Politik gegenüber der Türkei
Die sicherheits- und wirtschaftspolitischen Interessen Deutschlands in der Türkei sind zweifellos vielfältig. Die geopolitische Lage des Landes an der Schnittstelle wichtiger Regionen (Europa, Naher und Mittlerer Osten, Nordafrika und Kaukasus), die immer wieder Spannungen ausgesetzt sind, macht Ankara zu einem relevanten Nato-Verbündeten und engem sicherheitspolitischen Partner, insbesondere in Fragen von Flucht, Migration und Terrorismusbekämpfung.
Als Hauptziel der Flüchtlingsströme aus dem Nahen Osten sieht sich Deutschland von der Türkei abhängig und legt daher besonderen Wert auf die bilaterale Zusammenarbeit. Sie unterstützt die Türkei im Sinne der EU-Türkei-Erklärung bei der Versorgung der Flüchtlinge in der Türkei, darunter rund 3,7 Millionen Menschen aus Syrien.19 In der türkischen Bevölkerung wird der Zweck der Erklärung jedoch als »Fernhaltung der Geflüchteten von Europa« wahrgenommen und heftig kritisiert. Zudem wächst der Unmut der türkischen Bevölkerung über die Anwesenheit der syrischen Flüchtlinge, analog zur um sich greifenden Anti-Flüchtlingsstimmung in Europa.
Seinen politischen Einfluss auf die Türkei hat Europa eingebüßt.
Die Externalisierungspolitik der EU in der Flüchtlingsfrage und der Krieg in der Ukraine haben in den letzten Jahren zu einer transaktionellen Zusammenarbeit mit der Türkei geführt. Aufgrund geopolitischer Kalküle des Westens haben die deutsche und andere europäische Regierungen ihre türkeikritische Politik geändert. Das derzeitige Ziel der EU, bilaterale Krisen zu vermeiden, die Bedingungen der Zusammenarbeit mit der türkischen Regierung bei Bedarf neu zu verhandeln und passiv auf einen Wandel in der Türkei zu warten, ist auf Dauer nicht haltbar. So verfolgt Erdoğan gegenüber Europa eine pragmatische und transaktionale Politik, die sich in Wirtschaft, Verteidigung und bei Flüchtlingsfragen engagiert und die Türkei gleichzeitig von europäischen Werten wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Grundrechten entfernt. Zudem führt die deutsche und europäische Politik zu Frustration in der demokratisch gesinnten Zivilgesellschaft (und Bevölkerung) in der Türkei, die in den bilateralen Verhandlungen eine untergeordnete Rolle spielt. Seinen politischen Einfluss auf die Türkei hat Europa daher eingebüßt. Die transaktionale Politik verhindert nicht nur, dass die 3R im außenpolitischen Handeln mitgedacht werden, sondern auch, dass sich ein »feministischer Reflex« in außenpolitischen Handlungsfeldern entwickelt.20
Möglichkeiten einer feministischen Außenpolitik in Zusammenarbeit mit der Türkei
Deutschland und andere europäische Staaten, die sich zu FAP bekennen, betonen die Bedeutung struktureller Veränderungen, um die Gleichstellung der Geschlechter voranzubringen, und erkennen an, dass es nicht ausreicht, Frauen, Mädchen und LSBTIQ+-Personen individuell zu unterstützen. Die FAP-Leitlinien verleihen dem Handeln im eigenen Ressort einen Rahmen und eine Richtung. In diesem Sinne ist ein Ansatz Deutschlands erforderlich, der die Rechte und die Sicherheit von Frauen, Mädchen und LSBTIQ+-Personen in den Mittelpunkt stellt. Solange die Regierungen Deutschlands und anderer EU-Staaten die transaktionale Kooperation nicht durch eine prinzipiengeleitete (darunter auch geschlechtersensible) Kooperation ersetzen, trägt Deutschland zur Zementierung repressiver Machtstrukturen bei. Dies widerspricht der in den Leitlinien formulierten Vision von Teilhabe.21 Eine FAP gegenüber der Türkei sollte folgende Prioritäten setzen:
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Die Umsetzung der WPS-Agenda: Durch gezielte und erweiterte Finanzierung ließe sich die Mobilisierung von Frauen für eine aktivere Beteiligung an Konfliktbewältigung (etwa im Kurden- oder Syrienkonflikt) fördern. In diesem Zusammenhang kann Berlin – das im Forum für Sicherheitskooperation der OSZE als Koordinator zur WPS-Agenda fungiert – die Erstellung eines NAPs zur Implementierung von Resolution 1325 unterstützen.22
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Die Bundesregierung sollte den engen Kontakt zu Frauen aus türkischen, kurdischen und migrantischen zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Türkei suchen, um die Bedürfnisse der Frauen besser zu verstehen. Neben der Bereitstellung finanzieller Mittel sind angesichts der shrinking spaces für die Frauen- und LSBTIQ+-Organisationen die politische Unterstützung und die systematische Einbindung der Zivilgesellschaft von entscheidender Bedeutung.
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In Bezug auf die Flüchtlings- und Asylpolitik der Türkei kann Deutschland bzw. die EU im Rahmen der EU-Türkei-Erklärung Verbesserungen beim institutionellen Schutz von Frauen und Mädchen in den Vordergrund rücken, indem es entsprechende Finanzmittel aufstockt und deren Vergabe an konkrete Bedingungen knüpft.
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Angesichts der zunehmend patriarchalen und repressiven Politik in der Türkei sollte das BMZ die Unterstützung für Kommunen und Stadtverwaltungen im Bereich der Migration und für die Integration von Frauen aus der Geflüchteten-Community (Syrerinnen) ausbauen.
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Das AA sollte die Kooperation in der Kommunal-, Bildungs- und Kulturpolitik von der Einhaltung der Menschen- und Frauenrechte abhängig machen.
Die palästinensischen Gebiete: Strukturelle Hürden und pragmatische Ansatzpunkte für eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik*
Die Anfang März 2023 veröffentlichten Ressortpapiere zu feministischer Außen- und Entwicklungspolitik (FAEP) des Auswärtigen Amtes (AA) und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) geben keine spezifischen Hinweise zum Umgang mit den palästinensischen Gebieten. Weder Israel noch die palästinensischen Gebiete werden darin benannt, obwohl in den AA-Leitlinien von »historischer Verantwortung« die Rede ist und im deutschen Diskurs darunter ansonsten in der Regel die spezifische Verantwortung verstanden wird, die aus dem Genozid an den deutschen und europäischen Jüdinnen und Juden sowie den deutschen Angriffskriegen des 20. Jahrhunderts abgeleitet wird. In den beiden Papieren wird die historische Verantwortung hingegen lediglich auf »unsere koloniale Vergangenheit« bezogen.1 Diese Auslassung mutet nicht zuletzt deshalb sonderbar an, weil die spezifische historische Verantwortung deutsche Politik im Nahen Osten im Allgemeinen und gegenüber den palästinensischen Gebieten im Besonderen entscheidend prägt.
Gleichwohl lassen sich aus den AA-Leitlinien und der BMZ-Strategie durchaus Ansatzpunkte für eine FAEP auch gegenüber den palästinensischen Gebieten ableiten. Denn in beiden Dokumenten wird eine »gleichberechtigte soziale, politische und wirtschaftliche Teilhabe aller Menschen« zur Vision erklärt.2 Durch gendersensible und gendertransformative Projekte der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) und der humanitären Hilfe sowie durch Überwindung »historisch gewachsene[r] Machtstrukturen« beabsichtige man, eine »gerechte Teilhabe und Gleichstellung aller Menschen weltweit zu befördern«.3 In diesem Sinne soll ein 3R-Ansatz verfolgt werden, der die »Rechte, Repräsentanz [sic!] und Ressourcen« benachteiligter Bevölkerungsgruppen – insbesondere von Frauen und Mädchen – in den Vordergrund rückt.4 Überdies wird betont, dass FAEP menschenrechtszentriert sei, dass sie menschliche gegenüber nationaler Sicherheit priorisiere und dass bislang marginalisierte Gruppen in Entscheidungs- und Friedensprozesse eingebunden werden sollten. Der Zivilgesellschaft komme dabei eine herausgehobene Rolle zu. Grundsätzlich gilt in der EZ das Do no harm-Prinzip.
Nach der Veröffentlichung der Ressortpapiere geht es nun darum, FAEP zu konkretisieren und zu operationalisieren. Entsprechende Überlegungen sollten prominent in eine Revision der deutschen Palästina-Politik einfließen, die nicht zuletzt angesichts der Gräueltaten des 7. Oktober und des Krieges im Gazastreifen dringend angezeigt ist. Dabei stellen sich folgende Fragen: Inwiefern kann in den palästinensischen Gebieten heute von einer gleichberechtigten Teilhabe aller Menschen gesprochen werden? Was sind die wichtigsten strukturellen Blockaden? Wie lässt sich die bisherige deutsche Politik gegenüber den palästinensischen Gebieten beschreiben, und wo könnte eine FAEP ansetzen?
Eingeschränkte Teilhabe in den palästinensischen Gebieten
Rechtliche Gleichstellung, politische, wirtschaftliche und soziale Teilhabe sowie der Zugriff auf Ressourcen sind für Frauen und Mädchen (sowie marginalisierte Gruppen) in den palästinensischen Gebieten hochgradig eingeschränkt.5 Zudem leiden Frauen und Mädchen in den von Gewalt bzw. Verdrängung stark betroffenen Gegenden in besonderem Maße unter (physischer) Unsicherheit. Als Haupthürden für eine Verbesserung der Situation erweisen sich eine konservative, patriarchale palästinensische Gesellschaft, eine repressive Politik der beiden palästinensischen Regierungen im Westjordanland und im Gazastreifen sowie die israelische Besatzungspolitik.
Rechte
Von grundlegender Bedeutung für die rechtliche Situation von palästinensischen Frauen und Mädchen, benachteiligten Bevölkerungsgruppen und der Bevölkerung in den besetzten Gebieten (Westjordanland inklusive Ost-Jerusalem und Gazastreifen) ist die bislang nicht erfolgte Umsetzung des Rechts auf Selbstbestimmung. Vielmehr dauert die Besatzung der palästinensischen Gebiete seit 1967 und die Abriegelung des Gazastreifens seit 2006 an. Die Institutionen des »Staates Palästina« verfügen nicht über Souveränität bzw. effektive Kontrolle über Territorium und Bevölkerung. Die politische Teilhabe aller Palästinenser:innen in den besetzten Gebieten ist insofern drastisch eingeschränkt, als sie kein Wahlrecht für dasjenige Organ haben, das effektiv die Kontrolle ausübt: die Knesset, aus der die israelische Regierung hervorgeht, die wiederum den Militärkommandeur bestimmt. Zudem unterliegt die palästinensische Bevölkerung in den besetzten Gebieten israelischem Militärrecht, das politischen und bürgerlichen Rechten enge Grenzen setzt.
Hinzu kommt eine zunehmend repressive Regierungsführung seitens der palästinensischen Führungen, so dass auch die Beteiligungsmöglichkeiten im Rahmen der Selbstverwaltung immer weiter reduziert wurden. Seit 2007 sind die palästinensischen Gebiete in zwei Territorien mit unterschiedlichen Regierungen gespalten: das Westjordanland mit der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) und den Gazastreifen mit der von den USA und der EU nicht anerkannten De-facto-Regierung der Hamas. 2006 fanden zum letzten Mal Wahlen auf nationaler Ebene statt. Schon seit 2007 ist der Legislativrat nicht mehr zusammengetreten, 2018 wurde er aufgelöst. Auch eine unabhängige Justiz besteht heute in den palästinensischen Gebieten nicht mehr. Zwar gibt es eine aktive Zivilgesellschaft, inklusive einer progressiven Frauenbewegung. Ihre Spielräume (sowie allgemein die Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit) sind aber in den letzten Jahren durch Israel, die PA und die De-facto-Regierung mittels Gesetzgebung und autoritärer Praxis stetig beschnitten worden.6
Die spezifischen Rechte von Frauen sind darüber hinaus eingeschränkt. Artikel 9 des palästinensischen Grundgesetzes betont zwar die Gleichheit aller Palästinenser:innen vor dem Gesetz, ungeachtet Rasse, Geschlecht, Hautfarbe, Religion, politischen Ansichten oder Behinderungen. Auch ist der Staat Palästina 2014 der UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW) beigetreten. Allerdings hat Palästina weder das Zusatzprotokoll über einen Rechenschaftsmechanismus unterzeichnet, noch ist die Konvention bislang in nationales Recht umgesetzt worden, so dass sie keine rechtsverbindlichen Ansprüche begründet. Wie in vielen Ländern der Region werden auch in den palästinensischen Gebieten Personenstandsangelegenheiten durch Gerichte der jeweiligen Religionsgemeinschaften geregelt. Vor diesen besteht keine Gleichheit zwischen den Geschlechtern, etwa im Erbrecht. Überdies sind traditionelle Formen der Streitschlichtung verbreitet, die in der Regel einen Ausgleich zwischen den beteiligten Familien zur Wiederherstellung der »Familienehre« anstreben. Das Recht des oder der Einzelnen steht dahinter zurück, Rechtssicherheit oder Gleichheit gibt es für die Betroffenen nicht.
Frauen sind heute in den palästinensischen Gebieten in allen relevanten politischen Entscheidungsgremien massiv unterrepräsentiert.
Repräsentation
Palästinenser:innen sind in der Regel stolz auf die herausgehobene Rolle von Frauen in der Gesellschaft und im nationalen Befreiungskampf, etwa im Rahmen der Ersten Intifada. Und dennoch: Frauen sind heute in den palästinensischen Gebieten in allen relevanten politischen Entscheidungsgremien der PA, der De-facto-Regierung im Gazastreifen, der PLO und bei Fatah und Hamas massiv unterrepräsentiert, und zwar sowohl auf nationaler als auch auf lokaler Ebene. Das gilt ebenfalls für den Auswärtigen Dienst und die Leitungsfunktionen im öffentlichen Sektor und sieht auf den Leitungsebenen von Berufsverbänden, Gewerkschaften und Unternehmen nicht besser aus. Nicht zuletzt deshalb bleiben die spezifischen Anliegen von Frauen in Politik und Wirtschaft in der Regel weitgehend unberücksichtigt. Männlich dominierte Entscheidungsgremien setzen sich weder für die Aufhebung patriarchaler Normen ein noch für konkrete Maßnahmen, etwa zum Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Forderungen nach Gleichstellung werden zudem oft als sektiererisch abgetan, da die nationale Befreiung Vorrang habe.
Nominell unterstützt die palästinensische Führung die UN-Agenda »Frauen, Frieden und Sicherheit« (WPS), die unter anderem auf eine angemessene Repräsentation von Frauen in Friedensprozessen zielt, und sie hat bislang zwei nationale Aktionspläne zu ihrer Umsetzung vorgelegt. Dabei dienen Strategiepapiere zur Frauenförderung im Wesentlichen der Imagepflege gegenüber westlichen Gebern; die Erweiterung von politischer Teilhabe und Geschlechtergerechtigkeit steht keineswegs oben auf der Tagesordnung. So hat die WPS-Agenda bislang auch nur geringen praktischen Niederschlag gefunden. In palästinensischen Delegationen zum Krisenmanagement oder in den palästinensischen Delegationen zur nationalen Aussöhnung spielen Frauen kaum eine Rolle.
Ressourcen
Obwohl Frauen in den palästinensischen Gebieten in den letzten Dekaden deutlich aufgeholt haben, was den Bildungsstand angeht, und heute mit knapp zwei Dritteln unter den Studierenden deutlich überrepräsentiert sind, ist die Erwerbsbeteiligung von Frauen selbst im regionalen Vergleich gering: Sie liegt bei nur 18,6 Prozent, während sie bei Männern 70,7 Prozent beträgt.7 Palästinensische Frauen sind ganz überwiegend im Haushalt und in familiären Betrieben (oft in der Landwirtschaft) tätig und erzielen dort in der Regel kein eigenes Einkommen, das ihnen ein Mindestmaß an autonomen Entscheidungen oder eine unbezahlte politische oder zivilgesellschaftliche Betätigung erlauben würde. Über 45 Prozent der erwerbstätigen Frauen arbeiten im informellen Sektor8 und haben damit weder Arbeitsplatzsicherheit noch Anspruch auf Mindestlohn, Krankenversicherung oder Mutterschutz. Zugleich ist die Arbeitslosigkeit unter Frauen deutlicher höher als unter Männern: Sie lag 2022 insgesamt bei 40,4 Prozent (bei Männern bei 20,3 Prozent), im Gazastreifen bei 67,4 Prozent und unter den 15- bis 24-jährigen Frauen dort sogar bei 87 Prozent.9 Diese prekäre Lage ist sowohl auf die Einschränkungen des palästinensischen Arbeitsmarktes durch den Besatzungs-, Blockade- und Konfliktkontext als auch einen unterfinanzierten öffentlichen Sektor sowie auf patriarchale Genderrollen zurückzuführen.
Menschliche Sicherheit
Besonders großen Belastungen sieht sich die palästinensische Bevölkerung im Bereich menschlicher Sicherheit ausgesetzt. Dies gilt umso mehr in denjenigen Gebieten, die stark von militärischer und/oder Siedlergewalt betroffen oder in denen Palästinenser:innen von Verdrängung, Hauszerstörungen und Zwangsräumungen bedroht sind. Dort betreffen die permanente Unsicherheit sowie die Angst vor Gewalt und vor Vertreibung die gesamte Zivilbevölkerung.10 Im Gazastreifen leiden Frauen und Mädchen seit dem 7. Oktober 2023 besonders unter Krieg, Binnenflucht und dem Zusammenbruch des Gesundheitssystems, nicht zuletzt, weil sie gezwungen sind, unter unhygienischen und gefährlichen Bedingungen Kinder auf die Welt zu bringen. Hinzu kommt Gewalt, die sich speziell gegen Frauen richtet; insbesondere häusliche Gewalt ist weit verbreitet und hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Dabei reproduziert genderbasierte Gewalt innerhalb der Familie regelmäßig auch politische Gewalt: Nach kriegerischen Auseinandersetzungen lässt sich auch ein Anstieg häuslicher Gewalt feststellen.11 Bislang gibt es in den palästinensischen Gebieten weder einen gesetzlichen noch einen anderen effektiven Schutz gegen gewalttätige Familienväter, Ehemänner oder andere Familienmitglieder. Für Frauen im Gazastreifen ist es besonders schwierig, sich vor solchen Übergriffen in Sicherheit zu bringen.
Deutsche Politik gegenüber den palästinensischen Gebieten
Bislang ist die deutsche EZ in den palästinensischen Gebieten weitgehend außenpolitischen Zielen untergeordnet. Erklärtermaßen geht es (seit den Oslo-Abkommen der 1990er Jahre) darum, im Sinne einer Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts durch Diplomatie und EZ zu einer Zweistaatenregelung beizutragen bzw. diese zumindest als Option aufrechtzuerhalten und eine gewaltförmige Destabilisierung zu verhindern. Vor diesem Hintergrund wird die deutsche Unterstützung in den palästinensischen Gebieten auch als Beitrag zur Sicherheit Israels gesehen. Sie dient also der Unterfütterung der deutschen Verpflichtung auf Israels Existenzrecht und Sicherheit, wofür die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel das Diktum von der »Staatsräson« prägte. Die Gleichstellung von Frauen und Mädchen war hingegen bis dato kein Schwerpunkt der deutschen EZ. Im Frühsommer 2023 überstieg der Anteil gendersensibler Projekte in den palästinensischen Gebieten zwar schon die in den Strategiepapieren zur feministischen Außen- und Entwicklungspolitik angestrebte Quote, aber nur ein einziges Regionalvorhaben war als gendertransformativ eingestuft.
Deutsche Politik betreibt lediglich Schadensbegrenzung.
Vor dem Hintergrund des Scheiterns aller bisherigen Bemühungen um eine Konfliktregelung, wiederkehrender kriegerischer Auseinandersetzungen mit immer höheren Opferzahlen und massiver Zerstörung, des Übergangs Israels zur Annexion des Westjordanlandes, der Verfestigung der innerpalästinensischen Spaltung und eines zunehmenden Autoritarismus der PA gelingt es deutscher (und europäischer) EZ schon seit geraumer Zeit nicht mehr, auf eine nachhaltige Entwicklung, ein demokratisches palästinensisches Gemeinwesen und eine Zweistaatenregelung hinzuwirken. Denn die deutsche Politik schreckt zum einen vor einer Konditionierung der Hilfe für die PA zurück, gebunden an Fortschritte bei der Regierungsführung und dem Aufbau effizienter, bürgerorientierter Institutionen. Zum anderen haben Bundesregierungen unterschiedlicher Couleur de facto durchweg die nationale Sicherheit Israels gegenüber menschlicher Sicherheit der palästinensischen Bevölkerung priorisiert und versucht, Israel vor strafrechtlichen Ermittlungen abzuschirmen. Damit hat deutsche Politik den Anspruch einer Konflikttransformation und guter Regierungsführung effektiv weitgehend zugunsten einer Aufrechterhaltung des Status quo aufgegeben. Sie betreibt lediglich Schadensbegrenzung, in dessen Rahmen Resilienz der palästinensischen Bevölkerung Vorrang vor ihrer Selbstbestimmung hat und ihre politische und wirtschaftliche Teilhabe einer vermeintlichen Stabilisierung untergeordnet wird.
