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Ex-Zar Simeon II. gescheitert?

Überlegungen zu den Gestaltungsräumen der bulgarischen Wirtschafts- und Sozialpolitik

SWP-Studie 2002/S 35, 15.10.2002, 41 Seiten Forschungsgebiete

Kaum ein Jahr nach dem spektakulären Wahlerfolg des bulgarischen Ex-Monarchen Simeon II. ist die Sympathiewelle für den neuen Ministerpräsidenten bereits verebbt. Umfragen zufolge wollen ihm jetzt statt 42,7 % nur noch 11 % der bulgarischen Wähler ihre Stimme geben. Denn von den Plänen für eine neue Wirtschafts- und Sozialpolitik ist nichts übrig geblieben: Dazu gehörten Steuersenkung für re-investierende Unternehmen, zinslose Kredite in begrenzter Höhe zugunsten des heimischen Mittelstandes und eine Anhebung der Mindestlöhne und Renten zur Stärkung der Kaufkraft.

Hauptursache für die Rückkehr der neuen Regierung zur Kontinuität der bisherigen Wirtschafts- und Sozialpolitik war die Kritik des Internationalen Währungsfonds (IWF). Dieser kann in den Kreditverhandlungen über bestimmte Konditionalitäten entscheiden und somit Einfluß auf die Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik ausüben. Seit der Einführung eines Währungsrats (currency board) am 1. Juli 1997 mit einer festen Anbindung des Lev an die DM bzw. den Euro hat sich Bulgarien auch gesetzlich dazu verpflichtet, der Stabilisierung des Finanzsystems oberste Priorität einzuräumen.

Trotzdem blieben die Ergebnisse der Wirtschaftstransformation bisher bescheiden: Zwar konnte die Inflationsrate auf etwa 10 % gedrückt werden, doch stockt der Zufluß ausländischer Investitionen und ein wachsendes Handelsbilanzdefizit schlägt negativ zu Buche. Die Bevölkerung muß sich mit Einkommen abfinden, die sich auf einem Niveau von 70 % des Standes von 1989 bewegen. Etwa die Hälfte der Bevölkerung ist heute auf die häusliche Produktion wichtiger Nahrungsmittel angewiesen. Ungeachtet dessen besteht der IWF auf einer Anhebung der Energiepreise auf Weltmarktniveau, was Mitte des Jahres 2002 eine Verteuerung um bis zu 30 % nach sich zog.

Kritischen Stimmen gegen das currency board werden daher immer lauter, so daß die IWF-Mission in Bulgarien über Exit-Strategien nachdenkt. Eine Möglichkeit sieht sie in einer Euro-Einführung schon vor dem für das Jahr 2007 anvisierten EU-Beitritt. Die vorliegende Studie zeigt aber, daß die Idee einer "Euroisierung" Bulgariens jeder realen Grundlage entbehrt. Die Deutsche Bundesbank wie auch die Europäische Zentralbank lehnen eine unilaterale Einführung des Euro vor dem Beitritt ab. Im jüngsten Strategiepapier bezeichnet die EU-Kommission Bulgarien zwar als "funktionierende Marktwirtschaft", doch setzt sie für den Eintritt in die Währungsunion eine Teilnahme am Europäischen Wechselkurs-Mechanismus II über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren voraus.

Die von der IWF-Mission vorgeschlagene "Euroisierung" beruht also auf irrtümlichen Prämissen, so daß Bulgarien schon heute über andere Exit-Strategien aus dem System des currency board nachdenken muß, auch über eine Rückkehr zum flexiblen Wechselkurs des Lev. Ein solcher Schritt erfordert jedoch die Unterstützung durch die Europäische Zentralbank, um das Risiko einer argentinischen Krise zu vermeiden. Die Studie empfiehlt, daß sich die EU im Direktorium des IWF für eine Veränderung der Konditionalitäten bei der Kreditvergabe einsetzen sollte. Dadurch könnten neue Handlungsspielräume für eine Wirtschafts- und Sozialpolitik auf nationaler Ebene geschaffen werden, um auch langfristig im Interesse des europäischen Einigungsprozesses mehr Wachstum und Beschäftigung in Bulgarien und in der gesamten Region Südosteuropa anzustoßen.