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Waffenlieferungen an die Ukraine

»Fahren auf Sicht« – auch was das Völkerrecht angeht

SWP-Aktuell 2023/A 09, 02.02.2023, 5 Seiten

doi:10.18449/2023A09

Forschungsgebiete

Deutschland unterstütze die Ukraine durch Waffenlieferungen bei der Ausübung ihres individuellen Rechts auf Selbstverteidigung gegen den von Russland geführten völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, werde dadurch aber nicht zur Kriegspartei. So lautet die Position der Bundesregierung. In völkerrechtlicher Hinsicht stellt sich jedoch die Frage, wann das Unterstützen in einem bewaffneten Konflikt in eine indirekte Gewaltanwendung umschlägt. Dann müsste nämlich das kollektive Selbst­verteidigungsrecht in Anspruch genommen werden. Und man könnte sich kaum mehr darauf berufen, nicht Konfliktpartei zu sein. Doch das ius contra bellum und das huma­nitäre Völkerrecht geben keine eindeutigen Antworten darauf, wann die betreffenden Schwellen überschritten sind.

Den völkerrechtlichen Rahmen für die Ausstattung der Ukraine mit Kriegswaffen bilden im Wesentlichen das Friedenssicherungsrecht der UN-Charta (das auch als ius contra bellum bezeichnet wird), das Neutralitätsrecht und das humanitäre Völkerrecht (ius in bello). Jede der drei Regelungsmaterien folgt ihrer eigenen Logik und Systematik. Zwischen dem ius contra bellum und dem ius in bello existieren sogar scharfe Trennlinien. Daher sind zunächst folgende Klarstellungen erforderlich.

Erstens: Die völkerrechtliche Zulässigkeit der Waffenlieferungen beurteilt sich vor allem nach dem ius contra bellum und dem Neutralitätsrecht. Ob ein Staat Partei eines bewaffneten Konflikts ist, bestimmt hin­gegen allein das humanitäre Völkerrecht. Falsch ist daher der Schluss, man werde deshalb nicht Kriegspartei, weil man die Ukraine dabei unterstütze, sich gegen einen Aggressor in einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu ver­teidigen. In der politi­schen Debatte werden beide Aspekte häufig vermischt. Außer Frage steht, dass militä­rischer Bei­stand für die Ukraine selbst in größerem Umfang durch die UN-Charta gedeckt ist. Dies bewahrt Staaten, die Hilfe leisten, aller­dings nicht davor, im huma­nitär-völker­rechtlichen Sinne zu Konfliktparteien zu werden.

Zweitens: Sofern die Verbündeten der Ukraine nach den Kategorien des huma­nitären Völkerrechts in die Position von Konfliktparteien gerieten, wären zwar in der Logik dieser Rechtsmaterie militärische Handlungen Russlands gegen die betref­fenden Staaten denkbar. Gemäß dem ius in bello sind Angriffe auf militärische Ziele einer Konfliktpartei näm­lich nicht verboten, solange bestimmte humanitäre Grund­regeln eingehalten werden. Gleichwohl verstieße Russland ein weiteres Mal ekla­tant gegen die UN-Charta, würde es seine militärischen Operationen nun auf diese Staaten ausweiten.

Im Übrigen jedoch ist das Völkerrecht hinsichtlich der Bewertung von Waffen­lieferungen an einen Staat, der sich im Krieg befindet, keineswegs so klar, wie mit­unter behauptet wird.

Zwei Fragen sind vordringlich zu klären:

(1) Wann überschreiten Waffenlieferungen an die Ukraine möglicherweise die Grenze zur indirekten Gewaltanwendung, so dass sie unter Rückgriff auf das Recht zur kollektiven Selbstverteidigung gerecht­fertigt werden müssten?

(2) Laufen westliche Staaten Gefahr, nach humanitärem Völkerrecht durch eine solche militärische Unterstützung der Ukraine zu Konfliktparteien zu werden?

Waffenlieferungen als kollektive Selbstverteidigung?

Die Rechtsauffassung der Bundesregierung lautet, dass Deutschland die Ukraine durch die Lieferung von Waffen bei der Ausübung ihres individuellen Selbstverteidigungsrechts unterstützt. Die Schwelle zu einer kollektiven Ausübung des Selbstverteidigungsrechts werde nicht überschritten (Deutscher Bundestag, Drucksache 20/1918, S. 39).

