Es liegt nicht an geringen Staatsausgaben, dass Spanien in der Krise steckt, meint Heribert Dieter.
Kurz gesagt, 08.05.2012 ForschungsgebieteHeribert Dieter
Es liegt nicht an geringen Staatsausgaben, dass Spanien in der Krise steckt, meint Heribert Dieter. Vielmehr krankt das Land an dem Einbruch der Baubranche und mangelnden Reformen zur Arbeitsmarktflexibilisierung.
Pünktlich zum 1. Mai wurde in vielen Ländern Europas vor einer Verschärfung des Sparkurses in der Fiskalpolitik gewarnt. Der Vorsitzende der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, Juan Somavia, kritisierte die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Spanien und Griechenland und forderte eine neue Wachstumsstrategie. Auch in Frankreich fordert der neue Präsident Hollande mehr Wachstum und will dazu die Staatsausgaben steigern. Eine Reduzierung der Staatsausgaben wird landauf, landab als schädlich und krisenverschärfend abgelehnt. Letztlich, so die in diesen Tagen immer wieder geäußerte Einschätzung, sei sogar der Fiskalpakt für die Misere in einigen Ökonomien der Eurozone verantwortlich.
Allerdings kann diese Bewertung bei genauer Betrachtung nicht überzeugen, wie das Beispiel Spanien dokumentiert. Spanien, das mit einer Jugendarbeitslosigkeit von über fünfzig Prozent besonders große Schwierigkeiten hat, ist keineswegs wegen der Fiskalpolitik in diese Lage geraten. Das Land leidet unter den spekulativen Übertreibungen im Immobiliensektor und fehlenden Reformen, aber nicht unter zu geringen Staatsausgaben.
Dabei ist ein Blick in die Bilanzen hilfreich. Der spanische Staat spart - anders als dies den Anschein haben mag - keineswegs in brutaler Art und Weise. Zwischen 2006 und 2010 sind die Gesamtausgaben des Staates nämlich nicht etwa gesunken, sondern um gut 28 Prozent gestiegen. Seitdem sind die Ausgaben nur leicht zurückgegangen. Die Ursachen der spanischen Probleme haben mit der dortigen Fiskalpolitik wenig zu tun.
Das "El Dorado" Spanien lockte ausländische Investoren
Spanien galt vielen Menschen in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts als neues El Dorado. Die Bevölkerungszahl stieg rasant an, von 2003 bis 2010 von 42 Millionen auf 46 Millionen Menschen. Innerhalb von nur acht Jahren ist dies ein Anstieg um nahezu zehn Prozent. Damit nahm nicht nur die Nachfrage nach Wohnraum, sondern auch das Arbeitskräftepotential dramatisch zu.
In den Boomjahren, geprägt von massivem Kapitalzufluss und einer regelrechten Bauwut, schien der Zuwachs an Arbeitnehmern für die spanische Ökonomie ein Segen zu sein. Besonders die Baubranche konnte jede Arbeitskraft gebrauchen. 2007, dem letzten Jahr vor der Abkühlung der Bauwirtschaft, waren dort OECD-Angaben zufolge knapp 2,7 Millionen Menschen beschäftigt. Im gleichen Jahr lag die Zahl der Beschäftigten in der Bauwirtschaft in Deutschland - mit immerhin fast doppelt so vielen Einwohnern - um gut 170.000 Personen niedriger. Im Jahr 2011 hat sich die spanische Bauwirtschaft auf ein Normalmaß gesund geschrumpft. 2011 arbeiteten nur noch 1,4 Millionen Menschen am Bau - und in Deutschland stieg die Zahl der dort Beschäftigten auf 2,6 Millionen.
Ein knappes Drittel der Arbeitslosen in Spanien sind also frühere Bauarbeiter. Bezogen auf den Anstieg der Arbeitslosenzahlen seit 2007 machen die zuvor am Bau Beschäftigten sogar über 40 Prozent aus. Mit Sparmaßnahmen der öffentlichen Hand hat dieser Anstieg also nichts zu tun, er ist vielmehr auf das Ende der Übertreibungen im Immobiliensektor zurückzuführen. Dort wurde allerdings viel zu lange eine nicht nachhaltige Expansion zugelassen. Spanische Immobilienpreise kannten nur eine Richtung: nach oben. Allein zwischen 2003 und 2005 stiegen die durchschnittlichen Preise um 13,7 Prozent - pro Jahr.
Die Fehlentwicklungen haben nichts mit dem Fiskalpakt zu tun
Die Korrektur dieser Fehlentwicklungen sind für die betroffenen Menschen dramatisch, aber mit dem Fiskalpakt haben sie nichts und mit der Eurozone nur wenig zu tun. Richtig ist, dass die Länder der Eurozone keine brauchbaren Instrumente zur Verfügung hatten, den durch ausländische Kapitalzuflüsse befeuerten Boom zu dämpfen. Die Frage nach möglichen Schutzmechanismen gegen unerwünschte Kapitalzuflüsse sollte auch im Rahmen der Weiterentwicklung der Eurozone diskutiert werden. Aber Spaniens Arbeitsmarkt ist nicht nur deshalb in schwierigem Fahrwasser.
Vielmehr hat es das Land versäumt, in den Wachstumsphasen den Arbeitsmarkt soweit zu flexibilisieren, dass er nicht mehr als Bremse fungiert. Bislang war Spaniens Arbeitsmarkt geprägt von einem hohen Kündigungsschutzniveau für die Arbeitsplatzinhaber und entsprechend hohen Hürden für Neueinstellungen. Diese unterbliebenen Reformen machen dem Land heute sehr zu schaffen. Aber neu ist das Thema nicht. Von 1997 bis 2006 nahm Spanien mit 12,8 Prozent den unrühmlichen Spitzenplatz in der Eurozone bei struktureller Arbeitslosigkeit ein. Der Mittelwert der Eurozone belief sich auf 8,7 Prozent. Spanien hat es trotz des Booms jener Jahre nicht geschafft, Arbeitslose in neue Beschäftigungsverhältnisse zu bringen.
Die Fehlentwicklungen in der spanischen Wirtschaft, in den Boomjahren von positiven Arbeitsmarktzahlen kaschiert, bedürfen der Korrektur. Dennoch wäre Schwarzmalerei unangemessen. In den letzten Jahren gibt es bereits einige positive Tendenzen. Das Leistungsbilanzdefizit etwa sinkt bereits von 10,0 Prozent im Jahr 2007 auf unproblematische 2,3 Prozent im laufenden Jahr. Ebenso positiv sind die in diesem und im letzten Jahr real gesunkenen Lohnstückkosten zu bewerten. Und Spaniens Wirtschaft wächst, allen Unkenrufen zum Trotz, wenn auch nur sehr langsam. Die spanische Regierung muss den Arbeitsmarkt liberalisieren und hat bereits erste Maßnahmen ergriffen, die jedoch nicht über Nacht Wirkung zeigen können. Vor allem wird Spanien in den nächsten Jahren kein Einwanderungs-, sondern ein Auswanderungsland sein. Junge Menschen können und sollen Beschäftigung in anderen Ländern Europas suchen. In einem sich integrierenden Europa sind solche zeitweiligen Wanderungsbewegungen kein Problem, sondern gehören zur Währungsunion dazu. Ganz gewiss aber helfen Forderungen nach staatlich finanzierten Konjunkturprogrammen der spanischen Wirtschaft nicht weiter.
Der Text ist auch bei EurActiv.de erschienen.