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Interview: »Bilaterale Freihandelsabkommen sind Gefahr für China«

Von Hanns Günther Hilpert ist soeben die SWP-Studie »Chinas Handelspolitik. Dominanz ohne Führungswillen« erschienen. Im Interview erläutert er, warum eine aktivere Rolle in der WTO im Interesse Chinas liegen sollte, und wie es gelingen kann, das Land zu mehr Engagement zu bewegen.

Kurz gesagt, 28.11.2013 Forschungsgebiete

Von Hanns Günther Hilpert ist soeben die SWP-Studie »Chinas Handelspolitik. Dominanz ohne Führungswillen« erschienen. Im Interview erläutert er, warum eine aktivere Rolle in der WTO im Interesse Chinas liegen sollte, und wie es gelingen kann, das Land zu mehr Engagement zu bewegen.

China ist seit 2001 WTO-Mitglied. Wie gut ist es in das Welthandelssystem integriert?

Hanns Günther Hilpert: Dem Augenschein nach ist China hervorragend integriert: Es ist Exportweltmeister und seit diesem Jahr weltgrößte Handelsnation. Auf der anderen Seite ist China aber bisher kein normales WTO-Mitglied. Es hat eine ganze Reihe von Beitrittsverpflichtungen nicht umgesetzt. Gleichzeitig wird China in der WTO diskriminiert, weil es noch nicht als Marktwirtschaft anerkannt ist. Verfahren gegen das Land, etwa wegen Dumpings, können somit leichter eingeleitet werden als gegen vollwertige Mitglieder. Auch Schutzmaßnahmen oder Ausgleichszölle können leichter erhoben werden.

Ist es denn üblich, dass neue WTO-Mitglieder diskriminiert werden?

Hanns Günther Hilpert: Es ist durchaus geboten und sinnvoll, gegenüber Transformationsländern andere Maßstäbe anzulegen, da ihre Kompatibilität mit der marktliberalen Welthandelsordnung noch nicht gegeben ist. Allerdings wird an China eine besonders strenge Messlatte angelegt, weil der chinesische Wettbewerb für traditionelle Industriestandorte eine außerordentliche Bedrohung darstellt.

Sie legen in Ihrer Studie dar, dass China, trotz seines großen handelspolitischen Gewichts, keine Führungsrolle in der WTO einnimmt. Wieso nicht?

Hanns Günther Hilpert: Die Priorität der chinesischen Führung liegt auf der inneren Modernisierung und Entwicklung, nicht auf außen- oder handelspolitischer Profilierung. Eine aktive Rolle Chinas in der WTO würde bedeuten, von den Entwicklungs- und Schwellenländern Marktöffnungen zu verlangen. Das will China nicht, denn es würde einen Gegensatz auf offener Bühne bedeuten. Ohnehin verfolgt China seine handelspolitischen Interessen in erster Linie bilateral - denn bilateral kann sich das Land als Marktwirtschaft anerkennen lassen, einen privilegierten Marktzugang oder den Zugriff auf Ressourcen erstreiten. Das alles sind Verhandlungspunkte, die multilateral, also in Doha, nicht verhandelt werden.

Welche weiteren Hemmnisse gibt es für ein stärkeres Engagement Chinas?

Hanns Günther Hilpert: Es gibt auch erhebliche innere Widerstände. Die mächtigen Staatsunternehmen fürchten, ihre Pfründe zu verlieren. Die sozialen Probleme in den ländlichen Regionen könnten sich bei sinkenden Agrarpreisen zuspitzen. Und sowohl der Zentralstaat als auch die Provinzen wollen eine freie Hand in der Industriepolitik behalten. Wäre China Führungsnation, müsste es seine Märkte liberalisieren, Zölle senken etc. Das ist nicht im Sinne der Staatsunternehmen und deshalb nicht durchsetzbar.

Wieso kann sich die Führung nicht gegen die Lobbygruppen durchsetzen?