Doch worin besteht der Unterschied zwischen Hilfe zur individuellen Selbst­verteidigung und kollektiver Selbstverteidigung? Zunächst eine verfahrensrechtliche An­merkung: Maßnahmen, die ein Mitglied der Vereinten Nationen in Ausübung (nicht zur Hilfe bei der Ausübung) des in Artikel 51 der UN-Charta verbrieften Rechts auf individuelle oder kol­lektive Selbstverteidigung trifft, müssen dem UN-Sicher­heitsrat nach Satz 2 dieses Artikels um­gehend an­gezeigt werden. Deutschland und offenbar auch alle ande­ren Staaten, die der Ukraine mit militärischen Hilfspaketen zur Seite stehen, sind überzeugt, dass ihre Beiträge noch unterhalb der Schwelle zur Ausübung des kollektiven Selbstverteidigungsrechts an­zusie­deln sind. Deswegen ist beim Sicher­heitsrat bislang keine entsprechende An­zeige eingegangen. Als ständiges Mit­glied dieses Gremiums wäre Russland direkter Empfänger einer solchen Benachrichtigung.

Unterdessen lässt sich diskutieren, ob die Waffenlieferungen mittlerweile die Qua­li­tät einer indirekten Gewaltanwendung erreicht haben. Das nämlich würde den Anwendungs­bereich von Artikel 2 Nr. 4 der UN-Charta eröffnen. Demzufolge würde es nicht mehr ausreichen, sich darauf zu berufen, der Ukraine lediglich bei der Aus­übung ihres individuellen Selbstverteidigungsrechts behilflich zu sein. Viel­mehr müsste dann Artikel 51 der UN-Charta als Rechtfertigungstatbestand für die Waffenlieferungen in Stellung gebracht werden. Dies wäre materiell-rechtlich unproblematisch, da die Voraussetzungen für eine kol­lektive Selbstverteidigung zugunsten der Ukraine vorliegen. Es zöge aber die erwähn­te Anzeigepflicht nach sich.

Das völkerrechtliche Konstrukt der in­direkten Gewaltanwendung geht vor allem auf einige Resolutionen zurück, die die UN-Generalversammlung in den ersten drei Dekaden seit Gründung der Vereinten Natio­nen verabschiedet hat. Sie sollen klar­stellen, dass das in Artikel 2 Nr. 4 der Char­ta verankerte Gewaltverbot auch bestimmte subversive Handlungen von Staaten erfasst, wie etwa das Schüren von Unruhen in einem anderen Staat oder die Entsendung von Söldnern oder bewaffneten Banden. Im Nicaragua-Urteil hat der Internationale Gerichtshof 1986 festgestellt, dass bereits das Bewaffnen und Trainieren von Rebel­len, die Gewaltakte gegen einen anderen Staat verüben sollen, als eine Form der Gewaltanwendung anzusehen sei.

Die Situation, dass ein Staat einem ande­ren Staat bei dessen Gewalt­einsatz gegen einen Drittstaat hilft, indem er Waffen, Munition und Ausrüstung bereit­stellt, hat die UN-Generalversammlung in den betref­fenden Resolutionen mit dem Gewaltverbot jedoch gerade nicht in Verbindung ge­bracht. Der Internationale Gerichtshof hat sich mit solchen Fällen noch nicht beschäf­tigt. Und auch in der Staatenpraxis wurden Waffenlieferungen an Kriegs­parteien bis­lang nicht als indirekte Gewalt­anwendung bewertet.

Einen kriegführenden Staat hochzurüsten kann aber durchaus eine größere Friedensbedrohung darstellen, als Rebellen in einem Bürgerkrieg zu be­waffnen und zu trainieren. In einer solchen Situa­tion können die in Artikel 2 Nr. 4 der Charta genannten Schutzgüter, also territoriale Unversehrtheit und politische Unabhängigkeit von Staaten sowie allgemein die Ziele der Ver­einten Nationen, erheblich beein­trächtigt sein. Dies spräche grundsätzlich dafür, auch zwischenstaatliche militärische Unter­stützungsleistungen unter bestimmten Voraussetzungen als indirekte Form der Gewaltanwendung im Sinne von Artikel 2 Nr. 4 einzustufen.

