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Ein CO2-Grenzausgleich für den Green Deal der EU

Funktionen, Fakten und Fallstricke

SWP-Studie 2021/S 09, 05.07.2021, 45 Seiten

doi:10.18449/2021S09

Forschungsgebiete

Dr. Susanne Dröge ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Globale Fragen.

  • Im Rahmen des Green Deal erwägt die EU die Einführung eines CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) für Importe, damit sie ihre ehr­geizigen klimapolitischen Ziele erreichen kann, ohne dass energieinten­sive Sektoren ihre Emissionen ins Ausland verlagern (Carbon Leakage).

  • Der CBAM sieht die virtuelle Anbindung der EU-Handelspartner an das Emissionshandelssystem der EU (EU ETS) vor – und wird von ihnen entsprechend kritisch beurteilt. Denn der CBAM wird ihre Produkte bei der Einfuhr durch Einpreisung der CO2-Kosten verteuern. Um wie viel, wird in dieser Studie für drei Sektoren – Zement, Stahl und Strom – exemplarisch durchgerechnet.

  • Ein CBAM generiert Einnahmen. Der Umgang damit spielt für die WTO-konforme Ausgestaltung eine wichtige Rolle. Davon ist nur dann aus­zugehen, wenn die Einnahmen konsequent an den Zweck gebunden werden, klimapolitische Maßnahmen im In- und Ausland zu finanzieren.

  • Ein CBAM wirkt als klimapolitischer Hebel. Je mehr Staaten mit der EU in der Klimapolitik zusammenarbeiten, desto geringer wird der Bedarf, das Instrument auch einzusetzen. Ist er erfolgreich, wird der CBAM über­flüssig.

  • Damit die klimapolitische Maßnahme handelsrechtlich durchzusetzen ist, muss sie mit den WTO-Regeln in Einklang gebracht werden. Das schließt Sonderregeln für Entwicklungsländer ein. Zudem sollte das Gerechtigkeits­prinzip (CBDR&RC) des UN-Klimaregimes beachtet werden, das den Entwicklungs- und Schwellenländern geringere Beiträge zum Klimaschutz abverlangt als den Industrieländern.

  • Die EU und die Mitgliedstaaten müssen sich darauf einstellen, dass es zu einer Sanktionsdynamik kommen könnte, wenn sie es versäumen, mit ihren Handelspartnern intensive Gespräche zu führen, in denen sie ihr Vorgehen erklären und über Details der Anwendung sowie Aus­nahmen verhandeln. Das erfordert Fingerspitzengefühl, Klarheit und ein hohes Maß an Abstimmung mit den Partnerländern.

Inhaltsverzeichnis

1 Problemstellung und Empfehlungen

2 Was soll und was kann ein CO 2 -Grenzausgleich erreichen?

2.1 »Fit for 55« – neue EU-Gesetzesvorhaben und der CBAM

2.2 Carbon Leakage als unerwünschter Nebeneffekt nationaler Klimapolitik

2.3 Die Funktionen eines CO 2 -Grenzausgleichs

2.3.1 Änderung der Verursacherlogik

2.3.2 Klimapolitischer Hebel

2.3.3 Vermeidung von Carbon Leakage durch faire Wettbewerbsbedingungen

2.3.4 Erzielung von Einnahmen

2.3.5 Einseitiger Grenzausgleich als Zollschutz für grüne Industriepolitik

2.4 Der CBAM der EU

2.5 Das Problem der Treffsicherheit

3 Grundsätzliche Überlegungen zur Ausgestaltung eines CO 2 -Grenzausgleichsmechanismus

3.1 WTO-Kompatibilität: (rechtliche) Leitplanken

3.1.1 Nichtdiskriminierung und Ausnahmeregelung des GATT

3.1.2 Subventionen – anfechtbar oder verboten?

3.2 Sonderregelungen für Entwicklungsländer

4 Empfehlungen und Vorhaben zur Ausgestaltung eines CBAM

4.1 Auswirkungen auf Handelspartner der EU für Stahl, Zement und Strom

4.1.1 EU-27-Stahlimporte

4.1.2 Berechnungen eines CBAM für Stahlimporte

4.1.3 EU-27-Zementimporte

4.1.4 Berechnungen eines CBAM für Zementimporte

4.1.5 EU-27-Stromimporte

4.1.6 Berechnungen eines CBAM für Stromimporte

4.1.7 Einordnung der Beispielrechnungen

5 Potenziale und Fallstricke

5.1 Potenziale des CBAM

5.2 Fallstricke des CBAM

5.3 Reaktionen der Handelspartner

5.4 Ein Projekt für die transatlantische Klima-Kooperation?

5.5 Lehren aus der diplomatischen Krise beim Luftverkehrs-ETS 2012

6 Ausblick

7 Anhang

7.1 Anhang 1

7.2 Anhang 2

7.3 Szenarien für einen EU CBAM je nach freier Zuteilung von Emissionszertifikaten und CO 2 -Preisen

7.4 Anhang 3 CBAM-Berechnungsmethode an den Beispielen Stahl, Zement und Elektrizität                  

7.4.1 Berechnungen für die Schätzung eines jährlichen Betrags für den EU CBAM

7.5 Abkürzungen

7.6 Literaturhinweise

Problemstellung und Empfehlungen

Die Europäische Union hat sich neue Klimaziele für 2030 und 2050 gesetzt. Sie sind als Teil des Green Deal von 2019 ambitionierter als vorher und orien­tieren sich an den im Pariser Klimaabkommen beschlossenen globalen Temperaturzielen. Um diese zu erreichen, soll wie bisher der Emissionshandel als wichtiges Instrument genutzt werden. Der CO2-Preis aus dem Handel mit Emissionsberechtigungen wird daher steigen. Davon sind vor allem Unternehmen aus energieintensiven Sektoren wie Zement oder Stahl betroffen. Da sie im internationalen Wettbewerb stehen, besteht das Risiko, dass sie ihre Produktion und damit die CO2-Emissionen in Nicht-EU-Länder verlagern, was als Carbon Leakage bezeichnet wird. Bisher erhielten die Unternehmen kostenlose Emis­sionszertifikate, damit es nicht zu Carbon Leakage kommt. Die Kommission schlägt nun vor, im Zuge der legislativen Umsetzungen ein neues Instrument einzuführen: einen CO2-Grenzausgleichsmechanis­mus (CBAM), der Einfuhren in die EU mit einer Ab­gabe belastet, die ihrem CO2-Gehalt entspricht. Inter­national findet dieser Plan viel Aufmerksamkeit: Zwar erwägen manche Länder ein ähnliches Vorge­hen. Es überwiegen aber Skepsis und Ablehnung aus Furcht vor Protektionismus. Der Gesetzesentwurf für den CO2-Grenzausgleich wird im Juli 2021 vorgestellt, die Einführung des CBAM ist für 2023 geplant.

Ob es tatsächlich zur Anwendung eines CO2-Grenz­ausgleichsmechanismus durch die EU kommen wird, ist dennoch offen. Neben einem Überblick über die aktuellen Pläne gibt die Studie Empfehlungen für das weitere Vorgehen, sowohl mit Blick auf die Ausgestaltung des Instruments als auch in Bezug auf dessen politische Funktionen. Diese beschränken sich nicht allein auf einen Ausgleich der internationalen Wett­bewerbswirkungen steigender CO2-Kosten. Die EU kann der internationalen Klimapolitik damit auch neuen Schub verleihen. Seit der im Jahr 2020 erfolg­ten Ankündigung eines CBAM haben viele Handelspartner der EU bereits reagiert – entweder mit kritischer Nachfrage, klarer Ablehnung oder mit An­kündigungen eigener klimapolitischer Pläne. Einer konstruktiven Reaktion stehen jedoch klima- und han­delspolitische Risiken im Weg, wenn es nicht gelingt, das Instrument ausreichend zu erläutern, Transparenz über die Berechnungsgrundlagen her­zustellen und sich auf gemeinsame Interessen in der Klima- und Handelspolitik zu konzentrieren.

Die EU muss folgende Rahmenbedingungen berücksichtigen: Die WTO-Regeln setzen eindeutige Leitplanken, und die Gesetzgeber werden sich daran halten müssen, wenn sie die rechtlichen Risiken minimieren und das internationale Handelssystem nicht über die Maßen belasten wollen. Auch das UN-Klimaregime enthält Vorgaben, vor allem für einen fairen Umgang mit Entwicklungsländern. Da der CBAM an den Emissionshandel der EU angelehnt werden soll, wird er nur auf Güter bestimmter Sek­to­ren entfallen, nicht auf alle Güter, welche die EU ein­führt. Die Studie zeigt anhand von Beispielrechnun­gen für die drei Branchen Stahl, Zement und Elek­tri­zität, auf welche Summen sich ein CBAM für Importe aus den Top-Handelspartnerländern der EU‑27 jähr­lich belaufen könnte. Angegeben werden in diesen Rechnungen Spannen, bei denen sowohl die ver­blei­bende kostenlose Zuteilung von Zertifikaten an EU-Unternehmen als auch der CO2-Preis in der EU-27 variiert. Ein CO2-Preis in den Herkunftsländern wird angerechnet. Diese Zahlen illustrieren zum einen die Preiserhöhung, die sich hypothetisch für importierte Waren ergeben würde, zum anderen handelt es sich um potenzielle Einnahmen für die EU. Für die Her­kunftsländer sind dies Geldflüsse, die sie mit einer entsprechenden CO2-Bepreisung selbst vereinnahmen könnten.

Zu den außenwirtschaftspolitischen Potenzialen wie Fallstricken des CBAM gehört offenkundig seine sofortige Wirkung auf den Produktpreis ausländischer Anbieter, die keinem oder einem geringeren CO2-Preis unterliegen. Wichtige Handelspartner der EU begegnen den CBAM-Plänen bislang daher vor allem zurückhaltend bis ablehnend. Das liegt zum einen an der noch offenen Ausgestaltung des Instru­ments, zum anderen aber daran, dass jegliche Maß­nahmen, die den Handel beschränken könnten, Ab­wehrreaktionen auslösen. Nach Jahren der handelspolitischen Konfrontationen zwischen der EU und den USA sowie der EU und China ist die Stimmung ohnehin gereizt; allein als EU-interne Klimapolitikmaßnahme wird sich die CBAM-Planung daher den Betroffenen gegenüber nicht vermitteln lassen. Die EU und die Mitgliedstaaten müssen sich darauf ein­stellen, dass es zu einer Sanktionsdynamik kommen könnte, wenn die EU es versäumt, mit ihren Handelspartnern intensive Gespräche zu führen, in denen sie ihr Vorgehen erklärt und über Details der Anwen­dung verhandelt.

Aus klimapolitischer Sicht ist das Instrument folg­lich sowohl Zuckerbrot als auch Peitsche. Ein voll­ständiges Aussetzen gegenüber einzelnen Handelspartnern, allen voran den USA, wäre denkbar. Gegen­über China kann ein CBAM dagegen Druck aufbauen mit dem Ziel, dass Peking seine Emissionsdaten trans­parenter als heute offenlegt, konkrete Maßnahmen zur Senkung der Emissionen ergreift und seine Dum­ping-Praktiken im Stahlhandel abbaut. Allerdings droht mit einer harten Haltung der EU in dieser Frage die Klimakooperation insgesamt Schaden zu nehmen. Auch mit handelspolitischen Gegenreaktionen Pekings wäre zu rechnen.

Was soll und was kann ein CO2-Grenzausgleich erreichen?

Die internationale Kooperation in der Klimapolitik stand in den letzten Jahren auf sehr wackeligem Fun­dament. Die Europäische Kommission hat 2019 mit ihrem Green Deal eine mehr als fünfzig Maßnahmen umfassende Agenda vorgelegt, welche die Klima- und Umweltpolitik mit den Zielen der Wirtschaftspolitik verbinden soll1 und 2020 in die EU-Pläne für eine wirt­schaftliche Erholung nach der Pandemie einfloss. Zu den Umsetzungsvorhaben zählt eine CO2-Abgabe auf Importgüter, die als besonders klimabelastend gelten. Die weiteren Schritte der EU auf dem Weg dort­hin spielen sich 2021 in einem veränderten internationalen Umfeld ab, denn aufgrund der Rück­kehr der Vereinigten Staaten in das Pariser Klima­abkommen werden die Aussichten günstiger, dass sich die klimapolitische Zusammenarbeit verbessert.2

»Fit for 55« – neue EU-Gesetzesvorhaben und der CBAM

Zum Kern des Green Deal gehört eine Verschärfung der EU-Klimaziele. Damit stellte sich die Kommission 2019 dem weltweit zu beobachtenden Nachlassen der klimapolitischen Kooperationsbereitschaft entgegen und wollte an ihre Rolle als Vorreiterin in der Klima­politik anknüpfen. Die Klimaziele der EU – bis 2030 um 55 Prozent geringere Treibhausgasemissionen als 1990 und Klimaneutralität bis 2050 – leitet die Kom­mission aus den im Pariser Klimaabkommen be­schlossenen globalen Temperaturzielen ab. Im Dezem­ber 2020 fällte der Europäische Rat einen ent­sprechenden Beschluss.3 Für Juli 2021 hat die Kom­mission erste Gesetzesvorlagen zur Umsetzung dieser Ziele angekündigt (»Fit for 55«-Paket).

Der Emissionshandel soll wie bisher das wichtigste Instrument zur Zielerreichung sein. Über den euro­päischen Emissionshandel (EU ETS) können die Klima­ziele in weiten Teilen der EU-Wirtschaft umgesetzt werden. Die Gesamtmenge für die jährlichen CO2-Emissionen wird durch eine über die Zeit sinkende Zertifikatmenge limitiert, wodurch der CO2-Preis steigen wird. Darüber hinaus sind bisher die Mitglied­staaten gefordert, in den sogenannten Nicht-ETS-Sektoren Landwirtschaft, Verkehr und Gebäude durch nationale CO2-Bepreisung und Regulierungen die Emis­sionen zu senken. Es steht aber auch zur Diskus­sion, im Zuge des »Fit for 55«-Pakets für diese Sek­toren einen EU-weiten Emissionshandel einzuführen.

Als neues Instrument für die EU-Klimapolitik hat die Kommission den Staats- und Regierungschefs einen CO2-Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) vorgeschlagen, der zum »Fit for 55«-Paket gehören wird. Der CO2-Grenzausgleich soll dafür sorgen, dass es im Zuge steigender CO2-Preise in der EU nicht zu Carbon-Leakage-Effekten kommt. Diese entstehen, wenn Unternehmen ihre Produktion und Investitionen ins Ausland verlagern; damit sinken zwar rein rechnerisch die Emissionen in der EU, nicht aber global. Bis­lang sieht die Emissionshandelsrichtlinie für Unter­nehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen und besonders CO2-intensiv produzieren (energie­intensive Industrien), die freie Zuteilung von Emis­sionsberechtigungen vor. Da diese Zuteilung bis 2030 schritt­weise abgebaut werden soll, entfiele dieser Schutz, sollte es keine anderslautenden Bestimmungen geben.

