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»Wir haben etwa ein Jahr Zeit, um die nötige Infrastruktur aufzubauen«

Kurz gesagt, 11.05.2020 Forschungsgebiete

Für die Suche nach einem Corona-Impfstoff hat die EU mit ihrer Geberkonferenz rund siebeneinhalb Milliarden Euro eingesammelt. Gesundheitsexpertin Maike Voss erklärt im Interview, warum es nicht nur aufs Geld ankommt.

Die EU-Kommission hat vergangene Woche eine internationale Geberkonferenz einberufen, um die gemeinsame Finanzierung der Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten gegen das Coronavirus zu sichern. Die Teilnehmer haben am Montag 7,4 Milliarden Euro zugesagt. Reicht das?

Maike Voss: Es ist ein Anfang. Insgesamt, also von der Entwicklung über die Produktion bis zur Verteilung von Impfstoffen, Medikamenten und anderen Medizinprodukten, wird es weitaus teurer werden. Die virtuelle Geberkonferenz diente dazu, die internationale Kooperation in diesem Bereich zu initiieren. Deswegen war es ein wichtiges Zeichen, dass möglichst viele Länder an einem Tag zur selben Zeit zusammenkamen.

Geld scheint ohnehin nicht das Problem zu sein. Allein in Deutschland beträgt der Umfang der haushaltswirksamen Maßnahmen zum Umgang mit der Coronakrise mehr als 350 Milliarden Euro.

Es geht auch nicht nur ums Geld. Ein Beispiel: Die Gates-Stiftung gehört zu den größten Geldgebern für globale Gesundheit und hat nun 100 Millionen Euro zugesagt. Die könnten natürlich noch viel mehr beisteuern. Die Stiftung achtet aber darauf, dass sie in einer für sie zu rechtfertigenden Relation zu den anderen Gebern steht. Sie will sich nicht in den Vordergrund spielen, mischt aber natürlich stark mit. Und so lassen sich die 525 Millionen Euro aus Deutschland auch als Zeichen lesen, dass man hier viel unterstützen und die Debatte mit anführen möchte.

Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, wollte alle Gesundheitsorganisationen der Welt unter einem Dach vereinen. Am Ende beteiligten sich Staats- und Regierungschefs aus 40 Ländern, Stiftungen und Unternehmen. Die USA und Russland waren nicht dabei…

…und Indien. Die großen Pharmamunternehmen sitzen in den USA, Europa und Indien. Zwei dieser großen Player waren bei der Geberkonferenz nicht dabei. Das ist natürlich verheerend für die gemeinsamen Bemühungen gegen Covid-19. Beim Fernbleiben der USA spielt sicherlich die Abkehr vom Multilateralismus eine Rolle. Indien nahm kurz vor der Geberkonferenz an einem Treffen der blockfreien Staaten (Non-Aligned Movement) teil. Gerade zu Beginn der Krise wurde die Europäische Kommission dafür kritisiert, die EU-Mitgliedsländer nicht zu einer gemeinsamen Politik bewegen zu können. Bei der Geberkonferenz wurde ihr nun eine Führungsrolle zugesprochen.

Was bedeutet das für die Eindämmung der Pandemie?

Ich denke, dass die Geberkonferenz auch bei den Ländern, die sich nicht beteiligt haben, Eindruck hinterlässt. Denn die teilnehmenden Länder signalisieren: Wir arbeiten zusammen, damit wir schneller einen Impfstoff als ein globales, öffentliches Gut entwickeln, von dem alle gleichberechtigt profitieren. Ihre Absicht ist es nicht, diesen ausschließlich untereinander zu verteilen, sondern ihn weltweit zur Verfügung zu stellen. Schließlich sind wir vor dem Virus nur sicher, wenn eine große Anzahl von Menschen geimpft ist. Und so würden auch jene Länder profitieren, die sich gerade nicht beteiligen.

Wo liegen die größten Hürden bei der Erforschung und Entwicklung eines Impfstoffes?

Zunächst geht es um die Frage, wie man es schafft, den Preis so nah wie möglich an den Produktionskosten auszurichten, damit der Impfstoff erschwinglich bleibt. Die Vergabe von Patenten kann eine schnelle und umfangreiche Produktion erschweren und verzögert daher den Zugang zu einem Impfstoff. Die Freigabe von geistigen Eigentumsrechten, Informationen und Daten in einem internationalen Technologiepool sowie Technologietransfers können hier Abhilfe schaffen. Gleichzeitig müssen die Entwicklungs- und Produktionskosten natürlich vergütet werden. Der Preis des Herstellers und die Kaufkraft des Käufers dürfen aber nicht über den Zugang zu einem Gesundheitsgut entscheiden. Darüber hinaus ist die Frage der Produktionskapazität noch offen. Ziel ist es, den Impfstoff in großer Menge möglichst vor Ort, so nah wie möglich an den Menschen, herzustellen. Wir wissen momentan nur, dass Produktionsstandorte weltweit ungleich verteilt sind – eher im globalen Norden. Hier braucht es entwicklungspolitische Lösungen, zumal weil auch die Verteilung wegen mangelnder Infrastruktur wie beispielsweise sicheren Kühl- und Lieferketten schwierig wird.

Wie lässt sich eine faire Verteilung des Impfstoffes sicherstellen, wenn dieser irgendwann entwickelt ist?

Jeder Euro bzw. Dollar, der ins System fließt, muss an Bedingungen für den gerechten Zugang geknüpft sein. Es braucht einen Überprüfungsmechanismus, der idealerweise bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) angesiedelt ist. Die WHO ist die Organisation, die dazu legitimiert ist und viel Erfahrung hat. Dafür muss sie aber mit den dafür notwendigen Mitteln ausgestattet werden. Bei der Kontrolle muss auch die Zivilgesellschaft, zum Beispiel Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen, einbezogen werden. Diese Stimmen haben bei der Geberkonferenz gefehlt. In vielen Entwicklungsländern sind es NGOs, die die Gesundheitsversorgung am Laufen halten. Für all das brauchen wir viel Transparenz. Und die Pharmaindustrie ist nicht der Sektor, der sonst mit freiwilliger Transparenz glänzt. Deswegen bedarf es jetzt Anpassungen nationaler Regularien – und das wird in Anbetracht der Dringlichkeit und Abhängigkeiten nicht einfach.

Wie müsste priorisiert werden, um den Impfstoff weltweit gerecht zu verteilen?

Es ist wichtig, dass Staaten zusammen mit der WHO jetzt schon Kriterien zur gerechten Verteilung entwickeln, denen ethische Überlegungen zugrunde liegen. So sollten national Gesundheitsfachkräfte, im öffentlichen Sektor tätige Personen und vulnerable Gruppen priorisiert werden. Neben epidemiologischen Kennzahlen spielen für eine internationale Verteilung soziale und wirtschaftliche Aspekte eine Rolle, darunter die Durchsetzung und Akzeptanz von Gesundheitsschutzmaßnahmen, die Bevölkerungsdichte, die Größe des informellen Sektors und der Zugang zu Wasser. Auch die Funktionsfähigkeit von Gesundheitssystemen wird entscheidend sein – zur Verteilung der Güter, aber auch um die Regelversorgung aufrechtzuerhalten. Gesundheitsfachkräfte werden hier entscheidend sein. Wir haben nun etwa ein Jahr Zeit, um die nötige Infrastruktur aufzubauen. Denn so lange wird es mindestens dauern, bis es einen Impfstoff gibt.

Das Interview führte Çetin Demirci von der Online-Redaktion.

Dieser Text ist auch bei euractiv.de erschienen.