Dass sich Staaten nicht auf kollektive Selbstverteidigung stützen, wenn sie Kon­fliktparteien mit Waffen ausstatten, muss nicht zwangsläufig einer rechtlichen Über­zeugung Ausdruck verleihen, sondern dürfte in vielen Fällen eher politischen Er­wägungen geschuldet sein. Das Recht auf kollektive Selbstverteidigung in Anspruch zu nehmen impliziert eben, dass man sich im Anwendungsbereich des Gewaltverbots bewegt. Dies kann innen- wie außenpolitisch enormen Druck erzeu­gen. Auch die Linie der Bundesregierung in der aktuellen Lage ist nachvollziehbar. Wür­den sich west­liche Staaten auf das kollektive Selbstverteidigungsrecht berufen, könnten sie sich kaum mehr plausibel auf den Standpunkt stellen, nach humanitärem Völkerrecht nicht Konfliktpartei zu sein. Hierin dürfte das eigentliche Problem bestehen (dazu im folgenden Abschnitt).

Würde man ungeachtet der bisherigen Staatenpraxis argumentieren, dass Waffen­lieferungen an Kriegsparteien den Anwendungsbereich von Artikel 2 Nr. 4 der UN-Charta tangieren können, müssten Krite­rien definiert werden, damit nicht jede Transaktion im Vorfeld oder Verlauf einer bewaffneten Auseinandersetzung als Ver­stoß gegen das Gewaltverbot verstanden werden kann. Die Grenze könnte dort ver­ortet werden, wo die Waffen unmittelbar bei der Gewaltanwendung gegen den Dritt­staat zum Einsatz kommen und wo die Lieferung insgesamt so substantiell ist, dass der liefernde Staat dadurch tatsächlich Ein­fluss auf die Gewaltanwendung nimmt.

Außerdem müsste der liefernde Staat seinerseits die Absicht haben, mittels der Waffenlieferungen dazu beizutragen, dass der Drittstaat zu einem bestimmten Ver­halten gezwungen wird. Dieses subjektive Element wird in der englischsprachigen Literatur oft als hostile intent bezeichnet. Es dient in Fällen niederschwelliger zwischenstaatlicher Übergriffe als Indikator dafür, dass das Gewaltverbot berührt ist. Unbeabsichtigte militärische Grenzverletzungen etwa lassen sich damit aus dem Anwendungsbereich von Artikel 2 Nr. 4 der Charta ausklammern. Anders als der Terminus hostile nahelegt, bedarf es jedoch keiner feindseligen Motivation. Auch humanitäre Beweggründe können einen Staat antreiben, einen anderen Staat mittels direkter oder indirekter Gewalt zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen.

Im Fall der Unterstützung für die Ukra­ine könnten diese Kriterien mittlerweile erfüllt sein. Die Schlagkraft der ukrainischen Streit­kräfte hängt wesentlich von dauerhaftem Waffennachschub aus dem Ausland ab­. Und auch die Ausbildung, die ukrainische Soldatinnen und Soldaten in Partnerländern erhalten, ist – ebenso wie die nachrichtendienstlichen Informationen, die von westlichen Geheimdiensten über­mittelt werden – von essentieller Bedeutung für den Erfolg der Truppen auf dem Schlachtfeld. Man muss sogar davon aus­gehen, dass westliche Staaten durch die Be­reitstellung wachsender Men­gen an schlag­kräftigen Waffensystemen immer mehr Einfluss auf den Kriegsverlauf nehmen und nehmen wollen. Von Anfang an haben einige der Regierungen klar kom­muniziert, dass die Ukraine den Krieg »gewinnen« müsse oder dass Russland seine Ziele jeden­falls nicht erreichen dürfe. Vor dem Europa­rat formulierte die deutsche Außenministerin, wenn auch beiläufig, so doch in offi­zi­eller Funktion, dass man einen Krieg gegen Russland führe. Eine solche Äußerung, wenngleich als Aufruf zu mehr Geschlossen­heit gedacht, könnte als zusätzlicher Beleg dafür aufgefasst werden, dass die militärische Unterstützung der Ukraine allmäh­lich eine Qualität erreicht, die über bloße Hilfe bei der individuellen Selbstverteidigung hinausgeht. Dann würde man im Anwendungsbereich der kollektiven Selbst­verteidigung agieren.