Problematisch bei der Kooperation mit der palästinensischen Zivilgesellschaft ist in diesem Zusammenhang auch, dass diese vor allem in ihrer Funktion als Dienstleisterin unterstützt wird und weniger als Forum, das zu einer pluralistischen Meinungsbildung beitragen kann. Zugleich werden der – ohnehin durch repressive Maßnahmen seitens Israels, der PA und der De-facto-Regierung – stark gegängelten NGO-Szene im Rahmen der deutschen Kooperation weitere Schranken gesetzt. Die ablehnende Haltung Deutschlands etwa gegenüber einer Kooperation mit NGOs, welche die BDS-Bewegung (Boycott, Divestment, and Sanctions) unterstützen, läuft nicht auf eine Erweiterung von Handlungsspielräumen, sondern deren zusätzliche Verengung hinaus, da selbst gewaltfreie Ansätze des Eintretens für palästinensische Selbstbestimmung nicht als legitim gelten12 – und zwar ohne dass gangbare Alternativen angeboten würden. Dies kann kaum mit dem Do no harm-Prinzip in Einklang stehen. Und auch wenn im Vorfeld deutsch-palästinensischer Regierungsverhandlungen Vertreter:innen der Zivilgesellschaft routinemäßig angehört werden, spielen Konsultationen mit der palästinensischen Zivilgesellschaft vor Ort und in der Diaspora bei der Prioritätensetzung der deutschen Palästinapolitik allenfalls eine untergeordnete Rolle.
Besonders krass trat Deutschlands Fokussierung auf Israels nationale Sicherheit nach den am 7. Oktober 2023 von der Hamas und anderen militanten Gruppierungen verübten Massakern und Geiselnahmen zutage. Die Bundesregierung unterstützte Israels Einsatz militärischer Gewalt im Gazastreifen als Ausübung seines Rechts auf Selbstverteidigung gegen die Hamas trotz der damit verbundenen enormen Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung, der katastrophalen humanitären Lage (nicht zuletzt aufgrund der zunächst vollständigen Blockade des Küstengebiets) und der großflächigen Zerstörung ziviler Infrastruktur und Häuser.13 Zwar forderte die Bundesregierung immer wieder von Israel, mehr Rücksicht auf die Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu nehmen und mehr humanitäre Hilfe zu gewähren, gleichzeitig rechtfertigte sie Israels Kriegsziele und die rein militärische Logik im Umgang mit der Hamas. Konsequent sprach sie sich gegen einen Waffenstillstand aus und nahm Israel nicht für etwaige Kriegsverbrechen und die Verletzung humanitären Völkerrechts in die Verantwortung.
Ansatzpunkte für eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik
Es liegt auf der Hand, dass eine Erhöhung des Anteils gendersensibler und gendertransformativer EZ-Projekte kaum neue Möglichkeiten zur Teilhabe eröffnen wird, wenn nicht auch die strukturellen Hürden bei deren Verwirklichung angegangen werden. In diesem Sinne sollte Überlegungen, wie die deutsche EZ in den palästinensischen Gebieten nach dem Schock des 7. Oktober und des Gaza-Krieges zu Wiederaufbau und nachhaltiger Entwicklung beitragen kann, ein Ansatz zugrunde gelegt werden, der Menschenrechte sowie menschliche Sicherheit von Israelis und Palästinenser:innen – die sich gegenseitig bedingt – in den Mittelpunkt rückt sowie explizit auf den Abbau von Machtasymmetrien und struktureller Gewalt zielt. Ohne ein politisches Engagement für eine nachhaltige Konfliktregelung kann dies nicht gelingen. Solange dies nicht der Fall ist, läuft deutsches Engagement Gefahr, patriarchale und repressive Machtstrukturen zu zementieren. Dies widerspricht nicht nur der formulierten Vision von Teilhabe, sondern auch einer konfliktsensiblen EZ, wie sie etwa die Leitlinien der Bundesregierung vorsehen.14 Und es steht der historischen Verantwortung entgegen, die Deutschland nicht nur gegenüber Jüdinnen und Juden, sondern – aufgrund der historischen Verkettung von Holocaust und Nakba – auch gegenüber den Palästinenser:innen hat.
Selbst wenn deutsche Politik nicht zu einem grundsätzlich anderen Ansatz gegenüber Israel und den palästinensischen Gebieten bereit ist: Bei einem pragmatischen Ansatz von FAEP sollte zumindest die WPS-Agenda als Querschnittsaufgabe deutlich stärker zum Tragen kommen als bislang. Dies gilt insbesondere für die Unterstützung geschlechtergerechter Krisenprävention und inklusiver Friedens- und Entscheidungsprozesse, den Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt sowie bedürfnisorientierte humanitäre Hilfe.15 Darüber hinaus empfehlen sich die folgenden drei Ansatzpunkte für die Erweiterung der Teilhabe von Frauen und Mädchen. Dabei dürfte es hilfreich sein, die Begrifflichkeit des deutschen Diskurses an den lokalen Kontext anzupassen, um keinen Widerstand konservativer Bevölkerungsgruppen zu provozieren.
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Deutsche EZ sollte Mädchen und Frauen gezielt fördern, indem sie auf eine Erhöhung des weiblichen Anteils an den Erwerbspersonen und formal Beschäftigten, Gleichstellung in der Erbpraxis und den Ausbau der Repräsentation von Frauen in politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsgremien abhebt. Dies erfordert nicht nur eine enge Kooperation mit feministischen Akteur:innen sowie progressiven und konservativen Frauengruppen, sondern auch gesellschaftliche Bewusstseinsbildung unter Einbeziehung von männlichen Verbündeten.
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Deutsche EZ sollte die palästinensische und israelische Zivilgesellschaft nicht nur als Dienstleisterin betrachten, sondern sie auch in ihren Funktionen als watch dog, Brückenbauerin sowie Forum der pluralistischen Willensbildung und Strategiesuche für die Fortführung des Strebens nach Selbstbestimmung (und Demokratie) unterstützen. Dazu gehört, sich der Kriminalisierung von Teilen der Zivilgesellschaft durch Einstufung als Terrororganisationen durch Israel weiterhin entgegenzustellen und die palästinensische Zivilgesellschaft systematisch in Konsultationen zur Gestaltung deutscher Palästinapolitik einzubinden.
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Die Unterstützung der PA sollte an Verbesserungen in der Regierungsführung, die Einhaltung der Menschenrechte und die schrittweise Rückkehr zu demokratischen Verfahren gebunden werden. In diesem Zusammenhang ist die Durchführung von freien und fairen Wahlen (soweit dies unter Besatzung möglich ist) unabdingbar.
Iran: Der Testfall für feministische Außenpolitik*
Im September 2022 löste der gewaltsame Tod der jungen iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini durch die »Sittenpolizei« eine beispiellose Protestwelle in der Islamischen Republik aus, bei der Frauen von Anbeginn in vorderster Reihe standen. Zum ersten Mal wurde von einem feministischen Aufstand im Land gesprochen und dem Beitrag iranischer Frauen am Widerstand offenkundig Rechnung getragen. Dies zeigte sich etwa in dem kurdischen Slogan »Frau, Leben, Freiheit«, den die Demonstrierenden zum kollektiven Leitmotiv erhoben. Die landesweiten Massenproteste und ihre gewaltsame Niederschlagung durch den Sicherheitsapparat stellten die deutsche Iranpolitik auf den Prüfstand. Außenministerin Annalena Baerbock bezeichnete den Umgang des iranischen Staates mit den eigenen Bürger:innen als »menschenverachtend« und erklärte, in den bilateralen Beziehungen zu Iran könne es »Kein ›Weiter so‹« geben.1
Die gesellschaftlichen Entwicklungen in Iran und das Bekenntnis der Außenministerin zu einem neuen politischen Ansatz legten nahe, auf den feministischen Aufstand in der Islamischen Republik mit einer feministischen Wende in der deutschen Außenpolitik zu reagieren. Denn bereits im Koalitionsvertrag hatten die Regierungsparteien angekündigt, im »Sinne einer Feminist Foreign Policy Rechte, Ressourcen und Repräsentanz [sic!] von Frauen und Mädchen weltweit stärken« zu wollen.2 In eigenen Leitlinien verschrieb sich das Auswärtige Amt (AA) schließlich im März 2023 feministischen Grundsätzen für eine Neugestaltung deutscher Außenpolitik.3 Doch auch mehr als ein Jahr nach Ausbruch der Proteste ist noch immer offen, wie das Bekenntnis zu einer feministischen Außenpolitik (FAP) im Falle Irans konkret umgesetzt werden soll.
Reaktion der Bundesregierung auf die Proteste
Auf die 2022 ausgebrochenen Proteste reagierte die Bundesregierung mit ungewohnt deutlichen Worten und einer Reihe symbolträchtiger Schritte. In Abstimmung mit europäischen Verbündeten schnürte sie mehrere Maßnahmenpakete. Auf Basis der 2020 von der Europäischen Union (EU) eingerichteten globalen Sanktionsregelung wurden seit Oktober 2022 zur Ahndung schwerer Menschenrechtsverletzungen zehn Sanktionspakete gegen Einzelpersonen und Entitäten verhängt. Sie richten sich unter anderem gegen Mitglieder der paramilitärischen Revolutionsgarden, führende Kräfte der Sittenpolizei, Provinzgouverneure, Abgeordnete und Kabinettsmitglieder. Ferner wurden staatliche Medienanstalten sowie Kommunikationsbehörden, die Spyware gegen iranische Bürger:innen einsetzen, mit Sanktionen belegt. Dadurch wurden Konten eingefroren, Einreiseverbote in die EU erlassen und Geschäftsverbindungen mit sanktionierten Personen und Entitäten unterbunden.
Durch frühere EU-Menschenrechtssanktionen ist es bereits untersagt, Ausrüstung bereitzustellen, die zur Repression und Überwachung der iranischen Bevölkerung genutzt werden kann. Auf internationaler Ebene initiierte die Bundesregierung zusammen mit Island eine Sondersitzung des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen, die am 24. November 2022 in Genf stattfand. Die teilnehmenden Staaten verurteilten das gewaltsame Vorgehen gegen die Protestierenden scharf und vereinbarten, einen Aufklärungsmechanismus zu etablieren, um die Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Niederschlagung der Proteste aufzuarbeiten und hierzu Beweise zu sichern.
Neben diesen multilateralen Schritten stellte die Bundesregierung Plätze in Schutzprogrammen für besonders gefährdete Personen in Aussicht und setzte außenwirtschaftliche Förderinstrumente für Iran aus, etwa den deutsch-iranischen Energiedialog, das Auslandsmesseprogramm und seit Januar 2023 formal auch Exportkreditgarantien.
Feministische Grundsätze für deutsche Außenpolitik
In seinen Leitlinien vom März führt das AA die Maßnahmen, die in Reaktion auf die Niederschlagung der iranischen Proteste ergriffen wurden, als praktische Umsetzung von FAP auf.4 Doch es bleibt unklar, inwieweit sich diese von nichtfeministischen Ansätzen bisheriger deutscher Politik unterscheiden. Die derzeitige Iranpolitik knüpft zwar stellenweise an feministische Grundsätze an, lässt sie aber in wesentlichen Punkten außer Acht.
FAP kann als ein Ansatz aufgefasst werden, der Frieden, Geschlechtergerechtigkeit und Umweltschutz priorisiert, sich aktiv für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte einsetzt und darauf zielt, strukturelle Ungleichheiten zu beseitigen, die aus Kolonialismus, Rassismus und Patriarchat resultieren.5 Sie fußt dabei auf einem breiten Sicherheitsverständnis und misst friedenspolitischen Maßnahmen, so im Bereich von Abrüstung und Nonproliferation, eine herausragende Stellung bei. Ungeachtet der großen Vielfalt feministischer Theorien beansprucht FAP, inklusiv und intersektional zu sein.6 Damit wird die Staatszentriertheit außenpolitischer Ansätze infrage gestellt und dazu angeregt, marginalisierte Teile der Gesellschaft aktiv in Prozesse außenpolitischer Entscheidungsfindung einzubinden.
Um sich von einem feministischen Ansatz leiten zu lassen, wäre daher ein Perspektivwechsel geboten, der nicht länger den iranischen Staat, sondern die iranische Gesellschaft ins Zentrum rückt. Eine feministische Iranpolitik könnte diesen vier Grundsätzen folgen: (1) Überwindung der traditionellen Auffassung von »nationaler Sicherheit« zugunsten eines auf Menschen fokussierten Ansatzes, (2) Beachtung und Inklusion marginalisierter Gruppen bei außenpolitischen Entscheidungen, (3) Stärkung gesellschaftlicher Kräfte und zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie Ausbau ihrer Kapazitäten und (4) Schutz vor unintendierten Folgen von Maßnahmen, beispielsweise Sanktionen, die unterdrückte Teile der Gesellschaft treffen und in ihren Widerstandsbemühungen schwächen.
Diesen Grundsätzen in der deutschen Außenpolitik Vorrang einzuräumen bedeutet keineswegs, den iranischen Staat oder seine Handlungen zu ignorieren. Menschenrechtsverletzungen klar zu benennen und zu verurteilen bleibt ebenso wichtig wie beteiligte Personen und Entitäten gezielt zu sanktionieren. Derartige Sanktionspakete helfen dabei, die Aufmerksamkeit für die Lage vor Ort wachzuhalten und senden Teheran beständig das Signal, dass die Menschenrechtslage – ungeachtet bestehender oder künftiger sicherheitspolitischer Vereinbarungen – weiter auf der politischen Agenda steht. Wenn solche Sanktionen jedoch nicht von konkreten Schritten zur Unterstützung zivilgesellschaftlicher Akteure begleitet werden, laufen sie Gefahr, zu Ritualen ohne politische Schlagkraft zu verkommen. Kurzfristige Sanktionsmaßnahmen müssen daher mit nachhaltigen Unterstützungsmechanismen einhergehen.
Feministischer Ansatz in der Praxis
FAP bietet vielfältige Möglichkeiten, im Umgang mit autoritären Regimen über kurzfristige, symbolträchtige Schritte hinauszugehen. In der Praxis sollte jede Iranpolitik kostenlose technische Unterstützung zur Umgehung der Internetzensur, die Beschleunigung von Visa- und Asylverfahren sowie einen engagierten Einsatz für die Freilassung politischer Gefangener umfassen, zu denen auch deutsche Staatsbürger:innen zählen, die in Iran inhaftiert sind und von Teheran als außenpolitisches Faustpfand missbraucht werden.
FAP setzt auch auf die Befähigung gesellschaftlicher Kräfte, ihre Rechte selbst einzufordern.
An all diese Themen knüpft deutsche Politik bereits an. Eine dezidierte FAP würde aber überdies politische Ressourcen vor allem dafür aufwenden, die Kapazitäten gesellschaftlicher Akteur:innen und insbesondere marginalisierter Gruppen in Iran auszubauen. FAP setzt nicht allein auf den Schutz von Menschenrechten, sondern auch auf die Befähigung gesellschaftlicher Kräfte, ihre Rechte selbst einzufordern. Es sind eben jene gesellschaftlichen Akteur:innen, über die sich der transformative Anspruch7 feministischer Ansätze in der Praxis umsetzen lässt.
Eines der größten Hindernisse für zivilgesellschaftliche Kräfte in Iran, die sich unter anderem für ökologische Anliegen, Rechte von Frauen und Minderheiten oder die Abschaffung der Todesstrafe einsetzen,8 ist die für die breite Bevölkerung desolate wirtschaftliche Lage. Diese resultiert in erster Linie aus staatlichem Missmanagement, weit verbreiteter Korruption und der intransparenten Rolle, die Wirtschaftsakteure wie religiöse Stiftungen und Unternehmen der Revolutionsgarden spielen. Breit angelegte, sektorale US-Sanktionen, die im Zuge der »Politik des maximalen Drucks« unter der Trump-Administration verhängt wurden und auch unter Joe Biden noch weitgehend in Kraft sind, haben die angespannte Lage weiter verschärft. Im Gegensatz zu gezielten Sanktionen gegen Individuen und Entitäten im Kontext von Menschenrechtsverletzungen treffen die flächendeckenden US-Sanktionen die gesamte iranische Bevölkerung.
Dies zeigt sich unter anderem im Banken- und Finanzwesen, wo Sanktionen die iranische Diaspora darin behindern, ihren Angehörigen im Land Geld zu überweisen. Doch finanzielle Unterstützung wird dringend benötigt, um juristischen Beistand für Gefangene engagieren, zivilgesellschaftliche Organisationen stärken, die Arbeit niederlegen oder auch nur den Alltag bewältigen zu können. Die derzeitigen wirtschaftlichen Bedingungen lassen der iranischen Zivilgesellschaft wenig Raum für den Ausbau ihrer Kapazitäten und erschweren auch die Realisierung eines Generalstreiks. Bislang haben Deutschland und die EU wenig unternommen, um belastbare Finanzkanäle für die iranische Bevölkerung einzurichten. Dabei könnten zuverlässige Kanäle über europäische Staatsbanken geschaffen werden, die nicht ohne weiteres von US-amerikanischen Sekundärsanktionen betroffen wären.
Ein weiterer Grundpfeiler eines jeden feministischen Ansatzes ist die aktive Einbeziehung marginalisierter Gruppen in die Politikgestaltung. Hier braucht es einen strukturierten Dialog mit der Menschen- und Frauenrechts-Community in der iranischen Diaspora, unter Einbeziehung ethnischer und religiöser Minderheiten. Viele iranische Menschenrechtsakteur:innen der Diaspora waren teilweise über Jahrzehnte in Iran tätig, oftmals als Anwält:innen politischer Gefangener. Sie sind nicht nur mit den inneriranischen Strukturen vertraut, sondern können auch auf ein gut etabliertes Netzwerk im Land zurückgreifen. Das Potenzial dieser Gemeinschaft wird bislang nur punktuell genutzt; einen formalisierten Austausch mit deutschen Entscheidungsträger:innen gibt es nicht. Dabei wäre ein solcher Austausch schon deshalb wichtig, um geplante Sanktionen auf unerwünschte Folgen für die Bevölkerung abzuklopfen und so Schaden von ihr abzuwenden. Die Einbindung solcher Gruppen wäre eine von vielen Möglichkeiten, dem feministischen Ansatz von Inklusion in außenpolitische Entscheidungsprozesse gerecht zu werden.
Hinzu kommen sollte die Förderung der zivilgesellschaftlichen Vernetzung in der Region, finanziell wie logistisch. Mit Blick auf die FAP-Leitlinien des AA könnte die Priorität darauf liegen, der iranischen Frauenrechtsbewegung Wege aus der nationalen Isolation zu ebnen, die diese in den letzten Jahren immer wieder beklagt hat. Das gelingt dann, wenn sie in die Lage versetzt wird, mit anderen Frauenrechtsbewegungen der Region Erfahrungen zu teilen und gemeinsame Strategien für gesellschaftliche Gegenwehr zu entwerfen.
Eine feministische Perspektive auf Sicherheit
Vertreter:innen feministischer Perspektiven kritisieren den Rückgriff auf das gängige Konzept »nationaler Sicherheit«, das sich auf Fragen der Grenzsicherung und staatlichen Souveränität konzentriert. Stattdessen legen sie den Fokus auf Aspekte »menschlicher Sicherheit«, darunter wirtschaftliche Unversehrtheit, Ernährungssicherheit oder Gesundheitsfürsorge.9 Dabei geht feministische Forschung jedoch vielfach über das Konzept menschlicher Sicherheit hinaus und stellt diesem eine eigenständige Auffassung gegenüber, in der die Bedeutung von Intersektionalität, Geschlecht und Machtstrukturen unterstrichen wird.10 Dem Ansatz »feministischer Sicherheit« liegt ein Verständnis zugrunde, nach dem Sicherheit nicht als reine Abwesenheit von physischer Gewalt oder militärischem Konflikt zu verstehen ist. Stattdessen gelte es, auch Themen wie Geschlechter- und Klimagerechtigkeit einzubeziehen und sexistische, rassistische und koloniale Strukturen aufzubrechen. Strukturelle Ungleichheit wird demnach als Treiber von Unsicherheit betrachtet. Dieser Ansatz legt es nahe, das Sicherheitsverständnis deutscher Außenpolitik zu erweitern und die eigenen institutionellen Prozesse mit Blick auf Inklusivität und Repräsentation zu hinterfragen.