Hanns Günther Hilpert: In den letzten Jahren wurde Chinas Verhandlungsposition in vielen Sachfragen nicht vom Handelsministerium bestimmt, das die Verhandlungen führte, sondern von dem jeweilig zuständigen Ressortministerium. Das war beim WTO-Beitrittsprozess noch anders gewesen, als die Handelspolitik direkt beim Staatsrat angesiedelt war. Entsprechend hatte der damalige Ministerpräsident Zhu Rongji unmittelbare Entscheidungsgewalt.

Könnte es unter der neuen Führung wieder zu einem solchen Konstrukt kommen?

Hanns Günther Hilpert: Es ist denkbar, dass sich etwas ändert, denn im III. Plenum ist beschlossen worden, dass die Parteiführung zwei neue Gremien bekommt: eins für Reformen in der Wirtschaftspolitik und eins für Sicherheitspolitik. Diese Gremien können direkten Einfluss auf die Exekutive nehmen und dabei die mächtigen Interessensgruppen übergehen. Die Frage allerdings ist, für was diese Gremien tatsächlich genutzt werden. Da die Prioritäten des III. Plenums nach wie vor nicht handelspolitischer Natur sind, vermute ich, dass handelspolitische Initiativen allenfalls als Konsequenz innerer Reformen ergriffen werden.

Kann man sagen, dass die bilateralen Absprachen für China so gut funktionieren, dass es die WTO gar nicht wirklich braucht?

Hanns Günther Hilpert: Nein, das kann man nicht sagen. Denn die Schwergewichte, die auch Chinas wichtigste Handelspartner sind, also die USA, die EU, Japan und auch Australien verweigern sich bilateralen Abkommen, so lange China seine Märkte nicht wirklich öffnet. Für China ist es aber extrem wichtig, von diesen Ländern als Marktwirtschaft anerkannt zu werden.

Ist es denn wünschenswert, dass China eine Führungsrolle in der WTO übernimmt?

Hanns Günther Hilpert: Ja, weil China mit der Führungsrolle auch mehr Verantwortung für eine funktionierende Welthandelsordnung übernehmen würde. Die Blockade in der WTO könnte überwunden und das multilaterale Handelssystem wieder gestärkt werden.

Und welche Hebel gibt es, China stärker in die Verantwortung zu nehmen?

Hanns Günther Hilpert: Im Augenblick setzten alle Länder der Welt auf die bilaterale Schiene, weil die multilateralen Absprachen nicht funktionieren. Wenn wir jetzt ein transatlantisches Freihandelsabkommen bekommen und die USA auch noch ein transpazifisches Abkommen mit den asiatischen Ländern aushandeln, ist China außen vor. Da fortan Chinas Exporte schlechter gestellt wären, würde die Intensivierung des Welthandels an China vorbeilaufen - ebenso wie die Fortentwicklung der globalen Handelsregeln.

Das heißt, dass China ein eklatantes Interesse daran haben müsste, dass Absprachen multilateral erfolgen.

Hanns Günther Hilpert: Richtig. Daher ist es sinnvoll, China auf der obersten politischen Ebene immer wieder an seine Verantwortung für das multilaterale Handelssystem und auch an sein starkes Eigeninteresse zu erinnern. Da hat Deutschland eine besondere Rolle, weil es ähnlich wie China stark vom internationalen Handel abhängig ist.

Welche weiteren Möglichkeiten sehen Sie, China stärker in die Gestaltung der globalen Handelsbeziehungen einzubinden?

Hanns Günther Hilpert: Das Instrument der WTO-Streitschlichtung sollte viel stärker genutzt werden. Es ist zwar vom juristischen Prozedere her ein sehr kompliziertes, langwieriges Verfahren, aber es funktioniert. Beim KfZ-TeiI-Import, beim Marktzugang für Medienprodukte und bei den Exportrestriktionen für Rohstoffe hat China die WTO-Schiedssprüche, obwohl nachteilig für das eigene Land, umgesetzt. Zugleich nutzt China das Instrument auch selbst, um Handelskonflikte mit den USA und der EU auszutragen. Es liegt auf der Hand: Je stärker China in WTO-Mechanismen eingebunden ist, desto stärker muss sein Interesse daran sein, die WTO-Regeln mitzubestimmen.

Das Interview führte Candida Splett von der Online-Redaktion. Es ist auch bei EurActiv.de erschienen.