Zwar hat die Bundesregierung immer wieder betont, dass die Nato und Deutschland nicht Kriegsparteien seien. So müsse auch die Außenministerin verstanden wer­den, erklärte das Auswärtige Amt unmittelbar im Nachgang zu besagter Äußerung. Je näher aber das Engage­ment west­licher Staaten an eine kollektive Selbstverteidigung heranrückt, desto schwie­riger wird es, im humanitär-völkerrecht­lichen Sinne nicht zur Konfliktpartei zu werden.

Wann wäre man Konfliktpartei?

In der völkerrechtswissenschaftlichen Debatte wird mit großer Mehrheit davon ausgegangen, dass Deutschland durch die Versorgung der Ukraine mit Waffen bislang nicht Kriegspartei geworden ist.

Unter welchen Voraussetzungen ein Staat, der eine Seite in einem internatio­nalen bewaffneten Konflikt unterstützt, als Partei in diesem Konflikt zu gelten hat, ist jedoch weder in den Genfer Abkommen von 1949 noch in anderen Kodifikationen des humanitären Völkerrechts geregelt. Und auch im Völkergewohnheitsrecht hat sich dazu trotz vereinzelter Staatenpraxis noch keine feste Norm herausgebildet.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) stellt unter anderem auf die Qualität der Hilfeleistung ab (support-based approach). Ein Staat, der Streitkräfte in den Konflikt entsendet, um einer Partei Bei­stand zu leisten, wird dadurch unstrittig zur Konfliktpartei. Auch die Durchsetzung einer Flugverbotszone über der Ukraine hätte die daran beteiligten Staaten zwangs­läufig zu Konfliktparteien werden lassen. Doch unterhalb dieser Ebene existiert eine Grauzone.

Grundsätzlich ist im internationalen bewaffneten Konflikt eine Beteiligung an der kollektiven Austragung der Feindseligkeiten von anderen Aktivitäten abzugrenzen, die lediglich den allgemeinen Kriegs­anstrengungen oder der Kriegsförderung zuzurechnen sind. Eine Konfliktpartei zu unterstützen führt nach Ansicht des IKRK zur Beteiligung an den Feindseligkeiten, wenn dies unmittelbar zur Schädigung des Gegners beiträgt (oder zumindest objektiv geeignet und darauf ausgelegt ist, dazu unmittelbar bei­zutragen). Ob das Kriterium der Un­mittel­barkeit erfüllt ist, kann davon abhängen, wie der Empfängerstaat von der Unterstützung Gebrauch macht. Wird der Beitrag direkt in eine konkrete militärische Opera­tion integriert, ist ein unmittelbarer Zusam­menhang gegeben. In der Literatur werden teilweise höhere Anforderungen ge­stellt. So wird argumentiert, dass ein Staat durch Unter­stützung für eine Konfliktpartei nur dann auch selbst Partei werde, wenn er zudem die Möglichkeit habe, in koordinierter Weise an operativen Entschei­dungen mitzuwirken (Wentker 2022, S. 7ff).

Demnach wäre etwa folgendermaßen zu differenzieren: Wird ein Staat mit Waffen beliefert, damit er seine Arsenale auffüllen und seine Armee besser ausrüsten kann, lässt sich kaum argumentieren, dass die­jenigen Staaten, von denen die Waffen stammen, schon deshalb zu Konfliktparteien werden, weil der Empfänger die Waffen tatsächlich einsetzt. In einem solchen Szenario sind ab der Übergabe der Waffen etliche Zwischenschritte nötig, bis es über­haupt zu einer Schädigung des Gegners kommen kann.

