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»Mission unaccomplished«

Angesichts des nicht enden wollenden Leidens in Syrien verblassen die Erfolge bei der Abrüstung der syrischen Chemiewaffen. Diese Wahrnehmung ist nachvollziehbar, aber nicht gerechtfertigt. Oliver Meier schreibt, welche Fortschritte bisher erzielt worden sind und welche Herausforderungen noch bestehen.

Kurz gesagt, 26.02.2014 Forschungsgebiete

Angesichts des nicht enden wollenden Leidens in Syrien verblassen die Erfolge bei der Abrüstung der syrischen Chemiewaffen. Diese Wahrnehmung ist nachvollziehbar, aber nicht gerechtfertigt. Oliver Meier schreibt, welche Fortschritte bisher erzielt worden sind und welche Herausforderungen noch bestehen.

Angesichts des nicht enden wollenden Leidens in Syrien verblassen die Erfolge bei der Abrüstung der syrischen Chemiewaffen. Diese Wahrnehmung ist nachvollziehbar aber nicht gerechtfertigt. Auch wenn noch unklar ist, ob der Abrüstungsplan erfolgreich und fristgerecht bis zum 30. Juni 2014 abgeschlossen werden kann, können bereits jetzt wichtige Fortschritte festgehalten werden.

Im August und September 2013 untersuchten die UN-Inspekteure Umfang und Umstände der sieben Chemiewaffen-Einsätze in Syrien. Besonders über die horrenden Angriffe am 21. August 2013 sind nun viele Details bekannt. Die meisten Indizien belasten die syrischen Streitkräfte. Es ist ein wichtiger Fortschritt, dass der mehrfache und massive Einsatz von Chemiewaffen von niemandem mehr bestritten werden kann.

In Resolution 2118 verurteilte der Sicherheitsrat einmütig die Chemiewaffen-Einsätze und legte den Grundstein für die Überwachungs- und Vernichtungsmission der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) und der Vereinten Nationen in Syrien.

Die neue internationale Einigkeit führte zu Syriens Beitritt zum Chemiewaffen-Übereinkommen am 14. September 2013. Damit akzeptierte Damaskus rechtsverbindlich, dass alle syrischen Chemiewaffen innerhalb bestimmter Fristen unter internationaler Aufsicht vernichtet werden. Die Umsetzung stößt in dem vom Bürgerkrieg zerrissenen Land an Grenzen. Aber immerhin: Rund 1300 Tonnen Chemiewaffen wurden von der OPCW erfasst. Alle mobilen Anlagen zur Abfüllung chemischer Kampfstoffe sowie die von der Regierung deklarierten Munitionen zur Ausbringung chemischer Kampfstoffe waren Ende Dezember 2013 bereits zerstört. Ein großflächiger, militärischer Einsatz chemischer Waffen scheint heute ausgeschlossen.

Zwei zentrale Herausforderungen bleiben. Kurzfristig geht es darum, rund 700 Tonnen der gefährlichsten Kampfstoffe schnell außer Landes zu bringen und zu zerstören. Eine Vernichtung in Syrien gilt als zu gefährlich. Trotz Anfragen der OPCW erklärte sich kein Staat bereit, die Chemiewaffen auf dem eigenen Territorium zu zerstören. Glücklicherweise hatten die USA bereits im Februar 2013 begonnen, mobile Vernichtungsanlagen für den Einsatz in Syrien zu konstruieren und sich mit Russland über die technischen Anforderungen des Abrüstungsprozesses zu verständigen. Diese Weitsicht zahlt sich heute aus, denn die politischen Hürden konnten umgangen werden, da der technische Ausweg einer Zerstörung auf hoher See an Bord eines amerikanischen Schiffes gangbar war.

Laut dem in der OPCW verabschiedeten Abrüstungsplan vom 15. November 2013 sollten bis Jahresende die gefährlichsten Stoffe außer Landes gebracht worden sein. Seit Dezember aber sind die Transporte der Kampfstoffe über Land zum Verschiffungsort Latakia ins Stocken geraten. Weniger als fünf Prozent der Stoffe waren bis Mitte Januar 2014 verschifft. Mittlerweile ist erkennbar, dass die syrische Regierung den Prozess der Abrüstung hinauszögert. Das vermutliche Motiv: Assad will die Kampfstoffe als Faustpfand in den Diskussionen über ein Nachkriegssyrien in der Hand behalten. Für diesen Fall braucht die internationale Gemeinschaft dringend einen Plan B, und sei es auch nur, um Druck auf das Assad-Regime auszuüben. Eins ist klar: Je länger die Kampfstoffe in syrischem Besitz bleiben, desto größer ist die Gefahr, dass sie freigesetzt werden.

Ungelöst bleibt auch das Problem, wie die Abrüstung mit dem Friedensprozess verknüpft werden kann. Dass die Chemiewaffen nun jenseits der Grenzen Syriens vernichtet werden sollen, hat es der internationalen Gemeinschaft ermöglicht, die Abrüstung ohne Abstimmung mit der Opposition zu organisieren und durchzuführen. Diese lehnt in großen Teilen jegliche Kooperation der internationalen Gemeinschaft mit dem Assad-Regime ab, selbst bei der Abrüstung chemischer Waffen.

In dem Maße, in dem die Abrüstung voranschreitet, sollte daher das Problem der strafrechtlichen Verantwortung für die Chemiewaffen-Einsätze in den Vordergrund rücken. Damit wäre eine wesentliche Forderung der Opposition erfüllt. Und die internationale Gemeinschaft könnte den bitteren Beigeschmack loswerden, den die unvermeidliche Aufwertung des Assad-Regimes durch die Abrüstungszusammenarbeit mit sich brachte. Die ungeklärte Schuldfrage ist zudem eine schwere Hypothek für einen möglichen Friedensprozess. Eine Bestrafung der Verantwortlichen würde eine Aussöhnung im Nachkriegssyrien erleichtern.

Eine Verurteilung würde zugleich das Tabu des militärischen Einsatzes toxischer Stoffe stärken. Der Sicherheitsrat kann Kriegsverbrechen, die in Nichtvertragsstaaten wie Syrien begangen werden, an den Internationalen Strafgerichtshof überweisen. Dies sollte er unverzüglich tun. Die USA und andere Staaten, die erklärtermaßen Erkenntnisse hinsichtlich der Verantwortung für die Chemiewaffen-Einsätze in Syrien besitzen, sollten diese umgehend den Ermittlern in Den Haag zur Verfügung stellen.

Wenn weitere Chemiewaffen-Einsätze abgeschreckt werden sollen, darf der Einsatz von Giftgas nicht ungesühnt bleiben, besonders wenn er so massiv und wiederholt erfolgt ist wie in Syrien.

Der Text ist als »Standpunkt« in der Ausgabe 1/2014 der Zeitschrift »Vereinte Nationen« erschienen.