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Das neue Öl? Worauf beim Gas jetzt zu achten ist

Wenn die Politik im Zuge der Energiewende jetzt auf Gas setzen will, muss sie auch den Nachfragesektor stärken, sagt Kirsten Westphal. Warum das so ist, erläutert sie mit Blick auf Gazprom und E.ON Ruhrgas.

Kurz gesagt, 10.06.2011 Forschungsgebiete

Wenn die Politik im Zuge der Energiewende jetzt auf Gas setzen will, muss sie auch den Nachfragesektor stärken, sagt Kirsten Westphal. Warum das so ist, erläutert sie mit Blick auf Gazprom und E.ON Ruhrgas.

Mit der Energiewende rückt jetzt Gas als Energieträger in den Fokus. Die Politik stellt angesichts des Atomausstiegs den Bedarf an hocheffektiven und flexiblen Kraftwerken im Stromsektor heraus, um die Stromerzeugung aus fluktuierenden erneuerbaren Energien ausgleichen zu können. Die großen Gaslieferanten wittern somit neue Geschäfte. Nicht von ungefähr hat Alexej Miller, Vorstandschef von Gazprom, erst vor kurzem das Interesse des russischen Konzerns an einem Einstieg bei der deutschen E.ON geäußert. Das Kalkül dahinter leuchtet ein: Gazprom möchte seine Wertschöpfungskette vertiefen und im deutschen Gas- und Strommarkt noch mehr verdienen. Angesichts der weitreichenden Veränderungen in der Energiepolitik lohnt deshalb ein Innehalten und der gründliche Blick auf die Situation auf den deutschen Gasmärkten: Wo steht man und wo möchte man hin?

Der kontinental-europäische Gasmarkt hat sich in den vergangenen gut zwei Jahren fundamental verändert. Das haben nicht nur die EU-Binnenmarktpakete bewirkt. Deutschland sieht sich auch einem Überangebot an Erdgas gegenüber, zu der die sinkende Nachfrage in der Wirtschaftskrise sowie neu verfügbare Flüssiggasmengen und Schiefergas aus den USA beigetragen haben. Was auf den ersten Blick wie ein Schlaraffenland für Gasimporteure wie die E.ON Ruhrgas erscheint, hat das Unternehmen mit seinen ölpreisgebundenen Langzeitverträgen jedoch in eine schwierige Lage gebracht. Während die Ruhrgas nämlich in teuren Langfristverträgen mit Mengen-Abnahmeverpflichtungen gefangen ist, brechen ihr auf den Absatzmärkten die Käufer weg, die sich mit teilweise weitaus günstigerem Gas auf den Spotmärkten eindecken. Das Unternehmen hat deswegen in den vergangenen Monaten hohe Verluste eingefahren. In Deutschland steht man also vor dem Paradox, dass das Gasangebot komfortabel ist, aber das (ehemalige) Rückgrat des deutschen Gassektors in der Krise steckt.

Wo liegen die deutschen Interessen?

Wegen der neuen Marktlage drängt Ruhrgas seit Monaten darauf, die Verträge mit den Gasproduzenten bezüglich der Preisgestaltung neu zu verhandeln. Dabei geht es nicht nur um viel Geld, sondern auch um ein neues Geschäftsmodell. Die Rentabilität der Ruhrgas hängt heute also stark von der Verhandlungsbereitschaft der Gazprom ab. Der russische Gasproduzent jedoch zeigt sich wenig konziliant, was nicht nur am Streit um Gewinne, sondern auch an strategischen Überlegungen liegen dürfte: Einerseits kann so auf die E.ON Ruhrgas Druck ausgeübt werden, sich an dem von Gazprom betriebenen Pipelineprojekt South Stream zu beteiligen. Anderseits war Vorstandschef Miller deutlich: Wenn Gazprom Unternehmensteile von E.ON übernimmt, dann als strategischer Investor. Dies würde für den Konzern vor allem den Ausbau der eigenen Position auf dem deutschen Gasmarkt sowie eine Kontrolle über die Geschäfte bedeuten. Ein besonderes Interesse Gazproms an der Ruhrgas - oder vielmehr an deren Marktsegment und -anteil - ist demnach ökonomisch rational; es sollte aber dringend darüber diskutiert werden, ob dies auch im deutschen Interesse liegt.

