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Mandat verlängern – Abzug vorbereiten

Die Folgen des Abkommens der USA mit den Taliban vom Februar 2020

SWP-Aktuell 2020/A 18, 11.03.2020, 4 Seiten

doi:10.18449/2020A18

Forschungsgebiete

Am 29. Februar 2020 einigten sich die Vereinigten Staaten und die Taliban in Doha auf ein »Agreement for Bringing Peace to Afghanistan«. In Verbindung damit gaben die USA und die afghanische Regierung am selben Tag eine gemeinsame Erklärung ab. Es handelt sich indes noch nicht um ein umfassendes Friedensabkommen, son­dern lediglich um eine Art »Türöffner« zum Einstieg in innerafghanische Verhand­lungen. Damit ist ein wichtiger erster Schritt hin zu einem möglichen Frieden in Afghanistan getan. Der Weg dahin wird allerdings steinig sein und birgt erhebliche Risiken. Erfolg oder Misserfolg dieses Abkommens werden nicht zuletzt auch über Umfang und Dauer des deutschen Afghanistan-Einsatzes entscheiden.

Die Vereinbarung, der als Bedingung eine siebentägige Phase der Gewaltreduktion vorausging, enthält erstens einen Zeitplan für einen konditionierten, pha­senweise er­fol­genden und vollständigen Abzug aller US- und Nato-Truppen binnen 14 Monaten, das heißt bis Ende April 2021. Zudem hat sich die Regierung Trump verpflichtet, die Zahl ihrer Truppen bereits innerhalb von 135 Tagen, also bis Mitte Juli 2020, von rund 12 000 auf 8600 zu verringern. Dies haben die USA bereits eingeleitet. Gleich­zeitig sollen die in Afghanistan verbliebenen Nato-Partner, darunter auch Deutschland, proportional dazu ihre Truppenstärke abbauen. Als vertrauensbildende Maßnahme wurde ein Gefangenenaustausch ver­einbart: Bis zum 10. März 2020 sollten 5000 Taliban und 1000 afghanische Sicher­heits­kräfte freikommen.

Zweitens verpflichten sich die Taliban im Gegenzug, dass sie terroristischen Gruppen einschließlich al‑Qaida verwehren werden, von afghanischem Territorium aus die Sicherheit der USA und ihrer Verbündeten zu bedrohen, und dass sie mit der afghanischen Regierung in Friedensgespräche ein­treten. Ein vollständiger Truppenabzug hängt jedoch davon ab, dass die Taliban die im Text des Abkom­mens niedergelegten Garan­tien einhalten.

Drittens haben die beiden Seiten sich darauf verständigt, dass Taliban und afghanische Regie­rung binnen zehn Tagen gemeinsame Gespräche aufnehmen. Diese zielen darauf, die künftige Repräsentation der Aufständischen im politischen System Afghanistans auszuhandeln.

Viertens haben sich die Parteien darauf festgelegt, dass diese innerafghanischen Verhandlungen auch einen dauer­haften und umfassenden Waffenstillstand sowie Verein­barungen zu dessen Umsetzung zum Ziel haben wer­den. Daneben haben die USA zugesichert, im VN-Sicher­heitsrat dafür ein­zutreten, dass Mitglieder der Taliban bis zum 29. Mai 2020 von der entsprechenden Sank­tions­liste der Verein­ten Nationen genommen werden.

Dies sind die ersten greifbaren Ergebnisse nach intensiven Gesprächen zwischen den USA und den Taliban während der letz­ten 18 Monate. Zahlreiche offene Fragen werden erst in den folgenden inner­afghani­schen Friedensverhandlungen angesprochen werden können. Dazu gehören beispielsweise Dauer und Beginn des angestrebten Waffenstillstands, Beginn und Details des weiteren westlichen Truppenabzugs, Mecha­nismen des Aussöhnungsprozesses im Land, Aspekte einer möglichen Entwaffnung, Demobilisierung und even­tuellen späteren Integration ehemaliger Tali­ban-Kämpfer in die afghanischen Sicherheitskräfte sowie die Bedin­gungen für die Aufnahme der Tali­ban in eine Übergangsregierung.