Für importierte Güter soll ein CO2‑Preis berechnet werden, der dem europäischen entspricht.

Abbildung 1

Bei einem vollständigen CO2-Grenzausgleich würde auf Einfuhren entsprechend ihrer »CO2-Last« an der Grenze eine Abgabe entfallen, für Ausfuhren gäbe es eine Erstattung gezahlter CO2-Preise (vgl. Abbildung 1). Einem konkreten Vorschlag der Kommission zufolge soll das bei der Produktion von Importgütern frei­gesetzte CO2 in Anlehnung an das EU ETS mit einem Preis versehen werden. Ein »virtuelles« ETS würde zur Anwendung kommen, bei dem die Importeure den CO2-Gehalt der Güter bei der zuständigen Behörde melden und dafür den aktuellen, bei der laufenden Auktionierung von CO2-Zertifikaten für EU-Unter­nehmen anfallenden Preis zahlen. Sie nähmen aber nicht am Emissionshandel teil. Außerhalb der EU produzierte Güter – wenn auch nur aus bestimmten Sektoren – würden so mit einem CO2-Preis-Aufschlag belegt, der jenem der EU-Produzenten entspricht.

Die Einführung eines CBAM wurde im Juli 2020 von den Staats- und Regierungschefs bereits grundsätzlich beschlossen.4 Seine Anwendung ist für 2023 geplant. Das Europäische Parlament hat dem Zeitplan im März 2021 zugestimmt.5

Carbon Leakage als unerwünschter Nebeneffekt nationaler Klimapolitik

Durch klimapolitische Maßnahmen ausgelöstes Car­bon Leakage ist eng mit der Frage der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit verknüpft. In der internatio­nalen Klimapolitik gaben die unterschiedlichen Klima­schutzverpflichtungen, die 1997 im Kyoto-Protokoll festgelegt wurden, erstmals Anlass zu der Sorge, dass es zu Carbon Leakage kommen könnte. Industrie- und Transformationsländer (Länder der ehemaligen Sowjetunion) waren zum Klimaschutz verpflichtet, Entwicklungsländer nicht. Es wurde befürchtet, dass klimapolitische Maßnahmen in den großen Volkswirtschaften, vor allem CO2-Preise, die Energiepreise auf dem Weltmarkt durch nachlassende Nachfrage sinken lassen – und letztlich den Ver­brauch ankurbeln würden. Des Weiteren wurde an­genommen, dass Unternehmen ihre Produktion und Investitionen als Reaktion auf steigende klimapolitische Kosten dorthin verlagern würden, wo kaum oder gar kein Klimaschutz betrieben wird. Das Ziel des glo­balen Klimaschutzes würde mit der damit einher­gehenden Verlagerung der Emissionen unterlaufen. Aichele und Felbermayr kommen zu dem Schluss, dass Carbon Leakage nach dem Kyoto-Protokoll eingetreten ist.6

Auch mit dem Pariser Klimaabkommen gehen unterschiedliche (freiwillige) Verpflichtungen zum Klimaschutz einher. Die Vertragsstaaten melden sogenannte nationale Beiträge (NDCs), die sich aller­dings nach Zeitrahmen, Ambitionsniveau und klima­politischen Instrumenten stark unterscheiden.7 CO2-Preise werden inzwischen in 46 Staaten8 erhoben, aber nicht auf gleichem Niveau. Das Carbon-Leakage-Risiko besteht also weiterhin.

Carbon Leakage im engeren Sinne, wie er in den CBAM-Plänen definiert ist, beschreibt folgenden un­erwünsch­ten Nebeneffekt: Unternehmen, für die durch Emissionshandel oder Besteuerung CO2-Kosten entstehen, haben einen Anreiz, aus Wettbewerbsüberlegungen heraus ihre Lieferketten zu verändern, indem sie zum Beispiel CO2-intensive Grundstoffe oder Zwischenprodukte nicht mehr selbst gewinnen oder herstellen, sondern aus Ländern importieren, in denen diese Kosten nicht anfallen (operational leakage). Zudem können Unternehmen dazu übergehen, Inves­titionen ins Ausland zu verlagern, um die CO2-Beprei­sung zu vermeiden (investment leakage). Diese Über­legungen sind auch davon bestimmt, in welchem Maße Unternehmen im internationalen Wettbewerb stehen, denn dieser erschwert es, die CO2-Kosten an die Kunden weiterzugeben.

Die Funktionen eines CO2-Grenzausgleichs

Aus klimapolitischer Sicht hat ein CO2-Grenzausgleich mehrere Funktionen: Er kann erstens dazu dienen, die Verursacherlogik zu ändern, indem man den CO2-Preis nicht mehr anhand der Produktion, sondern des Konsums bemisst. Er kann zweitens klimapolitisch Hebelwirkung gegenüber Staaten entfalten, denen es an Klimaambitionen fehlt. Drittens ist ein CO2-Grenz­ausgleich geeignet, zur Vermeidung von Carbon Leak­age fairen Wettbewerb herzustellen: Die beschriebe­nen Kostenunterschiede zwischen einheimischen, mit einem CO2-Preis belegten Gütern und davon unbelasteten Konkurrenzprodukten aus dem Ausland werden auf diesem Wege angeglichen. Vier­tens lassen sich damit staatliche Einnahmen zur Finanzierung klima­politischer Vorhaben erzielen. Fünftens kann ein einseitiger CO2-Grenzausgleich für Importe als tempo­rärer Zollschutz für die Entwicklung grüner Indus­trien fungieren.

Änderung der Verursacherlogik

Ein CO2-Grenzausgleich kann dafür sorgen, dass bei der Zurechnung von Emissionen an der Konsumseite angesetzt wird statt bei den Emissionsmengen, die von territorialen Produktionsstätten (Energieerzeugung, Industrieanlagen, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft) ausgestoßen werden.9 Dieses Vorgehen wird international immer wieder diskutiert, da die natio­nalen Emissionsbilanzen, die entlang des internationalen Regelwerks10 aufgestellt werden, nicht berück­sichtigen, welche Emissionen die jeweilige Bevölkerung durch ihren Konsum verursacht.11

Um die Grundlage für die Berechnung des CO2-Preises anzupassen, ohne das internationale Bilanzierungssystem für Treibhausgase zu ändern, müsste man also an der Grenze die in den Waren enthaltenen Emis­sionen verrechnen. Importierte Emissionen würden hinzugerechnet, exportierte Emissionen ab­gezogen. Auf die importierten Güter würde der im Importland übliche CO2-Preis erhoben, für die Exporte würde er erstattet. Dadurch würde der gesamte Waren­verkehr einem CO2-Grenzausgleich unterliegen. Dieses Vorgehen wäre vergleichbar mit dem Mehrwertsteuerausgleich nach dem Bestimmungsland­prinzip.

Klimapolitischer Hebel

Wie lassen sich Anreize für Länder setzen, die klima­politisch bislang nicht kooperieren?12 Gegenwärtig erlegt die Bereitstellung eines globalen öffentlichen Gutes (Klimaschutz) mithilfe eines internationalen Abkommens (Pariser Abkommen) jenen Staaten keine Kosten auf, die keinen Beitrag leisten; sie profitieren vielmehr von den Anstrengungen der anderen. Mit einer Abgabe an der Grenze lässt sich dieses Ver­halten sanktionieren. In der spieltheoretischen Litera­tur werden als Hebel immer wieder Handels­maßnah­men ins Feld geführt. Der Vorschlag, eine Grenzabgabe zu diesem Zweck einzuführen, erlebt in den letzten Jahren ein Comeback.13 Auch die Idee von sogenannten Klimaklubs beruht auf diesem Konzept: Die ko­operierenden Parteien (Klubmitglieder) nehmen sich gegenseitig von der Anwendung einer CO2-Grenz­abgabe aus. Darüber hinaus können sie sich weitere gegenseitige Vorteile verschaffen, beispielsweise durch den Zugang zu klimafreundlichen Technologien und Finanzmitteln. Unwillige Parteien hingegen werden mittels CO2-Grenzabgaben sanktioniert oder erhalten keinen Zugang zu Geld und Technologien.14

Vermeidung von Carbon Leakage durch faire Wettbewerbsbedingungen

Die Vermeidung von Carbon Leakage durch Herstellung fairer Wettbewerbsbedingungen fokussiert auf die Neutralisierung der durch nationale CO2-Preise hervorgerufenen Kostenunterschiede für energie­intensive Unternehmen (vgl. Abbildung 1, S. 8). Kon­kurrieren diese Unternehmen im nationalen Markt mit Importen oder auf Drittmärkten mit Anbietern, die keine oder geringere CO2-Kosten tragen müssen, dro­hen sie Marktanteile zu verlieren. Energieinten­sive Unternehmen zahlen in Ländern mit CO2-Preisen sowohl für den Verbrauch CO2-intensiver Materialien (direkte CO2-Kosten) als auch für ihren Energie­konsum (indirekte CO2-Kosten). Wenn sie die zusätz­lichen Kosten über ihren Verkaufspreis auf die Kun­den abwälzen, büßen sie an Wettbewerbsfähigkeit ein, weil die ausländische Konkurrenz diese Kosten nicht hat. Ein CO2-Grenzausgleich würde diesen Unterschied nivellieren, wenn Importe aus energie­intensiven Sektoren ebenfalls unter das Preisregime fallen und die CO2-Kosten von Exportgütern bei der Ausfuhr erstattet würden.15

Erzielung von Einnahmen

Staatliche Einnahmen lassen sich vor allem mit der einseitigen Einführung einer CO2-Grenzabgabe auf Importe generieren. Aber auch mit einem vollständigen Grenzausgleich sind Nettoeinnahmen möglich. Ähnlich wie bei Zöllen und Steuern kann der Erlös in die öffentlichen Haushalte fließen und diese stabi­li­sieren oder dazu genutzt werden, andere (klima­politische) Maßnahmen gegenzufinanzieren. Aus klimapolitischer und handelsrechtlicher Perspektive ist die Begründung eines CO2-Grenzausgleichs mit der Absicht der fiskalischen Einnahmenerzielung aller­dings problematisch. Denn er diente in diesem Fall nicht primär dem Ziel, die weltweiten Emissionen zu senken.16

Einseitiger Grenzausgleich als Zollschutz für grüne Industriepolitik

Im Kontext des Green Deal, mit dem eine industrie­politische Agenda einhergeht, kann ein CO2-Grenz­ausgleich für Importe als Zollschutz fungieren. Wenn eine Industrie in die aufwändige Entwicklung CO2-armer Produktionsverfahren investiert, beispielsweise in die Stahlproduktion auf Basis von grünem, also aus erneuerbaren Energien gewonnenem Wasserstoff, besteht temporär der Bedarf, diese Produkte vor der Konkurrenz durch CO2-intensiv hergestellte Stahl­produkte zu schützen. Diese Idee ist auch bekannt als Infant-Industry-Argument. Demzufolge sollte ein im Aufbau befindlicher Industriezweig so lange durch einen Importzoll oder eine ‑quote geschützt werden, bis er international wettbewerbsfähig geworden ist. Das Infant-Industry-Argument wurde in der Entwicklungsökonomie mit Blick auf kleine und junge Unter­nehmen in Entwicklungsländern ausformuliert.17 Es wird oft als protektionistisch kritisiert, denn der Anreiz ist gering, einen Zoll aufzugeben, sobald eine Industrie die nötige Reife erlangt hat, wenn dadurch staatliche Einnahmen entfallen und die Wettbewerbs­fähigkeit womöglich eingeschränkt wird. Die Frage, ob nationale Industriepolitik in Mitgliedstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) durch einen Zollschutz gute Ergebnisse liefern kann, ist ebenfalls umstritten. Folgt man diesem industriepolitischen Modell, wäre für die EU aufgrund des hohen klimaschutzpolitischen Inno­vationsdrucks ein CBAM für die energieintensiven In­dustriebranchen und für die Entwicklung emissions­armer Flugzeuge denkbar. Allerdings lassen sich neue Technologien auch mit Maßnahmen zur Marktreife bringen, die, wie Forschungsförderung, Finanzierung von Pilotprojekten oder internationale technologische Zusammenarbeit, die Handelsflüsse nicht von vorn­herein beeinträchtigen.

Der CBAM der EU

Nach Plänen der Kommission soll der CBAM der EU jenen Unternehmen faire Wettbewerbsbedingungen verschaffen, die dem EU ETS unterliegen. Der Vor­schlag bezieht sich nur auf den Import und hier auch nur auf bestimmte Produkte, nicht auf alle Güter, die in die EU eingeführt werden. Infrage kommen ledig­lich Güter, die in der EU ebenfalls einem CO2-Preis unterliegen und die zu jenen Sektoren gehören, die einem hohen Carbon-Leakage-Risiko ausgesetzt sind (vgl. dazu Tabelle A.1, S. 37).

Beim Ratsgipfel über den Umgang mit den Pan­demiefolgen haben die Staats- und Regierungschefs 2020 allerdings entschieden, dass ein CBAM 2023 eingeführt wer­den soll, um »eigene Ressourcen« für den EU-Haushalt zu generieren. Bei diesem Beschluss stand also die fiskalische Funktion des CBAM im Vorder­grund.18

Bisher hat die EU das Emissionshandelssystem so ausformuliert, dass jene Unternehmen, die mit einem besonders hohen Leakage-Risiko konfrontiert sind, einen bestimmten Teil der benötigten CO2-Zertifikate kostenlos erhalten – aber mit abnehmender Ten­denz. Mit der freien Zuteilung sollte seit der ersten Fassung der Emissionshandelsrichtlinie von 2003 verhindert werden, dass diese Industrien abwandern. In jeder bisherigen ETS-Periode wurde die Menge der kostenlosen Zertifikate bereits reduziert, und der aktuel­len Emissionshandelsrichtlinie zufolge soll diese Praxis bis 2030 gänzlich auslaufen (Artikel 10b[4]). Verbunden ist diese Ankündigung mit dem Vor­behalt, dass die Emissionshandelsrichtlinie fortlaufend mit Blick auf die internationale Umsetzung des Pariser Abkommens und die Entwicklung der CO2-Märkte in anderen führenden Wirtschafts­nationen überprüft wird (Artikel 30). Dabei werden auch die für die energieintensiven Industrien vor­gesehenen Kompensationsmaßnahmen berücksichtigt (Artikel 30[2]).19 Mit der Reform der Emissionshandelsricht­linie im Zuge des »Fit for 55«-Pakets kommen diese Punkte erneut auf den Prüfstand.