Werden Waffen aber gewissermaßen direkt auf das Schlachtfeld geliefert, damit sie dort unmittelbar zum Einsatz gebracht werden, rückt eine Konfliktbeteiligung näher. Werden zudem Mitglieder derjenigen Einheiten, die ein Waffensystem benutzen sollen, von den Partnerstaaten in Crash­kursen instruiert, wie das betreffende System zu bedienen ist, und wird versucht, da­durch rasch Gefechtsfähigkeit zu gewähr­leisten, spricht dies in der Gesamtschau ebenfalls dafür, dass zwischen den erbrach­ten Unter­stützungsleistungen und der be­absichtigten Schädigung des Gegners ein unmittelbarer Bezug besteht.

Fraglich ist, ob noch hinzutreten muss, dass eine Koordinierung erfolgt, die es dem Unterstützerstaat ermöglicht, in konkreten Operationen Einfluss auf die Einsatzentscheidungen zu nehmen. Sollte es darauf wirklich ankommen, ließe sich eine Kon­fliktbeteiligung – zumindest juristisch – durch strikte ein­satzrechtliche Beschränkungen und entsprechende Zurückhaltung relativ ein­fach vermeiden.

Zusammenfassung und Einordnung

Die Schwellen, auf die es im vorliegenden Fall ankommt, sind im Völkerrecht nicht klar definiert. Dies betrifft zunächst die im ius contra bellum zu verortende Grenze zwi­schen einerseits der bloßen Unterstützung eines anderen Staates bei dessen Gewalt­einsatz zur individuellen Selbstverteidigung und andererseits einer (indirekten) Gewalt­anwendung, die als kollektive Selbstverteidigung zu recht­fertigen wäre. Darüber hinaus geht es darum, wann ein Staat nach huma­nitärem Völker­recht als Partei in einen bereits laufenden bewaffneten Kon­flikt eintritt oder hineingezogen wird.

Das ius contra bellum und das humanitäre Völkerrecht sind zwar strikt voneinander zu trennen. Gleichwohl drängt sich unter­schwellig eine Parallelwertung auf. Wäre man an dem Punkt angelangt, dass Waf­fen­lieferungen an die Ukraine als Maßnahme der kollektiven Selbstverteidigung gerechtfertigt werden müssten, dann wäre schwer zu vermitteln, warum eine Unterstützungsleistung solcher Qualität die unterstützenden Staaten nach humanitärem Völkerrecht nicht zu Parteien in dem Konflikt machen soll.

Für die russische Führung spielt das Völkerrecht als normativer Kompass und Entscheidungsmaßstab im Angriffskrieg gegen die Ukraine zwar keine Rolle. Auf internationaler Bühne bedient sich der Kreml aber nach wie vor der Sprache des Völkerrechts. Dies soll helfen, Staaten an sich zu binden, die weiterhin von politischen, wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen zu Russland profitieren, aber nicht den Vorwurf hören wollen, sich mit einem Völkerrechtsbrecher einzulassen. In dieselbe Richtung zielt der Versuch, »dem Westen« mittels einer solchen Rhetorik die Rolle des Aggressors zuzuschreiben. Immer­hin befindet sich Russland als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats in einer privilegierten Position, um seinen Interpretationen und Narrativen Gehör zu verschaffen und damit unter Umständen auch die Weiterentwicklung völkerrechtlicher Nor­men und Prinzipien zu beeinflussen.

Darüber hinaus geht es Moskau vor dem Hintergrund verstärkter Waffenlieferungen an die Ukraine darum, seinen per­manenten Drohungen an die Adresse westlicher Staa­ten mehr Nach­druck zu verleihen, indem es alarmierende Begriffe wie »Kriegs­partei« oder »legitime Ziele« verwendet. Eine solche Ansprache verfängt vor allem bei Staaten, die wie Deutschland über eine ausgeprägte »Völkerrechtssensibilität« verfügen. Jene Staaten sehen sich angesichts solcher Dro­hungen möglicherweise umso mehr dazu veranlasst, gewisser­maßen auf Sicht zu fahren, um die genann­ten Schwellen nicht unbemerkt zu über­schreiten.

Lektüreempfehlung

Christian Schaller

»Der völkerrechtliche Rahmen für Waffenlieferungen an die Ukraine«

in: Archiv des Völkerrechts, 60 (2022) 4 (im Erscheinen).

Dr. iur. Christian Schaller ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Globale Fragen.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2023

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