Auf internationaler Ebene befürwortet FAP einen diplomatischen, multilateralen und generell antimilitaristischen Ansatz in den internationalen Beziehungen. Dabei schließen sich der Schutz von Menschenrechten und staatliche Sicherheitsvorkehrungen nicht gegenseitig aus. Entgegen der Annahme, dass die Unterstützung eines feministischen Aufstands in Iran Atomverhandlungen oder jegliche Art von Sicherheitsvereinbarungen mit Teheran ausschließen würde, betont feministische Politik nachdrücklich die Notwendigkeit von Nichtverbreitungs- und Rüstungskontrollvereinbarungen, deren Bedeutung für den internationalen Frieden und das Recht von Gesellschaften, ein Leben frei von nuklearer Bedrohung zu führen.11
Internationale Bemühungen um eine Lösung des Atomkonflikts mit Iran bleiben daher auch weiterhin unerlässlich. Es bedarf dringend einer politischen Verständigung sowohl über die technische Begrenzung nuklearer Aktivitäten in Iran als auch über die Kontroll- und Verifikationsmaßnahmen. Die Wiederherstellung der umfassenden Aufsicht der Internationalen Atomenergieorganisation über das iranische Atomprogramm ist dabei der drängendste Aspekt der gegenwärtigen Nuklearkrise, die im Falle einer Eskalation weitreichende Folgen für die gesamte Region des Nahen und Mittleren Ostens hätte. Doch das rapide fortschreitende Nuklearprogramm stellt nur eine von zahlreichen sicherheitspolitischen Herausforderungen dar – darunter die iranische Regionalpolitik, insbesondere gegenüber dem israelischen Staat, das ballistische Raketenprogramm und Teherans Exporte von Drohnen nach Russland, die in Moskaus Krieg gegen die Ukraine zum Einsatz kommen.
Damit steht die Bundesregierung vor schwierigen Abwägungsprozessen. Angesichts der Gefahr, die aus dem iranischen Atom-, Raketen- und Drohnenprogramm für die Sicherheit Europas erwächst, einschließlich der schwerwiegenden humanitären Folgen, ist ein intensives politisches Engagement für Deeskalation unabdingbar. Doch dahinter drohen Fragen nach menschenrechtlichen Standards weiterhin zurückzustehen. Trotz anhaltender Nuklearkrise und des Gefahrenpotenzials iranischer Drohnentechnologie sollten Deutschland und die EU ihre politische Aufmerksamkeit nicht allein darauf richten; das Nukleardossier überschattet schon seit mehr als zwei Jahrzehnten andere politische Anliegen.
Hier setzt feministische Kritik an. Sie bemängelt, dass nicht nur Menschenrechtsfragen, sondern auch andere relevante Felder wie Umwelt- oder Gesundheitspolitik in sicherheitspolitischen Betrachtungen bislang eine nachrangige Rolle einnehmen. Dabei gäbe es vielfältige Möglichkeiten, der Bedeutung dieser Sektoren für Frieden und Sicherheit Rechnung zu tragen. So bieten die im März 2023 getroffene Vereinbarung zwischen Iran und Saudi-Arabien zur Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen und der vorsichtige regionale Aussöhnungstrend am Persischen Golf12 dafür durchaus Ansatzpunkte. Angesichts der enormen Herausforderungen, vor denen die Region auch abseits militärischer Konflikte steht, darunter Wasserknappheit und Luftverschmutzung, könnte Deutschland hier nicht nur den intraregionalen Handel fördern, sondern durch die Bereitstellung von eigenem Know-how auch die technische Zusammenarbeit im Umweltsektor unterstützen und befördern.
FAP bietet weder einfache Lösungen für den Umgang mit Autokratien, noch entfallen durch feministische Ansätze politische Zielkonflikte.
Ausblick
Autoritäre Regime stellen deutsche Außenpolitik vor erhebliche Herausforderungen, die zum einen aus systematischen Menschenrechtsverletzungen und zum anderen aus transnationalen sicherheitspolitischen Bedrohungen erwachsen. FAP bietet weder einfache Lösungen für den Umgang mit Autokratien, noch entfallen durch feministische Ansätze politische Zielkonflikte. Feministische Konzepte sorgen jedoch für einen Perspektivwechsel und eine Neubewertung außenpolitischer Prioritäten. Darüber hinaus regen sie dazu an, außenpolitische Entscheidungsprozesse in Hinblick auf Inklusivität und Repräsentation zu überprüfen.
Zwar haben sich die Proteste in Iran größtenteils von der Straße weg auf weniger sichtbare Formen des Aufstands verlagert, der Widerstand der Bevölkerung aber besteht weiterhin. Die Formierung einer schlagkräftigen Oppositionsbewegung im Land wird jedoch Zeit brauchen. Eine von feministischen Grundsätzen getragene Iranpolitik sollte menschliche Sicherheit in den Vordergrund stellen und dabei marginalisierten Gruppen, die disproportional von Diskriminierung und Repression betroffen sind, mehr Aufmerksamkeit verschaffen. Dies könnte unter anderem im Rahmen internationaler Foren wie den Vereinten Nationen geschehen, wo intersektionale Perspektiven beispielsweise in Menschenrechtsschutz- und Dokumentationsprogrammen bislang noch wenig Berücksichtigung finden und marginalisierte Gruppen unzureichend repräsentiert sind.
Glaubwürdig und nachhaltig wäre eine deutsche feministische Iranpolitik nur dann, wenn sie Maßnahmen zur Eindämmung des Nuklearkonflikts oder im Umgang mit dem iranischen Drohnenprogramm durch substanzielle Unterstützung marginalisierter Akteur:innen ergänzen würde und diese auch über Iran hinaus regional verankern könnte. Eine Neubewertung bisheriger deutscher Politik im Umgang mit Menschenrechtsverletzungen am Persischen Golf und deutscher Rüstungsexportpolitik in diese Region wäre damit unausweichlich. Denn letztlich kann es eine feministische Iranpolitik ohne eine feministische Golfpolitik nicht geben.
Politikfelder und
internationale Instrumente
Handelspolitik: Was es an Gendergerechtigkeit gibt und noch geben könnte
Die Leitlinien des Auswärtigen Amts (AA) zur feministischen Außenpolitik (FAP) widmen sich in Leitlinie 5 der internationalen Wirtschaftspolitik. Ausführlich werden hierin Erkenntnisse, Ziele, Einzelthemen und Handlungsbereiche wie die multilaterale Handelspolitik in der Welthandelsorganisation (WTO), Lieferkettenregelungen und die Menschenrechte angesprochen.1 Mit seiner Strategie zur feministischen Entwicklungspolitik (FEP) schließt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) daran an, ohne aber einen eigenen Wirtschafts- oder Handelsschwerpunkt zu definieren. Die einzelnen Aspekte dazu werden vielmehr den Leitkriterien der 3R-Strategie (Rechte, Repräsentation und Ressourcen) zugeordnet.2
Handelspolitik dient traditionell der Liberalisierung des Austauschs von Waren und Dienstleistungen durch Verhandlung und Regelung – auf multilateraler Ebene in der WTO, in Form von plurilateralen und bilateralen Vereinbarungen sowie durch unilaterale bzw. autonome Maßnahmen. Sie zielt neben einem offenen zunehmend auch auf einen fairen Handel und hat daher schon lange Bezüge zur wirtschaftlichen Entwicklung sowie zur Marginalisierung und Benachteiligung verschiedener Gruppen, etwa der Landbevölkerung, indigener Völker und lokaler Gruppen und Kleinunternehmen. Hauptfokus und ‑mechanismus bleibt aber der wirtschaftliche Austausch, deshalb bietet sie keine umfassende internationale Entwicklungs-, Wirtschafts- und Sozialpolitik.
Mit den Begriffen »Gender und Handel« und »Frauen und Handel« werden seit etwa 15 Jahren in multilateralen (WTO, UNCTAD) und bilateralen Handelsregelungen Anliegen der feministischen Außenpolitik angesprochen, ohne dass bisher die konzeptionellen Zusammenhänge breiter entfaltet worden wären: Im Grundsatz geht es bei diesen Initiativen darum, die Benachteiligung von Frauen in der realen Wirtschaft als Unternehmerinnen, Beschäftigte und Konsumentinnen, aber auch in der Wirtschafts- und Handelspolitik zu überwinden und damit bestehende Machtstrukturen zu verändern.3 Prinzipielle Ansatzpunkte liegen in der Wirkungsanalyse und Folgenabschätzung gendergerechter Beteiligung von Frauen an Handel und Handelspolitik, im Abbau benachteiligender sowie der Einführung fördernder Handelsmaßnahmen.
Handelspolitik für Gendergerechtigkeit weist enge Bezüge zu anderen Politikbereichen auf, wie sie unter anderem von der Welthandels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD) behandelt werden. Mit Blick auf den Menschenrechtsschutz sind vor allem die UN-Frauenrechtskonvention (1979) und die UN-Leitprinzipien zu Wirtschaft und Menschenrechten (2012) einschlägig.4 Letztere sind der Ausgangspunkt der neueren deutschen und europäischen Gesetzgebung zu Sorgfaltspflichten in Lieferketten, deren Umsetzung in Deutschland bereits im Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte anvisiert wurde.5 Schließlich sind einige internationale Arbeitsstandards der internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die in anderen Regelwerken wie Handelsabkommen häufig zitiert werden, relevant für Genderfragen. Dazu zählen das ILO-Übereinkommen Nr. 100 zur Gleichheit des Entgelts (1951), Nr. 111 zur Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf (1959), Nr. 183 zum Mutterschutz (2000) und Nr. 190 zur Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt (2019).
Status: Gendergerechtigkeit in bestehenden Handelsregimen
Die multilaterale Ebene: Die WTO
Die WTO befasst sich seit rund 15 Jahren mit Genderfragen, dabei standen zunächst technische Hilfen (Aid for trade, AfT) zum Ausbau von Handelskapazität in Entwicklungsländern im Vordergrund, die auch der Gendergerechtigkeit dienen sollten. Eine von der WTO-Ministerkonferenz 2006 eingesetzte Task Force hob diesen Gesichtspunkt ausdrücklich hervor und forderte seine Berücksichtigung in den regelmäßigen Reviews zu den AfT-Projekten.6 Auf der WTO-Ministerkonferenz 2017 in Buenos Aires gaben 118 Mitglieder und Beobachter der WTO eine »Joint Declaration on Trade and Women Economic Empowerment« ab, die zum Abbau von Hemmnissen und zur Förderung der Teilhabe von Frauen aufrief und einen Austausch von Best Practices für den Aufbau einer Wissensbasis forderte. Zur weiteren Umsetzung der Erklärung fand sich 2020 in der WTO eine informelle Arbeitsgruppe zusammen,7 die 2021 einen ersten Bericht zur Situation von Frauen in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen vorlegte und aufzeigte, wo Verbesserungsbedarf besteht.8 Parallel dazu richtete die WTO einen »Research Hub« ein.9 Als Vorsitz der informellen Arbeitsgruppe gaben Island, Botswana und El Salvador auf der WTO-Ministerkonferenz 2022 eine Stellungnahme ab, in der sie darauf verwiesen, dass Geschlechtergerechtigkeit das Wirtschaftswachstum befördere. Deswegen sei die Befassung der WTO mit dem Thema Gendergerechtigkeit wichtig. Ferner wurde ein Arbeitsplan angekündigt, der ein gender-responsive policymaking, eine »Gender-Linse« zur generellen Genderperspektive in allen Aktivitäten WTO, weitere Forschungsarbeit und genderbezogene Aid for Trade-Maßnahmen zur Erhöhung der Beteiligung von Frauen am Handel umfassen soll.10
Plurilaterale und bilaterale Regelungen
Von 557 regionalen und bilateralen Handelsabkommen wird in 83 und damit etwa 20 Prozent aller Freihandelsabkommen die Gendergerechtigkeit ausdrücklich angesprochen. Allerdings ist die konkrete Ausgestaltung des Aspekts unterschiedlich.11 Eine Vorreiterrolle spielen chilenische Freihandelsabkommen mit Uruguay (2016), Argentinien (2017) und Brasilien (2018), in denen es erstmalig eigenständige Kapitel zu »Handel und Gender« gab. Im Jahr 2019 folgten das chilenische Abkommen mit Kanada sowie jenes zwischen Kanada und Israel mit eigenen Kapiteln zu »Handel und Gender«.12 Bezogen auf EU-Abkommen enthalten 36 von 46 zumindest eine ausdrückliche Nennung von Gendergerechtigkeit, meist aber als Teil der Nachhaltigkeitskapitel.13 2019 haben die EU und Kanada im Rahmen ihres Freihandelsabkommens (CETA) eine »Trade and Gender Recommendation« beschlossen.14
In regionalen Handelsabkommen werden Genderfragen in dem United States–Mexico–Canada Agreement (USMCA) ebenso wie im Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership thematisiert. Ausgehend von der Aktionsgruppe für inklusiven Handel (Inclusive Trade Action Group, ITAG) der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftskooperation (APEC) handelten Kanada, Chile und Neuseeland 2022 das Global Trade and Gender Arrangement (GTGA) aus. Diese unverbindliche Vereinbarung zielt darauf, sich gegenseitig in fördernden Handels- und Geschlechterpolitiken zu unterstützen. Inzwischen haben sich auch Kolumbien, Mexiko und Peru dem GTGA angeschlossen.
Inhaltlich unterscheiden sich die Regelungen in den einzelnen Handelsabkommen: Neben reinen Kooperationszielen wird auch auf einschlägige Menschenrechtsübereinkommen und den internationalen Arbeitsschutz verwiesen. In den EU-Abkommen sind diese Verpflichtungen allerdings nicht durch Aussetzung der gewährten Zollzugeständnisse sanktionierbar. Einige Abkommen sehen zudem besondere Gremien zu Genderfragen vor.
Unilaterale bzw. autonome Ansätze
Besonders die EU setzt zunehmend auch auf unilaterale (»autonome«) Instrumente: Hierzu zählen Zollpräferenzen der EU gegenüber Entwicklungsländern, die mit bestimmten Menschenrechts-, Umweltschutz- und Governance-Bedingungen verknüpft sind. Das Allgemeine Präferenzsystem (APS) und das weitergehende APS+ beziehen dabei auch die Frauenrechtskonvention und die ILO-Übereinkommen 100 und 111 ein.
Als weitere unilaterale Ansätze sind unternehmerische Sorgfaltspflichten mit Blick auf Nachhaltigkeit und Menschenrechte in der Lieferkette zu nennen. Hierzu zählt das deutsche Lieferkettengesetz sowie eines der EU, auf das sich die EU-Mitglieder Ende 2023 politisch einigten. Beide beschränken sich auf die Genderregelungen15 der ILO-Konventionen 100 und 111, ohne allerdings auch die in den ILO-Konventionen 189 und 190 gesetzten neueren Standards zu berücksichtigen. Im deutschen Lieferkettengesetz fehlt ein Bezug auf die UN-Frauenrechtskonvention.
Ansatzpunkte für mehr Gendergerechtigkeit in der Handelspolitik
Handelspolitische Folgenabschätzung
Gendergerechte Handelspolitik ist auf genaue Kenntnisse über Formen, Wirkungen und Ursachen von Benachteiligungen angewiesen.16 Dazu sind Folgenabschätzungen wie die Sustainability Impact Assessments (SIA) der EU wichtig, in denen die Genderaspekte bisher allerdings außen vor bleiben. Ein in dieser Hinsicht spezifisches Folgenabschätzungs- und Beratungsverfahren hat dagegen Kanada (Gender-based Analysis Plus, GBA+) eingeführt.
Allgemeine Analysen zeigen, dass für Frauen in Armutssituationen besondere Risiken bestehen.
Allgemeine Analysen jenseits von SIAs zeigen, dass für Frauen in Armutssituationen besondere Risiken bestehen (Intersektionalität). Weltweit litten 319 Millionen Frauen im Jahr 2021 unter extremer Armut – gegenüber 207 Millionen Männern.17 Von generellen Armutseffekten sind Frauen daher besonders stark betroffen. Führt Handel zu Preissenkungen, könnten gerade Frauen davon profitieren. Ziehen veränderte Handelsflüsse gleichzeitig Bedeutungsverluste bestimmter Sektoren und der damit verbundenen Beschäftigungsmöglichkeiten nach sich, könnten gerade Frauen dadurch ihre Existenzgrundlage verlieren.
Vermeidung gendergefährdender Ansätze
Bevor neue genderfördernde Maßnahmen erwogen werden, sollte die genderschädigende Wirkung bestehender handelspolitischer Maßnahmen verstanden und abgebaut werden. Unter dem Begriff pink tariffs wird auf das Potenzial einer Diskriminierung durch Zölle oder andere handelsbeschränkende Maßnahmen hingewiesen. Faktisch aber gibt es kaum genderbezogene Unterschiede in der Zollbelastung: Zwar weisen Schätzungen zu unterschiedlicher nationaler Preissetzung vereinzelt auf lokalen Märkten Unterschiede aus, die möglicherweise reinen einzelbetrieblichen Absatzstrategien folgen. Eine generelle Benachteiligung von Frauen durch höhere Zölle für Produkte, die überwiegend von Frauen genutzt werden, lässt sich allerdings nicht beobachten.18 Aber auch eine genderneutrale Zollbelastung kann durch die Erhöhung der Preise Frauen, die einem spezifisch höheren Armutsrisiko ausgesetzt sind, besonders treffen.
Förderung genderstärkender Ansätze
Eine genderunterstützende Handelspolitik zielt auf die umfassende und diskriminierungsfreie Teilhabe von Frauen an Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, und zwar als Konsumentinnen, Arbeitnehmerinnen, Führungskräfte, Unternehmerinnen, Diplomatinnen und Politikerinnen. Damit dient sie gleichzeitig der Umsetzung des Nachhaltigkeitsziels (SDG) 5 – Geschlechtergerechtigkeit – und der Verwirklichung des Gleichstellungsgebotes aus Artikel 8 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU und Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes.
Gerade Handelspolitik ist hier relevant, weil ihr zur Verbreitung und Durchsetzung der internationalen Gender- und Menschenrechtsagenda die Kooperationsformen und Sanktionsmittel des internationalen Handelssystems zur Verfügung stehen. Handelspolitik muss sicherstellen, dass die Wahrung der Menschenrechte und Arbeitsstandards für Frauen im gesamten Handelskontext gesichert wird. Sie ist auch gefordert, Spielräume für weitergehende konkrete Maßnahmen zu erschließen, etwa durch
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die volle Ausschöpfung der Ausnahmen nach Artikel XX (a) des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) zugunsten nationaler Politiken der Gendergerechtigkeit;19
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die genderbezogene Analyse und Nutzung von Instrumenten des Antidumpings und des Schutzes gegen unlautere Subventionen;
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die Vervollständigung der Verpflichtungen zu effektiver Umsetzung von Menschenrechts- und Arbeitsschutzstandards in den Nachhaltigkeitskapiteln einschließlich einer möglichen Durchsetzung und Sanktionierung, die bisher lediglich in einem Abkommen zwischen Kanada und Israel vorgesehen ist.20
Daneben geht es um die Teilhabe an der Handelspolitik selbst. Sie betrifft den gesamten Strang von der Verhandlung bis hin zur Implementierung und alle beteiligten nationalen, europäischen, bilateralen und multilateralen Strukturen. Das Verbesserungspotenzial geht über eine stärkere Beteiligung von Frauen innerhalb bestehender institutioneller Strukturen hinaus. Denkbar und empfehlenswert ist auch die Einrichtung neuer Beratungsstrukturen, die spezifisch auf die Problematik erschwerter Teilhabe ausgerichtet sind. Als Beispiele seien hier die kanadische »Gender and Trade Advisory Group« aufseiten der kanadischen Regierung und die Einrichtung von »Trade and Gender Committees« innerhalb der Governance-Strukturen von Freihandelsabkommen genannt.21
Empfehlungen für Gendergerechtigkeit in der (deutschen) Handelspolitik
Es wäre wünschenswert, andere zuständige Ressorts, etwa das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), zu ermutigen, den jetzt vom AA angestoßenen Strategieprozess aufzugreifen und dazu eigene Beiträge zu leisten. Dies würde der deutschen Politik ein höheres Maß an Kohärenz verleihen.
Als inhaltliche Priorität nennt das AA die möglichst umfassende Ratifizierung der ILO-Konvention 190 zur Beseitigung von Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz.22 Folgerichtig sollten entsprechende Bezüge und gegebenenfalls Ratifikationspflichten in Handelsabkommen, aber auch in unilaterale Maßnahmen wie das APS in der nun anstehenden Reform und in die Sorgfaltspflichten aufgenommen werden. Zudem wäre es sinnvoll, die Bezüge auf einschlägige Menschenrechts- und Arbeitsstandards im europäischen Richtlinienvorschlag und bei Gelegenheit auch im deutschen Lieferkettengesetz zu vervollständigen.
Weiterhin werden in den Leitlinien insbesondere Textil- und Agrarlieferketten als besonders defizitäre Bereiche genannt. Diesbezüglich ließen sich in Abkommen entsprechende Regelungen oder unilaterale Ansätze der Intersektionalität expliziter als bislang betonen. Bestehende Bestimmungen gehen nämlich ohnehin oft über eine reine Gendergerechtigkeit hinaus und berücksichtigen die Intersektionalität schon heute: So wird der Schutz besonders vulnerabler Gruppen – wie Kleinerzeuger:innen sowie indigene Gruppen – in vielen agrarrelevanten Bestimmungen in Handelsabkommen und auch den neueren Lieferkettenregelungen zumindest angesprochen. Diese also bereits bestehende Intersektionalität könnte ausgedehnt werden, um Menschenrechte gesamthaft über genderbezogene Menschenrechts- und Arbeitsstandards hinaus zu schützen.