Für den CBAM sah der erste Kommissionsvorschlag vom März 202020 drei mögliche Anknüpfungspunkte vor: die Einführung einer Steuer, die dann als Grenz­steuerausgleich für Importe erhoben wird, die Ein­führung eines Zolls oder die Aufnahme von Importen in das EU ETS. Infrage kam demnach sowohl eine reguläre Teilnahme am ETS, wie sie für europäische Unternehmen Pflicht ist, als auch die Einführung eines Zertifikatsystems für Importeure, das getrennt vom EU ETS eingerichtet wird (»virtuelles« ETS). Der im Juni 2021 bekannt gewordene Entwurf für den CBAM enthält nur noch diese Variante, also eine virtuelle Anwendung des EU ETS auf importierte Güter.21 Zudem wurde aus Kommissionskreisen mehr­fach betont, dass der CBAM als Ersatz für die freie Zuteilung vorgesehen sei.22

Das Europäische Parlament hat in einem Bericht einen eigenen CBAM-Vorschlag verabschiedet.23 Darin findet sich ebenfalls die Erweiterung des EU ETS auf Importe. Die Abschaffung der freien Zuteilung von Zertifikaten an Carbon-Leakage-trächtige Sektoren fin­det aber bislang nicht die Zustimmung der Ab­geordneten.24

Das Problem der Treffsicherheit

Damit der Anreiz für Unternehmen, ihre Produktion auszulagern, durch den CBAM geschwächt wird, muss die Maßnahme treffsicher sein. Carbon Leakage kann durch verschiedene Faktoren ausgelöst werden, die wie­derum von Sektor zu Sektor und von Unternehmen zu Unternehmen differieren.25

Je leichter ein Unternehmen die CO2-Kosten an seine Abnehmer weitergeben kann (cost pass-through), desto geringer ist das Risiko für Carbon Leakage. In die Ermittlung der Carbon-Leakage-Liste der EU flie­ßen sowohl die Emissionsintensität ein – die be­stimmt, wie hoch die CO2-Kosten letztlich für einen Sektor ausfallen – als auch der Grad des internationalen Wettbewerbs (vgl. Tabelle A.1, S. 37f). Ob ein Unternehmen die CO2-Kosten zunächst auch ohne Leakage-Schutz auffangen könnte, hängt von einer Reihe weiterer Faktoren ab. Dazu gehören die Höhe des CO2-Kostenanteils an den gesamten Betriebs­kosten, der Auslastungsgrad der Anlagen, die verti­kale Integration von Produktionsverfahren und die Flexi­bilität, an anderen Kostenstellen zu sparen. Hinzu kommen Fragen nach alternativen Produk­tionstechnologien, bei denen weniger CO2 anfällt, und deren Verfügbarkeit bzw. den damit einher­gehenden Investitionen.

Die Treffsicherheit einer einzelnen Anti-Leakage-Maßnahme kann daher nicht für alle Sektoren garan­tiert sein. Die großzügige freie Zuteilung in den ers­ten Handelsperioden des EU ETS hat Carbon Leakage zwar verhindert,26 geriet aber in die Kritik, weil damit den energieintensiven Branchen der Anreiz für klima­freundliche Investitionen weitgehend genommen wurde – zumal zeitweise der CO2-Preis nur bei fünf Euro pro Tonne lag.

Bei komplexen Produktionsprozessen wirkt freie Zuteilung besser als eine Grenzabgabe.

Komplexen Produktionsprozessen kann eine freie Zuteilung jedoch eher gerecht werden als eine Grenz­abgabe. In der chemischen Industrie beispielsweise sind die Produktionsprozesse vieler Erzeugnisse sehr eng verflochten. Daher betrifft die Eindämmung zu­sätz­licher Kosten auch viele Produktionsstränge. Der An­reiz bestünde für diese Industrie deshalb eher darin, gleich ganze Großanlagen zu verlagern statt einzelner Teile, will man CO2-Kosten vermeiden.27 Im Gegensatz dazu kann man bei der Zementproduktion sehr wohl den CO2-intensiven Teil, die Produktion von Klinker, auslagern und so von den nachgelagerten Prozessen trennen, um CO2-Kosten zu sparen. Im Stahlsektor wiederum gibt es zunächst einmal zwei Wege, Roh­stahl herzustellen: basierend auf Koks im Hochofenverfahren und basierend auf Strom in Elek­trolicht­bogenöfen. Letztere sind, wenn sie mit er­neuerbaren Stromquellen betrieben werden, deut­lich CO2-sparender als Hochöfen, verwenden aber aus­schließlich recyceltes Material, so dass diese Produktionsroute jene aus Hochöfen nicht vollständig erset­zen kann. Hier entstehen mit einem CO2-Preis also gegebenenfalls starke Anreize, die Produktion ins Aus­land zu verlagern.

Die Erfahrungen mit der anfänglich sehr groß­zügigen freien Zuteilung von Zertifikaten im EU ETS haben seit 2005 dazu geführt, dass von den EU-Unter­nehmen kaum Carbon Leakage ausging. Allerdings haben einige wenige Unternehmen dennoch Produk­tionsteile ausgelagert (insbesondere Zementklinker), ohne dass ihre Zuteilung entsprechend reduziert wurde. Dadurch entstanden Mitnahmeeffekte. Auch bestehen wie erwähnt nur schwache Anreize, in tech­nologische Innovationen zu investieren, wenn es kos­tenlose Zertifikate gibt. Die europäischen Gesetzgeber haben deshalb die kostenlose Zuteilung im EU ETS weiter gekürzt; nur die besten 10 Prozent der Anlagen eines Sektors erhalten die freien Zertifikate noch in voller Höhe. Mittels Produkt-Benchmarks und Korrek­turfaktoren wird die Zuteilung weiter angepasst.

Vor allem Unternehmen, die kostenlose Zertifikate erhalten, um international wettbewerbsfähig zu blei­ben, bemängeln, dass ein CBAM nur für Im- und nicht für Exporte weniger treffsicher sei als die freie Zuteilung. Beschränke er sich nur auf wenige Grund­stoffsektoren, würden zudem die entlang der Wert­schöpfungskette entstehenden Produkte – also die weiterverarbeiteten Produkte der Stahl-, Zement- und weiterer energieintensiver Branchen – nicht erfasst. Gleichzeitig müssten die Unternehmen auf die freien Zertifikate verzichten. Stede u. a. verweisen darauf, dass dann in den weiteren Verarbeitungsstufen die einheimischen Produkte Gefahr laufen, durch Im­porte ersetzt zu werden, welche nicht unter den CBAM fallen.28

Aus klimapolitischer Sicht sollte die Frage im Vor­dergrund stehen, ob die dem CBAM unterliegenden Sektoren EU- und weltweit wesentlich zu den CO2-Emissionen beitragen und für die nächste Stufe der Dekarbonisierung relevant sein werden. Dabei geht es um grundsätzliche Änderungen der Produktionsverfahren in der Schwerindustrie und weiteren Bran­chen und darum, wie sich diese Ziele in die inter­natio­nalen Verhandlungen mit weiteren Vertragsstaaten des Pariser Abkommens einbinden lassen. Verbindliche Sektorabkommen, in denen Staaten und die Unternehmensvertreter eines Industriezweigs Klimaziele verabreden, bieten sich für eine gezieltere Zusammenarbeit an.

Zur Erreichung der hoch gesteckten Klimaziele, die sich die EU gesetzt hat, gewinnen technische Innova­tionen nun an Dringlichkeit. Vor allem die energie­intensiven Sektoren und die Luftfahrt sind auf der Suche nach Durchbrüchen. Eine Lenkung allein durch steigende CO2-Preise in der EU wird dazu nicht aus­reichen; vielmehr müssen sich die Industrienationen weltweit im Interesse der Umsetzung des Pariser Abkommens sowohl bei der CO2-Bepreisung stärker engagieren als auch strengere Standards für CO2-Intensitäten setzen.29 Die EU unterfüttert die Dekar­bonisierung im Rahmen des Green Deal daher mit weiteren Unterstützungsprogrammen. Mit dem Ziel, bis 2050 klimaneutral zu wirtschaften, dem sich immer mehr Unternehmen anschließen, ist der Druck gestiegen, Forschung und Entwicklung in Richtung CO2-reduzierter oder gar -neutraler Ver­fahren voranzutreiben. Ein CBAM, der den CO2-Preis der EU auf Importe anwendet, ist somit Teil einer Innovations- und Transformationsagenda, die in dieser Dimension neu ist.

Grundsätzliche Überlegungen zur Ausgestaltung eines CO2-Grenzausgleichsmechanismus

Für die Ausgestaltung eines CO2-Grenzausgleichs­mechanismus sollten seine Funktion klar definiert und die Regeln der Welthandelsorganisation als juristische Grundlage handlungsleitend sein, damit die Handelspolitik auf Dauer dem Klimaschutz nicht im Weg steht. Soll ein CO2-Grenzausgleich Carbon Leakage verhindern, müssen die Klimaschutzeffekte nachgewiesen werden können. Die verwendeten Datengrundlagen sollten also bestimmte Qualitäts­kriterien erfüllen. Die in diesem Abschnitt angeführten Überlegungen zu einem Design orientieren sich an den Leitplanken, die sich aus den WTO-Regeln ergeben.30 Wo sich diese nicht einhalten lassen oder wo – wie im Falle der EU-Gesetzgebung – die Kon­kretisierungen noch ausstehen, treffen wir in dieser Studie Annahmen, so dass eine Blaupause für den EU CBAM erstellt werden kann. Die Grundprinzipien des inter­nationalen Klimaregimes, wie sie in der United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) und dem Pariser Abkommen festgelegt sind, finden ebenfalls Eingang in die Überlegungen.

Die Höhe der zu erwartenden jährlichen CO2-Grenz­abgaben, welche auf die Einfuhren aus ein­zelnen EU-Handelspartnerländern entfallen werden, hängt sodann von den Handelsdaten und den CO2-Werten ab, die mit den gehandelten Gütern in Ver­bindung stehen. Anhand der jüngsten Handelsdaten, der CO2-Intensitäten, CO2-Preisannahmen und ver­schiedener Größen für die freie Zuteilung für die Sektoren Stahl, Zement und Elektrizitätserzeugung lassen sich verschiedene Szenarien entwickeln und Spannbreiten für den Gesamtbetrag des CBAM für die jeweiligen Top-Handelspartner der EU schätzen. Darum wird es im nächsten Kapitel gehen.

WTO-Kompatibilität: (rechtliche) Leitplanken

Um den CBAM in Einklang mit den WTO-Regeln zu bringen, müssen eine Reihe von Kriterien erfüllt wer­den, die sich aus den Prinzipien des internationalen Handelsrechts ableiten. Handelsrechtliche Begriffs­definitionen sind ebenfalls zu beachten. Grundsätzlich gilt, dass ein CO2-Preis, der in gleicher Weise für ein inländisches Produkt wie an der Grenze erhoben werden soll, als »Steuer« definiert werden sollte.31 Ein Grenzsteuerausgleich (border tax adjustment) ist han­dels­rechtlich zulässig. Ein erster Schiedsgerichts­bericht im Rahmen des Allgemeinen Zoll- und Han­dels­abkommens (GATT) zu Grenzsteuern, der dies bestätigt, wurde bereits 1952 vorgelegt. Würde eine CO2-Grenzabgabe ohne ein nationales CO2-Preis-Äqui­valent erhoben, würde dies als »Zoll« im Sinne des Handelsrechts gelten.32 Die Einführung neuer Zölle oder die Erhöhung vorhandener gebundener Zölle unter WTO-Regime bedarf neuer Ver­handlungen und kann zu Entschädigungsforderungen oder Strafzöllen der Handelspartner führen.

Die EU hat 2005 einen CO2-Preis eingeführt, einzelne EU-Mitgliedstaaten wie Schweden erheben zu­sätzlich eine CO2-Steuer. Für den CBAM ist vor allem noch ungeklärt, ob der CO2-Preis, der aus dem EU ETS hervorgeht, als »Steuer« nach Artikel III, Abschnitt 2 GATT definiert werden kann. Wäre dies möglich, könn­te der CBAM als »Grenzsteuer« gelten und in Ein­klang mit den Nichtdiskriminierungsregeln angewen­det werden.33

Nichtdiskriminierung und Ausnahmeregelung des GATT

Für die Ausgestaltung des CBAM sind zwei Prinzipien des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens lei­tend. Zum einen gilt die Nichtdiskriminierung an der Grenze nach Artikel I (GATT). Alle WTO-Mitglied­staaten, aus denen ein »gleichartiges« Produkt in die EU geliefert wird, sind nach dem in Artikel I formu­lierten Meistbegünstigungsprinzip zu behandeln. Das bedeutet, dass von zwei gleichartigen Produkten aus zwei unterschiedlichen WTO-Mitgliedstaaten an der EU-Grenze keines aus Gründen benachteiligt werden darf, die sich auf das Herkunftsland beziehen.34 Die »Gleichartigkeit« der Güter richtet sich nach vier Kri­terien: physische (»produktbezogene«) Eigenschaften, finaler Nutzungszweck, Zollklassifizierung und Kon­sumentenpräferenz.35

Zum anderen gilt die Nichtdiskriminierungsregel auch im Wettbewerb mit gleichartigen EU-Gütern, sobald ein Im­portprodukt in der EU auf den Markt kommt (Artikel III GATT, Inländergleichbehandlung). Das Diskriminie­rungsverbot beinhaltet die steuerliche Behandlung sowie andere mögliche Formen der Benachteiligung. Eine CO2-Grenzabgabe darf ein Importprodukt also nicht mit vergleichsweise höheren CO2-Kosten belas­ten als ein gleichartiges Produkt, das in der EU her­gestellt und verkauft wird.

Ausnahmeregelungen des GATT können ebenfalls geprüft werden.

Sollte der CBAM gegen die beiden Nichtdiskriminie­rungsregeln des GATT verstoßen, kann als weite­rer Schritt geprüft werden, ob Ausnahmeregeln greifen. Hier­zu gehören die allgemeinen Ausnahmeregeln des Artikels XX (GATT), Ausnahmen für Entwicklungs­länder, Ausnahmegenehmigungen (sogenannte Waivers) und Schutzmaßnahmen nach Artikel VI (unter anderem Dumping).