Politische Folgen für Afghanistan

Die siebentägige Phase der Gewaltreduktion vor Unterzeichnung des Abkommens hat im Wesentlichen ihren Zweck erfüllt. Anscheinend hat sie zu einer ersten Ver­trauens­bildung beigetragen, da es der Taliban-Führung gelang, entsprechenden Einfluss auf ihre Feldkommandeure aus­zuüben. Doch die Kämpfe sind zwischenzeitlich wieder auf­geflammt. Das lässt bereits Zweifel daran aufkommen, dass dieser Teil der Verein­barung verstetigt werden kann, wie es die USA anstreben.

Ein weiterer Stolperstein bei der Umsetzung ist der geplante Gefangenen­austausch, der zeitlich mit dem Beginn der inner­afghanischen Verhandlungen zusammenfällt. Er sollte zwar ein Schritt in Richtung weiterer Vertrauensbildung sein, wird aber schon jetzt vom afghanischen Präsi­den­ten Ashraf Ghani in Frage gestellt, da dieser in die Ver­hand­lungen nicht ein­bezogen war.

Die Aufgabe, rasch einen politisch inklu­siven Prozess zu beginnen, wird zudem vom strittigen Ausgang der Präsidentschafts­wahl über­lagert. Nach offiziellen Angaben hat Ghani die Wahl gewonnen. Sein Gegen­kandidat Abdullah Abdullah weigert sich jedoch bislang, das Ergebnis anzuerkennen, und hat nach der offiziellen Inauguration Ghanis als afghanischer Präsident eine Parallelregierung gebildet. Damit ist die Legitimität der Ver­handlungs­partner der Taliban erheb­lich in Zweifel gezogen.

Darüber hinaus ist das Ver­hältnis zu den Nachbarn in der Region zu bestimmen, vor allem zu Paki­stan, das die Taliban unterstützt. US-Außen­minister Pompeo hat in den vergangenen Monaten viel Aufwand betrie­ben, um die pakistanische Führung für das Abkommen zu gewinnen. Ihre Unterstützung ist jedoch weiterhin fraglich. Auch die Umsetzung des jüngst verkündeten Abkom­mens wird auf macht­politische Erwägungen der Anrainer Afghanistans treffen, besonders Irans und Pakistans, die das Land in erster Linie als Forum ihrer regionalpolitischen Ambitionen begreifen. Nicht auszuschließen ist, dass das Macht­vakuum, das USA und Nato mit ihrem kon­ditionierten Abzug zu hinter­lassen drohen, von anderen Akteuren gefüllt werden wird. Diese könn­ten ihre afghanischen Verbündeten stärker als bis­lang unterstützen und damit die innerafghanischen Verhand­lungen beein­trächtigen oder gar zu deren Blockade beitragen.

Das Mandat der Bundeswehr

Die erzielte Verein­barung wird auch die Debatte beeinflussen, welche über die Verlängerung des Bundeswehrmandats für die Resolute Support Mission (RSM) in Afghanistan zum 1. April 2019 geführt wird. Unter veränderten Vorzeichen wird darüber disku­tiert werden müssen, ob, wann und wie der deutsche Afghanistan-Ein­satz beendet wer­den kann. Auch hier sollte der geplante Abzug der US- und Nato-Truppen alle Über­legungen leiten.

Das Mandat des Deutschen Bundestages für die »Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am Nato-geführ­ten Einsatz Resolute Support« läuft am 31. März 2020 aus. Der Antrag zur Mandats­verlängerung bis zum 31. März 2021 sieht unverändert vor, die af­ghani­schen Verteidigungs- und Sicher­heits­kräfte »vorrangig auf der ministe­riellen und der nationalen institutionellen Ebene« aus­zu­bilden, zu beraten und zu unter­stützen. Ziel ist es, sie »zu befähigen, ihrer Sicherheitsverantwortung nachzukommen«. In diesem Sinne betätigen sich Kräfte der Bundeswehr überwiegend in Kabul, Bagram, Masar-e Scharif und Kundus, zeit­lich be­grenzt auch im übri­gen Opera­tionsgebiet. Des Weiteren ist die Bundeswehr damit beauftragt, »Verantwortung als Rah­mennation für den Betrieb der soge­nannten Speiche Nord in Masar-e Scharif« zu tragen, in dem Deutschland von 21 Natio­nen unter­stützt wird. Besonders wichtig ist die Aufgabe, als Rahmennation »bis zum Ende der militärischen Präsenz im Norden Afgha­nistans« den militärischen Anteil des Flug­betriebs am Flugplatz Masar-e-Scharif auf­rechtzuerhalten. Diese Fest­legung bindet Kräfte der Bun­deswehr und bestimmt die Rahmen­bedingungen des deutschen Trup­penabzugs.