Handelspolitische Initiativen für eine gerechte Teilhabe von Frauen sind auf eine Einbettung in andere Politikfelder angewiesen.
Während die Horizonterweiterung der Handelspolitik auf nicht dezidiert handels- und wirtschaftsbezogene Themen wie Nachhaltigkeit, Menschenrechte und Arbeitsstandards im Sinne einer wertebezogenen Außenpolitik zu begrüßen ist, lässt sich doch nicht übersehen, dass das Instrumentarium der Handelspolitik hierzu begrenzt bleibt und daher für sich allein nur einen beschränkten Beitrag zur umfassenden Verwirklichung dieser Werte und Ziele leisten kann. Handelspolitische Initiativen für eine gerechte Teilhabe von Frauen sind auf eine Einbettung in andere Politikfelder – etwa die Nachhaltigkeits-, Menschenrechts- und Arbeitsschutzpolitik – angewiesen, sollen sie die gewünschte Wirkung entfalten. Damit aber steigt der Koordinationsbedarf, zumal neben multilateralen und plurilateralen bzw. bilateralen Handlungsebenen zunehmend auch unilaterale bzw. autonome Maßnahmen zum Einsatz kommen.
Wegen dieser Vielzahl an neuen menschenrechtsbezogenen, handelswirksamen Ansätzen in der EU erfordert deren Kohärenz besonderes Augenmerk.
Weiterhin ist als entscheidende Ausgangsbasis für jede Verbesserung die Evidenz von Genderwirkungen in Wirtschaft und Handel auszubauen. Um konkrete Analysen zu einzelnen Problemen, etwa dem Zugang von Frauen zu finanziellen und anderen Ressourcen, erarbeiten zu können, müssen die relevanten Daten in allen Bereichen der Wirtschaftssysteme entsprechend erfasst werden. Nur auf einer solchen Basis lassen sich handelspolitische Maßnahmen in den dafür vorgesehenen Wirkungsanalysen in ihrer Genderwirkung tatsächlich abschätzen – was bislang größtenteils unterblieb, auch im Hinblick auf Menschenrechtsfragen. Damit letztlich eine effektive Umsetzung erfolgt, kommt es noch stärker als bei anderen Nachhaltigkeitszielen in Handelsregimen darauf an, dass Konzepte an kulturelle Kontexte angepasst werden und bei den Handelspartnern auf Akzeptanz stoßen. Dies wird nur in Form partnerschaftlicher Verabredung und Implementierung gelingen – sowohl bezogen auf die EU und ihre Partnerländer als auch auf die jeweiligen Akteur:innen in Handelspolitik und Handel. Dies gilt umso mehr, als die zunehmende Zahl unilateraler Maßnahmen seitens der EU ohnehin bei den Partnern Sorgen vor Einschränkung der Souveränität schürt.
Derzeit entwirft die Bundesregierung eine ressortübergreifende internationale Digitalstrategie. Im Februar 2023 hat hierzu der Konsultationsprozess begonnen.1 Bislang hatten die digitalpolitischen Strategien auf Bundesebene entweder einen primär innenpolitischen Fokus, wie die Digitalstrategie der Bundesregierung (2022)2 und die Cybersicherheitsstrategie des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI, 2021),3 oder sie waren auf die Entwicklungszusammenarbeit konzentriert, wie die Strategie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) »Digitalisierung für Entwicklung« (2019).4 Eine verstärkt internationale Ausrichtung wird dem Umstand gerecht, dass nationalstaatliche Grenzen im digitalen Raum verschwimmen, und reiht sich ein in die Entwicklung internationaler Digitalstrategien in weiteren europäischen Staaten (Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Niederlande, Norwegen, Schweiz) sowie außereuropäisch etwa in Australien, den USA und China.5 Auf Ebene der Vereinten Nationen (UN) wird zur erhöhten Konvergenz internationaler Regelungen im Bereich Digitalpolitik derzeit der Global Digital Compact (GDC) entwickelt.6
Aus der Perspektive feministischer Außenpolitik (FAP) stellt sich die Frage, wie eine feministische Digitalpolitik aussehen kann und sich in der ressortübergreifenden internationalen Digitalstrategie verankern lässt. Bisher strebt die Bundesregierung eine Beschäftigung mit Denkansätzen wie der feministischen Digitalpolitik an, ohne hierfür Maßnahmen in der Digitalstrategie zu benennen. Sie formuliert jedoch entsprechend einem feministischen Verständnis von Digitalpolitik das Ziel, die Digitalisierung geschlechtergerecht und diskriminierungsfrei, menschenzentriert und wertebasiert zu gestalten. So sollen die digitalen Kompetenzen von Mädchen und Frauen erweitert, umfassende Teilhabe und digitale Barrierefreiheit erreicht werden, bei gleichzeitigem Schutz vulnerabler Gruppen.7 In der Nationalen Sicherheitsstrategie8 werden zudem die weltweite Einhaltung menschenrechtlicher Standards im Cyberraum sowie der Ausbau der Digital-, Daten- und Medienkompetenz zur Steigerung der Resilienz gegen Desinformation anvisiert.
Genderspezifische digitale Desinformation und Gewalt finden in den genannten Strategien jedoch keine Berücksichtigung, obgleich beide Problemfelder im Hinblick auf feministische Digitalpolitik zentral sind. Dies wird etwa im dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung »Digitalisierung geschlechtergerecht gestalten«9 (2021) sowie im GDC-Report »Our Common Agenda« der Vereinten Nationen10 und dem entsprechenden Policy Brief11 betont – nicht zuletzt, da Betroffene aus dem öffentlichen Diskurs verdrängt werden und erst ein inklusiver digitaler Raum die Voraussetzung für Meinungsbildung und demokratische Teilhabe bietet. Die grenzüberschreitenden Akteure und Kommunikationsflüsse erfordern internationale Regulierungsansätze, auch mit Blick auf informationelle Einflussnahme. Daher werden im Folgenden digitale geschlechtsbezogene Gewalt und Desinformation in den Fokus gerückt.
Konzeptionelle Anforderungen feministischer Digitalpolitik
Ausgehend von Grundsätzen der FAP und der feministischen Digitalpolitik können verschiedene Ansprüche an eine internationale Digitalstrategie formuliert werden. Den gemeinsamen Nenner einer Vielzahl feministischer Theorien bildet die geschlechtsunabhängige Sicherung der Menschenrechte und Repräsentation sowie Inklusion von Frauen, Mädchen und marginalisierten Gruppen samt deren gleichberechtigtem Zugang zu Ressourcen.12 Darauf aufbauend setzen sich Initiativen wie D21,13 HateAid,14 Netzforma* e. V.15 oder das Superrr Lab16 für einen gleichberechtigten Zugang zu digitalen Inhalten und barrierefreier Software sowie den Schutz vor genderbezogener Diskriminierung und Gewalt ein. So wird gefordert, die besondere Schwere von Beleidigungen im Internet anzuerkennen, Betroffene besser als bislang vor digitaler Gewalt zu schützen und Plattformen zur Kooperation zu verpflichten, um die Strafverfolgung zu erleichtern.17 Es wird zudem für einen intersektionalen Ansatz geworben, der die Verschränkungen und Wechselwirkungen von Diskriminierung und Ungleichheit berücksichtigt (Mehrfachdiskriminierung). Die Erfahrungen zivilgesellschaftlicher Initiativen sollen in höherem Maße als bisher aufgegriffen,18 Frauen und marginalisierte Gruppen aktiver an der Entwicklung und Regulierung digitaler Technologien beteiligt werden. Um die Fokussierung auf staatliche Sicherheit zugunsten von menschlicher Sicherheit zu überwinden, werden im Bereich der feministischen Cyberpolitik eine menschenzentrierte Definition zu schützender kritischer Infrastruktur und eine Cyberabwehr zugunsten besonders vulnerabler Menschen und ihrer Daten gefordert. So rückt etwa der Schutz der digitalen Infrastruktur von Krankenhäusern, Schulen und Frauenhäusern in den Blick.19
Digitale Technologien sind nicht geschlechtsneutral, sondern spiegeln bestehende Asymmetrien wider.
Diese Forderungen gründen maßgeblich auf empirischen Erkenntnissen zum digital gender gap (auch gender digital divide), wonach Frauen im Schnitt über eingeschränkteren Zugang zu digitalen Technologien verfügen als Männer, diese weniger nutzen und die eigenen digitalen Fähigkeiten bescheidener einschätzen.20 Außerdem sind digitale Technologien nicht geschlechtsneutral, sondern spiegeln bestehende Asymmetrien wider. Das Amazon-Recruitment-Tool zur algorithmischen Entscheidungsfindung in Bewerbungsprozessen etwa erwies sich als diskriminierend, da es mit früheren Bewerbungen trainiert wurde. Weil diese überwiegend von Männern stammten, bevorzugte der Algorithmus männliche Bewerber.21 Weiße Männer sind in einer Vielzahl von Datensätzen überproportional vertreten (gender data gap), was zu Merkmalsverzerrungen in den Daten führt, auch solchen, mit denen Modelle der künstlichen Intelligenz (KI) trainiert werden.22 Hinzu kommt ein globales Ungleichgewicht. So haben 90 Prozent der Frauen in Europa Zugang zum Internet, während der weltweite Durchschnitt bei nur 65 Prozent liegt – aufgrund teils lückenhafter Netzanbindung und hoher Preise für digitale Dienstleistungen sowie mangelnder genderneutraler digitaler Bildung.23 Zudem wird das Labeling von gemeldeten Inhalten sozialer Medien zumeist in Länder des »Globalen Südens« ausgelagert. Gewaltsame Inhalte werden dort überwiegend von Frauen zu niedrigem Lohn und auf bescheidenem Arbeitsschutzniveau gesichtet.24 Dies verdeutlicht die internationale Dimension von Digitalpolitik.
Zusammengenommen untersucht feministische Digitalpolitik die Machtverhältnisse in bestehenden digitalen Technologien, regt menschenzentrierte technologische Neuerungen zum Nutzen aller an und sucht nach Wegen, den digitalen Wandel inklusiv zu gestalten.
Genderbezogene digitale Gewalt und Desinformation
Beispielhaft für zwei zentrale Problemfelder feministischer Digitalpolitik im Bereich genderbezogene Diskriminierung werden im Folgenden genderbezogene digitale Gewalt und Desinformation betrachtet.
Genderbezogene digitale Gewalt
Bekannte Formen digitaler Gewalt sind Diffamierung, Erpressung und Bedrohung einschließlich Vergewaltigungsandrohungen, Identitätsdiebstahl, Stalking und Preisgabe von persönlichen Informationen (doxing).25 Während der Coronapandemie sind die entsprechenden Fallzahlen stark gestiegen.26 Diese digitale Gewalt richtet sich primär gegen Frauen. Betroffen sind insbesondere Politikerinnen, Journalistinnen und Menschenrechtsaktivistinnen. Überproportional werden zudem Frauen mit einer Beeinträchtigung, Women of Colour und LSBTIQ+ angegriffen.27 Empfehlungsalgorithmen verschärfen Geschlechterstereotype und potenzieren die Verbreitung gewaltsamer Nachrichten in sozialen Medien noch.28
Digitale Gewalt verletzt nicht nur die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen, sondern führt auch dazu, dass sie sich aus sozialen Medien zurückziehen und damit aus dem politischen Online-Diskurs gedrängt werden (silencing).29 Dies schränkt die Teilhabe insbesondere von online aktiven Frauen und LSBTIQ+-Personen ein. Dabei ist der digitale Raum eine wichtige Voraussetzung für Meinungsbildung und demokratische Teilhabe.30
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (2017)31 und insbesondere der EU Digital Services Act (DSA, 2022)32 verpflichten Anbieter sozialer Netzwerke, entschieden gegen strafbare Inhalte vorzugehen. Damit Betroffene zudem zügiger und umfassender als bisher vor Gericht Auskunft über die Verfasser rechtswidriger Inhalte erlangen und Accountsperrungen erwirken können, erarbeitet die Bundesregierung derzeit ein Gesetz gegen digitale Gewalt.33 Hier tut sich ein Spannungsfeld zwischen der Wahrung anonymer und pseudonymer Online-Nutzung und dem Offenlegen der Daten von Straftäter:innen auf. Die Strafverfolgung hat allerdings aus Betroffenenperspektive Vorrang vor der Wahrung von Anonymität im Netz. Die Bundesregierung sollte sich daher in der internationalen Digitalstrategie dazu verpflichten, weitere Staaten zu ähnlichen Regelungen zu bewegen, um die grenzüberschreitende Strafverfolgung digitaler Gewalt zu erleichtern.
Genderbezogene digitale Desinformation
Empirische Studien zeigen insbesondere, dass Frauen vermehrt Opfer von genderbezogener Desinformation werden. Dies betrifft weiblich gelesene34 People of Colour und solche mit diverser sexueller Orientierung überproportional.35 Ein in der Digitalstrategie kaum berücksichtigtes Problemfeld, das auch vom DSA nur teilweise abgedeckt ist, da manipulative Inhalte nicht immer strafbar sind. Desinformation wird verstanden als intentional verbreitete Falschinformation. Diese kann von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren genutzt werden, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen (informationelle/illegitime Einflussnahme).36 Dabei zählt Russland zu den Hauptakteuren, die den Informationsraum zur internationalen Einflussnahme nutzen, wie im russischen Außenpolitikkonzept, der Sicherheitsstrategie sowie Militärdoktrin formuliert.37 Ein genderspezifischer Anteil38 zeigt sich etwa dann, wenn ukrainische Frauen und LSBTIQ+ durch russische Desinformations-Narrative im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine diskreditiert werden.39
Die Verbreitung queer- und frauenfeindlicher Falschinformationen kann den gesellschaftlichen Zusammenhalt schwächen.
Die Verbreitung queer- und frauenfeindlicher Falschinformationen diskriminiert die betroffenen Gruppen, kann gesellschaftliche Ausgrenzung verstärken und somit den gesellschaftlichen Zusammenhalt schwächen. Die hier vorliegende strategische Verunglimpfung und Instrumentalisierung geschlechtsspezifischer Merkmale reicht über den individuellen Effekt wie Silencing hinaus und erstreckt sich auf ganze Gruppen. Daher sollte genderspezifische Desinformation neben digitaler Gewalt als eigenständiges Problemfeld wahrgenommen und in den Fokus der politischen Aufmerksamkeit gerückt werden.
Die Streuung von Inhalten auf sozialen Medien wird durch müheloses Teilen, algorithmische Amplifizierung sowie durch Anbieter von unauthentischen Klicks, Likes und Kommentaren erleichtert – trotz möglicher temporärer Begrenzung der Reichweite etwa russlandnaher Medien 2022.40 Im DSA (Art. 34) wird daher von Anbietern sehr großer Online-Plattformen und Suchmaschinen nun eine jährliche Beurteilung der Risiken verlangt, die mit der Nutzung ihrer Dienste verbunden sind.41 Aus Sicht feministischer Digitalpolitik ist es allerdings bedauerlich, dass neben der Achtung der Menschenwürde und Nichtdiskriminierung zwar die Bewertung aller nachteiligen Auswirkungen auf geschlechtsspezifische Gewalt gesondert gefordert wird, Desinformation aber keine Erwähnung findet. Da genderbezogene Desinformation online und offline Übergriffe induziert, nachweislich negative Folgen für die Partizipation und mentale Gesundheit der Betroffenen hat und ganze Gruppen diffamiert, sollte diese eigens berücksichtigt werden.
Gefordert sind digitale Bildung, eine hochwertige Netzanbindung für alle, barrierefreie Software und Maßnahmen zur Abschaffung genderspezifischer Diskriminierung.
Zwar setzt sich die Bundesregierung in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie das Ziel, manipulative Kommunikation im Informationsraum frühzeitig zu erkennen, benennt aber die geschlechtsbezogene Dimension nicht.42 Die Herausforderungen genderbezogener Gewalt und genderbezogener Desinformation gilt es deshalb in der nun anstehenden Formulierung der ressortübergreifenden internationalen Digitalstrategie zu beachten, um Menschenrechte auch online zu wahren sowie Meinungsfreiheit und demokratische Teilhabe für alle zu gewährleisten.
Ausblick: Internationale Digitalpolitik feministisch gestalten
Die Entwicklung der internationalen Digitalstrategie kann als Momentum genutzt werden, um eine feministische, menschenrechtsbasierte Außen- und Entwicklungspolitik stärker ressortübergreifend zu verankern. Im Sinne feministischer Digitalpolitik sollte die Bundesregierung national wie international für die Garantie der Menschenrechte online und die Überwindung der digitalen Kluft zwischen den Geschlechtern einstehen. Digitale Bildung, eine hochwertige Netzanbindung für alle, barrierefreie Software und nicht zuletzt Maßnahmen zur Abschaffung genderspezifischer Diskriminierung sind gefordert. Entscheidend ist es, hierbei kein binäres Genderverständnis zugrunde zu legen, sondern Mehrfachdiskriminierungen anzuerkennen und gemeinsam mit Betroffenen Maßnahmen zu entwickeln.
Entsprechend der »Europäischen Erklärung zu den digitalen Rechten und Grundsätzen für die digitale Dekade«43 ist die Bundesregierung insbesondere gehalten, den Schutz vor genderspezifischer Desinformation und anderen Formen schädlicher Inhalte, einschließlich digitaler Gewalt, sicherzustellen. Die systematische Diskreditierung von Gruppen auf Grundlage genderspezifischer Merkmale sollte als strafbarer Inhalt betrachtet und der strafrechtlichen Verfolgung zugänglich gemacht werden – Anliegen, welche die Bundesregierung sowohl auf EU-Ebene als auch in den Verhandlungen zum Global Digital Compact Gehör verschaffen kann.
Aktuell steht der GDC-Prozess kurz vor Abschluss der Konsultationen. Die internationale Digitalstrategie sowie das Gesetzesvorhaben gegen digitale Gewalt bieten der Bundesregierung eine Chance, mit klaren Positionen in die Verhandlungen zu gehen und inklusive digitale Räume zu fordern. Eine Einigung unter 193 UN-Staaten führt jedoch meist nur zu Mindeststandards. Deutschland sollte gleichzeitig bilateral auf ambitionierte staatliche Regulierungen hinwirken, um Internetplattformen zur Wahrung ihrer Menschenrechtsverpflichtungen zu bewegen. Im GDC können folgende Maßnahmen verankert werden:
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erweiterte Rechenschaftspflichten digitaler Plattformen sowie interoperable Transparenz- und Sicherheitsstandards inklusive menschenrechtsbasierter, schneller Reaktion auf gemeldete Inhalte und umfassende Auskunftspflichten, auch hinsichtlich genderspezifischer Desinformation;
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die Unterstützung internationaler Projekte zur Aufdeckung von genderspezifischer Desinformation und politischer Manipulation, zur Verbesserung der Medienkompetenz, zum Schutz vor digitaler Gewalt und zur Betreuung der Betroffenen;
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die Förderung einer diversen Teilhabe am Technologiesektor, um diskriminierenden Auswirkungen digitaler Technologien vorzubeugen;
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die Weiterentwicklung von Methoden zur Messung, Verfolgung und Bekämpfung genderbasierter digitaler Gewalt und Desinformation, etwa mittels Aufstockung von Forschungsgeldern und öffentlich einsehbarer human rights impact assessments.44
Migration: Intersektionale Diskriminierung im Bereich der Arbeitsmigration*
Migration ist eine Konstante der Menschheitsgeschichte: Statt einen Ausnahmezustand darzustellen, gehören temporäre oder dauerhafte Ortswechsel von Einzelpersonen oder Gruppen seit jeher zum Normalzustand menschlicher Existenz. Gleichzeitig sind viele der heutigen Wanderungsbewegungen – darunter auch ungeregelte Formen, die in Zielländern wie Deutschland meist unerwünscht sind und regelmäßig im Zentrum politischer Kontroversen stehen – eine Folge kolonial bedingter wirtschaftlicher Machtungleichgewichte zwischen Staaten sowie innenpolitischer Verwerfungen.1
Trotz der offensichtlichen außen- und entwicklungspolitischen Relevanz grenzüberschreitender Wanderungsbewegungen liegen die zentralen Kompetenzen hinsichtlich der Steuerung von Zuwanderung bei der Innenpolitik. In den Leitlinien für eine feministische Außenpolitik (FAP) des Auswärtigen Amtes (AA) wird Migration daher nur am Rande erwähnt.2 Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) dagegen formuliert in seiner Strategie für eine feministische Entwicklungspolitik (FEP) einige politikfeldspezifische Ziele: mit dem Schutz von migrantischen Arbeitskräften vor Ausbeutung sowie der gleichberechtigten sozialen, politischen und wirtschaftlichen Teilhabe von Frauen in Kontexten von Flucht, Vertreibung und Migration.3 Wie könnten Konturen eines feministisch geprägten außen- und entwicklungspolitischen Umgangs mit Migration aussehen? Hierzu bietet ein Blick in die (kritische) Migrationsforschung fruchtbare Ansatzpunkte.