Artikel XX (GATT) enthält mehrere Optionen zur Aussetzung der Nichtdiskriminierungsregeln. In der einschlägigen Literatur36 wird vor allem auf die Arti­kel XX (b) und (g) verwiesen sowie auf die bestehenden Schiedsgerichtsurteile der WTO, die diese beiden Artikel auslegen. Artikel XX (b) erlaubt Maßnahmen, die zum »Schutz der Gesundheit von Menschen, Tie­ren und Pflanzen« erforderlich sind. Artikel XX (g) verlangt, dass die Maßnahme der Erhaltung einer erschöpfbaren natürlichen Ressource dient und sich daraus ergibt, dass sie mit Beschränkungen für Pro­duktion und Konsum im Inland zusammenhängt. Darüber hinaus könnten auch Artikel XX (a) – Maß­nahmen zum Schutz der öffentlichen Moral – oder XX (d) – Maßnahmen zur Sicherstellung der Anwen­dung von Gesetzesbestimmungen und Verwaltungsvorschriften, die mit den Bestimmungen des GATT nicht unvereinbar sind – einer juristischen Prüfung standhalten. Bei Anwendung von Artikel XX (d) wäre die Umsetzung des Pariser Abkommens als Begründung heranzuziehen.37

Macht man die Optionen aus Artikel XX für einen CO2-Grenzausgleich geltend, muss allerdings die Maß­gabe des Chapeau aus Artikel XX eingehalten werden: Ein CO2-Grenzausgleich darf nicht zu einer willkür­lichen oder nicht zu rechtfertigenden Unterscheidung zwischen Staaten führen, in denen die gleichen Ver­hältnisse bestehen. Auch darf er keine verdeckte Be­schränkung des internationalen Handels nach sich ziehen.38

Subventionen – anfechtbar oder verboten?

Geht es um die Anwendung des CBAM auch auf Ex­porte mittels Erstattung der CO2-Kosten sowie um die Fortsetzung der freien Zuteilung39 von Zertifi­katen im EU ETS, spielen das WTO-Übereinkom­men über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen (ASCM), das Subventionen definiert, sowie das in Arti­kel XVI, Absatz 4 GATT festgelegte Verbot weiterer Formen von Exportsubventionen eine Rolle.

Für beide Optionen, einen CBAM auf Exporte und die Kombination eines CBAM für Importe mit einer freien Zuteilung, ist von einer Einstufung als Sub­vention im Sinne der WTO-Regeln auszugehen.40 Das ASCM nennt dafür verschiedene Merkmale (Artikel 1 bis 3 ASCM). Erstens ist zu prüfen, ob ein finanzieller Beitrag einer Regierung oder öffentlichen Körperschaft vorliegt oder eine Form der Einkommens- oder Preisstützung (im Sinne von Artikel XVI GATT). Zwei­tens, ob ein Vorteil übertragen wird. Laut WTO-Recht­sprechung von 1999 (WT/DS70, Canada – Measures Affect­ing the Export of Civilian Aircraft) ist das der Fall, wenn der Empfänger dadurch bessergestellt wird, als er es ohne diesen Beitrag wäre. Drittens muss die Sub­vention spezifisch sein, entweder sektoral – für ein oder mehrere bestimmte Unternehmen oder Wirt­schaftszweige –oder regional – für Unternehmen in bestimmten Teilen eines Staatsgebiets.

Die Subventionen werden sodann in zwei Kategorien eingeteilt. Kategorie eins beschreibt verbotene Sub­ventionen. Sie liegen dann vor, wenn sie von einer Ausfuhrleistung oder davon abhängen, dass inländische Waren statt ausländischer verbraucht werden. Ein Nachweis, dass es dadurch zu Nachteilen für WTO-Mitglieder kommt, ist nicht notwendig. Die zwei­te Kategorie bilden anfechtbare Subventionen. Sie sind gegeben, wenn ihr Einsatz den Wirtschaftszweig eines anderen WTO-Mitglieds ernsthaft, nachweislich und erheblich schädigt, dessen aus dem GATT her­vor­gehende Vorteile (vor allem Zollzugeständnisse) schmä­lert oder vernichtet oder wenn dadurch ander­weitig ernsthafter Schaden an den Interessen eines anderen WTO-Mitglieds entsteht.41

Stellt ein WTO-Mitglied fest, dass eine Subvention vorliegt,42 kann es dieser mit einer Ausgleichsmaßnahme begegnen, also einen Ausgleichszoll erheben, oder über ein WTO-Streitbeilegungsverfahren eine Einigung herbeiführen. Im Falle eines Strafzolls müs­sen allerdings die Bestimmungen des ASCM eingehalten werden. Sollten diese nicht berücksichtigt sein, kann über den Streitbeilegungsmechanismus die Auf­hebung des Strafzolls eingefordert werden. Parallel dazu sind auch Abhilfemaßnahmen zulässig. Bei ver­botenen Subventionen besteht das Recht, Konsulta­tionen einzufordern. Gibt es nach dreißig Tagen noch keine Einigung, kann das WTO-Streitbeilegungsorgan angerufen werden. Weitere Fristen greifen, und es besteht die Möglichkeit, das Berufungsgremium ein­zuschalten. Bei anfechtbaren Subventionen sind die Verfahren ähnlich, aber mit längeren Fristen versehen.

Bei Verdacht auf verbotene Subventionen sind so­wohl Unternehmen als auch Behörden antragsberechtigt, deren Vorliegen, Ausmaße und Auswirkungen durch die WTO prüfen zu lassen. Konsultationen sind Teil des Verfahrens. Bei der Berechnung einer Aus­gleichs­maßnahme sind die Regelungen des ASCM ein­zuhalten (Artikel 14). Das Verfahren kann jeder­zeit gestoppt werden, wenn die Subvention abgeschafft wird oder sie keine schädigende Wirkung mehr hat.

Sonderregelungen für Entwicklungsländer

Die Entwicklungsländer unterliegen in der WTO einer Sonder- und Vorzugsbehandlung, die sich auf ver­schie­dene Anwendungsbereiche erstreckt.43 Unter anderem werden diesen Ländern längere Fristen für die Anwendung der WTO-Regeln und -Abkommen eingeräumt, und die WTO-Mitglieder sind aufgefordert, die besonderen Handelsinteressen der armen Länder zu berücksichtigen. Separat aufgeführt sind Sonderregeln für die LDCs (Least Developed Countries).44 Eine WTO-konforme Gestaltung einer CO2-Grenzabgabe schließt die Beachtung dieser Sonder- und Vorzugsbehandlung ein. Die Kommission sollte daher den Auswirkungen des CBAM auf Entwicklungsländer Rechnung tragen und besonders arme Länder vom CBAM ausnehmen, etwa durch eine gene­relle Ausnahmeklausel. Oder man benennt eine quan­titative Untergrenze, beispielsweise des Jahres­handelsvolumens oder der anfallenden CO2-Mengen, pro Jahr in den vom CBAM erfassten Sektoren.

Auch im Klimaregime werden der Entwicklungsstatus eines Landes und sein Beitrag zum Klima­wandel bei der Festlegung von Klimaschutzverpflichtungen berücksichtigt (Common but Differentiated Re­sponsibilities and Respective Capacities, CBDR&RC), um die Lasten von Klimaschutz und Klimafolgen gerecht zu verteilen.45 Dieser Grundsatz reicht tiefer als die über die Sonder- und Vorzugsbehandlung der WTO. Allerdings ist er nicht mit rechtlich bindenden Konkretisierungen unterlegt, beispielsweise einer Ermächtigungsklausel, sondern fließt in unterschiedlicher Weise in die internationalen Absprachen ein. Wenn ein CBAM mit Blick auf das Klimaregime geprüft wird, bedeutet das CBDR&RC-Prinzip also vor allem, dass Ländern mit geringer Verantwortung für den Klimawandel und eingeschränkten Kapazitäten nicht dieselben klimapolitischen Belastungen abver­langt werden können wie jene, welche die EU über­nimmt.46 Dies schließt auch eine Prüfung der Schwel­lenländer ein, die nach wie vor auf Basis der UNFCCC von 1994 als Entwicklungsländer gelten. Allerdings hat sich mit dem Pariser Abkommen eine Differenzierung voll­zogen, auf die sich die EU beziehen kann.

Das UN-Klimaregime schützt die Entwicklungsländer vor übermäßigen Klimaschutzlasten.

Aus dem »Geist« des Pariser Abkommens geht hervor, dass nicht nur die in der OECD zusammen­geschlos­senen Länder als historische Verschmutzer in der Pflicht stehen, sondern auch die Schwellenländer, die inzwischen erheblich zu den globalen Emissionen beitragen und zu den künftigen Verschmutzern zu zählen sind. Eine explizite Länderklassifizierung gibt es aber nicht. Die Schwellenländer haben zwar allen Klauseln des Abkommens zu einer freiwilligen Betei­ligung der Vertragsstaaten an Klimaschutz, Klima­anpassungsmaßnahmen und Klimafinanzierung zu­gestimmt – also auch der finanziellen und techno­logischen Unterstützung der Entwicklungsländer, damit diese sich klimafreundlich entwickeln und mit den Folgen des Klimawandels umgehen können. Doch hat sich diese Selbstverpflichtung als Lippen­bekenntnis herausgestellt. China hat seine Zusagen zu den Klimafinanzen bisher nicht erfüllt, und die Minderungsziele der großen Schwellenländer sind nicht in gleicher Weise messbar wie jene der Indus­triestaaten; es handelt sich um relative Ziele, die einen absoluten Anstieg der Emissionen erlauben.47

Aus dem Pariser Abkommen lässt sich also durchaus ableiten, dass OECD-Staaten, Schwellenländer und Entwicklungsländer bei der Anwendung eines CBAM unterschiedlich behandelt werden müssten. Armen Staaten sollte der CBAM keine Entwicklungshemmnisse zumuten, bei den Schwellenländern hin­gegen stünde die Frage im Raum, welche ihrer eige­nen Klimaschutzanstrengungen auf einen CBAM anrechenbar wären. Da sich der WTO-Status von Ent­wick­lungsländern zu großen Teilen mit den Anfor­derungen nach dem CBDR&RC-Prinzip des Klima­regimes deckt, wäre die Ausnahme der ärmsten Länder vom CBAM mit den bisherigen Regeln des Han­dels­regimes vereinbar. Weitere Länderunter­scheidun­gen hingegen könnten als Missachtung der Meist­begünstigungsklausel gelten.48

Empfehlungen und Vorhaben zur Ausgestaltung eines CBAM

Bei der Gestaltung des CBAM der EU sollten sowohl die Minimierung handelsrechtlicher Konflikte als auch die Treffsicherheit gegen Carbon Leakage hand­lungsleitend sein.49 Daher gilt es, die Einhaltung der Leitplanken, Treffsicherheit und bürokratisch-tech­nischen Aufwand gegeneinander abzuwägen. Auch empfiehlt es sich, den im Handels- und im Klima­regime bestehenden Sonderstatus der LDC zu berück­sichtigen. Im Folgenden werden die Hauptaspekte einer CO2-Grenzabgabe und, soweit bekannt, die ent­sprechenden Vorschläge der Kommission daraufhin abgeklopft.

Grenzausgleich für eine Steuer oder einen Emissionshandel. Grundsätzlich steht ein CO2-Grenzausgleich für eine CO2-Steuer (indirekte Steuer) nicht in Konflikt mit dem GATT. Im Falle einer Anbindung an das EU ETS müsste juristisch nachgewiesen werden, dass der Er­werb von CO2-Zertifikaten gleichgesetzt werden kann mit einer indirekten CO2-Steuer. Die Gleichbehandlung der Güter im EU-Markt muss gesichert sein: Importgüter dürfen nicht höher bepreist werden als gleichartige inländische Produkte, das Herkunftsland der Importe sollte keine Rolle spielen (Artikel I GATT, Meistbegünstigungsklausel). Ausnahmen sind zu begründen.

Die Frage, ob im Zuge des »Fit for 55«-Pakets auch eine Neugestaltung der CO2-Bepreisung vorgesehen ist, zum Beispiel durch Einführung einer EU-weiten CO2-Steuer für Energie, ist noch offen. Eine solche Steuer wäre grundsätzlich auf Importe anwendbar. Die Kommission schlägt aber vor, den EU CBAM als Erwei­terung des EU ETS auf Importe auszuformulieren.50 Das berührt also die Frage, ob der ETS mit einer in­direkten Steuer gleichgesetzt werden kann, so dass auch hierfür ein Grenzsteuerausgleich grundsätzlich zulässig wäre. Im Weg steht dieser Auslegung, dass im ETS die Emissionen der Produzenten erfasst wer­den; diese müssen Zertifikate für die Emissionen aus ihren Produktionsverfahren erwerben. Dass die Produ­zenten die CO2-Kosten dann auch über die Produkte an die Abnehmer weitergeben, ist nicht gewährleistet. Eine virtuelle Anwendung des ETS durch den CBAM auf importierte Produkte würde den Emissionshandel also nicht exakt widerspiegeln. Dem Grenzausgleich für das EU ETS fehlt somit innerhalb der EU die An­bindung an einen CO2-Preis für Produkte. Damit ist die Einhaltung der Nichtdiskriminierung, die Artikel III GATT vorsieht, nicht gesichert und es müssten die Ausnahmeregelungen des Artikels XX GATT geprüft werden.

Nur wenige Sektoren mit nachweislich hohem Carbon-Leakage-Risiko sollten vom CBAM erfasst werden. Der Nachweis, dass der CBAM Carbon Leakage reduziert (Artikel XX GATT), kann leichter erbracht werden, wenn besonders CO2-intensive Sektoren einbezogen sind. Auch der bürokratisch-technische Aufwand spricht für eine Begrenzung der Sektorenzahl.

Die Kommission hat auf Basis der Carbon-Leakage-Liste und der Konsultationen mit Stakeholdern im Herbst 2020 zum CBAM mehrere Sektoren identifiziert, für deren Importgüter Zertifikate erworben wer­den sollen. Dazu gehören Stahl, Zement und Strom. Auch für Aluminium (ein Sektor mit teilweise über 90 Prozent Stromanteil an den Produktionsemissionen und mit über 80 Prozent Importanteil am EU-Verbrauch) und einige Produkte der Dünge­mittel­industrie wird ein CBAM ins Auge gefasst.51

Eine CO2-Kostenerstattung für Exporte dürfte nach WTO-Regeln sehr wahrscheinlich als anfechtbare oder ver­botene Subvention zu identifizieren sein. Gegen­maßnahmen der Handelspartner wären zu erwarten. Wird ein Import-CBAM mit freier Zuteilung von Zertifikaten kombiniert, muss eine doppelte Kompensation nach­weislich ausgeschlossen sein.

Die Pläne der Kommission sehen keine Erstattung der CO2-Kosten von Exportgütern vor. Kommt es zu einer Übergangsphase zwischen der Einführung des CBAM und dem Auslaufen der freien Zuteilung von Zertifikaten, erhalten die Unternehmen aber weiter­hin kostenlose Zertifikate, die die CO2-Kosten für Exportgüter aus der EU senken. Es besteht das Risiko, dass Handelspartner diese Kombination als Subven­tion nach WTO-Recht betrachten und Gegenmaßnah­men ergreifen. Das US-Handelsministerium stufte einen Teil der bisherigen freien Zuteilung bereits als Subvention ein, gegen die man vorgehen könnte.52 Würde der CBAM schon 2023 eingeführt, käme es dann zu dieser Kombination mit freier Zuteilung, wenn in Phase 4 des EU ETS eine wenn auch sinkende Menge kostenloser Zertifikate weiterhin vergeben wird. Dies könnte als doppelte Kompensation ausgelegt werden und gegen die Subventionsklauseln des GATT ver­stoßen.