Ein verlängertes Bundestagsmandat wäre flexibel genug, um allen denkbaren Heraus­forderungen gerecht zu wer­den, die aus dem ersten Teilabzug von US- und Nato-Truppen bis Mitte Juli 2020 sowie aus inner­afghanischen Verhandlungen erwachsen. Zu über­legen wäre, das Man­dat der Bundes­wehr bis Ende April 2021 zu ver­längern. Bis dahin, so heißt es im Ab­kommen zwischen den USA und den Tali­ban, sollen sämtliche US- und Nato-Truppen Afghanistan verlas­sen haben.

Konsequenzen für die Nato

Unabhängig von Details sind die Verein­barung der USA mit den Taliban und die gemeinsame Erklärung Washingtons und Kabuls ein klares Signal an die Partner in der Nato, dass die Regierung Trump der Lage in Afghanistan keine strategische Be­deutung mehr beimisst und zum Handeln entschlossen ist. Nicht zuletzt mit Blick auf den amerikanischen Präsidentschafts­wahlkampf deuten die politischen Zeichen in Richtung eines vollständigen Abzugs der US-Truppen aus Afghanistan – trotz fragi­ler Sicherheitslage, schwacher Sicher­heitskräfte und einer politischen Landschaft, die entlang eth­nischer Bruchlinien frag­mentiert ist. Die Regierung Trump will die Ver­luste begrenzen und ein Wahl­kampf­versprechen einlösen, nämlich den als aussichtslos wahrgenommenen »Ewig­keits­krieg« be­enden. Daher sollte es nicht ver­wundern, wenn Trump bis zu den Prä­si­dentschafts­wahlen am 3. November 2020 abrupt und ohne Absprache mit den Nato-Partnern weitere Abzugsschritte ver­kündet. Auch könnte er ein mögliches Treffen mit Taliban-Führern zu Wahlkampf­zwecken nutzen.

Noch sind die militärischen Details der amerikanischen Abzugspläne nicht be­kannt. Doch gerade die kleineren nationalen Kontingente der Allianz sind auf spezi­fische Fähigkeiten der USA angewiesen. Das gilt zum Beispiel beim strategischen Luft­transport, bei der Luft­unterstützung, bei Special-Forces-Einsätzen, taktischer Hub­schrauberunterstützung oder Notfallevakuierungen. Werden diese Fähigkeiten Schritt für Schritt abgebaut, würde das Beiträge anderer Nato-Staaten schwieriger oder gar wirkungslos machen.

In der Folge könnte sich die Sicherheitslage verschlechtern, so dass auch die Tätig­keit ausländischer Diplomaten, Entwicklungshelfer und weiteren zivilen Personals deutlich beeinträchtigt würde. Diese Akteu­re sind auf die Gefahreneinschätzung und im Notfall auf die Evakuierungsfähigkeiten der US-Streitkräfte angewiesen. Müssten zivile Akteure ihre Tätigkeit einstellen, könnte das in der afghanischen Bevölkerung den Eindruck verstärken, die inter­nationale Gemeinschaft ziehe sich über­stürzt aus dem Land zurück.