Intersektional-feministische Ansätze in der Migrationsforschung
In der Forschung wurde Migration lange als überwiegend männliches Phänomen betrachtet. Ausgehend von einer traditionellen Geschlechterordnung, wurden Frauen auf den häuslichen Bereich reduziert und galten infolgedessen nicht als eigenständige Initiatorinnen von Migrationsvorhaben. Erst in den 1970er und frühen 1980er Jahren entwickelte sich ein Bewusstsein für die eigenständige Akteursqualität (Agency) von Migrantinnen.4 Damit gerieten die Komplexität von Migrationsbewegungen und die Art und Weise, wie die Mobilität von Menschen durch geschlechterspezifische Diskurse, Praktiken und Regeln eingeschränkt oder ermöglicht wird, in den Fokus der Analyse. Gleichzeitig kann Migration Geschlechterbeziehungen in Haushalten und in der Gemeinschaft verändern und sich auf geschlechtsspezifische Identitäten und Beziehungen auswirken. Tradierte Geschlechterrollen werden durch Migration sowohl aufgebrochen (etwa wenn eigenständig migrierende Frauen durch Rücküberweisungen den größten Teil des Haushaltseinkommens erwirtschaften) als auch verfestigt (etwa wenn Migrantinnen im Zielland der Spracherwerb verwehrt ist und ihr Aktionsradius stärker als im Herkunftsland auf den häuslichen Bereich beschränkt wird). Im Sinne einer intersektionalen Perspektive werden dabei zunehmend die Wechselwirkungen zwischen Geschlecht und anderen Diskriminierungsformen wie Hautfarbe, Klasse, ethnischer Zugehörigkeit, Religion, sexueller Orientierung, Alter, Generation, geographischem Standort, rechtlichem Status und Nationalität untersucht, um die Lebensrealitäten von Migrierenden besser zu verstehen.5
In den Mainstream der breiteren Migrationsforschung haben intersektional-feministische Ansätze bislang kaum Eingang gefunden.
In den Mainstream der breiteren Migrationsforschung haben diese intersektional-feministischen Ansätze allerdings bislang kaum Eingang gefunden.6 Die bestehende Geschlechter- und Machtverhältnisse und ihre Auswirkungen auf Migration sind nach wie vor selten Gegenstand der Analyse; stattdessen wird Gender meist als biologische Geschlechtskategorie und als demographische, binäre Variable begriffen.7
Wichtige Impulse für einen intersektional-feministischen Blick auf Migrationsprozesse gingen in den vergangenen Jahren von der kritischen Migrations- und Grenzregimeforschung aus. Mit ihrer machtkritischen Analyse von Herrschafts- und Gewaltverhältnissen im Kontext menschlicher Mobilität hinterfragt sie etablierte Annahmen über Staatlichkeit, Grenzen und der Handlungsfähigkeit von Migrierenden.8
Aus Sicht des methodologischen Nationalismus etwa wird bemängelt, dass die klassische Migrationsforschung den Nationalstaat als gleichsam naturgegebene homogene Einheit bzw. »geschlossenen Container« versteht und die damit verbundenen Konzepte wie Staatsgrenzen, Staatsbürgerschaft oder nationale Kultur unhinterfragt akzeptiert.9 Dies führt dazu, dass Neuankömmlinge primär als Abweichung vom Normalzustand und als Sicherheitsrisiko bzw. als Belastung für nationale Arbeitsmärkte und Sozialsysteme wahrgenommen werden.10
Kritische Migrations- und Grenzforschung versteht Grenzen nicht als feste Linien oder Hindernisse, sondern als komplexes System der »Limitierung, Differenzierung, Hierarchisierung und partiellen Inklusion«.11 Dies erlaubt eine Kategorisierung verschiedener Migrierender und damit eine Unterscheidung zwischen »legalen/regulären« und »illegalen/irregulären« bzw. »guten« und »schlechten« Neuankömmlingen. Neben Ermöglichung oder Verhinderung von Mobilität geht es hierbei um einen Prozess, in dem Rechte, Teilhabe und Zugehörigkeit graduell an- und aberkannt werden.12 Migrierende werden dabei nicht auf passive Objekte reduziert, sondern als eigenständig handelnde, politische Subjekte in die Analyse von Grenz- und Migrationsregimen einbezogen. Ein solches Verständnis von Migrierenden als Agents of Change ist eine Voraussetzung dafür, wirksame Formen von Repräsentation und politischer Teilhabe zu entwickeln und umzusetzen.
Aufbauend auf diesen Überlegungen wird im Folgenden am Beispiel Arbeitsmigration gezeigt, welche Folgen sich überlagernde Diskriminierungsformen nach sich ziehen und welche Handlungsfelder einer feministisch orientierten Migrationspolitik offenstehen, die im Sinne der FEP und FAP einen emanzipatorischen und machtkritischen Anspruch verfolgt.
Intersektionale Ungleichheit, Gewalt und Ausbeutung im Bereich der Arbeitsmigration
Arbeitsmigration umfasst, in Abgrenzung etwa zu Flucht, Migration zu Bildungszwecken oder aus familiären Gründen, all jene grenzüberschreitenden Wanderungen, die – ob auf legalem Wege oder irregulär – in erster Linie zum Zweck der Erwerbstätigkeit unternommen werden. Bedingt ist sie häufig durch das anhaltende ökonomische Ungleichgewicht zwischen wohlhabenden Industrieländern und Ländern des sogenannten Globalen Südens.
Im Bereich Arbeitsmigration manifestiert sich eine Reihe struktureller Machtgefälle.
Insbesondere in wohlhabenden Ländern, deren Gesellschaften im Zuge des demographischen Wandels zunehmend überaltern, besteht eine stete Nachfrage nach migrantischen Arbeitskräften unterschiedlicher Qualifizierungsniveaus. Gleichzeitig manifestiert sich im Bereich Arbeitsmigration eine Reihe struktureller Machtgefälle, die sowohl zu geschlechtsspezifischen als auch zu intersektionalen Diskriminierungen führen. So stehen hochqualifizierten Arbeitskräften meist legale Zuwanderungswege offen; bei geringer qualifizierten Personen ist dies häufig nicht der Fall, ungeachtet der Tatsache, dass ihre Arbeitskraft ebenfalls nachgefragt wird. Zusätzlich gibt es sowohl anekdotische Evidenz13 als auch quantitative Belege dafür,14 dass die Visumsvergabe wohlhabender Staaten wie Deutschland häufig von rassistischen Vorurteilen beeinflusst ist und beispielsweise zu einer systematischen Diskriminierung von Menschen aus Subsahara-Afrika führt.
Aufgrund dieser strukturellen Machtungleichgewichte und des Umstands, dass legale Zuwanderungsmöglichkeiten begrenzt sind, erfolgt ein substanzieller Anteil der Erwerbsmigration irregulär. Die mit diesem Status häufig verbundenen informellen Arbeitsverhältnisse verschärfen Ungleichheit und Diskriminierung, weil informell Beschäftigte von Rechten ausgeschlossen sind. Gerade im Niedriglohnsektor schützen aber auch formalisierte Beschäftigungsverhältnisse nicht vor Ausbeutung: Dies gilt beispielsweise, wenn migrantische Saisonarbeitskräfte im Spargel-, Erdbeer- und Gemüseanbau hohe Lohnabzüge für Unterkunft und eine unzureichende (Kranken-)Versicherung hinnehmen müssen15 oder wenn nichtstaatlich angeworbenen migrantischen Pflegekräften sittenwidrig hohe Vermittlungsgebühren abverlangt werden.16 Insgesamt sind migrantische Arbeitskräfte in Arbeitsverhältnissen überrepräsentiert, die im englischsprachigen Raum mit Verweis auf ihren unattraktiven und oft risikoreichen Charakter (»dirty, dangerous, and difficult«) als 3D-Jobs bezeichnet werden.17 Besonders betroffen sind das Baugewerbe, die Gastronomie, die Landwirtschaft, der Reinigungssektor sowie Pflege, Kinderbetreuung und andere haushaltsnahe Dienstleistungen.
Vor dieser Folie allgemeiner struktureller Benachteiligung insbesondere geringqualifizierter Arbeitskräfte ist Erwerbsmigration auch durch geschlechterspezifische Belastungen und Risiken geprägt, die nicht nur für die Migrierenden selbst, sondern auch für die Familie und Gemeinschaft im Herkunftsland Folgen haben. Beschäftigungsverhältnisse in Privathaushalten wie Kinderbetreuung, häusliche Pflege oder allgemeine Dienstleistungen, die zumeist von Migrantinnen ausgeübt werden, sind der Kontrolle des Staates weitgehend entzogen und besonders anfällig für Ausbeutung. Der extreme Tatbestand moderner Sklaverei ist zwar nicht auf weiblich konnotierte Berufe beschränkt, findet sich aber am häufigsten im Kontext von Menschenhandel zum Zweck der Zwangsprostitution.18 Beschäftigungschancen werden zudem nicht nur durch den Arbeitsmarkt im Zielland, sondern auch durch die Verhältnisse im Heimatland geprägt. Ist etwa Frauen der Zugang zu Bildung erschwert, profitieren Männer im Wettbewerb um begrenzte Arbeitsmigrationsvisa davon. In anderen Fällen haben kulturelle Rollenzuschreibungen einen größeren Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer Beschäftigung weiblicher Arbeitsmigrantinnen als deren Humankapitalmerkmale.19
Die empirische Forschung zu Geldüberweisungen von Migrierenden an Verwandte oder andere Bezugspersonen in Herkunftsländern (remittances), die in ihrer Gesamtheit eine wichtige Entwicklungswirkung haben, zeigt, dass auch diese von geschlechtsspezifischen Dynamiken geprägt sind. So senden Frauen durchschnittlich einen größeren Anteil ihres Einkommens nach Hause als Männer und tun dies überdies regelmäßiger und in Form kleinerer Beträge. Dies führt unter anderem dazu, dass sie durch Überweisungsgebühren überproportional belastet werden. Neben geschlechtsspezifischen Unterschieden bestimmen auch Beruf, soziale Schicht, Bildungsniveau und monatliche Pro-Kopf-Ausgaben das Rücküberweisungsverhalten.20
Der in den vergangenen Jahrzehnten vollzogene Wandel von Geschlechterrollen hat in vielen wohlhabenden Ländern zu einer erhöhten Erwerbstätigkeit von Frauen und dadurch zu einer starken Nachfrage nach weiblichen Pflege- und Haushaltskräften geführt.21 Dies hat zur Folge, dass Migrantinnen aus ärmeren Ländern den Bedarf an Sorgearbeit (care work) in wohlhabenderen Ländern bedienen, im Zuge dessen aber eigenen Sorgeverpflichtungen nicht mehr nachkommen können. So entstehen zuweilen globale Sorgeketten (global care chains), oder die Sorgelücke im Herkunftsland der Arbeitsmigrantinnen besteht fort. In diesem Fall bleiben Kinder oder alte Menschen ohne Unterstützung zurück.22 Der Mangel an gesellschaftlicher Wertschätzung weiblich konnotierter Haushalts- oder Sorgearbeit hat zudem zur Folge, dass die entsprechenden Tätigkeiten meist schlecht entlohnt werden. Gerade im Kontext großer Fluchtbewegungen substituieren Migrierende mit abgeschlossener Berufsausbildung in Ermangelung anderer Einkommensmöglichkeiten häufig die zuvor von einheimischen Frauen geleistete unbezahlte Arbeit. Verstetigt sich diese Situation, kann es zu einem entwicklungshemmenden Prozess der Dequalifizierung (deskilling) der betroffenen Personen kommen.23
Elemente einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik
Eine FAP und FEP, die den Anspruch hat, die oben skizzierten strukturellen Benachteiligungen und intersektionellen Diskriminierungen im Kontext von Migration zu reduzieren, muss im Sinne eines machtkritischen Ansatzes zunächst die staatszentrierte Ausrichtung bestehender Migrationspolitik hinterfragen. Dies erfordert unter anderem, die oft als naturgegeben wahrgenommenen Privilegien, die mit der Staatsangehörigkeit wohlhabender Industriestaaten einhergehen, als rechtliches Konstrukt zu begreifen, dessen Verteidigung keine Menschenrechtsverletzungen und strukturelle Diskriminierung gegenüber weniger privilegierten Personen rechtfertigt. Stattdessen sollten der Abbau intersektionaler Ungleichheit und die Förderung gesellschaftlicher Teilhabe handlungsleitend sein.
Die Einbeziehung entwicklungs- und außenpolitischer Kriterien ist insbesondere für die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte relevant.
Für die politische Praxis im Bereich Arbeitsmigration bedeutet dies – neben einer Bestandsaufnahme des bestehenden und zukünftigen Arbeitsmarktbedarfs unter Berücksichtigung von Tätigkeiten für Geringqualifizierte –, von der innenpolitisch geprägten Logik Abschied zu nehmen, dass die Regulierung von Arbeitsmigration einzig und allein am ökonomischen Bedarf der Aufnahmeländer ausgerichtet sein sollte. Die Einbeziehung entwicklungs- und außenpolitischer Kriterien ist insbesondere für die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte relevant: Die Bundesregierung sollte die Interessen der Partnerländer sowie potenzieller Migrierender systematischer als bisher berücksichtigen und sich für die Einhaltung sowie Weiterentwicklung bestehender normativer Standards für faire Anwerbung einsetzen.24 Dazu gehören Vorkehrungen gegen Brain Drain insbesondere im Gesundheits- und Pflegesektor der Herkunftsländer ebenso wie Maßnahmen zum Schutz Migrierender vor ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen oder langfristigen finanziellen Abhängigkeiten von privaten Rekrutierungsagenturen. Die Senkung von Gebühren für Geldtransfers kann sich nicht nur positiv auf die Entwicklung des Herkunftslandes auswirken, sondern auch einen wichtigen Beitrag zum Abbau geschlechtsspezifischer Benachteiligungen leisten. Flankiert werden sollten alle diese Bemühungen durch den Einsatz für eine adäquate Repräsentation migrantischer Organisationen auf relevanten internationalen Foren, etwa wenn es um die Umsetzung des Globalen Pakts für sichere, geordnete und reguläre Migration geht.
Die vom BMZ neu ausgerichteten Zentren für Migration und Entwicklung, die sich die Förderung fairer und ethischer Arbeitsmigration nach Deutschland und Europa auf die Fahnen geschrieben haben, eröffnen weitere Möglichkeiten. Hier ließen sich Beratungsangebote für Frauen und andere marginalisierte Gruppen ausweiten, die Informationen über Chancen, Rechte und Probleme in den Zielländern bereitstellen oder Finanzwissen vermitteln. In diesem Kontext wären Kooperationen mit transnationalen Gewerkschaftsverbünden sinnvoll, um diskriminierende Strukturen aufzudecken und sukzessive abzubauen. Zur Minderung globaler Ungleichheit sollte auch das Kriterium Klimagerechtigkeit bei der Auswahl von Partnerländern für die Anwerbung von Arbeitskräften berücksichtigt werden. Im Sinne von FAP und FEP könnten AA und BMZ sich dafür einsetzen, dass Menschen aus Regionen, in denen große klimabedingte Fluchtbewegungen zu erwarten sind, im Einklang mit dem Konzept migration as adaptation künftig bevorzugt Zugang zu legaler Arbeitsmigration bekommen.
Allein mit Instrumenten der Außen- und Entwicklungspolitik werden sich feministische Ansätze im Themenfeld (Arbeits-)Migration allerdings nicht realisieren lassen. Stattdessen ist ein ressortkohärenter Ansatz unerlässlich, der auch innenpolitische Steuerungskompetenzen berührt: Die Ausbeutung migrantischer Arbeitskräfte lässt sich nur verhindern, wenn bestehende diskriminierende Strukturen in Zielländern wie Deutschland reformiert werden – unter anderem durch angemessene Entlohnung von Sorgearbeit und Regulierung der häuslichen Pflege. Dies erfordert finanzielle Ressourcen sowie einen Ausbau der Rechte der Betroffenen, der ihnen auch kollektive Interessenvertretung ermöglicht. In migrations- und integrationspolitischer Hinsicht sind dazu Regularisierungsprogramme, eine beschleunigte Verstetigung temporärer Aufenthaltstitel sowie der Abbau struktureller Barrieren vonnöten, insbesondere in Bezug auf Sprachkenntnisse und Anerkennung von Qualifikationen. Das überarbeitete Einbürgerungsgesetz, das den Weg zur deutschen Staatsbürgerschaft vereinfacht, und das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das die Einwanderung von Arbeitskräften aus Drittstaaten erleichtern soll, sind Schritte in die richtige Richtung. Allerdings wird der Bedarf an geringqualifizierten Arbeitskräften aus dem Ausland in der öffentlichen Debatte nach wie vor ausgeblendet; dasselbe gilt für geschlechtsspezifische Diskrepanzen bei der Erwerbstätigkeit von Zugewanderten, die durch die Förderung geschlechtergerechter Arbeitsbedingungen allein nicht systematisch adressiert werden.
Flucht und Vertreibung: Voraussetzungen für eine feministischere Gestaltung der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit*
Flucht und Vertreibung werden in Deutschland und Europa vor allem mit dem Fokus auf Zuwanderung auf das eigene Territorium wahrgenommen. Themen wie der Schutz der EU-Außengrenzen, irreguläre Ankünfte, Seenotrettung oder die Herausforderungen von Integration werden fast täglich in Medien und Öffentlichkeit behandelt. Durch diese eurozentrische Perspektive gerät jedoch aus dem Blick, dass sich der weitaus größte Teil der über 108 Millionen Flüchtlinge, Binnenvertriebenen und Asylsuchenden im sogenannten Globalen Süden befindet.1 Diese Zahl wird in den nächsten Jahren weiter wachsen: Neue und anhaltende Konflikte sowie der Klimawandel, die damit einhergehenden Extremwetterereignisse und Umweltveränderungen werden noch mehr Menschen zur Flucht veranlassen.
Im Zentrum der politischen Reaktion auf diese globalen Krisen und ihre Folgewirkungen steht in Deutschland und der EU das Ziel, die Zahl der ankommenden Schutzsuchenden zu reduzieren. Dafür nehmen Regierungen in der EU und Deutschland in Kauf, dass massive Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen, von denen regelmäßig berichtet wird, weitgehend folgenlos bleiben; dass Seenotrettung nicht nur rhetorisch infrage gestellt, sondern praktisch behindert wird; dass Integrationsdebatten in EU-Mitgliedstaaten zunehmend von rassistischen Ressentiments geprägt sind.
Sowohl von akademischer Seite2 als auch von Menschenrechtsaktivist:innen3 wird daran seit Jahren Kritik geübt. Aus feministischer Perspektive wird differenziert auf die besonderen Bedarfslagen von vulnerablen und mehrfach diskriminierten Menschen wie Frauen, Kindern, queeren oder rassifizierten Menschen hingewiesen.4 Zu einem politischen Wandel hat diese Kritik bislang nicht geführt.
Auch die im März 2023 vom Auswärtigen Amt (AA) vorgelegten Leitlinien für eine feministische Außenpolitik (FAP) und die Strategie für eine feministische Entwicklungspolitik (FEP) des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) aus demselben Monat können hier nur bedingt Abhilfe schaffen. Die deutsche und insbesondere die europäische Asyl- und Migrationspolitik liegen hauptsächlich in der Kompetenz der Innenministerien. In die Zuständigkeitsbereiche von AA und BMZ fällt allerdings das Instrumentarium zu humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit (EZ), das dazu dient, vor allem in Entwicklungsländern Menschen auf der Flucht zu unterstützen. Grundlage dafür ist unter anderem das globale Flüchtlingsregime.
Feminismus und das globale Flüchtlingsregime
Für die meisten Staaten setzt das internationale Flüchtlingsregime aus der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 (GFK) und dem zugehörigen Protokoll von 1967 den verbindlichen Rahmen für den Umgang mit Flucht und Vertreibung. Gesichtspunkte eines intersektionalen Feminismus, der über Gender- und sexuelle Identität hinaus Bezüge für Diskriminierung einbezieht, spielen dabei eine untergeordnete Rolle. In der GFK wird nicht einmal auf Nachteile und Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung als infrage kommende Schutzgründe hingewiesen. Geschlechtsspezifische Gewalt wird ebenso wenig als Grund für Angst vor Verfolgung genannt.5 Erst die Rechtspraxis leitete im Laufe der Jahrzehnte Veränderungen ein: So setzte sich in den 1980er Jahren die Erkenntnis durch, dass Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden, als Flüchtlinge anzuerkennen sind.6 Seit 1993 wird auch geschlechtsspezifische Gewalt als Anerkennungsgrund für den Flüchtlingsstatus berücksichtigt.7
Die seit 2015 stattfindenden Konsultationen zur Ausarbeitung der 2016 verabschiedeten »New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten« sowie des 2018 folgenden Globalen Paktes für Flüchtlinge (Global Compact on Refugees, GCR) näherten sich durch die Beteiligung von Frauengruppen und zivilgesellschaftlichen sowie UN-Organisationen (etwa UN WOMEN)8 zwar einer feministischen Prozessgestaltung, die dialogisch, transparent und hierarchiearm sein soll.9 Die konkreten Verpflichtungen, die daraus hervorgingen, blieben allerdings weitgehend einem binären Verständnis von Geschlecht verpflichtet. In der New Yorker Erklärung sind unter anderem die Gewährleistung von Zugang zu sexuellen und reproduktiven Gesundheitsdienstleistungen, die Bekämpfung sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt sowie die Förderung von Geschlechtergerechtigkeit zu nennen,10 im GCR die individuelle Registrierung und Ausstellung von (Flüchtlings-)Papieren auch für Frauen und Mädchen, unabhängig von ihrem Familienstand.11
In der praktischen Unterstützung für Menschen auf der Flucht blieben diese konzeptionellen Fortschritte aber weitgehend unbeachtet. Einem Prüfbericht des Jahres 2020 zufolge wurde in 85 Prozent der Zusagen für das Globale Flüchtlingsforum – das als Überprüfungsmechanismus für den GCR dient – kein Bezug zu Genderfragen und Geschlechtergerechtigkeit hergestellt.12 Trotz der aus feministischer Sicht zunehmend progressiven Rechtspraxis, Prozesse und Sprache hapert es also an der Umsetzung. Wirkungen für die betroffenen Menschen auf der Flucht sind damit nur eingeschränkt zu erwarten.
Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit
Vor ähnlichen Herausforderungen in der Umsetzung stehen das AA und das BMZ, deren humanitäre Hilfe bzw. EZ sich an Menschen in Vertreibungssituationen im sogenannten Globalen Süden richtet. In beiden Ressortpapieren wird Flucht erwähnt, nimmt aber keinen zentralen Stellenwert ein. Während in den FAP-Leitlinien betont wird, dass klimawandelbedingte Flucht und Vertreibung Frauen und Angehörige marginalisierter Gruppen auf besondere Weise treffen,13 kommen Fluchtkontexte in der FEP-Strategie zwar insgesamt häufiger vor, doch konkret findet sich darin nur das Bestreben, auch in diesen Kontexten den Aufbau sozialer Sicherungssysteme zu unterstützen, Frauen den Zugang zu formellen Finanzsystemen zu erleichtern und ihre gleichberechtigte Teilhabe an Friedensprozessen zu fördern.14 Beide Häuser berücksichtigen durch die Förderung von Geschlechtergerechtigkeit oder Gender-Mainstreaming in ihren fluchtbezogenen Aktivitäten bereits die Tatsache, dass Männer und Frauen zwar zu etwa gleichen Anteilen vertrieben werden,15 aber unter unterschiedlichen Auswirkungen leiden. Dabei spielen Faktoren wie geschlechtsspezifische Gewalt im gesamten Flucht- und Vertreibungszyklus oder Einschränkungen für Frauen und Mädchen beim Zugang zu Schutz eine Rolle. In der Praxis bleiben diese angestrebten Verbesserungen für Betroffene häufig hinter den Ansprüchen zurück.
Insgesamt sind die humanitären und entwicklungspolitischen Aufgaben im Bereich Flucht und Vertreibung enorm, und aus Sicht von FAP und FEP bedarf es zum Zwecke substanzieller Veränderungen zum Positiven der Berücksichtigung feministischer, intersektionaler und postkolonialer16 Perspektiven.17 Auf dem Weg dorthin lässt sich eine Reihe kleinerer Reformen realisieren, mit deren Hilfe AA und BMZ für eine gerechtere Gestaltung von fluchtbezogener humanitärer Hilfe und EZ sorgen können: durch Erfassung disaggregierter Daten, durch partizipative Organisation von Entscheidungsprozessen, durch Abmilderung von Machtasymmetrien zwischen Mitarbeitenden sowie durch Verbesserungen in der Fortschritts- und Erfolgsmessung.
Erfassung disaggregierter Daten
Um bedarfsgerechte, evidenzbasierte Hilfs- und Entwicklungsprogramme im Sinne einer feministischen Politik für Menschen auf der Flucht seitens internationaler Organisationen entwickeln und umsetzen zu können, ist es unerlässlich, Daten stärker aufzuschlüsseln. Sollen intersektionale Ansprüche zum Tragen kommen, ist neben dem Geschlecht zusätzlich die Erfassung sozialer Merkmale wie sozioökonomischer Status oder Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit hilfreich.
Häufig ist es nur schwer möglich, mobile und potenziell verfolgte Menschen zu erfassen.
Bisher liegen detaillierte Daten selten vor. Denn häufig ist es nur schwer möglich, mobile und potenziell verfolgte Menschen überhaupt zu erfassen; hinzu kommt, dass es sich oft um sensible Daten handelt. Dann wieder sind Datenschutzkapazitäten nicht in ausreichendem Maße vorhanden oder Terminologie und Methoden weichen voneinander ab.18 Bereits die Verfügbarkeit geschlechtsspezifisch disaggregierter Daten variiert daher stark je nach Länderkontext und Kapazitäten der nationalen Behörden.19 Fehlen diese Informationen, erschwert dies nicht nur den Überblick über die im Kontext von Flucht und Vertreibung bestehenden Bedarfslagen, sondern auch deren Bearbeitung gemäß den Vorgaben einer FAP bzw. FEP. Daher sollten sich AA und BMZ dafür einsetzen, dass Menschen auf der Flucht etwa durch Fragen zu ihrem Status, Fluchtgrund und der Dauer der Flucht in Datenerhebungen und Panelstudien in den Aufnahmeländern integriert werden. Auf Ebene der einzelnen Haushalte sollten geschlechtsspezifisch disaggregierte Daten für jede Person erhoben werden, um sowohl die Situation der jeweiligen Haushaltsmitglieder als auch Abhängigkeiten voneinander zu erfassen. Generelle, geschlechtsspezifische Nachteile für Frauen in Vertreibungssituationen können über die Variable »von Frauen geführter Haushalt« zumindest näherungsweise abgebildet werden.20
Wenn Geschlecht und Vertreibungsstatus zusammen mit anderen Schlüsselvariablen wie Alter, Familienstruktur etc. erhoben und anschließend mit anderen, bestehenden Datenquellen kombiniert werden, erlauben die Datensätze einen differenzierteren Blick auf spezifische Vulnerabilitäten, als dies bislang der Fall ist.21 Die datenerhebenden Organisationen müssen darauf achten, dass sowohl qualitative als auch quantitative Daten immer kontextspezifisch und gemäß eines Do no harm-Ansatzes gesammelt, analysiert und gespeichert werden. Nur dann können die so gewonnenen Erkenntnisse eine verlässliche Basis für die Planung von Projekten bieten und eine wirkungsvolle Unterstützung in Fluchtsituationen gewährleisten.
Partizipative Gestaltung von Entscheidungsprozessen
Der Anspruch von FAP wie von FEP, Entscheidungsprozesse partizipativ zu gestalten, gilt auch für den Umgang mit Fluchtsituationen. Hier bedeutet dies für internationale Akteur:innen (wie etwa die von AA und BMZ beauftragten Organisationen), Flüchtlinge, Binnenvertriebene und Angehörige von Aufnahmegemeinden als Wissensträger:innen von Beginn an in die Planung und Gestaltung von Projekten mit einzubeziehen und sie an Entscheidungen darüber, wofür Gelder und Ressourcen verwendet werden, verbindlich zu beteiligen. Die zahlenmäßige Repräsentation von Frauen ist dabei zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Entwicklung feministisch ausgerichteter Projekte – auch andere (ggf. mehrfach) diskriminierte Gruppen müssen kontextsensibel eingebunden werden. Dabei muss den Hilfs- und EZ-Organisationen bewusst sein, dass bereits die Entscheidung, wer bei der Planung beteiligt wird, oft davon abhängt, welche dieser Gruppen organisiert und gut vernetzt sind sowie auf Ressourcen zurückgreifen können. Die Reproduktion von Machthierarchien sollten sie dabei nach Möglichkeit vermeiden.22
Auch lokale NGOs, Gewerkschaften und die entwicklungsorientierte Zivilgesellschaft in Transit- und Aufnahmeländern sollten von internationalen humanitären und Entwicklungsorganisationen bereits an der Planung von Projekten in Fluchtsituationen beteiligt werden, insbesondere in Kontexten, in denen Regierungen nicht bereit oder in der Lage sind, Basisdienstleistungen für Flüchtlinge und Binnenvertriebene bereitzustellen. Sie verfügen oft über lokale Expertise, die Projekten zu größerem Erfolg verhelfen kann. Zudem können lokale Organisationen vulnerable Gruppen wie Menschen auf der Flucht oft besser erreichen als internationale und dazu beitragen, dass gesellschaftliche Bewegungen entstehen, die eine (intersektional-feministische) Veränderung der bestehenden Strukturen anstreben.
Abmilderung personenbezogener Machtasymmetrien
Im Interesse einer feministischen Umsetzung von humanitärer Hilfe und EZ sind auch Personalfragen einer genaueren Analyse und Bearbeitung zu unterziehen. Diese werden selten breiter diskutiert, sind aber gerade in Fluchtsituationen in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen.
Besonders auffällig ist die Machtasymmetrie, die zwischen den Betroffenen und den Mitarbeitenden von deutschen oder von Deutschland finanzierten Hilfs- und Entwicklungsorganisationen besteht. Flüchtlinge, Binnenvertriebene ebenso wie mittellose Angehörige von Aufnahmegemeinden sind gegenüber Machtmissbrauch und Ausbeutung höchst verletzlich und haben aufgrund ihrer marginalisierten gesellschaftlichen Position häufig keinen Zugang zu Schutzmechanismen und zur Justiz. Die weitgehend folgenlosen Skandale um sexualisierte Gewalt und Ausbeutung von unter anderem Menschen auf der Flucht durch entsandtes Personal zeigen,23 dass deren Schutz besser und umfassender gefördert werden muss – einerseits durch präventive Maßnahmen wie etwa effektive Beschwerdemechanismen, flache Hierarchien und Diversität unter den Mitarbeitenden, andererseits durch überlebendenzentrierte Unterstützung.
Machtgefälle bestehen ebenfalls zwischen lokalem und entsandtem (deutschen/internationalen) Personal in humanitären und Entwicklungsorganisationen. Diese zeigen sich beispielsweise in massiven Gehaltsunterschieden, divergierenden Rechten für Arbeitnehmer:innen sowie der Ungleichbehandlung in Notfallplänen und Evakuierungen. In fragilen, von Gewaltkonflikten geprägten Ländern, die von Flucht und Vertreibung betroffen sind, ist dieses Machtgefälle besonders relevant – erst recht, wenn Mitarbeitende mit Fluchtgeschichte davon betroffen sind, die häufig unter zusätzlicher Marginalisierung leiden.
Eine FAP bzw. FEP in Fluchtkontexten wird sich daran messen lassen müssen, ob sie die Lage der Betroffenen tatsächlich erleichtert.
Ohne einen grundlegenden Kulturwandel in der deutschen humanitären Hilfe und EZ können diese Machtasymmetrien nicht vollständig abgebaut werden. Sie lassen sich aber zumindest abmildern: durch entsprechende Sensibilisierung für das Problem, Trainings zu postkolonialer und antirassistischer Arbeitsweise, diverseres Personal sowie ganz praktisch die Berücksichtigung der lokalen Mitarbeitenden in Notfallplänen und bei Evakuierungen.
Verbesserung von Fortschritts- und Erfolgsmessung
Eine FAP bzw. FEP in Fluchtkontexten wird sich daran messen lassen müssen, ob sie die Lage der Betroffenen tatsächlich erleichtert. Bestehende Instrumente der Ministerien zielen bisher vor allem auf die Förderung von Frauen und Mädchen und werden dem intersektionalen Anspruch kaum gerecht.24
Um die transformative feministische Agenda umzusetzen, müssen AA und BMZ daher ihre bürokratisch-technischen Monitoring-Instrumente überarbeiten. Die Grundlagen der Erfolgsmessung sind schließlich nicht nur für Evaluierungen relevant, sondern auch für die Planung und Steuerung von Aktivitäten.
Gerade in Fluchtkontexten ist es wichtig, Mehrfachdiskriminierung jenseits von Geschlecht und Gender, etwa aufgrund von Nationalität oder Ethnizität, ebenfalls zu berücksichtigen. Um die Verankerung von Intersektionalität sicherzustellen, sollte in diese Überarbeitung daher umfassende Expertise aus einem breiten gesellschaftlichen Spektrum aus Partnerländern und aus Deutschland – unter anderem von marginalisierten Perspektiven wie von Menschen auf der Flucht – eingebunden werden.
Ausblick
FAP und FEP verstehen sich als transformativ in dem Sinne, dass sie darauf zielen, bestehende ungerechte und diskriminierende Machtstrukturen infrage zu stellen und zu überwinden. Im Bereich Flucht und Vertreibung ist die politische Praxis besonders weit von intersektional-feministischen, postkolonialen, antirassistischen und machtkritischen Ansprüchen entfernt. Denn die deutsche und europäische Asyl- und Migrationsgesetzgebung beruht auf dem fundamentalen (unter anderem kolonial bedingten) Machtungleichgewicht zwischen (häufig rassifizierten) Schutzsuchenden und deren Zielländern. Humanitäre Hilfe und EZ können hier – unabhängig davon, ob sie feministisch gestaltet sind oder nicht – nur bedingt Abhilfe schaffen. Notwendig wäre vielmehr ein feministischer Whole of Government-Ansatz, der die Ressortgrenzen zwischen Innen-, Außen- und Entwicklungspolitik überwindet, die Menschen in den Mittelpunkt stellt und dazu führt, dass die Gewährung von Schutz oberste Priorität erhält – was angesichts der aktuellen politischen Diskurse nicht zu erwarten ist.
In Ermangelung dessen können auch die vorgelegten Ressortpapiere von AA und BMZ lediglich dazu beitragen, ihre im Fluchtkontext zentralen Instrumente – humanitäre Hilfe und EZ – so auszugestalten, dass sie den Ansprüchen von FAP und FEP näherkommen. Dafür reicht es nicht aus, Frauen oder anderen marginalisierten Gruppen wie Flüchtlingen oder Binnenvertriebenen mehr Geltung zu verschaffen. Vielmehr müssen die Hilfssysteme selbst grundlegend neu gedacht, machtkritisch konzipiert und, wie schon lange gefordert, besser als bisher miteinander verzahnt werden.
Stabilisierung: Mit feministischer Außenpolitik pragmatische Konfliktbearbeitung in fragilen Kontexten neu denken
Stabilisierung in fragilen Kontexten stellt eine besondere Herausforderung für eine feministische Außenpolitik (FAP) dar. Erklärtes Ziel von Stabilisierung ist es, auch in den schwierigsten Gemengelagen von Gewaltkonflikten und terroristischer Bedrohung konstruktive Beiträge zur Konfliktbearbeitung zu leisten. Dies bedeutet oft, mit und in den bestehenden lokalen Machtstrukturen zu arbeiten, um kurzfristig und pragmatisch Verbesserungen der Sicherheitslage zu erreichen.1 Demgegenüber gehört es zum Wesenskern feministischer Ansätze in der Außen- und Entwicklungspolitik, patriarchale, neokoloniale und andere Machtstrukturen kritisch zu beleuchten und eine Transformation gesellschaftlicher Verhältnisse anzustreben.
Die feministische Kritik an internationaler Stabilisierungsarbeit problematisiert verschiedene Aspekte. Vor dem Hintergrund eines postkolonialen Verständnisses geht es um die Motive derjenigen externen Akteur:innen, die sich um Stabilisierung in anderen Teilen der Welt bemühen. Der rhetorische Einsatz für Frieden, Demokratie und Menschenrechte verschleiere einseitig definierte nationale Interessen, etwa zur Eindämmung irregulärer Migration.2 Und wessen Sicherheit soll bei Stabilisierungsvorhaben im Vordergrund stehen, wenn diese möglicherweise auf die Zusammenarbeit mit patriarchalen, ausbeuterischen lokalen Eliten setzen, deren Dominanzstreben für Gewaltkonflikte verantwortlich ist?3 Genderrollen sowie das Sicherheitsempfinden von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen könnten dabei trotz gegenteiliger Zielsetzungen aus dem Blick geraten. Überdies wird vor einer Militarisierung des humanitären Raums durch eine zu enge Verknüpfung von politischen Zielen der Konfliktbearbeitung mit humanitärer Unterstützung gewarnt.4 Die Staatszentriertheit von Stabilisierungsansätzen ist aus feministischer Perspektive ebenfalls diskussionswürdig, da es häufig gerade der Staat ist, der Gewalt beispielsweise durch den Einsatz übergriffiger Sicherheitskräfte ausübt anstatt Frauen bzw. generell die Zivilbevölkerung davor zu schützen.
Der Status quo in der deutschen Stabilisierungspolitik
Weltweit ist Deutschland seit 2017 das größte Geberland im Bereich der zivilen Konfliktbearbeitung.5 Das Auswärtige Amt (AA) verfügte im Jahr 2023 über 565 Millionen Euro für die drei Säulen seines integrierten Friedensengagements: Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung.6 Auch andere Ressorts, insbesondere das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), fördern Projekte, die in einem weiteren Sinne der Stabilisierung in fragilen Kontexten dienen. Im letzten Berichtsjahr 2022 lagen die etwas breiter gefassten weltweiten Ausgaben der Bundesregierung für »zivile Friedensförderung, Konfliktprävention und Resolution« insgesamt laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bei 960 Millionen US-Dollar (etwa 875 Millionen Euro).7
Den Begriff Stabilisierung verwendet im deutschen Kontext nur das AA. Es versteht darunter einen Beitrag, »politische Prozesse zur Einhegung von Gewalt zu unterstützen, legitime Governance-Strukturen zu stärken und erste Schritte hin zu einer Versöhnung zwischen Konfliktparteien zu ermöglichen«.8 Stabilisierung umfasst mit der Stärkung staatlicher Institutionen, der Sicherheitssektorreform (SSR), Programmen zu Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung (DDR), Rechtsstaatsförderung (RSF) oder Friedensmediation eine Reihe von Instrumenten.9 Wichtige Partnerländer und ‑regionen, die das AA immer wieder nennt, sind die Ukraine, die Tschadsee-Region und der Nordosten Syriens. Häufig arbeitet die Bundesregierung, etwa im Rahmen der Stabilisierungsfazilitäten des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP), mit anderen Geberinnen und internationalen Organisationen zusammen
Genderfragen spielen in der deutschen Friedensarbeit seit längerem eine Rolle.
Genderfragen spielen in der deutschen Friedensarbeit bereits seit längerem eine Rolle. Der Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der Agenda »Frauen, Frieden und Sicherheit« (WPS) ist ein Ausdruck davon.10 In seinen Leitlinien zur feministischen Außenpolitik (FAP) erwähnt das AA Stabilisierung in der zweiten Leitlinie: »Bei Maßnahmen der Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung beziehen wir Frauen und marginalisierte Gruppen systematisch ein und berücksichtigen geschlechtsspezifische Risiken. Wir wollen Fortschritte zu gendergerechteren Gesellschaften erzielen und unser internationales Krisenengagement gendertransformativ gestalten.«11
Konkret nennt das AA vor allem Projekte zum Ausbau der Rechte, Ressourcen und Repräsentation von Frauen (zum Beispiel die Ausbildung und Entsendung von »Genderexpert*innen« durch das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze [ZIF]).12 Damit bewegt sich das AA bei seinen Bemühungen um die Verbesserung der Position von Frauen und marginalisierten Gruppen weiterhin innerhalb des existierenden Systems von Konfliktbearbeitung, ohne die eigenen Ansätze grundsätzlich infrage zu stellen. Die Wirkung gendertransformativ ausgebildeter Expert:innen bleibt aber begrenzt, wenn der politische Wille fehlt, die daraus resultierenden Gesichtspunkte und Perspektiven in eine umfassendere Strategie einzubetten.
Sowohl in den FAP-Leitlinien als auch im Stabilisierungskonzept des AA finden sich zwar feministische Prinzipien, die über die 3R hinausgehen, doch deren praktische Bedeutung wird mitunter zugleich eingeschränkt. Ein Beispiel: Von »gendersensiblen Konfliktanalysen« erhofft man sich im Stabilisierungskonzept »neue Ansätze, Handlungsräume und Akteure«. »Zielkonflikte« bestünden aber insbesondere dort, wo »männlich dominierte Machtakteure« eingebunden werden müssten. Hier nehme sich das AA vor, seine prinzipiengeleitete Position vorzutragen und ansonsten eine »systematische Abwägung von kurzfristigen Zielen (beispielsweise ein Waffenstillstand) mit mittel- bis langfristigen Zielen einer gesellschaftlichen Transformation« anzustellen.13 Diese Aussage könnte suggerieren, dass Geschlechtergerechtigkeit eine mittel- bis langfristige Aufgabe ist, die im Gegensatz zu anderen Stabilisierungszielen steht. Allerdings zeigt der zitierte Absatz auch, dass das AA Spannungen zwischen den Zielen von Stabilisierung und FAP explizit anerkennt und zumindest den Versuch unternimmt, seine Handlungsweise in kritischen Situationen zu systematisieren. Das ist ein Fortschritt gegenüber früheren Regierungsdokumenten, in denen normative Ziele gleichberechtigt aufgelistet oder Zielkonflikte lediglich abstrakt benannt wurden, ohne zu konkretisieren, wie damit umzugehen sei.