Es gibt handelsrechtlich unbedenkliche Alternativen.

Als handelsrechtlich unbedenkliche Alternativen zu einer CO2-Kostenerstattung für Exportgüter mit­tels CBAM sollten die Kommission und die Mitgliedstaaten überlegen, über verschiedene Förderungen für die Dekarbonisierung der Industrie, von Forschung und Entwicklung53 sowie eine soziale Abfede­rung der Transformation eine Kostenkompensation zu erreichen. Maßnahmen wie diese sind im Green Deal vorgesehen.

Für die Berechnung der CO2-Menge, die in Importen ent­halten ist, gilt aus handelsrechtlicher Sicht, dass Durch­schnittswerte die Diskriminierung anhand des Herkunftslandes verhindern würden. Je kleiner dieser zugrunde gelegte Wert ist, desto geringer würde der für Importe angenommene CO2-Gehalt ausfallen. Pro­duzieren Unternehmen CO2-ärmer, sollten sie dies nachweisen können. Ein CO2-Durch­schnittswert lässt sich auf verschiedenen Wegen errechnen: als sekto­raler Durchschnitt, ermittelt aus gemessenen CO2-Daten der Vergangenheit, oder als Technologiedurchschnittswert, der sich an den besten der im Einsatz befindlichen Technologien orientiert (sogenannten Benchmarks). Soll der Grenzausgleich die vollen CO2-Kosten der Unternehmen zugrunde legen, müssen auch die indirekten CO2-Kosten, die im Strompreis enthalten sind, in die Berechnung einfließen. Eine Ausweitung auf sämtliche Emissionen »von der Wiege zur Bahre« wird als besonders treffsicher an­gesehen, ist aber technisch und bürokratisch mit hohen Kosten und Hürden behaftet.

Daher bestehen folgende Möglichkeiten: Man ver­wendet entweder den gesamten CO2-Gehalt, der sich aus direkten und indirekten Quellen errechnet. Alter­nativ dazu kann man einen hybriden Durchschnittswert ermitteln, der sich für direkte Emissionen aus dem EU-Durchschnitt und für die indirekten CO2-Mengen aus dem Energiemix des Herkunftslandes ergibt. Oder man legt die tatsächlichen Emissions­werte für die importierten Güter zugrunde, falls diese bekannt sind.

Mit Blick auf die WTO-Nichtdiskriminierungs­regeln kommt es bei der Entscheidung über die CO2-Mengen zu verschiedenen Abwägungen. Ein genauer Wert, den Unternehmen direkt melden können, führt dazu, dass Carbon Leakage effektiv(er) verhindert wird, was die Rechtfertigung unter Artikel XX GATT ermöglicht. Greift man ausschließlich auf durchschnittliche Importlandwerte zurück, behandelt man zwar alle Handelspartner und gleichartigen Importgüter gleich und entspricht damit dem Nichtdiskriminierungsgebot des GATT, büßt aber an Treffsicherheit gegen Leakage ein.

Die Kommission plant bei der Anwendung des EU ETS auf Importe folgendes Vorgehen: Unternehmen, die Güter in die EU importieren, melden ihre Daten an eine noch einzurichtende Behörde.54 Unterlassen sie diese Meldung, sollten Durchschnittswerte ver­wendet werden, auch in einer Übergangsphase bei Einführung des CBAM parallel zur freien Zuteilung im ETS (die dann angerechnet werden soll, um dop­pelte Kompensation zu vermeiden).55 Diese Durchschnittswerte sollen sich aber nicht an den EU-weiten Emissionsdurchschnitt orientieren, sondern es sollen die höchsten Emissionswerte der in der EU laufenden Anlagen verwendet werden.

Für die aus Elektrizitätsimporten stammenden Emissionen soll nach Kommissionsplänen die CO2-Intensität der fossilen Energieträger im Strommix der EU-27 (anhand von Vorjahreswerten) als Maßgabe für einen Durchschnittswert herangezogen werden. Für die energieintensiven Industrien und deren indirekte CO2-Kosten aus Stromerzeugung soll der durchschnitt­liche CO2-Emissionswert des Energiemixes im Her­kunfts­land als Berechnungsgrundlage dienen.56 Die Importeure können auch hier individuelle Emissions­werte melden. Dies ist allerdings an Bedingungen geknüpft, unter anderem an den Nachweis eines Strom­liefervertrags, einer direkten Interkonnektorenverbindung in die EU-27 und an eine monatliche Veri­fizierung. Diese Bedingungen zielen darauf, Re­shuffling bei der Stromverwendung zu verhindern. Reshuffling heißt, dass Unternehmen CO2-freien Strom für jene Produkte verwenden, die in die EU geliefert werden, damit beim Import weniger CO2-Grenzabgaben anfallen, für die restliche Produktion aber mehr fossile Energiequellen nutzen.57

Ein im Ausland bezahlter CO2-Preis muss angerechnet werden, damit Handelspartner nicht höher bzw. dop­pelt belastet werden und die Gleichbehandlung mit Inländern gewährleistet ist. Dafür bietet sich die Nut­zung einer öffentlich zugänglichen Datenbank an, wie sie etwa die Weltbank bereitstellt.58 Die Kommission geht in ihrem Vorschlag von der Anrechnung im Ausland entrichteter CO2-Preise auf den CBAM aus.59

Werden die Einnahmen aus einem CO2-Grenzausgleich für klimapolitische Zwecke im In- und Ausland verwendet, erleichtert dies die juristische Qualifikation eines CBAM als zulässig unter Artikel XX GATT. Denn wenn sich ein CBAM mit Blick auf Herkunftsländer und gleichartige Güter nicht vollständig diskriminierungsfrei gestalten lässt, spielt bei der Prüfung der Ausnah­me­klauseln nach Artikel XX GATT der Umstand eine Rolle, mit welcher Intention das Instrument eingeführt wurde. Kommen die Einnahmen allgemeinen fis­kalischen Zwecken zugute, disqualifiziert dies die Absicht, die Vermeidung von Carbon Leakage und Klimaschutz in den Vordergrund zu stellen. Ein klima­politisch gebundener Mitteleinsatz minimiert daher handels- und klimapolitische Risiken.

Ein CO2-Grenzausgleich sollte regelmäßig auf seine Wirksamkeit hin evaluiert werden. Er sollte mit einem End-Datum oder einer Prüfungsfrist versehen werden und anschließend im Lichte der internationalen Ent­wicklungen, der technologischen Veränderungen und des damit einhergehenden Carbon-Leakage-Risikos reformiert werden können. Die Kommission trägt solchen Überlegungen Rechnung, indem sie für den CBAM eine bis 2026 geltende Übergangsfrist und einen Start mit wenigen Sektoren erwägt.

Regelmäßige Konsultationen mit den Handelspartnerländern im Vorfeld eines CO2-Grenzausgleichs bieten die Mög­lich­keit, dem Vorwurf des Protektionismus zu begeg­nen. Dabei sollten Informationen über die Gründe, die Ausgestaltung und die Beteiligungsoptionen der Länder bereitgestellt werden, etwa im Rahmen der WTO, der OECD und des UNFCCC-Sekretariats.

Unterschiedliche Signale über die Funktion des CBAM irritieren die EU‑Handelspartner.

Im Vorlauf zur Gesetzesvorlage hat es aus der Kom­mission unterschiedliche und teils widersprüchliche Signale an die EU-Handelspartner über die Funktion des CBAM gegeben – mal war ausschließlich vom Schutz vor Carbon Leakage die Rede, mal auch davon, dass ein CBAM Partnerländer zur klimapolitischen Kooperation bewegen soll.60 Sowohl in der WTO also auch in der OECD haben Konsultationen stattgefunden. Gegenüber den Entwicklungsländern, die vom CBAM betroffen sein könnten, gibt es noch keine kla­ren Aussagen aus Brüssel und den Mitgliedstaaten.

Auswirkungen auf Handelspartner der EU für Stahl, Zement und Strom

Die folgenden Berechnungen eines CBAM für die Top-EU-Handelspartner fußen auf den oben angestellten Überlegungen.

Eine erste Übersicht, welche Handelspartnerländer der EU-27 von einem CBAM für die Sektoren Stahl, Zement und Strom besonders betroffen wären, ver­mitteln die Abbildungen 2a bis 2c. Darin sind jeweils die Top-10-Handelspartner, die Handelsmengen (in Tonnen, blauer Balken in den farbigen Originalversionem) und, als brauner Balken daneben, der CO2-Gehalt aufgeführt, der aus dem EU-Durchschnitt der direkten und indirekten CO2-Emissionen des jeweili­gen Sektors ermittelt wird (vgl. Anhang 3, S. 42ff). Länder mit einem ETS, welches mit dem der EU ver­bunden ist, oder Staaten wie das Vereinigte Königreich, mit denen gerade darüber verhandelt wird, sind grau unterlegt, da der CBAM für diese Partner entfiele.

Bei der Berechnung gilt es, verschiedene statis­tische Fragen zu klären. In der Zollsystematik sind nicht die Sektoren mit einem Carbon-Leakage-Risiko Gegenstand einer Grenzabgabe, sondern die gehandelten Produkte. Daher müsste hierfür eine andere Handelsklassifizierung verwendet werden als bei der Berechnung der Carbon-Leakage-Liste (siehe Tabelle A.1, S. 37). Diese Liste bietet aber eine Grundlage, um den EU-weiten Emissionsdurchschnitt für diese Sek­toren zu ermitteln. In unserer Beispielrechnung haben wir die direkten und indirekten Emissionen anhand der Leakage-Liste und verschiedener anderer Daten­quellen EU-weit gemittelt und mit der durchschnitt­lichen Importmenge der Jahre 2019 und 2020 (für Elektrizität: 2018 und 2019) gemittelt (Anhang 3, S. 42ff).

Damit werden alle Herkunftsländer einheitlich behandelt und insofern nicht diskriminiert. Würde die EU dieses Verfahren anwenden, wäre allerdings die Treffsicherheit des CBAM beeinträchtigt. Zwar sind die direkten Emissionen in den energieintensiven Sektoren (abhängig von den verwendeten Grund­stoffen und der Anlagentechnik) für Zement und die Rohstahlerzeugung bekannt, weil die Technologien sich in den verschiedenen Herkunftsländern weitest­gehend gleichen. Unterschiede bestehen hier vor allem zwischen den einzelnen Anlagen eines Landes. Entscheidend für die ökologische Treffsicherheit des CBAM sind in unseren Beispielen daher vor allem die indirekten Emissionen aus der Verwendung von Strom im Ausland. Dies gilt für die Importe von Elek­trizität natürlich ebenso. Da nicht für alle gelisteten Handelspartner Daten vorliegen, haben wir hier eben­falls den EU-27-Durchschnitt angesetzt.

Bei der Berechnung werden die Mengen frei zugeteilter Emissionsrechte abgezogen. Für die Berechnung des CBAM-CO2-Preises werden der EU-weite Durchschnitt 2019 und 2020 (25 Euro pro Tonne CO2) verwendet, außerdem zwei weitere Werte: 60 und 80 Euro pro Tonne. Von diesem Preis werden jeweils ein im Ausland erhobener CO2-Preis sowie die in der EU gezahlten Beihilfen abgezogen, sofern ein Sektor diese erhalten hat (als Schätzwert, vgl. Anhang 3, S. 42ff). Im Folgenden werden nur die Randszenarien auf­geführt, um die möglichen Teuerungsspannen von Importen in die EU bzw. das Einnahmenpotenzial der EU zu illustrieren. Sämtliche berechneten Werte werden im Anhang genannt.

EU-27-Stahlimporte

Im Handel mit Roheisen, Stahl und Ferrolegierungen (NACE 241061) führen Importe aus Russland das Rank­ing an mit einem Handelsvolumen von rund 3,9 Mil­liar­den Euro im Durchschnitt 2019/20. Die Türkei und die Ukraine liegen mit rund 2,5 Milliarden auf Platz 2 und 3. Das Vereinigte Königreich ist der viert­größte Handelspartner, Taiwan und Norwegen bele­gen die Plätze 9 und 10. In den Top-2-Ländern gibt es keine CO2-Bepreisung, in Indien, Brasilien und Tai­wan auch nicht. Südkorea hingegen hat ein eigenes System zum Emissionshandel, China ebenfalls, und die Ukraine erhebt eine CO2-Steuer.

Abbildung 2a

Quelle: Eurostat sowie eigene Berechnungen (vgl. Anhang 3, S. 42ff.).

Das Ranking verändert sich, wenn man die Mengen zugrunde legt. Hier machen sich sowohl Preisdifferen­zen als auch die unterschiedliche Qualität der Stahl­importe bemerkbar. Die Ukraine steht an Platz 2, die Türkei an Platz 3 und Indien vor China. Setzt man für die Emissionen den EU-Durchschnitt der Stahlproduk­tion an (1,3 Tonnen CO2 pro Tonne Stahl, vgl. Anhang 3, S. 42ff), bezifferte sich der fiktive CO2-Gehalt in Lieferungen des russischen Stahlsektors in die EU auf 12,8 Millionen Tonnen CO2. Die Ukraine und die Türkei weisen mit 6,8 bzw. 6,13 Millionen Tonnen CO2 beide ungefähr die Hälfte der russischen CO2-Menge auf.62

Berechnungen eines CBAM für Stahlimporte

In der Vergangenheit war die Versorgung der EU-Stahl­industrie mit freien Zertifikaten teilweise zu 100 Prozent gewährleistet, in einigen Jahren ging sie dar­über hinaus.63 Ein CBAM, der sich an dieser Kompensation orientiert, würde auf null Euro hinauslaufen.

Mit Blick auf die Absenkung der freien Zuteilung und mögliche CO2-Preisententwicklungen im EU ETS ergeben sich für die acht Nicht-EU-ETS-Länder die in Tabelle 1 und in Tabelle A.2.1 (S. 39) aufgelisteten Spannen. Diese sind Schätzwerte und basieren auf den Handelsmengen aus Abbildung 2a). Nicht berück­sichtigt sind die Reaktionen, die sich aufgrund der durch einen CBAM verursachten Preissteigerungen in den Handelsströmen ergeben können.

Tabelle 1 zeigt einen Minimal- und einen Maximal­wert für den CBAM (Randszenarien). Der Minimalwert fußt auf der Annahme einer hoch angesetzten freien Zuteilung von 80 Prozent für Stahlproduzenten und dem CO2-Preis, der sich aus dem mit 25 Euro vergleichs­weise niedrigen Schnitt der Jahre 2019 und 2020 er­gibt. Der Maximalwert geht von einer auf 30 Prozent gesunkenen freien Zuteilung und einem CO2-Preis von 80 Euro aus. Für jedes Importland wird, so vorhan­den, der eigene CO2-Preis abgezogen. Die Differenz wird mit der errechneten CO2-Menge multipliziert.