Empfehlungen für die deutsche Politik

Nach den geplanten Reduzierungen bis Mitte Juli 2020 auf eine Gesamtzahl von 8600 Solda­ten wird die amerikanische Truppenstärke ungefähr so groß sein wie am Ende der Amtszeit Präsident Obamas im Januar 2017. Zu diesem Zeitpunkt lief der deutsche Einsatz im Rah­men von RSM schon mehr als zwei Jahre. Das Ausmaß der anvisierten Redu­zie­rung amerikanischer Truppen bedeutet also nicht, dass die deut­sche Beteiligung an RSM nicht fortgesetzt werden kann. Grundsätzlich wird die Bun­deswehr ihre Aufgaben weiterhin wahrnehmen können, vielleicht mit kleinen Ein­schränkungen. Allerdings müsste im multi­lateralen Rahmen abgestimmt werden, wie die zum US-Kontingent proportionale Truppenreduzierung bei den Nato-Partnern, also auch Deutschland, vonstattengeht.

Daher sollte das beantragte Bundestagsmandat in der jetzt vorliegenden Form beschlossen werden, denn es gewährleistet die nötige Flexibilität, um den deutschen Anteil an RSM bis Ende April 2021 fortzu­führen. In Anbetracht der weiter­hin fragi­len Sicherheitslage und der Tatsache, dass Fortschritte im Verhandlungsprozess an Bedingungen geknüpft und damit grundsätzlich reversibel sind, ist mili­tärische Präsenz nach wie vor unabdingbar, um die erzielte Vereinbarung umzusetzen.

Ziehen die amerikanischen Truppen bis Ende April 2021 tatsächlich aus Afghanistan ab, ist die RSM in der bisherigen Form nicht mehr möglich. Es fehlt dann an der notwendigen Unterstützung für die RSM-Kräfte anderer Nato-Staaten und damit auch für ein deutsches Truppenkontingent. Angesichts der politischen Dynamik in Washington zugunsten eines vollständigen Abzugs wäre es eine grobe Fahrlässigkeit der deutschen Politik, nicht politisch wie militärisch für das Ende von RSM zu planen.

Auch wenn die USA ihre Afghanistan-Politik unter Präsident Trump bisher weit­gehend ohne Konsulta­tionen mit den Euro­päern betrieben haben, ist es aus deutscher Sicht unerlässlich, sich mit den USA ins Benehmen zu setzen. Nur dann kann es gelingen, den weiteren Truppenabbau mög­lichst syn­chron zu vollziehen – immer unter der Voraussetzung, dass auch die Tali­ban ihren Teil der Vereinbarungen erfüllen.

Einen Abzug der Bundeswehr aus Afgha­nistan müsste Deutschland auch eng mit den anderen Bündnispartnern abstimmen, vor allem da es als Rahmennation Verant­wortung in der sogenannten Speiche Nord in Masar-e-Scharif trägt. Alles andere wäre ein Verstoß gegen das Credo multilateralen Handelns in Afgha­nistan gemäß der Formel »Gemeinsam hinein, gemeinsam hinaus« und daher politisch sehr problematisch.

Zudem kommt es in der schwierigen Phase der innerafghanischen Frie­dens­gespräche besonders darauf an, auf diplo­matischen Wege eine multilaterale Abstim­mung für das weitere Vor­gehen in Afgha­nistan herzustellen. Das gilt für die unter­schiedlichen internationalen Foren und Organisationen, die an dem Gesamt­engage­ment, nicht nur militärisch, beteiligt sind.

Schließlich sollte der Bundestag angesichts des absehbaren Endes der deutschen Afghanistan-Operation die Weichen für eine kritische Bilanz der deutschen Betei­li­gung an dieser Mission stellen. Man muss nicht so weit gehen wie einige amerika­ni­sche Beobachter, die von einer Niederlage der USA und der Nato in Afghanistan spre­chen. Doch kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass wichtige Ziele des Einsatzes bisher nicht erreicht worden sind. Für die Zukunft internationaler Militärinterventionen ließe sich viel daraus lernen. Los­gelöst von vielen Detailfragen müsste dann auch – gut 18 Jahre nach dem ersten Afghani­stan-Mandat für die Bundeswehr – die Frage nach Zielen, Kosten und Erfolg dieses deut­schen Einsatzes politisch diskutiert werden.

Generalleutnant a. D. Rainer L. Glatz ist Senior Distinguished Fellow in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.
Dr. habil. Markus Kaim ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik und zur Zeit Helmut Schmidt Fellow der Zeit-Stiftung und des German Marshall Fund.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2020

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ISSN 1611-6364