Eine Übernahme der Ruhrgas durch die Gazprom erscheint schon aus kartellrechtlichen Gründen problematisch: Die Gazprom stellt 40 Prozent der deutschen Gaslieferungen, sie kontrolliert bereits über Wingas, ihr Gemeinschaftunternehmen mit BASF, mehr als 20 Prozent des deutschen Erdgasmarktes. Mit der Ruhrgas würden weitere 50 Prozent hinzukommen. Jenseits der wettbewerbsrechlichten Bedenken könnte ein stärkeres Engagement der Gazprom über kurz oder lang vor allem eines werden: teuer. Denn der Gasproduzent wäre weder an niedrigen Preisen noch an der Diversifizierung der Erdgasbezüge interessiert. Diversifizierung aber ist erstes Gebot für Versorgungssicherheit.

Beim – letztlich öffentlichen Gut – Versorgungssicherheit und angesichts der volkswirtschaftlichen Bedeutung von kostengünstiger Energie – letztlich ein Produktionsfaktor – liegt es nicht im nationalen Interesse durch die Stärkung ausländischer Produzenten die eigenen Unternehmen vermehrt dem freien Spiel ungleicher Kräfte auszusetzen. Denn im internationalen Gasmarkt herrscht ein Oligopol, Absprachen können nicht ausgeschlossen werden und die Produzenten liegen außerhalb des regulativen Zugriffs und der Jurisdiktion der EU.

Versorgungssicherheit ist keine Einbahnstraße

All das hat nichts mit anti-russischen Reflexen zu tun. Gazprom sollte und wird ein wichtiger Partner bleiben. Nur: Versorgungssicherheit ist keine Einbahnstraße. Die Politik sollte auch in Richtung Nachfrage denken, und sich klar werden, wohin der Nutzungspfad beim Gas gehen soll. Die Wechselwirkung von erwarteter Nachfrage und Versorgungssicherheit in einem Langfristgeschäft mit hohem Kapitaleinsatz wie der Gasindustrie ist nämlich eine nicht zu vernachlässigende Größe. Nur wenn die Nachfrage kalkulierbar ist, werden Investitionen in Transportinfrastruktur und die Entwicklung von Gasfeldern getätigt.

Noch ist aber keineswegs ausgemacht, dass die Nachfrage an Gas in Deutschland anzieht. Effizienzmaßnahmen werden im Wärmesektor ihre Wirkung zeigen, und ob sich Stromproduzenten für Gaskraftwerke entscheiden, ist bei den jetzigen Rahmenbedingungen durchaus offen. Wenn also die Politik auf Kraft-Wärme-Kopplung und flexible Gaskraftwerke als Brücke setzt, muss sie vor allem prüfen, ob die Anreize für die Stromversorger ausreichen, entsprechend zu investieren. Dann aber sollte sie die Nachfrageseite vom Importeur bis zum Endverbraucher und somit die Marktmacht der Konsumenten gegenüber den großen Produzenten wie Gazprom und Statoil stärken. Angesichts der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung und Aufgabe der Energiewende heißt das, die Gasimporteure als zentrale Akteure für die Versorgungssicherheit in dieser heiklen Transformationsphase der Gasmärkte zu stützen.

Derzeit ist die Nachfrageseite nicht nur fragmentiert, sondern auch entlang der Wertschöpfungskette segmentiert. Eben das hat die Ruhrgas in der veränderten Marktlage mit ihrer Mittelposition in die Klemme gebracht. Hier gilt: Nicht Vorwärtsintegration, also die Stärkung der Position der Gasexporteure durch die Erweiterung ihrer Aktivitäten entlang der Wertschöpfungskette, sollte die Stoßrichtung sein. Vielmehr gilt es die (Rückwärts)Integration und damit die Konsolidierung des nachfrageseitigen Marktsegments voranzubringen.