Tabelle 1 Szenarien für eine CO2-Abgabe auf Importe unter einem EU CBAM für den Sektor Roheisen, Stahl und Ferrolegierungen (NACE 2410)

Importpartner
der EU-27a

Summe CBAM (in Mio. €), 80 % freie Zuteilung; CO2-Preis von 25 €/t

Aufschlag auf Handelsvolumen 2019/20

Summe CBAM (in Mio. €), 30 % freie Zuteilung; CO2-Preis von 80 €/t

Aufschlag auf Handelsvolumen 2019/20

Russische Föderation

58,66

1,51 %

712,79

18,34 %

Türkei

28,02

1,08 %

340,44

13,15 %

Ukraine

30,69

1,27 %

376,41

15,57 %

Südkorea

4,66

0,22 %

153,58

7,19 %

China

11,56

0,67 %

140,43

8,16 %

Indien

14,13

0,87 %

171,66

10,58 %

Brasilien

8,39

0,73 %

102,00

8,88 %

Taiwan

6,45

0,74 %

78,31

9,01 %

a Ohne Norwegen und Vereinigtes Königreich.

Die Differenz zwischen den beiden Randszenarien ist deutlich: Für Importe mit einer CO2-Grenzabgabe des Maximalwerts würde der Preisaufschlag auf Im­porte bis zu zwölffach höher ausfallen als beim Mini­malwert. Im Falle Südkoreas klaffen die Werte noch weiter auseinander, weil der zugrunde gelegte CO2-Preis in der Südkorea von rund 16 Euro pro Tonne in allen Szenarien gleich bleibt. Bei einem EU‑ETS-Preis von 25 Euro ist die Differenz zum koreanischen CO2-Preis also relativ gering, bei einem EU-ETS-Preis von 80 Euro würden die Importe überproportional teurer. In der zweiten und vierten Spalte der Tabelle findet sich der hypothetische Preisaufschlag, gemessen an den Importvolumina. Für Stahl- und Stahlprodukte aus Russland hätten die EU-Importeure bei einem niedrigen CBAM 1,51 Prozent mehr bezahlt, bei einem hohen 18,34 Prozent.

EU-27-Zementimporte

Im Handel mit Zement (NACE 235164) führen Impor­te aus der Türkei das Ranking an, mit einem Handels­volumen von rund 137 Millionen Euro im Durchschnitt 2019/20. Die Ukraine und Weißrussland lie­gen mit rund 28,2 bzw. 25 Millionen Euro auf Platz 2 und 3. Das Vereinigte Königreich war auch hier der viert­größte Handelspartner für die EU-27, gefolgt von Ko­lumbien, Bosnien und Herzegowina, Marokko, Nor­wegen, Tunesien und Saudi-Arabien.

Das Ranking verändert sich, wenn man die Importmengen zugrunde legt. Kolumbien tauscht mit Bosnien und Herzegowina den Platz. Setzt man für die Emissionen den EU-Durchschnitt aus der Zement­herstellung an (0,7 Tonnen CO2 pro Tonne Zement), ergibt sich der dargestellte CO2-Gehalt der Lieferungen aus den zehn Ländern.

Berechnungen eines CBAM für Zementimporte

Abbildung 2b

Quelle: Eurostat sowie eigene Berechnungen (vgl. Anhang 3, S. 42ff.).

In der Vergangenheit war für die EU-Zementindustrie ebenfalls die Versorgung mit freien Zertifikaten ge­währ­leistet oder ging über den Bedarf hinaus.65 Bei­hilfen für indirekte CO2-Kosten gab es für diesen Sektor nicht.

Unter Berücksichtigung der sinkenden freien Zu­teilung und künftiger CO2-Preisententwicklungen im EU ETS ergeben sich für die acht Nicht-EU-ETS-Länder die in Tabelle 2 (S. 26) und in Tabelle A.2.2 (S. 40) auf­gelisteten Spannen.

Der Unterschied zwischen dem Szenario mit nied­rigem EU-CO2-Preis und hoher freier Zuteilung und jenem mit hohem CO2-Preis und geringer freier Zu­teilung beträgt jeweils das Elffache. Lediglich die Ukraine hat einen CO2-Preis, der angerechnet wurde.

Der Preisaufschlag gemessen an den Importvolumina aus den Herkunftsländern ist in jedem Rand­szenario für Importe aus Marokko und der Ukraine am höchsten. Die Zementimporte aus allen aufgeführten Lieferländern würden sich beim Abbau der freien Zuteilung und einem Preis von 80 Euro pro Tonne CO2 in der EU deutlich verteuern, was auf die hohen direkten CO2-Emissionen bei der Produktion von Zementklinker zurückgeht, der einen großen Anteil an den Importen hat.

EU-27-Stromimporte

Im Handel mit Strom (NACE 351166) führen Importe aus der Schweiz das Ranking an (720 Millionen Euro im Durchschnitt 2019/20), gefolgt von Norwegen. Russ­land lieferte Strom im Wert von 578,4 Millionen Euro und liegt auf Platz 3, Serbien (Platz 4) mit Strom von über 500 Millionen Euro knapp dahinter. Die Ukraine sowie Bosnien und Herzegowina liegen fast gleichauf, das Vereinigte Königreich belegt Platz 7. Zu den Top-10-Lieferanten aus der östlichen Nachbar­schaft der EU gehören auch Nordmazedonien, die Türkei und Albanien.67

Auch hier verändert sich das Ranking, sobald die Strommengen zugrunde gelegt werden. Die Schweiz, Norwegen und Russland bleiben auf den ersten Plät­zen, die Ukraine sowie Bosnien und Herzegowina rücken vor Serbien, das Vereinigte Königreich, die Türkei, Nordmazedonien und Albanien. Aus den Daten der Europäischen Umweltagentur EEA68 für den durchschnittlichen CO2-Ausstoß in der EU pro Terawattstunde (TWh) ergeben sich die CO2-Mengen, die für die Produktion der importierten Elektrizität angenommen werden. Von den Importen aus Staaten ohne Anschluss an das EU ETS liegt die errechnete CO2-Menge für die Russische Föderation am höchsten, gefolgt von der Ukraine, Bosnien und Herzegowina, Serbien, der Türkei, Nordmazedonien und Albanien.

Laut den bisher bekannten Plänen der Kommission würde allerdings als Grundlage für die Berechnung der CO2-Intensität nicht der EU-weite Durchschnitt der Stromerzeugung zugrunde gelegt (er beträgt laut EEA 275 g CO2/kWh), sondern jener der Stromerzeugung aus fossilen Quellen (Kohle, Gas, Öl). Dieser Durchschnitt beträgt 634 g CO2/kWh und ist somit mehr als doppelt so hoch wie der hier verwendete Wert.69

Tabelle 2 Szenarien für eine CO2-Abgabe auf Importe unter einem EU CBAM für den Sektor Zement (NACE 2351)

Importpartner
der EU-27a

Summe CBAM (in Mio. €), 80 % freie Zuteilung; CO2-Preis von 25 €/t

Aufschlag auf Handelsvolumen 2019/20

Summe CBAM (in Mio. €), 30 % freie Zuteilung; CO2-Preis von 80 €/t

Aufschlag auf Handelsvolumen 2019/20

Türkei

8,76

6,42 %

98,06

71,84 %

Ukraine

2,19

7,77 %

24,69

87,58 %

Weißrussland

1,77

7,08 %

19,88

79,49 %

Kolumbien

0,58

3,33 %

7,32

42,02 %

Bosnien u. Herzegowina

0,88

5,96 %

9,91

67,10 %

Marokko

0,82

7,90 %

9,15

88,15 %

Tunesien

0,55

5,78 %

6,12

64,35 %

Saudi-Arabien

0,53

6,42 %

5,90

71,52 %

a Ohne Norwegen und Vereinigtes Königreich.

Der Strommix in den Nicht-EU-Staaten unterscheidet sich deutlich von dem der EU-27. So dominiert in Russland, der Ukraine und der Türkei die Kohle- und Gasverstromung, für einen geringeren CO2-Ausstoß sorgen in Norwegen, der Schweiz und Nordmazedonien Wasserkraft und erneuerbare Energien. Laut EEA fallen innerhalb der EU-27 in Schweden die Emis­sionen mit 13 g CO2/kWh am geringsten und in Est­land mit 900 g CO2/kWh am höchsten aus.70 Insgesamt hat sich die CO2-Intensität in der EU-Strom­erzeugung seit 1990 nahezu halbiert. Würde obige Berechnung für Abbildung 2c für die Nicht-EU-Staa­ten jeweils nach Landesdurchschnitt ermittelt, wür­den die Werte der Staaten mit einem hohen Anteil an Kohleverstromung entsprechend hoch ausfallen.

Abbildung 2c

Quelle: Eurostat sowie eigene Berechnungen (vgl. Anhang 3, S. 42ff.).

Für den CBAM plant die Kommission auch des­halb, auf den EU-weiten Durchschnitt aus den fossi­len Stromquellen zurückzugreifen, weil diese Ener­gie­träger nach wie vor den Strompreis im EU-Markt bestimmen, zu dem Unternehmen jede zusätzliche Kilowattstunde einkaufen (aufgrund der sogenannten merit order, der Einsatzreihenfolge der Kraftwerke an der Stromhandelsbörse). Solange die fossilen Energie­träger der Absicherung des Angebots in der EU die­nen, bestimmen deren Produktions­kosten auch wei­terhin den Marktpreis an der Strom­börse.

Berechnungen eines CBAM für Stromimporte

In der Vergangenheit ist die freie Zuteilung für die EU-Stromerzeuger bereits abgeschafft worden, für die osteuropäischen Mitgliedstaaten galt eine Ausnahme von maximal 25 Prozent. Daher wird in den Rand­szenarien für diesen Sektor keine freie Zuteilung berück­sichtigt. Für die unterschiedlichen CO2-Preise von 25 und 80 Euro zeigt Tabelle 3 (S. 28) für sieben EU-Handelspartner die potenzielle Schwankungs­breite einer Importabgabe auf Strom.71 Da keines dieser sieben Länder eine eigene CO2-Bepreisung vor­nimmt, kommt der höhere EU-CO2-Preis voll zur An­wendung. Der Unterschied zwischen dem Szenario mit niedri­gem EU-CO2-Preis und hoher freier Zutei­lung und jenem mit hohem CO2-Preis und geringer freier Zuteilung beträgt jeweils rund das Dreifache.

Der Preisaufschlag gemessen an den Importvolumina ist im Szenario eines niedrigen und eines hohen CBAM für Stromimporte aus der Türkei am höchsten und geht über 100 Prozent hinaus (rund 35 bzw. 111 Prozent). Strom aus Russland, der Ukraine und Nord­mazedonien wäre im niedrigen CBAM-Szenario um circa 14 Prozent teurer gewesen, im hohen CBAM-Szenario um 45 bis 50 Prozent.

Einordnung der Beispielrechnungen

Tabelle 3 Szenarien für die CO2-Abgabe auf Importe unter einem EU CBAM für den Sektor Elektrizitätserzeugung (NACE 3511)

Importpartner
der EU-27a

Summe CBAM (in Mio. €), CO2‑Preis von 25 €/t

Aufschlag auf Handelsvolumen 2019/20

Summe CBAM (in Mio. €), CO2‑Preis von 80 €/t

Aufschlag auf Handelsvolumen 2019/20

Russische Föderation

81,20

14,04 %

259,85

44,92 %

Serbien

21,96

4,28 %

70,27

13,69 %

Ukraine

42,89

14,93 %

138,40

48,19 %

Bosnien u. Herzegowina

30,02

11,07 %

96,05

35,42 %

Nordmazedonien

15,75

14,98 %

50,41

47,95 %

Türkei

19,89

34,84 %

63,64

111,47 %

Albanien

5,28

10,00 %

16,91

32,01 %

a Ohne Norwegen, Schweiz und Vereinigtes Königreich.

Die berechneten Szenarien zeigen insgesamt, dass vor allem die Importe aus unmittelbaren Nachbarstaaten der EU mit einer CO2-Grenzabgabe belastet würden, wenn die EU die freie Zuteilung für die Sektoren Stahl und Zement herunterfährt und der CO2-Preis weiter anzieht. Zu den Top-10-Stahllieferanten gehö­ren neben Russland und der Ukraine aber auch Süd­korea, China, Indien und Brasilien. Je nach Preis­elastizität – also der Nachfragereaktion auf diese Erhöhung – werden die Lieferungen vermutlich zurückgehen. Da wir hier mit Daten der vergangenen zwei Jahre rechnen, sind die ermittelten Werte ledig­lich Anhaltspunkte. Wenn sich die Importmengen zum Beispiel um 20 Prozent verringern, wird auch die Gesamtsumme der CBAM-Einkünfte entsprechend geringer ausfallen.

Diese Gesamtsumme wird außerdem von der CO2-Intensität der Produktion im Ausland abhängen. Liegt sie unter dem hier angenommenen EU-Durchschnitt, müssten die ausländischen Unternehmen diese Daten hinterlegen und im EU CBAM zur Anwendung brin­gen lassen; das wird ihre Abgabenlast ebenfalls ver­ringern.

Im Zuge der Überlegungen zu einer Konkretisierung des CO2-Grenzausgleichs durch die Mitglied­staaten und das Europäische Parlament werden sich immer mehr Handelspartner zu Wort melden. Gerade die noch offene Ausgestaltung des CBAM lud seit April 2020 zu Spekulationen und intensiven Debatten darüber ein, wie stark einzelne Handelspartner von einem CO2-Preis an den EU-Grenzen betroffen wären.72 Zu den möglichen Reaktionen könnte neben handels­politischen Gegenmaßnahmen durchaus die Ein­führung eines eigenen CO2-Preises gehören. Damit wür­den die Länder die Einnahmen selbst von ihren Unternehmen abschöpfen, und der CBAM würde sinken oder entfallen.

Potenziale und Fallstricke

Die Potenziale des CBAM hängen von dessen kon­kreter Gestaltung ab. Als klimapolitischer Hebel hat sich der Vorstoß der Kommission bereits erwiesen. Den EU-Plänen schenken Nicht-EU-Regierungen viel Aufmerksamkeit; dabei geht es vor allem um die han­delspolitischen Folgen, aber auch klimapolitische Über­legungen werden angestellt. Dem stehen aller­dings nicht unerhebliche Risiken gegenüber. Pau­schale Regelungen wie die Annahme von CO2-Durch­schnittswerten mindern zwar Konflikte mit den WTO-Regeln, dennoch steht die Gefahr, dass es zu Rechts­streitigkeiten kommt, auf jeden Fall weiterhin im Raum. Zudem schränkt die technische und bürokra­tische Komplexität des Instruments die sektorale Feinsteuerung und die Treffsicherheit gegen Carbon Leakage ein. Außenpolitisch ergeben sich Fallstricke nicht nur für die handelspolitische, sondern auch für die klimapolitische Kooperation. Von den Reaktionen der Handelspartner wird daher viel abhängen. Wie massiv der Gegenwind sein kann, hat die EU-Kommis­sion bereits 2012 bei dem Versuch erlebt, den Luft­verkehr in ihren Emissionshandel einzubeziehen.