Hinsichtlich der Ressourcen für Geschlechtergerechtigkeit schwankten die deutschen Ausgaben in den letzten Jahren stark. Im letzten Berichtsjahr 2022 wurden 50 Prozent der ODA-Mittel14 zur zivilen Konfliktbearbeitung für Projekte eingesetzt, die Geschlechtergerechtigkeit als Nebenziel (GG1-Kennung des OECD DAC) verfolgen, und 2,8 Prozent für solche mit Geschlechtergerechtigkeit als Hauptziel (GG2). Bis 2025 möchte das AA für diese Kategorien einen Mittelaufwand von 85 bzw. 8 Prozent erreichen.15 Entgegen der entsprechenden Gleichsetzung dieser Kennungen in den AA-Leitlinien sind sie nicht deckungsgleich mit den Zielen gendersensibler bzw. gendertransformativer Ausgestaltung. Ein Projekt kann sich beispielsweise zwar an Frauen als Hauptzielgruppe richten (GG2), ohne dass damit die Geschlechterbeziehungen an sich infrage gestellt werden.
Gerade einige machtkritische Impulse der feministischen Forschung können für Stabilisierungsvorhaben gewinnbringend sein.
Mögliche Beiträge feministischer Außenpolitik
Eine kritisch verstandene FAP vermag einen Beitrag dazu zu leisten, Stabilisierungsmaßnahmen effektiver, belastbarer und inklusiver als bisher zu gestalten. Sie bietet Anhaltspunkte, Annahmen, Konzepte und Vorgehensweisen, die unter Stabilisierungsexpert:innen bereits diskutiert werden, um die bisherige Praxis eingehender zu durchleuchten und teilweise auch neue Antworten zu finden. Gerade einige machtkritische Impulse der feministischen Forschung können für Stabilisierungsvorhaben gewinnbringend sein.
FAP kann helfen, einseitige liberale Friedensförderung zu überwinden
Sowohl in der feministischen Forschung als auch in jener zu Stabilisierung und Friedensförderung gibt es eine breite Kritik am sogenannten »liberalen Frieden«, also an der Idee, dass marktwirtschaftliche Reformen, demokratische Öffnung und die Beilegung bewaffneter Konflikte sich gegenseitig befördern.16 Der Fokus auf solche langfristigen Prozesse marginalisiert die Agency der Zivilgesellschaft,17 die politische Gewaltökonomie von Kriegen18 und die Ausgrenzungsmechanismen, die insbesondere Frauen betreffen,19 um nur einige Kritikpunkte zu nennen.
Die FAP-Perspektive hilft dabei, strukturelle Aspekte in den Blick zu nehmen, die dazu führen, dass Gewalt andauert. Die Einseitigkeit liberaler Friedensförderung lässt sich auch an den 3R im Kontext von Friedensprozessen aufzeigen: Frauen einzubinden (Repräsentation), ihre Rechte durch eine veränderte Gesetzgebung auszubauen oder Institutionen mit einem hohen Frauenanteil zu finanzieren (Ressourcen) ist zwar wichtig, reicht aber nicht aus. So können Frauengruppen an Friedensprozessen beteiligt sein, ohne dass ihre Anliegen beachtet werden. Oft werden nicht einmal die verbindlich vereinbarten Repräsentationsquoten erfüllt. Zum Beispiel schreibt das Juba-Friedensabkommen von 2020 für Sudan eine Frauenquote von 40 Prozent auf allen politischen Ebenen des Landes vor.20 Diese wurde nie verwirklicht: Die Umsetzung des Friedensabkommens stärkte hingegen den männlich dominierten Sicherheitssektor in Sudan und verschärfte die politische Krise vor dem Putsch.21
Ein intersektionaler Ansatz, der feministische und postkoloniale Perspektiven verbindet, führt zu der Frage, für wen eigentlich was stabilisiert werden soll. Externe Akteur:innen können nur dann erfolgreich Stabilisierung betreiben, wenn sie lokale Bemühungen legitimer Autoritäten unterstützen. Das Verhältnis zwischen staatlichen Institutionen und der Bevölkerung ist in fragilen Situationen oft zerrüttet. Staatliche Sicherheitskräfte in Nigeria riegelten zum Beispiel Dörfer ab, weil sie dort Aufständische vermuten, statt die Zivilbevölkerung vor Plünderungen und Zwangsrekrutierungen bewaffneter Gruppen wie Boko Haram zu schützen. Daher ist es das erklärte Ziel deutscher Stabilisierungsbemühungen im Nordosten Nigerias, die Legitimität staatlicher Institutionen zu untermauern, etwa indem Gemeinden in die Lage versetzt werden, die Versorgung mit elementaren Gütern und Dienstleistungen wie Wasser, Ernährung, Gesundheit und Bildung sicherzustellen.22 Die feministische Perspektive hilft dabei zu erkennen, dass staatliche Institutionen nur dann erfolgreich Stabilisierungsbemühungen realisieren können, wenn die Bevölkerung sie als legitim akzeptiert.
Analyse von Macht und Sicherheit
Stabilisierungsprojekte erfordern eine kontinuierliche Kontext- und Konfliktanalyse, die insbesondere die Ursachen, Akteure und Dynamiken bewaffneter Gewalt berücksichtigt. Als Expert:innen für kritische Machtanalysen können Feminist:innen zu diesen Analysen entscheidende Beiträge leisten. Mit gendersensiblen Konfliktanalysen23 lassen sich zentrale Dynamiken aufzeigen, die weit über die mangelnde Teilhabe von Frauen hinausgehen. Überdies tragen einige Genderrollen auch zu Gewalt bei,24 beispielsweise indem bestimmte Männlichkeitsvorstellungen bewaffneten Gruppen die Rekrutierung erleichtern, wie auch das AA erwähnt.25
Ein feministisches Sicherheitsverständnis stellt gängige Annahmen einer liberalen Stabilisierungspraxis infrage. Allzu oft verfolgen internationale Akteur:innen Abkommen und Deals mit existierenden (oft männlich dominierten) Eliten selbst dann, wenn diese nachweislich die Gewalt nicht eindämmen und das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung nicht verbessern.26 »Stability and durability can simply mean that the men with guns continue to run the show and that the ›trains run on time‹«, schreibt Ní Aoláin.27
Statt am Erreichen des nächsten fragilen Eliten-Deals misst eine feministisch geprägte Stabilisierungspolitik Sicherheit an der konkreten Wahrnehmung von Frauen und anderen marginalisierten Bevölkerungsgruppen in ihrem täglichen Leben. Die Befragung von Betroffenen und andere Methoden, die Wahrnehmung der lokalen Bevölkerung regelmäßig zu erfassen, sollten ein wichtiges Instrument für Stabilisierungsvorhaben sein.28 Erst wenn alle Menschen sich in einem Ort sicher fühlen, können sie Vertrauen in die lokalen Institutionen gewinnen und darauf verzichten, bewaffneten Gruppen beizutreten.
Ein feministischer Ansatz für Konfliktbearbeitung
Zu realpolitischen Eliten-Deals und einem überschwänglichen liberalen Interventionismus als gängigen Ansätzen der Konfliktbearbeitung bietet FAP Alternativen an. Diese gründen in einer »feministischen Fürsorge-Ethik«, die bei der Suche nach neuen Ansätzen der Konfliktbearbeitung hilfreich sein kann. Sie entspringt einer »Fürsorge« (care), weil sie moralisches Handeln mit aufmerksamem, geduldigem Zuhören verbindet und sich darauf einlässt, Zielkonflikte immer wieder auszubalancieren und ihre Annahmen anzupassen – anstatt eine universalistische Gerechtigkeit zu propagieren, die sich durch ihre Abgrenzung von mutmaßlich rückwärtsgewandten lokalen Vorstellungen definiert.29 Feministisch ist diese Ethik, weil sie das (autoritäre) »Skript des Patriarchats« hinterfragt.30
Feministische Stabilisierung aus einer solchen »Fürsorge-Ethik« kommt nicht von außen, um lokale Konflikte zu lösen, sondern setzt sich mit den globalen, regionalen und lokalen Beziehungen auseinander, in deren Rahmen diese Auseinandersetzungen entstehen. Es geht eben nicht allein darum, Frauen stärker an politischen Prozessen zu beteiligen, weil diese per se friedfertiger wären, sondern darum, die Hierarchisierung zwischen Gruppen – beispielsweise Männern und Frauen, Eliten und Bevölkerung, jungen und alten Menschen – und die ihnen zugeschriebenen Handlungsweisen in der Gesellschaft generell zu hinterfragen. Feministische Stabilisierungspolitik achtet besonders auf den lokalen Kontext und akzeptiert, dass die Wirksamkeit und moralische Eindeutigkeit von Maßnahmen oft mit Unsicherheiten behaftet sind.31
Selbstreflexion und Lernprozesse
Schließlich können feministische Ansätze durch empathische Selbstreflexion einen wichtigen Beitrag zu Monitoring, Evaluation und Lernprozessen leisten. Diese sind vor allem in hochvolatilen Stabilisierungskontexten von großer Bedeutung, in denen Projektverantwortliche eng und agil steuern müssen, um Projekte an sich schnell verändernde Umstände anzupassen. Mangels eines universal anwendbaren Stabilisierungsrezepts sind das ständige Ausprobieren und Justieren von Maßnahmen entscheidend.32
FAP kann lokalen und internationalen Stabilisierungsakteuren dabei helfen, über alle Arten von Machtstrukturen ebenso zu reflektieren wie über die eigene Rolle. Internationale Stabilisierungsakteure bringen beispielsweise ihre eigenen Gendernormen in fragile Kontexte mit und legen teilweise eine »international fraternity« mit lokalen männlichen Eliten an den Tag.33 So gibt es immer wieder Botschafter:innen, die mit Stolz auf ihre Beziehung zum autoritären Präsidenten ihres Gastlands im Bürgerkrieg verweisen und ihn bei jeder Gelegenheit umarmen. Diplomat:innen sowie andere Stabilisierungsakteure sollten aber ihre notwendige Empathie in politischen Prozessen nicht mit Sympathie für Kriegsfürsten verwechseln. Darüber hinaus gilt es aus Sicht der FAP, das häufige rhetorische Bekenntnis vieler Stabilisierungsakteure zur Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen auch in der Praxis ernst zu nehmen – etwa indem lokale Graswurzelorganisationen möglichst bereits in die Konzeption von Projekten einbezogen werden.
FAP kann dort frische Impulse geben, wo sie über die Förderung von Geschlechtergerechtigkeit hinausgeht.
Fazit
FAP hilft, Stabilisierung besser, gerechter und kontextsensibler als bisher zu gestalten, indem sie tradierte Annahmen im Gesamtansatz, in der Analyse, in Prozessen, Projektdesign und Wirkungsüberprüfung hinterfragt. Sie kann insbesondere dort frische Impulse liefern, wo sie über die Förderung von Geschlechtergerechtigkeit hinausgeht. Mit seinen FAP-Leitlinien bleibt das AA hier noch unter den Möglichkeiten eines feministischen Ansatzes. Feministische Analysen zeigen die ungleichen, oft konfliktantreibenden Machtstrukturen auf, die durch eine mangelnde Geschlechtergerechtigkeit, aber auch einseitig definierte Geschlechterrollen und Ausgrenzungsmechanismen entlang weiterer Unterscheidungsmerkmale entstehen.
Bei der Weiterentwicklung und Umsetzung einer feministischen Stabilisierungsarbeit geht es nicht allein um normativ-menschenrechtliche Fragen. Vielmehr vermag die Einbeziehung feministischer Perspektiven auch einen Beitrag zum pragmatischen Anspruch von Stabilisierung in fragilen Kontexten zu leisten,34 wenn es beispielsweise darum geht, Empathie statt Überheblichkeit ins Zentrum von Konfliktbearbeitung zu stellen.
Es liegt im Wesen von Stabilisierung, sich am Status quo zu orientieren, weil dessen Veränderung kaum kurzfristig zu erreichen ist und die Wiederherstellung von Ordnung Priorität hat. Nach dieser Logik handeln auch Diplomat:innen, die Ausdruck eines zwischenstaatlichen Systems sind, das sich oft schwer damit tut, in fragilen Kontexten tragfähige Partnerschaften jenseits nationaler, oft bevölkerungsferner Regierungen aufzubauen. Machtkritische Aspekte feministischer Außen- und Entwicklungspolitik umzusetzen ist daher kein leichtes Unterfangen. Feministische Argumente können jedoch zu laufenden Reflexionsprozessen über die Ausrichtung von Stabilisierung anregen, die darauf zielen, das Verhältnis zwischen Bevölkerung und Regierung zu verbessern.
Sanktionen: Voraussetzungen und Ansatzpunkte für eine schützende Sanktionspolitik*
Der Rat der Europäischen Union (EU) verhängte am 7. März 2023 Sanktionen gegen neun Personen und drei Entitäten wegen ihrer Verantwortung für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, insbesondere sexuelle und geschlechtsbasierte Gewalt. Kurz vor dem Weltfrauentag wurden damit unter dem seit 2020 bestehenden globalen EU-Menschenrechtsregime Offizielle in Afghanistan, Myanmar, Russland und Südsudan mit Reiseverboten belegt, ihre Vermögenswerte wurden ebenso eingefroren wie die Finanzmittel von je einer Institution in Iran, Myanmar und Syrien.1 Dieser Schritt, den Deutschland gemeinsam mit Frankreich und den Niederlanden initiiert hatte, folgte zeitnah auf die Vorstellung der Leitlinien des Auswärtigen Amts (AA) zu feministischer Außenpolitik – tituliert als »feministische Außenpolitik in Aktion«.2
Sanktionen können demnach ein Mittel auch feministischer Außenpolitik (FAP) sein; sie stoßen als Instrument jedoch auf Vorbehalte. Wenn FAP etwa vorrangig für Demilitarisierung, Inklusion und Kooperation steht, müssten bevorzugt »weiche« Instrumente wie Mediation zum Einsatz kommen.3 Denn hinter Sanktionen verborgene wirtschaftliche Interessen und die negativen, beispielsweise kriminalisierenden Effekte dieses Zwangsmittels sind immer wieder Gegenstand grundlegender Kritik, die in einigen Fällen so weit geht, dass Sanktionen als »ökonomische Kriegführung« bezeichnet werden.4 Die aus feministischer Perspektive problematische Seite von Sanktionen zeigt sich vor allem, wenn sie von stärkeren Staaten gegen schwächere eingesetzt werden und potenziell Unbeteiligten schaden, insbesondere der Zivilgesellschaft im Zielgebiet.
Sanktionen sind potenziell transformativ und in ihrem gezielten Einsatz anschlussfähig an das Konzept menschlicher Sicherheit.
Auf der anderen Seite sind Sanktionen ein Instrument zwischen Diplomatie und Krieg, das zum Zwecke der Friedensförderung oder des Schutzes von Menschenrechten eingesetzt wird. Sanktionen, wie sie von den Vereinten Nationen (UN) verhängt werden, sollen grundsätzlich nicht bestrafen, sondern in der Regel eine bestimmte Verhaltensänderung beim Ziel bewirken, ein unerwünschtes Verhalten einschränken und/oder stigmatisieren, etwa den Bruch internationaler Normen.5 Damit sind sie potenziell transformativ und zudem in ihrem gezielten Einsatz anschlussfähig an das Konzept menschlicher Sicherheit, da sie präventiv wirken und Individuen oder Organisationen für ein konkretes Verhalten zur Verantwortung ziehen, das nicht (nur) die staatliche Sicherheit gefährdet. Diese Stoßrichtung spiegelt sich auch in den FAP-Leitlinien des AAs und dem vorgenannten Beschluss des Rates der EU wider. Wenn Sanktionen im Sinne eines inklusiven und intersektionalen Verständnisses von FAP genutzt werden sollen, müssen sie unter drei Aspekten abgewogen werden: Sender, Ziele und Wirkung.
Sender von Sanktionen: Legitimität und Repräsentation
Der erste relevante Aspekt für eine Bewertung von Sanktionen aus der Perspektive einer FAP ist die Frage, von wem sie verhängt werden. Grundsätzlich sind multilaterale Sender gegenüber unilateralen zu bevorzugen, da die Beteiligung mehrerer Staaten Sanktionen einen breiteren Geltungsbereich und potenziell ein höheres Maß an Legitimität verschafft. Für die deutsche Außenpolitik sind die UN und die EU hier relevante Handlungsrahmen. Unilateral setzt Deutschland, anders als etwa die USA oder Großbritannien, dieses Zwangsmittel in der Regel nicht ein. Autonome EU-Sanktionen binden mit der gemeinsamen Beschlussfassung alle Mitgliedstaaten; Nicht-EU-Mitglieder oder andere Akteure haben auf die jeweilige Entscheidungsfindung höchstens indirekt und punktuell Einfluss. Anders als etwa im Fall der Afrikanischen Union, die zumeist eigene Mitglieder sanktioniert, richten sich die »restriktiven Maßnahmen« – so die offizielle Bezeichnung – der EU auf externe Ziele.
Tatsächlich werden autonome Sanktionen auch in EU-Dokumenten als subsidiär zu UN-Sanktionen bezeichnet.6 Letztere basieren auf Beschlüssen des UN-Sicherheitsrates, die für alle UN-Mitgliedstaaten bindend sind. Im Sicherheitsrat sind zwar alle Weltregionen durch Staaten vertreten, ein Machtungleichgewicht ergibt sich jedoch ganz klar durch die Dominanz der ständigen Mitglieder USA, Großbritannien, Frankreich, China und Russland und deren Vetorecht. Kommt eine Einigung auf ein Sanktionsregime zustande, gilt in den entsprechenden Sanktionsausschüssen als Unterorganen des Sicherheitsrates7 allerdings das Konsensprinzip. Daher können auch gewählte Mitglieder Beschlüsse – etwa über die Listung bestimmter Personen und Einrichtungen – verhindern.8 Das ändert natürlich wenig daran, dass im Rund der vertretenen Staaten bestimmte gesellschaftliche Perspektiven und Gruppen kaum repräsentiert sind.
Das UN-Sanktionssystem wurde seit den 1990er Jahren insgesamt fairer und transparenter gestaltet.
Im Zuge verschiedener Reformen wurde das UN-Sanktionssystem seit den 1990er Jahren jedoch insgesamt fairer und transparenter gestaltet. Eingeführt wurden unter anderem sogenannte Panels of Experts, die den jeweils zuständigen Sanktionsausschuss darin unterstützen, die Umsetzung der Maßnahmen zu überwachen. Heute verfügen beinahe alle UN-Sanktionsregime über solche Sachverständigengruppen, die zum einen gewährleisten, dass das Monitoring möglichst unabhängig und systematisch abläuft; zum anderen ist es Teil ihres Mandates, Informationen nicht nur von Staaten, sondern auch von internationalen und regionalen Organisationen sowie nichtstaatlichen Akteur:innen zu sammeln und zu analysieren. Damit fließen Positionen unterschiedlicher Gruppen in den Prozess ein, sofern die Expert:innen Zugang zu ihnen herstellen können.
Genderaspekte wurden aber erst relativ spät im UN-System berücksichtigt. Ein von der kanadischen Regierung finanzierter Workshop in Nairobi 2019 gelangte zu der Feststellung, dass die Sanktionswelt weitgehend männlich geprägt ist.9 Frauen waren bei der Besetzung von UN-Panels mit einem Anteil von weniger als 30 Prozent deutlich unterrepräsentiert. Zudem waren sie in den Gruppen nicht nur wiederholt sexueller Belästigung ausgesetzt; auch ihre Arbeit wurde abgewertet, zumal Menschenrechts- und Geschlechterfragen oft als Randthemen galten.10 Für eine stärkere Berücksichtigung genderbezogener Bedrohungen und Gewalt sowie eine adäquate Beteiligung von Frauen an der UN-Sanktionspolitik und ihrer Umsetzung wurden konkrete Schritte aufgezeigt, letztlich aber auch die Notwendigkeit eines Kulturwandels beschworen. In einem unter anderem von Deutschland unterstützten »Best Practices Guide« für die Vorsitzenden und Mitglieder von UN-Sanktionsausschüssen werden Genderkompetenz und ‑ausgewogenheit weiterhin als Bereiche identifiziert, denen dringend mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden muss.11 Über weitere notwendige Reformen hinaus stellt sich die Frage, was geschieht, wenn der Weg zu UN-Sanktionen versperrt ist, etwa aufgrund von Blockaden im UN-Sicherheitsrat. Inwiefern autonome EU-Sanktionen dann aus Sicht von FAP ein legitimes Mittel sind, hängt unter anderem von der Bewertung des zweiten relevanten Aspekts von Sanktionen ab: ihrer Zielsetzung.
Ziele von Sanktionen: zwischen staatlicher und menschlicher Sicherheit
Grundsätzlich sind UN-Sanktionen darauf ausgerichtet, Frieden und Sicherheit in der Welt aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen.12 Aus Sicht von FAP ist vor allem zu klären, welche und wessen Sicherheit damit gemeint ist. Tatsächlich wurden die Sanktionsziele von ihrem ursprünglichen Fokus auf grenzüberschreitende Aggression zunehmend auf Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, Terrorismusbekämpfung, die Beilegung innerstaatlicher Konflikte sowie Menschenrechtsschutz bzw. Governance-Aspekte ausgeweitet.
