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»Es müssen rote Linien für den Einsatz bewaffneter Drohnen definiert werden«

Kurz gesagt, 18.05.2020 Forschungsgebiete

In Deutschland wird zurzeit wieder diskutiert, ob die Bundeswehr bewaffnete Drohnen braucht. Anja Dahlmann, Expertin für autonome Waffensysteme, und Dominic Vogel, Generalstabsoffizier der Luftwaffe und Gastwissenschaftler der SWP, sprechen im Interview über Chancen und Risiken der Technologie.

Bewaffnete Drohnen können helfen, Soldatinnen und Soldaten im Einsatz zu schützen – so lautet das meist genannte Argument derjenigen, die eine Bewaffnung von Drohnen befürworten. Wie kann man sich diesen Schutz vorstellen? 

Dominic Vogel: Patrouillen oder Konvois, die sich außerhalb von gesicherten Lagern bewegen, könnte man mit bewaffneten Drohnen von oben überwachen. Die Drohne wäre dann eine Art fliegendes Auge, das Hinterhalte erkennt. Die Drohnen, die wir bis jetzt haben, sind unbewaffnet, das heißt, sie beobachten und erkennen nur – Maßnahmen müssen andere ergreifen. Die bewaffneten Drohnen können selbst reagieren.

Das Schutzargument ist also schlüssig? 

Dominic Vogel: Schon. Man darf aber nicht erwarten, dass jetzt jede Patrouille von einer Drohne begleitet wird. Das ist in jedem Einzelfall eine taktische Entscheidung. Da fragt man, wie die Bedrohungslage ist, welche Systeme hier sinnvollerweise zum Einsatz kommen, aber auch nach den Ressourcen. Es wird letztlich erstmal nur fünf bewaffnete Drohnen geben, die können nicht an jedem Einsatzort sein. Dennoch: Die Situation würde sich grundsätzlich verbessern, wenn eine solche Drohne zum Schutz von Soldaten zur Verfügung stünde.

Die Gegner der Beschaffung fürchten, dass die – von Menschen gesteuerten – bewaffneten Drohnen der Einstieg in automatische Waffensysteme sein könnten. Was ist dran an dieser Befürchtung?

Anja Dahlmann: Zunächst muss man ganz klar unterscheiden zwischen von Menschen ferngesteuerten Drohnen wie der Heron TP, um die es in der Debatte geht, und solchen mit Funktionen, die Ziele autonom auswählen und bekämpfen können. Letztere sind problematisch. Dennoch könnte die Heron TP ein erster Schritt zur Autonomisierung sein, denn die Fernsteuerung ist anfällig: Die Übertragung kann gestört oder unterbrochen, das System kann gehackt werden. Da ist es naheliegend, über Weiterentwicklungen nachzudenken, die eine solche Übertragung überflüssig machen. Insofern ja: Langfristig könnte die Drohne ein Einstieg in autonome Systeme sein.

Kritiker sprechen im Zusammenhang mit bewaffneten Drohnen auch vom „Joystick“-Töten, weil die Drohnen aus der Ferne gesteuert werden. Inwiefern verändert dieser Umstand das Verhalten im Einsatz? 

Anja Dahlmann: Es gibt durchaus Hinweise aus den USA, die auf eine solche hochproblematische Entfremdung vom Kampfgeschehen hindeuten. Ob dies nur anekdotisch ist oder ein strukturelles Problem, ist ungeklärt. Die aufwändigen Entscheidungsprozesse bei der Zielauswahl, die es in der Bundeswehr gibt, sollten die Leichtigkeit dieser potenziellen Joystick-Mentalität aber ausbremsen. Da sprechen viele Menschen mit und klären, was legitime Ziele sind und wofür welche Systeme eingesetzt werden sollen.