Potenziale des CBAM

Der geplante CBAM ergänzt den klimapolitischen Instrumentenkasten der Europäischen Union um eine Maßnahme gegen Carbon Leakage, die im Gegensatz zur freien Zuteilung von Emissionszertifikaten ihre Wirkung auch in anderen Ländern entfaltet. Zunächst einmal soll er aber laut Kommission dazu dienen, die freie Zuteilung von Emissionsrechten im EU ETS zu ersetzen. Da es bisher keine Pläne gibt, den CBAM auch für die Erstattung von CO2-Kosten für Exporte anzuwenden, ringen die europäischen Unternehmen mit Brüssel darum, die freie Zuteilung aufrecht­zuerhalten und sie mit dem CBAM zu kombinieren.73

Der CBAM kann treffsicher gegen Carbon Leakage eingesetzt werden, wenn die Handelsströme einen derartigen Effekt messbar verursachen. Zu dessen Einschätzung ist die sektorspezifische Wettbewerbslage entscheidend, ähnlich wie bei der Ermittlung der Carbon-Leakage-Liste der Kommission und der freien Zuteilung von Zertifikaten mit Produkt-Benchmarks. Für 54 Produkte der energieintensiven Branchen hat die Kommission Benchmark-Werte bestimmt.74 Um eine höhere Treffsicherheit zu erzielen, müssten Informationen über die einzelnen Stufen der Wert­schöpfungsketten, die Wiederausfuhr von verarbeiteten Produkten, die Kostenstrukturen und weitere Wettbewerbsfaktoren erhoben werden. Der Grad an Komplexität ist entsprechend hoch.

Ob ein CBAM mit Blick auf die WTO-Regeln und Artikel XX GATT (Ausnahmeregeln) vertretbar ist, richtet sich nach dessen Design. Darin sollte die Ab­sicht klar erkennbar sein, dass der Einsatz dieses Instruments der Reduktion von Carbon Leakage dient. Würde die EU-Gesetzgebung für Importe die gleichen CO2-Preise ansetzen wie für die inländischen gleich­artigen Güter (wie es bei einer indirekten Steuer auch regulär als border tax adjustment zulässig und mit einer virtuellen Anwendung des EU ETS auf Importe ge­plant ist), wäre die Treffsicherheit gegen diese Form des Carbon Leakage hoch. Damit ließe sich die Un­gleichbehandlung von Gütern aus unterschiedlichen Ländern (mit unterschiedlichen Herstellungsbedin­gun­gen) wahrscheinlich rechtfertigen.

Das politische Potenzial des CBAM ist hingegen von der ökologischen Treffsicherheit entkoppelt. Hier spielen eher die extraterritorialen Effekte und die Auswirkungen auf die EU-Handelspolitik eine Rolle. In einigen Ländern wird daher konkreter als bisher über die Einführung von CO2-Preisen nachgedacht.

Die mit einem CBAM einhergehenden Einnahmen für die EU – die als eigene Ressourcen zunächst der Kommission zufließen würden – haben ein erheb­liches fiskalisches Potenzial. 2020 wurde im Zuge des Ratsgipfels über Einnahmen zwischen 5 und 14 Mil­liarden Euro spekuliert.75 Der Umgang mit den Ein­nahmen entscheidet allerdings darüber, ob das Instru­ment WTO-konform nach Artikel XX GATT ist, und auch darüber, wie betroffene Länder auf den CBAM reagieren. Sollten sie von der Verwendung der Mittel für die internationale Klimafinanzierung profitieren, würde dem CBAM ein Teil seiner alarmierenden Wirkung genommen.

Eng mit dieser Wirkung zusammen hängt die widersprüchliche Rolle des CBAM in der Diskussion über Gerechtigkeit im Klimaregime (CBDR&RC). Mit dem CBAM begleitet die EU ihr gestiegenes Engagement für den Klimaschutz. Von ihr und anderen In­dustrieländern verlangt das Pariser Abkommen, mehr zu tun als die Entwicklungs- und Schwellenländer. Aller­dings geht das Voranschreiten beim Klimaschutz eben mit dem Risiko der Emissionsverlagerung ein­her. Streng genommen sichert der CBAM diesen Effekt ab und macht damit glaubwürdig, dass die EU ihre Klimaziele mittelfristig innerhalb des eigenen Wirtschaftsraums erfüllen will. Die Anwendung des EU-CO2-Preises auf Lieferungen aus dem Ausland be­klagen dann aber gerade jene Länder, die das Vor­an­schreiten der EU einfordern. Es gibt also viel Klärungsbedarf zwischen der EU und ihren Partner­ländern.

Fallstricke des CBAM

Der rechtlich und politisch offensichtlichste Fallstrick ist die Vereinbarkeit des CBAM mit den WTO-Regeln. Aufgrund der EU-spezifischen Voraussetzungen und Pläne – unter anderem der Anlehnung des Instruments an das EU ETS sowie der temporären Fortsetzung freier Zertifikatzuteilung – wird dies nicht vollständig zu erreichen sein, zumal der CBAM Emis­sionen betrifft, die nicht auf dem Gebiet der EU ent­stehen. Auch mit Blick auf die ökologische Treff­sicherheit wird es immer zu einer Diskriminierung von Handelspartnern oder gleichartigen Gütern kom­men, so dass bei einem Rechtsstreit Artikel XX GATT für die Rechtfertigung des EU CBAM bemüht werden muss. Das ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass die EU relativ zügig die neuen Klimaziele implementieren will und daher auf eine grundlegende Neu­gestaltung aller Preisinstrumente und Regulierungen verzichtet. Denn die Einführung einer WTO-konfor­men indirekten Steuer, also einer CO2-Steuer in der EU-27, würde vor allem aufgrund der notwendigen Einstimmigkeit der Mitgliedstaaten viele Jahre in Anspruch nehmen.

Anstelle eines politisch derart anspruchsvollen Projekts wird daher der EU-Emissionshandel vorerst als klimapolitisches Kerninstrument Bestand haben, und der CBAM wird daran gekoppelt werden. Der Druck ist groß, auch den Export einzubeziehen, ent­weder durch Fortsetzung der freien Zuteilung oder durch Erstattung entstandener CO2-Kosten – ins­besondere weil der CO2-Preis immer weiter steigt und damit die Ängste, europäische Güter der energie­intensiven Industrien könnten für ausländische Ab­nehmer zu teuer werden, ebenfalls zunehmen.

Eine Ausweitung des CBAM auf Exporte droht je­doch Maßnahmen zum Ausgleich nicht WTO-konfor­mer Subventionierung, etwa Zölle für EU-Unter­neh­men, nach sich zu ziehen. Juristische Unter­suchun­gen zeigen allerdings, dass nicht nur der CBAM für Exporte, sondern auch die freie Zuteilung für expor­tierte Güter eine anfechtbare oder verbotene Subven­tion darstellen könnte.76

Um hier zu fundierten Entscheidungen zu kommen und unerwünschte Reaktionen zu vermeiden, bedarf es zum einen weiterer Analysen, zum anderen müssen die EU und alle Mitgliedstaaten sämtliche Mittel ihrer Außenwirtschafts- und Klimadiplomatie aufbieten, um das Instrument zu erklären und ein gemeinsames Vorgehen mit den Handelspartnern zu erarbeiten.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Treff­sicher­heit des CBAM nur für wenige Sektoren und Produkte voraussagen lässt und ein späterer Nachweis seiner Effektivität nicht ohne Weiteres gesichert ist. Je breiter der CBAM auf die Leakage-Sektoren angewendet wird, desto schwieriger wird dieser Nachweis.

Ein bereits ausgelegter Fallstrick ist die geplante Ver­wendung der Einnahmen. Nutzt die EU sie zur Auf­stockung der eigenen Ressourcen anstatt für Investitionen in den Klimaschutz, konterkariert sie die gesamte Agenda hinter diesem Instrument. In Zeiten leerer Kassen steht es aber zu erwarten, dass diese Einkünfte allein allgemeinen fiskalischen Zwecken zugeführt werden und die klimapolitische Lenkungswirkung zur Nebensache wird. Zudem würde mit einer solchen Verwendung der Weg zur Abschaffung des CBAM verbaut. Bei einem erfolg­reichen CBAM sänken die Einnahmen über die Zeit, da inner- wie außerhalb der EU die CO2-Emissionen sinken würden. Ein solcher Rückgang ist in der Regel schwer vereinbar mit der Planungssicherheit, die öffentliche Haushalte brauchen, und mit den Begehr­lich­keiten unterschiedlichster Politikfelder, die neue Mit­telzuflüsse nahezu unvermeidlich wecken. Aus fis­kalischen Gründen spräche in der Folge also viel für die Beibehaltung des CBAM. Das gilt natürlich auch dann, wenn die Einnahmen klimapolitischen Zwe­cken zukämen. Daher ist es wichtig, auch im Fall der Zweckbindung Prüffristen und alternative Finanz­quellen für die Klimafinanzierung im Blick zu haben, damit ein Auslaufen des CBAM möglich bleibt.

Reaktionen der Handelspartner

Die Reaktionen der EU-Handelspartner auf die CBAM-Pläne fallen überwiegend skeptisch bis negativ aus.77 Die großen Schwellenländer zum Beispiel fordern die EU auf, gänzlich auf das Instrument zu verzichten. Das machen Brasilien, Südafrika, Indien und China mit Blick auf die 26. UN-Klimakonferenz (COP26) in Glasgow in einer Stellungnahme deutlich.78 Chinas Staatspräsident Xi Jinping hat sich gegenüber Deutschland und Frankreich eindeutig ablehnend geäußert.79 China hat allerdings inzwischen einen eigenen Emissionshandel gestartet und könnte ver­suchen, die Anrechnung der eigenen Anstrengungen bei der Berechnung des EU CBAM ins Feld zu führen. Allerdings wird CO2 im chinesischen System sehr nied­rig bepreist. Die generelle Ablehnung auf höch­ster politischer Ebene steht übrigens im Gegensatz zu der jahrelangen engen Zusammenarbeit mit der EU bei der Entwicklung eines Emissionshandelssystems für die chinesischen Unternehmen.

Auch die wirtschaftlichen Beziehungen der EU zu Russland würden durch einen CBAM zusätzlich belastet werden. Die Beispielrechnungen zeigen, dass die Stahl- und Stromimporte aus Russland davon in besonderem Maße betroffen wären. In den ersten Reaktionen warnte Moskau die EU denn auch vor der Einführung einer Grenzabgabe, vor allem mit dem Hinweis auf fehlende WTO-Kompatibilität.80 Solche Hinweise finden sich auch in den Aussagen des stellvertretenden Direktors für europäische Ko­operation des russischen Außenministeriums im Vor­feld des US-Klimagipfels im April 2021.81 Russlands größ­ter Aluminiumproduzent Rusal hingegen plant ein Reshuffling. Das Unternehmen kündigte Anfang Juni an, Aluminium aus seinen moderneren, mit Was­ser­kraft betriebenen Anlagen unter neuem Mar­ken­namen zu bündeln und dieses CO2-arme Aluminium an die EU zu liefern. Andere erhoffen sich mehr klima­politische Zusammenarbeit mit der EU. Auf­fällig ist, dass in der russischen Debatte für den geplanten CBAM Zahlen genannt werden, die jene, die bei einem WTO-kompatiblen CBAM tatsächlich anfallen würden, weit übertreffen – es ist von zwei­stelligen Milliardenbeträgen pro Jahr die Rede.82

Die Türkei hat sich in bisherigen internationalen Gesprächsrunden83 auf die Position zurückgezogen, die sie in allen klimapolitischen Foren vertritt: Die Entwicklungschancen der Türkei dürften durch die EU-Klimapolitik nicht eingeschränkt werden, der CBAM würde ihnen aber im Weg stehen. Ankara könnte seine Überlegungen intensivieren, einen eige­nen CO2-Preis einzuführen. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung unterstützt das Land bereits mit einer Analyse zum EU CBAM.84

Die bisherigen Reaktionen aus Indien sind gemischt. Industrievertreter verweisen auf die hohe Effizienz Indiens in den energieintensiven Sektoren und damit auf die Möglichkeit, dass der CBAM nur geringe oder gar keine Kosten verursacht. Unternehmen formieren sich aber auch gezielt gegen die EU-Pläne. In der 2009 bei der Vertragsstaatenkonferenz in Kopenhagen ge­gründeten BASIC-Gruppe (Brasilien, Südafrika, Indien und China) schließt man sich den Protesten gegen den CBAM an.

OECD-Länder wie Südkorea oder Japan sind daran interessiert, mit der EU beim CBAM zusammenzuarbeiten.

OECD-Länder wie Südkorea oder Japan sind eher daran interessiert, mit der EU bei der Gestaltung des CBAM zusammenzuarbeiten.85 Südkorea kann sein eigenes Emissionshandelssystem in die Waagschale werfen und die hohe Effizienz seiner Industrie. Kanada überlegt zurzeit, selbst einen CO2-Grenzausgleich einzuführen.86 Der australische Handelsminister wie­der­um stuft den CBAM als protektionistisches Instru­ment ein. Die Regierung wirbt darum, Zölle auf Um­weltgüter zu limitieren und den freien Verkehr von Umweltdienstleistungen zu ermöglichen.87

Ein Projekt für die transatlantische Klima-Kooperation?

Die neue US-Regierung hat zügig und mit Nachdruck den angekündigten Wiedereinstieg in die nationale und internationale Klimapolitik vollzogen.88 Den EU‑CBAM-Plänen steht die Biden-Administration aber sehr skeptisch gegenüber.89 Das hat verschiedene Gründe. Vor allem kann Washington es der EU nicht gleichtun und selbst eine Grenzabgabe einführen, die WTO-konform wäre. Im Wahlkampf zählte ein border carbon adjustment zwar zu den klimapolitischen An­kündigungen, und auch einige Republikaner befür­worten einen solchen Vorstoß.90 Aber für die Trag­fähigkeit eines US-Vorstoßes wäre zunächst einmal ein landesweiter eigener CO2-Preis Voraussetzung. Daran anknüpfend könnte die Einführung eines Grenzausgleichs, wie er in den WTO-Regularien für indirekte Steuern erlaubt ist, vorangetrieben werden. Doch ein CO2-Preis, sei es als Steuer oder mithilfe eines Emissionshandels, lässt sich nur per Gesetz durchsetzen, und Biden braucht dafür eine 60-Stim­men-Mehrheit im Senat, die er nicht hat. Die Aus­sichten, dass er sein gesamtes politisches Kapital für einen solchen Vorstoß in die Waagschale legt, sind gering angesichts weiterer prioritärer Projekte des Präsidenten.

