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Polens neue Stärke

Warschau hat heute die Beziehungen zu Washington, die es über mehr als 20 Jahre hin angestrebt hat, sagt Kai-Olaf Lang. Das stärkt auch seine Position in Europa.

Kurz gesagt, 03.06.2011 Forschungsgebiete

Warschau hat heute die Beziehungen zu Washington, die es über mehr als 20 Jahre hin angestrebt hat, sagt Kai-Olaf Lang. Das stärkt auch seine Position in Europa.

Der Besuch von US-Präsident Barack Obama in Polen hat zweierlei deutlich gemacht: Zum einen, dass sich das Verhältnis beider Länder von einer Special Relationship zu einer nüchternen Zweckgemeinschaft gewandelt hat; zum anderen, dass die polnische Verunsicherung über das außenpolitische Gebaren der USA und speziell der Obama-Administration einer Suche nach gemeinsamen Kooperationsfeldern gewichen ist. Wenn Washington und Warschau ihrer Partnerschaft nun wieder mehr Schwung verleihen, kann dies Polen mit seiner aktiven und kooperativen Außen- und Europapolitik auch zur Festigung seiner Position in der EU und seiner Rolle als regionales Kraftzentrum nutzen.

Polen hatte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die USA lange als Schutzmacht gesehen. Von der Anlehnung an Washington, die 2003 in der Teilnahme am Irak-Feldzug gipfelte, versprach man sich vor allem drei Dinge: Die US-Präsenz in Europa würde als Sicherheitsgarantie angesichts der Instabilitäten im nachsowjetischen Raum wirken; die enge Beziehung zu den USA sollte Polens Rolle als mitteleuropäische Führungsmacht weiterentwickeln; und zu guter Letzt sollte insbesondere in der Phase harter Auseinandersetzungen um den EU-Verfassungsvertrag der Schulterschluss mit Washington ein Gegengewicht zu Deutschland und Frankreich garantieren, ebenso wie zu einer neuen Achse Berlin-Moskau.

Die "Wiederentdeckung" Polens hat mehrere Gründe

Doch diese Erwartungen erfüllten sich nur zum Teil. Nach dem Amtsantritt der Obama-Administration im Jahr 2009 kam das handfeste Unbehagen über die strategische Ausrichtung Washingtons hinzu: die Politik des „Reset“ mit Russland und der Ausstieg aus der Ursprungsvariante der Raketenabwehr. Diese hätte die Installation von Komponenten in Polen und der Tschechischen Republik vorgesehen und hätte eine Art Versicherungspolice gegenüber Russland bedeutet. Ob es eine Neuauflage des Schutzschildes geben würde, und wie diese aussehen würde, war zunächst unklar. Der Reset wiederum schürte in Polen und der ganzen Region die Sorge, die USA würden Ostmittel- und Osteuropa einer neuen Zusammenarbeit mit Russland opfern.

Angesichts dieser Zweifel war der Besuch Obamas in Warschau ein wichtiges Zeichen, mit dem Washington die Relevanz Polens und Ostmittleuropas unterstreichen wollte. Diese „Wiederentdeckung“ der Region hat mehrere Gründe:

So unterstützt die von Premier Donald Tusk initiierte Kooperationspolitik gegenüber Moskau indirekt das amerikanisch-russische Rapprochement, da russisch-polnische Verwicklungen den Reset empfindlich stören könnten. Aus amerikanischer Sicht hat sich Polen zudem durch die ebenfalls seit 2007 von Tusk betriebene Annäherung an Deutschland und durch sein deutlich konstruktiveres Agieren in der EU als noch unter Premier Jaroslaw Kaczyński politisch aufgewertet. Als Schlüsselland in der Union sowie im regionalen Kontext hat Polen nun für die USA die regionale Scharnierfunktion und Position eines privilegierten Ansprechpartners, die es zuvor über zwei Jahrzehnte hin angestrebt hatte.

Überdies schätzt die US-Regierung inzwischen den intensivierten und sichtbaren Dialog mit Polen auch in seiner Vorbildfunktion: Polen ist nicht nur für seine osteuropäischen Nachbarn ein Modell gelungener demokratischer Transition, sondern Washington erhofft sich den Transfer dieser Erfahrung auch in die arabische Welt. Mehr Zusammenarbeit mit Polen dokumentiert den amerikanischen Willen, im östlichen Europa präsent zu bleiben und dabei nicht nur mit Schwergewichten, sondern auch mit mittleren und kleineren Partnern substantiell zu kooperieren.

Sicherheit, Energie, Demokratie - hier soll eng kooperiert werden

Dementsprechend arbeiten jetzt beide Länder konkret im Sicherheitsbereich noch intensiver zusammen. Washingtons Einsatz für die Ausarbeitung von NATO-Ernstfallplänen für Polen, die Konkretisierung der neuaufgelegten Raketenabwehr und die Fixierung des Zieldatums 2018 für die Einrichtung diesbezüglicher Komponenten in Polen oder die Stationierung von Patriot-Raketen zu Übungszwecken zeugen davon.

Insgesamt standen bei Obamas Besuch drei Kooperationsfelder im Vordergrund, die für die kommenden Jahre die Zusammenarbeit prägen werden. Im Bereich der Sicherheit wurde vereinbart, dass ab 2013 eine in Polen stationierte US-Luftwaffeneinheit gemeinsame Schulungen für F-16 Kampfflugzeuge und C-130 Transportmaschinen mit polnischen Spezialkräften durchführen soll. Diese sollen dann innerhalb eines Jahres volle Interoperabilität mit amerikanischen Einheiten aufweisen.  In Energiefragen soll der Dialog ausgebaut werden, außerdem wird ein amerikanisches Engagement bei der Erschließung von polnischen Schiefergasvorkommen ins Auge gefasst. Auch auf dem Feld der Demokratisierung will man zusammenarbeiten, unter anderem ist eine gemeinsame Mission nach Tunesien zur Stärkung von Demokratie und Marktwirtschaft angedacht sowie eine gemeinsame Arbeitsgruppe für Moldova.

Für Polen ist vor allem das klare Bekenntnis Washingtons wichtig, dass die Politik des Reset nicht zu Lasten Ostmitteleuropas geht. Anders als unter den Gebrüdern Kaczyński strebt die jetzige Regierung durch die Festigung der Kooperation mit den USA aber keinen sicherheitspolitischen Bilateralismus an. Die polnisch-amerikanische Zusammenarbeit soll längerfristig die transatlantischen Beziehungen stärken und sie nicht durch eine Spezialbeziehung zu unterminieren. Das enge Verhältnis zu den USA wird als Bestandteil eines effizienten Euro-Atlantizismus verstanden, bei dem die sicherheitspolitische und militärische Dimension der EU und die US-europäischen bzw. transatlantischen Bindungen komplementär zueinander sind.

Nachdem das Paradigma einer idealistisch eingerahmten Interessengemeinschaft ausgedient hat, und auch die Zeit der polnischen Skepsis und der amerikanischen Indifferenz zu Ende ist, deutet sich nun eine pragmatische Revitalisierung des beiderseitigen Umgangs an. Nach der verbesserten Kooperation mit Deutschland, mehr Gestaltungswillen auf EU-Ebene und einer „Normalisierung“ des Verhältnisses zu Russland bedeutet dieser neue, sachliche Zug in den Beziehungen mit den USA nicht zuletzt, dass Polens Position in Europa weiter aufgewertet wird.