Dominic Vogel: Es ist sogar so, dass man mit Drohnen das Zielgebiet länger beobachten und sich ein genaueres Bild von der Lage machen kann als bei schnellen Überflügen mit anderen Systemen. Dadurch sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass wahllos getötet wird. Wichtig zu wissen ist auch, dass die Drohnenpiloten der Bundeswehr mit am Einsatzort sind, also zum Beispiel in Afghanistan. Die sitzen nicht in irgendeinem Büro im friedlichen Deutschland, sondern kriegen die Einsatzrealität hautnah mit. Etwas, das ihre Haltung zum Geschehen prägt.

Wir wissen, dass die USA bewaffnete Drohnen für völkerrechtswidrige Maßnahmen, etwa zum Töten von Terroristen in nicht mandatierten Einsätzen verwenden. Wie können wir sicher sein, dass deutsche Drohnen nicht ebenso verwendet werden?

Anja Dahlmann: Drohnen begünstigen Aktionen wie gezieltes Töten tatsächlich eher als andere Systeme. Der »War on Terror« der CIA hätte sicher ohne Drohnen anders ausgesehen, und ihr Effekt auf die Zivilbevölkerung vor Ort war verheerend. Diese Waffen führen aber nicht zwangsweise zu einem völkerrechtswidrigen Einsatz, man kann sie auch anders nutzen. So lange der Deutsche Bundestag solche Einsätze nicht mandatiert, wird es sie in Deutschland hoffentlich nicht geben.

Für welche Szenarien könnte ein Einsatz bewaffneter Drohnen aus Ihrer Sicht sinnvoll sein?

Dominic Vogel: Sinnvoll ist er sicher im Bereich der bereits angesprochenen bewaffneten Überwachung von oben, also im Sinne des Schutzes von Soldaten im Einsatz – das ist das zentrale Argument für eine Beschaffung. Zusätzlich können Drohnen überall dort die Luftaufklärung übernehmen, wo es keine feindlichen Luftstreitkräfte gibt, also zum Beispiel in Afghanistan oder Mali. Denn die Drohne ist ein leichtes Opfer: Sie hat keinen eigenen Schutz und ist nicht besonders schnell.

Anja Dahlmann: Das Schutzszenario kommt in der Realität nur begrenzt zum Tragen. Und wie Dominic sagt, wäre der Nutzen der Heron TP in symmetrischen Konflikten – also gegen gleichwertig gerüstete Gegner – gering. Sie ist darum wohl eher ein erster Schritt hin zu leistungsfähigeren Modellen; Deutschland würde hier erste eigene Erfahrungen sammeln.

Worauf sollte geachtet werden, wenn es tatsächlich zu der Bewaffnung kommt? 

Dominic Vogel: Wir müssen politisch festlegen, wofür wir die bewaffnete Drohne einsetzen wollen. Man könnte auch in Mandaten für Auslandseinsätze klar die Regeln für den Einsatz unbemannter Systeme festlegen. Das wäre zwar ein Novum, aber auch ein deutliches Signal: Hier setzen wir eine aus unserer Sicht sensible Technik ein, und wir sind uns dessen auch politisch bewusst.

Anja Dahlmann: Diese klaren Grenzen sind aus zwei Gründen nötig: Zum einen darf es nicht zu Einsatzszenarien in völkerrechtlichen Grauzonen kommen. Zum anderen sollte die Beschaffung nicht den Schritt zu autonomen Waffensystemen erleichtern, was auch bei der Entwicklung der Eurodrohne und des Future Combat Air System zu beachten ist – beides sind Kampfsysteme, an deren Entwicklung sich Deutschland beteiligt. Hilfreich wäre ein Strategiedokument des Bundesverteidigungsministeriums, in dem es klar formuliert, wie viel Kontrolle der Mensch über den Gewalteinsatz behalten sollte. Es braucht auch rote Linien: An welchen Einsatzszenarien würde sich Deutschland noch beteiligen und an welchen nicht? Im Koalitionsvertrag steht, dass Deutschland autonome Waffen ablehnt, und das Auswärtige Amt setzt sich deutlich für ein internationales Verbot ein. Allerdings haben sich weder das Verteidigungsministerium noch der Bundestag klar positioniert, und gerade da wäre es wichtig.

Das Interview führte Candida Splett von der Online-Redaktion.