Daher argumentiert Washington, in den Plänen für einen CBAM lege sich die EU auf ein zu enges Kon­zept – den CO2-Preis – fest, wenn es darum geht, ausländische Klimapolitikmaßnahmen anzurechnen. Immerhin bekämen die US-Unternehmen nun unter Biden neue und sehr strikte Emissionsstandards und weitere ‑regulierungen auferlegt. Das ist insofern eine regelrechte Umkehrung früherer Umwelt- und Klima­debatten, als die USA immer für mehr Markt – also Emissionshandel – und die EU eher für mehr Staat – also Regulierung oder Besteuerung – standen. Aber im Weißen Hauses weiß man, dass Senat und Ab­geordnetenhaus empfindlich auf handelspolitische Maßnahmen der EU reagieren werden.

US-Vertreter werben daher dafür, dass die EU den CBAM auf Eis legt. Wenn dies nicht möglich sein sollte, drängt Washington darauf, dass Europa sich auf ein breiter angelegtes Konzept einlässt, das die An­rech­nung von klimapolitischen Maßnahmen Washingtons – also Standards, Regulierungen – er­mög­licht. So ließen sich Regulierungen beispielsweise in CO2-Kosten pro Tonne umrechnen, die dann als »Schat­tenpreise« angerechnet werden könnten. Auch könnte die EU entscheiden, die US-Klimapolitik ins­gesamt als gleichwertig zu den EU-Anstrengungen an­zuerkennen. Dazu müssten die EU und die USA eine Verabredung treffen.

Lehren aus der diplomatischen Krise beim Luftverkehrs-ETS 2012

Mit der Einführung einer CO2-Abgabe auf extraterrito­rial anfallende Emissionen hat die Europäische Kom­mission bereits Erfahrungen gemacht. Seit 2002 setzte sie sich vehement dafür ein, über die Emissionen aus Luftfahrt und Seetransport – die beide nicht vom Kyoto-Protokoll abgedeckt wurden – international zu verhandeln und mit speziellen Maßnahmen zu deren Senkung beizutragen. Als Forum für ein Sektor­abkom­men für den Luftverkehr sollte die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) dienen, eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Für den Fall eines Scheiterns kündigte die EU wiederholt an, den Luftverkehr in das EU ETS aufzunehmen; das betreffe auch Flugbewegungen über Nicht-EU-Terri­torium.91 Die »Ultimatumstrategie« fruchtete aller­dings nicht. 2008 beschloss die EU daher, ihre An­kündigung umzusetzen und die EU-ETS-Richtlinie (2003/87/EC) von 2012 an auch auf den Flugverkehr anzuwenden.92 Die Reaktionen aus dem Ausland erfolgten spät, aber dann massiv. In Moskau kamen 2012 mehr als zwanzig Staaten zusammen, um über Gegenmaßnahmen zu beraten. Zur Sprache kamen der Entzug von Überflugrechten, Zwangsgebühren für europäische Airlines oder die Kündigung bi­late­raler Verträge mit der EU. Die chinesische Regierung drohte mit Handelssanktionen, der US-Senat verab­schiedete im September 2012 einen Gesetzesentwurf, der jenen US-Fluggesellschaften mit Strafen drohte, die am EU ETS teilnehmen.

Infolge dieses diplomatischen Eklats gab die Kommission ihre ursprünglichen Pläne auf. Statt der gesamten Flugbewegungen werden seither lediglich jene über dem Europäischen Wirtschaftsraum vom Emissionshandel erfasst. Ihr Ziel einer internatio­nalen Herangehensweise an die Minderung der Luft­fahrtemissionen behielt die Kommission aber im Blick. Sie drängt weiterhin auf eine globale und effek­tive Konzeption mithilfe eines global verbindlichen, marktbasierten Mechanismus. Sie will in diesem Jahr einen Bericht über die ICAO-Kompensationsinstru­mente und eine mögliche Revision des EU ETS für diesen Sektor vorlegen.93 2016 hatte die ICAO mit CORSIA (Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation) ein erstes System zur inter­nationalen Kompensation von Emissionen des Flug­verkehrs aufgesetzt – auf freiwilliger Basis und mit großzügig bemessenen Einstiegsphasen. Bis zu Beginn der ersten Phase im Jahr 2023 sollen die internatio­nalen Flüge vom EU ETS ausgenommen bleiben (Ver­ordnung 2017/2392).94

Die Sorgen vieler Länder beruhten auf rechtlichen Bedenken und auf erwarteter unfairer Behandlung von Entwicklungsländern.

Die weltweiten Reaktionen auf den Vorstoß der Europäischen Kommission, das EU ETS auf Territorien jenseits der EU zu erweitern, beruhten 2012 sowohl auf rechtlichen Bedenken als auch auf der Sorge, dass das Vorgehen mit dem Klimaregime, insbesondere dem Prinzip der Fairness (CBDR&RC), nicht vereinbar sei. Aus politischer Sicht gingen die Abwehrreaktionen darauf zurück, dass Regierungen sich in ihrer Sou­veränität und ihren wirtschaftlichen Entwick­lungs­chancen beeinträchtigt sahen.

Mit Blick auf die CBAM-Pläne ergeben sich daraus folgende Lehren für die EU: Kommission und Parla­ment müssen sich, um das Fairnessgebot nicht zu verletzen, der Frage widmen, wie die negativen öko­nomischen Auswirkungen einer CO2-Grenzabgabe auf jene Handelspartner einzuschätzen sind, deren wirt­schaftlicher Status nicht dem der OECD entspricht. Auch hat das Luft­verkehrsbeispiel gezeigt, dass die Kommission es vor rund zehn Jahren außerhalb der ICAO und der UNFCCC an diplomatischen Anstrengungen hat fehlen lassen. Sie hat das Vorhaben nur unzureichend erklärt und rechtlich nicht abgesichert. Die den Luftverkehrsunternehmen potenziell entste­henden Kosten wären verhältnis­mäßig gering aus­gefallen. Ein Rückfluss der Einnahmen aus den Zerti­fikaten an die Ursprungsländer oder eine Verwendung der Mittel für andere internationale Klima­projekte hätten der Idee vermutlich mehr Akzeptanz verschafft. Doch davon war weder in den Gesetzesentwürfen noch in weitergehenden Überlegungen die Rede.

Ausblick

Die EU-Diplomatie steht vor der Aufgabe, den Han­dels­partnern den Green Deal sowie das Vorgehen der Union in der Klimapolitik in seiner gesamten Band­breite zu erläutern. Aufgrund seiner extraterritorialen Wirkung kommt dabei dem CBAM besondere Auf­merksamkeit zu.

2021 wird auf der internationalen Bühne mit Hoch­druck verhandelt werden, damit auf der Klima­schutzkonferenz COP26 im November ambitionierte Zusagen für mehr Klimaschutz gemacht und noch fehlende Regularien präzisiert werden können. Auch in diesem Kontext sorgen die CBAM-Pläne der EU für Gesprächsbedarf, und der wird sich noch steigern. In der WTO, der Weltbank, dem Internationalen Wäh­rungsfonds, in OECD, der asiatischen Wirtschafts­kooperation APEC, G7 und G20 wird darüber gespro­chen werden, wie andere Länder die EU-Pläne be­urteilen. Und darüber, ob sie mit der EU zusammen­arbeiten wollen und in welcher Richtung. Die Ver­treterinnen und Vertreter der EU im Ausland und in diesen internationalen Institutionen werden sich daher intensiv um eine Verständigung bemühen müssen.

Die Konsultationen im Rahmen der internatio­nalen Foren und weiterer, bilateraler Formate müssen frühzeitig, umfassend und ausdauernd geführt wer­den. Im Zuge der konkreten Anwendung des CBAM sollte die EU nicht nur eine Behörde für die Erfassung der Importunternehmen ins Auge fassen, sondern auch neue (digitale) Plattformen schaffen, unter an­derem damit Handelspartner ihre CO2-Daten, ‑Regu­lierungen und weitere Informationen transparent austauschen können. Die Datenbasis zu den Emissionen einzelner Sektoren in der EU ist bereits umfangreich, weil sie seit der Einführung des EU ETS im Jahr 2005 kontinuierlich erweitert und verbessert wurde.

Das »Fit for 55«-Paket der Europäischen Kommis­sion markiert den Startschuss für einen Prozess, für den die Gesetzgeber im Europäischen Parlament und in den Mitgliedstaaten Zeit brauchen werden. Im Gesamtpaket der klimapolitischen Reformen soll der CBAM einen wichtigen Baustein darstellen, dennoch sollte er erst nach gründlichen Konsultationen – EU-intern und mit den Partnerländern – in Gang gesetzt werden.

Im internationalen Alleingang wird die EU den CBAM wohl nicht auf den Weg bringen können. Dem stehen vor allem die wachsende Konkurrenz der poli­tischen Systeme und das Ringen vieler Staaten mit der Bewältigung der Pandemiefolgen entgegen. Viele Länder werden den CBAM als kontraproduktiv für die internationale (Klima-)Kooperation und teilweise als toxisch für die Bemühungen betrachten, das multi­laterale Handelssystem in einen besseren Stand zu versetzen. Es wird daher notwendig sein, mit der US-Regierung gemeinsam nach Ansätzen zu suchen, damit die jeweiligen klimapolitischen Prioritäten – Preisinstrumente in der EU, Standards in den USA – nicht mit den nun wieder aufgenommenen WTO-Reformbemühungen kollidieren.

Daraus ergeben sich zwei Aufträge an die Kommission und die Gesetzgeber: Erstens gilt es, den CBAM so eng wie möglich an effektivem und nachweis­lichem Klimaschutz auszurichten. Das heißt auch, seine Anwendung auf wenige, wenn nicht anfangs sogar auf nur einen Sektor zu begrenzen. Zweitens sollte die Kommission dafür sorgen, dass auch Alter­nativen zum CBAM erwogen werden, um Carbon Leakage zu begegnen. Dazu zählen sowohl Maßnahmen in Verbindung mit dem EU ETS (Verbrauchs­abgaben und temporärer Ausgleich von Investitionskosten) als auch Instrumente wie die erweiterte För­derung von Forschung und Entwicklung sowie die Senkung anderer Standortkosten in den Mitglied­staaten. Als langfristige Alternative zum ETS käme eine CO2-Besteuerung infrage, zum Beispiel mittels Energiesteuern und Steuern auf Konsumgüter. Auch Zielwerte für den CO2-Ausstoß der energieintensiven Industrien, wie sie heute bereits als Benchmarks bestehen, würden in diesen Mix gehören, weil eine Steuer allein keine Garantie dafür ist, dass Emissions­werte gesenkt werden. Eine EU-weite CO2-Steuer erfordert angesichts der notwendigen Einstimmigkeit in EU-Finanzfragen womöglich einen langen Atem, würde aber in jedem Fall handelsrechtliche Risiken minimieren.

Die EU-Mitgliedstaaten sollten sich ein klares Bild von den handelspolitischen Implikationen verschaffen, die ein CBAM in den jeweiligen Handelspartner­ländern nach sich ziehen wird. Das schließt angesichts der möglichen finanziellen Dimensionen nicht nur politische Gegenwehr ein, sondern auch eine mög­liche Veränderung von Handelsströmen und Zuliefer­strukturen. In EU-internen Konsultationen wird unter anderem zu klären sein, welche Risiken einzelne Mitgliedstaaten mitzutragen bereit sind.

Schon allein die Planung des CBAM hat sich als Hebel erwiesen, der Länder dazu bewegt, mit der EU das Gespräch über die klimapolitische Zusammen­arbeit zu suchen. Gegenüber schwierigen Partnern wie China, Brasilien, Russland und der Türkei macht Brüssel damit auch deutlich, dass die Union in der Klima- und Handelspolitik in höherem Maße als bis­her auf Stärke setzen will, um den Green Deal voran­zutreiben. Es ist daher taktisch durchaus von Vorteil, den Gesetzesentwurf voranzutreiben, genügend Zeit für Prüfungen und Verhandlungen einzuplanen – und mit Blick auf die Entwicklung der internatio­nalen Zusammenarbeit womöglich später zu ent­scheiden, ob und wie das Instrument zur Anwendung kommen soll.

Anhang

Anhang 1

Tabelle A.1 Sektorenliste mit Carbon-Leakage-Risikoa

Sektor (Kurzname)

NACE-
Code

Carbon-Leakage-Indikator

direkte CO2-Intensität (kg CO2/€)

indirekte CO2-Intensität (kg CO2/€)

Handels-
intensität

Kokerei

19.10

19,911*

18,397

-0,113

108,9 %

Steine und Erden

08.99

3,814*

1,948

0,253

173,3 %

Mineralölverarbeitung

19.20

3,218*

11,440

1,031

25,8 %

Eisenerz

07.10

2,786*

2,734

0,490

86,4 %

Zement

23.51

2,446*

22,891

1,330

10,1 %

Düngemittel und Stickstoffverbindungen

20.15

2,429*

7,084

0,553

31,8 %

Roheisen, Stahl und Ferrolegierungen

24.10

2,126*

6,859

1,414

25,7 %

sonstige anorganische Grundstoffe

20.13

1,641*

1,679

1,359

54,0 %

Aluminium

24.42

1,629*

1,618

3,011

35,2 %

Flachglas

23.11

1,444*

5,460

0,631

23,7 %

Lederbekleidung

14.11

1,148*

0,000

1,383

83,0 %

sonstige organische Grundstoffe

20.14

1,055*

1,763

0,390

49,0 %

keramische Fliesen und Platten

23.31

1,048*

2,002

0,548

41,1 %

Blei, Zink und Zinn

24.43

1,030*

1,342

2,025

30,6 %

Kalk und gebrannter Gips

23.52

1,020*

20,248

0,570

4,9 %

Industriegase

20.11

1,009*

1,728

15,091

6,0 %

Holz- und Zellstoff

17.11

0,988*

0,969

1,085

48,1 %

Papier, Karton und Pappe

17.12

0,837*

1,528

1,482

27,8 %

Zucker

10.81

0,632*

2,789

0,419

19,7 %

Hohlglas

23.13

0,631

1,961

0,593

24,7 %

synthetischer Kautschuk in Primärformen

20.17

0,604

0,485

0,612

55,1 %

Farbstoffe und Pigmente

20.12

0,519

0,621

0,449

48,5 %

Stärkeerzeugnisse

10.62

0,517*

1,847

0,949

18,5 %

Eisengießereien

24.51

0,488

0,472

0,719

41,0 %

Sonstiger Nichteisen-Metallerzbergbau

07.29

0,469

0,000

0,560

83,7 %

Kupfer

24.44

0,421

0,485

0,714

35,1 %