Auch die Ausgestaltung der Sanktionsregime hat sich deutlich weiterentwickelt. So wurde 2008 ein Kriterium zur Aufnahme von Personen in die Sanktionsliste zur Demokratischen Republik Kongo geschaffen, das sich auf »das gezielte Vorgehen gegen Kinder oder Frauen in Situationen bewaffneten Konflikts, einschließlich Tötung und Verstümmelung, sexueller Gewalt, Entführung und Vertreibung« bezieht.13 Heute gibt es in acht und damit der Mehrzahl der konfliktbezogenen UN-Sanktionsregime ähnliche Leistungskriterien; der Fokus liegt dabei meist auf der Planung, Steuerung und Durchführung sexueller und genderbasierter Gewalt im Kontext bewaffneter Konflikte.14 Das hat direkte Folgen für das Monitoring, da die Panels entsprechend berichten. Zusammen mit den 2012 etablierten Berichten des UN-Generalsekretärs zu konfliktbezogener sexualisierter Gewalt15 und der Arbeit der UN-Sondergesandten zu sexueller Gewalt in Konflikten wurden so die Informationsgrundlage verbessert und das Bewusstsein für diese Fragen geschärft. Andere Kriterien heutiger Sanktionsregime spiegeln ebenfalls ein erweitertes Verständnis von Frieden und Sicherheit wider. So können in den konfliktbezogenen Regimen unter anderem Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, die Behinderung humanitärer Hilfe oder die Rekrutierung und Ausbeutung von Kindern geahndet werden.
Bei näherem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass ein Abrücken vom Fokus auf Sicherheit im engeren Sinne im UN-Sicherheitsrat umstritten bleibt. Schon vor über zehn Jahren wurde eine Spaltung des Gremiums bei Themen wie der Agenda zu Frauen, Frieden und Sicherheit und dem Schutz von Zivilist:innen festgestellt,16 die sich seither tendenziell vertieft hat. So werden die erwähnten Kriterien selten und inkonsistent genutzt. Bis Ende März 2021 fanden sich etwa unter den 720 Listungen von 9 Sanktionsregimen nur 28 mit Bezug auf sexualisierte und genderbezogene Gewalt oder Menschenhandel.17 Verschiedene Mitglieder des Sicherheitsrates, insbesondere China und Russland, insistieren in der Regel darauf, Gefahren für Frieden und Sicherheit eng auszulegen. Solche Vorbehalte verbinden sich mit einer grundlegenden Skepsis gegenüber Sanktionen, die als Einmischung in innere Angelegenheiten und gerade von einigen gewählten Mitgliedern im Sicherheitsrat als Ausdruck westlicher Dominanz betrachtet werden. Hinzu kommen Zielkonflikte und bürokratische Hindernisse im UN-Sanktionssystem.18
Auf EU-Ebene herrscht dagegen größere – wenn auch nicht uneingeschränkte – Einigkeit, wenn es um die Förderung bzw. Verteidigung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten mittels Sanktionen geht. Grundsätzlich sind bei EU-Sanktionen19 die Ziele ähnlich gesteckt und verteilt wie bei UN-Sanktionen, allerdings mit einer stärkeren Gewichtung auf Governance und Konfliktbeilegung.20 Besonders die länderbezogenen Regime und das globale Menschenrechtsregime bieten damit Ansatzpunkte für eine FAP. Anders etwa als bei dem Regime zu Cyberangriffen, wo vor allem der Schutz der EU, ihrer Mitgliedstaaten sowie ihrer Bürger:innen im Vordergrund steht, sollen solche Sanktionen zur Verbesserung der menschlichen Sicherheit in anderen Regionen beitragen.
Besonders wichtig ist, dass EU-Sanktionen Teil eines politischen Prozesses sind, der inklusiv und klar auf bestimmte Ziele ausgerichtet ist.
Wie erwähnt liegt der Prozess der Verhängung und Umsetzung dabei in den Händen der EU-Mitgliedstaaten. So spielen bei den Entscheidungen unterschiedliche Motive eine Rolle, was unter anderem zu einer selektiven Anwendung führen kann. Daher ist es besonders wichtig, dass EU-Sanktionen Teil eines politischen Prozesses sind, der in verschiedener Hinsicht inklusiv und klar auf bestimmte Ziele ausgerichtet ist. Darüber hinaus muss die Wirkung von Sanktionen bedacht werden, wenn sie als Instrument von FAP genutzt werden sollen.
Wirkung von Sanktionen: mehr Schaden als Nutzen?
Die negativen Auswirkungen, die umfassende Wirtschaftssanktionen wie jene gegen den Irak und Haiti in den 1990er Jahren auf die Zivilbevölkerung – insbesondere Frauen und Kinder – hatten, gaben Anlass zu weitreichender Kritik.21 Tatsächlich gibt es deutliche Hinweise darauf, dass etwa die UN-Sanktionen gegen den Irak Frauen und Mädchen besonders hart trafen, unter anderem weil es überwiegend ihnen zufiel, das Überleben der Familien zu sichern.22 Die Reformen hin zu gezielteren Sanktionen führten letztlich dazu, dass heute die meisten UN-Regime eine Kombination aus Waffenembargos, Reiseverboten und dem Einfrieren von Vermögenswerten enthalten, teilweise ergänzt durch weitere Sanktionen wie Export- oder Importverbote für bestimmte Güter. Letztere wurden in einigen Kontexten so breit angewendet, dass sie faktisch umfassend waren bzw. sind, etwa im Falle Nordkoreas.23
Entsprechend erscheinen im Sinne einer FAP neben diplomatischen Sanktionen vor allem gezielte Finanzsanktionen gegen Individuen und Einrichtungen wie das Einfrieren von Vermögenwerten sinnvoll.24 Doch auch diese haben problematische Nebeneffekte, wenn der Finanzsektor und humanitäre Organisationen ihre Aktivitäten in Bezug auf bestimmte Länder oder Akteur:innen einschränken – aus Furcht, mit den Sanktionen in Konflikt zu geraten bzw. zu hohe Compliance-Kosten aufbringen zu müssen. Damit sind einige Länder fast vollständig vom globalen Finanzsystem abgeschnitten, was Armutsbekämpfung und Wirtschaftswachstum behindert. Darunter leiden wiederum besonders vulnerable Bevölkerungsgruppen wie Frauen, Kinder, ältere Menschen oder Flüchtlinge am meisten.25
Der UN-Sicherheitsrat erließ vor diesem Hintergrund im Dezember 2022 eine generelle humanitäre Ausnahmeregelung für Finanzsanktionen.26 Ein laufender Multistakeholder-Prozess hat zum Ziel, negative humanitäre Folgen von Sanktionen insgesamt zu minimieren, etwa durch einen code of conduct.27 Bei Sanktionen jenseits des UN-Systems ist die Debatte allerdings teilweise aufgeladen. Im Menschenrechtsbereich trifft etwa die Arbeit der »Sonderberichterstatterin über negative Auswirkungen unilateraler Zwangsmaßnahmen auf die Wahrnehmung von Menschenrechten« in betroffenen Staaten28 ihrerseits auf Kritik. Denn beispielsweise aus der iranischen Zivilgesellschaft gibt es gerade Forderungen, autoritäre Regierungen für Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung zu ziehen.29
Letztlich müssen Sanktionen im Sinne einer FAP mit Blick auf ihren Nutzen für Ziele wie Menschenrechtsschutz abgewogen werden.
Letztlich müssen Sanktionen im Sinne einer FAP mit Blick auf ihren Nutzen für Ziele wie Menschenrechtsschutz abgewogen werden, da nie gänzlich auszuschließen ist, dass sie sich über die Zielpersonen und ihr direktes Umfeld hinaus auswirken. Die genaue Effektivität von Maßnahmen ist schwer abzuschätzen – zumal die Zwecke von Sanktionen vielfältig sind und sich nicht auf eine Verhaltensänderung bei Zielpersonen oder -gruppen reduzieren lassen. Es geht daher vorrangig erst einmal um den Output und die (potenzielle) Wirkung von Maßnahmen. Um jenseits einer Signalwirkung30 spürbare Effekte zeitigen zu können, müssen Sanktionen umfassend umgesetzt werden.31 Weitere Bemühungen, die Implementierung durch die Mitgliedstaaten – der UN wie der EU – gerade bei gezielten Sanktionen zu verbessern, sollten entsprechend mit Maßnahmen gekoppelt werden, mit deren Hilfe sich negative Folgen für die jeweiligen Gesellschaften abschätzen und eindämmen lassen. Ansätze wie ein systematischer Austausch der Sender von Sanktionen bzw. der umsetzenden Staaten mit dem Privatsektor können im Sinne beider Anliegen genutzt werden.
Fazit
Eine FAP sollte sich eine schützende Sanktionspolitik zum Maßstab nehmen, die auf Friedensförderung und die Verbesserung menschlicher Sicherheit, besonders marginalisierter Gruppen, ausgerichtet ist. Natürlich kann es Konflikte zwischen unterschiedlichen außenpolitischen Zielen geben. Angesichts zunehmender Kontroversen um Menschenrechtsfragen und »Genderpolitik« in internationalen Gremien sowie grundsätzlicher Kritik am Einsatz vor allem unilateraler Sanktionen ist bei einem solchem Ansatz mit Widerständen zu rechnen. Umso wichtiger sind Kriterien, mit deren Hilfe sich im Einzelfall abwägen lässt, ob Sanktionen sinnvoll sind, wo deutsche FAP einen Beitrag leisten kann, aber auch, wie weitreichend und schnell Maßnahmen verabschiedet werden sollten, um eine präventive Wirkung entfalten zu können. Allgemein gilt es, darauf hinzuarbeiten, dass die Sanktionssysteme von EU und UN fairer, transparenter und in ihren Prozessen inklusiver als bisher gestaltet werden. Für deren Glaubwürdigkeit, das Erreichen konkreter Ziele und eine im Sinne von FAP besser austarierte Wirkung ist es darüber hinaus wichtig, andere Perspektiven, etwa aus der Zivilgesellschaft in Zielregionen und -ländern von Sanktionen, in diese Prozesse einzubeziehen. Der flexible Einsatz von Sanktionen entlang der übergeordneten politischen Ziele und die konsequente Verbindung mit anderen, »weichen« Instrumenten sind ebenfalls von Bedeutung. Zudem wäre der Dialog mit Partnerländern zu suchen, die unilateral weitreichende Sanktionen verhängen – insbesondere den USA und Großbritannien –, um unerwünschte Folgen dieser Sanktionen ebenso wie mögliche Ansätze im Sinne einer FAP zu thematisieren.
Anhang
Abkürzungen
AA Auswärtiges Amt
AfT Aid for Trade
AKP Adalet ve Kalkınma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung)
APEC Asia-Pacific Economic Cooperation (Asiatisch-Pazifische Wirtschaftskooperation)
APS/APS+ Allgemeines Präferenzsystem
BDS Boycott, Divestment, and Sanctions
BMAS Bundesministerium für Arbeit und Soziales
BMDV Bundesministerium für Digitales und Verkehr
BMF Bundesministerium der Finanzen
BMFSFJ Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
BMI Bundesministerium des Innern und für Heimat
BMJ Bundesministerium der Justiz
BMWK Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz
BMZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
CEDAW Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women (Frauenrechtskonvention)
CETA Comprehensive Economic and Trade Agreement
DAC Development Assistance Committee (der OECD)
DD&R Disarmament, Demobilisation and Reintegration (Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung)
DSA Digital Services Act (EU)
EU Europäische Union
EZ Entwicklungszusammenarbeit
FAEP Feministische Außen- und Entwicklungspolitik
FAP Feministische Außenpolitik
FEP Feministische Entwicklungspolitik
GATT General Agreement on Tariffs and Trade (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen)
GBA+ Gender-based Analysis Plus
GCR Global Compact on Refugees (Globaler Pakt für Flüchtlinge)
GDC Gobal Digital Compact
GFK Genfer Flüchtlingskonvention
GG Geschlechtergerechtigkeit
GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit
GTGA Global Trade and Gender Arrangement (Vereinbarung zu Welthandel und Gender)
ICRW International Center for Research on Women (Washington, D.C.)
ILO International Labour Organization (Internationale Arbeitsorganisation)
ITAG Inclusive Trade Action Group (Arbeitsgruppe für inklusiven Handel)
KI Künstliche Intelligenz
LSBTIQ+ Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und intergeschlechtliche, Queere und Menschen anderer Orientierungen
MDG Millennium Development Goal (Millenniumsentwicklungsziel)
NAP Nationaler Aktionsplan
Nato North Atlantic Treaty Organization (Nordatlantikpakt)
NGO Non-governmental Organization (Nichtregierungsorganisation)
ODA Official Development Assistance (offizielle Entwicklungszusammenarbeit)
OECD Organisation for Economic Co-operation and Development
OHCHR Office of the High Commissioner for Human Rights (United Nations)
ÖP Östliche Partnerschaft (EU)
ÖPR Östliche Partnerschaft und Russland
OSZE Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
PA Palästinensische Autonomiebehörde
PKK Partiya Karkerên Kurdistanê (Arbeiterpartei Kurdistans)
PLO Palestine Liberation Organization
3R Rechte, Repräsentation, Ressourcen
RSF Rechtsstaatsförderung
SAIS School of Advanced International Studies (The Johns Hopkins University, Washington, D.C.)
SDG Sustainable Development Goal (Nachhaltigkeitsziel)
SIA Sustainability Impact Assessment
SPD Sozialdemokratische Partei Deutschland
SSR Sicherheitssektorreform
TÜİK Türkiye İstatistik Kurumu (Türkisches Statistikamt)
UN United Nations (Vereinte Nationen)
UNCTAD United Nations Conference on Trade and Development (Welthandels- und Entwicklungskonferenz)
UNDP United Nations Development Programme (UN-Entwicklungsprogramm)
UNHCR United Nations High Commissioner for Refugees
USAID U.S. Agency for International Development
USMCA United States–Mexico–Canada Agreement
WEF World Economic Forum (Weltwirtschaftsforum)
WPS Women, Peace and Security (Frauen, Frieden und Sicherheit)
WTO World Trade Organization (Welthandelsorganisation)
YÖK Yükseköğretim Kurulu (Türkischer Hochschulrat)
ZIF Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (Berlin)
Die Autor:innen
Dr. Hürcan Aslı Aksoy
Leiterin des Centrums für angewandte Türkeistudien (CATS) der SWP
Dr. Muriel Asseburg
Senior Fellow in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten
Nadine Biehler
Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen
Dr. Sabine Fischer
Senior Fellow in der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien
Nadine Knapp
Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen
Dr. Anne Koch
Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen
Dr. Gerrit Kurtz
Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten
Dr. Amrei Meier
Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen
Pauline Marie Reineke
Ehemalige Wissenschaftliche Assistentin des Direktors
Dr. agr. Bettina Rudloff
Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe EU / Europa
Prof. Dr. Dr. h. c. Peter-Tobias Stoll
Universität Göttingen, Gastwissenschaftler in der Forschungsgruppe Globale Fragen
Martha Stolze
Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe »Plattform-Algorithmen and Digitale Propaganda« am Weizenbaum-Institut, Berlin
Dr. Judith Vorrath
Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik
Dr. Azadeh Zamirirad
Stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten
Dr. Claudia Zilla
Senior Fellow in der Forschungsgruppe Amerika
Literaturhinweise
Claudia Zilla
Feministische Außenpolitik.
Konzepte, Kernelemente und Kontroversen
Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, August 2022 (SWP-Aktuell 50/2022), doi: 10.18449/2022A50
Azadeh Zamirirad
Zeit für eine andere Iranpolitik.
Wie Deutschland Weichen für einen feministischen Ansatz stellen kann
Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, März 2023 (SWP-Aktuell 16/2023), doi: 10.18449/2023A16
Claudia Zilla
Neuausrichtung der Außenpolitik.
Feministische Außen- und Entwicklungspolitik in Ressortpapieren und in der Debatte
Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, März 2023 (SWP-Aktuell 21/2023), doi: 10.18449/2023A21
Endnoten
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Karin Aggestam/Annika Bergman Rosamond, »Feminist Foreign Policy 3.0: Advancing Ethics and Gender Equality in Global Politics«, in: SAIS Review of International Affairs, 39 (2019) 1, S. 37–48, <https://muse.jhu.edu/article/733457> (Zugriff am 20.5.2023).
- 2
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Auswärtiges Amt (AA), Feministische Außenpolitik gestalten. Leitlinien des Auswärtigen Amts, Berlin 2023, <https://bit.ly/ 3rlriHK> (Zugriff am 20.5.2023).
- 3
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Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Feministische Entwicklungspolitik. Für gerechte und starke Gesellschaften weltweit, Berlin 2023 <https://bit.ly/3LrYPa3> (Zugriff am 20.5.2023).
- 4
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Damit hat die Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag für die Jahre 2021 bis 2015 eine erste konzeptionelle Ausgestaltung erfahren: »Gemeinsam mit unseren Partnern wollen wir im Sinne einer Feminist Foreign Policy Rechte, Ressourcen und Repräsentanz [sic!] von Frauen und Mädchen weltweit stärken und gesellschaftliche Diversität fördern. Wir wollen mehr Frauen in internationale Führungspositionen entsenden, den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 ambitioniert umsetzen und weiterentwickeln.« Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), Bündnis 90/Die Grünen und den Freien Demokraten (FDP), Berlin, 7.2.2021, S. 114.
- 5
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Ausgewählte Beispiele aus den FAP-Leitlinien: »Die Leitlinien des Auswärtigen Amts sind als lebendiges Dokument angelegt. Sie sind offen für Ideen und Veränderung, für Kritik und Korrektur« (S. 14). »Die folgenden Leitlinien konkretisieren dies. Sie sind nicht abschließend formuliert, sondern als ›work in progress‹« (S. 20). »Die Gesprächsfäden in Wissenschaft und Zivilgesellschaft, die wir bei der Erarbeitung dieser Leitlinien geknüpft haben, wollen wir fortspinnen. Wir werden deshalb ein Forum für einen kritischen Austausch mit Expert*innen zu allen Fragen feministischer Außenpolitik schaffen« (S. 80). Ausgewählte Beispiele aus der FEP-Strategie: »Das BMZ und die Durchführungsorganisationen streben eine Verbesserung der Evidenzgrundlage zur feministischen Entwicklungspolitik an und nutzen diese systematisch für die Politikgestaltung und Implementierung. Dazu wird das BMZ Analysen und Studien durchführen lassen und diese nach feministischen Prinzipien ausrichten, um die feministische Entwicklungspolitik kontinuierlich zu verbessern« (S. 29).
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Gendersensibel und gendertransformativ sind mit GG1 und GG2 nicht gleichzusetzen. Die letzteren Begriffe orientieren sich an Markern des Ausschusses für Entwicklungshilfe (DAC) der OECD zu gender equality policy bzw. der Kennung Geschlechtergerechtigkeit (GG), qualitativ-statistischen Instrumenten zur Erfassung von Entwicklungsaktivitäten, die Gleichberechtigung der Geschlechter als politisches Ziel verfolgen. GG2 weist darauf hin, dass die Geschlechtergerechtigkeit das Hauptziel des Projekts/Programms und für die Konzeption und die erwarteten Ergebnisse von grundlegender Bedeutung ist. Ohne dieses Ziel wäre das Projekt/Programm nicht durchgeführt worden. GG1 bedeutet, dass Gendergerechtigkeit ein wichtiges und bewusstes Ziel ist, aber nicht der Hauptgrund für die Durchführung des Projekts/Programms. GG0 zeigt an, dass das Projekt/Programm anhand des Gender-Markers geprüft wurde, aber nicht auf die Gleichstellung der Geschlechter zielt. Vgl. DAC gender equality policy marker, <https://bit.ly/468SDvA> (Zugriff am 20.5.2023).
- 7
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Jessica Cheung u. a., Practicing Feminist Foreign Policy in the Everyday: A Toolkit, Berlin: Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit Deutschland, November 2021, <https:// bit.ly/48tMOuS> (Zugriff am 20.5.2023).
- 8
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Die Autor:innen dieser Studie bedanken sich bei den Teilnehmenden des Workshops für die wertvollen Kommentare und Anregungen.
- 9
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Einige der folgenden Abschnitte sind an zwei Publikationen derselben Autorin angelehnt: Claudia Zilla, Feministische Außenpolitik. Konzepte, Kernelemente und Kontroversen, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, August 2022 (SWP-Aktuell 50/2022), doi: 10.18449/2022A50, sowie dies., Neuausrichtung der Außenpolitik. Feministische Außen- und Entwicklungspolitik in Ressortpapieren und in der Debatte, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, März 2023 (SWP-Aktuell 21/2023), doi: 10.18449/2023A21.
- 10
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Diese ist eine deskriptiv-analytische Definition von FAP. Darüber hinaus gibt es umfassende normative Definitionen; siehe Lyric Thompson u. a., Toward a Feminist Foreign Policy in the United States, Washington, D.C.: International Center for Research on Women (ICRW), 2020, <https://bit.ly/48jeAdh> (Zugriff am 20.5.2023), und Cheung u. a., Practicing Feminist Foreign Policy [wie Fn. 7].
- 11
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Siehe dazu den Beitrag von Pauline Reineke/Claudia Zilla in dieser Studie, S. 21ff.